Sieg der Siedlungskrieger
Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 setzten Hitler und die SS ihre Außenpolitik durch. Die Marine bemühte sich im Vorfeld, Hitler doch noch umzustimmen. „Raeder versuchte, Hitler von einem Angriffsunternehmen gegen die UdSSR abzubringen. Im September 1940 drängte er Hitler zu einer Angriffspolitik im Mittelmeer als Ersatz für einen Angriff auf Rußland. Am 14. November 1940 drängte er auf einen Krieg gegen England „als unserem Hauptgegner“ und die Fortsetzung des Unterseeboot- und Marineflugzeugbaus.“ [293] Auch Ribbentrop warnte am 28. April 1941 vor einem Krieg gegen die Sowjetunion. Über E. von Weizsäcker, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, wandte er sich an Hitler: „Wir hätten also wahrscheinlich mit dem Fortbestand des Stalin-Systems in Ostrußland und in Sibirien und mit dem Wiederaufleben von Feindseligkeiten im Frühjahr 1942 zu rechnen. Das Fenster nach dem Pazifischen Ozean bliebe zugeschlagen. Ein deutscher Angriff auf Rußland würde den Engländern nur neuen moralischen Auftrieb geben. Er würde dort bewertet als deutscher Zweifel am Erfolg unseres Kampfes gegen England.“ [294] Hitler ließ sich von niemandem von dem „Feldzug gegen den Bolschewismus“ abbringen. Auch Ribbentrop trat nicht in den Widerstand, als man seine Bedenken ignorierte. Doch seit dem Krieg gegen die Sowjetunion verlor der deutsche Außenminister beträchtlich an Einfluß.
Hitler, der eigentlich den Zweifrontenkrieg vermeiden wollte, hatte noch im Frühjahr 1941 vertreten: „Wir können Rußland nur entgegentreten, wenn wir im Westen frei sind.“ [295] Da das Empire nicht nachgab und sogar das Bündnis mit der Sowjetunion schloß, drehte Hitler die Argumentation um. „Das einzige Mittel, die Engländer zum Frieden zu zwingen, war, ihnen durch Vernichtung der Roten Armee die Hoffnung zu nehmen, uns auf dem Kontinent einen ebenbürtigen Gegner entgegenzustellen.“ [296] Zwischen der Niederlage Frankreichs und dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion kämpfte England alleine gegen die Achsenmächte. Durch die Bildung der Anti-Hitler-Koalition sah der „Führer“ Rußland als „Festlanddegen“ der Briten. Da er ohnehin glaubte, den „Koloß auf tönernen Füßen“ wie in einem „Sandkastenspiel“ in einem Blitzkrieg besiegen zu können, würde dann England schon nachgeben. Der Siedlungskrieg durfte deshalb nicht aufgeschoben werden.
Jetzt stand der Siedlungskrieg in Rußland auf der Tagesordnung, da waren die Nazis zu keinen Kompromissen und Zugeständnissen bereit. Als erstes setzte Hitler den Kolonialisten und ihren Organisationen ein Ende. Am 20. Januar 1942 teilte Hitlers Sekretär und Leiter der Reichskanzlei, Martin Bormann, dem Ritter von Epp mit, daß das KPA und der RKB ihre Tätigkeiten bis zum 15. Februar einzustellen haben. [297] Die Auflösung des KPA erfolgte also nicht mit der Kriegswende an der Ostfront, sondern zu einem Zeitpunkt, wo die deutsche Niederlage sich noch nicht abzeichnete. Epps heftige Proteste konnten die Auflösung noch um einige Monate hinauszögern.
Die Siedlungskrieger setzten sich gegen alle durch, die einen Separatfrieden mit der Sowjetunion abschließen wollten. Selbst ein Raubdiktat, wie der Frieden von Brest-Litowsk, stand im Widerspruch zu der Vernichtungsabsicht des Generalplan Ost. Goebbels schlug am 28. Juli 1942 auf der Ministerkonferenz einen Separatfrieden mit Rußland vor, wenn Stalin „eine strategisch gute Grenze und die Sicherheit gegen eine Neuaufrüstung Rußlands gibt.“ [298] Dieser Vorschlag blieb ungehört. Totaler Sieg oder Untergang war Hitlers Devise.
Schon beim Überfall der Wehrmacht auf Polen folgten 100 Agrarbeamte der Wehrmacht. [299] Es entwickelte sich eine ständige Konkurrenz zwischen der Wehrmacht, SS und Rosenbergs Ostministerium um die Kompetenzen bei der Siedlung. Mit der Zeit stieg aber das SS- Reichskommissariat für die Festigung deutschen Volkstums (RKF) zur entscheidenden Organisation auf. Im Schatten der Frontlinie begann die SS mit der Vernichtung der jüdischen und slawischen Bevölkerung, an der sich auch die Wehrmacht beteiligte.
Der erste schwere Konflikt zwischen Wehrmacht und SS entstand in Polen. Die sofortige Siedlung in Polen, die die „Prätorianergarde der Bauern“ forderte, hielt die Führung der Wehrmacht wegen der militärischen Lage für zu gefährlich. Statt dessen schlug die Wehrmacht vor, einen „Ostwall“ als Befestigungslinie zu bauen. Eine Besiedlung während des Krieges hielt die militärische Führung für eine Bedrohung des Sieges. Auch mit dem Ostminister Alfred Rosenberg entbrannte ein heftiger Streit. Rosenberg setzte sich für die Auflösung der sowjetischen Kolchosen und Verteilung des Landes unter die russischen Bauern ein, um sie für die Zusammenarbeit mit der deutschen Besatzungsmacht zu gewinnen. Die Wehrmacht verhinderte dieses Vorhaben hartnäckig. [300] Während des Krieges konnte man aus den Großbetrieben mehr herauspressen, und nach dem Krieg warteten die deutschen Siedler auf ihr Land. Einen Bündnispartner konnte eine Bevölkerung eben nicht darstellen, die vernichtet werden sollte.
Vernichtung und Siedlung
Nicht nur in der SS, sondern auch in den Wehrmachtssoldaten sah Hitler die Speerspitze der Siedler. Nach dem „Endsieg“ sollten „tapfere“ Soldaten als erstes angesiedelt werden. „Ritterkreuz = Rittergut“ [301] gab die SS zum Ansporn der Soldaten als Parole aus. Zu diesem Zweck gründete die Wehrmacht Landwirtschaftsschulen für Kriegsinvaliden, um sie als „Wehrbauern“ zu schulen.
Währenddessen begannen SS und Wehrmacht den Generalplan Ost in die Praxis umzusetzen. Bis 1941 vertrieben die deutschen Truppen 2.300.000 Polen und siedelten sie ins „Generalgouvernement“ um. Schon Mitte 1941 versorgten die Nazis 200.000 deutsche Rückwanderer mit Millionen ha Land als Neubesitz in den westlichen Gebieten Polens. [302] 1942 ließ Himmler das erste „Volksdeutsche Siedlungsgebiet Hegewald“ gründen. [303] Im November desselben Jahres vertrieb man die polnische Bevölkerung des sogenannten Zamosc-Gebietes und brachte die Bewohner zur Vernichtung nach Auschwitz, um Raum für deutsche Siedler zu schaffen. Das Projekt mußte allerdings ebenso wie die Aussiedlung der Bewohner wegen des großen Widerstandes abgebrochen werden. [304] Der Kampf der Opfer gegen ihre Vernichtung gefährdete die deutsche Besatzungsmacht. In diesen Gebieten verschob Hitler die Siedlung bis zum „Endsieg“.
Die Kriegswende von Stalingrad führte keineswegs zum Abbruch der riskanten Besiedlung. Im Gegenteil, vor dem Hintergrund der deutschen Kriegsniederlage forcierte die SS den Siedlungskrieg. Von 1942 bis Ende 1943 wurden 17.000 Litauendeutsche in dem baltischen Staat wieder angesiedelt [305] sowie 4000 Familien im polnischen Warthegau. [306] Die soziale Stellung der deutschen Siedler verbesserte sich erheblich. „Erreicht wurde immerhin eine soziale ‘Hebung’ der Umsiedler. Hatten die früher durchschnittlich 5-8 ha Land besessen, so erhielten sie nun Höfe zwischen 20 und 30 ha, vor allem durch die Beschlagnahme polnischen und jüdischen Vermögens.“ [307] Mit der Einbeziehung anderer „germanischer“ Völker in die Waffen-SS nahmen auch sie an der Siedlung teil. Zwischen 1942 und 1943 bekamen 365 niederländische Bauern in Weißruthenien neues Land. [308] Diese Beispiele zeigen, daß die Siedlungsziele keineswegs Propaganda waren, sondern auch in die Praxis umgesetzt wurden. Der Hauptteil der Siedler sollte seinen „Ritt nach Ost“ aber erst nach dem deutschen Sieg starten.
Auch den Soldaten der Wehrmacht und SS hielt man das deutsche Bauernreich immer wieder vor Augen. Es schien ein geeignetes Mittel zu sein, den Kampfgeist der Truppen zu stärken. „Es gilt die Besiedlung dieses Raumes mit deutschen Söhnen und deutschen Familien (…), so daß ein Pflanzgarten germanischen Blutes wird, damit wir ein Bauernvolk bleiben, was wir fast aufgehört haben zu sein, da der Anteil des Bäuerlichen in unserm Volk weniger geworden ist“ [309], malte Himmler aus. Im August 1944 versprach der Reichsführer der SS sogar jedem Frontsoldaten einen Bauernhof von 30 ha. [310] Die bäuerliche Triebkraft des Ostkriegs ist unübersehbar.
Die kapitalistischen Profitinteressen spielten beim Krieg gegen die Sowjetunion eine untergeordnete Rolle. Wie in allen von Deutschland besetzten Ländern versuchten sich deutsche Konzerne Betriebe und Zwangsarbeiter anzueignen. Da der Ostkrieg für Hitler absolute Priorität hatte, schob er den kapitalistischen Kriegsgewinnlern diesmal für die Dauer des Krieges einen Riegel vor. Alle sowjetischen Betriebe gingen in Besitz des deutschen Reiches über. [311] Auch wenn die Historiker Weissbecker und Pätzold mit dem Einwand, daß nach dem Krieg die Betriebe wieder in privaten Besitz übergehen sollten, versuchen, ihre ideologischen Lehrsätze zu retten, vergessen sie, daß Hitler beabsichtigte, die sowjetischen Städte und damit wohl auch die Industrie „auszuradieren“.
In den staatlichen Betrieben durften wichtige Industrielle während des Krieges führende Positionen einnehmen. und die deutsche Industrie bekam hunderttausende sowjetische Zwangsarbeiter. Der Krieg im Osten war trotzdem kein Krieg des deutschen „Monopolkapitals“. Welches Interesse sollten die Kapitalisten daran gehabt haben, Millionen Kleinbauern zu schaffen und aber Millionen potentielle Arbeitskräfte einfach abzuschlachten? Hitlers Bauernreich im Osten hätte auch für sie das Rad der Geschichte zurückgedreht und die industrielle Entwicklung behindert oder gar gestoppt. Den Krieg in einen Kampf um Rohstoffe und kapitalistische Absatzmärkte zu verwandeln, dazu fehlte es dem deutschen Kapital an Macht. Der Siedlungskrieg offenbarte die wirklichen Machtverhältnisse im NS-Staat.
Krieg gegen die Entwicklung zur modernen Industriegesellschaft in Europa.