Die Klassen und die Grenzen der Macht.

Eine Antwort auf Wagners Kritik an Stalin

Heiner Karuscheit

Vorbemerkung

Der grundlegende Ansatz unseres Kreises zur Klärung geschichtlicher Fragen bestand bislang darin, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu untersuchen, um auf dieser Basis die Klassen, ihr konkretes Gesicht, ihre Entwicklung und ihr Aufeinanderwirken – mit einem Wort: die Klassenkräfte – zu begreifen, die ein bestimmtes politisches Verhalten hervorrufen. Dieses Herangehen haben wir sowohl im Hinblick auf Deutschland und die deutsche Arbeiterbewegung als auch im Hinblick auf die Oktoberrevolution praktiziert und dabei, so möchte ich behaupten, einige wichtige neue Erkenntnisse gewonnen. So ergab sich, dass der Niedergang der Sowjetunion so wenig durch den „Verrat“ Chruschtschows verursacht war wie das Scheitern der Novemberrevolution durch den Verrat der Sozialdemokratie, sondern dass bestimmte Klassenkonstellationen, die von den damaligen Marxisten nicht oder unzureichend begriffen wurden, zu der jeweiligen Politik führten.

Gegenüber diesem Vorgehen ist Wagners Kritik ein Rückschritt. Früher ein Bewunderer Stalins, empört er sich heute über das in dem Buch „Von der Oktoberrevolution zum Bauernsozialismus“ aus der Entwicklung der Verhältnisse gezogene Fazit, dass die Stalinsche Politik barbarische Züge trug, aber nichtsdestotrotz die Grundlagen des Sozialismus legte. Diese Aussage verdammt er als „zynische Verharmlosung der Verbrechen der KPdSU“ und vertritt als politischen Kernpunkt seiner Kritik: „Ich meine, die Politik Stalins ab 1928 war der wesentliche Grund für das Scheitern des Sozialismus in der UdSSR. (…) Ich meine, die ‚barbarischen‘ Züge des politischen Systems der Sowjetunion hingen mit dem Akkumulationsmodell zusammen. Die Kollektivierung der Landwirtschaft führte in den Bürgerkrieg und konnte nur mit Terror und ‚Kulakenvernichtung‘ durchgeführt werden.“ Mit dieser „Meinung“ reiht er sich in die Reihe der vielen Kritiker ein, die den Sündenfall der Bolschewisten im Abbruch der 1921 begonnenen Neuen Ökonomischen Politik (NÖP bzw. russisch NEP) und in dem damit verknüpften „Großen Sprung“ der Kollektivierung und Industrialisierung sehen.

So wenig wie diese Kritiker entwickelt er aber, wieso die Klassen-konstellation am Ausgang der 20er Jahre die Fortführung der NEP auch in den 30er Jahren tragen konnte. Er schreibt zwar, dass seine Ausführungen sich neben dem Terror der 30er Jahre „auf die Kollektivierung der Landwirtschaft konzentrieren“, und bezieht sich auf ganze „Berge“ an neuer Literatur. Was diese Literatur jedoch zu der angesprochenen Schlüsselfrage hergibt, welche die Basis seiner gesamten Ausführungen bildet, erfahren wir von ihm nicht. Mit keinem Satz begründet er, warum die NEP 1928/29 nicht am Ende war, sondern weiterhin die Grundlage der Wirtschaftsbeziehungen in der Sowjetunion bilden konnte. Darum bleibt uns nichts anderes übrig, als selber die Literatur darauf hin zu lesen, ob unsere seinerzeit getroffenen Aussagen durch neuere Forschungsergebnisse bestätigt werden oder nicht.

1. Das Ende der NEP – die Auflösung eines Gesellschaftsvertrags

Auch auf die Gefahr hin, Allgemeinplätze zu wiederholen, muss Ausgangspunkt aller Analysen der sowjetischen Entwicklung sein, dass die Bolschewiki in der Oktoberrevolution zwar die Staatsmacht erlangt hatten, diese Macht jedoch von der Duldung durch die Bauernschaft abhing. Das hatte sich in der Revolution selber gezeigt, denn die Übernahme der Regierung durch die Bolschewiki und die mit ihnen verbündeten Volkstümler war erst möglich gewesen, als die bäuerlichen Soldatenmassen auf ihre Seite überschwenkten. Und dasselbe zeigte sich 1921, als die Arbeitermacht nach einer Kette von Bauernaufständen an einem seidenen Faden hing und nur deswegen überlebte, weil die Bolschewiki vollständig auf die Forderungen der Bauern eingingen und zwischen Stadt und Land wieder Warenbeziehungen herstellten.

Die in diesem Jahr eingeleitete NEP war weit mehr als eine bestimmte Wirtschaftspolitik, sie war der Gesellschaftsvertrag, auf dem der Arbeiterstaat ruhte. Und zugleich war sie nicht mehr als ein durch den drohenden Untergang erzwungener Kompromiss sowohl zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft als auch zwischen den verschiedenen Flügeln innerhalb der bolschewistischen Partei. Lenin schrieb zwar einmal, dass durch die NEP der Sieg des Sozialismus in 10 bis 20 Jahren sichergestellt sei, aber einen realistischen Plan zum Aufbau des Sozialismus besaß er nicht, wenn man nicht die von ihm angestellten Überlegungen (mehr als einige Gedanken waren es nicht) zum Ausbau des Genossenschaftswesens auf dem Land, um das allmähliche „Hineinwachsen“ der Bauern in den Sozialismus zu organisieren, dazu erklärt.

Für den linken Flügel der Partei mit Trotzki an der Spitze war die NEP von Anfang an keine dauerhafte Perspektive. Trotzki hielt im Kern an der von Marx und Engels verfochtenen Revolutionsstrategie der Machteroberung im kapitalistisch entwickelten Westen fest und vertrat, dass der Sozialismus in Russland nur im Gleichklang mit der internationalen Revolution errichtet werden könne. Folgerichtig setzte er seine Hauptbemühungen auf die Organisierung dieser Revolution, zur damaligen Zeit insbesondere in Deutschland, das allseits als nächster Revolutionskandidat angesehen wurde.

Trotzki war es auch, der den Begriff der Scherenkrise propagierte, um das Grundübel der NEP zu charakterisieren: die russische Industrie war nicht in der Lage, genügend Waren für die Bauernschaft zu produzieren. Die Bauern hatten daher keinen Grund, mehr als notwendig an Getreide zu verkaufen, weil sie mit dem Geld, das sie dafür erhielten, keine Waren kaufen konnten. Umgekehrt gab es für die Staatsmacht jedes Jahr nach der Ernte dieselbe Zitterpartie, bis klar war, ob man genügend Getreide bekommen hatte, um die Städte zu ernähren und einen Teil ins Ausland zu verkaufen, damit man für die erworbenen Devisen Maschinerie erwerben konnte (Kredite wurden dem revolutionären Russland nicht gewährt). Ohne diese Maschinen konnte die Produktion nicht gesteigert werden, hatten die Bauern mangels Waren weiterhin keinen Grund zu verkaufen usw. usf.

Vor allem war offen, wie die Mittel akkumuliert werden sollten, um neben dem Ausbau der „normalen“ Produktion so schnell wie möglich die schwerindustrielle Basis zu schaffen, die für eine umfassende Entwicklung der Industrieproduktion erforderlich war. Schließlich dauerte es viele Jahre von der Erschließung neuer Kohlezechen und Erzminen plus dem Aufbau von Stahlwerken, bevor der erste Stahl geliefert werden konnte.

Deswegen hatte Trotzkis Position vieles für sich – bis auf die Tatsache, dass die Weltrevolution ausblieb. Nachdem die revolutionäre Nachkriegswelle in Europa 1923 definitiv abgeflaut und auch in Deutschland kein Umsturz erfolgt war, sondern eine Phase der relativen Stabilisierung einsetzte, war Trotzki mit seiner Revolutionsstrategie am Ende. 1924 schloss sich eine Mehrheit in der bolschewistischen Partei Stalins Position an, den „Sozialismus in einem Land“ aufzubauen. Ihnen war der sowjetrussische Spatz in der Hand lieber als die weltrevolutionäre Taube auf dem Dach.

1927 verabschiedete der 15. Parteitag die Richtlinien für den ersten Fünfjahrplan, der die ersten Schritte zum Aufbau des Sozialismus realisieren sollte. Kaum waren die Richtlinien jedoch abgesegnet, da zeigte sich Ende des Jahres, dass die staatlichen Großhandelsorganisationen nicht genügend Getreide hatten ankaufen können, um die städtische Bevölkerung zu ernähren, geschweige denn Auslandsverkäufe zu tätigen, obwohl die Ernte gut ausgefallen war. Angesichts des drohenden Hungers blieb nichts anderes übrig, als im Winter 1927/28 schnellstmöglich Getreide zu requirieren, d.h., zwangsweise aufzukaufen. Gleichzeitig wurden die Lebensmittel in den Städten rationiert. Als vor der neuen Ernte des Sommers 1928 das eingesammelte Getreide erneut zu Ende ging, kaufte die Regierung sogar Getreide im Ausland, um die Städte zu versorgen1.

Während der Getreide-Ankaufperiode 1927 waren die staatlichen Festpreise leicht gesenkt worden, weil alle Fachleute davon ausgingen, dass es wegen der guten Ernte ein Überangebot an Getreide gab. Daher konnte man meinen, dass der Staat die Versorgungsknappheit selber verursacht hatte. Das Jahr 1928 zeigte jedoch, dass das Problem tiefer lag. Vor der diesjährigen Ernte beschloss das ZK nämlich im Juli, die staatlichen Ankaufpreise für Getreide je nach Getreidesorte und Region um 10-20 % zu erhöhen, d.h. die Preissenkung des Vorjahrs rückgängig zu machen, teils sogar darüber hinaus zu gehen. Auf derselben ZK-Sitzung wurde zur Beruhigung der Bauern bestätigt, dass die NEP Grundlage der sowjetischen Wirtschaftspolitik bleiben würde. Am Ende des Jahres stand die Staatsmacht jedoch wieder vor derselben Situation. Trotz höherer Preise verkauften die Bauern nicht genug Getreide – warum auch? Geld besaßen sie (jedenfalls ihre bessergestellten Teile, insbesondere die sogenannten Kulaken, die das meiste Überschussgetreide besaßen) noch genügend aus den Vorjahren, aber zu kaufen gab es nichts dafür. Außerdem entwertete sich der Rubel schleichend, weil zu viel Geld im Verhältnis zu den produzierten Waren im Umlauf war. Etwas Geld brauchte man, um die Steuern zu zahlen, aber was sollte man darüber hinaus mit den Rubelscheinen anfangen?

Um die trotz Lebensmittelrationierung erneut drohende Hungersnot in den Städten zu verhindern, verlangten Bucharin und Rykow, wieder Getreide zu importieren. „Das hätte bedeutet, erhebliche Devisenmittel auszugeben, die für den Kauf von Industrieausrüstungen vorgesehen waren. Dass ein Agrarland, ein Bauernland Getreide importieren sollte – diese offensichtlich paradoxe Tatsache war der Beweis dafür, dass die ‚traditionelle‘ NEP nicht mehr funktionierte.“2 Die von Bucharin und Rykow vorgeschlagene Lösung hätte eine Kapitulation vor der Bauernschaft bedeutet. Sie war vor allem politisch nicht durchsetzbar, denn die soziale Basis der Kommunisten, die revolutionserfahrene und selbstbewusste russische Arbeiterschaft, war nicht länger bereit, ihr Schicksal und die Zukunft der Revolution der Bauernschaft zu überlassen.

Nicht nur der bolschewistischen Partei, auch den Arbeitern war es 1921 schwer gefallen, den Übergang zur NEP zu akzeptieren.3 Je länger die NEP aber dauerte, desto tiefer wurden ihre Widersprüche. So wenig die staatskapitalistische Industrie den Warenhunger der Bauernschaft befriedigen konnte, so wenig konnte sie die wachsende Arbeitsbevölkerung beschäftigen. Die Arbeitslosigkeit stieg von 160.000 im Jahr 1922 auf 1,47 Millionen Arbeiter im April des Jahres 1927, verzehnfachte sich also nahezu. In Moskau, neben Petersburg/Leningrad dem zweiten industriellen Zentrum des Landes, lag die Arbeitslosenrate 1927 bei 20 %.4 Gleichzeitig standen Millionen bäuerlicher Arbeitskräfte vor den Toren der Städte, denn angesichts der Bevölkerungszunahme hatten immer mehr Bauern Schwierigkeiten, sich und die Kinder von ihren kleinen Landstücken zu ernähren. Die mächtigen Gewerkschaften hatten bereits Zuzugsbeschränkungen in die Städte durchgesetzt, um den wachsenden Druck auf die Löhne „von unten“, durch die arbeitssuchenden Armen, zu verhindern. Geholfen hatte es wenig, denn die Elendsviertel in den Vorstädten wucherten weiter, gleich ob legal oder illegal, und mit ihnen nahmen Bettelei, Prostitution und Korruption zu, während gleichzeitig die städtischen NEP-Profiteure, die „Fratzen der NÖP“, ihren wachsenden Reichtum zur Schau stellten. Je länger die NEP dauerte, desto mehr zerfiel die Gesellschaft – wie bei jeder Agrargesellschaft, in welcher ein keimender Kapitalismus die hergebrachten Verhältnisse zersetzt, heute im Riesenmaßstab zu studieren am Beispiel Chinas.

Angesichts dieser Entwicklung hatten sich Sinowjew und Kamenew 1925 den Positionen Trotzkis angenähert, und seit dem Frühsommer 1926 attackierte die „Vereinigte Opposition“ gemeinsam die Fortsetzung der NEP und deren Hauptträger, Bucharin und Stalin. Bis dato hatten sie für ihre Politik gegen die NEP keine Mehrheiten gefunden, sondern waren aufgrund ihrer Fraktionsbildung im Dezember 1927 aus der Partei ausgeschlossen worden. Aber jetzt kam das Jahr 1928 und insbesondere der Winter 1928/29. Obwohl man den Bauern mehr Geld geboten hatte, hielten sie das Getreide zurück. Während in den Städten die Lebensmittel rationiert wurden und sich vor den staatlichen Brotläden immer längere Schlangen bildeten, blühten die „schwarzen“ Märkte, auf denen Brot und Lebensmittel im Überfluss angeboten wurden, allerdings zu horrenden Preisen. Und da sollte man die knappen Devisen statt für neue Maschinen für Getreidekäufe im Ausland ausgeben, also den industriellen Aufbau auf den St.Nimmerleinstag verschieben? Hatten die Arbeiter dafür die Oktoberrevolution gemacht und einen jahrelangen Bürgerkrieg durchgestanden, um sich jetzt endgültig den Kulaken auszuliefern? Auch wenn Bucharin nicht müde wurde, die Fortsetzung der NEP als das Vermächtnis Lenins zu verkünden (womit er nicht unrecht hatte), schmolz die Schar seiner Anhänger in Arbeiterklasse und Partei unaufhaltsam dahin.

„Die Unzufriedenheit mit der NÖP breitete sich unter den Arbeitern aus. Viele von ihnen waren psychologisch bereits auf deren Demontage eingestellt. Bereits 1925 hatten Arbeiter dazu aufgerufen, ‚irgendeine Zickzackbewegung‘ auszudenken, damit man schneller an das ‚ersehnte Ziel‘ gelangt. (…) Als sich 1927 die sozialen Probleme verschärften, Schwierigkeiten in der Lebensmittelversorgung auftraten, als 1928 die Lebensmittelrationierung eingeführt wurde, verband den Industriearbeiter nichts mehr mit der ‚traditionellen‘ NÖP. Die ‚Fratzen der NÖP‘, die Arbeitslosigkeit und soziale Erscheinungen wie Bettelei, Prostitution und Trunksucht wurden jetzt gänzlich unannehmbar.“5 Die zitierten Autoren sind keine Parteigänger Stalins, können aber nicht umhin, als aufgrund der untersuchten Fakten zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass „das Sprengen“ der alten NÖP unausweichlich war. Der Klassenkompromiss zwischen Arbeitern und Bauern fiel in sich zusammen, weil seine „Geschäftsgrundlage“, der Gesellschaftsvertrag von 1921, sich mangels Getreideverkäufe durch die Bauern auflöste.

2. Zur neueren Diskussion um die NEP

In der westlichen Forschung wird das Urteil über die NEP von Robert W. Davies bestimmt, „dessen Meinung gegenwärtig die größte Autorität in Anspruch nehmen darf.“6 Davies selber räumt ein, dass die NEP nicht in der Lage war, die industriellen Wachstumsraten der 30er Jahre zu erzielen, hält ihre Potenzen am Ausgang der 20er Jahre aber noch nicht für erschöpft. Zu den wachsenden sozialen Widersprüchen äußert er sich so wenig wie Wagner.

In den letzten Jahren ist die Debatte über die NEP vor allem in Russland geführt worden. Den Anstoß dafür gab die Regierungszeit Gorbatschows, als darüber gestritten wurde, ob es eine historische Alternative zur Stalinschen Politik gab. Die meisten Diskussionsteilnehmer betrachteten seinerzeit den „großen Sprung“ Ausgang der 20er Jahre als Sündenfall des Stalinismus, so wie Wagner das ebenfalls tut. Damals (1987/88) vertrat der Publizist I. Kljamkin entgegen der Mehrheitsmeinung die Auffassung, „dass die NEP unausweichlich scheitern und Stalins Weg zum Sozialismus beschritten werden musste, da der Mechanismus der Neuen Ökonomischen Politik die für die Industrialisierung notwendigen Investitionsmittel nicht habe abwerfen können … Als noch die Mehrzahl der sowjetrussischen Intellektuellen von den zwanziger Jahren und der Bucharinschen Alternative schwärmte, fand Kljamkin keine Zustimmung. In den neunziger Jahren wurde seine Einschätzung von den Wirtschaftshistorikern bestätigt.“7 Was der Historiker Hösler über den heutigen Diskussionsstand der Wirtschaftshistoriker in Russland berichtet, sollte einem zumindest zu denken geben, wenn man sich wie Wagner auf die neue Literatur beruft.

Aber unser Kritiker hat eine andere Sicht, um das Scheitern des Sozialismus in Russland zu erklären: „Lenin und Stalin verkörperten eine Schicht von Berufsrevolutionären, die schon seit Jahrzehnten dieser Beschäftigung nachgingen. Beide sahen sich als Vollstrecker der geschichtlichen Mission des Proletariats, konnten sich aber auch gegen die ‚real existierenden‘ Arbeiter stellen, wenn sie meinten, deren Forderungen entsprechen nicht den Interessen der Bewegung.“ Er will damit sagen, dass Lenin wie Stalin Doktrinäre waren, die als „jahrzehntelange Berufsrevolutionäre“ den Kontakt mit dem wirklichen Leben verloren hatten. Aus dieser Sicht befahl Stalin den Abbruch der NEP willkürlich im Auftrag „der geschichtlichen Mission des Proletariats“ – deutlicher gesagt, als Welterlösungsfanatiker. Diese Erklärung besagt viel über ihren Urheber, um so weniger aber über das revolutionäre Russland jener Zeit.

Warum wohl verteidigte Stalin die NEP noch bis in das Jahr 1928 hinein und bezeichnete das Gerede von ihrem bevorstehenden Ende als „konterrevolutionäres Geschwätz“?8 Plädierte er als „advocatus diaboli“ gegen seine eigene Überzeugung, um Bucharin als Hauptvertreter der NEP in die Falle zu locken? Oder warum schlugen die Mehrheiten im ZK von 1928 auf 1929 um, nachdem dasselbe ZK noch im Sommer 1928 die Erhöhung der Ankaufpreise für Getreide beschlossen hatte? Wurden die ZK-Mitglieder von Stalin mit Hilfe der Geheimpolizei unter Druck gesetzt, damit sie die Kollektivierung beschlossen und Bucharin als „Rechten“ verurteilten? Alle diese „Erklärungen“ und noch weitere Verschwörungstheorien finden sich in gängigen Publikationen über den „Stalinismus“, weil man nicht wahrhaben will, dass die NEP Ende der 20er Jahre am Ende war.

Wer sich mit den konkreten Ereignissen der Jahre 1927-1930 befasst und vor allem die zugrunde liegende Klassenbewegung nachvollzieht, muss zu der Schlussfolgerung gelangen, dass der Abbruch der NEP keineswegs aus freiem Entschluss erfolgte, vor allem nicht aufgrund der Ränke Stalins. Ihre Fortsetzung wäre nur gegen die Arbeiterklasse möglich gewesen. Die Revolution von 1929/30 wurde so wenig wie irgendeine Revolution „gemacht“, weil das Politbüro es so beschlossen hatte, sondern weil die Arbeiterklasse nicht mehr so weitermachen wollte wie bisher. Die „zweite Revolution“ war ein neuer revolutionärer Aufbruch der Massen. Hätte Stalin sich nicht an seine Spitze gesetzt, hätte ein anderer dies getan.

Der Frontalangriff auf die Bauern war eine Flucht nach vorn, ein Abenteuer mit höchst ungewissem Ausgang. Zwar wurde die Modernisierung „von oben“, durch den Staat, organisiert, aber getragen wurde sie „von unten“. „Fragt man nach dem Rückhalt der stalinistischen Herrschaft in der sowjetischen Gesellschaft, führt kein Weg an der Arbeiterschaft vorbei. Sie war es, die durch ihre Unterstützung oder zumindest Duldung des Regimes dessen Etablierung und Fortbestehen möglich machte. Gegen den geschlossenen Protest der Arbeiterschaft hätte Stalin, allein gestützt auf den Unterdrückungs- und Terrorapparat, seine Politik schwerlich verwirklichen können.“9 In den kommenden Jahren mussten die Arbeiter gewaltige Entbehrungen auf sich nehmen. Der Durchschnittslohn ging zurück, die Versorgung mit Lebensmitteln stockte, der ohnehin knappe Wohnraum wurde noch knapper, die Währung wurde entwertet und der Lebensstandard sank insgesamt ab. Aber die Arbeiter nahmen alle Opfer auf sich, weil sie nach den Erfahrungen der NEP-Jahre ein für allemal Schluss machen wollten mit der Abhängigkeit vom Bauern und entschlossen waren, zum Sozialismus voran zu gehen.

Da die Theorie einer willkürlichen Beendigung der NEP durch Stalin auf tönernen Füßen steht, führt die Logik der Dinge stattdessen hinter die NEP zurück zu einer anderen Konsequenz, nämlich der Infragestellung der Oktoberrevolution. Diesen Weg ist die russische Sozialismusdebatte nach Gorbatschow gegangen. „Postsozialistische Ökonomen stimmen in der Sache Gerschenkron und anderen zu, wenn sie der NEP von Anfang an wenig Chancen einräumen. Der Fehler lag in der bolschewistischen Revolution selber, nicht im Abbruch der NEP.“10 Wagner vertritt diese Auffassung (noch?) nicht. Aber seine Meinung, dass nicht erst Stalin, sondern schon Lenin sich nach jahrzehntelanger berufs-revolutionärer Tätigkeit als Vollstrecker eines geschichtlichen Gesetzes fühlte, ist der erste Schritt dorthin.

3. Die wirtschaftspolitische Grundlinie Stalins

Bereits im März 1930, also wenige Monate nach dem endgültigen Beschluss des ZK, die Kollektivierung durchzuführen und das Kulakentum als Klasse zu vernichten, erschien ein Artikel Stalins: „Vor Erfolgen von Schwindel befallen“, einen Monat später in ausführlicherer Form eine „Antwort an die Genossen Kollektivbauern.“ Beide hatten denselben Inhalt. Sie verurteilten aufs heftigste die weit verbreiteten Versuche, aus den bisherigen ländlichen Produktionsverhältnissen mit einem Satz in eine kommunistische Produktionsweise hinein zu springen, in dem landwirtschaftliche Kommunen gegründet wurden, in welchen über den Getreideanbau hinaus auch die Wohnhäuser der Bauern, ihr Hofland mitsamt der dort stehenden Kuh, das Kleinvieh etc. „vergesellschaftet“ wurden.

Ganzen „Abteilungen“ der Partei warf Stalin „linke Überspitzungen“ vor, weil sie bei der Kollektivierung den Grundsatz der Freiwilligkeit missachteten, sich nicht an die vorgesehenen Zeitstufen für die Kollektivierung (je nach regionaler Wirtschaftsform und Kulturstufe) hielten, eine utopische Kommunismuspolitik praktizierten und dadurch das Scheitern der Kollektivierung provozierten.11 Stattdessen forderte er, den Kolchos in der sog. „Artel“form zu festigen, wobei die Getreideproduktion genossenschaftlich stattfand (nicht gesellschaftlich!), bei fortdauerndem Privatbesitz an Haus, Hofland, einer eigenen Kuh und Kleinvieh.

Die von ihm verfochtene, gemäßigte Linie hatte an der „Basis“ der Partei jedoch offenkundig Schwierigkeiten, sich durchzusetzen, denn erst 1931 war es so weit. „Die Archivdokumente … geben Anlass anzunehmen, dass der relative Rückzug im Jahr 1931 maßgeblich auf Initiative Stalins erfolgte.“12 Als Gegengewicht zur Verteilung von Lebensmitteln auf Bezugskarten beschloss das Politbüro 1931/32 eine Stärkung des Handels. „Handel und Ware-Geld-Beziehungen, im Jahre 1930 oft noch als Relikte der Vergangenheit bezeichnet, die unter dem Druck des direkten Produktenaustausches verschwanden, wurden auf diese Weise politisch rehabilitiert.“13

Die Politik der Staatspartei fand ihre Grenze in der Verfügung über das Getreide, die man 1929/30 erlangt hatte. Zwar stieg die erzeugte Erntemenge pro Flächeneinheit in den Produktionsgenossenschaften nicht an (ein Grundproblem der sowjetischen Agrarproduktion), nur erhielt der Arbeiterstaat statt zuvor 12 % jetzt ca. 40 % der Getreideernte und konnte durch diese Aneignung des bäuerlichen Mehrprodukts die Ernährung der industriellen Bevölkerung sichern. Davon konnte man nicht mehr abgehen, aber jenseits dieser Grenze gab es auf Betreiben Stalins eine Art Neuauflage der NEP. „Im Frühjahr und Sommer 1932 setzte sich die Politik, die auch als ‚Neo-Nöp‘ bezeichnet wird, offensichtlich durch. Es folgten nacheinander Verordnungen über die Unzulässigkeit, private Haus- und Hofwirtschaften der Bauern zu beseitigen, über die Rückführung des für die Gemeinschaftsfarmen beschlagnahmten Viehs, über die Einhaltung der Gesetze und die Unterbindung willkürlicher Akte von Staatsbeamten in den Dörfern.“14 In der Folgezeit wurden außerdem die Politabteilungen der MTS (Maschinen-Traktor-Stationen der Kolchosen) liquidiert, verbunden mit dem Zugeständnis, die privaten Haus- und Hofwirtschaften der Bauern zu vergrößern.15

Die Neo-NEP gegenüber den Bauern fand ihre Parallele in der ökonomischen Politik gegenüber der sprunghaft wachsenden Arbeiterschaft. Anlässlich einer Kampagne gegen die massenhafte Fluktuation der Arbeitskräfte, die eine geregelte Produktion fast unmöglich machte, wandte sich Stalin gegen die „linkslerische“ Gleichmacherei, die er als Hauptursache für den dauernden Arbeitsplatzwechsel bezeichnete. „In einer Reihe unserer Betriebe sind die Tarifsätze so festgesetzt, dass der Unterschied zwischen qualifizierter und unqualifizierter Arbeit, zwischen schwerer und leichter Arbeit fast verschwindet.“ Er forderte, man müsse „die Gleichmacherei abschaffen und das alte Tarifsystem zerschlagen (…), ein Tarifsystem schaffen, das dem Unterschied zwischen qualifizierter und unqualifizierter Arbeit, zwischen schwerer und leichter Arbeit Rechnung trägt.“16

Das neue Tarifsystem umfasste acht Lohnstufen, und ein hochqualifizierter Arbeiter konnte das Drei- bis Vierfache des Lohnes eines einfachen Arbeiters in der gleichen Branche verdienen. Außerdem wurde die Entlohnung, wo immer möglich, vom Zeitlohn auf den leistungsabhängigen Stücklohn umgestellt. „Am unauffälligsten vollzog sich die weitere Umstellung auf den Stücklohn, da er am deutlichsten in der Kontinuität der Ideale auch der NEP, von Taylorismus und NOT stand.“17 Die Spitze dieser Politik bildete die Stachanow-Bewegung zur Forcierung der Akkordarbeit und des Leistungsprinzips; sie stieß zeit ihres Daseins auf Widerstand in den Belegschaften.

Neben der „gleichmacherischen“ Lohngestaltung prangerte Stalin die Tatsache an, dass viele Wirtschaftsorganisationen keine betriebswirtschaftliche Kalkulation praktizierten, und forderte, man müsse „das Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung einbürgern und festigen, die Akkumulation innerhalb der Industrie verstärken“.18 Er wandte sich gegen alle Versuche von Partei und Staatspolizei, sich in den Wirtschaftsaufbau einzumischen, und sprach sich gegen die politische Kontrolle der Betriebsleitungen durch die örtlichen Parteiorganisationen aus.19

Der zweite Fünfjahrplan (1933-1937) vertiefte die Orientierung auf eine rationale Wirtschaftsplanung, betriebswirtschaftliche Rentabilität und die Leistungsförderung. Er war „vor allem von zahlreichen Experimenten und ‚Reformen‘ geprägt, die darauf ausgerichtet waren, die wirtschaftliche Selbständigkeit zu vergrößern und den materiellen Anreiz der Arbeit zu vergrößern. In dieser Zeit wurde die Theorie eines direkten Produktenaustausches endgültig als ‚linkssektiererisch‘ gebrandmarkt und dafür um so mehr die Rolle des Geldes, der wirtschaftlichen Rechnungsführung und der Stabilität des Rubels betont.“20

Wir wollen es mit diesen Zitaten aus der „neueren Literatur“ über die von Stalin in der Vorkriegszeit verfochtene Wirtschaftspolitik belassen. Oleg Chlewnjuk, auf dessen Veröffentlichung über „Das Politbüro“ wir uns hier beziehen, hat die Sitzungsprotokolle und andere Materialien der Tagungen des Politbüros ausgewertet. Er gibt die Beschlüsse zur Wirtschaftspolitik ohne jeden Zusammenhang wieder. Aber auch wenn er ihren roten Faden nicht zu erkennen vermag und sich als entschiedener Gegner Stalins regelmäßig erstaunt über ihren Inhalt zeigt, so ist er doch so objektiv, sie überhaupt zur Kenntnis zu geben.

Die Beschlüsse bestätigen, was sich auch aus der Lektüre der Reden und Schriften Stalins ergibt: Stalin war nicht nur bis 1928 ein Verteidiger der NEP, sondern trat ebenso in den 30er Jahren, nach dem Durchbruch zur Industrialisierung und Kollektivierung, für eine Politik der materiellen Anreize, für eine „Neo-NÖP“ ein, und zwar immer wieder in Auseinandersetzung mit „linken“ Positionen, die einer Beendigung der Warenproduktion, der Abschaffung des Geldes und einer Einebnung der Lohnunterschiede das Wort redeten.

Unterbrochen wurde diese Politik erst durch den herannahenden Krieg, der den dritten Fünfjahrplan (1937-1942) vor die Aufgabe stellte, von Friedens- auf Kriegsproduktion umzustellen. Kaum waren der Krieg und die kriegsbedingte Rekonstruktionsperiode jedoch beendet, knüpfte Stalin wieder an seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Vorkriegszeit an. In der 1952 veröffentlichten Schrift über „Ökonomische Probleme des Sozialismus“, einer Sammlung verschiedener Artikel, kritisierte er unter anderem, „dass unsere Wirtschaftler und Planer, mit wenigen Ausnahmen, die Wirkungen des Wertgesetzes schlecht kennen“ und statt mit eindeutigen Ziffern mit schätzungsweisen Angaben, bloßen Meinungen etc. operierten. Um „die Selbstkosten der Produktion zu senken, die wirtschaftliche Rechnungsführung zu verwirklichen und die Rentabilität der Betriebe zu erzielen“, verlangte er die strikte Beachtung des Wertgesetzes in der Produktion.21 Der überwiegende Inhalt der Schrift ist ein Plädoyer für die Anerkennung des Wertgesetzes, für betriebswirtschaftliche Rentabilität und die Durchsetzung des Leistungsprinzips.

Die zu jener Zeit geführte Debatte über den bevorstehenden Kommunismus wies er kategorisch zurück. Die für den Übergang angegebenen Kriterien nannte er „kindisch einfach“ und wies darauf hin, dass bis zum Kommunismus nicht nur die vorhandenen Eigentumsformen geändert werden müssten, sondern vor allem auch die Haltung zur Arbeit. Die Gesellschaft müsse noch „eine Reihe von Etappen der ökonomischen und kulturellen Umerziehung … durchlaufen“, bevor „die Arbeit aus einem lediglich dem Lebensunterhalt dienenden Mittel … zum ersten Lebensbedürfnis“ geworden sei und man von einer Verteilung der Konsumtionsmittel „nach der Leistung“ zur Verteilung „nach den Bedürfnissen“ übergehen könne.22 Gegen das offenbar tief verwurzelte kommunistische Wunschdenken betonte er, dass „Warenproduktion und Warenumlauf bei uns gegenwärtig eine ebensolche Notwendigkeit (sind), wie sie es beispielsweise vor dreißig Jahren waren, als Lenin die Notwendigkeit der allseitigen Entfaltung des Warenumlaufs verkündete.“23

Die Berufung auf die Neue Ökonomische Politik der 20er Jahre ein Jahr vor seinem Tod dokumentiert noch einmal die von Stalin vertretene wirtschaftspolitische Grundlinie der Anerkennung des Leistungsprinzips, der Warenproduktion und des Wertgesetzes (innerhalb bestimmter Grenzen), die weder Kolja Wagner noch einer der anderen zahllosen Stalin-Kritiker begriffen haben. Abgesehen von den kriegsbedingten Anforderungen hat Stalin diese Grundlinie nur ein einziges Mal durchbrochen, nämlich anlässlich des „Großen Sprungs“, um anschließend auf neuer Ebene wieder daran anzuknüpfen.

4. Politische Mobilisierung und außerökonomische Gewalt

Wie die meisten führenden Parteimitglieder war Stalin der Auffassung, dass die Sowjetunion die „50 bis 100 Jahre“, die sie hinter den fortgeschrittenen Ländern zurückgeblieben sei, angesichts der internationalen Isolierung und Bedrohung in zehn Jahren durchlaufen müsse – „oder wir werden zermalmt.“24 Wie die Geschichte gezeigt hat, war diese Einschätzung richtig.

Bis zum neuen Weltkrieg hatte die Sowjetunion im Volumen der Industrieproduktion Deutschland, Großbritannien und Frankreich überholt und nahm den zweiten Platz hinter den USA ein. Im Zuge der beschleunigten Industrialisierung verdoppelte sich allein von 1928 bis 1932 die Zahl der Beschäftigten in Industrie und Verwaltung von unter 13 auf mehr als 24 Millionen, um bis Anfang der 40er Jahre auf über 30 Millionen zu steigen. Die neuen Bauern-Arbeiter, die binnen weniger Jahre die Mehrzahl der Beschäftigten in den Fabriken und Minen stellten, waren in der Kürze der Zeit nicht ausschließlich durch eine „normale“ Tarifpolitik an die industrielle Produktionsweise zu gewöhnen. Hinzu traten politische Mobilisierung und die Anwendung außerökonomischer Gewalt.

Politisch hoch motiviert waren insbesondere die jungen Arbeiter. Sie hatten an vorderster Front zum Aufbruch in die „zweite“ Revolution gedrängt und stellten die Stoßtrupps, die durch praktisches Vorbild und Agitation die Masse der Arbeiter mitrissen. Am Beispiel der Metrobaustelle in Moskau (erste Baufolge 1931-1935) sind die Verhältnisse „vor Ort“ anhand der Betriebsunterlagen und Parteiarchive durch eine Feldstudie von Dietmar Neutatz untersucht worden: „Zwischen Enthusiasmus und politischer Kontrolle. Die Arbeiter und das Regime am Beispiel von Metrostoj“.25 Die Riesenbaustelle für die Untergrundbahn beschäftigte zeitweise bis zu 75.000 Arbeitskräfte, in der übergroßen Mehrzahl ehemalige Bauern, darunter auch vertriebene Kulaken oder ihre Söhne. Unterbringung und Verpflegung waren erbärmlich; die Arbeiter mussten in überfüllten, baufälligen Baracken hausen und bekamen in den Kantinen ein Essen, das Anlass zu dauernden Beschwerden gab.

Es herrschte eine unglaubliche Fluktuation der Arbeitskräfte, die eine kontinuierliche Arbeit fast unmöglich machte. Nach den vorhandenen Daten lag die Fluktuationsrate in der Moskauer Bauwirtschaft bei 300% – was bedeutet, dass sich die Belegschaft eines Baubetriebs statistisch im Lauf eines Jahres drei Mal erneuerte. Trunkenheit, Schlägereien, Blaumachen, offene Arbeitsverweigerung und die Sabotage von Maschinen – teils aus politischen Gründen, teils aber auch, um nicht arbeiten zu müssen – waren an der Tagesordnung (dabei ist verblüffend, dass die Todesrate beim U-Bahnbau niedriger lag als bei vergleichbaren Projekten im Westen).

Um die Arbeitsdisziplin zu steigern, wurden mehrere tausend Mitglieder des kommunistischen Jugendverbands zur Arbeit auf der Baustelle mobilisiert. Ihr Eintreffen bewirkte einen merkbaren Umschwung. Sie rissen die übrigen Arbeiter nicht nur durch ihr Beispiel mit, sondern führten auch regelmäßige Besprechungen nach Schichtende ein, um die Arbeitserfolge und die gute oder schlechte Leistung jedes einzelnen zu bewerten. „Man kann die Komsomolzen nicht undifferenziert als Enthusiasten bezeichnen, muss aber objektiv feststellen, dass ihre Ankunft auf den Baustellen einen Umschwung in bezug auf Arbeitstempo und Produktivität bewirkte.“26

Dass die Hauptstadt keine Ausnahme bildete, belegen Studien über die russische Provinz, z.B. von Gabriele Gorzka, die durch die Auswertung lokaler Quellen die Zustände in der Textilindustrie von Jaroslav, 280 km nördlich von Moskau, untersucht hat.27

Um die forcierte Industrialisierung zu kritisieren, schreibt Wagner unter Hinweis auf die elenden Lebensumstände der in die Städte strömenden Massen: „Der Staat besaß überhaupt nicht die Ressourcen, den Hunderttausenden neuen Arbeitern Weiterbildung und kulturelle Umerziehung zu gewährleisten.“ Wenn man diese Bemerkung ernst nimmt und nicht als weiteren Versuch betrachtet, mit beliebigen, teils einander direkt widersprechenden Argumenten die Politik der 30er Jahre zu denunzieren – was sollte der Staat nach Wagners Meinung mit den „hunderttausenden neuer Arbeiter“ anstellen (in Wirklichkeit waren es Millionen), die in die Städte strömten? Sollte er sie auf dem Land festhalten und als Analphabeten in Ruhe lassen, weil er nicht die Ressourcen besaß, um ihnen auf ordentliche, zivilisierte Weise nach westeuropäischen Maßstäben im geduldigen Fortgang der Generationen Lesen, Schreiben, gesittetes Arbeitsverhalten und Kultur beizubringen (derselbe Wagner entblödet sich nicht, an anderer Stelle das Pass-System zu kritisieren, das eine Überflutung der Städte verhindern sollte)? Dass der Staat im Laufe einer Generation das Analphabetentum beseitigt hat, gehört zu den Leistungen, die selbst Gegner des Sozialismus anerkennen müssen.

In den Fabriken entstanden zahllose Zirkel für Alphabetisierung, Kultur, Religionskritik, Theater, Technik, Naturwissenschaften, berufliche Fortbildung etc, die unter armseligen Verhältnissen arbeiteten, selbständig organisiert von Arbeitern und Intellektuellen, die außer ihrer Begeisterung wenig Vorbildung mitbrachten. Viele davon lösten sich rasch wieder auf. Am erfolgreichsten waren neben Kulturzirkeln die Kurse für berufliche Qualifizierung.28 So holperig und teilweise naiv auch immer die kulturelle und berufliche Entwicklung der Muschiks erfolgte – am Ende war die sowjetische Industrie in der Lage, nicht nur genügend Panzer zu produzieren, sondern aus den Reihen der Fabrikarbeiter auch die technikerfahrenen Besatzungen für diese Panzer zu stellen, die die deutschen Truppen in den kriegsentscheidenden Schlachten des 2.Weltkriegs zurück schlugen,

Wagner schreibt zur Lage der Arbeiterschaft: „Durch Konsumdrosselung, Senkung der Reallöhne und Militarisierung der Arbeit seit Mitte der 30er Jahre wurde auch die Arbeiterklasse zur Quelle der ’sozialistischen Akkumulation’”. Abgesehen von der banalen Tatsache, dass jede Akkumulation – gleich ob kapitalistisch oder sozialistisch – nur das Resultat lebendiger Arbeit sein kann, ist an dem Satz so gut wie nichts richtig. Sinkende Reallöhne gab es nur am Anfang der 30er Jahre. Seit 1933/34 bis zum Ende der 30er Jahre dagegen stiegen die Löhne wieder (und mit ihnen der Konsum), neuer Wohnraum wurde gebaut, der Rubel festigte sich und die Lebensmittelrationierung konnte aufgehoben werden. Und eine Militarisierung der Arbeit gab es in den 30er Jahren überhaupt nicht, sondern erst 1940 angesichts des bevorstehenden Kriegs, als die Arbeitsverhältnisse unter Kriegsrecht gestellt wurden.

Sätze wie der hier fast beliebig herausgegriffene finden sich in Wagners Artikel dutzendfach – eine Mischung aus Fakten und moralischer Entrüstung, fragwürdigen Interpretationen oder falschen Angaben. In diesem Fall findet sich die Quelle seiner Entrüstung über die Lage der Arbeiterklasse in den von ihm zitierten Veröffentlichungen von Markus Wehner, dem Moskau-Korrespondenten der FAZ. Um nicht der Einseitigkeit beschuldigt zu werden, lassen wir Friedrich-Christian Schröder, einen normalen bürgerlichen Historiker, eine Zusammenfassung von dessen Ansichten geben. Ihm zufolge wendet sich Wehner gegen die Deutung des Stalinschen Terrors „als Modernisierung oder als Sicherung der Herrschaft für ein schwaches Regime und sieht die Zwecke des Terrors einfach in der Vernichtung politischer Gegner, der Ausbeutung der Arbeitskraft und der Einschüchterung der Bevölkerung.“29 Einfach die Vernichtung der Gegner, Ausbeutung der Arbeitskraft und Einschüchterung der Bevölkerung – ist das nicht auch die schlichte Quintessenz von Wagners Ausführungen?

Für Wagner, Wehner und alle Anhänger einer subjektiven Geschichtsschreibung muss es ein ewiges Rätsel bleiben, wieso eine der Verarmung preisgegebene, militaristisch geknechtete und ihrer Menschenwürde beraubte Arbeiterschaft sich ohne Gegenwehr der Ausbeutung und Unterdrückung durch ein verbrecherisches Regime unterwarf – und das, obwohl große Teile davon immerhin eine Revolution und einen Bürgerkrieg mitgemacht hatten und hoch politisiert waren. Die etwas klügere, nicht vom Antikommunismus ideologisierte bürgerliche Geschichtsschreibung geht dagegen davon aus, dass „die Mehrheit in der Partei, Teile der akademischen und nichtakademischen Jugend, ein Großteil der Arbeiterschaft“ Stalins Politik aus eigenem Interesse unterstützten. „In ihren Augen hatte die Staatsführung mit ihrer Politik der forcierten Industrialisierung und Kollektivierung endlich die politische Initiative zurückgewonnen. Sie erlebten die Jahre als Zeit der Mobilität, der Bewegung, des Aufstiegs: vom ungelernten Arbeiter zum Facharbeiter, vom Facharbeiter zum Angestellten. ‚Proletarier‘ drangen in die Managerposten vor, lösten dort die alten Eliten ab; ‚rote Spezialisten‘ drängten in die Hochschulen. In den Universitäten und Akademieinstituten das gleiche Bild: militante Jugend agierte gegen ihre alten Professoren, wechselte sie aus.“30 Offenkundig bedarf es erst eines Koljas Wagner, um die russischen Arbeiter im Nachhinein darüber aufzuklären, dass ihre Erfahrung eines besseren Lebens in den 30er Jahren reine Einbildung gewesen ist, ein Gaukelbild der Propaganda.

Das Gegenstück zu den freiwilligen Produktionsschlachten und Kulturoffensiven bildete die Anwendung außerökonomischer Gewalt. Für Arbeitsbummelei, Zuspätkommen, Trunkenheit am Arbeitsplatz, die Beschädigung von Maschinen etc. konnten neben der Kündigung (die angesichts der massenhaften Fluktuation kaum Wirkung hatte) strafrechtliche Sanktionen verhängt werden. Allerdings besagen die vorliegenden Untersuchungen, dass solche Strafen nur äußerst selten zur Anwendung kamen. Entweder wurden die Vergehen fabrikintern geregelt oder die Betroffenen tauchten in dem Strom der Arbeitskräfte unter, der sich von Fabrik zu Fabrik wälzte und in den ersten Jahren weitgehend der zentralen Kontrolle entzogen war, da die Betriebe in ihrem Heißhunger nach lebendiger Arbeit nicht nach Dokumenten fragten. Erst bei Herannahen des Kriegs wurden mit der Androhung des Kriegsrechts die Strafen drastisch verschärft und manchmal auch umgesetzt.

Die Spitze der „Erziehung zur Arbeit“ bildete die Zwangsarbeit in den Arbeitslagern, die jedoch lange Zeit sowohl dem Umfang (statt behaupteter 7-8 Millionen Insassen lassen sich nur 2 Millionen belegen) als auch der ökonomischen Wirkung nach überschätzt worden ist.31

Alles in allem durchlief die Sowjetunion in den 30er Jahren, zusammengedrängt auf einen ungemein kurzen Zeitraum, analog der von Marx im KAPITAL dargestellten „ursprünglichen Akkumulation des Kapitals“ einen Prozess der „ursprünglichen sozialistischen Akkumulation“, in dessen Verlauf die menschlichen und sachlichen Produktivkräfte entwickelt wurden, deren Vorhandensein Marx in seiner Kritik des Gothaer Programms als Voraussetzung für den Eintritt in die erste Phase des Kommunismus (den später so genannten „Sozialismus“) unterstellt hatte. In der Sowjetunion waren diese Produktivkräfte als materielle Basis bzw. Voraussetzungen des Sozialismus erst vor dem Weltkrieg bzw. – aufgrund von dessen Friktionen – erst Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre vorhanden.

Politökonomisch drückte die Verteilung der Konsumtionsmittel „nach der Leistung“ dieser Phase einen bürgerlichen Stempel auf. Dieses „bürgerliche“ Moment musste auch nach Abschluss der ursprünglichen Akkumulationsphase andauern, wie Marx das für die erste Phase des Kommunismus erläutert hatte (Kritik des Gothaer Programms). Dem folgend sah Stalin noch mehrere Generationen vergehen, bevor die gesellschaftliche Einstellung zur Arbeit eine kommunistische Gesellschaftsordnung ermöglichen würde, sprich die Arbeit nach einer Formulierung von Engels „aus einer Last eine Lust“ geworden war. Weil dieser Zeitpunkt noch längst nicht absehbar war, wies er in den „Ökonomischen Problemen des Sozialismus“ alle Bestrebungen zurück, den Übergang zum Kommunismus zu organisieren, und beharrte auf der Weitergeltung des Wertgesetzes sowie der Formel „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“. Das heißt, er plädierte unter Berufung auf Marx‘ Ausführungen zur ersten Phase des Kommunismus für die Fortführung einer Wirtschaftspolitik mit bürgerlichen Zügen.32

Diese Tatsache ist deswegen hervorzuheben, weil in den 50er Jahren mit Chruschtschow an der Spitze eine andere Strömung die Oberhand in Partei und Staat gewann. Sie sah mit dem Abschluss der ursprünglichen sozialistischen Akkumulation die Voraussetzungen für den Übergang in die zweite Phase des Kommunismus, den eigentlichen Kommunismus, gegeben. Man etikettierte also die soeben erst geschaffenen Grundlagen des Sozialismus in Grundlagen des Kommunismus um. Auf dieser Basis kündigte Chruschtschow den baldigen Übergang zur Überflussproduktion und in Verbindung damit die Verteilung der Konsumgüter „nach den Bedürfnissen“ an. Die entsprechende Politik ließ er 1961 als Parteiprogramm verabschieden. Wirtschaftlich resultierte daraus eine Verschiebung der gesellschaftlichen Ressourcen aus dem Produktionsmittelsektor in die Produktion von Konsumgütern, wodurch letzten Endes der ökonomischen Niedergang der Sowjetunion verursacht wurde.

5. Triebkräfte des linken Radikalismus in Russland

In seinem Überblick über die gegenwärtige Historikerdebatte in Russland weist der bereits zitierte Joachim Hösler auf einen seiner Einschätzung nach wesentlichen neuen Gesichtspunkt hin, eingebracht durch einen russischen Historiker namens Cipko, der „als erster die Ursprünge des Stalinismus in den Traditionen des russischen linken Radikalismus nachzuweisen versuchte.“ Dessen Position fasst Hösler so zusammen: „Das Kernproblem der russischen Entwicklung bestehe darin, dass aufgrund der Randlage und Isolation des Landes (auch) der Marxismus einseitig, ohne Korrektiv, sozusagen in seiner extremsten, linksradikalen Form rezipiert und in das Massenbewusstsein transponiert worden sei. Schlüsselprobleme stellen für Cipko die seit Marx in der sozialistischen Literatur verbreitete Überzeugung von der Möglichkeit eines reinen Sozialismus ohne Warenproduktion und Marktbeziehungen (Cipko verweist auf Schriften von Trockij, Zinov’ev, Kamenev, Kautsky) und die in illegalen Kämpfen verinnerlichte Opferbereitschaft sowie der Hass auf das Bestehende und Alltägliche (Bakunin, Tkacev, Trockij) dar.“33

Es ist charakteristisch, dass Cipko die Theorie von einem „reinen Sozialismus ohne Warenproduktion und Marktbeziehungen“ dem „Stalinismus“ zuordnet und Hösler dem nicht widerspricht, obwohl Stalin genau das Gegenteil dieser Position vertreten hat. Aber von dieser Fehlinterpretation abgesehen enthält die Aussage über die Stärke des linken Radikalismus in Russland einen wichtigen Hinweis; man muss sie lediglich vom Kopf auf die Füße stellen. Es waren keine Handvoll Theoretiker, die ihre aus dem Bücherstudium gewonnenen linksradikalen Auffassungen in das Massenbewusstsein übertrugen (das Manipulationsdenken der kritischen Theorie lässt grüßen), sondern umgekehrt waren es die sozialen Verhältnisse Russlands, die den Nährboden für einen linken Radikalismus bildeten, der die Geschichte der sowjetischen Arbeitermacht durchzieht.

Die gesellschaftlichen Vorstellungen waren zutiefst geprägt durch die bäuerliche Umteilungstradition der „obscina“, der russischen Landumteilungsgemeinde, die kein Privateigentum am Boden kannte, sondern die Äcker alle paar Jahre an die Dorfmitglieder neu aufteilte, entweder nach der Zahl der Esser oder nach der Zahl der Arbeitskräfte in einer Familie. Aus diesen Verhältnissen zogen die „Volkstümler“ ihre Stärke, kleinbürgerliche Sozialisten, die einen „russischen Weg“ zum Sozialismus ohne Durchlaufen des Kapitalismus propagierten. Mit den Bolschewiki zusammen in der ersten Revolutionsregierung nach dem Oktober 1917, waren ihre Anhänger den Kommunisten zahlenmäßig weit überlegen, entsprechend dem Übergewicht der Bauernschaft über die Arbeiter. Von dem obscina-Denken waren auch die „alten“ Arbeiter der Oktoberrevolution beeinflusst. Viele von ihnen hatten nach wie vor ein Bein in ihrer dörflichen Herkunftsgemeinde und damit das Recht auf Zuteilung eines Landstücks, von dem sie in den schweren Jahren des Bürgerkriegs Gebrauch gemacht hatten, als sie auf das Land zurückkehrten, um in der Stadt nicht zu verhungern. Erst recht brachten die Millionenmassen der Arbeiterbauern der 30er Jahre neben ihrem vorindustriellen Arbeitsverhalten auch „gleichmacherisches“, verteilungskommunistisches Gedankengut in die Städte.

Neben der obscina-Tradition wirkte sich die gesellschaftliche Ausnahmesituation aus, die von der Oktoberrevolution über die Kollektivierung und Industrialisierung bis zum Weltkrieg eine permanente Anspannung aller Kräfte erforderte und kaum eine Atempause gewährte. Sie sprach besonders die Arbeiterjugend an, die einerseits die Stoßtrupps der Industrialisierung stellte, andererseits anfällig für Utopien und Voluntarismus war. „Es scheinen die jungen, männlichen Arbeiter mit städtischem Hintergrund gewesen zu sein, die in besonderem Maße zu Militanz und kommunistischer Gesinnung neigten. Sie hatten als Halbwüchsige die Revolution und den Bürgerkrieg erlebt und sich inzwischen Erfahrung und Qualifikation angeeignet. Sie grenzten sich sowohl gegen die ‚alten‘ Arbeiter aus der ‚Kampfzeit‘ als auch gegen die Neulinge aus dem Dorf ab und betrachteten die Denkweise beider mit Skepsis. Sie bildeten die Kohorten des Komsomol, der militanten Atheisten und anderer Aktivisten. Sie trachteten, wie spätere Dissidenten in Erinnerung an ihre eigene Jugend formulierten, nicht in erster Linie nach ‚materiellen Vorteilen‘, sondern versuchten, ihre Ideale zu verwirklichen.“34 Noch im letzten Lebensjahr Stalins kommt dessen Sorge vor dem Radikalismus der Jugend zum Ausdruck, wenn er in den „Ökonomischen Problemen“ sagt, dass die Jugend geduldig den Marxismus lernen müsse.35

Für das Regime war es ein schmaler Grat, ein Balanceakt zwischen einer leistungsorientierten Tarifpolitik für die breiten Massen der neuen Bauern-Arbeiter und der politischen Begeisterung der zum Kommunismus drängenden Arbeiterjugend. Dabei bildeten Massenmobilisierungen und politische Kampagnen einen unverzichtbaren Katalysator, aber nicht die Grundlage der Wirtschaftspolitik.

Das jüngste Beispiel für die gängigen Fehlinterpretationen liefert Robert Steigerwald in dem Aufsatz „Probleme in Stalins Politik des Aufbaus des Sozialismus“.36 Dort meint er wie Wagner, dass die forcierte Kollektivierung 1929/30 der grundlegende Fehler gewesen sei, und zieht, ausgehend vom Großen Sprung, eine durchgehende Linie des „Voluntarismus und Subjektivismus“, die letzten Endes zum Untergang der Sowjetunion geführt habe. Als „bekanntestes Beispiel“ dieser Linie nennt er das Kommunismusprogramm des 22.Parteitags 1961.37 Der Hinweis auf die Existenz einer „linken“ Grundlinie in der Geschichte der Sowjetunion, die ihren Höhepunkt 1961 fand und von dort in den Untergang führte, ist richtig. Falsch ist es jedoch, den Ursprung dieses „Voluntarismus und Subjektivismus“ Stalin zuzuschreiben, der im Gegenteil zeit seines Lebens ein erklärter Gegner einer solchen Politik war.

Erst nach seinem Tod konnte sich in Partei und Staat eine linke, „kommunismuspolitische“ Linie mit Chruschtschow an der Spitze durchsetzen, die ihren gesellschaftlichen Resonanzboden in der Arbeiterschaft der privilegierten Schwerindustrie einerseits, der Jugend andererseits fand. Die Arbeitermassen waren die Parolen des sozialistischen Wettbewerbs zur fortdauernden Leistungssteigerung leid und sehnten sich nach zwei entbehrungsreichen Jahrzehnten der Industrialisierung, des Kriegs und der Nachkriegszeit nach einem schnelleren Anstieg des Lebensstandards, der ihnen von Chruschtschow unter der Parole von der herannahenden Überflussproduktion versprochen wurde. Die neu herangewachsene Jugend dagegen brannte darauf, sich in die Produktionsschlacht zu werfen, um den Übergang zum Kommunismus zu erkämpfen.

Unter der gemeinsamen Parole des Kommunismus fanden beide gesellschaftlichen Kräfte vorübergehend zusammen: in der Industrie wurde das Leistungsprinzip zurückgenommen und die Konsumgüterproduktion für die Arbeiter über ein wirtschaftlich vertretbares Maß hinaus angekurbelt, während nebenan die kommunistische Nachkriegsjugend zu Zehntausenden loszog, um durch die Neulandgewinnung in riesenhaftem Maßstab ein für allemal das Getreideproblem zu lösen – wobei riesige Umweltschäden angerichtet wurden und man das angestrebte Ziel verfehlte.38

6. Die Opfer der Kollektivierung

Erst vor diesem Hintergrund lassen sich die Ereignisse im Überbau, also das Vorgehen gegen politische Gegner, einordnen. Eine Voraussetzung dafür ist, verfolgte Kulaken, Hungertote und erschossene Kommunisten nicht in einen Topf zu werfen, darin herum zu rühren und alles als „Verbrechen der KPdSU“ zu deklarieren, wie Wagner das tut, sondern die verschiedenen Phasen und betroffenen Gruppen auseinander zu halten.

Die ersten Opfer waren die Kulaken, die als „reiche“ Bauern und Dorfvorsteher eine zentrale Stellung innerhalb des Dorfs hatten. Sie wurden auf dem Boden des ZK-Beschlusses zur „Vernichtung des Kulakentums als Klasse“ nach vorgegebenen Kontingenten mit ihren Familien aus den Dörfern vertrieben, um die Kollektivierung sicherzustellen. Ihr Vieh, Häuser und Gerätschaften wurden beschlagnahmt, sie selber wurden entweder in der Umgebung des bisherigen Dorfes auf schlechtere Böden umgesiedelt oder deportiert. Wer sich gewaltsam widersetzte, wurde erschossen. Die „Entkulakisierung“ hatte einige hunderttausend Tote zur Folge; die meisten von ihnen starben, weil sie (z.T. im Winter) im Norden des Landes auf unvorbereitetem Land und ohne zureichende Ausrüstung ausgesetzt wurden.

Als Folge der Kollektivierungskampagne kam es 1932-1934 zu einer Hungersnot, die mehrere Millionen Tote forderte und von Wagner mit den Worten kommentiert wird: „Ob der Hunger nun von der Parteiführung bewusst als Waffe zur Unterwerfung eingesetzt wurde oder nicht, sei einmal dahingestellt.“ Die Andeutung, dass die Hungersnot möglicherweise bewusst organisiert wurde, um die widerspenstigen Muschiks zu unterwerfen, ist ebenso ignorant wie böswillig. Andere Autoren, die auf demselben Niveau wie Wagner publizieren, sahen die Hungersnot schon gezielt gegen die ukrainische Nation gerichtet, weil die meisten Hungertoten dort zu beklagen waren.

Hätte Wagner sich gründlicher mit der neueren Literatur vertraut gemacht, hätte er festgestellt, dass kein seriöser Historiker (mehr) die Behauptung von einem gezielten Einsatz des Hungers gegen wen auch immer teilt. „Soweit die Behörden Teile des Landes vor dem Schlimmsten retten wollten, galt ihre Sorge nicht primär russischen Regionen, um im Nebeneffekt den ukrainischen Eigenwillen zu brechen, sondern den Städten, der Arbeiterschaft und der Industrie.“39 Die Hungerkatastrophe war die ungewollte Folge einer durch die Verhältnisse erzwungenen Kollektivierung, deren Konsequenzen durch revolutionären Übereifer, schlechte Ernten und behördliche Inkompetenz verschlimmert wurden.

Wagner bemerkt weiter dazu: „Warum führte der angeblich so geniale Klassenpolitiker Stalin in der Ukraine und Russland die gleiche Politik durch? Hätten nicht unterschiedliche Klassenverhältnisse und Bauern eine unterschiedliche Politik in den beiden Sowjetrepubliken erfordert?“ Hätte Wagner vor Abfassung seiner profunden Kritik nicht nur die beliebigen Veröffentlichungen über Stalin gelesen, sondern sich die Mühe gemacht, einmal bei Stalin selber nachzulesen, hätte er feststellen können, dass für die Kollektivierung sehr wohl unterschiedliche Zeiträume vorgesehen waren. In der „Antwort an die Genossen Kollektivbauern“, in der Stalin die „linken Überspitzer“ der Kollektivierung attackierte, zitiert er einen Beschluss des ZK „Über das Tempo der Kollektivierung“ von Januar 1930, in dem die UdSSR wegen der regionalen Unterschiede in drei Gruppen eingeteilt wurde.40 Die Ukraine gehörte zur zweiten Gruppe, in der die Kollektivierung „im wesentlichen“ erst im Frühjahr 1932 abgeschlossen sein sollte, tatsächlich jedoch früher erfolgte.

Hier kulminierten die Widersprüche, weil zwei konträre Bewegungen aufeinander prallten. Der revolutionäre Elan der Arbeiter traf in der Ukraine auf eine Bauernschaft, in welcher die Entwicklung des Privateigentums an Land weit vorangeschritten war (es gab kaum noch Landumteilungsgemeinden); deshalb war hier die Gegenwehr so heftig. In ihrer Erbitterung schlachteten die Bauern mehr Zugvieh ab und zerstörten mehr landwirtschaftliche Geräte als in anderen Regionen. Folglich lag der Getreideanbau in den nächsten Jahren besonders darnieder und gab es ausgerechnet in dieser fruchtbaren Region so viele Hungertote.

In seiner Ereiferung merkt unser Kritiker nicht, dass er selber wenige Zeilen später begründet, auf welche Schwierigkeiten die „unterschiedliche Politik“ gegenüber den „unterschiedlichen bäuerlichen Verhältnissen“ stieß. Um die mörderischen Folgen der Kollektivierungspolitik auszumalen, beruft er sich nämlich auf ein geheimes Memorandum des ZK vom 2. April 1930: „Wenn die Parteilinie weiter nicht beachtet werde, würde ein großer Teil der niederen Kader von den Bauern abgeschlachtet werden, so das ZK.“

Was besagt diese Warnung? Sie besagt doch, dass die Parteiführung ein zurückhaltendes, differenziertes Vorgehen bei der Kollektivierung ausgegeben hatte, aber „vor Ort“ sich kaum jemand daran hielt – mit mörderischen Folgen für die dörflichen Kommunisten. Bisherige Quellenstudien besagen, dass es um die Durchsetzungsfähigkeit des Staats- und Parteiapparats „ganz anders bestellt war, als das Konzept totalitärer Herrschaft zumindest der Idee nach voraussetzte. Anstelle von Effizienz und geordneten Entscheidungsabläufen fanden sie Wirrwarr und Improvisationen, anstelle von wirksamer Kontrolle mangelnde Durchsetzungsfähigkeit. Angesichts dieser Befunde geriet nicht nur die Hypothese ins Wanken, Stalins Aufstieg sei auf seine Position als Generalsekretär zurückzuführen. Desgleichen erwies sich die Annahme, er habe nach der Ausschaltung der innerparteilichen Opposition nach Belieben dirigieren können, als quellenfernes Konstrukt.“41

Wenn man konkret untersucht, wie die Kollektivierung durchgeführt wurde, wird die Diskrepanz zwischen der offiziellen Linie und ihrer praktischen Umsetzung auch erklärlich. Dann zeigt sich nämlich, dass die Kollektivierung dem Wesen nach eine von der Arbeiterklasse getragene und von Teilen der Bauernschaft unterstützte Revolution war, die wie jede Revolution mit revolutionären Methoden, d.h. ohne Beachtung der Gesetzlichkeit, durchgeführt wurde und nur in engen Grenzen von oben zu steuern war. „Welle um Welle überschwemmten Partei- und Sowjetfunktionäre, Miliz, Brigaden von städtischen Industriearbeitern und Gruppen des kommunistischen Jugendverbandes (Komsomol) die Dörfer, um die Kollektivierung voranzutreiben. Dorfversammlungen hatten entsprechende Beschlüsse zu verfassen, wer sich widersetzte, galt als ‚Kulak‘ oder ‚Kulakenknecht‘.“42 Unter russischen Verhältnissen kaum zu kontrollierende, von einer Woge der revolutionären Begeisterung getragene Trupps von Arbeitern und Komsomolzen zogen über das Land, stellten den einfachen Bauern das Vieh und die Geräte der Kulaken in Aussicht, versprachen neue Traktoren und eine glückliche kommunistische Zukunft.

Viele Dörfer schlossen sich freiwillig zu Kolchosen zusammen, insbesondere in den ärmeren Gebieten mit einer intakten obscina-Tradition. In den anderen Dörfern war die Zustimmung nur ein Lippenbekenntnis. Kaum waren die durchreisenden Agitatoren hier, ob ihrer raschen Erfolge „von Schwindel befallen“, ins nächste Dorf weitergezogen, standen die „niederen Kader“, d.h. die dörflichen Kommunisten, alleine da. Sie stammten regelmäßig aus der „Dorfarmut“, deren Angehörige (z.B. als Hirten) keine vollberechtigten Mitglieder der Dorfversammlung waren. Darum fielen viele Kolchosen nach Abzug der proletarischen Brigaden genau so schnell wieder auseinander, wie sie gebildet worden waren, zumal als die versprochenen Traktoren nicht geliefert wurden, und mussten die „niederen Kader“ um ihr Leben fürchten.

Wenn man auf die Ereignisse direkt nach der Oktoberrevolution zurück schaut, fallen einem die Parallelen ins Auge, welche die in der Arbeiterschaft verbreiteten Überzeugungen dokumentieren und Licht auf die Ursachen der Entwicklung werfen. Auch im Jahr 1918 waren die Arbeiter unter Führung der Bolschewisten aufs Land gezogen, um das fehlende Getreide zu requirieren, und hatten damals trotz Hunger und Entbehrungen von der Abschaffung der Warenproduktion und der Einführung des Kommunismus geschwärmt. Seinerzeit hatte sich der Zorn der Bauernschaft nicht gleich auf sie konzentriert, weil die Gutsbesitzer mit der Wiederaneignung der durch die Bauern angeeigneten Ländereien drohten und man die Bolschewisten brauchte, weil nur sie die bewaffnete Gegenwehr durch die Rote Armee organisieren konnten. Erst als die „Weißen“ geschlagen waren, aber die Bolschewiki mit der Requirierung des Getreides fortfuhren, standen die Bauern gegen die Arbeitermacht auf und zwangen sie 1921 zum Rückzug.43

Nunmehr kam es zu einer Neuauflage der Jahre 1918/1921. Wieder zogen die Arbeiter, vom Hunger nach Getreide getrieben, aufs Land, und wieder verbanden sie ihren Marsch mit kommunistischen Ambitionen und versuchten, die Bauern in „Agrarkommunen“ zu zwingen. Zwar hatten sich die Kräfteverhältnisse in der Zwischenzeit zu ihren Gunsten verschoben, aber auch diesmal hätte sich die Arbeitermacht nicht halten können, wenn sie nicht den Rückzug auf die „Neo-NÖP“ und das „Artel“ mit eigener Hoflandproduktion angetreten hätte, politisch flankiert durch eine neue Verfassung, welche der werktätigen Bauernschaft Mitte der 30er Jahre die formale Gleichberechtigung mit der Arbeiterklasse zuerkannte.

Nur durch diesen Rückzug war das Ergebnis der „zweiten Revolution“ trotz Millionen von Hungertoten auf dem Land und mehrerer Notjahre in den Städten nicht der Untergang der Arbeitermacht und nicht der Zerfall der Gesellschaft, sondern ein neuer Gesellschaftsvertrag zwischen Arbeiterklasse und (Kolchos-) Bauernschaft, der so stabil war, dass er auch dem Ansturm der deutschen Wehrmacht 1941 widerstand und dem Wesen nach bis zum Untergang der Sowjetunion andauerte.

7. Die Verfolgungen im Partei- und Staatsapparat

Ganz anderen Charakter als das Geschehen bei der Kollektivierung tragen die Verfolgungen in der zweiten Hälfte der 30er Jahre, weil sie nicht Ausdruck von Klassenkämpfen waren. Sie zerfallen in zwei unterschiedliche Stränge: zum einen Auseinandersetzungen innerhalb des Partei- und Staatsapparats, zum zweiten Maßnahmen gegen ehemalige Kulaken und andere, die anlässlich des nahenden Kriegs als potentielle fünfte Kolonne galten.

Die Verfolgungswelle, die den Partei- und Staatsapparat traf, begann nach der Ermordung Kirows Ende 1934 und fand ihren sichtbarsten Ausdruck in den großen Moskauer Prozessen von August 1936, Januar 1937 und März 1938. Die Veröffentlichungen, die hierzu in den letzten Jahren seit der (teilweisen) Öffnung der Archive erschienen sind, haben wenig zur Klärung beigetragen. Nicht einmal verlässliche Zahlen darüber, wie viele Parteimitglieder insgesamt „gesäubert“ wurden (wobei die Säuberung vom Parteiausschluss bis zur Liquidierung reichen konnte) gibt es. Besonders schwierig ist die Aufklärung in diesem Fall, weil die Parteisäuberung sich zeitweise mit den Maßnahmen gegen die „fünfte Kolonne“ überschnitt und die Opfer kaum auseinander zu halten sind. Erst recht sind die Hintergründe bislang nicht aufgeklärt. Deshalb erheben die nachfolgenden Überlegungen keinen Anspruch auf eine erschöpfende Erklärung, sondern wollen darauf aufmerksam machen, dass den Vorgängen mehr zugrunde liegen muss als der bösartige bzw. doktrinär verformte Charakter Stalins.

Das Vorspiel zu den Ereignissen bildete ein Beschluss des Politbüros vom 12.Dezember 1933, mit dem prominente Oppositionelle sowohl der „Linken“ als auch der „Rechten“ wieder in die Partei aufgenommen wurden, darunter Sinowjew, Kamenew, Preobrashenski, Tomski und Rykow (Bucharin war nie aus der Partei ausgeschlossen worden). Damit konnten die Parteiflügel sich wieder aufstellen, die sich bereits in den 20er Jahren gegenüber gestanden hatten und ohne deren Gegensätze die Parteisäuberungen der 30er Jahre m.E. nicht zu verstehen sind.

Aus Sicht der „Linken“ stellte sich die innenpolitische Lage Mitte der 30er Jahre so dar: Bis 1928 war Stalin mit Bucharin zusammen gegangen, um die NEP durchzusetzen; Stalin selber galt als Mann der „Rechten“, der die Kulaken schützte und als Generalsekretär den Ausschluss der Anführer des linken Parteiflügels aus der Partei organisiert hatte. 1929, als es fast schon zu spät war und das Land kurz vor einer Katastrophe stand, wechselte er mit einemmal die Fronten und rief zum Kampf gegen die Kulaken auf, den die Linken bereits seit Jahren gefordert hatten. Kaum war der Durchbruch zur Kollektivierung aber erfolgt, machte er auf halbem Wege kehrt, verhinderte die Einführung von Agrarkommunen auf dem Land und trat statt dessen für eine „Neo-NÖP“ ein, die den Bauern die Fortführung der Privatproduktion auf ihrem Hofland mitsamt der Abhaltung von Kolchosmärkten in der Stadt erlaubte. Gleichzeitig sorgte er entgegen spontaner Bestrebungen in Teilen der Arbeiterschaft nach einer kommunistischen Egalisierung der Löhne für ein Entlohnungssystem, das die Lohnunterschiede vergrößerte.

1934 machte er Bucharin zum Chefredakteur der Iswestija und beauftragte ihn anschließend mit der Ausarbeitung einer neuen Sowjetverfassung, die den (noch immer zur Hälfte warenproduzierenden) Bauern die staatsbürgerliche Gleichberechtigung mit den Arbeitern versprach. Das alte NEP-Bündnis zwischen „Parteizentrum“ und „Rechten“ war also auf neuer Ebene wieder hergestellt und sperrte den weiteren Weg zum Kommunismus zur gleichen Zeit, zu der Teile der Partei und insbesondere der Jugend auf eine forcierte Kommunismuspolitik drängten.

Im Dezember 1934 wurde Kirow, der Leningrader Parteisekretär, durch einen Anhänger Sinowjews erschossen. „Trotz der Einwände des NKWD befahl Stalin, die ‚Sinowjew-Spur‘ wieder aufzunehmen und beschuldigte seine ehemaligen Kontrahenten – Kamenew und Sinowjew sowie deren Anhänger – des Mordes an Kirow.“44 Die Behauptung Chruschtschows und in seinem Gefolge Dutzender von Historikern, Stalin habe die Ermordung Kirows selber angeordnet, um einen potentiellen Rivalen zu beseitigen, ergibt politisch nicht den geringsten Sinn und war bis heute trotz aller Anstrengungen durch keinen Tatsachenbeweis zu untermauern. Fest steht allerdings, dass das NKWD (Volkskommissariat für innere Angelegenheiten) in das Geschehen verwickelt war, woraus (aufgrund von Chruschtschows Behauptung) geschlossen wurde, dass Stalin der Drahtzieher war. Dabei wird übersehen, dass das NKWD weder eine monolithische Behörde noch erst recht das willfährige Werkzeug Stalins war. Es begriff sich als Wächter der Revolution und stand insbesondere in Leningrad den Linken nahe.

So gesehen, deuten die Zusammenhänge in eine ganz andere Richtung, die auch von Stalin unterstellt wurde. Kirow war nämlich anstelle Sinowjews gegen die Linken auf seinen Posten in Leningrad gehoben worden, war ein Verfechter der „Neo-NÖP“ und galt als Statthalter Stalins.45 Bereits 2 Jahre zuvor hatte es Auseinandersetzungen im Politbüro über die Behandlung des „Falls Rjutin“ – eines „Linken“ – gegeben. Dabei hatte Stalin nach einem Bericht Nikolajewskis eine harte Bestrafung gefordert; sein „stärkstes Argument war der Hinweis auf die zunehmenden terroristischen Stimmungen unter der Jugend – einschließlich der Komsomolzen. In den Berichten der GPU häuften sich Mitteilungen über derartige Gespräche unter der Arbeiter- und der studentischen Jugend überall im Lande. Registriert wurden nicht wenige terroristische Akte, die von Vertretern dieser Schichten gegen verhältnismäßig unbedeutende Repräsentanten der Partei- und sowjetischen Öffentlichkeit verübt worden waren.“ Stalin wies darauf hin, „dass es politisch falsch und auch unlogisch sei, die Täter so streng zu bestrafen und gleichzeitig diejenigen zu verschonen (gemeint sind die „Linken“; HK), deren politische Propaganda die direkte Grundlage für derartige Praktiken gelegt hätte“.46

Seinerzeit hatte Stalin sich mit seiner Forderung nach Bestrafung der „Hintermänner“ nicht durchsetzen können, jetzt wurden die führenden Linken vor Gericht gestellt. Die ersten beiden Moskauer Prozesse gegen das „vereinigte trotzkistisch-sinowjewistische Zentrum“ fanden unter zum Teil abenteuerlichen Anklagepunkten statt; an ihrem Ende wurden die meisten Angeklagten zum Tode verurteilt.

Sind die Fronten bis hierher zumindest politisch nachvollziehbar, so stößt jeder Erklärungsversuch beim letzten Prozess auf das Problem, dass diesmal die prominenten Rechten, voran Bucharin und Rykow, als „Block der Rechten und Trotzkisten“ auf der Anklagebank saßen und hingerichtet wurden. Insbesondere dieser Fakt hat der Interpretation Vorschub geleistet, dass der rachsüchtige Stalin seine Gegner gleich welcher Couleur vernichten wollte, und das auf besonders heimtückische Weise, denn noch anlässlich des Revolutionsjubiläums im November 1936 hatte er Bucharin zu sich auf die Ehrentribüne in Moskau geholt, während dieser wenige Wochen später als Feind der Partei und des Staats verfolgt wurde.

Wenn man nicht der Auffassung von der alles und nichts erklärenden Machtgier Stalins anhängt, sondern weiterhin nach einer politischen Erklärung sucht, drängen sich einige Fragen auf. Anlässlich der Verfolgung Bucharins empfahl Stalin zunächst eine bloße Verbannung ohne Hinzuziehung des NKWD.47 Als die Bucharinfrage im Februar 1937 auf das ZK-Plenum gebracht wurde, griff er ihn zwar öffentlich an, plädierte gegenüber den Forderungen nach seiner Hinrichtung aber dafür, ihn nur aus der Partei auszuschließen und keinen Prozess zu veranstalten, sondern die Sache zur weiteren Aufklärung dem NKWD zu überantworten, was auch mehrheitlich so beschlossen wurde. Das NKWD verhaftete Bucharin dann allerdings gleich nach dem Plenum, und ein Jahr später, im März 1938, wurde er vor Gericht gestellt. Jedenfalls deuten die wenigen Indizien darauf hin, dass Stalin nicht die Vernichtung Bucharins betrieben hat.

In einer Rezension zu Wladimir Hedelers „Chronik der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937 und 1938“ (Akademie-Verlag, Berlin 2003) schreibt Helmut Altrichter, dass das gründlich recherchierte Buch „Material zur ‚Planung, Inszenierung und Wirkung‘ der Schauprozesse (liefert), nicht deren Entschlüsselung.“48 In der Tat kann von „Entschlüsselung“ keine Rede sein. Auch die hier dargelegten Zusammenhänge haben vielleicht eine bestimmte politische Logik für sich – aber das ist kein Beweis.

Jenseits der politischen Differenzen hatten die Säuberungen in Partei, Staat und Wirtschaft unter der Parole „Die Kader entscheiden alles“ (anstelle des bis dahin gültigen „Die Technik entscheidet alles“), die ab 1937 im Zeichen des nahenden Kriegs standen, auch andere Hintergründe. In der Wirtschaft bspw. war es nicht allein auf unterer Ebene um die Arbeitsmoral schlecht bestellt, auch ein erheblicher Teil der leitenden wirtschaftlichen Kader war nur durch die Umstände nach oben gespült worden, weil es an allen Ecken und Enden an Menschen fehlte. „Während der Reinigung zitterten ständig die Knie der Hunderttausende von Bürokraten. Beamte und Vorgesetzte, die sonst etwa um zehn Uhr morgens am Arbeitsplatz erschienen und um halb vier Uhr schon wieder gingen, die für alle Klagen, Schwierigkeiten und Missstände nur immer ein Achselzucken übrig gehabt hatten, waren nun vom Morgengrauen bis zum Einbruch der Dunkelheit an ihren Plätzen. (…) Sie gaben sich ernstlich Mühe, dass die vorgesehenen Mengen erzeugt wurden und dass der Betrieb rentabel arbeitete; sie achteten auch auf das Wohlbefinden der dort Tätigen – etwas, was sie vorher nicht im geringsten interessiert hatte.“49

Außerdem machen neuere Untersuchungen darauf aufmerksam, dass als Erbe der Vergangenheit Formen von Klientelpolitik auf dem Boden persönlicher Beziehungen und Abhängigkeiten weit verbreitet waren.50 Dem entsprachen Vorwürfe des Machtmissbrauchs, der Bürokratie und der Bildung persönlicher Seilschaften, mit denen viele leitende Kader attackiert wurden. An ihre Stelle rückte eine neue Führungsgeneration von Absolventen der neu aufgebauten Akademien und technischen Hochschulen.

Dem Wesen nach hatte die Parteisäuberung die Enthauptung der alten, bolschewistischen Revolutionspartei Lenins zur Folge. Von den fast 2000 Delegierten des 17. Parteitags 1934 wurden nur noch 35 zum folgenden 18. Parteitag 1939 gewählt; die Mehrheit der 139 Mitglieder und Kandidaten des ZK von 1934 überlebte die Jahre 1937 und 1938 nicht, und von den 15 Mitgliedern des Politbüros von 1934 standen 1939 nur noch 7 zur Wiederwahl an. Als Folge der Säuberung verschwanden die bisherigen Parteiflügel – wenngleich nicht der Nährboden, der sie hervorgebracht hatte -, und entstand unter dem fortbestehenden Organisationsmantel der KPdSU faktisch eine neue Partei.

8. Der „große Terror“ und der Krieg

Die andere und weitaus mehr Menschen erfassende Verfolgungswelle fand von Mitte 1937 bis November 1938 aus Anlass des drohenden Kriegs statt. Da sie sich zeitweise mit dem Höhepunkt der Parteisäuberung überschnitt, fällt es um so schwerer, beide auseinander zu halten.

In den Jahren zuvor hatte die sowjetische Regierung eine Politik der Versöhnung gegenüber den ehemaligen Kulaken betrieben. 1935 und 1936 lief die im Gesetz vorgesehene Verbannungsfrist für Hunderttausende von Kulaken ab, die 1930 und 1931 aus ihren Dörfern ausgewiesen worden waren – mitsamt Familie ein Personenkreis von mehreren Millionen Menschen.51 Sie erhielten jetzt ihre staatsbürgerlichen Rechte zurück. Zwar blieb es ihnen untersagt, in ihre alten Dörfer zurückzukehren, um nicht die mühsam stabilisierten Kolchosen zu gefährden, viele taten es aber trotzdem. Sie beanspruchten ihr Eigentum zurück, und teils gelang es ihnen sogar, ihren früheren Einfluss im Dorf wieder herzustellen. „Der Schatten des Kulaken fiel während der gesamten dreißiger Jahre auf das Dorf“.52

Ebenfalls 1935 wurden die unter fünfjährigen Vorstrafen aller Kolchosbauern gelöscht, so dass Hunderttausende von den damit verbundenen rechtlichen Einschränkungen befreit wurden. Außerdem wurden die Aufnahmebeschränkungen für die Zulassung zu Hoch- und Fachschulen aufgehoben, die sich aus der sozialen Herkunft der Studienbewerber ergaben. „Viele Fakten lassen darauf schließen, dass die Stalinsche Führung in dieser Zeit tatsächlich darauf hoffte, eine ‚Versöhnung‘ innerhalb der Gesellschaft und gewisse soziale Stabilität durch ‚Befriedung‘ zumindest eines Teils jener Bevölkerungsschichten zu erreichen, die in den vergangenen Jahren Diskriminierungen und Repressalien ausgesetzt waren.“53

Jetzt fand diese Politik ein Ende. 1936 war die Reichswehr in das entmilitarisierte Rheinland einmarschiert, der spanische Bürgerkrieg begann, und im September d.J. verkündete die nationalsozialistische Staatsführung den deutschen Vierjahrplan, der Wirtschaft und Wehrmacht binnen vier Jahren kriegsbereit machen sollte. Der Jahresverlauf zeigte, dass Europa auf einen neuen großen Krieg zusteuerte.

Ausgangspunkt der neuen Verfolgungen war das ZK-Plenum vom Februar-März 1937. „Das von der Plenartagung überlieferte Stenogramm und einige andere Dokumente belegen, dass die Organisatoren des großen Terrors“ neben einer „Revolution der Kader … angesichts des sich abzeichnenden Krieges die Vernichtung einer potentiellen ‚fünften Kolonne'“ beabsichtigten.54 Die zugrunde liegende Einschätzung war einfach: Revolution, Bürgerkrieg und Kollektivierung – alles Ereignisse, die noch nicht lange zurück lagen – hatten ganze Bevölkerungsgruppen, die ihre vorherige gehobene soziale Stellung verloren hatten, zu entschiedenen Gegnern des Arbeiterstaats gemacht. Die Versöhnungspolitik hatte nicht lange genug gedauert, um bei ihnen eine neue Loyalität zu erzeugen. Deshalb bestand die Gefahr, dass diese Schichten in einem künftigen Krieg auf die Seite des Feindes traten.

Insgesamt standen „drei Bevölkerungsgruppen, die als Nährboden einer potentiellen ‚fünften Kolonne‘ angesehen wurden“, im Zentrum des Großen Terrors: ehemalige Kulaken, andere „antisowjetische Elemente“ und Kriminelle.55 Unter der Bauernschaft waren in erster Linie die aus der Verbannung zurückgekehrten Kulaken das Ziel. Daneben traf es ehemalige zaristische Beamte, Weißgardisten, Mitglieder zerschlagener Parteien (Sozialrevolutionäre, georgische Menschewiken und andere) sowie früher ausgeschlossene KP-Mitglieder, die aufgrund ihrer politischen Erfahrungen und Kenntnisse als besonders gefährlich galten. Das Politbüro legte Zahlenkontingente von Personen fest, die zu deportieren oder – im Falle einer besonders feindlichen Einstellung zur Sowjetmacht – zu erschießen waren. Zur Umsetzung wurden örtliche „Troikas“ aus dem örtlichen Parteisekretär, Staatsanwalt und dem zuständigen NKWD-Offizier eingesetzt. Sie erhielten das Recht, Urteile einschließlich Todesurteile zu fällen und ohne Berufungsmöglichkeit sofort vollstrecken zu lassen. Bis zu 2,5 Millionen Verhaftungen fanden statt, von denen nach den Statistiken des NKWD 680.000 Menschen hingerichtet wurden.56

Wagner ficht der bevorstehende Krieg nicht an; er erklärt das Argument der Kriegsvorbereitung für „zweifelhaft“, ohne sich der Mühe einer Begründung zu unterziehen. Dabei hätte ein Blick in die von Chlewnjuk vorgenommene Auswertung der Beschlüsse des Politbüros genügt, um zweifelsfrei festzustellen, dass der entscheidende Grund für den „Großen Terror“ von 1937/38 in der Tat die Ausschaltung einer befürchteten „fünften Kolonne“ im Blick auf den Krieg war.57 Nach den Maßstäben einer entwickelten Gesellschaft waren die Methoden, die dabei zur Anwendung kamen, barbarisch, und sich heute davon zu distanzieren, ist wohlfeil. Ein begründetes Urteil über die Stalin-Zeit setzt jedoch nicht nur eine Vertiefung der Forschung voraus, sondern hat auch Russland in seiner Zeit zu berücksichtigen: ein barbarisches Riesenland, technisch und kulturell 50 bis 100 Jahre hinter den kapitalistischen Ländern zurückgeblieben, international isoliert innerhalb einer feindlichen Umwelt, das von der Oktoberrevolution und dem Bürgerkrieg bis zur Kollektivierung und Industrialisierung in dem gesellschaftlichen Ausnahmezustand einer Revolution in Permanenz lebte und ab 1937 zusätzlich unter dem Druck der Kriegsvorbereitung stand.

Diese Diskussion, die sich auf die konkreten Bedingungen der geschichtlichen Entwicklung einlassen müsste, führt Wagner nicht. Er erklärt das erneute Vorgehen von 1937/38 gegen ehemalige Kulaken für einen weiteren Beweis, „wie wenig die kollektive Agrarordnung gesichert war“. D.h., es ist für ihn eine direkte Folge der verfehlten Kollektivierung von 1929/30 und unterstreicht deren verbrecherischen Grundcharakter. In diesem Bild hat die vor 1937 praktizierte Versöhnungspolitik naturgemäß keinen Platz, deshalb verschweigt er sie dem Leser gnädig.

9. Ein unterschiedlicher Zugang zur Geschichte

Im Bemühen, seinen Gegensatz zu Karuscheit auf den Punkt zu bringen, schreibt Wagner gegen Ende seines Artikels: „Wir haben einen unterschiedlichen Zugang, Geschichte marxistisch zu bewerten und zu analysieren.“ Die Bemerkung über unsere gegensätzliche Herangehensweise trifft in jeder Hinsicht zu, angefangen mit der von ihm favorisierten Reihenfolge von Bewertung und Analyse.

Seine Beschränkung auf die Oberfläche der Dinge führt ihn auf dieselbe Ebene wie die Mehrzahl der Kritiker Stalins – bürgerliche Historiker ebenso wie Chruschtschow, der auf dem 20. Parteitag 1956 die Opfer Stalins beklagte, aber keinen Satz über die gesellschaftspolitischen Hintergründe verlor. Auch die meisten Kritiken aus trotzkistischer Richtung, als letztes die Ende der 90er Jahre erschienenen, völlig unpolitischen Bücher von Vadim Z. Rogovin über das „Jahr des Terrors“ und „die Partei der Hingerichteten“, verfahren so. Die Gründe, die auf dieser Ebene für die Verfolgungen angegeben werden, beschränken sich auf Stalins Persönlichkeit. Einmal ist es seine Machtgier, ein andermal sein blutrünstiger Charakter, krankhaftes Misstrauen und Verfolgungswahn, oder die Rachsucht eines mediokren Bürokraten gegenüber dem intellektuell überlegenen Trotzki.

Eine spezielle Variante macht auch den Bolschewismus bzw. Marxismus als solchen verantwortlich, der in Stalin seinen bluttriefenden Vollstrecker gefunden haben soll. Bei Wagner sind doktrinäre Verformungen, bedingt durch eine jahrzehntelange Tätigkeit als Berufsrevolutionär, ursächlich für Terror und Verbrechen. Wie auch immer die jeweilige Spielart aussieht – das konkrete Gesicht der Klassen und ihre Einwirkung aufeinander spielt in diesen Interpretationen so wenig eine Rolle wie die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Die Position Stalins hierzu kennt man nicht und will sie auch gar nicht zur Kenntnis nehmen, geschweige denn dass man in der objektiven Bewegung der Klassen einen Ansatzpunkt der Erklärung suchen würde.

Eine andere Herangehensweise zeichnet die sog. „Revisionisten“ aus, sozialwissenschaftlich orientierte Historiker vor allem aus den USA, die seit den 70er Jahren den Versuch unternommen haben, die um Stalin zentrierte Personengeschichtsschreibung durch sozial fundierte Forschungen zu „revidieren“.58 Leider hat die (teilweise) Öffnung der Archive bislang vor allem die traditionelle Geschichtsschreibung begünstigt, der sie Gelegenheit gab, die Oberfläche der Ereignisse detaillierter darzustellen.

Substantiell neue Erkenntnisse sind im letzten Jahrzehnt nicht gewonnen worden, und das hat nicht nur mit der Tatsache zu tun, dass nach wie vor nicht alle Archive frei zugänglich sind. Neben den wünschenswerten sozialen Analysen fehlen auch andere wichtige Untersuchungen. Die Kommunismustendenzen, die sich durch die Geschichte der Sowjetunion ziehen, bis sie 1961 unter Chruschtschow zum Kommunismusprogramm des 22.Parteitags führten, sind vollständig unerforscht; eine brauchbare Darstellung der Parteiflügel in den 30er Jahren existiert nicht; die Geschichte des NKWD, in dessen Aufgabenzuweisung, Organisationsänderungen und Führungswechsel sich die entscheidenden Jahre widerspiegeln, muss noch geschrieben werden – und damit sind nur drei aus einer Liste wünschenswerter Aufgaben genannt.

Bei alledem ist der ausschlaggebende Maßstab für den Marxismus nicht der Überbau. Trotz aller Fragen, die weiterhin der Lösung harren, muss man festhalten, dass es auf Basis der unter Stalin geschaffenen Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte möglich war, den Sozialismus weiter aufzubauen; dabei waren auch die innen- und rechtspolitischen Zustände zu zivilisieren. Dagegen griff die Kommunismuspolitik des mit Chruschtschow an die Macht gelangten Parteiflügels so in die Produktionsverhältnisse ein, dass der weitere Weg nach vorne abgeschnitten wurde. Auch insoweit hat Kolja Wagner recht, wenn er einen unterschiedlichen Zugang zur Geschichte konstatiert. Es ist der Unterschied, der den Marxismus von bürgerlicher Geschichtsbetrachtung trennt.

Oktober 2004

Literatur:

  • Helmut Altrichter: Kleine Geschichte der Sowjetunion 1917-1991, Beck, München 1993

  • Helmut Altrichter und Heiko Haumann (Hrsg): Die Sowjetunion. Von der Oktoberrevolution bis zu Stalins Tod, Band 1: Staat und Partei, dtv-Dokumente, München 1986; Band 2: Wirtschaft und Gesellschaft, München 1987

  • Oleg W. Chlewnjuk: Das Politbüro. Mechanismen der politischen Macht in der Sowjetunion der dreißiger Jahre, Hamburger Edition, Hamburg 1998

  • Manfred Hildermeier (Hrsg): Stalinismus vor dem Zweiten Weltkrieg. Neue Wege der Forschung. Oldenbourg, München 1998; zitiert als: Hildermeier 1998 (Stalinismus)

  • Manfred Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion 1917-1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates; Beck, München 1998; zitiert als: Hildermeier 1998 (Geschichte)

  • Manfred Hildermeier: Die Sowjetunion 1917-1991. Oldenbourg Grundriss der Geschichte, München 2001

  • Stefan Plaggenborg (Hrsg): Stalinismus. Neue Forschungen und Konzepte, Berlin-Verlag 1998

  • Josef Stalin, Werke Band 1-13, Dortmund o.J. (Raubdruck)

  • Josef Stalin: Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR; in: Probleme des wissenschaftlichen Sozialismus Band 1, Roter Druckstock, Frankfurt/Main 1972

1 Hildermeier 1998, S.383

2 Gennadi Bordjugow, Wladimir Koslow: Die Wende des Jahres 1929 und die Alternative Bucharins; in: INITIAL 1/90, S. 88

3 Die Erfahrung, dass die NEP bei den Arbeitermassen unbeliebt war, bildet den rationalen, klassenmäßigen Kern der seinerzeitigen Polemiken Trotzkis gegen Stalin als Verantwortlichen für den russischen „Thermidor“, in denen er unterstellte, dass Stalin die NEP-Politik im Interesse des Kulakentums gegen die Arbeiterschaft durchsetzen würde, notfalls sogar mit militärischen Mitteln. Mehrere Jahre lang stand diese Position im Zentrum von Trotzkis Auseinandersetzung mit Stalin. Als sie durch die Kollektivierung und die Vernichtung des Kulakentums ad absurdum geführt wurde, zog Trotzki sich auf die Kritik der klassenlosen, reinen Bürokratie übrig, deren Inkarnation jetzt wiederum Stalin war.

4 Hildermeier 2001, S. 29

5 Gennadi Bordjugow, Wladimir Koslow: Die Wende des Jahres 1929 und die Alternative Bucharins; in: INITIAL 1/90, S. 85 f

6 Hildermeier 1998 (Geschichte), S. 116

7 Joachim Hösler, Sowjetische und russische Interpretationen des Stalinismus; in: Plaggenborg, S. 61; Hervorhebung von mir; H.K.

8 Stalin: Die ersten Ergebnisse der Beschaffungskampagne und die weiteren Aufgaben der NEP,
Februar 1928; in: SW 11, S. 14

9 Dietmar Neutatz: Zwischen Enthusiasmus und politischer Kontrolle. Die Arbeiter und das Regime am Beispiel von Metrostroj; in: Plaggenborg, S. 185

10 Hildermeier 2001, S.116

11 SW 12, S. 168 ff, 177 ff

12 Chlewnjuk, S. 104

13 Chlewnjuk, S. 105

14 Chlewnjuk, S. 90

15 Chlewnjuk, S.146

16 Stalin: Neue Verhältnisse – neue Aufgaben des wirtschaftlichen Aufbaus. Rede auf der Beratung der Wirtschaftler, 23.Juni 1931; SW 13, S. 51, 52

17 Hildermeier, 1998, S. 420

18 SW 13, S. 68

19 Chlewnjuk, S. 104-108

20 Chlewnjuk, S. 145 f

21 Stalin: Ökonomische Probleme, S. 21

22 Stalin: Ökonomische Probleme, S. 67

23 Stalin: Ökonomische Probleme, S. 17

24 Februar 1931, SW 13, S. 36; ähnlich schon Novemberplenum des ZK 1928; SW 11, S. 220

25 in: Plaggenborg, S. 185-208

26 in: Plaggenborg, S. 196

27 Krasnyi Perekop – Betriebsalltag und Arbeiterinteressen am Beispiel der Textilarbeiterschaft in Jaroslavl‘ in den 1930er Jahren; in: Plaggenborg, S. 209-242

28 Gorzka in: Plaggenborg, S. 239

29 FAZ vom 07.11.1998

30 Altrichter 1993, S. 72

31 Hildermeier 2001, S. 44, 128, 131

32 Stalin: Ökonomische Probleme, S. 70 f

33 Joachim Hösler: Sowjetische und russische Interpretationen des Stalinismus; in: Plaggenborg, S.53

34 Hildermeier 1998, S. 419

35 Stalin: Ökonomische Probleme, S. 10/11

36 Marxistische Blätter 6-03, November/Dezember 2003

37 MBl 6-03, S.94

38 ausführlicher hierzu AzD 67: Proletariat und Sozialismus in der Sowjetunion

39 Hildermeier 1998, S.401

40 SW 12, S. 182

41 Hildermeier 2001, S. 121 f

42 Altrichter 1993, S. 70

43 Alfred Schröder: Der russische Oktober – die Geburtsstunde der kommunistischen Bewegung; in: AzD 67

44 Chlewnjuk, S.191

45 vgl. Chlewnjuk, S.162-182

46 zitiert nach: Chlewnjuk, S. 109 f; Chlewnjuk zweifelt die Authentizität des Berichts von Nikolajewski an, aus dem Zusammenhang ergibt sich zumindest, dass der Bericht von einem Kenner der internen Verhältnisse stammen muss

47 Hildermeier 1998, S.458

48 FAZ vom 18.12.2003

49 John Scott: „Jenseits des Ural“; Erinnerungen eines Amerikaners, der von 1932 bis 1937 in Magnitogorsk arbeitete; in: Altrichter/Haumann 1987, S. 430

50 vgl. Sheila Fitzpatrick: „Intelligentsia and Power. Client-Patron Relations in Stalin’s Russia“; in: Hildermeier 1998 (Stalinismus), S. 35

51 Chlewnjuk, S.203

52 Sheila Fitzpatrick nach: Chlewnjuk, S.261 f

53 Chlewnjuk, S. 209

54 Chlewnjuk, S. 250

55 Chlewnjuk, S. 270

56 Hildermeier 2001, S. 43

57 Chlewnjuk, S. 256 – 259

58 Überblick s. Hildermeier 2001, Plaggenborg, S. 20-26