Rainer Werning
„ …wenn der US-Adler seine Krallen auf ein anderes Land setzt“
(Zuerst veröffentlicht auf den NachDenkSeiten am 24. Oktober 2021)
Kein anderes Land hat den Lauf der Weltgeschichte in den vergangenen mehr als 100 Jahren so stark geprägt wie die USA. Vor dem Hintergrund des gescheiterten Afghanistankrieges werden in diesem Artikel die imperialen Bestrebungen der Vereinigten Staaten in dieser Zeit detailliert dargestellt. Ein Essay und Plädoyer wider die Amnesie – präziser: gegen ein (politisch erwünschtes oder gewolltes) Vergessen-Machen.
Grauenvoll-surreale Bilder, die wir nie vergessen werden! Mit dem siegreichen Einzug der Taliban in Afghanistans Hauptstadt Kabul Mitte August hatten gleichzeitig zahlreiche Afghanen signalisiert, ihrer Heimat schnellstmöglich den Rücken zu kehren – aus Furcht vor Vergeltung, Rache der Sieger oder einfach nur, um ihr nacktes (Über-)Leben im Ausland zu sichern. Dermaßen verzweifelt waren in Windeseile auf das Kabuler Flughafengelände gehastete Landsleute, dass sie versuchten, sich an Reifen und Ladeluken bereits von den Pisten abhebender Frachtmaschinen der US-Luftwaffe zu klammern. Und dabei den Tod fanden – entweder von den Riesenrädern zermalmt oder „abgestoßen“, als kurz nach dem Start die Fahrwerke der Maschinen zuklappten. Im Gegensatz dazu nahmen sich die Bilder der buchstäblich in letzter Minute Geretteten auf dem US-Botschaftsgelände in Südvietnams früherer Hautstadt Saigon Ende April 1975 nachgerade als profane Wallfahrtsprozession aus.
Knapp einen Monat später dann die großen Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des 20. Jahrestages der Terroranschläge in New York und Washington, die dreitausend Menschenleben forderten. 9/11, der 9. September 2001, ist seit zwei Dekaden zur Chiffre für einen neuen Zeitabschnitt in der Geschichte mitsamt eines gleichzeitig entfesselten „Krieges gegen den Terror(ismus)“ geworden, dessen Ende meine Generation – die um 1950 Geborenen – womöglich nicht mehr erleben wird. Wer heute in aufwändigen Gedenkfeiern die eigenen Opfer beklagt, es gleichzeitig jedoch unterlässt, an die Hunderttausende von namenlosen „Kollateralschäden“ dieses Krieges gebührend zu erinnern, sollte solch hehren Worte wie „freedom & democracy“, „westliche Wertegemeinschaft“ und „regelbasierte und verlässliche internationale Ordnung als Grundlage friedlicher Beziehungen zwischen Staaten“ tunlichst hurtig aus seinem Vokabular tilgen.
1. Vorbemerkung
Im Sinne eben einer solchen Amnesie markiert der Machtwechsel in Kabul Mitte August 2021 – abwechselnd als „Katastrophe“, „Debakel“ und „verheerende Niederlage der von den USA geführten westlichen Wertegemeinschaft“ kategorisiert – eine Zäsur, die sich eigentlich vorzüglich dazu eignete, innezuhalten und mit Bedacht zumindest den imperialen Kriegslogiken der vergangenen 130 Jahre nachzuspüren. Immerhin waren es um 1894/95 die drei „Spätzünder“ unter den Kolonialmächten – das Deutsche und das Japanische Kaiserreich sowie die ebenfalls nach fremden Märkten gierenden USA – die eigene hegemoniale Ambitionen hegten und entsprechende militärische Feldzüge in Afrika beziehungsweise in Ost- und Südostasien inszenierten. Während sich mit Blick auf Ostasien Japan in zwei siegreichen Feldzügen gegen China (1894/95) und das zaristische Russland (1904/05) als dortige Regionalmacht etablierte, war in den USA eine erbittert geführte Debatte darüber in vollem Gange, ob Washington sich ebenfalls außerhalb US-amerikanischer Grenzen (militärisch) engagieren sollte. Die damals zentrale Frage lautete: Sollen die Amerikaner Kolonien erobern oder sich mit ihrem eigenen großen Land zufriedengeben?
„Wir müssen unserem Blut gehorchen und neue Märkte und wenn nötig neue Gebiete in Besitz nehmen.“ So lautete das Credo der Befürworter der Kolonialpolitik, während die Gegner für außenpolitische Zurückhaltung plädierten. Zu Letzteren gehörte u.a. Samuel Langhorne Clemens, uns besser bekannt als Mark Twain, Autor solcher Bestseller wie „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“ und „Tom Sawyers Abenteuer.“
Als Journalisten von dem 65-jährigen Erfolgsautor und Schriftsteller wissen wollten, ob er tatsächlich Antiimperialist sei, antwortete er: „Sie fragen mich, was Imperialismus bedeutet. Ich genieße nicht den Vorteil, genau zu wissen, ob sich unser Volk über den gesamten Globus ausbreiten will. Strebte es danach, würde ich das sehr bedauern. Ich hingegen meine, es ist weder klug noch eine notwendige Entwicklung, in China oder in anderen Ländern, in denen wir nichts zu suchen haben und die uns nicht gehören, Flagge zu zeigen.“
Mark Twain zählte als scharfzüngiger Gegner US-amerikanischer Kolonialpolitik zu den berühmtesten Persönlichkeiten der in den USA selbst rührigen Antiimperialistischen Liga der Vereinigten Staaten von Amerika, als deren Vizepräsident er immerhin von 1901 bis zu seinem Tode 1910 fungierte.1
„Remember the Maine!” – Schlachtruf der Imperialisten
Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren amerikanische Siedler nach blutiger Unterjochung verschiedener Stämme sogenannter Native Americans bis an die Westküste vorgedrungen. Seit etwa 1890 wurde es laut um den Stillen Ozean. Die Weite dieses größten Weltmeeres beflügelte weitschweifende, zunehmend hitzigere Debatten: Sollten die Amerikaner dieses Meer – mit Berufung auf den Herrn – zur amerikanischen See machen? Diese Streitfrage spaltete die Vereinigten Staaten in sogenannte „Isolationisten“ und „Interventionisten“ oder auch „Imperialisten“. Erstere meinten, die USA genügten sich selbst und ihr Territorium stelle einen ausreichend großen Binnenmarkt dar. Die Befürworter eines Imperialismus waren Leute höchst unterschiedlicher Provenienz – Geistliche, Politiker, Geschäftsleute und auch Intellektuelle – die im Wettstreit mit den europäischen Kolonialmächten ja nicht zu kurz kommen wollten.
Der US-amerikanische Historiker Richard Hofstadter hatte in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Politik und Gedankenwelt in den Vereinigten Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts analysiert und gezeigt, wie sehr die amerikanische Politik von einem unerschütterlichen Sendungsbewusstsein bestimmt wurde. Hofstadter, Professor an der Columbia University in New York, beschrieb die tiefe psychische Krise und Zerrissenheit, die das Land seit 1890 erfassten, als die Expansion der Binnengrenzen abgeschlossen war. In jenen Tagen trieb Politiker, Intellektuelle und Geschäftsleute gleichermaßen die Angst um, nun buchstäblich an ihre eigenen Grenzen gestoßen zu sein.
Der Drang in den „Wilden Westen“ beruhte auf der ungestümen wirtschaftlichen Entwicklung an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Die Industrialisierung beschleunigte die Konzentration und Expansion von Kapital, das nun lukrative Anlagemöglichkeiten und neue – notfalls auch fremde – Märkte suchte. Stellvertretend für die Imperialisten hatte Theodore Roosevelt, noch bevor er 1901 Präsident wurde, offen erklärt: „Ein gerechter Krieg ist für die Seele des Menschen besser als der Frieden im größten Wohlstand.“
Der einzige ernstzunehmende Konkurrent der aufstrebenden Vereinigten Staaten war Spanien, das sich seit dem 16. Jahrhundert nebst Portugal als europäischer Global Player in Südamerika, in der Karibik und in den Philippinen als Kolonialmacht etabliert hatte. Um 1900 jedoch war Spaniens Imperium bereits beträchtlich geschrumpft, frühere Kolonien wie Mexiko und Argentinien längst unabhängig. Lediglich Puerto Rico, Kuba, die Insel Guam und die Philippinen befanden sich noch in spanischem Besitz. Doch auch in diesen Regionen schwächten antikoloniale Revolten die einst sieggewohnten Konquistadoren; die Herrschaft brutaler Militärs und raffgieriger Mönchsorden wankte, zudem war die spanische Flotte hoffnungslos veraltet. So verwunderte es nicht, dass die von den USA sozusagen vor ihrer Haustür gesuchte Konfrontation mit dem iberischen Rivalen – der Spanisch-Amerikanische Krieg – nicht einmal vier Monate dauerte.
Am 15. Februar 1898 erhitzte ein ungeheuerlicher Vorgang in den Gewässern vor der kubanischen Hauptstadt Havanna die Gemüter in den Vereinigten Staaten. Das amerikanische Kriegsschiff USS Maine flog buchstäblich in die Luft. Für amerikanische Militärs und Politiker stand außer Frage: Die Spanier hatten einen Sabotageakt verübt. Jedenfalls lieferte das Schicksal der Maine den Vorwand, endlich gegen die spanische Kolonialmacht loszuschlagen. „Remember the Maine!” – „Erinnert Euch an die Maine!” – wurde zum gängigen Schlachtruf der Interventionisten.2 Innerhalb weniger Wochen erlangten US-amerikanische Marineverbände und Bodentruppen die Oberhoheit über Kuba und verleibten sich Puerto Rico ein. Später dann annektierten sie im Pazifik das bis dahin unabhängige, von 1891 bis 1893 von der letzten Königin Liliʻuokalani regierte Königreich Hawaii sowie die spanischen Outposts Guam und die Philippinen. Die Hoffnungen der antispanischen Revolutionäre, die mächtigen USA stünden ihnen in ihrem Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit zur Seite, erfüllten sich nicht. Im Gegenteil: Die Vereinigten Staaten avancierten selbst zur Kolonialmacht.
2. Expansion und koloniale Begehrlichkeiten in Südostasien oder: „Geradewegs hinter den Philippinen liegen
Chinas schier unermessliche Märkte“
Ein glühender Befürworter des Imperialismus war der aus dem Bundesstaat Indiana stammende junge Senator Albert Jeremiah Beveridge. Seine politische Karriere verdankte er feurigen Plädoyers für die Annexion der Philippinen. Am 9. Januar 1900 präzisierte der Republikaner sein Weltbild in einer Rede vor dem US-Kongress: „Geradewegs hinter den Philippinen liegen Chinas schier unermesslichen Märkte. Wir werden unseren Teil in der Mission unserer von Gott geschützten Rasse bei der Zivilisierung der Erde beitragen. Wo werden wir die Abnehmer unserer Produkte finden? Die Philippinen geben uns einen Stützpunkt am Tor zum Osten.“3[3]
Imperialisten wie Senator Beveridge interessierte nicht, dass der philippinische General und Revolutionär Emilio Aguinaldo bereits am 12. Juni 1898 die erste Republik Asiens ausgerufen hatte. Pech für die Filipinos; diese Unabhängigkeit war kurzlebig, weil sie in ein politisches Machtvakuum fiel. Die Fernostflotte der U.S. Navy hatte zwar einige Wochen zuvor binnen weniger Stunden des 1. Mai 1898 die maroden spanischen Kriegsschiffe in der Manila-Bucht außer Gefecht gesetzt. Doch erst Ende Juni betraten US-amerikanische GIs philippinischen Boden – faktisch also ein unabhängiges Land. Auf der Friedenskonferenz in Paris wurde im Dezember 1898 vereinbart, dass Washington den Spaniern als Trostpreis für den Verlust der Philippinen 20 Millionen Dollar zahlte. Wenige Wochen zuvor hatte der damalige US-Präsident William McKinley in einer Ansprache an eine Gruppe protestantischer Geistlicher begründet, warum sich die USA der philippinischen Inseln bemächtigten.
„In Wahrheit wollte ich die Philippinen nicht, und als wir sie als Geschenk der Götter bekamen, wusste ich nichts mit ihnen anzufangen. Ich lief Abend für Abend bis Mitternacht im Weißen Haus umher; und ich schäme mich nicht zu gestehen, dass ich niederkniete und den Allmächtigen mehr als einmal um Licht und Führung anging. Und eines Abends spät dämmerte es mir: Erstens, dass wir sie nicht an Spanien zurückgeben könnten – das wäre feige und unehrenhaft; Zweitens, dass wir sie nicht Frankreich oder Deutschland – unseren Handelsrivalen im Osten – übergeben konnten – das wäre schlechter Geschäftsstil und diskreditierend; Drittens, dass uns nichts übrigblieb, als sie zu übernehmen und mit der Gnade Gottes das Allerbeste für sie zu tun, unsere Mitmenschen, für die Christus auch gestorben ist. Und dann ging ich zu Bett und schlief gut.“
Mit dieser Offenbarung – einer Mischung aus imperialem Sendungsbewusstsein, Rassismus und Überlegenheitswahn – leugnete der Präsident schlichtweg die knapp 350-jährige Kolonialherrschaft des christlichen Spanien. Geleugnet wurden auch eigene imperialistische Interessen; diese wurden fortan verbrämt als benevolent assimilation. Zu dieser „wohlwollenden Assimilierung“ gehörte, dass die neuen Besatzer in den Philippinen das amerikanische Englisch als Amtssprache im Bildungs-, Geschäfts- und Verwaltungsbereich durchsetzten. Außerdem bauten die US-Militärs dort die größten Stützpunkte außerhalb der Vereinigten Staaten auf und schufen unter dem Befehl ihres Generals Arthur MacArthur eine philippinische Armee. Die allerdings hatte sich damit zu begnügen, für die US-Streitmacht im Lande Hilfsdienste als Späher, Träger oder Informanten zu leisten.
Die US-amerikanischen Militärs betraten im Sommer 1898 ein unabhängiges Land, die erste freie Republik Asiens. Die Bevölkerung leistete auch den neuen Kolonialherren erbitterten Widerstand. Um diesen zu brechen, begannen amerikanische Truppen mit der sogenannten „Befriedung“ der Inseln: Die Folge war der Amerikanisch-Philippinische Krieg. Er begann im Februar 1899 und endete nach der offiziellen Geschichtsschreibung dreieinhalb Jahre später. Im Süden der Philippinen, in der Sulu-See und auf der Insel Mindanao, deren Bevölkerung vorwiegend muslimisch war und die die Spanier abschätzig „Moros“ genannt hatten, dauerte die amerikanische „Befriedung“ allerdings bis 1916.
Manifester Rassismus im Schatten militärischer „Pazifizierung“
Im Jahresbericht 1903 des US-Divisionskommandeurs Generalmajor George W. Davis hieß es beispielsweise: „Es wird notwendig sein, nahezu sämtliche Bräuche auszumerzen, welche bislang das Leben der Moros auszeichneten. Solange der Mohammedanismus vorherrscht, kann der angelsächsischen Zivilisation nur mühsam der Weg geebnet werden.“
Während des Amerikanisch-Philippinischen Krieges erprobte die neue Kolonialmacht erstmalig sämtliche Methoden der „Counterinsurgency“ („Aufstandsbekämpfung“ oder „Aufruhrbekämpfung“), die in späteren Kriegen in Korea, Vietnam, Laos und Kambodscha sowie im Irak und in Afghanistan „verfeinert“ wurden – von Nahrungsmittelblockaden bis hin zum strategic hamletting, der Errichtung sogenannter „strategischer Weiler“. Dadurch sollten die Außenkontakte von Menschen in einer bestimmten Region eingeschränkt beziehungsweise genau überwacht werden. Zu diesem Zweck wurde das Gebiet streng patrouilliert, mit Stacheldraht umzäunt und die Bevölkerung angewiesen, eine Seitenwand ihrer – meist aus Bambus oder Nipa gefertigten – Häuser zu entfernen, um diese „durchsichtig“ zu machen. Ziel war es, die Zivilbevölkerung von potenziellen „Aufrührern“ und „Banditen/Dieben“ (ladrones) oder „Aufständischen“ (insurrectos) zu trennen. Später nannte man dies: „der Guerilla das Wasser abgraben“ und heute wird von „terroristischen Akten“ beziehungsweise der Vorbereitung solcher Akte gesprochen. Zur Abschreckung und um den Widerstand der Filipinos zu brechen, erließ die Kolonialverwaltung besondere Gesetze, um auch das Hissen der früheren Nationalflagge und das Singen patriotischer Lieder zu unterbinden. Zuwiderhandlungen wurden schwer bestraft.
Auf dem Höhepunkt des Amerikanisch-Philippinischen Krieges – im Jahre 1900 – entstand in Manila der Military Order of the Carabao (Militärische Orden des Wasserbüffels), ein martialischer Klub von Offizieren der US-Armee, Marine und des Marines Corps sowie akkreditierter US-amerikanischer Kriegskorrespondenten. [Erst später wurde die Mitgliedschaft in diesem Orden gelockert beziehungsweise erweitert, so dass ihm auch Veteranen anderer US-Militärinterventionen in Asien, im Indischen Ozean und Pazifik beitreten konnten.] Vor allem Kriegsgegner und -kritiker im In- wie Ausland hatte der Military Order of the Carabao im Visier. Gegen sie zog er schonungslos vom Leder, vor allem während seiner ausufernden Jahresfeiern, kurz „wallows“ genannt. [„Wallow“ hat zweierlei Bedeutung: Es kann „weiden“, „grasen“ oder auch „sich (im Dreck/in brackigem Wasser) suhlen“ meinen.] Auf ihnen grölte man zur Melodie von Marching Through Georgia ein eigens komponiertes „Soldatenlied“ mit folgendem Text, wobei man alternierend statt „Filipinos“ auch „insurrectos“ (Aufständische) oder „ladrones“ (Diebe) verwendete:
„Damn, damn, damn the Filipinos (insurrectos),
Cross-eyed kakiack ladrones!
Underneath the starry flag
Civilize ‘em with a Krag,4
And return us to our own beloved homes!“
In dem bis dato größten und gleichzeitig bestdokumentierten Kolonialmassaker in Südostasien wurde die damalige zwischen sechs und sechseinhalb Millionen Einwohner zählende Bevölkerung der Philippinen buchstäblich dezimiert. Andere Quellen sprechen sogar von annähernd einer Million Opfern unter der Zivilbevölkerung. Es war der erste Guerillakrieg in Asien, in den insgesamt etwa 150.000 GIs der US-amerikanischen Streitkräfte verstrickt waren und in dem auch über 4.200 Mann ihrer Truppen getötet wurden. Im besonders „unruhigen Süden“ des Archipels gingen Generäle wie Leonard Wood und John Joseph Pershing als „Schlächter der Moros“ in die Annalen ein. Sie waren für Massaker verantwortlich, denen vor allem die Zivilbevölkerung auf der Insel Jolo zum Opfer fiel.5
Es waren der „Philippinen-Feldzug“ im Allgemeinen und die gewaltsame Unterwerfung des „unruhigen Südens“ im Besonderen (den zu erobern es selbst der langwährenden Kolonialmacht Spanien verwehrt blieb), die auch und gerade den Nährboden für die Herausbildung eines betont anti-asiatischen Rassismus bildeten. So ward im Zuge der großen kapitalistischen Inwertsetzung des philippinischen Archipels durch den US-Imperialismus und im Umgang mit den kolonialen Untertanen der zutiefst pejorative Begriff „Gook“ geprägt. Ursprünglich von den GIs verwendet, um auf Prostituierte zu verweisen, wurde der Begriff schon bald abschätzig für feindliche Soldaten verwandt und avancierte schließlich zum Inbegriff des „schlitzäugigen, hinterhältigen und schmierigen Asiaten“. Kein Wunder, dass US-amerikanische Soldaten später im Koreakrieg (1950-53) den Begriff wiederbelebten. Doch erst während des Vietnamkriegs (1965-75), der in Vietnam selbst der Amerikanische Krieg genannt wird, wurde „Gook“ in Verbindung mit „Vietcong“ (herabsetzend für „vietnamesischer Kommunist“) umgangssprachlich „hoffähig“. Auf subtilere Weise erlebt der Begriff gegenwärtig eine „Renaissance“, was das neuerkorene „westliche“ Feindbild China im Rahmen der sogenannten „Indo-Pazifik-Strategie“ betrifft.
Berichte über das Gemetzel in den Philippinen machten auch Schlagzeilen in der US-Presse. Vor allem waren es Kommandanten wie Jacob H. Smith, die Empörung auslösten. Dieser Befehlshaber, der den Spitznamen „Bloody Jake“ – „Blutiger Jakob“ – trug, hatte auf der zentralphilippinischen Insel Samar unter anderem den Tagesbefehl ausgegeben: „Plündern, morden und niederbrennen sollt Ihr. Je mehr Ihr das tut, desto größer wird mein Wohlgefallen sein.“ Was den Industriellen Andrew Carnegie, wie Twain ein weiteres prominentes Mitglied der Antiimperialistischen Liga, sarkastisch an Präsident McKinleys Versprechen erinnern ließ, die Filipinos emporzuheben, zu zivilisieren und zu christianisieren: „Über 8.000 von ihnen sind bereits vollständig zivilisiert und in den Himmel geschickt worden.“
In den USA selbst war diese Art der Außenpolitik heftig umstritten. Im Sommer 1899 veröffentlichte der Publizist George Ade in der Wochenzeitschrift Chicago Record seine Stories of Benevolent Assimilation. In diesen Geschichten persiflierte er seine sendungsbewussten und kriegsbegeisterten Landsleute. Er mokierte sich darüber, dass diese den Filipinos unbedingt mit Löffel und Gabel Essmanieren beibringen wollten, sie mit klobigen, lächerlich wirkenden Möbelstücken beglückten und sie die Absurdität lehrten, in der tropischen Hitze Korsetts zu tragen.
Scharfe politische Proteste gegen den Krieg in den Philippinen hagelte es auch seitens der Antiimperialistischen Liga. Ihr Vizepräsident Mark Twain begründete seine Kritik mit den Worten: „Noch vor einem Jahr war ich kein Antiimperialist. Ich dachte, es sei eine großartige Sache, den Filipinos ein großes Stück an Freiheit zu geben. Heute allerdings glaube ich, es ist besser, dass die Filipinos sich selbst darum kümmern.“
Anfangs hatte Mark Twain den Amerikanisch-Spanischen Krieg begrüßt, versprach er sich doch von ihm Hilfe für die kubanischen Revolutionäre in ihrem Kampf gegen die verhassten Spanier. Später aber fand die amerikanische Kriegführung in den Philippinen in Twain einen unerbittlichen Gegner. Mit ätzender Kritik attackierte er diesen Waffengang, der außerhalb der USA die Werte zerstörte, die in den Staaten selbst als unantastbar und sakrosankt galten. Im New York Herald (Ausgabe vom 15. Oktober 1900) schrieb Mark Twain über den Friedensvertrag von Paris, durch dessen Kolonialschacher die Philippinen als ehemalige spanische Kolonie in amerikanisches „Eigentum“ übergegangen waren:
„Sehr sorgfältig habe ich den Vertrag von Paris gelesen und ich erkannte, dass wir keineswegs beabsichtigen, die Philippinen zu befreien, sondern deren Bevölkerung zu unterwerfen. Wir gingen dorthin, um zu erobern, nicht, um zu erlösen. Wie ich es sehe, sollte es unsere Freude und unsere Pflicht sein, die Bevölkerung zu befreien und sie ihre Probleme auf ihre eigene Art lösen zu lassen. Ich bin dagegen, dass der Adler seine Krallen auf ein anderes Land setzt.“
Es war das historische Verdienst der Antiimperialistischen Liga der Vereinigten Staaten von Amerika, die eigene Bevölkerung über die Geschehnisse in Amerikas junger Kolonie in Asien umfassend informiert zu haben. Vor allem der prominenteste Vertreter der Liga, Mark Twain, galt im letzten Jahrzehnt seines Lebens als einflussreichster Antiimperialist. Nicht nur in Zeitungsartikeln, auch in seiner Autobiographie ging der berühmte Schriftsteller hart mit den Imperialisten unter seinen Landsleuten ins Gericht. „Der Wahlspruch unseres Landes ist, ‚In God we trust‘, und jedes Mal, wenn wir dieses schöne Wort auf einer Dollarmünze lesen, scheint es, als bebte und winselte es vor Rührung. Das ist unser öffentliches Motto. Unser privates ist offenbar: ‚Wenn der Angelsachse etwas haben will, nimmt er sich‘s einfach.‘“
Dass der Autor des „Huckleberry Finn“ so vehement gegen die politische Führung seines Landes opponierte, war seinen – letztlich mächtigeren – Gegnern ein Dorn im Auge. Diese setzten nach dem Tod des begnadeten Schriftstellers und glühenden Demokraten alles daran, die letzte Dekade seines Schaffens im kollektiven Gedächtnis seiner breiten Leserschaft und Bewunderer zu tilgen. Die meisten Biographien über Mark Twain klammern seine aktive Zeit in der Liga bis heute einfach aus. Weilte er noch heute unter uns, hätte er als selbsterklärter Antiimperialist verdammt schlechte Karten und könnte überaus froh sein, als Schriftsteller und streitbarer Publizist nicht öffentlich verschwiegen oder unzeremoniell mit dem Bannfluch geächtet und zensiert zu werden.
Erst im Sommer 1946 gewährten die USA den Philippinen die formale Unabhängigkeit, wenngleich sie gleichzeitig qua vertraglichem Regelwerk ihre Machtprärogativen wahrten. Auch fürderhin diente der Inselstaat aufgrund der dort größten außerhalb des nordamerikanischen Kontinents befindlichen US-Militärstützpunkte, Subic Naval Base und Clark Air Field, als operativer Dreh- und Angelpunkt der Aggressionskriege Washingtons gegen Vietnam, Laos und Kambodscha. Bis zum heutigen Tag genießen dort GIs im Rahmen des Erweiterten Verteidigungsabkommens (EDCA) zwischen Manila und Washington das Privileg, auf Rotationsbasis die Militäreinrichtungen der Armed Forces of the Philippines (AFP) zu nutzen, während knapp 28.500 Soldaten allein im benachbarten Klientelstaat Südkorea stationiert bleiben – von weiteren US-Truppenkontingenten auf Okinawa und in Japan ganz zu schweigen.
3. „Übergang von der hemisphärischen Hegemonie
zum globalen Imperium“
Dem Kulturwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Nordamerika, Michael Hochgeschwender, ist zuzustimmen, wenn er konstatiert: „In der Zeit zwischen 1890 und 1920 (…) vollzog sich ein Übergang von der hemisphärischen Hegemonie zum globalen Imperium. Die sozioökonomischen und ideellen Elemente waren zu dieser Zeit schon festgefügt, die kulturellen Faktoren kamen allmählich hinzu und wurden im Laufe der folgenden Jahrzehnte noch ausgebaut. Auf der machtpolitischen Ebene wurde dieser Übergang an mehreren Beispielen sichtbar: dem amerikanisch-spanischen Krieg von 1898, der endgültig den Eintritt der USA in die Welt der imperialistischen Mächte markierte, dem großen Realignment mit Großbritannien um 1900, ihrer Rolle in der Chinapolitik um 1900 unter dem Stichwort open door sowie der Tatsache, dass die europäischen Mächte die USA auf der Konferenz von Algeciras 19066 als Schiedsrichter akzeptierten. Dieser Prozess vollzog sich allerdings nicht ohne Zwischenschritte. Waren die USA bereits um 1900 als regionales oder hemisphärisches Imperium und aktive Kolonialmacht vollständig in das System der europäischen Großmächte eingebettet, so folgte der Schritt zur globalen Großmacht im Kontext des Ersten Weltkrieges. Selbst die anschließende Phase des so genannten Isolationismus änderte an diesem Faktum wenig. (…) Sicher ist allerdings, dass die militärische Macht der USA, die in unseren Tagen den wohl imposantesten Bereich amerikanischer imperialer Politik ausmacht, erst mit dem Zweiten Weltkrieg und dem anschließenden Kalten Krieg zu einer Schlüsselkategorie des amerikanischen Herrschaftsanspruchs mutierte.“
Sachlich und ruhig verkündete US-Präsident Harry S. Truman am 6. August 1945 im Radio die Nachricht, die USA hätten soeben eine Atombombe auf die japanische Stadt Hiroshima abgeworfen. Nachdem Mitte Juli 1945 erstmals eine Atombombe im Südwesten der Vereinigten Staaten erfolgreich getestet worden war, hatte sich die US-Regierung für den Einsatz ebendieser Waffe entschieden. Sie wollte Japan nicht nur zur schnellen Kapitulation zwingen, sondern auch und gerade gegenüber ihrem ärgsten Rivalen, der Sowjetunion, Macht und technische Überlegenheit demonstrieren und Stalin vor eigenen weltpolitischen Machtansprüchen warnen. In einer Rede am 9. August 1945 sagte dann Präsident Truman, er danke Gott dafür, dass die USA im Besitz der Bombe seien und nicht andere Länder. Gleichzeitig betonte er, dass ein Land freier Bürger jeder Diktatur überlegen sei.
Nach nicht einmal zwei Jahren nach dem Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg hatte sich zwischen den Verbündeten von einst – den USA und der Sowjetunion – ein tiefer Graben aufgetan, der auf Dauer die kategorische Trennlinie zwischen der „freien Welt“ und dem Kommunismus sowie die Partitur des Kalten Krieges bilden sollte. Als die Sowjetunion im Jahre 1947 versuchte, ihren Einflussbereich in Südosteuropa und dem Nahen Osten – namentlich in Griechenland, in der Türkei sowie im Iran – zu erweitern, veranlasste das Washington, im Gegenzug seinen weltweiten Hegemonialanspruch doktrinär festzuschreiben. „Die freien Völker der Welt rechnen auf unsere Unterstützung in ihrem Kampf um die Freiheit. Wenn wir in unserer Führungsrolle zaudern, gefährden wir den Frieden der Welt.“
So lautete denn auch einer der Kernsätze anlässlich einer Rede von Präsident Truman vor dem US-Kongress am 12. März 1947, mit der er die fortan nach ihm benannte Doktrin verkündete. Integrale Bestandteile dieser auf Führungsposition bedachten Außenpolitik waren das European Recovery Program, der sogenannte Marshallplan, mit dem 16 westeuropäische Staaten finanziell beim Wiederaufbau nach dem Krieg unterstützt wurden, sowie verstärkte Militäreinsätze und der Aufbau eines weltumspannenden Netzes von US-Militärbasen.
Ausgerechnet Korea – von 1910 bis 1945 japanische Kolonie – geriet aufgrund seiner exponierten geostrategischen Lage in Ostasien als erstes Land in den Strudel des beginnenden Kalten Krieges und der West-Ost-Blockkonfrontation. Bereits vor der Kapitulation Japans hatten sich die USA und die Sowjetunion darauf verständigt, Korea in zwei Besatzungszonen aufzuteilen und einstweilen treuhänderisch zu verwalten. Nördlich des 38. Breitengrads hatte die Rote Armee das Sagen und stützte durch ihre Präsenz die antijapanischen Partisanenverbände des späteren Präsidenten Kim Il-Sung. Im südlichen Teil landeten US-amerikanische Militärverbände an, die dem konservativen Politiker Rhee Syngman zur Macht verhalfen.
Im Nachbarland China zeichnete sich bereits ein Sieg der von Mao Tse-tung geführten Kommunistischen Partei ab. So wurde die koreanische Halbinsel zum konfliktträchtigsten Schauplatz der West-Ost-Konfrontation. Mitte August 1948 konstituierte sich im Süden der Halbinsel mit Washingtons Hilfe die Republik Korea. Drei Wochen später zog der Norden nach und rief – mit sowjetischer Unterstützung – die Demokratische Volksrepublik Korea aus. Damit war die Teilung des Landes besiegelt. Doch keine der beteiligten Parteien wollte dies als endgültig hinnehmen.
Es kam zum Krieg, der drei Jahre dauerte. Über eine Million Zivilisten im Norden und Süden wurden getötet. Laut Angaben der Vereinten Nationen kamen außerdem eine Million Soldaten aus Nordkorea und China sowie 250.000 aus Südkorea und knapp 55.000 US-amerikanische GIs ums Leben. Bis heute ist und bleibt Korea durch eine 240 Kilometer lange, sogenannte „entmilitarisierte Zone“ geteilt. Eine Verharmlosung ohnegleichen: Denn tatsächlich stehen sich dort eine Million Soldaten gegenüber, darunter im Süden ein Kontingent von reichlich 28.000 GIs. Und es ist im Rahmen des seit Ende der 1970er Jahre existierenden Combined Forces Command (CFC) der Befehlshaber der dort stationierten US-Soldaten (seit dem 2. Juli 2021 General Paul J. LaCamera), der im Kriegsfall ebenfalls das Oberkommando über die südkoreanischen Streitkräfte ausübte, eine Funktion, die am präzisesten als neuzeitliche Version eines Prokonsuls zu kennzeichnen wäre.
Antikommunismus als martialische Staatsdoktrin oder: „Mit Blick auf Vietnam haben wir uns geirrt, schrecklich geirrt.“
Um angeblich eine Machtübernahme der Kommunisten in Südvietnam Mitte der 1960er Jahre zu verhindern, bombardierten US-Streitkräfte das bereits am 2. September 1945 unabhängig gewordene Nordvietnam und auch den Süden des Landes. Die Hintergründe dieses mörderischen Zerstörungswerks kamen 1971 ans Licht: in der Sonntagsausgabe der New York Times vom 13. Juni. In ihr erschien der erste Teil einer Serie über die sogenannten Pentagon-Papiere. Ihre Veröffentlichung erschütterte die Regierung des amtierenden US-Präsidenten Richard Nixon in ihren Grundfesten. Die Pentagon-Papiere waren von Nixons Verteidigungsminister Robert McNamara in Auftrag gegeben worden. Es handelte sich dabei um streng geheime Dokumente zur amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In ihnen kam eine Haltung zum Ausdruck, die der Politiker J. William Fulbright als Kreuzzugsdenken bezeichnete. In seinem 1966 erschienenem Buch „Die Arroganz der Macht“ schrieb Fulbright, damals Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses des US-Senats:
„Macht verwechselt sich mit Tugend und neigt auch dazu, sich für allmächtig zu halten. Erfüllt von ihrer Mission, glaubt eine große Nation leicht, sie habe nicht nur die Pflicht, sondern auch die Möglichkeiten, den Willen Gottes zu tun. Gott werde doch gewiss nicht seinem auserwählten Bevollmächtigten das Schwert verweigern.“ Mit Blick auf den Krieg in Vietnam und den mörderischen Kampf gegen die dort für Freiheit und Unabhängigkeit eintretende Vietminh schrieb Senator Fulbright: „Wenn wir den Kommunismus als böse Philosophie sehen, so blicken wir durch ein verzerrendes Prisma, durch das wir eher Projektionen unserer eigenen Ansichten wahrnehmen, als das, was in Wirklichkeit da ist. Wenn wir durch dieses Prisma blicken, dann sehen wir die Vietcong, die Dorfältesten die Kehlen durchschneiden, als grausame Mörder; die amerikanischen Piloten aber, die Frauen und Kinder mit Napalm anzünden, sehen wir als tapfere Freiheitskämpfer (…)“
Die Pentagon-Papiere bewiesen, dass die USA den Krieg in Vietnam systematisch auf die neutralen Nachbarländer Laos und Kambodscha ausweiteten; die Regierung in Washington wollte den Nachschub für nordvietnamesische Truppen unterbinden und verhindern, dass auch diese Länder kommunistisch würden.
Eine ganze Region wurde jahrelang mit Krieg überzogen, einzig und allein, um die US-amerikanische – auch ökonomische – Vorherrschaft durchzusetzen. Während der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara später wenigstens einsah, er habe sich in der Vietnam-Politik – so wörtlich – „geirrt, schrecklich geirrt“, betrieb der Außenminister Henry Alfred Kissinger auch nach der schmachvollen Niederlage der USA in Vietnam im Jahre 1975 unbekümmert eine Politik, die die International Herald Tribune als „Kissingerschen Realismus“ charakterisierte. Dazu gehörte auch, dass Washington in Lateinamerika US-freundlichen Diktatoren zur Macht verhalf und sie stützte, wie etwa Augusto Pinochet in Chile, Rafael Videla in Argentinien, Hugo Banzer in Bolivien. Die Vereinigten Staaten, die nach dem Ende der Hitler-Diktatur Westdeutschland dabei geholfen hatten, eine Demokratie aufzubauen, handelten hier knallhart gemäß der Devise: Lieber eine Militär-Diktatur als ein sozialistisches Regime.
Ähnlich wie in Lateinamerika verhielten sich die USA in Indonesien. Es ist eine enge Komplizenschaft zwischen dem indonesischen Diktator Suharto und Washington durch Dokumente belegt, die das National Security Archive der George Washington University veröffentlichte. Indonesiens starker Mann, Ex-General Suharto, putschte sich im Oktober 1965 an die Macht und errichtete ein militärisches Terrorregime. Sein Vorgänger, der charismatische Staatsgründer Ahmed Sukarno, war nicht nur ein vehementer Befürworter der sogenannten Bewegung der blockfreien Länder. Sukarno distanzierte sich auch schrittweise vom Westen und galt dort fortan als Sicherheitsrisiko.
Suhartos drakonischem Regime fiel bereits bis Ende 1966 mindestens eine halbe Million Menschen zum Opfer, andere Quellen sprechen von weit über eine Million Getöteter. Wie aus den Dokumenten hervorgeht, übermittelte der damalige US-Botschafter in Jakarta, Marshall Green, den indonesischen Sicherheitskräften Namenslisten von führenden Kadern der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI), die ermordet werden sollten. Über die Exekutionen wurde akribisch Buch geführt. Im Hintergrund dieser Amtshilfe aus Washington bei den Massakern in Indonesien 1965/66 standen handfeste Wirtschaftsinteressen der USA. Indonesien war schließlich das größte und bevölkerungsreichste Land Südostasiens. Es sollte unbedingt in den Einflussbereich des Westens gelangen, ohne dass man ein zweites Vietnam riskierte. Das erforderte die – notfalls auch physische – Liquidierung der PKI, die damals nach der Kommunistischen Partei Chinas und der KPdSU die weltweit drittgrößte kommunistische Partei war.
Heute ist die Region Südostasien aus der Sicht der US-amerikanischen Militärs und außenpolitischen Strategen eine „neue Zufluchtsstätte für Terroristen“. So wurden denn unmittelbar nach 9/11 die Philippinen offiziell als „zweite Front im Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ deklariert – eine Steilvorlage für die jeweiligen Präsidenten des Landes, Opposition und Dissens als „terroristisch“ zu denunzieren und entsprechend harsch zu agieren. Erklärtes Ziel der Regierungen in Washington und Manila ist ferner die Zerstörung der durch Kidnapping und Lösegelderpressung medial bekannt gewordenen Gruppe der „Abu Sayyaf“ (Vater des Scharfrichters). Strategisch geht es um mehr: In der an Rohstoffen überaus reichen Region Südostasien, wo gleichzeitig der weltweit größte Teil der Muslime lebt (Indonesien, Malaysia, Brunei, Südthailand & Südphilippinen), sollen tatsächliche oder vermeintliche Ableger des Al-Qaida-Netzwerks zerstört werden. Gegenwärtig bildet die Region Indo-Pazifik überdies erklärtermaßen den Hauptfokus der US-amerikanischen und NATO-Militärstrategie.
4. „Neue Weltordnung“ als Präludium des (endlosen) „Krieges gegen den
Terror(ismus)“
„Aus diesen schwierigen Zeiten kann (…) eine neue Weltordnung hervorgehen: Eine neue Ära, freier von der Bedrohung durch Terror, stärker in der Durchsetzung von Gerechtigkeit und sicherer in der Suche nach Frieden. Eine Ära, in der die Nationen der Welt im Osten und Westen, Norden und Süden prosperieren und in Harmonie leben können. (…) Heute kämpft diese neue Welt, um geboren zu werden, eine Welt, die völlig verschieden ist von der, die wir kannten. Eine Welt, in der die Herrschaft des Gesetzes das Faustrecht ersetzt (…) eine Welt, in der der Starke die Rechte des Schwachen respektiert.“
Mit diesen Worten verkündete der frühere US-Präsident George Herbert Walker Bush am 11. September 1990 die sogenannte Neue Weltordnung – auf den Tag genau elf Jahre vor den Terroranschlägen gegen das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington. Kurz zuvor hatte ein anderer US-Amerikaner einen weitaus weniger publicityträchtigen Auftritt. Am 30. August 1990 wagte es der damals 22-jährige Marinekorporal Jeff Paterson, seinem obersten Landesvater und Kriegsherrn öffentlich den Gehorsam aufzukündigen. Paterson weigerte sich, in ein Flugzeug mit dem Ziel Saudi-Arabien einzusteigen. Er war der erste Soldat, der während des Aufmarsches von US-Truppen am Golf den Kriegsdienst verweigerte, also noch zu einer Zeit, bevor die USA im Januar 1991 den Bombenkrieg gegen Irak begannen. Paterson begründete seinen mutigen Schritt mit den Worten:
„Als Dienst habender Korporal der US-Marine wurde ich im August 1990 in den Nahen Osten beordert – der Golfkrieg stand unmittelbar bevor. Vier Jahre zuvor – ich dachte, ich wüsste mit meinem Leben nichts Besseres anzufangen – hatte ich mich in der Rekrutierungsstelle von Salinas in Kalifornien gemeldet und den Militärbeamten gesagt, sie sollten mich dorthin schicken, wo ich am meisten gebraucht werde. (…) Vielleicht würde ich noch heute so wie die jungen Menschen denken, die sich gegenwärtig von der Armee anheuern lassen, wenn ich nicht vier Jahre im Marine-Infanteriekorps zugebracht hätte. Die meiste Zeit übte meine Einheit den Kampf gegen Bauern, die es wagten, ‚amerikanischen Interessen’ in ihrer Heimat entgegenzutreten – speziell in Nicaragua, El Salvador, Guatemala. Ich habe schreckliche Armut in den Philippinen gesehen, von der US-Regierung subventionierte Prostituiertenringe für die Truppen in Südkorea und ungehemmten Rassismus gegenüber der Bevölkerung auf Okinawa und in Japan. Mit dieser Wirklichkeit konfrontiert, habe ich den Prozess meiner persönlichen Ent-Amerikanisierung begonnen.“
Die Neue Weltordnung, die Präsident Bush Senior ausmalte, sollte die Schwachen schützen und das „Gleichgewicht des Schreckens“ beenden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren viereinhalb Jahrzehnte vom Kalten Krieg und der Konfrontation zwischen West und Ost geprägt. Beide Supermächte, die USA und die Sowjetunion, drückten ihren jeweiligen Einflusssphären den Stempel auf und ließen – wie in Mosambik, Angola oder Afghanistan – notfalls blutige Stellvertreterkriege führen. Die Machtbalance funktionierte, solange beide Seiten stillschweigend die Regel befolgten, nicht im Revier des Anderen zu wildern. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der realsozialistischen Regime änderte die Situation. Die USA wähnten sich nunmehr als unanfechtbare Weltmacht Nummer Eins. Für zahlreiche Politiker, Publizisten und Akademiker im Westen ein Grund zum Jubeln. Stellvertretend für diese triumphalistische Grundhaltung frohlockte beispielsweise John Lewis Gaddis, Geschichtsprofessor an der Yale University und Autor zahlreicher Publikationen über die Ära des Kalten Krieges:
„Zum ersten Mal seit über fünfzig Jahren stellt keine Großmacht oder Machtgruppe mehr eine eindeutige Gefahr dar für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten.“ Um diesen Sieg dauerhaft auskosten zu können, arbeiteten Militärstrategen und Politiker in Washington umgehend Pläne aus, wie dieser Erfolg zu sichern sei. Schon 1991 veröffentlichte die Regierung von Bush Senior ihren „Base Force Review“. Im Kern beinhaltete dieses Strategiepapier Folgendes: Galt bis dahin das „Anderthalb- Kriege-Konzept“, das neben einem größeren Konflikt mit der Sowjetunion oder der Volksrepublik China eine begrenzte Militäroperation als machbar ihn Betracht zog, sollten fortan zwei größere regionale Konflikte – notfalls gleichzeitig – führbar sein. Bis zum Ende von Präsident Bill Clintons Amtszeit Anfang 2001 blieb diese Strategie gültig. Das änderte sich unter seinem Nachfolger. Den Gegnern der Vereinigten Staaten schrieb US-Präsident George W. Bush, der Sohn des Architekten der Neuen Weltordnung, in seiner Antrittsrede am 20. Januar 2001 ins Stammbuch:
„Die Feinde unserer Freiheit und unseres Landes sollten sich nicht täuschen. Amerika wird sich weiter in der Welt engagieren, freiwillig und aus historischen Gründen (…) Ohne Arroganz werden wir uns entschlossen zeigen. Wir werden Aggression und bösen Absichten mit Entschiedenheit und Stärke begegnen. Allen Nationen gegenüber werden wir für die Werte eintreten, die unsere Nation geschaffen hat. Während des vergangenen Jahrhunderts war Amerikas Glaube an Freiheit und Demokratie ein Fels in der Brandung. Nun ist er ein Samenkorn im Wind, das in vielen Nationen Wurzeln fasst.“
Dann fanden ausgerechnet in „Gottes eigenem Land“, als das sich die USA gern bezeichnen, die Anschläge vom 11. September 2001 statt. In das Entsetzen über diese Terrorakte mischten sich tiefe Trauer, Rache- und Vergeltungsgelüste sowie nachdenkliche Stimmen. In einem Kommentar, der auch in mehreren westeuropäischen Zeitungen erschien, meldete sich unter anderem der bekannte uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano zu Wort:
„Die Geißel der Welt nennt sich nun Usama bin Laden. Die CIA hatte ihm alles beigebracht, was er in Sachen Terrorismus wissen musste: Bin Laden, geliebt und bewaffnet von der Regierung der USA, war früher einer der wichtigsten ‚Freiheitskämpfer’ gegen den Kommunismus in Afghanistan. Bush Vater war Vizepräsident, als Präsident Ronald Reagan sagte, diese Helden seien ‚das moralische Äquivalent der Gründerväter Amerikas’. Hollywood stimmte mit dem Weißen Haus überein. Damals wurde Rambo 3 gedreht – die afghanischen Muslime waren die Guten. Jetzt, dreizehn Jahre später, in Zeiten von Bush Sohn, sind sie die bösesten Bösen.“
Als eine der vehementesten Kritikerinnen gegen Bushs Kriegskurs erwies sich Cynthia McKinney. Die demokratische Abgeordnete aus Georgia forderte im Kongress, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Dieser solle klären, inwieweit Vater und Sohn Bush von der Katastrophe am 11. September profitiert hätten. George Bush Senior habe nämlich, so McKinney, für Public-Relations-Auftritte für den weltweit größten Vermögensverwalter Carlyle fürstliche Honorare eingestrichen. Und mit Carlyle habe es eine besondere Bewandtnis. Die streitbare Cynthia McKinney begründete ihre Anfrage mit dem Hinweis auf Bushs weit verzweigte Geschäftsverbindungen, die bis nach Saudi-Arabien reichten:
„Es ist doch bekannt, dass der Vater des Präsidenten durch seine Beteiligung am Carlyle-Konzern Geschäftsinteressen mit der Baufirma der Familie Usama bin Laden teilte und bei Rüstungsfirmen engagiert ist, deren Aktienkurse seit dem 11. September dramatisch gestiegen sind.“ Dieser Vorwurf brachte den konservativ-republikanischen Journalisten Jonah Goldberg zur Weißglut. In einer Talkshow beschimpfte er Frau McKinney: „Sie sind so dumm wie Kristallsalz und so ekelerregend wie Arafats seit drei Wochen nicht gewechselte Unterhosen.“
Ähnlichen Angriffen, sogar handfesten Attacken sah sich auch die US-Kongressabgeordnete Barbara Lee ausgesetzt. 1999 votierte sie gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien und stimmte als Einzige im Kongress gegen Präsident Bush, als dieser dann später gegen Afghanistan losschlug. Im Land „der Freiheit und Demokratie“ stand Frau Lee nach Morddrohungen unter Polizeischutz. In Europa ehrte der „Verein Aachener Bürgerpreis“ die beherzte Bürgerrechtlerin Anfang September 2002 mit dem Aachener Friedenspreis. McKinney und Lee zählten zu einer Minderheit, die im politischen Washington den Hasstiraden erzürnter Medienleute und evangelikaler Prediger überlassen wurden und ausgesetzt waren, denen es oblag, sie schließlich matt zu setzen.
„ … ohne Scham die Regeln der Weltordnung festlegen und durchsetzen.“
Im Frühjahr 1991 publizierte der einflussreiche US-amerikanische Politikberater Charles Krauthammer in der vom Council on Foreign Relations (CFR) herausgegebenen Zeitschrift Foreign Affairs einen Aufsatz mit dem bezeichnenden Titel „Das unipolare Moment“. Darin hieß es: „Unsere beste Hoffnung auf Sicherheit (…) ist Amerikas Stärke und die Willenskraft, eine unipolare Welt zu führen und ohne Scham die Regeln der Weltordnung festzulegen und sie auch durchzusetzen.“
Diese Regeln schrieb elf Jahre später nach den Anschlägen vom 11. September 2001 der neue Verteidigungsminister Donald Rumsfeld fest. Vor Offizieren an der National Defense University in Washington verknüpfte Rumsfeld am 31. Januar 2002 die Neue Weltordnung mit der neuen Militärdoktrin seines Landes. Bei ihm war jetzt nicht mehr wie zehn Jahre zuvor von zwei „Konflikten“ oder Kriegen die Rede, sondern von vier: „Wir müssen jetzt handeln, um auf vier größeren Kriegsschauplätzen die Fähigkeit zur Abschreckung zu erreichen. Wir müssen in der Lage sein, zwei Aggressoren gleichzeitig zu besiegen, und dabei die Möglichkeit haben, eine groß angelegte Gegenoffensive zu starten und die Hauptstadt eines Feindes zu besetzen, um dort ein neues Regime zu installieren.“
Wenig später, im Februar 2002, unterrichtete Rumsfeld den Kongress, seine Regierung werde den Feldzug zur Terrorismusbekämpfung allein in Afghanistan bis mindestens Oktober 2003 weiterführen. Zugleich lehnte Rumsfeld jedoch die Unterstützung der USA für eine erweiterte UN-Friedenstruppe ab, weil – so der Verteidigungsminister wörtlich: „eine US-Beteiligung finanziell wie personell auf Kosten der amerikanischen Kriegsanstrengungen gehen (würde).“
Mit Beginn des Afghanistan-Krieges werteten der Wirtschaftswissenschaftler Marc W. Herold von der University of New Hampshire und sein Team akribisch sämtliche Berichte von Hilfsorganisationen und Journalisten in Afghanistan aus. Das Ergebnis war niederschmetternd – bereits bis Ende Juni 2002 waren etwa 3.500 zivile Kriegsopfer zu beklagen. Geradezu perfide sei es gewesen, während der ersten Welle von Luftangriffen gegen Afghanistan schwere Bomben abgeworfen zu haben und sodann gelben Minen gelbe Nahrungsmittelpakete folgen zu lassen.
Selig S. Harrison, Direktor des Nationalen Sicherheitsprogramms am regierungsunabhängigen Center for International Policy in Washington, beschrieb die Wirkung dieser abgeworfenen CBU-87-Clusterbomben so: „Die CBU-87 ist eine (…) ‚Mutterbombe’, die 202 Minibomben freisetzt, von denen jede an einem kleinen Fallschirm hängt. Diese kleinen Bomben verteilen sich über eine Fläche, die zwei bis drei Fußballfeldern entspricht. Jeder B-1-Bomber kann dreißig solcher CBU-87-Clusterbomben tragen. Bis Ende Januar 2002 hatte die US-Luftwaffe etwa 600 von ihnen über Afghanistan abgeworfen. Obwohl die Minibomben eigentlich bei der Landung explodieren sollen, kommt es in mindestens fünf Prozent der Fälle nicht dazu. Das bedeutet nach Einschätzung von Experten, dass noch etwa 6.000 nicht explodierte Bomben in der Gegend herumliegen könnten, wo sie genauso gefährlich sind wie Landminen.“
„Wertlose Opfer“ & „ultra-wertvolle Opfer“
Es waren tickende Zeitbomben, die auch nach den Bombenstopps ein normales Leben der afghanischen Zivilbevölkerung zunichtemachten. Aus Furcht vor Explosionen mussten Felder brach liegen, Ernten blieben aus. Schlimmer noch: Täglich wurden wahllos Menschen getötet und verstümmelt. Vor allem Kinder und Jugendliche, die unbedacht mit diesen teuflischen Minibomben in Berührung kamen. Waren den USA diese Opfer gleichgültig? Offensichtlich ja; in einer vergleichbaren Situation – bei den Auswirkungen des Irak-Embargos nämlich – äußerte sich mit Madeleine Albright eine hochrangige Regierungsvertreterin zum Thema. Am 12. Mai 1996 fragte Moderatorin Lesley Stahl in der Fernsehshow ‚60 Minutes’ Frau Albright:
„Wir haben gehört, dass eine halbe Million Kinder wegen der Sanktionen gegen den Irak gestorben sind. Ich meine, das sind mehr Kinder, als in Hiroshima umkamen. Und – sagen Sie; ist es den Preis wert?“ Darauf erklärte die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen und spätere Außenministerin: „Ich glaube, das ist eine sehr schwierige Entscheidung, aber der Preis? – Wir glauben, es ist den Preis wert.“ Dieser ungeheuerliche Satz wurde in den führenden Medien der Vereinigten Staaten kaum zitiert. Es gab keinen Aufschrei, nicht einmal einen Einwand. Meinungsäußerungen wie die des emeritierten Wirtschaftswissenschaftlers Edward S. Herman waren eher selten:
„Das zeigt die Arbeit eines souveränen Propaganda-Systems. Die US-Regierung findet, dass der Massentod von irakischen Kindern ‚es wert’ ist. Die Medien lassen das Schicksal dieser ‚wertlosen Opfer’ im schwarzen Loch verschwinden und erlauben dadurch die unbehinderte Fortführung dieser Politik. Sind die Vereinigten Staaten selbst das Opfer des Terrorismus, tritt der umgekehrte Prozess in Kraft: Bei diesen ‚ultra-wertvollen’ Opfern inszenieren die Medien deren Leiden und Tod ausführlich und interessieren sich nicht für die tieferen Gründe, sondern nur dafür, ‚wer’ es getan hat.“ Herman fügte hinzu: „Unermüdlich rühren die Medienkonzerne die Kriegstrommel (…). Und sie werden Zeitungen verkaufen, ihre Quoten erhöhen, das ‚nationale Interesse’ unterstützen, und den Rechten beweisen, dass sie echte Amerikaner sind.“
Dazu einige Kostproben aus den Medien wenige Tage nach dem 11. September. Im Wall Street Journal vom 9. Oktober 2001 schrieb der Wirtschaftshistoriker Paul Johnson in einem Leitartikel: „Die Antwort auf Terrorismus? Kolonialismus!“. Martin Wolf von der Financial Times forderte einen Tag später: „Es braucht einen neuen Imperialismus“. In der Washington Post hieß es am 29. Oktober 2001: „Wenn wir Afghanistan stabilisieren wollen, müssen wir unsere postkolonialen Institutionen – die UNO, die Weltbank, Hilfsagenturen wie das Rote Kreuz – mit neuer imperialer Energie aufladen.“
Der damalige stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul D. Wolfowitz empfahl am 14. September 2001 in der Washington Post gar, „ganze Staaten, die den Terrorismus fördern, auszulöschen!“.
US-Präsident George W. Bush, laut Verfassung gleichzeitig auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte seines Landes, bezog nun auch den „first strike“, den „Erstschlag“, in die nach ihm benannte Doktrin ein. Offiziell verkündete er sie am 2. Juni 2002 in der renommierten US-Militärakademie West Point. Vor etwa eintausend West-Point-Absolventen erklärte der Präsident in überzeugtem Brustton: „Der Krieg gegen den Terror wird nicht in der Defensive gewonnen. Wir müssen die Schlacht auf dem Boden der Feinde führen, ihre Pläne vereiteln und den schlimmsten Bedrohungen begegnen, bevor sie auftauchen. (…) Wir Amerikaner sind bereit, wo immer nötig, mit Präventivschlägen unsere Freiheit und unser Leben zu verteidigen.“
In West Point sprach Präsident Bush auch von der Bereitschaft seines Landes, den „Krieg gegen den Terror“ in bis zu 60 Ländern zu führen. Davon müssten sich einige, so Bush, auf „Nachhilfeunterricht“ aus den USA einstellen: „Einige Länder bedürfen besonderer militärischer Ausbildung, um den Terrorismus zu bekämpfen, und wir werden diese anbieten. Andere Staaten widersetzen sich dem Terror, aber sie tolerieren den Hass, der zu Terror führt, und das muss sich ändern.“
Seit 9/11 wurde das Wort „Terror“ dehnbarer als jemals zuvor. Aus einst geschätzten Freiheitskämpfern wurden „Terroristen“ und ebenso verwandelten sich „Terroristen“ über Nacht zu gefeierten Widerstandskämpfern oder respektierten Staatsmännern. „Terror“ wurde zur Metapher in einer Welt, in der Washington beides gleichzeitig sein wollte – deren Nutznießer und ordnendes beziehungsweise unipolares Zentrum.
Terror, den sie meinen
Innenpolitisch schürte die Terror-Debatte Ängste, mit denen die Gegner dieser Politik kleingehalten wurden. Marianne Brün, Tochter des Schauspielers und Regisseurs Fritz Kortner, lebte seit Jahrzehnten in den USA. Sie schilderte, wie sich das innenpolitische Klima seit dem 11. September 2001 änderte: „Mit dem ‚Patriot Act‘ versucht man jetzt wieder, eine Art McCarthyismus, eine Hetzjagd auf vermeintliche Linke wie in den fünfziger Jahren, einzuführen. Innerhalb der Regierung, im Fernsehen und auch in der Filmindustrie gelingt das auf erschreckende Weise. Mit Hilfe einer extrem rechten akademischen Organisation, unter der Führung von Lynne Cheney, der Frau des Vizepräsidenten, hat es auch schon Professoren getroffen. Studenten werden von Frau Cheneys Organisation ermuntert, ihre Professoren anzuzeigen. Im Gegenangriff haben inzwischen einige Professoren – auf lustige Weise – sich selbst angezeigt.“
Seit dem 11. September wurde in den USA auch öffentlich über eine Einschränkung des universell gültigen Verbots von Folter diskutiert. Barbara Lochbihler, Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, kritisierte in diesem Zusammenhang: „Seit Beginn der Terrorismusbekämpfung werden in den USA fundamentale internationale Menschenrechtsstandards zunehmend missachtet. Neue Sicherheitsgesetze und -erlasse erlauben die wochenlange Inhaftierung von ausländischen Staatsbürgern, die der Terrorismusunterstützung verdächtigt werden, ohne Anklageerhebung. Über 1.200 Menschen wurden aufgrund dieser Gesetze festgenommen.“
Bedenklich, so Barbara Lochbihler, sei insbesondere eine Verfügung von Präsident Bush Junior gewesen, wonach „terrorismusverdächtige Ausländer nunmehr vor eigens eingerichtete Militärtribunale gestellt werden (können), die geheim verhandeln, die die Todesstrafe verhängen dürfen und Berufungen nicht zulassen, somit also in keiner Weise den Grundsätzen fairer Gerichtsverfahren entsprechen.“
Internationalen Rechtsstandards wollte sich die Bush-Administration auch an anderer Stelle nicht unterordnen. Seit dem 1. Juli 2002 trat nach langen, zähen Verhandlungen das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes offiziell in Kraft. Ab Anfang 2003 verfolgt dieser im niederländischen Den Haag domizilierte Gerichtshof Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dies allerdings nur dann, wenn sich die nationalen Gerichte in den Ländern, aus denen die potentiellen Angeklagten stammen, als unfähig oder als nicht willens erweisen, sie zu ahnden. Selbst diese Regelung ging der Bush-Regierung zu weit. Auf ihren massiven Druck hin knickte der Weltsicherheitsrat am 12. Juli 2002 ein und stimmte einer begrenzten, ein Jahr lang geltenden Immunität für US-Bürger in UN-Einsätzen zu. Washington graut(e) vor dem Gedanken, US-Staatsbürger könnten im Ausland vor Gericht zitiert werden, und es befürchtet(e) politisch motivierte Verfahren.
In den Jahren 1990 und 1991 hatte George Bush Senior verkündet, er wolle eine Welt, in der die Nationen in Harmonie leben können, in der das Gesetz und nicht das Faustrecht herrsche. Und zehn Jahre später versprach sein Sohn, die USA würden „entschlossen handeln, aber ohne Arroganz“. In der Realität aber stieß die Regierung in Washington auch befreundete Staaten seit Jahren immer wieder vor den Kopf, wobei George Bush Junior US-Interessen noch rücksichtsloser vertrat als sein Vorgänger Bill Clinton. So stornierte Washington die Zahlung von 24 Millionen Dollar an den Bevölkerungsfonds der UN, weil damit angeblich die Abtreibungspolitik in China gefördert werde. George Bush sorgte auch dafür, dass leitende UN- Mitarbeiter abberufen wurden, weil sie ihm nicht USA-freundlich genug waren. Dazu gehörte beispielsweise Robert Watson, Vorsitzender des UNO-Wissenschaftsrates zum Klimawandel. Die Ölfirma Exxon-Mobil intervenierte im Weißen Haus und erreichte, dass Watson gehen musste. Für William Schulz, Direktor der US- amerikanischen Sektion von Amnesty International, war das „ein neuer Tiefpunkt in Sachen Isolationismus und Sonderstellung.“ Die Süddeutsche Zeitung zitierte in diesem Zusammenhang einen EU-Diplomaten mit den Worten: „Früher hatten wir es mit kommunistischen Apparatschiks zu tun und heute mit unilateralen Überzeugungstätern.“
„Die normalen Regeln sind außer Kraft gesetzt“, so kritisierte der frühere Marinekorporal Jeff Paterson die Politik seines Heimatlandes. Wie 1990, als er mit 22 Jahren den Kriegsdienst verweigerte und seinen aufsehenerregenden Schritt öffentlich begründete, ist er elf Jahre später wieder an die Öffentlichkeit getreten. Als Aktivist der US-amerikanischen Antikriegsbewegung verfasste er kurz nach dem 11. September 2001 einen Appell „An Soldaten, zukünftige Soldaten und die übrige Jugend“. Darin hieß es: „Während wir trauern, kündigen sie bereits an, die normalen Regeln gelten nicht mehr’ – was heißt: jetzt ist die Zeit gekommen, um abzurechnen – sie verkünden auch: ‚Die Nation ist geeint, wir haben einen Blankoscheck für unser Handeln’ – was heißt: abweichende Meinungen werden ignoriert oder unterdrückt, je nach Bedarf.“
Jeff Paterson schloss seinen Appell mit den Worten: „Weniger denn je sind die Leute auf dieser Welt vor den USA sicher, und die Menschen in den USA selber sind vor den USA nicht sicher.“
Ramboisierung des Rechtssytems
Mit Hilfe des kurz nach 9/11 verabschiedeten Patriot Act und der Authorization for Use of Military Force of 2001 (AUMF) war der Präsident der USA in die Lage versetzt worden, fortan nach eigenem Ermessen militärische Gewalt gegen Länder einzusetzen, von denen die US-Exekutive in Washington vermutete, dass sie dem „internationalen Terror(ismus)“ als Basis dienen oder ihm Schützenhilfe leisten. Außerdem diente das erstgenannte Gesetz, der Patriot Act, zur systematischen Bespitzelung tatsächlicher oder vermeintlicher Regierungsgegner im Innern. Ganz zu schweigen von dem Gefangenenlager in Guantanamo auf Kuba und lange Zeit geheim gehaltenen Orten weltweit, wo verdächtigte Personen fernab von Rechtsstaatlichkeit und eines funktionierenden Justizsystems systematisch Gewalt, Folter und Demütigungen aller Art ausgesetzt wurden und deren Peiniger auf je unterschiedliche Weise extraterritoriale Immunität genossen.
Bereits am 20. September forderte Präsident Bush die seit 1996 Kabul und große Teile Afghanistans beherrschenden Taliban ultimativ auf, die hinter den Anschlägen in New York und Washington vermuteten Drahtzieher von Al-Qaida unter Führung von Usama Bin Laden auszuliefern. Ohne gerichtsfeste Beweise vorgelegt und auf Deeskalation bedachte Vorschläge der Gegenseite angehört zu haben, die immerhin darauf hinausliefen, Bin Laden in einem anderen islamischen Land vor Gericht zu stellen, sofern die USA Beweise für seine Tatbeteiligung präsentierten, bekräftigte Bush sein Ultimatum mit der nicht verhandelbaren Forderung: „Die Taliban müssen handeln, und zwar sofort. Sie werden die Terroristen ausliefern oder sie werden ihr Schicksal teilen. (…) Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit Al-Qaida, aber er endet dort nicht. Er wird nicht enden, bevor jede Terroristengruppe mit globaler Reichweite gefunden, gestoppt und geschlagen ist.“
In jenen Tagen schienen schnellstmögliche Rachegelüste und Vergeltungsakte jedwedes politische und militärische Denken und Handeln zu dominieren, so dass Vieles für die These des Imperialismus-Forschers Atul Kohli spricht, wonach die Führungsriege um Bush buchstäblich in den Krieg „gepoltert“ ist. In einem Gespräch mit der in Zürich erscheinenden WOZ antwortete Kohli auf die Frage, ob nicht imperiale Kriege eigentlich stets von wirtschaftlichen Interessen angetrieben werden, wie folgt: „Nein, die US-Invasion in Afghanistan bildet eine der großen Ausnahmen. Die US-Invasion war nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und auf das Pentagon viel mehr ein Rachekrieg als ein Krieg der Gier. Es wäre dumm zu behaupten, dass der damalige Präsident George Bush das Land aus wirtschaftlichen Interessen angegriffen habe. Es gab auch ein Sicherheitsinteresse dahinter. Allerdings haben sich im Lauf der Besatzung wirtschaftliche Interessen entwickelt. (…) Usama Bin Laden und seine Leute, die die Anschläge geplant hatten, versteckten sich unter den Taliban in Afghanistan – auch wenn man lange debattieren kann, wie eng ihre Beziehung zu den Taliban wirklich war. Abgesehen vom Racheakt zielte der Krieg darauf ab, künftige Terroranschläge zu verhindern. Mit den Milliarden, die die USA für Afghanistan ausgaben, sind über die Zeit auch Profitinteressen entstanden. Das Geld floss in zahlreiche mit dem Krieg verbundene Industrien: in die Verteidigungsindustrie oder an private Sicherheitsfirmen, deren Mitarbeiter nun zu Tausenden aus Afghanistan abgezogen sind.“7
Die Ramboisierung des Rechts und das Außerkraftsetzen der Unschuldsvermutung durch putatives Töten qua gezielter Drohnenangriffe sind – wie namhafte Kritiker zu Recht urteilten – ein ungeschminkter Ausdruck von Staatsterrorismus. In diesem Zusammenhang wies Noam Chomsky in einem 3sat-Interview im Jahre 2013 darauf hin, dass während der Amtszeit von Präsident Barack Obama jeden Dienstagmorgen, am sogenannten „Terror-Dienstag“, durch einen kleinen, erlesenen Kreis von Politikern und Militärs im Weißen Haus darüber befunden wurde, welche Opfer es als nächste „auszuschalten“ galt.
5. Erstes Kriegsziel nach 9/11: Afghanistan –
Binnenland, Durchgangslager, „Friedhof der Großmächte“
Eine konzise Kurzvorstellung dieses Landes liefert das Landesinformationsportal Afghanistan der Akademie für Internationale Zusammenarbeit (AIZ/Bonn-Röttgen – Stand: Dezember 2020), in dem es heißt: „Afghanistan kann als der Prototyp eines Durchgangslandes gelten. Seit frühgeschichtlicher Zeit kreuzen sich hier wie in kaum einem anderen Land der Erde die Wege der Völkerwanderungen, Eroberer, Händler und Missionare der unterschiedlichsten Religionen. Dabei war das Gebiet des heutigen Afghanistan die meiste Zeit zwischen zwei oder mehreren Herrschaftsbereichen umkämpft (z.B. zwischen den Gräko-Baktrern und dem indischen Maurya-Reich im 3. Jh. v. Chr. oder zwischen dem frühislamischen Kalifat der Omayyaden und den Gök-Türken im 8. Jh. n. Chr.) oder auch ganz Bestandteil eines größeren Reiches, dessen politischer und kultureller Schwerpunkt aber außerhalb Afghanistans lag (z.B. im altpersischen Achämenidenreich oder im mongolischen Weltreich unter Dschingis Khan und dessen Nachfolgern). Nur selten stellte Afghanistan selbst das Kernland einer Großmacht dar, vom neuzeitlichen afghanischen Königreich unter Ahmad Schah Durrani abgesehen am ehesten noch zur Zeit der Ghaznaviden (10./11. Jh. n. Chr.) und der Kuschan (ca. 50-250 n. Chr.).
Im Wesentlichen waren es zwei Faktoren, die die Geschichte Afghanistans bis in die jüngere Vergangenheit bestimmten: zum einen seine geographisch bedingte Rolle als Vermittler auf der Seidenstraße, dem West-Ost-Fernhandelsweg zwischen den Mittelmeerländern und China, zum anderen seine Lage an der südlichen Peripherie Zentralasiens, wo es mit seinen Wüsten und Gebirgen ein Hindernis für Eroberer mit Blick auf die Reichtümer Indiens darstellte. Letzterer Aspekt führte dazu, dass über 2000 Jahre hinweg Einfälle von iranischen, türkischen oder mongolischen Nomadenvölkern aus den zentralasiatischen Steppen eine ständige Bedrohung für die auf afghanischem Boden entstandenen Staatsgebilde darstellten.
Dies änderte sich erst mit Beginn der Neuzeit, als das Reiternomadentum auch in Zentralasien selbst zusehends gegenüber sesshafter Staatlichkeit unterlag und seine welthistorische Bedeutung einbüßte. Andererseits führte die (Wieder-)Entdeckung des Seeweges um Afrika herum nach Indien und bald darauf der Neuen Welt durch die Europäer zu einer rapiden Abnahme des Überlandhandels mit Indien und China auf den alten Karawanenrouten. Die Folge war eine zunehmende Verarmung der Region – als es den Paschtunen unter Ahmad Schah Durrani 1747 gelang, erstmals ein unabhängiges afghanisches Königreich zu etablieren, war der wirtschaftliche und kulturelle Niedergang längst in vollem Gange. Im 19. und 20. Jahrhundert führte dann der weltpolitische Dualismus zwischen dem britischen Empire und Russland, deren Machtsphären in Zentralasien und dem Mittleren Osten aufeinanderstießen, zu langen Perioden politischer Instabilität und wirtschaftlich-kultureller Isolation in Afghanistan. Das ‚Great Game‘ um Afghanistan setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Rivalität zwischen den USA und der Sowjetunion fort und führte zur fortschreitenden Destabilisierung Afghanistans, die nach dem Sturz König Zahir Schahs im Jahr 1973 schließlich in eine Folge von Kriegen und Bürgerkriegen mündete.“8
Das Ineinandergreifen höchst komplexer und komplizierter Konstellationen und Probleme – u.a. Stadt-Land-Gefälle; Zentrum-Peripherie-Beziehungen sowie Beziehungen zwischen regionalen Zentren und regionalen Peripherien; Vielfalt ethnolinguistischer Stammes- und Clanstrukturen; Ressourcenkonflikte unterschiedlicher und häufig wechselnder Antagonisten – hat selbst in friedlichen Zeiten jedem (zivilen) ausländischen Betrachter viel Einfühlungsvermögen abverlangt, ein grundlegendes Verständnis der politischen, kulturellen und sozioökonomischen Gegebenheiten und Prozesse des Landes zu entwickeln. Für all jene, die sich dort militärisch engagierten, um sich als Eroberer, Besatzer oder Kolonialmacht zu etablieren oder im Namen „humanitärer Interventionen“ die Flagge zu hissen, wurde das Land am Hindukusch zum „Friedhof“. Aus entsprechenden geschichtlichen Erfahrungen – ob das nun Britannien, das zaristische Russland oder später auch die Truppen der sowjetischen Roten Armee unter Generalleutnant Boris W. Gromow betraf – hätte man lernen können. So man es denn gewollt hätte.
Unerhört & ungehört – frühe kritische Stimmen aus Wissenschaft und Entwicklungspolitik
„Die wesentliche Ursache für die starke lokale Verortung von Macht und Gewalt in Afghanistan liegt darin begründet, dass eine staatliche Durchdringung Afghanistans niemals stattfand, ein staatliches Gewaltmonopol fehlt und der Staat im besten Falle eine Ressource für lokale Eliten darstellt“ konstatierte der Friedens- und Konfliktforscher mit dem Regionalschwerpunkt Asien, Conrad Schetter. Gerade die Unterstellung, im Falle Afghanistans handele es sich um einen einheitlichen Zentralstaat, erwies sich als fatal und bot als falsche Prämisse zwangsläufig den Nährboden ebenso falscher Einschätzungen und Strategien. Schetter fährt fort: „Die afghanische Gesellschaft ist durch eine Reihe sich überlappender Solidaritätsbezüge geprägt: Dorfgemeinschaften, Clans, Stämme sowie religiös oder ethnisch definierte Gemeinschaften bilden die wichtigsten Identitäts- und Handlungsreferenzen. Diese vielgestaltigen, partikularistischen Gemeinschaftsorganisationen standen Staatsbildungsprozessen auf überlokaler Ebene stets entgegen. (…) Die Entwicklung des afghanischen Staats ist von Beginn an durch seine extreme Schwäche geprägt – vor allem, da ihm die wirtschaftlichen Ressourcen für einen selbst tragenden, etwa durch Steueraufkommen finanzierten Staatsbildungsprozess fehlten. Im Zuge des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Afghanistan zu einem Rentierstaat, der finanziell von anderen Staaten (v. a. USA, Sowjetunion) abhängig war. Seit den 1950er Jahren stammten über 40 Prozent der Staatseinnahmen von auswärts, namentlich aus der Entwicklungshilfe. Die staatliche Politik bestand darin, die Beziehungen zwischen den verschiedenen lokalen Führern und der bürokratischen Elite Kabuls in ein Gleichgewicht zu bringen; Zuwendungen wurden klientelistisch verteilt und die Lokalpotentaten in ein System von Pfründen und Posten eingebunden.“
„Gleichzeitig stellte die Kluft zwischen Kabul und dem übrigen Land ein konstantes Spannungsfeld dar, das sich bis heute auf das politische Geschehen auswirkt. Dem Staat, der im urbanen Raum verankert war und der für eine politische Modernisierung eintrat, stand der ländliche Raum gegenüber, dessen traditionell segmentär organisierte Gesellschaft den von der Regierung ausgehenden Impulsen misstraute. (…) Die Machtergreifung der kommunistischen Demokratischen Volkspartei Afghanistan im April 1978 führte zu einem offenen Bruch zwischen Staat und ländlicher Bevölkerung. Der Versuch der zahlenmäßig schwachen, überwiegend städtischen Parteimitglieder, dem System tribaler und lokaler Autonomien ein Ende zu bereiten und durch radikal umgesetzte Reformen im Eilverfahren einen modernen Staat zu kreieren, rief im ganzen Land Aufstände der lokalen Eliten hervor. Mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen im Dezember 1979 verschärfte sich dieser Konflikt weiter und beschränkte den Handlungsradius der Regierung auf Kabul und einige Provinzstädte. Eines der wesentlichen Ergebnisse der seit 1979 tobenden Kriege in Afghanistan ist, dass die embryonalen staatlichen Strukturen, die während des 20. Jahrhunderts zumindest in den Städten aufgebaut worden waren, auf allen Ebenen zerfielen.“9
Der Soziologe und Ethnologe Christian Sigrist, der intensive Feldforschungen in Afghanistan durchführte und im deutschsprachigen Raum einer der besten Landeskenner war, schrieb im Herbst 2009: „Nach dem 11. September 2001 verschärften sich die Ultimaten. Nach der Verkündigung der Operation Enduring Freedom als Krieg gegen den Terrorismus erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder eilfertig seine ‚uneingeschränkte Solidarität‘. Die Formulierung erinnert peinlich an entsprechende Bekenntnisse kommunistischer Satellitenregierungen an die Adresse Moskaus. Schröder setzte damit seine Unterordnung unter die US-Balkanstrategie aus dem Jahr 1999 fort. Auch mit seiner Unterstützung hat die NATO am 2. Oktober 2001 erstmalig in ihrer Geschichte den Verteidigungsfall erklärt. Die US-Luftwaffe begann daraufhin mit britischer Unterstützung Luftangriffe auf afghanisches Territorium, obwohl bei den Angriffen vom 11. September kein einziger Afghane beteiligt war, da sich Bin Laden nur auf arabische Mitglieder von Al-Qaida verließ. Die Luftschläge ermöglichten den Truppen der Nordallianz eine von Massakern begleitete Offensive und, gegen die Absprache mit den USA, die Einnahme von Kabul. Der ehrgeizige Außenminister Joschka Fischer organisierte nach der anscheinenden Vernichtung des Talibanregimes eine Berliner Vorkonferenz, der die Konferenz auf dem Petersberg (27.11. bis 5.12. 2001) folgte. Unter den Auspizien der Vereinten Nationen wurden von den USA die Nordallianz als wichtigste politische Kraft und in der Interimsregierung der Alibi-Pashtune Hamid Karzai als Interimspräsident durchgesetzt. Zum Schutz dieser Institutionen sowie der geplanten loya jirga wurde vom Sicherheitsrat am 20.12.2001 die Errichtung der International Security Assistance Force (ISAF) beschlossen. Ein Vorauskommando der Bundeswehr wurde im gleichen Monat nach Afghanistan geschickt, u.a. auch das KSK (Kommando Spezial Kräfte). Die ISAF hatte zunächst die Aufgabe, Kabul und Umgebung sowie die UN-Einrichtungen und die humanitäre Arbeit von NGOs zu sichern.“
Und Sigrist fuhr fort: „Das krasse Versagen der deutschen Einsatzführung bei der von ihr veranlassten Bombardierung von zwei Tanklastzügen in der Nacht zum 4. September 2009 bei Kunduz, bei der etwa 125 Tote, davon mindestens zwei Dutzend ‚Zivilisten‘ zu beklagen sind, erzwingt eine Revision der bisherigen auf Selbstschutz und technische Hilfe konzentrierten deutschen Strategie. Das Hinausschieben der Exit-Diskussion ist nicht länger vertretbar. Als Erstes müssten jetzt nach einer umfassenden Aufklärung des Bombardements von Taliban wie auch von arglosen Einheimischen Verhandlungen mit den betroffenen Familienverbänden über Wiedergutmachung und Versöhnung geführt werden. Das kann aber nur ein Anfang sein.
Zunächst muss die Illusion aufgegeben werden, die NATO könne den Afghanen durch den Aufbau einer Armee von 250.000 Mann und einer starken Polizei die Verantwortung für die Sicherheit des Landes übergeben. Die mittelfristig einzige realistische Möglichkeit besteht in der Übertragung von Sicherheitsaufgaben auf regionale Ordnungskräfte (Stammes- und städtische Milizen). (…)
Am 4.12.2002 behauptete Verteidigungsminister Struck in bodenloser Unkenntnis der regionalen Verhältnisse: ‚Die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt.‘ Dieser Satz ist so wahr wie Willy Brandts Diktum: ‚Die Freiheit Westberlins wird in Saigon verteidigt.‘ Durch den subalternen Einsatz der Bundeswehr ist das Gegenteil von Strucks Behauptung eingetreten. Jetzt mehren sich die Anzeichen für eine wachsende Bedrohung deutscher Ziele durch Islamisten.
Was aber schwerer wiegt, ist, dass die deutsche Politik die Chance vertan hat, durch militärische Abstinenz als Vermittler im Afghanistankonflikt wirken zu können. An diesem Versagen tragen die grünen Bellizisten eine erhebliche Mitschuld, auch wenn sie sich angesichts des jetzigen Desasters als Vertreter eines besonnenen Exits ausgeben.“10
6. Deutschlands Kriegsteilnahme oder: „An diesem Versagen tragen die grünen Bellizisten eine erhebliche Mitschuld“
In einem späteren Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa erklärte Sigrist auf die Frage, ob eine von Deutschen ausgebildete afghanische Polizei Recht und Ordnung bringen kann: „Nein. Deutsche Polizeiausbilder haben es schon in den 1960er Jahren nicht geschafft, eine für zivile Konfliktlösung geeignete Polizei auf die Beine zu stellen. Die Folge war: 1965 wurde eine studentische Demonstration in Kabul, anstatt von der Polizei geregelt, vom Militär blutig niedergeschlagen. Bessere Aufbauhilfe wäre es, wenn Deutschland jungen Afghanen durch Stipendien ein Studium hierzulande ermöglichen würde.“
In demselben Interview skizzierte Sigrist auch seine Vorstellung einer regionalen Stabilisierung: „Ein zentralistischer Nationalstaat, wie ihn (der afghanische Präsident Hamid) Karzai, die USA und auch Deutschland für Afghanistan durchfechten wollen, ist mit den Paschtunen nicht zu machen, allenfalls ein multi-ethnischer Föderalstaat. Eine Stabilisierung in der Region ist nur möglich, wenn Afghanistan und Pakistan eine föderale Allianz eingehen (…) und die ISAF (die Internationale Schutztruppe in Afghanistan) geordnet den Rückzug antritt.“11 [5]
Über die vielfältigen virulenten und sich stetig verschlechternden Probleme im Lande äußerte sich beispielsweise der Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. (VENRO) stellvertretend für zahlreiche in Afghanistan tätige in- wie ausländische Nichtregierungsorganisationen bereits sehr früh. In einem am 2. Oktober 2007 veröffentlichten und in Bonn vorgestellten VENRO-Positionspapier hieß es u.a.:
„Eines der schwerwiegenden Probleme für die Arbeit der NRO resultiert aus dem Konzept der zivil-militärischen Zusammenarbeit, das von der Bundesregierung und anderen Regierungen, die im Rahmen von ISAF und OEF engagiert sind, aktiv verfolgt wird. Die Bundesregierung betrachtet das Modell der ‚zivil-militärisch vernetzten Sicherheit‘ und die regionalen zivil-militärischen Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Teams/PRTs) als ‚Erfolgsmodell‘ (…) Aus Sicht der NRO ist nicht nur die Tatsache problematisch, dass die staatliche Entwicklungszusammenarbeit zusehends in eine engmaschige Kooperation mit der Bundeswehr eintritt, z.B. im Rahmen der sogenannten ‚Provincial Development Funds‘, und dabei ihre Eigenständigkeit zu verlieren droht, sondern auch, dass das Militär, um die ‚Herzen und Köpfe‘ der Menschen zu gewinnen, immer mehr Aufgaben im Bereich Wiederaufbau und humanitärer Hilfe wahrnimmt. Aus der zivil-militärischen Vermischung ergeben sich für NRO, die sich um Neutralität bemühen, seit geraumer Zeit immer größere Gefährdungen. Einige NRO haben in den letzten Jahren ihre Hilfe in Afghanistan unter anderem mit dem Hinweis eingestellt, dass aufgrund der Instrumentalisierung des humanitären Mandats durch das Militär eine unabhängige Hilfe nicht mehr leistbar ist. (…)
In der afghanischen Bevölkerung wird der Kampf gegen den Terror, der von US-Streitkräften und ihrer Verbündeter unter dem Begriff ‚Operation Enduring Freedom‘ geführt wird, aufgrund der hohen zivilen Opferzahlen massiv abgelehnt. Auch bei den Einsätzen der NATO-geführten ISAF-Truppen, die sich immer mehr mit den Aktivitäten von OEF vermischen, werden in jüngster Zeit zunehmend Tote unter der Zivilbevölkerung als „Kollateralschäden“ [sic! – RW] und damit eine Verletzung des humanitären Völkerrechts in Kauf genommen. Der dadurch erlittene Vertrauensverlust bei der afghanischen Bevölkerung wiegt schwer.“
Zu diesem Themenkomplex merkte Peter Becker auf diesen Seiten kürzlich an: „Die Politisierung der humanitären Hilfe erodiere die eigenen Schutzmechanismen der Hilfsorganisationen. Vor allem weise das deutsche PRT den weitaus höchsten militärischen Anteil auf, obgleich es als einziges PRT unter ziviler Beteiligung geführt werde und sich am stärksten auf Aufgaben im zivilen Bereich konzentriere. Ein spezielles Problem liege darin, dass im Einsatzgebiet der Deutschen die größten Mohnanbau-Gebiete Afghanistans lägen. Die deutsche Haltung dazu sei, dass die Bundeswehr Kundus sichern, die Warlords und deren Drogenhandel aber in Ruhe lassen solle.“12
„Gewaltmärkte“ sowie stets wechselnde Allianzen und Korruption in einem Rentierstaat & gescheiterte „Counterinsurgency“
Bernt Glatzer, ebenfalls Ethnologe und intimer Landeskenner Afghanistans, der wie Sigrist ausgedehnte Feldforschungen in dem Land durchführte, wies anlässlich einer Tagung in Berlin im Frühjahr 2006 auf weitere Kurzsichtigkeiten und Defizite im ausländischen Afghanistan-„Engagement“ hin: „Die internationale Zusammenarbeit in Afghanistan findet unter dem Paradigma des ‚Freien Marktes‘ statt. Dem liegt der Glaube an die Allmacht des Marktes zugrunde, der alles regle, auch wenn ein Staat kaum existiert. Mit diesem Konzept rannte man in Afghanistan offene Türen ein: Die afghanische Wirtschaft ist schon seit Jahrhunderten marktorientiert. In Bezug auf den Drogenhandel ist Afghanistan sogar als ein Meister der globalisierten freien Marktwirtschaft anzusehen. Die Betätigungsfelder der Kriegsfürsten und Milizenkommandanten sind regelrechte ‚Gewaltmärkte‘. Ihre Aktionen und Strategien können denn auch am besten marktwirtschaftlich analysiert werden. Allerdings ist die freie Marktwirtschaft in Afghanistan durch eine sehr ungleiche Entwicklung gekennzeichnet – sowohl regional als auch sozial. Das erzeugt Gewinner und Verlierer, wobei Letztgenannte das gesamte System in Frage stellen.“
Über die entsprechend verheerenden Auswirkungen einer solchen Politik – auch und gerade mit Blick auf demokratisch legitimierte Akteure und demokratische Prozesse beziehungsweise deren Initiierung – merkte Glatzer an: „Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt das Modernisierungskonzept ab, weil sie zum einen darin nicht vorkommt und es zum anderen nicht versteht. So wird es nur von den afghanischen Eliten mitgetragen. Ein weiteres Ziel der Modernisierung ist die Etablierung demokratisch legitimierter Institutionen, die die Entwicklung selbst in die Hand nehmen. Die sichtbare Präsenz ausländischer Modernisierer untergräbt dieses Vorhaben. So werden eher sie mit Aktivitäten in Verbindung gebracht als der afghanische Staat. Seine Handlungsmöglichkeiten werden somit überhaupt nicht wahrgenommen. Zudem entsteht bei der Bevölkerung der Eindruck eines ‚modernen‘ Kolonialismus. ‚Die Kuh, die ihre eigene Milch säuft‘ ist noch ein recht freundliches Bild, mit der die Akteure der internationalen Zusammenarbeit betitelt werden.
Bedenklicher dabei ist die Tendenz zu einem Rentierstaat. Das ist ein Staat, der von externer Finanzierung lebt. Er braucht zur Erwirtschaftung der von ihm benötigten Ressourcen seine eigene Bevölkerung nicht. Die Erfahrung zeigt, dass Rentierstaaten nur selten das Potenzial besitzen, auf eigene Füße zu kommen. Diese Entwicklung ist umso gefährlicher, da davon auszugehen ist, dass sich die internationale Gemeinschaft früher oder später aus Afghanistan zurückziehen wird. Was geschieht dann? In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Kontrolle. Gemäß dem allgemeinen Grundsatz ‚wer zahlt kontrolliert‘ wird das Parlament zu hübschem Dekor. Die Kontrolle obliegt jedoch den Gebern. Dies hat wiederum negative Auswirkungen auf den Demokratisierungsprozess.“13
Und wo weder eine genuine Partizipation derjenigen garantiert ist, in deren Namen vermeintlich „Entwicklungsvorhaben“ begründet werden, noch demokratisch legitimierte Führungspersönlichkeiten in Erscheinung treten, ist jedwedes Unterfangen von Besatzern, „die Hirne und Herzen der Bevölkerung zu gewinnen“, nolens volens zum Scheitern verurteilt. Dazu merkte 2009 der Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Jochen Hippler an: „Afghanistan ist heute die Nagelprobe für die Fähigkeit der Allianz – und der Streitkräfte ihrer wichtigsten Mitgliedsländer –, sich an die Bedingungen der neuen Einsatzformen zivilmilitärischer Interventionen konzeptionell anzupassen. Eine zweite Herausforderung westlicher Friedens- und Sicherheitspolitik besteht gegenwärtig darin zu lernen, dass Zurückhaltung und Selbstbeschränkung bei militärischen Einsätzen häufig klüger sind, als mit geringer konzeptioneller Klarheit ihre militärische Übermacht dort zum Tragen bringen zu wollen, wo Gewaltkonflikte vor allem politische, ökonomische und gesellschaftliche Reformen erfordern.“14
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an einen „Eliteoffizier“ par excellence. So jedenfalls wähnte sich eine Zeitlang Mr. David Howell Petraeus. Ein Mann, der vor allem während der achtjährigen Amtszeit von US-Präsident George W. Bush (Januar 2001 bis Januar 2009) eine glanzvolle Karriere hinlegte – vom gefeierten „Counterinsurgency“-Strategen im Irak, über den Posten des ISAF-Kommandeurs in Afghanistan bis hin zum Direktor der CIA von 2011 bis 2012. In beiden genannten Ländern ist der Name Petraeus bis heute untrennbar verbunden mit der Ausweitung von Bombenangriffen der US-Luftwaffe, die jeweils einen hohen Blutzoll unter der Zivilbevölkerung forderten.
Exgeneral David H. Petraeus wurde bis 2012 vor allem von den US-amerikanischen Leitmedien als Darling unter den Militärs über den grünen Klee gelobt. Bis er wegen einer Affäre mit Paula Broadwell, einer früheren Reserveoffizierin und Biographin des Generals, strauchelte. Petraeus hatte der Dame darüber hinaus Zugang zu vertraulichen Akten und E-Mails verschafft, was ihm nach einem Schuldeingeständnis im April 2015 eine Geldstrafe von 100.000 Dollar und eine zweijährige Haftstrafe auf Bewährung einbrachte. Peanuts für den einstigen Viersternegeneral, der ohnehin seit Mai 2013 in der milliardenschweren Investmentfirma Kohlberg, Kravis Roberts & Co. den dort für ihn maßgeschneiderten Job eines Vorsitzenden des KKR Global Institute innehat. Seine „Expertise“ diente der General auch noch Bushs Nachfolger, Präsident Barack Obama, an, dem er allen Ernstes empfahl, in Syrien mit Unterstützung Al-Qaidas gegen den IS vorzugehen.15
Wer mit jedem Flugzeug- oder Drohnen-Einsatz wissentlich und willentlich weitere „Kollateralschäden“ in Kauf nimmt und in nächtlichen Militäroperationen wie Räuber und Diebe wahllos in Privatquartiere eindringt – zudem mit Hilfe eigens rekrutierter und ausgebildeter „nationaler“ Vasallen, die vielfach noch von ihren eigenen korrupten Vorgesetzten um ihren Sold geprellt wurden – muss sich nicht wundern, dass solche Personen von der Bevölkerung im jeweiligen „Operationsgebiet“ als das wahrgenommen werden, was sie schlichtweg sind – Eindringlinge und Besatzer! Wenn sodann als Gegenreaktion eben diese Bevölkerung nurmehr aus dem Fadenkreuz von Gewehren oder schweren Geschützen wahrgenommen wird, ist spätestens der Zeitpunkt gekommen, wo keinerlei Unterscheidung mehr zwischen Freund und Feind möglich ist. Eine Situation, die GIs während des Vietnamkrieges am häufigsten beklagt hatten.
„ … dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist“ oder Der Fall Köhler
Der damalige Bundespräsident Horst Köhler hatte 2010 auf der Rückreise aus Shanghai einen Zwischenstopp in Camp Marmal16 eingelegt, dem Feldlager der Bundeswehr im afghanischen Mazar-i-Sharif. Es war eine Zeit, da nach dem verheerenden „Kunduz-Zwischenfall“17 stationierte deutsche Soldaten im Lande immer häufiger in Gefechte verwickelt waren, und es galt, an der „Heimatfront“ für notwendigen Rückhalt zu sorgen. Köhler vor der Truppe in Camp Marmal: „Ich verspreche Ihnen, ich werde alles tun, was ich kann, damit in Deutschland gewürdigt wird, was Sie in Afghanistan leisten.“
In einem Interview mit dem Bundespräsidenten, das Deutschlandradio Kultur am 22. Mai 2010 um kurz vor acht Uhr ausstrahlte, äußerte sich Köhler nochmals zum Zweck seiner Kurzvisite am Hindukusch, um sodann, neben „Respekt und Anerkennung“ für die dort dienenden Bundeswehrsoldaten einzufordern, zu erklären: „Aus meiner Einschätzung ist es wirklich so: Wir kämpfen dort auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort im Bündnis mit Alliierten auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen. Alles das heißt, wir haben Verantwortung. Ich finde es in Ordnung, wenn in Deutschland darüber immer wieder auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird. Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.“
Der Bundespräsident befand sich wegen seiner letzten Sentenzen offensichtlich auf dem Holzweg. Bereits wenige Tage später, am 31. Mai 2010, trat er vor die Presse: „Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten – mit sofortiger Wirkung.“ Das „Ungeheuerliche“ bestand darin, dass Köhler öffentlich ausgesprochen hatte, was tunlichst unter der politischen Bettdecke hätte bleiben sollen – dass nämlich die BRD auch und gerade im Ausland knallharte – zuvörderst wirtschaftliche – Interessen verfolgt. Bereits in den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ vom 26. November 1992 sowie im Bundeswehr-„Weißbuch“ von 2006 war nachzulesen, dass sich die künftige Verteidigungspolitik „von vitalen Sicherheitsinteressen leiten“ lässt, was die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ betrifft. Die „Sicherheitspolitik Deutschlands“ werde von „dem Ziel geleitet, die Interessen unseres Landes zu wahren“. Dazu gehöre, „den freien und ungehinderten Welthandel als Grundlage unseres Wohlstands zu fördern“. Deutschland habe „ein elementares Interesse“ an „einem offenen Welthandelssystem und freien Transportwegen“.
Déjà-vu oder einst „Tor zum Osten“, heute neue Indo-Pazifik-Leitlinien
Vor reichlich 120 Jahren beanspruchten die sich von einer hemisphärischen Macht zum globalen Imperium mausernden Vereinigten Staaten von Amerika gleichzeitig mit der gewaltsamen Inbesitznahme der Philippinen im Zuge des Amerikanisch-Spanischen Krieges ihren Anspruch darauf, das „Tor zum Osten“ weit aufgestoßen und unmittelbar vor der chinesischen Haustür Fuß gefasst zu haben. Mit der erklärten Aussicht auf das Erschließen der „schier unermesslichen Märkte“ Chinas. Wenngleich die revolutionären Erschütterungen und Umwälzungen „im Reich der Mitte“ diese Pläne durchkreuzten, beanspruchte Washington dennoch während seiner Kolonialherrschaft über die Philippinen (1898 bis 1946) und der kurz darauf einsetzenden Ära des Kalten Krieges das Südchinesische Meer quasi als eines seiner „Hoheitsgewässer“. Eine strategisch überaus bedeutsame Schifffahrtsroute, über die seit Jahrhunderten ein beträchtlicher Teil des internationalen Waren- und Güterverkehrs abgewickelt wurde.
Am 2. September 2020 verabschiedete die Bundesregierung die Indo-Pazifik-Leitlinien und legte damit den neuen Rahmen der deutschen Indo-Pazifik-Politik fest. Die Strategie fußt auf der Erkenntnis, dass die Region in den vergangenen Jahren wesentlich an Bedeutung gewonnen hat. Die Stabilität in der Region ist für die deutsche Sicherheit und Wohlstand angesichts der engen Verflechtungen wichtig: „Als offene, global ausgerichtete Volkswirtschaft sind für Deutschland freie Seehandelswege und maritime Sicherheit von vitaler Bedeutung. Über 20 Prozent des deutschen Handelsaustausches findet im indo-pazifischen Raum statt. Das deutsche Handelsvolumen mit der Region hat sich in den letzten 15 Jahren nahezu verdoppelt. Bezogen auf Schiffseigentum und wirtschaftliche Nutzung (‚Beneficial Ownership‘) belegt die deutsche Handelsflotte weltweit Platz 5.“
„Auch vor diesem Hintergrund beabsichtigt die Bundesregierung, ihr sicherheitspolitisches Engagement im indo-pazifischen Raum in der gesamten Bandbreite einschließlich des maritimen Bereichs auszuweiten. Deutschland ist 2020 dem Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit in Südostasien von 1976 (Treaty of Amity and Cooperation in Southeast Asia) beigetreten. Damit hat sich die Bundesregierung zu einer friedlichen Konfliktlösung und dem Dialog in Südostasien verpflichtet.“
„Die Mehrzahl der Staaten des Indo-Pazifiks weist ein hohes Maß an innerer Stabilität auf. Gleichwohl gibt es eine Reihe regionaler sicherheitspolitischer Risiken und Bedrohungen. Dazu gehören u. a. das nordkoreanische Nuklearwaffen- und Raketenprogramm, ungelöste Territorialfragen sowohl zu Land als auch zu See, Konflikte um natürliche Ressourcen und die sich verschärfenden Gegensätze zwischen China und den USA.“
„Die Konflikte spiegeln sich in steigenden Verteidigungsausgaben in der Region wider – von 2010 bis 2019 um über 50 Prozent, allein im Fall Chinas um 85 Prozent.“18
Im Laufe des vergangenen Jahres wurde deshalb die Zusammenarbeit mit der Region in verschiedenen Bereichen vorangetrieben. Zudem setzte sich Deutschland aktiv dafür ein, dass auch auf europäischer Ebene die Indo-Pazifik-Politik in den Fokus rückt, u.a. durch die Formulierung einer eigenen Indo-Pazifik-Strategie. Mit Australien und Japan fanden zudem sicherheits- und außenpolitische Konsultationen statt. Als „aktiven Beitrag zur Stärkung der internationalen Ordnung“ befindet sich aktuell die Fregatte „Bayern“ in australischen Gewässern, um von da aus Japan anzusteuern.19
7. Schluss: „Vestigia terrent“ („Die Spuren schrecken ab”) oder:
Was nun?
Welche (zumindest vorläufigen) Schlussfolgerungen sind aus alledem zu ziehen?
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Nach dem großen Aufschrei in der zweiten Augusthälfte über die Rückkehr der Taliban, dem sich ganz im Sinne eifernder Wendehälse plötzlich auch jene Mainstream-Medien anschlossen, die jahrelang steißtrommelnd für den Krieg am Hindukusch plädiert hatten, ist zumindest ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss einzusetzen, der gegenüber der Öffentlichkeit klipp und klar erklärt, welches Ursachenbündel für das Afghanistan-Debakel und den Tod der 59 Bundeswehrsoldaten verantwortlich war. Ob ein solcher Ausschuss zeitnah seine Arbeit beginnen kann, ist allerdings fraglich. Da dürften sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien – mit Ausnahme der LINKEN – füglich Gründe haben, dessen Aufarbeitung hinauszuzögern, zu erschweren oder ein (End-)Ergebnis zu hintertreiben.
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Angesichts des Mitte Oktober vor dem Berliner Reichstagsgebäude inszenierten Großen Zapfenstreichs im Gedenken an den „Afghanistan-Einsatz“ der Bundeswehr und zeitgleich vom Verteidigungsministerium geschalteter Anzeigen mit der Überschrift „Ihr habt Deutschland alle Ehre gemacht“ in mehreren überregionalen Tageszeitungen ist da allerdings größte Skepsis ob einer „Aufarbeitung vergangener Fehler und Versäumnisse“ angebracht.20 Den Tod von 59 Bundeswehrsoldaten während ihres Einsatzes in Afghanistan zu betrauern, gleichzeitig aber über die gewaltige Zahl von zivilen Opfern sowie die angerichteten Verwüstungen und Leiden in Afghanistan zu schweigen, entsprach einem obszönen Schauspiel, das einer post-mortalen Verhöhnung aller Opfer gleichkam.
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Für die bundesdeutsche Friedensbewegung dürfte das Afghanistan-Debakel im Verbund mit fortschrittlichen Kräften der Zivilgesellschaft und Linken eine Steilvorlage bieten, auf künftigen Treffen, Konferenzen, Symposien und von ihr initiierten Kampagnen alternative friedens- und entwicklungspolitische Zielsetzungen lautstark vorzutragen. Dazu zählen beispielsweise die strikte Zurückweisung, künftig zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für militärische Zwecke auszugeben, generell weiterhin gegen Bundeswehreinsätze im Ausland zu opponieren und für die Auflösung der NATO als ebenso anachronistischem wie untauglichem Instrument von Konflikt„lösungen“ einzutreten.
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Ignacio Ramonet, von 1991 bis März 2008 Direktor der in Paris erscheinenden Monatszeitung für internationale Politik Le Monde diplomatique, sprach in diesem Zusammenhang zu Recht von EU-„Vasallen“ an der Seite der kriegführenden USA anstelle von Verbündeten.
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Während der letzten Bundestagswahl ließ ausgerechnet die Partei DIE LINKE eben solche zentralen Interventionspunkte selbst unberücksichtigt – gewiss eine Erklärung für ihr desolates Abschneiden bei diesem Urnengang. Künftig könnte sie, nicht zuletzt um das eigene Profil zu schärfen, mit Blick auf eingeforderte erhöhte „Sicherheitsvorkehrungen“ im internationalen Maßstab strikt auf zivile Sektorhilfen (beispielsweise in den Bereichen Landwirtschaft/Ernährung, (Aus-)Bildung, Gesundheit/Soziales, Kommunikation/Infrastruktur) insistieren und sich dafür stark machen, vergleichbar dem früheren OSZE-Prozess21 ähnliche diplomatisch-politisch erfolgverheißende Methoden regionaler Konfliktdeeskalation auf die Agenda zu setzen. Was seit Jahren u.a. ebenso dringlich wie sinnig der geschätzte Kollege Mohssen Massarrat, emeritierter Sozialwissenschaftler und Konfliktforscher der Universität Osnabrück, befürwortet.
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Es sind ja nicht nur mit Blick auf Afghanistan gargantueske Schäden und Leiden zu beklagen. Weitere Länder wie Irak, Syrien, in gewissem Sinne Iran sowie Libyen und zuletzt Jemen bilden die Kette eines herbeigebombten Unheils, die im Zuge des „Krieges gegen den Terror(ismus)“ im Nahen und Mittleren Osten geschmiedet wurde.22
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Nach Afghanistan tut sich bereits in der von allen Beteiligten nicht eindeutig definierten „Indo-Pazifik-Region“ ein neuer Herd mit reichlich und langfristig wirkendem Konfliktpotenzial auf – Ausdruck eines verschärften innerimperialistischen Ringens um die Vorherrschaft in dieser politisch, wirtschaftlich und militärisch so überaus sensiblen Region. Aus Sicht des „Westens“ steht neben Russophobie ein Eindämmen des Einflusses seitens der VR China im Vordergrund, wo u.a. eine weitere „humanitäre Intervention“ im chinesischen „Wilden Westen“ – im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang – zum „Schutz einer bedrängten Minderheit“ vom Zaun gebrochen werden könnte. Auf Taiwan ist bereits seit gut einem Jahr ein US-amerikanisches Team von Militär„ausbildern“ präsent.23
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Für sogenannte „Whistleblowers“ – trefflicher wäre es, in diesem Zusammenhang von Aufklärern in bestem Wortsinn zu sprechen – wie Julian Assange, Edward Snowden, Daniel Hale und andere böte sich eine breitestmöglich angelegte Kampagne an, um deren Freilassung (beziehungsweise im Falle von Snowden eine volle Rehabilitierung) zu erwirken. Dies müsste unmittelbar mit der Forderung nach Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba einhergehen. Es ist und bleibt ein ebenso skandalöser wie unerträglicher Zustand, dass die o.g. Personen seit Jahren drangsaliert, verfolgt, gar mit Morddrohungen überzogen werden, während einflussreiche Marketender des Todes und Apologeten von Folter und „Verschwindenlassen“ unbehelligt von jedweder Strafjustiz – vielfach in hochdotierten Positionen im MIK – ihr Leben genießen.
Dieser Essay ist drei langjährigen Freunden und warmherzigen Genossen gewidmet, die – leider zu früh verstorben – als Soziologen und Ethnologen u.a. zu den profundesten Kennern Afghanistans und Zentralasiens im deutschsprachigen Raum gehörten: Prof. Dr. Christian Sigrist, Dr. Bernt Glatzer und Dr. Hermann-Josef Wald. Zeit ihres Lebens wandten sie sich gegen eine gewaltsame Intervention in Afghanistan und setzten sich aufgrund ihrer umfangreichen Feldforschungen vor Ort strikt für Zivilität und ein vertieftes solidarisches deutsch-afghanisches Verständnis ein.
Eine umfangreiche Liste mit wichtigen Quellen, Literaturhinweisen und weiterführender Lektüre findet sich hier: http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/211029-R-Werning-NDS_Afghanistan-Teil-2.pdf
1 Die in Opposition zum US-Kolonialismus Mitte 1898 gegründete Anti-Imperialist League of the United States of America hatte etwa 30.000 Mitglieder. Ihre prominentesten Vertreter waren: Jane Addams (Sozialreformerin, Pazifistin, Friedensnobelpreisträgerin 1931), Carl Schurz (Politiker, Senator 1869-1875, US-Innenminister 1877-1881), Mark Twain (1835-1910), William James (Psychologe und Philosoph), Samuel Gompers (Gewerkschaftsführer), Andrew Carnegie (Industrieller). Sie beriefen sich u.a. auf John Quincy Adams (US-Präsident von 1825 bis 1829), der 1821 als Secretary of State (Außenminister) die denkwürdige Erklärung abgegeben hatte: „Überall, wo die Fahne der Freiheit und Unabhängigkeit entrollt wurde, wird Amerikas Herz, ihr Segen und ihre Gebete sein. Aber sie geht nicht ins Ausland auf der Suche nach Ungeheuern, um diese zu vernichten (…) Die Grundmaximen ihrer Politik würden sich unmerklich von der Freiheit zur Gewalt wandeln (…) Sie könnte zur Diktatorin der Welt werden; sie wäre nicht länger mehr die Herrscherin ihres eigenen Geistes.” (eigene Übersetzung: RW) – Näheres siehe: hmongwiki.de/wiki/American_Anti-Imperialist_League
2 Der vollständige Schlachtruf lautete „Remember the Maine, to Hell with Spain!“ – „Erinnert Euch an die Maine, zur Hölle mit Spanien!“ Der sogenannte „Maine-Zwischenfall“ gab den USA jedenfalls den Anlass zum Krieg gegen Spanien. Je nach politischer Ausrichtung gab es seinerzeit in den USA, in Spanien und auf Kuba unterschiedliche Theorien für die Explosionsursache:
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Die Maine sei von den Spaniern torpediert worden, um die Kooperation zwischen der Unabhängigkeitsbewegung und den USA zu stören.
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Die Maine sei von der kubanischen Unabhängigkeitsbewegung torpediert worden, um die USA zu einem Krieg mit Spanien zu provozieren.
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Die Maine sei durch einen Heizkesselbrand, der auf das Munitionsdepot übergriff, explodiert.
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Die Maine sei auf Befehl der US-Regierung gesprengt worden, um einen Vorwand für den Krieg mit Spanien zu haben.
Nach jetzigem Stand der Dinge war ein unentdeckter Schwelbrand in einem der Kohlenbunker, was schließlich zu einer spontanen Selbstentzündung der Kohle führte, für die Katastrophe verantwortlich. Dieser Brand erhitzte den daneben liegenden Munitionsbunker dermaßen stark, dass sich das dort lagernde Schwarzpulver entzündete und die dort ebenfalls deponierten Granaten zur Explosion brachte. – Näheres siehe: de.wikipedia.org/wiki/USS_Maine_(ACR-1)
3 US-Senator Albert J. Beveridge on American Imperialism: wwnorton.com/college/history/ralph/workbook/ralprs30.htm
4 Das Krag-Jørgensen war das zu der Zeit modernste Mehrladegewehr, das hauptsächlich in Norwegen, Dänemark und in den USA genutzt wurde – Näheres siehe: de.wikipedia.org/wiki/Krag-J%C3%B8rgensen
5 Offensichtlich wussten die späteren NATO-Strategen um die Durchschlagskraft Pershings; Ende der 1970er Jahre diente der General als Namensgeber jener Raketen, die, zusammen mit Cruise Missiles, zur sogenannten „Nachrüstung“ in Westeuropa disloziert wurden, um einer angeblichen Bedrohung seitens der Sowjetunion zu widerstehen. Während des Ersten Weltkriegs war Pershing Oberkommandierender des sogenannten US-Expeditionskorps in Europa.
6 Auf der Konferenz von Algeciras 1906 ging es u.a. um die Wahrung kolonialer Besitzansprüche seitens Frankreichs und Spaniens und das Vereiteln deutscher Interessen in Nordwestafrika – Näheres siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Algeciras-Konferenz
7 „Die USA haben Afghanistan nicht aus Gier angegriffen“ – Der Imperialismus-Forscher Atul Kohli, Professor an der Princeton University, im Gespräch mit der WOZ, in: Die Wochenzeitung (Zürich) Nr. 35/2021 vom 2. September 2021
8 Leider ist diese Website seit Anfang 2021 für die Öffentlichkeit gesperrt und nur noch mit einem Passwort zugänglich.
9 Conrad Schetter * bpb.de/internationales/asien/afghanistan/48622/machtstrukturen
10 Christian Sigrist * ley.de/?article=GESCHICHTE_AFGHANISTANS-das_scheitern_der_deutschen_einsatzarmee
11 Christian Sigrist * focus.de/politik/ausland/forscher-kein-friede-in-afghanistan-ohne-paschtunen-konflikte_id_1936084.html
12 Peter Becker: Die gescheiterte Afghanistan-Mission und die Folgerungen für die Parlamentsbeteiligung – 13. Okt. 2021 * nachdenkseiten.de/?p=76917
13 Bernt Glatzer: Entwicklungspolitische Diskussionstage 2006. Afghanistan: Entwicklungszusammenarbeit unter Extrembedingungen – Ansprüche, Konzepte und Realität. Dokumentation der Veranstaltung vom 5. April 2006 in Berlin * sle-berlin.de/files/sle/EPDT/2006/EPDT2006_Afghanistan.pdf [hier: S. 5f.]
14 Jochen Hippler * sicherheit-und-frieden.nomos.de/fileadmin/suf/doc/SuF_09_01.pdf [hier: S. 23]
15 An Anlehnung an das vom US-amerikanischen Soziologen Charles Wright Mills verfasste und im Jahre 1956 veröffentlichte Buch „The Power Elite“ (deutsch: „Die amerikanische Elite: Gesellschaft und Macht in den Vereinigten Staaten“), in dem dieser den Aufstieg des Militärs beziehungsweise die Errichtung eines „military establishment“ nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschrieb, prägte US-Präsident Dwight D. Eisenhower zu Beginn der 1960er Jahre den Begriff des „militärisch-industriellen Komplexes“ (MIK). Dieser MIK, dessen Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Wissenschaft seitdem immer dominanter wurde, ist sechs Jahrzehnte später längst um spezialisierte Unternehmen aus den Bereichen IT, Überwachung/Nachrichtendienste, Logistik und „Sicherheitsverwahrung“ (geheime Folterzentren und Gefängnisse in Regie staatlicher Subunternehmer) signifikant erweitert worden.
16 Camp Marmal – Wikipedia * e.wikipedia.org/wiki/Camp_Marmal
17 Näheres dazu siehe in: Luftangriff bei Kundus – Wikipedia * e.wikipedia.org/wiki/Luftangriff_bei_Kundus / Georg Klein (General) – Wikipedia * e.wikipedia.org/wiki/Georg_Klein_(General) / Außenpolitik: Helmut Schmidt kritisiert Afghanistan-Einsatz | ZEIT ONLINE * zeit.de/politik/deutschland/2009-09/schmidt-afghanistan?utm_referrer=https%3A%2F%2Fde.wikipedia.org%2F / Rechtsprechung: 3 BJs 6/10 – dejure.org * ejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=3%20BJs%206/10 / 2010.02.01. Spiegel II.pdf – Dokument 159.pdf * server.bundestag.de/btd/17/CD07400/Dokumente/Dokument%20159.pdf / Kunduz-Bombardement: Ein deutsches Verbrechen – DER SPIEGEL * spiegel.de/spiegel/kunduz-bombardement-ein-deutsches-verbrechen-a-1115445.html / WP4_2011_final091211.DOC – wp4_2011_final.pdf * uni-bremen.de/fileadmin/user_upload/fachbereiche/fb6/fb6/Forschung/ZERP/PDF/Arbeitspapiere/wp4_2011_final.pdf & Kritik von BGH-Richtern: Muss der Fall Kundus neu bewertet werden? | tagesschau.de *https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-luftangriff-kundus-101.html – Als einer der Ersten hatte der Dipl.-Math. Wolf Göhring aus Bonn bereits am 5. September 2009 bei der Staatsanwaltschaft Bonn eine Strafanzeige wegen Mordes und Beihilfe zu Mord gegen Oberst Klein et al. eingereicht.
18 Siehe ausführlich in: Leitlinien zum Indo-Pazifik – 200901-indo-pazifik-leitlinien–1–data.pdf * auswaertiges-amt.de/blob/2380500/33f978a9d4f511942c241eb4602086c1/200901-indo-pazifik-leitlinien–1–data.pdf [Stand: August 2020 – hier: S. 35] – Siehe dazu ferner: Indo-Pacific Deterrence and the Quad in 2030 > Air University (AU) > Journal of Indo-Pacific Affairs Article Display * airuniversity.af.edu/JIPA/Display/Article/2486944/indo-pacific-deterrence-and-the-quad-in-2030/
19 Deutsches Kriegsschiff: Fregatte Bayern ankert in Australien * az.net/aktuell/politik/ausland/deutsches-kriegsschiff-fregatte-bayern-ankert-in-australien-17559102.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 & China begründet Absage an Fregatte Bayern mit mangelndem Vertrauen * faz.net/aktuell/politik/ausland/china-begruendet-absage-an-fregatte-bayern-mit-mangelndem-vertrauen-17541862.html
20 Gedenkakt zum Afghanistan-Einsatz: Dank an die Soldaten – Kritik an den Erwartungen | tagesschau.de * tagesschau.de/inland/bundeswehr-afghanistan-183.html
21 OSZE – Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa | OSCE * osce.org/de
22 Costs of War Project * watson.brown.edu/costsofwar/ & Papers – 2021 – United States Counterterrorism Operations 2018-2020 | Costs of War * watson.brown.edu/costsofwar/papers/2021/USCounterterrorismOperations
23 Secret group of US military trainers has been in Taiwan for at least a year | Taiwan | The Guardian * theguardian.com/world/2021/oct/07/taiwan-us-military-trainers-china & Kendall presents unsparing blueprint for confronting China, other threats > U.S. Air Force * af.mil/News/Article-Display/Article/2781521/kendall-presents-unsparing-blueprint-for-confronting-china-other-threats/ / Do You Want a New Cold War? – Antiwar.com * antiwar.com/david-vine/2021/10/21/do-you-want-a-new-cold-war / Biden’s Ambassador to China Nominee Says Beijing Is the ‘Greatest Threat’ to the US and the ‘Democratic World’ – News From Antiwar.com * antiwar.com/2021/10/20/bidens-ambassador-to-china-nominee-says-beijing-is-the-greatest-threat-to-the-us-and-the-democratic-world