Die unerwartete Revolution

aus Suchanow: Tagebuch der russischen Revolution

Zwischenüberschriften (außer Datumsangaben) und Fußnoten von mir; A.S.

  • Der Beginn

  • Der erste Tag der Revolution

  • Das Dilemma der russischen Bourgeoisie

  • Die Gründung des Sowjets

  • Miljukow und die Doppelherrschaft

  • Ausklammerung der Kriegsfrage

  • Wer hat die Macht?

  • Der Befehl Nr. 1

  • Miljukows Kampf zur Erhaltung des Zarismus

Schlussresumee (A.Schröder)

21-24. Februar/ 6.-9. März

„Schon am 10. Mai 1914 war ein Aufenthaltsverbot für Petersburg über mich verhängt worden. …

Trotz des Aufenthaltsverbots lebte ich bis zum Ausbruch der Revolution die meiste Zeit illegal in der Hauptstadt. Entweder besaß ich einen fremden Pass, wechselte häufig die Schlafstelle oder huschte wie ein Schatten am Pförtner und am Hausmeister vorbei, als »häufiger Besucher« der eigenen Wohnung, in der meine Familie lebte. Ab November 1916 war ich Redaktionsmitglied und praktisch geschäftsführender Redakteur der Letopis (Chronik) und hielt dadurch Maxim Gorkijs Zeitschrift unter dem drohenden Damoklesschwert einer Polizeirazzia.

Doch nicht genug damit: Meine illegale Situation hinderte mich nicht, unter meinem wirklichen Namen als Wirtschaftsfachmann bei einer staatlichen Behörde zu arbeiten, die sich mit der Bewässerung Turkestans befasste. Das waren also meine Situation, mein Rang und meine Würde, als mich die Revolution von 1917 überraschte. …

Dienstag, 21. Februar/6. März.

In dieser Zeit der Agonie des Zarismus konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der russischen — auf jeden Fall der Petersburger — Öffentlichkeit und der politischen Gruppen in der Hauptstadt überwiegend auf die für den 14./27. Februar einberufene Reichsduma. Manche Gruppen, und zwar die mehr rechtsstehenden unter den linksgerichteten (sozialistischen), machten diesen Tag zum Anlass einer Straßendemonstration der Arbeiter, die sie unter den Parolen »Brot!« und »Nieder mit dem Absolutismus!« durchführen wollten. Die weiter linksstehenden Kreise, darunter auch ich, sprachen sich auf den verschiedenen Parteiversammlungen gegen eine Verbindung der Arbeiterbewegung mit der Reichsduma aus. Die bürgerlichen Dumakreise hatten in der Tat genügend Beweise geliefert, dass sie … keine gemeinsame Sache mit dem Proletariat machen konnten. Sie scheuten schon den bloßen Versuch, die Kräfte des Proletariats für den Kampf um ein »konstitutionelles Regime« und den »Krieg bis zum vollen Sieg« zu benutzen.

Diese Furcht war durchaus begründet. Selbstverständlich war es möglich, den »Geist aus der Flasche« zu fördern und herbeizurufen; ihn sich aber dienstbar zu machen – niemals. Der »Progressive Block« der Duma, der die Haltung unserer gesamten Großbourgeoisie verkörperte, hielt es denn auch für den einzig richtigen Weg, die Waffen gegen die proletarische Bewegung zu schärfen. …

Miljukow, der Anführer des »Progressiven Blocks«, hatte früher erklärt, er werde auf seinen »vollen Sieg« und selbst auf die Dardanellen verzichten, ja nicht einmal mehr darauf bestehen, die tapferen Alliierten länger zu unterstützen, wenn dies alles nur um den Preis einer Revolution zu haben sei. Nun veröffentlichte derselbe Miljukow aus Anlass der Gerüchte über die bevorstehende Arbeiterdemonstration seinen denkwürdigen Appell an die Arbeiter, in dem er verkündete, jede ihrer Bewegungen, die sie während der Kriegszeit gegen die Regierung richteten, müsse man als eine von der Ochrana inspirierte Provokation betrachten. Der damalige Oberbefehlshaber von Petersburg, General Chabalow, wiederholte diese erleuchteten Gedanken des Hauptes des russischen Nationalliberalismus in toto in seinem lächerlichen Aufruf, den er zwei Tage vor der Revolution erließ.

Ein anderes Vorkommnis, das damals die Aufmerksamkeit der politischen Gruppen auf sich zog, war die Verhaftung der Mitglieder der sogenannten »Arbeitergruppe beim Zentralen Kriegsindustrie-Komitee«. Diese Gruppe war unter den Arbeitermassen nicht populär. Die überwältigende Mehrheit des klassenbewussten Proletariats der Hauptstadt, aber auch der Provinz, verurteilte die »Vaterlandsverteidigung« entschieden. Sie lehnte eine Zusammenarbeit mit der Plutokratie, wie sie die kleine, von K.A. Gwosdew geführte Gruppe von Sozialdemokraten praktizierte, strikt ab. Diese Zusammenarbeit der Arbeiter mit den Gutschkows und den Rjabuschinskijs1 auf der Ebene der »Organisation der Vaterlandsverteidigung« war ja in Wirklichkeit eine Zusammenarbeit, die Staatsaufträge sichern sollte, und ein Mittel, um das Klassenbewusstsein des Proletariats zu umnebeln. Umso empörender war darum die Verhaftung der »Arbeitergruppe« durch den wackeren Protopopow …

Schließlich gehörte noch die Frage der Übertragung der Versorgungsangelegenheiten der Hauptstadt in die Hände der Stadtduma zum Tagesgespräch der Petersburger Politiker. Es war das neueste Schlagwort der Petersburger Liberalen und der demokratischen Kreise. Die Versorgungspolitik der Regierung und ihre kläglichen Ergebnisse, die Kannegießerei der naiv-heuchlerischen Gruppen der Duma und die verschärfte Verfolgung der Arbeiterorganisationen – das waren also die markantesten Punkte, um die die Gedanken über die »politische Gegenwart« und die bevorstehenden, unvermeidlichen Ereignisse kreisten.

Keine einzige Partei bereitete sich auf den großen Umsturz vor. Alle träumten nur, hatten Vorahnungen, »spürten«. … „

Der Beginn

„In den folgenden Tagen, Mittwoch, den 22., und Donnerstag, den 23. Februar/ 7. und 8. März, zeichnete sich auf den Straßen bereits deutlich eine Bewegung ab, die den Rahmen der üblichen Arbeiterdemonstrationen sprengte. Zugleich offenbarte sich auch die Schwäche der Obrigkeit. Es gelang ganz offensichtlich nicht mehr, die Bewegung durch den Druck des seit Jahrzehnten eingespielten Apparates im Keime zu ersticken. Die Stadt war voller Gerüchte und von einer Vorahnung von »Unruhen« erfüllt. Unruhen dieses Ausmaßes hatten sich unter den Augen der Zeitgenossen bereits einige dutzend Male abgespielt. … Doch es waren »Unruhen«, aber noch keine Revolution. Ein glücklicher Ausgang war nicht in Sicht. Überdies steuerte auch keine der Parteien auf einen solchen Ausgang zu. Alle versuchten nur, die Bewegung für ihre Agitation auszuschlachten.

Am Freitag, dem 24. Februar/ 9. März, breitete sich die Bewegung bereits wie ein mächtiger Strom in Petersburg aus. Dichte Arbeitermassen drängten sich auf dem Newskij Prospekt und auf zahlreichen Plätzen im Zentrum der Stadt. In den Hauptstraßen fanden fliegende Kundgebungen statt, die die berittene Polizei und die Kosaken zwar auseinandertrieben, aber ohne jeden Eifer, lau und mit großer Verspätung. General Chabalow erließ den erwähnten Aufruf, in dem er im Grunde bereits die Ohnmacht der Obrigkeit bescheinigte und darauf hinwies, dass die mehrfachen Warnungen kein Ergebnis gezeitigt hätten. Für die Zukunft drohte er, mit aller Entschiedenheit durchzugreifen. Die Wirkung blieb natürlich aus. Man sah darin nur einen weiteren Beweis der Machtlosigkeit. Die Bewegung war den Behörden offenkundig aus den Händen geglitten. Für jeden aufmerksamen Beobachter lag der Unterschied zwischen der neuen Lage und den früheren Unruhen klar auf der Hand. Darum begann ich bereits am Freitag kategorisch zu behaupten, man habe es mit der Revolution als einem bereits ablaufenden Vorgang zu tun. Allein, man hielt mich für einen Optimisten und winkte ab.“ …

Der Umsturz und die Bourgeoisie

„Es war das Gebot der Stunde, eine radikale politische Umwälzung anzustreben. So viel stand fest. Aber welche Form sollte der Umsturz annehmen, in welcher Richtung sich entwickeln? Wer sollte die Nachfolge der zaristischen Selbstherrschaft antreten?

Und so kam es, dass ich an diesem Freitag, dem 24. Februar/ 9. März, als die Bewegung auf den Straßen von Petersburg ein immer größeres Ausmaß annahm, als die Revolution bereits zur objektiven Tatsache geworden war und lediglich ihr Ausgang noch nicht feststand, auf die ununterbrochen eintreffenden Mitteilungen über die Vorgänge auf den Straßen fast nicht mehr achtete. Meine ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, zu erfahren, was in den sozialistischen Zentren einerseits und den bourgeoisen Kreisen, namentlich den Fraktionen der Duma, andererseits geschah.

Am Freitagabend rief ich eine solche Zentrale an, in der die Stimmungen sowohl der bourgeoisen als auch der führenden demokratischen Gruppen zusammenliefen und die deren Pläne also erhellen konnte. Es war der berühmte Petersburger politische Advokat N.D. Sokolow, der gewöhnlich sogar als Bolschewik galt, aber doch mehr mit den radikalen Gruppen Petersburgs verbunden war. Er verkehrte in allen Kreisen, wusste alles und war eine der wichtigsten Persönlichkeiten der ersten Phase der Revolution. Wir kamen überein, Vertreter verschiedener Gruppen zu versammeln und uns am nächsten Tag nachmittags um 15:00 Uhr in seiner Wohnung … zu einem Meinungsaustausch zu treffen.

In breiten Kreisen der Duma wurde das Problem einer revolutionären Staatsgewalt überhaupt noch nicht aufgeworfen. Aus meiner Sicht konnte ich keinerlei Anzeichen dafür erblicken, dass sich die Parteien und ihre Führer der Tatsache bewusst gewesen wären, die Bewegung könnte mit einem radikalen Umsturz enden. Ich sah lediglich Furcht vor der »provokatorischen« Bewegung und bemerkte das Bestreben, dem Zarismus zu Hilfe zu eilen und mit der ganzen Autorität« der Reichsduma die »Unruhen« zu stoppen. Zugleich registrierte ich freilich auch einen Versuch der bourgeoisen Gruppen, sich die Bewegung zunutze zu machen und sich mit dem Zarismus über einen gemeinsamen Kampf zu einigen, wenn nur einige Almosen auf politischem Gebiet und auf dem der Organisation der Staatsgewalt dafür abfielen. Die Bourgeoisie war von der Bewegung aufs höchste erschreckt worden. Sie war nicht für die Bewegung und darum gegen diese. Aber weder konnte sie die Bewegung ignorieren, noch konnte sie es sich leisten, diese nicht auszunützen. Die politische Forderung der Bourgeoisie, der sich auch die gesamte radikale Intelligenzija anschloss, lautete in diesen Tagen: »Ein der Duma verantwortliches Kabinett«. Der »Progressive Block« führte diesbezüglich Verhandlungen hinter den Kulissen, während die demokratische Intelligenz die Forderung offen verkündete. …

Insgesamt gesehen, war an diesem Freitag auf der Seite der Bourgeoisie noch fast alles unklar, und wo Klarheit herrschte, sah es wenig günstig aus. Für den darauffolgenden Vormittag war eine Sitzung des »Seniorenkonvents« der Duma anberaumt worden, der man große Bedeutung beimaß. Ich rechnete damit, bei Sokolow über deren Ergebnisse zu hören.“

Der Umsturz und die Sozialisten

„Im anderen Lager musste ich einige Vertreter der Bolschewiken und der Sozialrevolutionäre von Zimmerwalder Prägung sehen. Der Eindruck, den diese Gespräche bei mir hinterließen, war aber ebenso ungünstig. Zunächst bestätigte sich mir die totale Verzettelung der Bewegung und das Fehlen fester, tatsächlich führender Zentren. Sodann stellte ich eine vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen fest, die mich beschäftigten. Die Aufmerksamkeit richtete sich ausschließlich darauf, mit allgemeinen Forderungen zu agitieren und die Bewegung unmittelbar voranzutreiben. Schließlich musste ich feststellen, dass meine Versuche, die Gedanken meiner Gesprächspartner auf ein konkretes Programm hinzulenken, noch mehr aber meine Bemühungen, sie für die Bildung einer revolutionären Staatsgewalt zu gewinnen, auf äußerste Skepsis und sogar Feindseligkeit stießen. …

Tscheidse war, wie zuverlässige Leute berichteten, eine Verkörperung des Zweifels gewesen und hatte dazu aufgerufen, sich nach der Reichsduma zu richten. Er vertrat den rechten Flügel der Versammlung und glaubte nicht an eine breite Entfaltung der Bewegung. Die Linke dagegen gab sich den Vorfreuden der Revolution hin, die sie forderte, und hielt es für unerlässlich, in der Hauptstadt so schnell wie möglich Kampforganisationen der Arbeiterschaft zu gründen. Diese Linke wurde auf der Versammlung von dem alten Liquidator und »Vaterlandsverteidiger« F.A. Tscherewanin2 vertreten. Von ihm, hieß es, habe auch der Gedanke einer unverzüglichen Wahl eines Sowjets von Arbeiterdeputierten in den Petersburger Industriebetrieben gestammt. Auf jeden Fall ging die Direktive für die Wahlen von dieser Initiativversammlung von Persönlichkeiten der Arbeiterbewegung aus. Sie wurde von den Parteiorganisationen sofort aufgegriffen und, wie man weiß, in jenen Tagen in den Betrieben der Hauptstadt mit Erfolg durchgeführt. Über den Ablauf dieser Versammlungen ist mir bekannt, dass das politische Problem dabei weder gelöst noch offiziell aufgeworfen wurde. Den Versammlungen kommt größtes historisches Verdienst zu, jedoch lediglich auf dem Gebiet der technischen Vorbereitung der Revolution und der Organisation ihrer Kräfte. Was den politischen Standort ihrer Teilnehmer anbelangt, so herrschte der für die »Vaterlandsverteidigung« eintretende Menschewismus vor. …

In der Zwischenzeit weitete sich die Bewegung immer mehr aus. Die Machtlosigkeit des Polizeiapparates wurde von Stunde zu Stunde offensichtlicher. Die politischen Versammlungen verliefen fast schon so, als seien sie legal; die Führer der Militäreinheiten wagten nicht, gegen die Volksmassen, die die Hauptstraßen immer mehr füllten, aktiv einzuschreiten. Eine besondere und unerwartete Loyalität zeigten die Kosakeneinheiten, die hier und da im direkten Gespräch ihre Neutralität unterstrichen, in manchen Fällen sogar eine unverblümte Neigung zur Verbrüderung an den Tag legten. Am Abend des Freitags sprach man in der Stadt davon, dass in den Industriebetrieben Wahlen zum Sowjet der Arbeiterdeputierten stattfänden.

25-26. Februar/10.-11. März

Am Samstag, dem 25. Februar/10. März, war Petersburg seit den frühen Stunden von der Vorahnung außerordentlicher Ereignisse durchtränkt. Selbst dort, wo sich keine Menschenansammlungen bildeten, boten die Straßen das Bild einer ungewöhnlichen Erregung. Ich musste an die Stimmung während des Moskauer Aufstandes von 1905 zurückdenken. Die gesamte »zivile« Bevölkerung fühlte sich geschlossen einem zum militärisch-polizeilichen Feind in Opposition stehenden Lager zugehörig. Unbekannte begannen miteinander Gespräche auf der Straße, fragten sich aus nach Neuigkeiten, nach den Zusammenstößen, nach den Diversionen des Gegners. Man konnte aber auch etwas beobachten, was es während des Moskauer Aufstandes nicht gegeben hatte: Die Mauer zwischen den beiden Lagern, der Bevölkerung und der Obrigkeit, erschien nicht so undurchdringlich wie damals; man spürte zwischen beiden eine Diffusion. Das steigerte die Erregung und flößte den Massen so etwas wie Enthusiasmus ein. …

Kurz nach 13 Uhr, nachdem ich telefonisch noch einen Vertreter einer der Linksorganisationen eingeladen hatte, machte ich mich auf den Weg … zu jener Wohnung, die allen radikalen und demokratischen Kreisen Petersburgs ebenso vertraut war wie der gesamten Polizei der Hauptstadt. … Bei N.D. Sokolow erwartete mich eine Enttäuschung. Die Versammlung repräsentierte in keiner Weise die verschiedenen organisierten Gruppen. Nicht einmal die demokratischen Richtungen waren einigermaßen vollständig vertreten. … Stattdessen erschien Kerenski, der direkt von der Sitzung des Seniorenkonvents der Duma kam und somit zweifellos eine unersetzliche Informationsquelle über die Stimmungen und Pläne der führenden politischen Gruppen der Bourgeoisie darstellte.

Die wie immer erregte, etwas pathetische und leicht theatralische Erzählung Kerenskis verriet vor allem die Panik und die Verwirrung, die breiteste Kreise der bürgerlichen Abgeordneten erfasst hatten. Die Gedanken und Mühen ihrer führenden Schicht waren sämtlich darauf gerichtet, die Revolution zu vermeiden. Es fehlte nicht an Versuchen, mit dem Zarismus Abmachungen zu treffen und Kombinationen auszuhecken. Das Spiel der Politikaster lief auf vollen Touren. Das Ganze vollzog sich jedoch nicht nur außerhalb der Volksbewegung; es lief ihr offenkundig zuwider und konnte ihr sichtlich nur schaden.

Immer neue Menschen trafen in der Wohnung N.D. Sokolows ein und brachten übereinstimmende Nachrichten über eine grandiose, in diesem Ausmaß noch nie dagewesene Bewegung auf den Straßen. Das Stadtzentrum war eine einzige politische Versammlung, wobei es das Volk anscheinend besonders zum Snamenskij-Platz zog. Dort, vom Postament des Denkmals Alexanders III. herab, sprachen ununterbrochen und gänzlich ungehindert Redner der linken Parteien. Die Hauptlosung lautete wie bisher: »Nieder mit dem Krieg«. Der Krieg galt neben der zaristischen Selbstherrschaft als Ursprung aller Übel, vor allem des Zusammenbruchs der Versorgung. …“

Die Crux mit der „Vaterlandsverteidigung“

„Unsere Versammlung nahm endgültig den Charakter einer ungezügelten Privatunterhaltung an. Ich entsinne mich, dass N.D. Sokolow mich unter anderem auf einen Punkt hin ansprach, dessen Bedeutung ich erst später richtig einzuschätzen verstand. Als Anhänger der »Vaterlandsverteidigung« wies er auf die Gefährlichkeit jener Antikriegsparolen hin, die zum Kern der Entwicklung der Volksbewegung wurden und auf die die Parteiredner die Aufmerksamkeit der Massen vor allem bannten. Die Seite der Angelegenheit, die mich vor allem interessierte, hob Sokolow dabei nicht hervor: dass nämlich die Bourgeoisie sich unter solchen Bedingungen unvermeidlich weigern werde, sich der Revolution anzuschließen. Er betonte vielmehr, dass sich an derartigen Parolen die Demokratie und sogar das Proletariat selbst unweigerlich spalten müssten.

Ich maß damals dieser Seite der Angelegenheit keine Bedeutung bei, weil ich – vielleicht übertrieben optimistisch – glaubte, die Massen würden ausschließlich von den Parteien und Strömungen beherrscht, die auch in Deutschland oder in Frankreich die sozialistische Minderheit vertraten. Hinzu trat noch, dass der Charakter der beginnenden Revolution noch völlig unklar war. Insbesondere konnte niemand voraussehen, welche Rolle die bis auf die Offiziere rein bäuerliche Armee spielen würde. In der Tat erwies sich die Spaltung unter den revolutionär aktiven proletarischen Kadern in der Armee bald als ein Faktor, der größte Bedeutung für die gesamte »Kriegs«-Politik der revolutionären Demokratie gewann. Doch damals beschäftigte mich diese Seite der Angelegenheit nicht. Meine Hauptaufmerksamkeit galt der Stellung der großbürgerlichen Kreise und ihrer Haltung zur Revolution.

In den praktischen Folgerungen jedoch stimmten N. D. Sokolow und ich so oder so völlig überein. Sokolow versuchte, mich, der ich mehr und deutlicher als andere gegen den Krieg aufgetreten war, der als Literat im Ruf eines ziemlich eisernen Defätisten, Internationalisten und »Patriotismus-Hassers« stand, davon zu überzeugen, dass man jetzt so entschlossen wie möglich der Ausbreitung der Antikriegs-Parolen entgegentreten und dazu helfen müsse, dass die Bewegung nicht unter der Losung »Nieder mit dem Krieg« ablaufe. Aus meinem Munde, sagte er, würden die entsprechenden Argumente bar jedes bösartigen konterrevolutionären Charakters sein und für die Führer der Bewegung überzeugender klingen. Sollte dagegen die Revolution als eine Bewegung gegen den Krieg beginnen, so werde sie unverzüglich an inneren Zwistigkeiten scheitern. Wie ich zu einer solchen Argumentation auch stehen mochte, mit den Schlussfolgerungen sympathisierte ich voll und ganz. So versprach ich den »Vaterlandsverteidigern« und den radikalen Gruppen meine volle Unterstützung gegen die konsequent internationalistischen Klassenprinzipien – gegen meine eigenen Prinzipien …“

Volksbewegung, Duma und Bolschewiki

„Die Anwesenden begannen auseinanderzugehen. … Nach einer halben Stunde weiterer Gespräche über verschiedene Themen bei Sokolow machte ich mich … auf den Weg zu Kerenski … Doch die Gegend … um den Taurischen Garten war still und leer. Diese Tatsache verdient festgehalten zu werden, denn sie zeigt, dass es das Volk nicht zur Reichsduma zog und dass es nicht daran dachte, die Duma politisch oder technisch zum Zentrum der Bewegung zu machen. Unsere liberalen Politiker hatten die Volksbewegung, die sich an die Einberufung der Duma am Februar knüpfte, für provokatorisch erklärt. Später machten sie alle erdenklichen Anstrengungen, um die Duma zum Bannerträger der Bewegung und das Schicksal der Duma zum Anlass und Grund der Revolution zu erheben. In diesen Bemühungen steckt nicht ein Gran Wahrheit. …

Bei Gorkij trafen ununterbrochen Leute ein, die mir und ihm teils bekannt, teil unbekannt waren. Sie kamen, um Rat zu holen, Eindrücke auszutauschen, zu fragen und zu erfahren, was in den einzelnen Kreisen vor sich ging. Gorkij hatte natürlich Verbindungen zu ganz Petersburg, von den obersten bis zu den untersten Schichten. Diskussionen entbrannten, und wir, d. h. die Redaktion der Letopis, bildeten bald eine geschlossene Front gegen die Vertreter der Linken, gegen die internationalistischen Vertreter unserer eigenen Ansichten, die im entscheidenden Moment nichts von einem Verrat an ihren alten Parolen hören wollten.

Zwischendurch kamen auch mehr oder minder verantwortliche Führer der Bolschewiken. Ihre Geradlinigkeit oder, richtiger ausgedrückt, ihre Unfähigkeit, sich in das politische Problem hineinzudenken und es zu formulieren, machte auf uns einen deprimierenden Eindruck. Ich muss allerdings sagen, dass unsere Argumente auf diese Leute, die direkt von den Fabrikkesseln und Parteikomitees gekommen waren, nicht ohne Einfluss blieben. Diese Menschen verrichteten in jenen Tagen eine gänzlich andere Arbeit: Sie handhabten die Technik der Bewegung, erzwangen die entscheidende Auseinandersetzung mit dem Zarismus und organisierten Agitation und die illegale Presse. Unsere Argumentation zwang sie schon durch die Neuheit der gewaltigen Aufgaben, die zum ersten Mal vor ihrem Bewusstsein auftauchten, zum Nachdenken.

Am nächsten Tag, am Sonntag, dem 26. Februar/ 11. März, machte ich mich wieder auf den Weg zu Gorkij. An den Hauswänden hingen neue Proklamationen General Chabalows, die aber teilweise schon abgerissen und zerknüllt auf dem Boden lagen. Sich selbst vor aller Welt seine Machtlosigkeit bescheinigend und darauf hinweisend, dass seine früheren Warnungen keinen Erfolg gehabt hätten, drohte er erneut mit »entschlossenen« Maßnahmen und »Waffenanwendung« gegen »Unruhen« und »Menschenansammlungen«. Und in der Tat verging dieser Tag unter dem Zeichen von Waffenanwendung und entschlossenen Maßnahmen. Der letzte verzweifelte Versuch wurde unternommen. Auf dem Spiel stand ein jahrhundertealtes Regime, das nicht nur die Überreste der alten Privilegien verkörperte, sondern auch die Hoffnungen der Bourgeoisie, die einen noch gefährlicheren Gegner gespürt hatte.

Der Tag war ausgefüllt vom letzten Zusammenstoß, vom Geklirr der Waffen und von Pulvergeruch. Am Abend war das Spiel verloren.“

Resumee:

Die sozialistischen Parteien wurden von der Volksbewegung nicht nur überrascht, sondern standen ihr politisch orientierungslos gegenüber. Bei ihnen beginnt aber sogleich eine Bewegung nach rechts, die Parole „Nieder mit dem Krieg“ müsse verschwinden um die Bourgeoisie nicht zu verschrecken. Die Bourgeoisie dagegen stand der gesamten Bewegung ablehnend gegenüber und suchte das Bündnis mit dem Zarismus. „Ich sah lediglich Furcht vor der »provokatorischen« Bewegung und bemerkte das Bestreben, dem Zarismus zu Hilfe zu eilen und mit der ganzen Autorität« der Reichsduma die »Unruhen« zu stoppen“, schreibt Suchanow.

Der erste Tag der Revolution

27. Februar/ 12. März

„Es begann der 27. Februar/ 12. März ewigen Angedenkens. … Schon auf meinem kurzen Stück Weg … konnte ich beobachten, dass die unschlüssige Stimmung der Truppeneinheiten sich der Krise näherte. Der Zusammenbruch der Disziplin strebte seinem Kulminationspunkt zu.

Offiziere sah man in den Patrouillen und Einheiten überhaupt nicht. Jeder konnte sehen, dass die Streifen und Einheiten, die die Kampftruppen des Zarismus bildeten, in völliger Auflösung begriffen waren. Es waren unordentliche Haufen in grauen Militärmänteln, die sich mit dem Volk und den Arbeitermassen vermengten und offen verbrüderten. Man sah eine Menge Soldaten, die sich von ihren Einheiten getrennt hatten und nun allein oder zu zweit ohne Waffen durch die Straßen schlenderten. Viele von ihnen waren möglicherweise als Posten eingesetzt worden. Die Passanten erzählten, dass diese Soldaten gerne ihre Waffen abgäben und dass in den Arbeiterzentren bereits eine große Menge Waffen gesammelt worden sei.“

Die Auflösung der Duma …

„Ich griff zum Telefon und rief ein Dutzend Nummern an, um die Lage zu erkunden. Es war ganz klar, dass die entscheidende Stunde geschlagen hatte, von der Generationen geträumt und auf die Generationen hingearbeitet hatten. Wir standen unmittelbar an der Schwelle hinreißender Ereignisse. Meine Ungeduld verwandelte sich in Raserei, wenn mir das gleichgültige »Besetzt« einer trägen Telefonistin in den Ohren klang. Doch recht bald – ich weiß nicht mehr genau, von wem – erfuhr ich die entscheidende politische Neuigkeit dieser Morgenstunden des unvergesslichen Tages: Das Dekret über die Auflösung der Reichsduma war verkündet worden, und die Duma hatte darauf mit der Weigerung auseinanderzugehen geantwortet. Anschließend hatte sie aus Vertretern aller Fraktionen (außer der rechten) ein »Provisorisches Komitee der Reichsduma« gewählt.3

Gleich an dieser Stelle sei betont, dass es dem am Morgen des 27. Februar/ 12. März gewählten Provisorischen Komitee der Reichsduma gänzlich fernlag, an die Stelle der Staatsmacht zu treten und sich der Bevölkerung und den Trümmern der zaristischen Selbstherrschaft gegenüber als solche auszugeben. Dieses Dumakomitee mit Rodsjanko4 an der Spitze hatte sich zu einem besonderen Zweck formiert, den es auch offiziell erklärte: »Zur Wiederherstellung der Ordnung in der Hauptstadt und zur Verbindung mit den öffentlichen Organisationen und Institutionen …«

Dieses Verhalten des Provisorischen Komitees der Reichsduma war fraglos ein revolutionärer Akt des progressiven Blocks. Es widersprach sowohl den Traditionen, die Gehorsam vor den Gesetzen verlangten, als auch den elementaren Rechten und Pflichten der Reichsduma. Bedeutete er aber, dass sich die Reichsduma der Revolution anschloss? Bedeutete dieser Schritt, dass es in dem Bestreben, die Selbstherrschaft zu stürzen und eine Umwälzung herbeizuführen, irgendeine Form der Solidarität zwischen der Demokratie und der Bourgeoisie gab?“

… und ihr Kampf für die Erhaltung des Zarismus

„Der Leser, der die Ereignisse dieser Tage richtig verstehen will, muss sich stets eines ganz klar vor Augen halten: Der revolutionäre Akt der durch den progressiven Block und die Duma-Mehrheit vertretenen Bourgeoisie war darauf gerichtet, die Dynastie und die plutokratische Diktatur mit Hilfe unwesentlicher Korrekturen an der alten Ordnung vor der demokratischen Revolution zu retten. In diesen Stunden war die Hoffnung auf eine Rettung des Romanow-Regimes keineswegs geschwunden: Der Aufstand der Petersburger Garnison war noch nicht Tatsache geworden.

Immerhin – ein revolutionärer Akt war vollzogen. In das Provisorische Komitee traten als wichtigste Mitglieder außer Rodsjanko, Miljukow, Konowalow, Jefremow, W. N. Lwow, Schulgin, Adshemow u.a. ein. Der linke Flügel der Duma war durch Kerenski und Tscheidse vertreten.

Nachdem das Provisorische Komitee seine bescheidene technische Aufgabe offiziell verkündet hatte, nahm es sich sofort der »großen Politik« in dem soeben beschriebenen Sinne an. Rodsjanko erhob ehrerbietigst Vorstellungen beim Hauptquartier des Zaren und setzte sich auch über direkte Leitungen mit den wichtigsten Befehlshabern an den verschiedenen Fronten in Verbindung. Dabei bat er sie, die Reichsduma gegenüber dem Zaren zu unterstützen. Nach Absicht der Schöpfer dieses Planes sollten die führenden Generale zusammen mit dem »progressiven« Block der Bourgeoisie und des Großgrundbesitzes den »Selbstherrscher« unter Druck setzen und ihm klarmachen, dass nur Konzessionen an die nationalliberale Plutokratie die Dynastie noch zu retten vermöchten. …

Zum Glück warteten die Ereignisse nicht auf die Kombinationen, die die Mächtigen dieser Welt hinter den Kulissen ausheckten. Die Volksrevolution ging mit Volldampf ihren eigenen Weg und veränderte stündlich die gesamte politische Konjunktur. Sie stieß die »Kombinationen« der Liberalen, der Generale und der Plutokraten um und schleppte die Reichsduma, diese politische Zentrale der Bourgeoisie, hinter sich an der Leine. …

Ich will nicht versuchen, ein zusammenhängendes Bild der Ereignisse und des Aufstandes der Garnison am 27. Februar zu geben, denn ich war kein Augenzeuge der entscheidenden Szenen dieses Aufstandes. Viel betrüblicher für mich ist, dass ich zur Aufklärung der Interna dieser ersten Übergänge von Truppen auf die Seite der Revolution oder, richtiger gesagt, der Überläufe der Soldaten nichts beitragen kann. Unzweifelhaft ist nur eines: In allen Truppenteilen der Petersburger Garnison gab es in großer Zahl klassenbewusste und parteigebundene Elemente. Sie waren nicht nur in der Lage, die Bewegung aufzugreifen, sich selbst zu ihrem Zentrum zu machen und sie durch allgemeine politische Parolen zu beseelen, sondern sie mussten dies einfach tun.

Das Wolhynische und das Litauische Regiment hatten sich, wie erwähnt, zur Reichsduma begeben. Das konnte die verschiedensten Ziele und Bedeutungen haben. Es mochte ein natürlicher Drang sein, aber auch ein bewusstes Bestreben der Anführer, die bürgerlich-»patriotische« Duma zum politischen Zentrum der Bewegung und der weiteren Ereignisse zu machen. Es konnte sich allerdings auch ganz einfach um eine Solidaritätskundgebung mit dem vom Zaren soeben aufgelösten, »revolutionären« Parlament handeln. Ich weiß nichts darüber.“

Die Sozialisten führen die Massen zur Duma

„Von N.D. Sokolow hörte ich später wiederholt, er sei es gewesen, der die ersten aufständischen Regimenter gerade zur Reichsduma geführt habe. Das ist möglich. Es wirft aber keinerlei Licht auf die wichtige Tatsache, dass die Reichsduma, die bisher von der Volksbewegung ganz offensichtlich ignoriert worden war, nunmehr nicht nur die Bedeutung eines territorialen, sondern auch den Anschein eines politischen Mittelpunktes dieser Bewegung erhielt.

Die Spitzen der Gesellschaft, die die Reichsduma darstellte, strebten nicht zur Revolution. Es war die Revolution, die so oder so zu ihnen kam. Ich muss auf diesen Punkt, der von grundsätzlicher Bedeutung ist, noch zurückkommen, denn er wurde von einem Mann, der danach zum Haupt der gesamten bourgeoisen Bewegung in Russland wurde und ihre gesamte Politik bestimmte, P.N. Miljukow, sehr gut ausgenutzt.

Die Vertreter der Linken in der Duma – Kerenskij, Tscheidse und Skobelew – empfingen die ersten Soldaten der Revolution mit Grußworten und Reden. Die Soldaten antworteten mit militärischen Ehrenbezeigungen. Die Revolution entfaltete sich nicht nur in voller Breite, auch ihr Charakter hatte sich schon präzisiert: Sie schloss die wichtigste Stütze des alten Regimes mit ein und wurde zu einer Revolution des ganzen Volkes, zu einer gesamtdemokratischen Revolution. Ihr Ausgang war allerdings noch bei weitem nicht entschieden. Fatale interne Machtkämpfe konnten jede Minute ausbrechen und waren bei der noch bevorstehenden endgültigen Liquidierung des Zarismus mehr als wahrscheinlich. Doch ihr gesamtdemokratischer Charakter war bereits präjudiziert. Welche Ignoranz bewiesen doch die wohlmeinenden Tröpfe aus der »Demokratie«, wie tausendfach verachtungswürdig sind doch die böswilligen Heuchler aus der Bourgeoisie, die sich nicht davor ekelten, der großen Sache der gesamten Demokratie den Stempel einer Militärmeuterei aufzudrücken…! 5

Was die zaristische Führung in diesen Stunden tat, welche »Maßnahmen« sie ins Auge fasste und verwirklichte, um gegen die Revolution zu kämpfen – dass alles weiß ich ebenfalls nicht oder kann mich nicht daran erinnern. Wen interessiert es auch? In Petersburg konnte niemand mehr daran zweifeln, dass die zaristischen Behörden keine Möglichkeit mehr besaßen, auf den Lauf der Ereignisse einzuwirken. Wahrscheinlich begriffen sie in jenen Stunden auch selbst, dass es jetzt nur noch ein Mittel des Kampfes gegen die Revolution gab, nämlich eine unverzügliche Übereinkunft mit der Bourgeoisie und den »öffentlichen Kreisen«.

Es darf als sicher unterstellt werden, dass eben hierauf, auf politikasternde Versuche also, die Aufmerksamkeit jener leitenden Knechte des Zarismus gerichtet war, die nicht mit Polizeiaufgaben beschäftigt waren oder diese bereits als sinnlos aufgegeben hatten. Auf der anderen Seite ist es ebenfalls unzweifelhaft, dass auch die bourgeoisen Duma-Anführer aus dem »Progressiven Block« ihre Bemühungen in Richtung auf »Vorstellungen«, »Druckausübung« und Abmachungen mit den Resten der einstigen Größen des Zarismus verzehnfachten.

Diese Gruppen weigerten sich auch weiterhin hartnäckig, sich der Revolution anzuschließen, sich an ihre Spitze zu setzen und sie als vollendete Tatsache zu akzeptieren. Doch weiß ich nicht, was für »Kombinationen« die führenden Gruppen der Bourgeoisie, des »Progressiven Blocks« und des Provisorischen Komitees der Reichsduma in diesen Stunden im Einzelnen auszuklügeln versuchten. Ich habe mich auch nie bemüht, es zu erfahren.6 Das lag bereits außerhalb des Laufes der Ereignisse. Das konnte an ihnen absolut nichts mehr ändern. Diese »Kombinationen« waren außerdem nur die Frucht von Ratlosigkeit und Blindheit … Es war bereits zu spät.“

Die Einberufung des Sowjets durch das provisorische Exekutivkomitee

„Auf der Szene trat ein neuer Faktor in Erscheinung, den es bis dahin nicht gab: eine bevollmächtigte Organisation der gesamten Demokratie des revolutionären Petersburg – für Kampfhandlungen gewappnet, durch glorreiche Traditionen geheiligt, bereit, die Sache der Revolution – ihre Sache – in ihre Hände zu nehmen. Es war der Sowjet der Arbeiterdeputierten.

Die aufständischen Truppenteile hatten im Verein mit den Volksmassen eine große Anzahl von sozialistischen Funktionären aus den Petersburger Gefängnissen befreit, unter anderem die Arbeitergruppe beim Zentralen Kriegsindustrie-Komitee samt ihrem Leiter K. A. Gwosdew. Die führenden Funktionäre dieser Gruppe begaben sich unmittelbar aus dem Gefängnis zusammen mit den Truppen und dem Volk ins Taurische Palais, wohin bereits eine große Zahl von Petersburger Persönlichkeiten aller Richtungen und Ränge, aller Kaliber und Fakultäten strömte. Gegen 14:00 Uhr stellte sich heraus, dass dort auf einem Platz recht bedeutende Vertreter der gewerkschaftlichen und genossenschaftlichen Bewegung anwesend waren, insbesondere die ehemaligen Teilnehmer an den oben beschriebenen Beratungen. Daraufhin bildeten die Führer der Arbeitergruppe mit diesen Vertretern und mit Abgeordneten der Linken das »Provisorische Exekutivkomitee des Sowjets der Arbeiterdeputierten«. Dieses Exekutivkomitee hatte im Grunde nur eine Aufgabe: Es sollte als Organisationsinstanz den Sowjet der Arbeiterdeputierten von Petersburg einberufen. Diesen Auftrag erfüllte es auch vorzüglich. Im Handumdrehen erließ und verteilte es in der Hauptstadt an die Arbeiter entsprechende Aufrufe, in denen die erste Sitzung des Sowjets auf 19:00 Uhr des gleichen Tages im Taurischen Palais anberaumt wurde.

Wie ich schon erwähnte, fanden bereits früher Wahlen in den Sowjet statt, aber sie erfolgten illegal, zufällig, ohne konkretes Ziel und mehr für alle Fälle. Nun sollte innerhalb weniger Stunden das gesamte werktätige Petersburg mobilisiert und seine bevollmächtigte Vertretung geschaffen werden, der es obgelegen hätte, das Schicksal der Revolution in die Hand zu nehmen.

Das »Provisorische Exekutivkomitee« beschränkte sich jedoch nicht auf die Einberufung des Sowjets. Es nahm eine weitere drängende Aufgabe in Angriff und traf Sondermaßnahmen für die Organisation der Verpflegung der von ihren Kasernen getrennten, verzettelten und obdachlosen aufständischen Truppenteile. Dazu wählte es unverzüglich eine »Provisorische Versorgungskommission«, die im Taurischen Palais eine Verpflegungsstelle für Soldaten einrichtete und die Bevölkerung aufrief, bei der Verpflegung der Soldaten zu helfen. Das »Provisorische Exekutivkomitee« ging dabei sozusagen von technischen Überlegungen und von den technischen Notwendigkeiten des Augenblicks aus. Doch im Grunde löste es durch seine Maßnahmen auf dem Versorgungsgebiet zugleich die wichtigste politische Aufgabe. Denn die hungrigen, heimatlosen und terrorisierten Massen bewaffneter Soldaten, die von keinem politischen Bewusstsein getragen waren, stellten jetzt für die Revolution keine geringere Gefahr dar als die organisierten Kräfte des Zarismus. An der Existenz der letzteren konnte man sogar zweifeln. Die ersteren aber waren da, für jeden sichtbar.“ …

Wie „die konservativ-reaktionären Kreise … die Macht an sich rissen“ (Bollinger)

„Im Katharina-Saal wandelte ein Mann einsam hin und her. Es war P.N. Miljukow, eine zentrale Figur des bourgeoisen Russlands, Haupt des in jenem Augenblick einzigen offiziellen Machtorgans in Petersburg und de facto Oberhaupt der ersten Revolutionsregierung. Auch er war beschäftigungslos. Seine ganze Gestalt verriet, dass er nichts zu tun hatte, dass er überhaupt nicht wusste, was zu tun sei. Menschen gingen auf ihn zu, begannen ein Gespräch, stellten Fragen oder teilten etwas mit. Er antwortete zwar, doch offenbar ungern und unbestimmt. Die Menschen gingen weg, und er marschierte allein weiter. …

Tatsächlich kamen im Palais aber immer mehr Soldaten zusammen. Sie sammelten sich zu Gruppen, schlichen durch die Säle, waren wie Schafe ohne ihren Hirten. Das Palais füllte sich allmählich mit ihnen. Die Hirten fehlten. …

Doch ich wollte unbedingt noch vor der Eröffnung der Sitzung des Sowjets die Stimmung in den bourgeoisen Kreisen erkunden und durch direkte Gespräche klären, wie die Führer dieser Kreise zur Frage der revolutionären Macht standen. Aus dem Katharina-Saal begab ich mich durch die von Menschen wimmelnde Vorhalle in den rechten, noch menschenleeren Flügel des Taurischen Palais, um irgendeinen mir bekannten und möglichst prominenten bürgerlich-liberalen Abgeordneten ausfindig zu machen. Dieser rechte Flügel war während der ersten Periode der Revolution Sitz des Provisorischen Komitees der Reichsduma und überhaupt der Kreise und Behörden, die sich um die Provisorische Regierung gruppierten. Die Mitglieder der Reichsduma, die während dieser Periode ihr Mandat (und ihre Bezüge) formell behielten, betrachteten diesen rechten Flügel des Palais als ihre Domäne.

Der linke Flügel des Palais geriet dagegen von Anfang an in den Besitz der Demokratie, die der Sowjet der Arbeiterdeputierten und seine Dienststellen vertraten. Die künftigen Beziehungen und der künftige Kampf zwischen der Demokratie und der Bourgeoisie, also zwischen dem Sowjet der Arbeiterdeputierten einerseits und der Provisorischen Regierung mit dem Provisorischen Komitee der Reichsduma andererseits, waren in der ersten Zeit im Kampf zwischen dem linken und dem rechten Flügel des Taurischen Palais verkörpert. …

Unzufrieden und ohne Material für praktische Rückschlüsse gesammelt zu haben, die die Linie hätten beleuchten können, die die Demokratie in den nächsten entscheidenden Stunden einzuhalten hätte, wollte ich mich schon in die linke Hälfte des Palais begeben, in der sich bereits dichte Scharen von Arbeiterdeputierten drängten, deren Mandate mit Hochdruck geprüft wurden. Die Versammlung musste von einer Minute zur anderen eröffnet werden. Als ich jedoch Rodsjankos Arbeitszimmer verließ, stieß ich im Nebenzimmer zufällig auf den stellvertretenden Präsidenten der Reichsduma, A.I. Konowalow, der mit I.N. Jefremow sprach. Diese recht wichtigen und offiziellen Persönlichkeiten der linken Bourgeoisie aus der gleichen Partei der »Progressisten« waren mir ebenfalls hinreichend bekannt, um mit ihnen ein privates Gespräch anzufangen. Beide waren darüber hinaus Mitglieder des Provisorischen Komitees der Reichsduma (sie wurden in der Folge Minister). Die Zeit war knapp, und ich fragte sie ohne jede Einführung, eben wie persönliche Bekannte, nach den Absichten und Plänen der von ihnen geführten Kreise und nach ihrer Ansicht hinsichtlich der Bildung einer revolutionären Staatsmacht. Aber auch hier kam ich zu keinem Ergebnis. Meine Gesprächspartner verloren den Kopf und wussten einfach nicht, was sie auf meine frei heraus gestellte Frage antworten sollten. Oder vielleicht wussten sie es, wollten aber nicht antworten? Kaum.“

Das Dilemma der russischen Bourgeoisie

„In diesem Augenblick betrat Miljukow das Zimmer, und es war offensichtlich, dass meine Gesprächspartner in ihm einen Ausweg aus ihrem Dilemma erblickten. Erfreut über sein Erscheinen, zeigten mir die Führer der »Progressisten«-Partei den Führer einer anderen Partei – der Kadetten – und rieten mir unisono, mit ihm über das Thema zu sprechen, das mich interessierte. Diese Handlungsweise war nicht nur eine naive Demonstration ihrer Hilflosigkeit, sondern bezeugte ebenso naiv, woran es im Übrigen auch schon früher nie einen Zweifel gab: Miljukow war damals die zentrale Gestalt, die Seele und der Kopf sämtlicher politischer Kreise der Bourgeoisie. Er war es, der die Politik des gesamten »Progressiven Blocks« bestimmte, in dem er offiziell auf dem linken Flügel stand. Ohne ihn wären alle bourgeoisen- und Dumakreise in jenem Augenblick eine zusammenhanglose Masse gewesen. Ohne ihn hätte es in der ersten Periode der Revolution keinerlei bourgeoise Politik geben können. So beurteilten die ihn Umgebenden, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, seine Rolle. Auch er selbst schätzte sie so ein.

Mit Miljukow war ich – im Gegensatz zu Kerenski, Konowalow und anderen – bis dahin überhaupt nicht bekannt. Es würde den Rahmen persönlicher Erinnerungen sprengen, wollte ich hier versuchen, diesen Mann ausführlicher zu beschreiben. Ich kann jedoch nicht umhin, zu bemerken, dass ich diesen fatalen Mann immer um einen Kopf höher stehend als seine politischen Freunde im »Progressiven Block« einschätzte, das heißt, einen ganzen Kopf höher als alle Säulen, als die ganze Blüte, Crème, Zierde und als den ganzen Stolz unserer Bourgeoisie. Die Politik, die dieser fatale Mann durchführte, war ebenfalls fatal, und zwar nicht nur für die Demokratie und die Revolution, sondern auch für das Land, für seine eigenen Ideen und seine eigene Person. Er, der dem Prinzip der »Großmacht Russland« huldigte, brachte es fertig, sich selbst und dem Prinzip mit voller Wucht, grob und dumm, den Schädel einzurennen. Er konnte von den hehren Höhen seiner abstrakten Schemata und »Kombinationen« zu den Untiefen der primitivsten politischen Vulgarität herabsinken … Und dennoch gab es für mich nicht den geringsten Zweifel: Nur dieser fatale Mann war imstande, vor dem Antlitz Europas die neue, auf den Ruinen des Regimes der Rasputin und Großgrundbesitzer entstehende Bourgeoisie Russlands zu verkörpern.

Insbesondere hatte ich nicht den geringsten Zweifel, dass Miljukow, im Gegensatz zu meinen bisherigen Gesprächspartnern, sich sehr wohl über die Entwicklung Rechenschaft ablegte, dass das Problem der Macht von ihm in jenen Tagen auf das sorgfältigste untersucht und abgewogen wurde – zumindest in jenen Stunden – dass er, Miljukow, schon bei der ersten Andeutung verstehen werde, was ich wollte. Die andere Frage war freilich, was er antworten werde, wie er sich die Lösung des Problems dachte.

In der Tat standen in diesem Augenblick Miljukow – und mit ihm das gesamte wohlhabende Russland – vor einem wahrhaft tragischen Zwiespalt, den damals nur einzelne aus der Masse der liberalen Bourgeoisie … in seiner ganzen Tragweite zu erfassen vermochten. … Solange der Zarismus noch nicht endgültig beseitigt war, musste man sich an ihn klammern, man musste auf seiner Grundlage das gesamte innere und äußere Programm des Nationalliberalismus aufbauen. Das begriff in der Bourgeoisie jeder einigermaßen Erfahrene. Dieser Weg bedeutete das absolute Wohl und auf jeden Fall offenkundig das geringste Übel.

Was sollte man aber tun, wenn der Zarismus unter dem Druck der Volksbewegung fast beseitigt war, sein endgültiges Schicksal aber noch nicht feststand? Der natürliche Ausweg bestand selbstverständlich darin, bis zur letzten Minute Neutralität zu wahren, keine Brücken abzubrechen, die Neutralität weder in der einen noch in der anderen Richtung zu verletzen. Das war jedoch nur Theorie. In der Praxis war es klar, dass die Neutralität gewisse Grenzen haben musste, jenseits deren die Neutralität selbst die Brücken in die eine oder andere oder sogar in beide Richtungen zum Einsturz bringen konnte. Hier bedurfte es besonderer Wachsamkeit, Elastizität und Beweglichkeit.

Das war aber nur der Anfang. Die wahre Tragödie begann danach. Was sollte man tun, wenn die Volksrevolution den Zarismus von der Erdoberfläche ganz weggefegt hatte? Die Macht aus den Händen des Zarismus zu übernehmen, war das Natürliche. Sich mit dem Zarismus auf die Revolution zu stürzen, falls diese versuchen sollte, in einem Streich zugleich mit dem Zarismus auch die Macht der Bourgeoisie hinwegzufegen – das war noch natürlicher und absolut notwendig. Hierüber konnte es keinen Zweifel geben. Was aber tun, wenn die Lage des Zarismus zwar hoffnungslos war, es auf der anderen Seite jedoch nicht ausgeschlossen erschien, sich an die Spitze dieser Revolution setzen zu können? Sollte man dann die Macht aus den Händen der Revolution und der Demokratie übernehmen, wenn diese Herrinnen der Lage geworden wären?

Man muss sich alle hieraus resultierenden Perspektiven einmal vergegenwärtigen und das ungeheure Risiko verstehen. Denn gerade auf diesem Weg verbargen sich für den Nationalliberalismus, falls die Demokratie ihre Rolle in der Revolution richtig erfüllte, die Hauptgefahren. Gerade er, der Bannerträger aller Zukunftshoffnungen, konnte sich plötzlich in der Gegenwart mit leeren Händen vorfinden und gezwungen sein, auf die »Großmacht Russland« ein Kreuz setzen zu müssen. War es unter diesen Umständen nicht besser, einem so riskanten Versuch, diesem Abenteuer, auszuweichen? War es nicht besser, auf alle Möglichkeiten der »Ausnützung«, der »Anführung« der Revolution zu verzichten, sich von ihr abzugrenzen und sich gemeinsam mit den noch vorhandenen Resten des Zarismus mit aller Macht auf sie zu stürzen? Darin lag zwar auch ein Risiko, aber vielleicht war es geringer? Und war es nicht überhaupt besser, rascher einen Entschluss zu fassen, rascher die zur Schau getragene Neutralität zu beenden?

Ich zweifelte nicht daran, dass Miljukow (und vielleicht er allein) sich über alle diese Argumente des »Pro« und »Kontra« Rechenschaft ablegte. Und von ihm hing mehr als von jedem anderen die praktische Lösung dieser verwünschten Fragen ab. Wie sollte Miljukow diese Probleme lösen, und wie würden sie folglich in praxi in den kommenden Stunden gelöst werden? … Es ist verständlich, dass ein Gespräch mit Miljukow für mich von ganz außerordentlichem Interesse sein musste.“

Miljukows Stellung zur Revolution

Allerdings stand ein solches Gespräch keineswegs in meiner Absicht. Ich konnte mit Miljukow nicht wie mit einem persönlichen Bekannten sprechen … Die Unterredung war aber schon unabhängig von meinem Willen durch Jefremow und Konowalow eingeleitet worden, und es war mein Los, sie fortzusetzen. Ich stellte mich dem herangetretenen Miljukow vor. »Ihr ärgster Feind«, fügte ich scherzhaft hinzu in dem Wunsch, unserem Gespräch von Anfang an einen völlig privaten Charakter zu geben.

»Sehr angenehm«, antwortete Miljukow in irgendwie unangemessen ernstem Ton. Nachdem ich den Vorbehalt angemeldet und unterstrichen hatte, dass der Anlass zu diesem »Interview« meine persönliche Neugier war, sagte ich zu Miljukow dem Inhalt nach Folgendes: In diesem Augenblick versammelt sich einige Räume weiter der Sowjet der Arbeiterdeputierten. Der Erfolg des Volksaufstandes bedeutet, dass in einigen Stunden in seinen Händen, wenn nicht die offizielle, so doch die tatsächliche Gewalt im Staate oder zumindest in Petersburg liegen wird. Bei der Kapitulation des Zarismus wird dieser Sowjet Herr der Lage sein. Es wird bei dieser Sachlage nicht zu vermeiden sein, dass die Forderungen des Volkes extreme Ausmaße annehmen werden. Es liegt zurzeit in keines Manns Interesse, die Bewegung zu forcieren, sie klettert ohnehin schon zu schnell bergauf. Es würde aber ungeheure Anstrengungen erfordern, sie in bestimmten Grenzen zu halten. Darüber hinaus muss ein Versuch, die Forderungen des Volkes zu bremsen, eine ziemlich riskante Angelegenheit sein, denn das könnte die leitenden Gruppen der Demokratie in den Augen des Volkes diskreditieren. Die Bewegung kann jeden organisierten Rahmen sprengen und sich zu einer nicht mehr zu beherrschenden Naturgewalt entwickeln. Auf jeden Fall müssen sorgfältig die Grenzen abgesteckt werden, innerhalb deren es vernünftig ist zu versuchen, die Bewegung zu lenken. Dazu ist es aber erforderlich, zu wissen, was durch diese riskanten Versuche konkret erreicht werden kann. Hat es einen Sinn, diese Versuche zu unternehmen, und, wenn ja, welchen? Kann man durch solche Versuche die Mitwirkung der von Ihnen hier vertretenen Kreise bei der Liquidierung des Zarismus erkaufen? Und kann man damit rechnen, dass diese Kreise unter diesen Bedingungen bereit sein werden, eine revolutionäre Macht zu bilden, die imstande ist, das neue Regime zu festigen – vorausgesetzt, dass diese Macht gewisse Forderungen, die sich aus dem elementaren Programm der Demokratie ergeben, erfüllt? … »Welche Haltung nehmen Ihre Kreise – die des Progressiven Blocks und die des Provisorischen Komitees der Reichsduma – ein?« fragte ich weiter. »Haben Sie die Absicht, jetzt, da wir uns in einem Zustand der Revolution befinden, die Staatsmacht in Ihre Hände zu nehmen?«

Vielleicht sagte ich mehr, als man dem »ärgsten Feind« sagen sollte. … Auf jeden Fall konnte man meinen Worten entnehmen, dass es in der demokratischen Welt – und sogar in der »linken« demokratischen Welt – Kreise gab, die, wenn vielleicht auch nicht einflussreich, so doch an der Bildung einer bürgerlichen Gewalt Interesse hatten, diesen Vorgang für die Festigung der Revolution als notwendig betrachteten und sogar bereit waren, dieses Zieles wegen für diesen oder jenen Kompromiss einzutreten. … Umso interessanter und charakteristischer war die Antwort Miljukows, deren Wortlaut ich zwar nicht beschwören kann, für deren genauen Sinn ich mich aber voll und ganz verbürge:

»Zunächst einmal gehöre ich einer Partei an, die in ihren Handlungen an die Entscheidungen eines größeren Kollektivs, nämlich des Progressiven Blocks, gebunden ist. Ohne diesen, mit dem sie ein Ganzes bildet, kann sie nichts unternehmen und nichts entscheiden. Ferner haben wir als verantwortungsbewusste Opposition zweifellos die Macht angestrebt und sind den Weg zur Macht gegangen, aber wir strebten nicht auf dem Weg über die Revolution zur Macht. Wir haben diesen Weg abgelehnt, es war nicht unser Weg. …«

Es reichte mir. In dieser Antwort spiegelte sich wie in einem Wassertropfen der ganze Charakter unseres Liberalismus mit seinem Fuchsschwanz und seinen Wolfszähnen, seiner Feigheit, Schwäche und reaktionären Einstellung. … In der entscheidenden Stunde, angesichts der von mir vorgetragenen elementaren Überlegungen wusste der monopolistische Vertreter der progressiven Bourgeoisie nichts Anderes zu sagen, als über den »Progressiven Block« zu lallen, und keine andere Entscheidung zu treffen, als im Augenblick der Revolution genauso zu handeln, wie er vor der Revolution ohne die Revolution gehandelt hatte!

Die Situation war jedenfalls klar. Es war unmöglich, darauf zu bauen, dass die Bourgeoisie, vertreten durch den Progressiven Block und das Dumakomitee, die Revolution aufgreifen und unterstützen, sich ihr anschließen werde, und sei es auch nur zeitweilig und formell. Es musste davon ausgegangen werden, dass, wenn die Revolution weiter und zu Ende geführt und dann gefestigt werden sollte, die Demokratie bereit sein musste, die ganze Last dieser Heldentat gegen die vereinten Kräfte des Zarismus und aller besitzenden Klassen allein auf sich zu nehmen.

Miljukow wollte fortfahren, seine Gedanken im gleichen Stile fortzuspinnen. Ich aber hatte genug. Ich bedankte mich für seine Liebenswürdigkeit und eilte in die Versammlung des Sowjets der Arbeiterdeputierten. …“

Die Gründung des Sowjets

„Zehntausende von Menschen aller Altersstufen und Stände waren gekommen, um die Geburt der Revolution unmittelbar am Ursprung zu erleben. … In den Sälen drängte sich schon so viel Volk, wie das Palais überhaupt fassen konnte. Es hieß aber, dass auf der Straße noch mehr stünden und dass die Wachen der Militärkommission das Volk kaum noch zu zügeln vermöchten. …

Als die Sitzung eröffnet wurde, hatten sich etwa 250 Abgeordnete zusammengefunden. Doch immer neue Gruppen von Menschen trafen ein, Gott allein weiß, mit welchen Mandaten, Vollmachten und Zielen … Wie sollte in dieser entscheidenden Stunde der Revolution die Tagesordnung für diese bevollmächtigte Versammlung der Vertreter der Demokratie aussehen? Es war klar, dass das politische Problem jetzt auf keinen Fall in den Vordergrund geschoben werden durfte. Dagegen gab es Angelegenheiten auf der technischen Seite der Revolution, die durch den Druck der Ereignisse völlig unaufschiebbar geworden waren.

Meine zufälligen Gesprächspartner über die Tagesordnung hatten zweifellos Recht: Die Bewegung würde unterdrückt werden, wenn nicht Sofortmaßnahmen auf dem Gebiet der Wirtschaft, also der Organisation der Versorgung der Hauptstadt, ferner zum Schutz der Stadt und zur Unterbindung der Anarchie sowie schließlich zur Mobilisierung der Kräfte der örtlichen Garnison und der arbeitenden Bevölkerung für das Zurückwerfen eines möglichen Angriffs auf Petersburg … Diese technischen Aspekte der Revolution konnte niemand außer dem Sowjet der Arbeiterdeputierten wahrnehmen. …

Der spontan eingebrachte Vorschlag, die Revolutionsarmee und das Proletariat der Hauptstadt zu vereinigen und eine einheitliche Organisation zu bilden, die fortan Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten heißen sollte, wurde unter stürmischen Applaus angenommen. …

Im Katharina-Saal und in der Vorhalle standen mit Gewehren bewaffnete Soldaten, die jemand zur Aufrechterhaltung der Ordnung aufgestellt haben musste, in Gruppen oder in Ketten, die jedoch leicht durchbrochen wurden. Andere Soldaten saßen auf dem Fußboden; sie hatten ihre Gewehre zu Pyramiden zusammengestellt und aßen ihre Abendmahlzeit, Brot, Heringe und Tee. Andere wiederum hatten sich auf dem Boden ausgestreckt und schliefen bereits. … Während der ganzen Revolution sollte das Taurische Palais des Öfteren dieses Bild bieten. …“

Die Situation in Petrograd

„Es interessierte mich mehr, die letzten objektiven Nachrichten aus der Stadt zu sammeln. Es gab sie, und sie waren keineswegs unwichtig. Die Peter-und-Paul-Festung war gefallen, das war das erste. Die Kapitulation dieser jahrhundertealten Zitadelle der Zaren vollzog sich bekanntlich als eine »friedliche Eroberung« der Revolution: Die Festung kapitulierte ohne einen einzigen Schuss und mit dem gesamten Offizierskorps. Doch in dem Augenblick, in dem ich diese Nachricht erfuhr, war sie noch verfrüht. Die Festung fiel erst, nachdem sich das Provisorische Komitee der Duma der Revolution angeschlossen und mit dem Festungskommandanten Verhandlungen geführt hatte.

Dann gab es eine zweite Neuigkeit: Die zaristische Regierung hatte sich in der Admiralität eingeschlossen, die von regierungstreuen Truppen und Artillerie verteidigt wurde. Die Revolutionstruppen, hieß es, stürmten die Admiralität, ebenfalls mit Artillerieunterstützung auf Befehl der Militärkommission. Dieser »Sturm« fand bekanntlich auch nie statt. In Wirklichkeit liefen die »treuen« Truppen am nächsten Tag davon, und die zaristischen Minister versteckten sich für kurze Zeit in anderen Asylen. … Immerhin war diese Meldung ziemlich beunruhigend, weil sie den Beweis für eine Aktivität zaristischer Truppen lieferte.

Dafür machte die dritte Neuigkeit alles wett: Kronstadt hatte sich vollzählig der Revolution angeschlossen. … Diese Meldung anzuzweifeln bestand kein Anlass. Der Ruf Kronstadts war zu eindeutig und zu sehr verdient. …

Später konnten wir uns davon überzeugen, dass alle Versuche, Truppen zur Unterwerfung Petersburgs zu schicken, ergebnislos verliefen. Der Marsch »Judas« Iwanows7 und anderer Generale endete in Schande. Alle »treuen« Einheiten blieben treu und gehorchten ihren Vorgesetzten nur bis zu den Bahnhöfen, dann gingen sie sofort auf die Seite der Revolution über, gefolgt von den Vorgesetzten. In den Tagen der Kornilow-Offensive sollte ich noch Dutzende von Malen meine Umgebung an diese Tatsache erinnern, weil ich keine Sekunde glaubte, Kornilow könnte bis Petersburg kommen und die Stadt »zähmen«. Damals freilich, in jenen kritischen Minuten, erschien alles in einem ganz anderen Licht. …“

Das Duma-Komitee übernimmt die Regierung

„Alle geschilderten Meldungen über die laufenden Ereignisse betrafen die Technik, die Strategie der Revolution. Was geschah aber in dieser Zeit im Bereich der »großen Politik«?

Nach meiner Rückkehr in das Zimmer des Vizepräsidenten konnte ich lediglich erfahren, dass Rodsjanko schon seit geraumer Zeit und durchaus wohlbehalten von der Exkursion heimgekehrt war, die er unternommen hatte, um »letzte Warnungen« auszusprechen und einen letzten Versuch zu machen, aus dem Zarismus und der Bourgeoisie eine »Einheitsfront« gegen die Volksrevolution zu schmieden. Damit kam er allerdings zu spät. Erstens war die Volksrevolution nicht gewillt zu warten, bis sich die feindlichen Kräfte mobilisierten. Sie war schon so weit fortgeschritten, dass sogar Blinde erkennen konnten, wie fruchtlos das Austüfteln konterrevolutionärer »Kombinationen« in den Kreisen des Kabinetts sein musste. Zweitens konnte das letzte zaristische »Ministerkabinett« Rodsjanko nicht für Verhandlungen zur Verfügung stehen: Es saß fest in der Admiralität und war nicht mit »Kombinationen« beschäftigt, sondern mit der eigenen Sicherheit. Ich weiß nicht, wen Rodsjanko gefunden hatte und mit wem er im Namen der Reichsduma und aller besitzenden Klassen verhandelte. Aber es war im Verlauf dieser Stunden klargeworden, dass die Taktik, die darin bestand, die Revolution durch eine »Einheitsfront« mit den Kräften des Zarismus zu überwinden, sicherlich schon riskanter geworden war als die andere Taktik, nämlich die der Überwindung der Demokratie durch den Versuch, die Revolution auszunützen und zu zügeln, indem man sich ihr anschloss und sich an ihre Spitze stellte. …

Unser Aufruf8 konnte nicht warten, und wir arbeiteten eifrig. … Die Arbeit kam ziemlich zäh voran. Ich saß am Schreibtisch, um den unsere »Kommission« Platz genommen hatte, und notierte die einzelnen Sätze, die meine Kollegen gemeinsam diktierten. Wir beschlossen, jedwede Politik aus dem Aufruf zu verbannen und darin lediglich eine ganz knappe Aufklärung über die Ereignisse zu geben, die Bildung einer Zentrale der revolutionären Demokratie in Gestalt des Sowjets der Arbeiterdeputierten mitzuteilen und die Bevölkerung aufzurufen, für die Organisation und Aufrechterhaltung der Ordnung zu sorgen. Nur am Ende wurde die Konstituierende Versammlung als eine Verkörperung des demokratischen Regimes erwähnt, das als Ziel der Revolution verkündet wurde.

Wir arbeiteten seit etwa 15 Minuten. Es war gegen Mitternacht. In diesem Augenblick trat Miljukow aus dem Arbeitszimmer von Rodsjanko. Als er unsere Gruppe sah, kam er direkt auf uns zu. Er machte einen feierlichen Eindruck, und ein gepresstes Lächeln spielte auf seinen Lippen: »Es ist beschlossen«, sagte er. »Wir übernehmen die Macht. « …

Ich fragte nicht, wer unter »wir« zu verstehen sei. Ich fragte überhaupt nichts mehr. Ich fühlte jedoch, wie man so sagt, mit meinem ganzen Wesen die neue Lage, die neue, günstige Konjunktur für die Revolution und die neuen Aufgaben der Demokratie, die ihr von diesem Moment an erwuchsen. Ich fühlte, wie das Schiff der Revolution, das alle diese Stunden vom Sturm herrenlos hin- und hergeworfen worden war, nun die Segel gesetzt hatte, wie seine Bewegungen inmitten des fürchterlichen Sturmes und Schaukelns Stetigkeit und Gesetzmäßigkeit angenommen hatten und wie es durch die Untiefen und Riffe hindurch festen Kurs auf einen fernen, im Nebel noch unerkennbaren, aber wohlbekannten Punkt genommen hatte. Jetzt war die Takelung in Ordnung, die Maschine lief, es ging nur noch darum, das Schiff geschickt durch die Hindernisse zu manövrieren.

In meinen Augen war die Festigung des Umsturzes jetzt gesichert und die ununterbrochene Arbeit des gesamten Staatsapparates voll gewährleistet: Der Umsturz konnte nicht mehr durch Hunger und Zerfall abgewürgt werden. Doch jetzt tauchte eine neue Aufgabe für die Demokratie auf: Sie durfte nicht zulassen, dass der vollzogene Umsturz zur Grundlage einer bourgeoisen Diktatur werden könne, sondern musste sicherstellen, dass er zum Ausgangspunkt eines echten Sieges der Demokratie werde. …“

Resumee

Wie erklärt sich die auf den ersten Blick befremdlich erscheinende Erleichterung und Begeisterung Suchanows über die Bereitschaft der Bourgeoisie, die Regierung zu bilden? Warum sah er in dieser Bereitschaft die Chance, dass das „Schiff der Revolution … (nun) einen festen Kurs bekommen würde“?

Der neue Sowjet von 1917 hatte nicht nur eine andere Genesis, sondern auch eine andere soziale Basis als der Sowjet von 1905. Er war kein Sowjet des Petrograder Proletariats mit intellektueller Führung mehr, sondern ein Sowjet, in dem die Delegierten des Proletariats eine Minderheit bildeten. Das von ihm gebildete Exekutivkomitee ging dementsprechend nicht wie in der ersten Revolution 1905 aus der Streikbewegung der Arbeiterschaft hervor, sondern konstituierte sich aus den Kadern der »sozialistischen und radikalen Intelligenzija«, den Vertretern der aufständischen Regimenter sowie den Mitgliedern der Zentralen Arbeitergruppe des Kriegsindustriekomitees, die von der Revolution aus dem Gefängnis befreit worden waren, d.h. aus patriotischen Vaterlandsverteidigern der Menschewiki. Zu ergänzen ist, dass dieses Exekutivkomitee anschließend nicht nur von den Soldatendelegierten, sondern auch von den Arbeiterdelegierten des Sowjets bestätigt wurde.

Faktisch hatte damit die radikale Intelligenz der Hauptstadt die Führung des Sowjets übernommen, parteipolitisch repräsentiert durch das Bündnis von Sozialrevolutionären und Menschewiki. Diese Führung verdeckte die soziale und politische Basis des Sowjets, die mehrheitlich aus der parteipolitisch nicht organisierten Bauernschaft im Soldatenrock bestand. Die daraus resultierenden Konsequenzen schildert Suchanow später in seinem Tagebuch mit beeindruckenden Sätzen: »Die unmittelbare Beteiligung der Armee an der Revolution war nichts anderes als eine Form der Einmischung der Bauernschaft in den revolutionären Prozess gewesen. (…) Jetzt war die Bauernschaft in graue Militärmäntel gekleidet. Das war der erste Punkt. Außerdem fühlte sie sich als Hauptheld der Revolution. Sie stand … nicht abseits, sondern beugte sich hier mit dem vollen Gewicht ihrer Masse und dazu noch mit dem Gewehr in der Hand über die Wiege der Revolution. Und sie erklärte: Ich bin der Herr nicht nur des Landes, nicht nur des russischen Staates, nicht nur der nächsten Periode der russischen Geschichte, ich bin der Herr der Revolution, die ohne mich nicht hätte vollzogen werden können.« (Suchanow, S. 204 f)

Die den Sieg der Februarrevolution sichernde bäuerliche Armee bestimmte letztendlich den politischen Kurs des Sowjets. Ihr Programm war die baldige Beendigung des Krieges und die Verteilung des Landes an die Bauern. Wie aber sollte dieses Programm umgesetzt werden? Wie konnte man den Krieg beenden und wie das Land verteilen, solange der Krieg noch andauerte? Darüber hatte die Bauernschaft keine Vorstellungen. In dieses Vakuum stieß die sozialrevolutionär-menschewistische Sowjetführung mit ihrer Parole: »Die Februarrevolution ist eine bürgerliche Revolution, deshalb muss die Bourgeoisie die Regierung übernehmen.«

Eingedenk der Differenzen in den Reihen der Sowjetführung zu den genannten Fragen war es deutlich klüger, die Regierungsbildung »der Bourgeoisie« zu überlassen und den Sowjet als Kontrollorgan der Regierung zu etablieren. Auf diese Weise war es möglich, den Sowjet ohne ein gemeinsames politisches Programm zu führen und alle Verfehlungen der bürgerlichen Regierung anzulasten. Die Politik der sozialrevolutionär-menschewistischen Sowjetführung reduzierte sich deshalb auf den fortgesetzten Versuch, die bürgerlichen Kräfte in die Regierung zu bringen bzw. dort zu halten und sie durch eine Vereinbarung mit dem Sowjet an die Ergebnisse der Februarrevolution zu fesseln, um so ein vermeintliches Bündnis der Bourgeoisie mit der Konterrevolution gegen den Sowjet zu verhindern. Diese Politik der Sowjetmehrheit wurde in den ersten Monaten auch von der bolschewistischen Parteiführung mitgetragen.

Miljukow und die Doppelherrschaft

„Die große Uhr über dem Haupteingang zum Saal zeigte halb acht. Es war Zeit, den zweiten Tag der Revolution zu beginnen. Ich begab mich zur Militärkommission, die sich für die Mitglieder des Exekutivkomitees als natürlicher Sammelpunkt anbot. Im Katharina-Saal standen wieder Soldatenketten, von denen niemand wusste, wofür sie hier aufgestellt worden waren und was sie bewachten. Soldaten wimmelten hier zu Tausenden. Doch von der Galerie herab konnte ich ein neues Bild sehen. Innerhalb der Kette standen die Soldaten in geordneten Gruppen, es fand irgendeine Ausbildung statt. Die Offiziere stießen die gewöhnlichen Kommandos aus, die Soldaten führten ihre Bewegungen durch, stellten sich in Doppelreihen auf usw. Es sah aus, als werde wenigstens auf einem Gebiet eine gewisse Ordnung geschaffen. …

Das Provisorische Komitee der Reichsduma war bestrebt, die neuen Beziehungen zwischen Offizieren und Soldaten in genau der gleichen Form zu gestalten, wie sie schon unter dem Zarismus bestanden hatten. Es hoffte – und hatte allen Anlass dazu -, dass das Offizierskorps, wenn es sich der Revolution anschlösse und sich der Reichsduma zur Verfügung stellte, zu einem treuen Diener der Bourgeoisie werde. Naturgemäß strebte das Provisorische Komitee auch danach, die »niederen Ränge« in den Händen dieses Offizierskorps zu dem früheren willenlosen Werkzeug werden zu lassen. Die gesamte Armee, die auf diese Weise unverändert aus den Händen des Zaren in die Hände der sich selbst verwaltenden Plutokratie übergetreten wäre, hätte damit die Basis für eine Diktatur dieser Plutokratie und für ihren Kampf gegen die Demokratie abgegeben.

Auch das Exekutivkomitee des Sowjets traf eilig Maßnahmen zur Wiederherstellung der Verbindungen zwischen den verschiedenen Elementen der Armee. Es konnte jedoch nicht zulassen, dass diese Verbindungen die frühere Form der mechanischen Unterordnung und des blinden Gehorsams der demokratischen Masse der Soldaten ihren bürgerlichen Offizieren gegenüber annehmen werde. Man war dabei, unser Staatsleben auf neue Grundlagen zu stellen. Für die Demokratie setzte das unbedingt neue Verhältnisse innerhalb der Armee voraus, die es auf alle Fälle unmöglich machten, dass die Armee für einen Umsturz gegen das Volk im alleinigen Klasseninteresse der Plutokratie eingesetzt werden könnte.

In der Militärkommission hörte ich, der Anführer der neuen Staatsgewalt habe sich trotz der frühen Stunde … in ein Reserveregiment begeben, um dort auf Ersuchen des Offizierskorps einen Vortrag zu halten. Das offizielle Haupt der neuen Macht sollte an diesem Tage mehr als einmal vor Regimentern sprechen, die von den Offizieren zum Taurischen Palais geführt wurden, um sie der Reichsduma »vorzustellen«.

In der Offiziersversammlung des ersten Reserveregiments, wo Miljukow vom gesamten Offizierskorps mit dem Kommandeur an der Spitze erwartet wurde, sagte der neue Minister folgendes: »Die Aufgabe des Komitees besteht darin, die Ordnung wiederherzustellen und die Staatsgewalt zu organisieren. Dafür braucht das Provisorische Komitee unbedingt die Mitwirkung der Militärmacht, die organisiert auftreten soll. Die einzige Gewalt, auf die heute alle hören müssen, ist das Provisorische Komitee der Reichsduma. Es darf keine Doppelgewalt geben…« Doch in seiner Ansprache an die Soldaten unterstrich der Redner, wie wichtig es für diese sei, mit den der Duma ergebenen Offizieren zusammenzustehen.

Den Leibgrenadieren hämmerte Miljukow ein: »Wir müssen organisiert, eins und einer einzigen Gewalt untertan sein. Diese Gewalt ist das Provisorische Komitee der Reichsduma. Diesem muss man sich unterstellen und keiner anderen Gewalt, denn eine doppelte Gewalt9 ist gefährlich. Suchen Sie Ihre Offiziere, die unter dem Kommando der Reichsduma stehen, und unterstellen Sie sich selbst ihrem Befehl. Das ist heute die wichtigste Tagesaufgabe«.

Die Ausklammerung der Kriegsfrage

Miljukow begriff ausgezeichnet, welche Frage als wichtigste auf der Tagesordnung stand. Er war intelligent genug, schon im ersten Augenblick der Revolution, noch ehe geklärt war, wo der Sowjet stand, die spätere Schicksalsfrage – die der Doppelgewalt – als ausschlaggebend zu erkennen.

Es ist interessant und verdient an dieser Stelle vermerkt zu werden, dass das Dumakomitee vorsichtig genug war, in seiner damaligen Agitation die Probleme des Krieges und des Friedens nicht allzu deutlich aufzuwerfen. Der Anführer und Spiritus rector unseres Imperialismus, für den das Problem des Umsturzes gänzlich ein Problem des »Krieges bis zum Ende«, des Krieges für Konstantinopel, für die Dardanellen und für weiß der Teufel noch was war, war sich durchaus bewusst, dass das Herausstellen der Kriegsfrage eine sofortige Reaktion bei der Demokratie hervorrufen musste, und zwar eine so heftige und so eindeutige Reaktion, dass die »Kombination« mit der Dumagewalt dadurch platzen musste.

Der Sowjet seinerseits hat nicht nur darauf verzichtet, die Kriegsfrage hochzuspielen, sondern er hat die zu Beginn der Bewegung verkündeten Antikriegsparolen, deren Forcierung im gegebenen Augenblick unweigerlich zu einem Zusammenbruch der Regierungskombination geführt hätte, von der Tagesordnung gestrichen. Die Anführer des Dumablocks begriffen wohl, dass darauf mit Gegenseitigkeit geantwortet werden musste. Miljukow zog darum vor, sein außenpolitisches Programm (das alte zaristische Programm) zwar unabänderlich, aber allmählich zu verwirklichen. Der Sowjet hatte allerdings auch im Auge, sein Friedensprogramm »allmählich, aber unabänderlich zu verwirklichen«.

So trat der rechte Flügel schon am Morgen des 28. Februar auf der gesamten Front zum Angriff auf die Garnison mit dem Ruf an: »Kehrt in Ruhe zurück in die Kasernen, gehorcht den Offizieren, die der Reichsduma unterstellt sind, und hört auf niemand sonst wegen der Gefahr der Entstehung einer Doppelgewalt!«

Es leuchtet ein, dass unser Exekutivkomitee neben den unaufschiebbaren Aufgaben des inneren Aufbaus unverzüglich Maßnahmen zur Organisation der Agitation ergreifen musste, namentlich unter der Garnison. Ebenso dringend waren Wahlen zum Sowjet in allen Truppenteilen.“

Das Exekutivkomitee nimmt Gestalt an

„Langsam trafen die Mitglieder des Exekutivkomitees im Sitzungssaal des Sowjets ein. Es musste unbedingt eine bequeme oder zumindest abgeschiedene Stelle für die Arbeit des Exekutivkomitees gefunden werden. Ich sah dafür das Zimmer 13 vor – das ehemalige Arbeitszimmer des Vorsitzenden der Budgetkommission -, schrieb einen entsprechenden Zettel und machte ihn an der Tür zwischen dem Sitzungssaal des Sowjets und Zimmer 13 fest. …

Die Sitzung des Exekutivkomitees konnte nun eröffnet werden. Es waren nicht nur alle gewählten Mitglieder versammelt, sondern auch die Vertreter der Parteien, die in das Exekutivkomitee mit Stimmrecht zugelassen werden sollten.

Ich muss mich jetzt etwas über die Zusammensetzung dieses ersten Exekutivkomitees verbreiten, das die Grundlage der Revolution schuf. Dies erscheint mir umso erforderlicher, als die Zusammensetzung, die Haltung und die Rolle dieses ersten leitenden Organs der Politik der revolutionären Demokratie selbst von denen, die es wissen müssten, völlig falsch beschrieben und noch irriger gedeutet wird. …

Demgegenüber kann schon die Zusammensetzung dieser Einrichtung über ihre Physiognomie Aufschluss geben. Der Sowjet hatte in das Exekutivkomitee, wie wir gesehen haben, als Präsidiumsmitglieder die Duma-Abgeordneten Kerenski, Skobelew und Tscheidse, als Sekretäre Gwosdew, Grinewitsch-Schechter, Pankow und Sokolow und als Mitglieder schließlich die nachfolgenden acht Personen (alphabetisch) gewählt: Alexandrowitsch-Dmitrewskij, Belenin-Schljapnikow, Kapelin- skij, Pawlowitsch-Krassikow, Petrow-Salutzkij, Schatrow-Sokolowskij, Steklow-Nachamkes und Suchanow-Himmer. An erster Stelle in dieser Liste ist das Pseudonym angegeben, unter dem der Träger des Namens öffentlich oder literarisch bekannt war und unter dem er in das Exekutivkomitee gewählt wurde. Diese »Pseudonyme« und »Anonyme« erwiesen sich bald als dankbare Quelle für eine Hetze gegen die führenden Persönlichkeiten des Sowjets. …

An dem erwähnten Morgen kamen zu den oben angeführten, gewählten Mitgliedern des Exekutivkomitees noch die Vertreter der Parteien hinzu. Sie erschienen nicht alle auf einmal; einige nahmen erst am nächsten Tag an den Sitzungen teil, andere noch einige Tage später. Doch die Mehrzahl war schon am 28. Februar/13. März anwesend. Es waren von den Bolschewiken: Molotow-Skrjabin, später Stalin-Dshugaschwili, von den Bundisten: Ehrlich und Rafes, der einige Tage später durch Lieber ersetzt wurde, von den Menschewiken: Bogdanow und Baturskij, von den Trudowiki: Bramson und Tschajkowskij (der durch Stankewitsch ersetzt wurde), von den SR: N. S. Russanow und W. M. Sensinow, von den Volkssozialisten: A. W. Peschechonow und Tschernolusskij, von den Sozialdemokraten: der »Meshrajonez« I. Jurenew, von den lettischen Sozialdemokraten: die unzertrennlichen Stutschka und Koslowski. Es mag sein, dass ich den einen oder anderen Namen vergessen oder dadurch einige zu viel erwähnt habe, weil die Vertreter der Parteien der Narodniki-Richtung sich äußerst selten bei den Sitzungen vollzählig einfanden und der rechte Flügel des Exekutivkomitees nicht so stark war, wie es die bloße Aufzählung der angeführten Namen erscheinen lassen könnte.“

Das politische Gesicht des Exekutivkomitees

„An dieser Stelle muss ich noch auf einen wesentlichen Punkt eingehen, nämlich auf das Kräfteverhältnis der verschiedenen Strömungen innerhalb des ersten Exekutivkomitees. Obgleich bei der Wahl seiner Mitglieder auf der ersten Sitzung des Sowjets unbestreitbar eine starke Portion Zufall mitspielte, muss doch folgender Umstand hervorgehoben werden: Der »gewählte« Teil des Exekutivkomitees war sehr weit linksstehend und bestand überwiegend aus Vertretern der Zimmerwald- Richtung. Den rechten Flügel, den der »Vaterlandsverteidiger«, die zunächst kein besonderes Gewicht hatten, aber später eine führende Rolle in der Revolution spielten, bildeten die Vertreter der Parteien, die von ihren Zentralen in das Exekutivkomitee abgestellt worden waren.

Was das Präsidium anbelangt (soweit es in das Exekutivkomitee delegiert worden war), so löste sich Kerenski sofort vom Sowjet, entschwand in den rechten Flügel des Palais und vertauschte anschließend das Taurische Palais gegen das Marien- und das Winterpalais; er tauchte im Exekutivkomitee nur bei besonderen Anlässen auf (insgesamt zwei oder dreimal) und nahm an dessen Arbeit überhaupt nicht teil. Die in das Präsidium gewählten Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion der Duma Skobelew und Tscheidse verharrten in der ersten Periode der Revolution hartnäckig in der Rolle des typischsten und undurchdringlichsten »Sumpfes«; später, nach der Bildung einer festen sozialrevolutionär-opportunistischen, bäuerlich-soldatischen Mehrheit, ließen sie sich von deren tatsächlichen Führern am Zügel führen. Davon wird noch später die Rede sein. …

Den rechten Flügel des »gewählten« Exekutivkomitees stellte ganz allein der Erz-»Vaterlandsverteidiger« Gwosdew dar. Somit hätte die Zimmerwalder Richtung im ersten Exekutivkomitee eine ganz sichere und stabile Mehrheit bilden können. Doch am nächsten Tag, dem 1./14. März, wurde das Exekutivkomitee durch neun Vertreter einer neugebildeten »Soldatensektion« des Sowjets verwässert. In ihrer überwältigenden Mehrheit hatten diese Leute kein klares politisches Gesicht und bildeten bei den ersten Schritten der Revolution einen Sumpf. Als sich die SR-Mehrheit herausschälte, schloss sich der größte Teil von ihnen dieser an, weil er zur »Bauernpartei« strebte. … Am Anfang machten diese neun Soldaten den Boden unter der linken Mehrheit unsicher, doch sie verschoben den Schwerpunkt des Exekutivkomitees nicht und veränderten auch nicht sein Gesicht.

Noch eine andere Eigenschaft des ersten Exekutivkomitees fällt auf: Es war in seiner Zusammensetzung ziemlich kläglich. In den ersten Wochen der Revolution fand man darin keinen der anerkannten Führer der sozialistischen Parteien und keine der künftigen zentralen Gestalten der Revolution. Einige von ihnen saßen in der Verbannung, andere waren im Ausland.

Im Übrigen fanden sich die Leiter des Exekutivkomitees, die die Revolution begonnen hatten, bald danach in der Minderheit und mussten in die Opposition gehen. Die Spitzenrollen übernahmen die alten und bewährten Parteiführer. Jedoch vertraten diese schon andere Strömungen, und sie gaben der Politik des Sowjets ihren eigenen Impuls. Es ist indessen zweifelhaft, ob die Revolution dadurch etwas gewonnen hat, dass sie die bescheidenen Kuckucke gegen die glänzenden Habichte vertauschte.

Die Sitzung des Exekutivkomitees begann schon gegen 11 Uhr. Es scheint mir heute, als habe das Komitee in den ersten Tagen vierundzwanzig Stunden am Tage ununterbrochen gearbeitet. Aber was war das für eine Arbeit! – ein wilder und ermattender Hindernislauf. …“

Wer hat die Macht?

„Zur Popularisierung des Sowjets trug natürlich auch die Tatsache bei, dass die faktische Gewalt oder, richtiger ausgedrückt, die reale Macht – soweit damals überhaupt von einer Macht gesprochen werden konnte – in seinen Händen lag. Das wusste jeder Bürger. Formell lag die Macht zwar beim Dumakomitee, das eine durchaus rege Tätigkeit entfaltete, rasch die Posten und Funktionen unter den Abgeordneten des »Progressiven Blocks«, der »Progressisten« sowie – was sehr bezeichnend ist – der Trudowiki, verteilte und darüber hinaus in der Nacht vor dem 28. Februar/  13. März und an diesem Tage selbst noch Zeit fand, einen ganzen Stoß von Erlassen, Ernennungen, Verfügungen und Aufrufen herauszugeben. Doch es war eine papierne oder, wenn man will, eine »moralische« Gewalt; insbesondere besaß sie keine reale Macht zur Durchführung der nächstliegenden »technischen« Aufgabe, der Wiederherstellung der Ordnung und des normalen Lebens in der Stadt. Wenn jemand über Mittel dazu verfügte, so war es der Sowjet, der die Massen der Arbeiter und Soldaten in seinen Griff zu bekommen begann und darüber verfügen konnte. Es war jedem klar, dass dem Sowjet alle vorhandenen Arbeiterorganisationen zur Verfügung standen, dass es von ihm abhing, die stillstehenden Straßenbahnen, Fabriken, Zeitungen wieder in Gang zu bringen und sogar die Ordnung wiederherzustellen. …“

Resumee

Scheinbar hatte Russland ab März 1917 mit dem Sowjet und der Provisorischen Regierung zwei Machtzentren. Existierte damit eine „Doppelherrschaft“, wie es die bis heute gängige Erklärung dieser Erscheinung ist? Keineswegs. Den Akteuren in der Provisorischen Regierung und der Sowjetführung war die reale Machtverteilung völlig klar, wie es Suchanow beschreibt. Die Macht der Regierung war eine „papierene“, die reale Macht lag beim Sowjet.

Die Provisorische Regierung musste versuchen, dem Sowjet die reale Macht zu entwinden, wenn sie nicht nur eine Regierung von seinen Gnaden führen wollte. Dies erklärt den roten Faden, der die Politik aller provisorischen Regierungen des Revolutionsjahres durchzieht. Sie mussten die Macht des Sowjets entweder zerschlagen (Miljukow, Gutschkow, Kornilow) oder ihn eingrenzen bzw. absterben lassen (Kerenski). Beides scheiterte, denn der Sowjet blieb das gesamte Revolutionsjahr die bestimmende politische und militärische Macht und ließ im Oktober die Provisorische Regierung verhaften.

Das Exekutivkomitee berät über die Regierungsbildung

„Die Beratung begann. Die Wachen und das neue Personal bändigten mit Mühe den Andrang von Leuten, die mit »außerordentlichen« und »unaufschiebbaren« Angelegenheiten zum Komitee vorzudringen suchten.

Der Beginn der Sitzung verlief ziemlich freundschaftlich und sinnvoll. Sehr schnell stellte sich die allgemeine Tendenz heraus, sich an der Regierung nicht zu beteiligen. Niemand trat damals stark, grundsätzlich und konsequent für die Koalition ein. Allerdings nahmen die interessantesten Verfechter der Koalition an dieser Sitzung nicht teil. Jedenfalls verlagerte sich das Schwergewicht der Debatten auf die Ausarbeitung von Bedingungen für die Übergabe der Macht an die Provisorische Regierung, die vom Dumakomitee gebildet werden sollte. Die Tatsache selbst, dass eine großbürgerliche Regierung gebildet werden sollte, wurde als etwas bereits Beschlossenes akzeptiert, und soweit ich mich erinnern kann, gab es damals keine einzige Stimme, die sich dagegen und für eine demokratische Regierung ausgesprochen hätte. Dabei nahmen an der Sitzung von Anfang an der offizielle Bolschewik Salutzkij und der nicht offizielle Krassikow teil, während Schljapnikow dem Exekutivkomitee einige Zeit später den neuen bolschewistischen Vertreter, Molotow, vorstellte. Ein Protokoll wurde auch jetzt nicht geführt.

Aus Kronstadt kam die Nachricht von Offiziersmisshandlungen; Admiral Wiren und andere, hieß es, seien ermordet worden. Das war ein außerordentliches Ereignis, das den krankhaft nervösen Massen zum Signal dienen konnte, unter dem verhassten Offizierskorps ein riesiges Blutbad anzurichten. Diese Neigung musste im Keime erstickt werden. Jemand wurde darum schleunigst nach Kronstadt abgeordnet … Aber es gab noch andere Meldungen über Gewaltakte gegenüber Offizieren. Man beschloss darum, unverzüglich einen Aufruf an die Soldaten zu erlassen, in dem die Lynchjustiz verurteilt und darauf hingewiesen wurde, dass die Masse der Offiziere sich der Revolution angeschlossen habe. Es dürfe darum keine wahllose Massenrache geübt, sondern nur die Schuldigen dürften zur Rechenschaft gezogen werden. Ich entwarf inmitten des Lärmes und der Unordnung eine kurze Proklamation in diesem Sinne, die aber nicht sonderlich gut ausfiel. Steklow übernahm es, sie neu zu redigieren. Dann wurde sie eilig durchgelesen und in die Druckerei geschickt, um abends oder in der Nacht in der Stadt ausgehängt zu werden.

Gegen 18:00 Uhr abends nahm das Komitee seine Sitzung wieder auf und setzte die Beratung über die Frage der Staatsgewalt fort. Diesmal war das Exekutivkomitee – insgesamt über zwanzig Personen – vollzählig anwesend.

Die Diskussionsordnung war folgendermaßen festgelegt worden: Zunächst sollten der Charakter und die Klassenzusammensetzung der ersten revolutionären Regierung festgelegt werden, also ob sie bürgerlich, demokratisch oder eine Koalitionsregierung sein sollte; dann wollte man über die Forderungen sprechen, die der neuen Regierung vorzulegen waren; schließlich stand die personelle Zusammensetzung der Regierung zur Debatte. Bei dem ersten Punkt gab es die meisten Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten. Zwar redete niemand auch nur andeutungsweise von einer sowjetisch-demokratischen Regierung, … dafür lieferten die Anhänger einer Koalition, die gegenüber dem Vormittag eine größere Zahl von Vertretern mobilisiert hatten, eine gründliche Schlacht.

Schließlich wurde mit dreizehn Stimmen gegen sieben oder acht beschlossen, keine Vertreter der Demokratie in das Miljukow-Ministerium zu entsenden und keine Teilnahme an dieser Regierung zu fordern. Dieser Punkt ist wesentlich, denn er ist nicht ohne Bedeutung für die Beurteilung der Meinungsverschiedenheiten mit Kerenski, von denen später die Rede sein wird.

Bei der Diskussion über den zweiten Punkt gab es, soweit ich mich entsinne, fast keine Meinungsverschiedenheiten. Es wurde vorgeschlagen und beschlossen, den Punkt über die politischen Freiheiten durch einen Abschnitt zu erweitern, der die neu erkämpften bürgerlichen Rechte auch auf die Soldaten ausdehnte, die außerhalb des Dienstes einen bürgerlichen Status erhalten sollten. Die ungeheure Bedeutung dieses Punktes dürfte kaum bestritten werden können. Der Kampf der Demokratie um die Armee wurde durch die besondere Herausstellung dieser Bedingung erheblich erleichtert. Dank dieser Tatsache bekam der Sowjet die Armee sehr viel schneller und schmerzloser in seine Gewalt.

Eine weitere Seite derselben Angelegenheit, nämlich der Entwicklung und Sicherstellung der Freiheiten, war die Forderung nach Beseitigung der Polizei und ihre Ersetzung durch eine Volksmiliz, die nicht mehr der Zentralgewalt unterstellt werden sollte. Auch diese Ergänzung hatte eine ungeheure und offensichtliche Tragweite. Man kann sich nur darüber wundern, dass die bewussten proletarischen Elemente in Deutschland, trotz der Lehre der russischen Revolution, anderthalb Jahre später diese unabdingbare und elementare Forderung missachten und die kaiserliche Polizei unangetastet in den Händen der plutokratischen Gegenrevolution Scheidemanns lassen konnten.10 Wie Scheidemann sich in den Januartagen dieses unersetzlichen Werkzeugs unverzüglich bediente, hätte auch Miljukow in den Apriltagen davon Gebrauch gemacht, wenn die Demokratie sie ihm nicht gleich zu Beginn aus den Händen gerissen hätte. …

Zu den Fragen der Einberufung einer konstituierenden Versammlung und der Volksherrschaft wurde vorgeschlagen und beschlossen, erstens möglichst bald und auf möglichst demokratischer Grundlage Gemeindewahlen in den Städten und auf dem Lande durchzuführen und zweitens zu fordern, dass die Regierung keinerlei Schritte unternehme, die die künftige Form der Staatsgewalt präjudizieren könnten – letzteres, damit die konstituierende Versammlung die Frage nach Republik oder Monarchie völlig frei entscheiden könne.

Der letzte Punkt – die personelle Zusammensetzung der Regierung – wurde ohne jegliche Schwierigkeit entschieden. Es wurde beschlossen, sich in diese Angelegenheit nicht einzumischen und es der Bourgeoisie zu überlassen, die Regierung nach Gutdünken zu bilden. … Die Beratung war abgeschlossen, nun mussten diese Beschlüsse des Exekutivkomitees noch von dem Sowjet gebilligt werden.“

Der Befehl Nr. 1

„Es muss schon gegen 20 Uhr gewesen sein. Die Sitzung des Sowjets dauerte noch an, näherte sich jedoch ihrem Ende. Die Zahl der Anwesenden schmolz bereits ebenso wie die der Teilnehmer an den politischen Versammlungen und die des Volkes in den übrigen Sälen des Palais dahin. Der Sowjet beendete gerade die Behandlung von Soldatenfragen und traf praktische Maßnahmen für das Leben der Garnison. Es wurde beschlossen, im Sowjet eine Soldatensektion zu bilden und dafür Wahlen durchzuführen. Jede Kompanie sollte einen Abgeordneten wählen. Dann wurde verordnet, in allen politischen Angelegenheiten nur die Weisungen des Sowjets auszuführen, Weisungen der Militärkommission dagegen nur insoweit, als sie denen des Sowjets nicht widersprachen. Darüber hinaus wurde beschlossen, Richtlinien für die Wahl von Kompanie- und Bataillonskomitees zu erlassen, die für die gesamte innere Führung der Regimenter und Kasernen verantwortlich sein sollten. Das Exekutivkomitee hatte am Zustandekommen dieser Beschlüsse keinen Anteil und leitete auch die Sitzung nicht. Alle Beschlüsse waren buchstäblich die Stimme der Soldatenmassen selbst.

Der Sowjet, der mehrere Stunden ohne Pause intensiv gearbeitet hatte, ging bereits auseinander. Er musste sich aber noch den Bericht des Exekutivkomitees über die Staatsgewalt anhören und das vom Exekutivkomitee vorgesehene Aktionsprogramm billigen. Von einer sorgfältigen Beratung dieses Berichtes konnte jetzt natürlich keine Rede mehr sein. Die Kräfte der in einer solchen Arbeit ungeübten Abgeordneten waren erschöpft. Aber wenigstens die allgemeinen Grundsätze mussten vorab gebilligt werden. Steklow begab sich darum zum Sowjet, um ihm Bericht zu erstatten. …

Als ich etwas später in das Zimmer 13 zurückkehrte, in dem vor kurzem das Exekutivkomitee getagt hatte, bot sich mir folgende Szene: Am Schreibtisch saß N.D. Sokolow und schrieb. Er war von allen Seiten von sitzenden, stehenden und sich über ihn hängenden Soldaten umringt, die ihm entweder etwas diktierten oder ihm suggerierten, was er schreiben sollte. Es stellte sich heraus, dass es sich um die Kommission handelte, die vom Sowjet den Auftrag erhalten hatte, den »Soldatenbefehl« zu entwerfen. Es gab weder Ordnung noch irgendeine Beratung; alle sprachen auf einmal, alle waren zutiefst in ihre Arbeit versunken und formulierten ihre kollektive Meinung ohne jede Abstimmung. Ich blieb stehen und hörte höchst interessiert zu. Als die Arbeit beendet war, setzte man an den Kopf des Blattes die Überschrift: »Befehl Nr.1«. Das ist die Geschichte dieses Dokumentes, das so bekannt werden sollte. Der Befehl war in jeder Hinsicht eine »Volksschöpfung« und in keiner Weise das böswillige Produkt einer Einzelperson oder einer leitenden Gruppe.“

Resumee

Da der Sieg der Revolution auf das Überlaufen der Armee zurückzuführen war, spielten die bäuerlichen Soldaten die entscheidende Rolle in dem Sowjet. Dies wurde sowohl in den ersten Maßregeln des Sowjets als auch in seinem Wahlverfahren deutlich. Der Petersburger Sowjet glich in den ersten Wochen seines Bestehens einer riesigen permanenten Arbeiter- und Soldatenversammlung. wobei die Soldatendelegierten die der Arbeiter um das Zwei- bis Dreifache überstieg.

Die Dominanz der Soldaten spiegelt sich auch in den Beschlüssen des Sowjets wider. Mit seinem »Befehl Nr. 1« verfügte er die Bildung von gewählten Soldatenkomitees in allen militärischen Einheiten von der Kompanie aufwärts, die Unterstellung der Truppenteile in allen politischen Angelegenheiten unter den Sowjet und die Gewährung aller bürgerlichen Freiheitsrechte für die Soldaten. Die Befehle der vom Duma-Komitee eingesetzten militärischen Kommission, die das Oberkommando über die Garnison beanspruchte, sollten nur dann befolgt werden, wenn sie zu den Befehlen und Beschlüssen des Sowjets nicht im Widerspruch standen. Damit besaß der Petersburger Arbeiter- und Soldatenrat die faktische Verfügungsgewalt über die Garnison. Da mit dem Sturz des Zaren bis auf die Armee alle Stützen des alten Regimes von Polizei und Geheimdienst bis zur Beamtenschaft verschwunden waren, um sich dem Volkszorn zu entziehen, gab es keinen Staatapparat mehr, den die Revolution hätte zerschlagen können, und damit verfügte der Sowjet über die Macht im Staat.

Die Verhandlung mit der Provisorischen Regierung

„Es war an der Zeit, eine gemeinsame Sitzung mit dem Dumakomitee zu organisieren, um eine provisorische Regierung zu gründen und ihr Programm festzulegen. Doch die Mitglieder des Exekutivkomitees hatten sich schon in alle Winde zerstreut, ohne dieser »großen Politik« genügend Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. So begab ich mich auf eigenes Risiko in den rechten Flügel, um ein Treffen zu vereinbaren. … Ich bat irgendein Mitglied des Dumakomitees herbeizurufen. Es kam Nekrassow.“

«Und was möchten Sie eigentlich besprechen« fragte er nach meiner Erklärung. Aus seiner Haltung gewann ich den Eindruck, dass man in seinem Komitee unsere entscheidende Begegnung ebenfalls als unausweichlich betrachtete. Weil man sich dort aber über die Stimmungen im sowjetischen Lager keine genaue Rechenschaft ablegte, zog man es offensichtlich vor, eine abwartende Haltung einzunehmen. Vielleicht glaubte man im Dumakomitee, dass man nach der ungehinderten Übernahme der formellen Macht ohne Störung und Einmischung auch die tatsächliche Macht werde erobern und mit eigenen Kräften klammheimlich in der gewünschten Form und in den gewünschten Grenzen festigen können. Vielleicht hatte man dort angenommen, dass die Fragen der allgemeinen Politik zwischen uns – wie bisher – überhaupt nicht aufgeworfen würden. In einem Punkt kann es jedoch keinen Zweifel geben: Das Dumakomitee war tatsächlich bestrebt, sich mit den Vertretern der Demokratie über die »Anarchie« und den »Zerfall der Armee« zu »unterhalten«. Es ist sicher, dass es zu diesem Zweck um unsere »Hilfe« ersuchen wollte, im Bestreben, mit unseren Händen die revolutionäre Armee und das Proletariat sich hörig zu machen. Insofern vermag ich nicht zu sagen, in welchem Maße ich Nekrassow verwunderte oder ärgerte, als ich auf seine Frage antwortete: »Wir werden nicht umhinkönnen, über die allgemeine Lage zu sprechen. Nekrassow überbrachte diese Mitteilung dem Provisorischen Komitee und kehrte zurück mit der Antwort: »Die Vertreter des Sowjets der Arbeiterdeputierten werden um 24 Uhr erwartet«.

Bis Mitternacht war es noch eine knappe halbe Stunde. Bis dahin sollte auch Kerenski zurück sein, und wir – das heißt das Exekutivkomitee – mussten unverzüglich unsere Vertretung zusammenstellen. Doch das Exekutivkomitee war zu dieser Stunde auseinandergegangen und konnte an der Besprechung nicht vollzählig teilnehmen. Dazu bestand aber auch keine Notwendigkeit. Viel schlimmer war, dass es keine formell bevollmächtigte Delegation gab und wir keine Zeit mehr hatten, eine solche zu wählen. Es blieb nichts anderes übrig, als mit den wenigen noch vorhandenen Mitgliedern privat zu sprechen, was zu dem Ergebnis führte, dass die Führung der Verhandlungen vier Personen übertragen wurde: Tscheidse, Sokolow, Steklow und mir.

Kurz nach Mitternacht versammelten wir uns vor der Tür des Dumakomitees. … Wir wurden aufgefordert, in das Beratungszimmer des Dumakomitees zu treten. Es war offensichtlich eine ehemalige Kanzlei mit einer ganzen Reihe von Schreibtischen und gewöhnlichen Stühlen in Behördenanordnung. Hier und da standen noch zwei oder drei verschiedenartige Sessel, aber es gab keinen großen Tisch, an den man sich für eine anständige und korrekte Sitzung hätte setzen können. Hier herrschten nicht das Chaos und die Verwirrung, die man bei uns antraf, dennoch machte das Zimmer einen unordentlichen Eindruck. Es war verraucht, schmutzig, man sah überall Zigarettenreste, Flaschen, unaufgeräumte Gläser, zahlreiche Teller, die einen leer, die anderen noch mit allen möglichen Speisen darauf, bei deren Anblick unsere Augen von Begierde gepackt wurden.

Links vom Eingang, im entferntesten Teil des Zimmers, saß Rodsjanko an einem Tisch und trank Mineralwasser. An einem anderen Tisch ihm gegenüber saß Miljukow über einem Stapel von Akten, Notizen und Telegrammen. Am nächsten Tisch, nahe dem Eingang, saß Nekrassow. Hinter ihm, schon gegenüber der Tür, setzten sich drei oder fünf unbekannte und wenig markante Abgeordnete, die eine reine Zuschauerrolle spielten. In der Mitte des Zimmers, zwischen den Tischen Rodsjankos und Nekrassows, setzten sich auf Sessel und Stühle der zukünftige Ministerpräsident G.E. Lwow, Godnew, Adshemow, Schidlowskij und der andere Lwow, der Prokurator des Heiligen Synods,11 derselbe, der später als Abgesandter Kornilows zu Kerenskij fahren sollte. Hinter ihnen hielt sich, meistens stehend oder wandelnd, Schulgin.

Ob noch jemand anwesend war, weiß ich nicht mehr, kenne auf jeden Fall die Namen nicht. Während der Sitzung bewahrten jedoch nicht nur diese anderen, sondern auch die Mehrzahl der Genannten völliges Stillschweigen. Insbesondere der künftige Regierungschef, Fürst Lwow, sagte während der ganzen Nacht kein einziges Wort …

Einen formell gewählten Vorsitzenden gab es nicht; wer das Wort haben wollte, bat Rodsjanko darum. Es gab auch keine offizielle Konstituierung, Eröffnung und Führung der Sitzung. Das Gespräch trug am Anfang einen eher familiären Charakter. Recht lange wollte es auch nicht die Form einer sachlichen und äußerst verantwortungsvollen Beratung annehmen, und es dauerte noch länger, bis es in der Sache selbst auf das richtige Gleis kam.

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Herren Mitglieder des Dumakomitees ihre kostbare Zeit vergeudet hätten. Sie hatten ja keine rechte Vorstellung von dem, was wir von ihnen wollten, und wussten darum auch nicht, was sie mit uns anfangen und wie sie sich uns gegenüber am »taktvollsten« verhalten sollten. Sie wussten aber sehr wohl, was sie von uns wollten, und bereiteten in halbprivaten Repliken und in kurzen Reden energisch den Boden für eine »Ausnützung« des Sowjets für die eigenen Ziele vor. Vielleicht hofften sie, die Sache werde bei dieser »taktvollen« Behandlung ihr Bewenden haben.

Es ist verständlich, dass das Gespräch mit der »Anarchie« begann, die in der Hauptstadt »herrschte«. Rodsjanko, Miljukow und Nekrassow ergriffen das Wort, um ihr Entsetzen über die Vorgänge zum Ausdruck zu bringen und langatmig einzelne Ausschreitungen zu beschreiben … Sie erzählten Dinge, die uns hinreichend bekannt waren: die Zersetzung der Regimenter, die Gewaltakte gegen Offiziere, Pogrome jeder Art, Zusammenstöße usw. Man war offenbar bestrebt, uns zu »agitieren«, um uns für die Wiederherstellung der »Ordnung« benützen zu können. … Doch die Agitatoren merkten schon nach kurzer Zeit, dass sie offene Türen einrannten. Sie erkannten, dass wir ihnen nicht widersprachen, sondern im Gegenteil ihre Meinung sowohl hinsichtlich der Tatsachen selbst als auch hinsichtlich der Gefahr, die diese für die Revolution darstellten, vollkommen teilten. Daraufhin machten die Anführer des Dumakomitees allmählich direkte Vorschläge für »Kontakte« und für eine Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung…“

Der Sowjet diktiert dem Dumakomitee sein Programm …

„Mir schien, dass man schon genug um die zentrale Frage, um die Situation und um die gegenseitigen Beziehungen, herumredete … Ich ergriff nun zum ersten Mal das Wort und wies darauf hin, dass der Sowjet seine augenblickliche »technische« Hauptaufgabe gerade im Kampf gegen die Anarchie erblicke; dieser Kampf läge nicht minder im Interesse des Sowjets als des Dumakomitees. Doch alle diese Probleme seien, sagte ich, nicht das wesentliche Ziel der laufenden Besprechung. Das Provisorische Komitee der Reichsduma, das die Exekutivgewalt ergriffen habe, sei noch keine Regierung, nicht einmal eine »provisorische«. Diese Regierung sei noch zu bilden, und darüber bestünden bei den leitenden Gruppen der Reichsduma zweifellos ganz bestimmte Absichten und Pläne. Der Sowjet überlasse den großbürgerlichen Elementen die Bildung der provisorischen Regierung, weil er der Ansicht sei, dass es der augenblicklichen allgemeinen Konjunktur und den Interessen der Revolution entspräche. Doch als das organisatorische und ideelle Zentrum der Volksbewegung, als das einzige Organ, das zur Zeit fähig sei, diese Bewegung in die eine oder andere Richtung zu führen, als das einzige Organ, das zur Zeit in der Hauptstadt eine reelle Macht besitze, wünsche er seine Einstellung zu der im rechten Flügel zu bildenden Staatsgewalt darzulegen, klarzustellen, wie er sich deren Aufgaben vorstelle, und zur Vermeidung von Komplikationen die Forderungen anzumelden, die er im Namen der gesamten Demokratie an die von der Revolution gebildete Regierung richte.

Unsere Gesprächspartner konnten gegen eine solche »Tagesordnung« nichts einwenden und bereiteten sich vor, uns anzuhören. Den Bericht erstattete unserer Vereinbarung gemäß Steklow, der sich mit seinem Blatt Papier in der Hand feierlich erhob. … Steklow versuchte unsere Forderungen zu einem Ganzen zusammenzufassen, zu überzeugen, dass sie vernünftig und annehmbar waren, machte hierzu historische Exkurse und beleuchtete sie mit Beispielen aus der europäischen Praxis. Er verweilte besonders auf der Frage der »Überleitung der Armee auf eine allgemeine bürgerliche Basis«, weil er der Ansicht war, dieser Punkt müsse unweigerlich Widerspruch auslösen, und versuchte zu beweisen, dass die Forderung mit der Aufrechterhaltung der Kampffähigkeit der Armee durchaus vereinbar sei.“

… und lässt die entscheidenden Fragen offen

„Die Gesichter vieler der anwesenden »Großbürger« spiegelten Unruhe und Ratlosigkeit wider. Nekrassow jedoch blieb nach meiner Erinnerung völlig ruhig, und von Miljukows Gesicht konnte man sogar Anzeichen einer vollen Zufriedenheit ablesen. Demjenigen, der nicht so sehr der Rede gefolgt als vielmehr das Auditorium beobachtet und versucht hatte, sich in der Gesamtheit der Verhältnisse möglichst richtig zu orientieren, musste diese Tatsache verständlich sein: Miljukow hatte zweifellos außenpolitische Forderungen erwartet; er hatte befürchtet, dass man versuchen werde, ihn an die Verpflichtung zu binden, eine Friedenspolitik durchzuführen. Das war nicht eingetreten, und die Lage des damaligen Führers des großbürgerlichen Russlands, der schon von der Macht gekostet hatte, war dadurch nicht nur äußerst erleichtert worden, sondern ihm waren Minuten seelischer Befriedigung und ein Gefühl des Sieges auf diesem »historischen Treffen« gewährt worden.

Steklow schloss mit der Hoffnung, dass wir uns verständigen könnten und dass das Kabinett unsere Forderungen annehmen und als sein eigenes Programm in die Deklaration aufnehmen werde, die dem Volke die Bildung der neuen, ersten Regierung der Revolution verkünden sollte.

Die Antwort gab Miljukow. Er sprach im Namen des gesamten Dumakomitees, was jeder als selbstverständlich hinnahm. Man sah, dass Miljukow im rechten Flügel nicht nur der Anführer, sondern der Hausherr war. Später äußerten sich auch andere über einzelne Punkte des Programms, doch tatsächlich hatte Miljukow ihre Antwort vorweggenommen.

»Die Bedingungen des Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten«, sagte er, »sind im Allgemeinen annehmbar und können im Großen und Ganzen einem Abkommen zwischen dem Sowjet und dem Komitee der Reichsduma zugrunde gelegt werden. Es gibt jedoch Punkte, die das Komitee entschieden ablehnen muss«.

Miljukow erbat sich das Blatt, auf dem unser Programm niedergeschrieben war, und während er es abschrieb, gab er dazu seine Kommentare … Die Amnestie verstand sich von selbst. Miljukow, der selbst keinen aktiven Schritt machte und nur nachgab, hielt es nicht für gehörig, gegen die Amnestie zu sprechen; er duldete sie bis zum Schluss, während er, zwar nicht gerade gern, aber doch durchaus gehorsam, niederschrieb: »alle Kategorien von Verbrechen: die agrarischen, militärischen, terroristischen«. Das gleiche geschah mit dem zweiten Punkt, der von den politischen Freiheiten, der Aufhebung der religiösen und Standesbeschränkungen handelte usw…. Von Miljukow wurde gefordert, und er gab nach.

Miljukows Kampf zur Erhaltung des Zarismus

Doch der dritte Punkt rief den entschiedenen Widerstand des Führers der künftigen Regierung hervor. Dieser Punkt 3 lautete: »Die Provisorische Regierung soll keine Schritte unternehmen, die die künftige Staatsform präjudizieren würden«. Miljukow aber verteidigte die Monarchie und die Dynastie der Romanows mit Alexej als Zaren und Michail als Regenten.

Für mich persönlich war nicht die Tatsache überraschend, dass Miljukow die Romanow-Monarchie verteidigte, sondern dass er von allen unseren Bedingungen gerade diesen Punkt zum Hauptstreitobjekt erhob. Jetzt verstehe ich ihn allerdings gut und finde, dass er, von seinem Standpunkt aus gesehen, viel Scharfsinn bewies. Er kalkulierte, dass er unter einem Zaren aus dem Hause der Romanows, vielleicht überhaupt nur unter diesem, die bevorstehende Schlacht gewinnen und das ungeheure Risiko rechtfertigen könne, das die gesamte Bourgeoisie als herrschende Klasse durch seine Person einging. Er rechnete damit, dass unter einem Romanow sich das übrige auf irgendeine Weise geben werde. Die Freiheiten für die Armeeangehörigen, »irgendeine« konstituierende Versammlung fürchtete er darum vergleichsweise weniger und hielt sie für annehmbare und überwindbare Hindernisse.

Seine Mitstreiter, in ihrer Mehrzahl im Vergleich zu ihm einfache Bürger, die damals noch dazu von einem »revolutionären Enthusiasmus« erfasst waren, verstanden von dieser Angelegenheit und ihren möglichen Folgen ziemlich wenig. Die übrigen Dumamitglieder, und zwar fast bis zu Rodsjanko aufwärts, krallten sich keineswegs so fest an die Monarchie und an die Romanows. So glitt Miljukow von der Stellung eines Führers der Opposition unversehens auf den äußersten rechten Flügel ab. Er erlitt Schiffbruch, aber er wusste, was er tat.

Allerdings war seine Situation äußerst schwierig. In unserer Gegenwart konnte er seine Argumente natürlich nicht offen darlegen, ja nicht einmal andeuten. Seine Position hinsichtlich des »3. Punktes« war darum äußerst schwach, wenn nicht sogar unartikuliert, was jedoch seiner Hartnäckigkeit keinen Abbruch tat. Er unterbreitete uns »liberale Angebote« und wies darauf hin, dass die Romanows jetzt nicht mehr gefährlich sein könnten. Nikolaus, sagte er, sei auch für ihn unannehmbar und müsse beseitigt werden. Mit gespielter Naivität versuchte er, uns zu überzeugen, dass seine »Kombination« für die Demokratie annehmbar sei, und sagte von seinen Kandidaten: »Der eine ist ein krankes Kind, der andere ein gänzlich dummer Mensch. …«

Tscheidse und Sokolow unterstrichen demgegenüber in ihren Repliken nicht nur die Unannehmbarkeit, sondern sogar den utopischen Charakter des Planes von Miljukow und verwiesen auf den allgemeinen Hass gegen die Monarchie. Ein Versuch, mit unserer Sanktionierung die Romanows zu stützen, sagten sie, sei undenkbar und völlig absurd. Doch der Anführer der Bourgeoisie blieb unbeugsam, und als er die Fruchtlosigkeit eines weiteren Streites einsah, widmete er sich den übrigen Punkten.

Als nächster sprach Rodsjanko. Soweit ich mich erinnern kann, behandelte er vorwiegend die Frage der Frist für die Einberufung der Konstituierenden Versammlung und der Wahlen dazu. Wir verlangten, dass die vorbereitenden Arbeiten für die Organisation und die Wahlen unverzüglich eingeleitet und die Wahlen selbst so schnell wie möglich durchgeführt würden, ohne Rücksicht auf irgendwelche Umstände. Rodsjanko verwies auf die Unmöglichkeit, diesen Plan während des Krieges zu verwirklichen, insbesondere für die Armee. Seine Ausführungen waren jedoch keineswegs kategorisch, eher sprach er Zweifel aus. Ich kann mich nicht entsinnen, dass er Miljukow in der Frage der Monarchie und der Regentschaft unterstützt hätte. Als nächster sprach Schulgin, der das Schwergewicht auf die Angelegenheiten der Armee legte. Er redete vom Krieg, von dem Sieg, vom Patriotismus und von der außerordentlichen Gefahr, die unser »Kriegsprogramm« in sich berge. Aber auch aus seiner Rede ist mir kein ultimativer Zug in Erinnerung, und hinsichtlich der Monarchie war er – obwohl er sich als Monarchist bekannte – konzilianter als Miljukow. …

Dann war die Reihe an mir. Ich verwies in wenigen Worten darauf, dass die vorgelegten Forderungen erstens ein Minimum und zweitens als absolut kategorisch und endgültig zu betrachten seien. Ich stellte ferner fest, dass unter den Massen jeden Tag und jede Stunde ein unvergleichlich weitgehenderes Programm verbreitet werde, dem die Massen folgen und auch in Zukunft folgen würden. Die führenden Persönlichkeiten unternähmen alle Anstrengungen, um die Bewegung in ein bestimmtes Bett zu lenken und in einem rationalen Rahmen zu halten. Werde dieser Rahmen jedoch unter den gegebenen Bedingungen unvernünftig abgesteckt, entspreche er nicht dem Umfang der Bewegung, dann würde er samt allen von der Regierung projektierten »Kombinationen« von einer elementaren Gewalt hinweggefegt werden. Nur wir seien imstande, diese elementare Gewalt zu zähmen. Folglich liege die tatsächliche Macht bei uns und bei sonst niemandem.

Der Meinungsaustausch über die Kernsätze unserer Forderungen war abgeschlossen, Miljukow ergriff erneut das Wort. »Das waren«, sagte er, »Ihre Forderungen an uns. Wir haben aber auch Forderungen an Sie…«

Jetzt geht es los! dachte ich, denn ich zweifelte nicht, dass nun der Versuch folgen werde, den Sowjet durch die Verpflichtung zu binden, die Regierung zu unterstützen. Aber merkwürdigerweise blieb ein solcher Versuch aus, zumindest nahm er keine klaren Umrisse und keine konkrete Form an. Miljukow begann von etwas ganz anderem zu reden, und zwar von unverzüglichen Maßnahmen des Exekutivkomitees bei der Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung und insbesondere bei der Anbahnung von Kontakten zwischen Soldaten und Offizieren. Er forderte von uns, dass wir eine Erklärung abgäben, in der wir darauf hinwiesen, dass die zustande gekommene Regierung aufgrund eines Übereinkommens mit dem Sowjet gebildet werde; denn die Regierung musste in den Augen der breiten Massen als legitim erscheinen und ihr Vertrauen genießen. Vor allen Dingen aber forderte er, dass in dieser Deklaration die Soldaten aufgefordert würden, die Offiziere anzuerkennen und ihnen Vertrauen entgegenzubringen.“ …

„Miljukow übersah die tatsächliche Situation sehr gut. Er begriff, dass keine Regierung ohne »Übereinkunft« mit dem Sowjet entstehen und existieren konnte. Er begriff, dass es in der Macht des Exekutivkomitees lag, der bürgerlichen Regierung die Gewalt zu übertragen oder zu verweigern. Miljukow sah, dass er die Regierungsgewalt nicht aus den Händen des Monarchen übernahm, wie er es im Verlauf des ganzen vorangegangenen Dezenniums gewünscht hatte, sondern aus den Händen des siegreichen revolutionären Volkes. Wie gut er das begriff und welche Bedeutung er diesem Umstand beimaß, geht schon allein daraus hervor, dass er uns eindringlich bat, unsere Erklärung möglichst zusammen mit der der Regierung zu drucken und anzuschlagen, und zwar möglichst übereinander auf demselben Blatt.“

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Schlussresumee

Ziehen wir zum Schluss das Gesamtresumee der bisherigen Darstellung: Suchanow wie alle anderen Akteure der damaligen Geschehnisse, ob zaristischer Minister oder bolschewistischer Berufsrevolutionär, betrachteten die Vorgänge durch die einzige ihnen historisch vorliegende Brille, die der politischen Revolutionen im Westen Europas. Ihr Blick war nach Westen und nicht nach Russland gerichtet. Dies erschwerte ein Begreifen der historischen Besonderheiten der russischen Entwicklung.12 Russland aber hatte mit seiner durch die Armee organisierten Obscina-Bauernschaft ein anderes soziales und politisches Gesicht als die Länder Westeuropas. Und dieses andere Gesicht trat in der Februarrevolution 1917 deutlich hervor.

Die Revolution siegte durch das Überlaufen der bäuerlich geprägten Armee zu den streikenden und demonstrierenden Arbeitern. Und damit wurde die Bauernschaft und nicht das Proletariat oder die Bourgeoisie zum Hegemon der Revolution im Februar 1917. Das Proletariat organisierte sich als Minderheit in den Sowjets, und die Regierungsbildung durch die Bourgeoisie bedurfte letztendlich der Legitimierung durch den kleinbürgerlich-bäuerlich geprägten Sowjet, der ihr auch das Regierungsprogramm vorgab.13 Diese Entwicklung der Revolution war gänzlich unvorhergesehen und erklärt die Orientierungslosigkeit der politischen Akteure.14

Kommen wir damit noch einmal auf die anfangs zitierte Darstellung der Februarrevolution durch S. Bollinger15 zurück: „All dies ändert nichts an der Tatsache, dass es konservativ-reaktionäre Kreise waren, die in der Revolution zunächst die Macht an sich rissen, den Zaren zur Abdankung drängten und dem Volk nicht einhaltbare Versprechungen machten.“16 Dass die Geschichte der Februarrevolution und die Bildung der ersten Provisorischen Regierung komplexer ablief, als Bollinger es wiedergibt, dürfte dem Leser nach Suchanows Ausführungen klar sein.

Ausgesprochen oder nicht, behandeln gerade die Autoren der Z die russische Revolution mit der Frage nach dem Scheitern der Sowjetunion im Hinterkopf. Diese Fragestellung ist zweifelsohne wesentlich. Doch wenn man auf diesem Weg weiterkommen will, muss man als erstes die Ereignisgeschichte anhand des heute vorliegenden Materials einer neuerlichen Überprüfung unterziehen, anstatt scheinbar unumstößliche Gewissheiten wiederzukäuen oder die Tatsachen schlicht zu ignorieren. Bei der Auftaktrevolution des Revolutionsjahres haben wir gesehen, dass eine solche Überprüfung zu einer anderen Bewertung des Revolutionsprozesses führen muss als bislang im Marxismus üblich. Wenn in Kürze die Frage der Oktoberrevolution auf die Tageordnung tritt, wird sich erweisen, inwieweit die Antworten der Linken tauglicher sind.

1 Bankier und Industrieller

2 Tscherewanin = F.A. Lipkin. Die Liquidatoren verfochten legale Organisationsformen der Arbeiterbewegung unter dem Zarismus und forderten die Auflösung der illegalen Parteiorganisation.

3 Miljukow schildert diesen Vorgang folgendermaßen: „In dem Augenblick, als die Revolution ausbrach, an demselben Tag des 11. März, wurde die Duma auf Grund eines kaiserlichen Erlasses vertagt. … Sie gehorchte dem ergangenen Befehl. Der Duma Ausschuss der an jenem Tage gebildet wurde … war nicht in einer formellen Versammlung der als staatliche Institution handelnden Duma gewählt. Die Wahl fand in einer nicht formellen Versammlung statt, die in privater Weise in einem Nebenraum … abgehalten wurde. Die Duma selbst hatte vom Augenblick ihrer Vertagung an aufgehört als politischer Faktor zu existieren.(P. Miljukow: Rußlands Zusammenbruch, Erster Band, Berlin 1925, S. 28)

4 Vorsitzender der Duma, ukrainischer Großgrundbesitzer, Oktobrist und Kammerherr des Zaren.

5 Gemeint ist u.a. Miljukow: „Das war es auch, was die Duma mit ihrer ausgesprochenen konservativen Mehrheit dazu bewogen hatte, die Petersburger militärische Erhebung vom 11. März bereitwillig mit ihrer Autorität zu decken. Die Zustimmung der Duma in jenem Augenblick war für den Ersterfolg der Revolution von ausschlaggebender Bedeutung. Hätte sich die Duma nicht an die Spitze der Bewegung gestellt, so wären die verantwortlichen Führer der Armee, wie die Generäle Alexejew oder Russkij, nimmer auf die Seite der Revolution getreten. …“ (P. Miljukow: Rußlands Zusammenbruch, Erster Band, Berlin 1925, S. 22-23)

6 Zu den „Kombinationen“ der bürgerlichen Kräfte: Schröder/Karuscheit, S. 38-40

7 General Iwanow war vom Zaren beauftragt worden, die Revolution mit vermeintlich zarentreuen Fronttruppen niederzuwerfen.

8 Suchanow war auf der Sitzung des Sowjets in die „Literarische Kommission“ gewählt worden und hatte den Auftrag erhalten, mit anderen Mitgliedern des Komitees einen Aufruf an die Bevölkerung zu verfassen.

9 Wie zu sehen ist, war es Miljukow, der die Theorie der „Doppelherrschaft“ aufgebracht hat. Er nutzte diesen Begriff, um gegen die bestehende Macht des Sowjets eine neue Macht, die der Provisorischen Regierung, zu begründen. Allein dieses Bemühen kennzeichnet, wer die tatsächliche Macht besaß.

10 Warum dies bei der deutschen Sozialdemokratie nicht verwunderlich, sondern Absicht war, siehe: H. Karuscheit: Die verlorene Demokratie, Hamburg 2017, S. 106 ff

11 Staatliche Kirchenverwaltung

12 Siehe dazu die Vorbemerkung von Schröder/Karuscheit in: Das Revolutionsjahr 1917

13 In einer im Februar 1918 von Trotzki verfassten Schrift, die noch ganz von den Ereignissen des Revolutionsjahres geprägt ist, arbeitet der Autor deutlich die bestimmende Rolle der Bauernschaft für die Vorherrschaft des Kleinbürgertums in den Sowjets heraus. „Die Hegemonie der kleinbürgerlichen Intelligenz (im Sowjet März 1917; A.S.) bedeutete im Grunde genommen die Tatsache, dass das Bauerntum – durch Vermittlung des Kriegsapparates plötzlich zur organisierten Teilnahme am politischen Leben berufen – die Arbeiterklasse numerisch erdrückte und sie vorübergehend verdrängte. Weit mehr noch! Insofern die kleinbürgerlichen Führer durch die Massenarmee zu dieser schwindelnden Höhe erhoben waren, konnte das Proletariat selbst, mit Ausnahme seiner führenden Minderheit, ihnen eine gewisse politische Achtung nicht versagen, konnte nicht unterlassen, ein politisches Bündnis mit ihnen zu suchen, – da dem Proletariat sonst die Gefahr drohte, von dem Bauerntum abgeschnitten zu sein. … Aus diesem Grunde waren auch die proletarischen Massen in der ersten Revolutionsperiode so sehr für die politische Ideologie der Sozialisten-Revolutionäre (gemeint sind die Sozialrevolutionäre; A.S.) und der Menschewiki empfänglich. … Die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten bedeuteten unter diesen Umständen die Herrschaft der bäuerlichen Formlosigkeit über den proletarischen Sozialismus.“ (Leo Trotzki: Von der Oktoberrevolution bis zum Brester Friedensvertrag; Berlin o.J., Hoffmann´s Verlag, S. 8 f)

14 So wird z. B., ohne dass es ihm bewusst wird, der große Kritiker der bäuerlichen Einmischung in die Revolution, N. Suchanow, zum Architekten und Programmgeber der bürgerlichen Regierungsbildung unter der Aufsicht des Sowjets und installiert damit die „Herrschaft der bäuerlichen Formlosigkeit“ nicht nur „über den proletarischen Sozialismus“, wie Trotzki es formulierte, sondern ebenso über die Bourgeoisie.

15 Dr. Stefan Bollinger ist lt. Vorstellung in der Z „Politikwissenschaftler und Historiker“ sowie „Mitglied der Historischen Kommission beim Parteivorstand“ der Linkspartei. Für den damit verbundenen Anspruch ist der Erkenntnisgewinn seines Artikels bescheiden.

16 Miljukow und Co. haben alles andere getan, als „in der Revolution zunächst die Macht an sich zu reißen“, sondern haben nach dem Sieg der Revolution die Regierungsgewalt letztendlich samt Regierungsprogramm aus den Händen des Sowjets empfangen. Sie haben bis zuletzt für die Erhaltung des Zarismus gekämpft und die „nicht einhaltbaren Versprechungen“ hatte die Sowjetführung der Regierung ins Programm geschrieben.