Die Herrschenden ohne soziale Basis
Die Machtübernahme der NSDAP fand bekanntlich auf parlamentarischem Weg und mit der Unterstützung der herrschenden Klassen statt. Schon nach dem gescheiterten Putschversuch 1923 brachte Hitler seine Partei auf Legalitätskurs. Die NSDAP bekämpfte die Weimarer Republik propagandistisch in schärfsten Tönen. Hitler und die Parteiführung nahmen aber Abstand von der Vorstellung, durch eine gewaltsame „Revolution“ die Macht zu übernehmen.
In den ersten Jahren genoß die NSDAP bei der Mehrheit der Industriellen und Junker noch kein großes Ansehen. Das radikale 25-Punkte-Programm, das auch Verstaatlichungsforderungen enthielt, und das brutale Auftreten der Bewegung schreckten das Bürgertum ab. General von Schleicher warnte noch 1930: „Der Ansicht, daß die sozialistischen Forderungen der Nazis ‘nicht erst gemeint’ seien, muß man durchaus entgegentreten. Sie sind doch ernst gemeint und ihr Kern ist kaum etwas anderes als reiner Kommunismus.“ [30] Vor dem Hintergrund der Krise und des Abstiegs der bürgerlichen Parteien unterstützten immer mehr Industrielle die Nazis. Hitler legte zur Beruhigung seiner industriellen Gönner wiederholt Bekenntnisse zum Privateigentum ab. Viele Industrielle und Junker hofften, durch den Machtantritt der NSDAP die stärker werdende Arbeiterbewegung, vor allem die Kommunistische Partei, los zu werden. Selbst ohne Massenbasis in der Bevölkerung, wandten sich Anfang der 30er Jahre die alten Eliten der NSDAP zu, um eine Auflösung der Krise nach links zu verhindern. Viele glaubten, den Alleinherrschaftsanspruch der Nazis und ihre Radikalität könne man schon zügeln, wenn die Partei erst in die Regierungsverantwortung eingebunden sei.
Spätestens nach seiner Rede im Düsseldorfer Industrieclub am 27. Januar 1932 hatte Hitler viele der einflußreichen Konzerne hinter sich. Nur die IG-Farben setzte noch auf ein Notstandskabinett mit General Kurt von Schleicher an der Spitze. Die finanzielle Unterstützung großer Teile der Industrie und die Einführung Hitlers in die Finanzkreise durch Hjalmar Schacht und Kurt von Schröder legten die Nürnberger Prozesse ausführlich dar und bedürfen an dieser Stelle keiner weiteren Darstellung. [31] Die Finanzspritzen von Thyssen, Krupp, der Dresdener Bank usw. stellten aber nicht den Hauptgrund für die Machtübernahme der NSDAP dar. Ohne die soziale Programmatik für die Massen hätte auch alles Geld aus der Wirtschaft nichts genutzt, um eine Massenbewegung zu werden. Oder umgekehrt: Keine andere Partei hätte mit diesen Millionen die Massen gewinnen können.
Die alte preußische Elite ermöglichte den Nazis die Machtübernahme durch die loyale Haltung der Reichswehr und die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg. Die von Junkern und Schwerindustrie bestimmte DNVP ließ sich ohne größeren Widerstand aus der Koalitionsregierung mit der NSDAP verdrängen. In der autoritären Gedankenwelt des Kaiserreiches verhaftet, unterstützten sie die Errichtung des Führerstaates. Sie hofften außerdem, die Nationalsozialisten würden durch die Aufrüstung und Sprengung des Versailler Vertrages der Armee wieder zu ihrer alten Machtposition verhelfen.
Die Unterstützung durch die Reichswehr und Junker hatte für die Nazis ihren Preis. Im Februar 1933 bestätigte Hitler in einem privaten Gespräch mit der Heeresleitung der Reichswehr noch einmal die getroffenen Vereinbarungen: Eine innere Besiedlung Deutschlands mit Bauern würde es nicht geben. Statt dessen sollte die „rücksichtslose Germanisierung“ im Osten für die Gewinnung von neuem Lebensraum durchgeführt werden. Die Reichswehr dürfe außerdem ihren überparteilichen Charakter behalten und würde nicht mit der SA vereinigt. [32] Erhalt der halbfeudalen Rittergüter und der aristokratischen Reichswehr stellten die ersten Abstriche dar, die Hitler vorläufig von seinem Programm machen mußte.
Zur Beruhigung noch bestehender Ängste und als Manifestation der neuen Macht inszenierten die Nazis mit großem Aufwand den „Tag von Potsdam“. Das Bündnis von Nationalsozialismus und Preußentum, zwischen dem „alten und neuen Deutschland“, wurde am 21.März bei der Eröffnung des Reichstages in Potsdam zum Staatsakt. Genau 62 Jahre zuvor hatte Bismarck den ersten Reichstag des „2. Reiches“ öffnet. Nach einer gemeinsamen Militärparade von Reichswehr, Stahlhelm, SS und SA fanden in der Garnisonskirche, wo die Gebeine der Preußenkönige lagen, die Festlichkeiten statt. Hindenburg erschien in seiner Marschalluniform aus dem 1.Weltkrieg, die gesamte kaiserliche Familie saß auf einer Ehrentribüne und die ganze Stadt war mit den Fahnen des Kaiserreiches und des Nationalsozialismus geschmückt.
Ob die Hoffnungen der Kapitalisten und Junker mit der Errichtung des NS-Staates erfüllt wurden oder ob die Nazis nach der Machtübernahme die Entmachtung der alten Eliten durchführten, soll in den folgenden Kapiteln beantwortet werden.