Vorbemerkung

Der am 24. Februar d.J. mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine begonnene Krieg hat alle politischen Kräfte gezwungen, Standpunkt zu beziehen, auch wenn die Suche danach in der DKP immer noch andauert.

Nach Auffassung der AzD-Redaktion handelt es sich auf beiden Seiten um einen reaktionären Krieg, den Russland als Eroberungskrieg unter Berufung auf die Grenzen des großrussischen Zarenreichs führt, die Eigenstaatlichkeit der Ukraine in Frage stellt und die Nationalitätenpolitik der Bolschewiki zurückweist. Umgekehrt dirigieren die USA den Krieg der Ukraine mit Hilfe der NATO mit dem Ziel, Russland zu schwächen und eine weitere Annäherung zwischen der EU und Russland zu unterbinden, um ihre Vorherrschaft über Europa zu festigen. Das heißt, es gibt in diesem Krieg keine fortschrittliche Seite, sondern man muss – wie Liebknecht und Lenin im 1.Weltkrieg – für die Niederlage beider Seiten und den Sturz der jeweiligen Regierungen eintreten.

Von A.Schröder und H.Karuscheit sind hierzu auf der Webseite der „Kommunistischen Debatte“ mehrere Beiträge erschienen, von denen die meisten hier abgedruckt sind; alle sind in der Rubrik „Ukraine-Krieg“ zu finden unter: https://kommunistische-debatte.de/.

Als Programm für alle demokratischen und fortschrittlichen Kräfte plädieren die Autoren für einen klaren Forderungskatalog:
„Austritt aus der NATO – NATO raus Deutschland! Ende aller Wirtschaftssanktionen gegen Russland und sofortige Öffnung von Nordstream 2! Keine Waffenlieferungen an die Kriegsparteien!“
Außerdem unterstützen sie die Forderung nach dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker und Nationen“, die sich gegen Russland ebenso wie gegen die Ukraine richtet.

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Als Reaktion auf den Krieg hat die Berliner Regierung ein 100-Mrd-Aufrüstungsprogramm beschlossen, das die Linke umgehend als Kriegsvorbereitung und Rückkehr zu einem aggressiven Imperialismus wertete. Demgegenüber vertritt Karuscheit in seinen Beiträgen zur deutschen Bourgeoisie, dass die Leninsche Imperialismustheorie nicht geeignet ist, um die bürgerliche Außen- und Militärpolitik zu begreifen. Seines Erachtens hat der Ukraine-Krieg dem bisherigen Konzept zur Vorherrschaft über die EU bei einer gleichzeitigen „Sicherheitspartnerschaft“ mit Russland den Boden unter den Füßen entzogen und haben die USA es geschafft, die deutschen Selbständigkeitsbestrebungen zu durchkreuzen, ohne dass die Bourgeoisie bisher ein neues Konzept für die Sicherheitspolitik gefunden hat.

Außerdem stellt er die Frage, wieso die Linke zwar lautstark auf ideologischer Ebene die Aggressivität des deutschen Imperialismus angreift, aber keine konkrete Antwort darauf diskutiert, wie sie etwa die frühere Arbeiterbewegung gegeben hat: allgemeine Wehrpflicht und Übergang zu einem Milizsystem anstelle einer Berufsarmee aus bezahlten Söldnern!

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Gleich nach ihrem Erscheinen im Internet haben die hier abgedruckten Artikel eine Reihe von Kritiken ausgelöst, deren gemeinsamer Tenor das Beharren auf der Leninschen Imperialismustheorie ist; sie sind in der Rubrik „Diskussion“ nachzulesen. Wie einer der Kritiker, Albert F.Reiterer, sind auch wir der Auffassung, dass die Auseinandersetzung über diese Theorie uns in entscheidenden Punkten weiterbringen kann. Wir würden es daher begrüßen, wenn weitere Diskussionsbeiträge eingehen würden.

Zu dem Thema hat A. Schröder begonnen, die Entwicklung der Imperialismustheorie durch Lenin historisch-politisch zu untersuchen, ausgehend vom Ukraine-Krieg. Sein Beitrag „Der falsche Lenin. Ukrainekrieg und Imperialismustheorie“ hat in der vorliegenden AzD-Ausgabe leider keinen Platz gefunden, er ist auf der Webseite der „Kommunistischen Debatte“ nachzulesen: www.kommunistische-debatte.de/?page_id=2523/

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Zum Abschluss stellt Martin Schlegel das Buch von Jannis Milios über die „Entstehung des Kapitalismus als Gesellschaftssystem“ vor: „Eine zufällige Begegnung in Venedig“.

Der griechische Ökonom behandelt mit großer Sachkenntnis die zum Teil widersprüchlichen Aussagen von Marx zur Entstehung des Kapitalismus und zur Rolle des Geldkapitals. Für die Entwicklung einer kapitalistischen Gesellschaft spielt das historisch gleichzeitige Zusammentreffen von Geldbesitz und Lohnarbeit eine wichtige Rolle. Am Beispiel des spätmittelalterlichen Venedig belegt Milios seine theoretischen Aussagen. An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass der Weg Englands nicht der einzig mögliche hin zu einer kapitalistischen Gesellschaft ist. Das Buch ist eine fundierte Darstellung von grundsätzlichen Themen des Marxismus und stellt historisch auch manche tradierten Denkgewohnheiten in Frage.