Fritz Gött

Der erste Schritt auf einem langen Marsch: China 1911 – 1949

– Anmerkungen zur aktuellen Diskussion –

Unter der Epoche der Chinesischen Revolution versteht man in der wissenschaftlichen Literatur (auch) die Zeit vom Sturz des chinesischen Kaiserreiches 1911 bis zum militärischen Sieg der chinesischen Kommunisten über die Guomindang 1949. Mit der Gründung der Volksrepublik (1949) begann dann eine neue Etappe in der chinesischen Geschichte und Revolution.

Drei Arbeiten linker Autoren, Henning Böke, Helmut Peters und Felix Wemheuer, habe ich zum Thema ‚Chinesische Revolution‘ durchgesehen. Nicht alles hat mich dabei überzeugt. Einige Fragen und historische Verläufe sollen daher hier diskutiert werden. Dabei konzentriere ich mich auf wichtige Schlüsselfragen und Wendepunkte in der chinesischen Geschichte.

I. Das Alte China an der Schwelle zur Neuzeit

Vom 4. Jh. v.u.Z. bis zum Sturz des Kaiserreiches in der Revolution von 1911 bestand in China eine nicht-kapitalistische Gesellschaft eigener Bauart, die Günter Lewin als „Vorkapitalistische Gesellschaftsformation in China“ bezeichnet hat. Ich habe dazu in der AzD Nr.79 Standpunkte referiert (F. Gött, 2010). Diese Gesellschaft konnte und wollte aus sich heraus keine eigenen Keime des Kapitalismus hervorbringen. (siehe: G. Lewin, 1977 und 1979)

Der Einbruch des ausländischen Imperialismus bzw. des ausländischen Kapitals in China im 19. Jh. modifizierte jedoch diese tradierte Gesellschaft und leitete einen sozialen Wandel ein, der sich im 20. Jh. beschleunigt fortsetzte.

II. China im 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts:
eine „halbkoloniale und halbfeudale Gesellschaft“?

Um den Kollaps des kaiserlichen Chinas unter der Qing-Dynastie im 20. Jh. zu verstehen, muss man (auch) auf seine Vergangenheit blicken:

– China wurde seit dem 17. Jh. von einer mandschurischen Dynastie regiert. Wer waren die Mandschu? Beileibe keine Steppennomaden, sondern ein kriegerisches Volk aus Hirten und Ackerbauern, Jägern und Fischern, ursprünglich beheimatet in der Mandschurei, abstammend von den tungusischen Dschurdschen, schon staatlich organisiert und geprägt von der chinesischen Kultur. Die Mandschu drangen Anfang des 17. Jh. in die nordöstlichen Grenzregionen Chinas ein, die bisher von der chinesischen Ming-Dynastie gehalten wurde. 1644 eroberten sie im Bündnis mit süd- und ostmongolischen Stämmen und einflussreichen chinesischen Kollaborateuren Peking. Unter dem dynastischen Namen Qing setzte man sich auf den chinesischen Drachenthron und trieb die Eroberung des Landes voran.
– Die Mandschu, die dann nicht mehr als 2% der Gesamtbevölkerung im Reich ausmachten, bildeten in China eine bevorrechtigte Kriegerkaste. Alle Han-Chinesen und ethnischen Minderheiten wurden – mit Ausnahme der Mongolen, die einen Sonderstatus besaßen – als Untertanen betrachtet und behandelt. Nicht wenige Chinesen sahen diese Fremdherrscher als Usurpatoren, denen das ‚Mandat des Himmels’ fehlte. Gleichwohl bemühten sich die siegreichen Mandschu-Kaiser, chinesischer als die Chinesen zu sein, blieben aber die Ordnungsmacht unter Wahrung ihrer eigenen Identität. So vertraten sie im Reich einen unnachgiebigen, strengen Staats-Konfuzianismus.
– Der Widerstand erodierte, Teile der chinesischen Elite sowie der Grundherren kollaborierten. Ein
sino-mandschurischer Klassenstaat entstand. Doch kraftvollen Mandschu-Kaisern folgten schon bald unfähige Nachfolger nach, die ihren begrenzten Kredit im Volk verspielten.

– Unter der Qing-Dynastie (1644 – 1911/2) erreichte das Chinesische Reich seine größte Ausdehnung in der Geschichte. J. Osterhammel fand dafür folgendes Bild: „Man kann sich das Qing-Reich, stark vereinfacht, als ein Ineinander von drei konzentrischen Kreisen vorstellen. Den inneren Kreis bildete das Kernchina der achtzehn Provinzen südlich der Großen Mauer, also ungefähr das Gebiet der Ming-Dynastie. Darum lagerte sich als zweiter Ring die koloniale Peripherie (Mongolei, Xinjiang, Tibet); die Mandschurei, die als dünn besiedeltes Stammland der Dynastie einen Sonderstatus genoß, und Taiwan, in dem die han-chinesische Besiedelung früher als in den anderen peripheren Gebieten eine wichtige Rolle spielte, sollen auch dazugerechnet werden. Den äußeren Ring schließlich stellten die Tributstaaten dar (Korea, Vietnam, Siam/Thailand, Burma, Nepal), die dem Kaiser als ihrem Oberherrn regelmäßig huldigten und von denen man erwartete, daß sie ihre außenpolitische Loyalität niemand anderem zukommen ließen. Sie unterstanden keiner direkten chinesischen Verwaltung und waren der Sache nach, was Europäer im 19. Jahrhundert eine ‚Einflußsphäre’ nannten.“ (J. Osterhammel, 2000, S. 116)

Doch nicht jedes Volk und Reich ging freiwillig in dieses Imperium ein. Die Kehrseite der Medaille: der Vielvölkerstaat der Qing war auch ein Völkergefängnis. Außerdem war nicht jeder Erwerb für die Qing gewinnbringend. Manche Eroberungen belasteten den Staatshaushalt zusätzlich.

– Das etablierte Qing-Regime erwies sich in seiner Spätphase als unfähig, das eigene Imperium, aber auch das Volk vor den Angriffen des ausländischen Imperialismus zu schützen. Das und die sozial-ökonomische Lage Chinas veranlasste unterschiedliche Kreise im 19. Jh., nach politischen Alternativen zu suchen.

– Die Steuerlasten im 19. Jh. stiegen an: Steuern für die Hofhaltung der Mandschu, der ‚verfressenen gelben Ratten‘ , Steuern für die zerrütteten Staatsfinanzen als Folge der Opiumeinfuhr, Steuern für die (zumeist vom Ausland erzwungenen) Anleihen des Staates, für die Strafzahlungen an die imperialistischen Aggressoren und die damit verbundene Zinsknechtschaft gegenüber dem Ausland, Steuern für die Kriegskosten der niedergeschlagenen Volksaufstände usw. Das Volk hatte zu bluten.

– Flächenmäßig war und ist China riesig. Aber nur rund 15% der Gesamtfläche des Landes sind landwirtschaftlich nutzbar. Unter der Qing-Regierung stieg die Bevölkerungszahl im ganzen Reich langsam um das zwei- bis dreifache an, während sich die Ausweitung der Anbaufläche auf ungenützten Böden und die Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft nur schleppend entwickelten. Dazu kamen die ungleiche private Bodenverteilung und -nutzung, ein Spiegelbild der Klassenrealitäten in China, was alles die Besitz- und Ernährungsfrage verschärfte und für soziale Spannungen sorgte. Eine staatliche Agrarreform im 19. Jh. unterblieb.

Zudem vernachlässigten die späten Qing die wirtschaftliche Infrastruktur des Landes (Transport, Bewässerung, Flutregulierung), aber auch die ökologische Ordnung sowie die Daseinsvorsorge für den Notfall, Aufgaben, die traditionell zur Legitimierung eines Regimes zählten. Das waren ebenfalls Gründe, den Qing das ‚Mandat des Himmels’ zu verweigern oder abzuerkennen – ein Recht des Volkes, das die chinesische Philosophie seit Jahrtausenden kennt.

– Die gesellschaftlichen Widersprüche Chinas im 19. Jh. entluden sich im Inneren des Reiches durch eine Vielzahl lokaler oder regionaler Volksaufstände ethnischer oder sozialer Art. Allein der gescheiterte Taiping-Aufstand (1850-1864), gefochten unter einem religiösen Banner mit seiner sozialrevolutionären Stoßrichtung, forderte ca. 20. Mill. Tote. Er begann als Bauernaufstand, erfasste dann aber auch die großen Städte. Auch er veränderte das Gesicht Chinas.

Mit der militärischen Niederschlagung der Volksaufstände im 19. und Anfang des 20.Jh. bildeten sich aus der herrschenden Klasse auch jene sozialen Kreise und Kräfte heraus, die nach dem Fall des Kaiserreiches (1911/12) dann als Warlords mit ihren Privatarmeen noch chinesische Geschichte gestalten sollten.

China und sein Reich als Beute

China im 19. Jh. und noch im beginnenden 20. Jh. war das, was man eine „halbkoloniale Gesellschaft“ genannt hat (gibt es dafür keine bessere Begrifflichkeit?):

– Bereits im ersten Opiumkrieg (1839 – 1842) hatte England die chinesischen Märkte für sich gewaltsam geöffnet. Der Angriff auf die Kontinentalmacht China erfolgte von der ungeschützten Seeseite her, mit überlegener Schiffs- und Militärtechnologie. China musste kapitulieren (Frieden von Nanjing, 1842). China hatte danach fünf Häfen für den britischen Handel zu öffnen, während früher der Außenhandel über staatlich lizensierte und kontrollierte chinesische Kaufmannsfirmen nur in Kanton abzuwickeln war. Diese Monopolstellung wurde gebrochen. Hohe Kriegsentschädigungen an den Gegner waren zu zahlen. Honkong ging als Handelsstützpunkt an England. Die chinesischen Einfuhrzölle wurden niedrig angesetzt, das Opiumeinfuhrverbot (aus Britisch Indien) geschliffen sowie die Gerichtsbarkeit über englische Staatsangehörige in China an die englische Konsularvertretung übertragen.

– Im zweiten Opiumkrieg (1856 – 1860) sattelte man noch einen drauf. Diesmal verbündeten sich England und Frankreich im Waffengang gegen China. Im Ergebnis der Friedensverhandlungen hatte China 11 weitere Häfen für den internationalen Handel zu öffnen.Wieder wurden hohe Kriegsentschädigungen fällig. Das britische Honkong wurde erweitert, die Zulassung westlicher Gesandter in Peking verfügt (mit dem unmittelbaren Kommunikationsrecht mit der chinesischen Regierung), Ausländer erhielten die volle Reisefreiheit im Reich, der Jangtse wurde für ausländische Handelsschiffe geöffnet, die uneingeschränkte christliche Missionstätigkeit in China garantiert, die Anwerbung chinesischer Arbeiter nach Übersee offiziell gestattet. Ausländer durften sich nun in festgelegten Städten, den sogenannten Konzessionen, niederlassen. Wandelte sich eine Niederlassung in eine Konzession, so behielt China zwar die formale Souveränität über das nunmehr ausländische Pachtgebiet, doch nach der Annahme des niedrig angesetzten Pachtgeldes hatte es im Vertragsgebiet nichts mehr zu sagen (Selbstverwaltung). Die Konzessionen mit ihren kommerziellen Aktivitäten waren Brandbeschleuniger im Zerfallsprozess der alten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung Chinas. – Ein Vertragszusatz zum Friedensabkommen legalisierte zudem die Opiumeinfuhr und den Opiumhandel in China.

Das waren nicht die letzten Anschläge auf das ‚Reich der Mitte‘. Dennoch wurde Chinas Kern nie kolonialisiert. Allerdings haben eine Reihe imperialistischer Räuber auch kolonial motivierte Kriege und Erpressungen gegen China und seine Tributstaaten geführt. So kam es, neben der Aggression auf das Reich mit seinen ‚randständigen‘ Gebietsabtrennungen, in kurzer Zeitspanne gleichfalls zur Auflösung des chinesischen Tributgürtels, d.h. zur Ablösung der Oberhoheit Chinas über diese ausländischen Gebiete. Zu den Tributstaaten Chinas zählten unter den späten Qing immerhin Korea, die Ryukyu-Inseln, das Sulu-Archipel, Annam (Vietnam), Siam (Thailand), Burma und Laos. – Wer nun wissen will, wer sich hier mit wem gegen wen in Ostasien verbündet hat, um sich auf Kosten Chinas und der Völker Ostasiens den Bauch vollzuschlagen, lese (u.a.) P. Ostwald (1918). (Ergänzend auch O. Franke, 1915; G.K. Kindermann, 2001). Ostwald ist ein waschechter deutscher Imperialist von echtem Schrot und Korn, der gerne Klartext (natürlich nicht über sich, wohl aber über andere) spricht, während bürgerliche Autoren von heute zum gleichen Thema vielfach nur schönfärbend schwafeln. – Platzmangel zwingt mich hier, die beiden Seiten der chinesischen Demontage mit wenigen Schlaglichtern anzudeuten, die allerdings nicht das ganze Problemfeld ausleuchten können:

England hatte den 1. und 2. Opiumkrieg gegen China geführt, das Land gewaltsam geöffnet und dabei u.a. das chinesische Hongkong als Hafen- und Handels-Stützpunkt annektiert. 1836 nun hatte England bereits die östlichen Teile Nepals an sich gebracht, ab 1861 folgte die schrittweise Annektion von Sikkim, 1885/6 wurde ganz Burma militärisch besetzt und endgültige Kolonie, 1910 Bhutan das Recht abgekauft, die eigenen auswärtigen Beziehungen zu lenken. 1904 standen britische Truppen in Lhasa (im chinesischen Tibet). Doch konnte man sich hier politisch erst nach der chinesischen Revolution von 1911 festsetzen. In China selber wurden die eigenen Vorrechte und Stützpunkte ausgebaut. Letztlich betrachtete England (von Britisch-Indien aus und als Seemacht) Alt-China und die angrenzenden Staaten als sein Revier. Doch die ‚Jagdgesellschaft‘ wurde schnell bunter.

– 1843 ‚erwarb‘ England die Meistbegünstigung von China, eine Klausel, die dem ‚Vertragspartner‘ England automatisch alle Vergünstigungen garantierte, die China etwaigen ausländischen Handelspartnern gewährte. 1844 erpressten Frankreich (im Vertrag von Huangpu) und die USA (im Vertrag von Wanghia) vom Reich ebenfalls die Meistbegünstigung. Das ‚Modell‘ machte international Schule und zog alsbald eine Kette weiterer ausländischer Abschlüsse mit China nach sich.

Frankreich war bereits Teilnehmer des 2. Opiumkrieges gegen das Reich. Doch hatte es danach ein imperialistisches Handikap: England behinderte das Entstehen einer starken territorialen Basis Frankreichs in China (das sich in Folge auf Konzessionen und Einflusssphären usw. vor Ort beschränken mußte). Die kolonialen Ambitionen Frankreichs wurden nach Indochina abgedrängt: Zwischen 1858 und 1883 unterwarf Frankreich (in Etappen) das heutige Vietnam. Bereits 1863/74 wurde dabei das selbständige Kambodscha französisches Protektorat. China, das Vietnam weiter als Tributstaat betrachtete, eröffnete später auf französische Provokationen hin den chinesisch-französischen Krieg (1884/5). Es unterlag trotz eines Teilsiegs. Im ausgehandelten Friedensvertrag verpflichtete sich China dann, zukünftig auf alle Interventionen in Vietnam zu verzichten. Frankreich aber verbandt seine kolonialen Erwerbungen 1887 zur „Indochinesischen Union“, der 1893 auch Laos (das Frankreich Siam abgepresst hatte) hinzugefügt wurde. Französisch-Indochina grenzte nunmehr ans ‚Reich der Mitte‘. Das eröffnete neue Perspektiven des Zugriffs auf China, aber auch Konfliktfelder in der französisch-englischen Rivalität vor Ort.

Portugal eignete sich 1887 endgültig das chinesische Macao als Kolonie an, nachdem dieser Flecken schon seit Jahrhunderten unter portugiesischem Einfluss gestanden hatte.

Russland besetzte in den ‚Wirren‘ der Opiumkriege und des Taiping-Aufstandes chinesische Gebiete an den Flüssen Amur (mit einer direkten Landverbindung nach Korea) und Ussuri, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Chinas Zentralregierung hatte zu dieser Zeit andere Sorgen. Später folgte die Besetzung des Ili Gebietes ( in der Provinz Xinjiang). Der Hauptstoß der russischen Ambitionen aber richtete sich auf die chinesische Mandschurei sowie auf einige eisfreie Handels- und Gebietsstützpunkte an der asiatischen Atlantikküste, womit Konflikte mit Japan, England und den USA vorpogrammiert waren. Viele seiner damaligen Erwerbungen verlor Russland später wieder im japanisch-russischen Krieg 1904/5 an Japan. Dafür engagierte sich Russland nach der chinesischen Revolution von 1911 verstärkt in der chinesischen Mongolei.

Japan besetzte 1879 den Inselstaat Ryukyu und wandelte ihn in die japanische Präfektur Okinawa um. Dabei war das Königreich seit Jahrhunderten ein Tributstaat Chinas.
Eine erste Strafexpedition Japans gegen (die chinesische Provinz) Taiwan erfolgte im Jahre 1874 .
– 1871 scheiterten die USA militärisch darin, Korea in ‚den Welthandel‘ zu zwingen.
– Ab 1876 versuchte nun Tokio, sich in Korea einzunisten, keineswegs zur Freude des chinesischen Oberherren. 1882 gelang es, erste japanische Truppenkontingente in Seoul zu stationieren. Die Rivalität um die
Vorherrschaft in Korea mündete 1894/5 in den ersten japanisch-chinesischen Krieg, den China mit ‚Pauken und Trompeten‘ verlor. Im Friedensschluss von Shimonoseki (1895) mußte China die „vollständige Unabhänigkeit und Autonomie Koreas“ anerkennen (im Klartext: China hatte alle Vorrechte Japans in Korea zu akzeptieren), es hatte der Abtretung Taiwans und der Pescadoren-Inseln an Japan zuzustimmen (Japan nahm dann Taiwan gegen den Volkswiderstand militärisch ein), Kriegsentschädigung zu zahlen und vier chinesische Städte für den japanischen Handel zu öffnen.
– Weitere territoriale Abtrennungen verhinderte allerdings eine nachträgliche Intervention Russlands, Frankreichs und Deutschlands. Im russisch-japanischen Krieg 1904/5, den Japan mit Rückendeckung Englands führte, wurde Russland geschlagen. Dabei ging es um die Herrschaft in Korea und die Vorherrschaft in der chinesischen Mandschurei. Im durch die USA vermittelten Friedensschluss von Portsmouth (1905) wurde Russland gezwungen, die von China gepachteten Gebiete auf der Liaotung- Halbinsel, insbesondere die der Häfen Port Arthur und Dairen abzutreten, die Rechte an der Südmandschurischen Eisenbahnlinie auf Japan zu übertragen. China wurde dazu nicht gefragt. Die Insel Sachalin wurde geteilt. Kriegsentschädigungen mussten nicht gezahlt werden. Korea wurde 1910 ‚offiziell‘ japanische Kolonie.
– Im1. Weltkrieg besetzte Japan das chinesische Kiautschou (1914) und enteignete damit die deutsche Kolonie (und chinesisches Staatsgebiet).
– 1915 legte Japan China 21 Forderungen vor, deren Gesamtheit – bei vollständiger Annahme – das Land in ein japanisches Protektorat verwandelt hätte. Damit war jedem der Anspruch Japans auf China klar. Ein erneuter japanischer Waffengang um ganz China war absehbar.

An dieser Stelle muss noch auf eine Besonderheit der japanischen Kolonialpolitik aufmerksam gemacht werden: „Japan war die einzige Imperialmacht, die in ihrem Kolonialreich ebenso wie in den Zonen informeller Penetration planmäßig eine industrielle Kolonialwirtschaft aufbaute: Kohle, Eisen und Stahl in Korea und der Mandschurei, Zucker auf Taiwan, Baumwollverarbeitung in Shanghai und Nordchina. Sie sollte die Ökonomie der rohstoffarmen japanischen Inseln ergänzen und dem geplanten von Japan dominierten asiatischen Großraum zu arbeitsteiliger Autarkie verhelfen.“ (J.Osterhammel)

Die Wirkung der japanischen Aggression auf China war zwiespältig. Einerseits bewunderte man in den chinesischen Oppositionskreisen Japans eigenständige Modernisierung, nachdem amerikanische Kriegsschiffe 1853/54 seine Abgeschlossenheit ‚vor dem Welthandel‘ mit militärischen Drohgebärden geöffnet hatten. Andererseits fürchtete man die wachsende Expansionskraft Japans gegen China. Nicht ohne Grund, wie der weitere Geschichtsverlauf zeigen sollte.

– 1897 besetzte Deutschland das chinesische Kiautschou, um es danach formal auf 99 Jahre zu pachten und seinen Einfluss mit Exklusivrechten in die Provinz Shantung auszudehnen. Deutschland verlor diese (de facto -) Kolonie im Zuge des 1. Weltkriegs (1914) militärisch an Japan.

– Chinas Niederlage im Japanisch-Chinesischen Krieg 1895, Deutschlands Aggressionsakt von 1897 gegen China sowie Chinas offensichtliche Schwäche lösten ein erneutes Wettrennen auf die Reichtümer Chinas aus: „Rußland besetzte Port Arthur und Talienwan und pachtete Liautung; die Mongolei und Mandschurei wurden definitiv russische Interessensphäre. England erwarb Weiheiwei, dehnte das Gebiet um Hongkong aus und ließ sich seine Vorrechte im Jangtsetal verbriefen. Frankreich stieß aus Indochina nach Nordosten vor, Hainan geriet unter seinen Einfluß; es gewann Vorrechte in Jünan, Kwangsi und Kwangtung und pachtete den besten Hafen südlich von Hongkong, Kwangschauwan. Japan ließ sich eine Sonderstellung in Fukien bestätigen.“ (H.-U. Wehler, 1987, S. 264) Dies war noch immer keine grundlegende Parzellierung Chinas. Doch die Gefahr nahm zu, nur gebremst durch die Konkurrenz der imperialistischen Räuber untereinander.

– Nach der Niederschlagung des vom Kaiserhaus und der chinesischen Reichsregierung halbherzig unterstützten „Boxeraufstandes“ gegen die ausländischen „Teufel“ (1900/1) durch acht Feindstaaten verstärkte sich der Würgegriff um China noch weiter. Die chinesische Zentralregierung hatte nun (trotz ihres ‚heimlichen‘ Verrats am Volksaufstand) als ‚Sühne’ eine hohe „Boxerentschädigung“ (an England, Deutschland, Frankreich, Österreich-Ungarn, Italien, Russland, die USA und Japan) zu zahlen, eine Belastung, die zwischen 1902 und 1910 etwa die Hälfte ihres Budgets ausmachte und formal bis Dezember 1940 zu zahlen war.

Wandlung und Stillstand im Reich

Die Eingriffe des ausländischen Imperialismus in die Entwicklung Chinas hatten für das Land natürlich auch gesellschaftliche Folgen. Dazu weitere Schlaglichter:

– Die ausländischen Mächte exportierten nach China nicht nur ihre Ideen, Waren und Kapitalien. Sie errichteten in den zwangsgeöffneten Häfen Geschäfte und Werkstätten (anfänglich zur Eigenversorgung, um sie dann als ‚Geschäftsmodell‘ für China auszubauen). Vor allem nach 1895 beschleunigte sich die Entwicklung, da Ausländern nun auch in den „Treaty Ports“ gestattet war, eigene Industriebetriebe zu eröffnen. Zudem wurden ausländisch finanzierte Eisenbahntrassen (oftmals mit abgepressten Sondergenehmigungen) durch das Land gelegt und das ‚Hinterland‘ so für den Warenimport und den Binnenhandel erschlossen. Entlang diesen Trassen und Stützpunkten baute das Ausland dann seine sozialökonomischen Einflusszonen aus. 1907 hatte das ausländische Kapital 84% der Schiffstransporte, 34% der Baumwollherstellung, 100% der Eisenverhüttung und 93% der Eisenbahnen Chinas unter seiner Kontrolle. Ausländische Banken operierten im ganzen Reich, auch im Inlandsgeschäft. Die Ausbeutung der lukrativen chinesischen Bodenschätze geriet gleichfalls unter ausländische Verfügung, so bedeutende Kohlegruben oder Eisenerzlager durch Japan, Russland, Frankreich und England, oder Rohölfelder durch die amerikanische Standard Oil Company. Die durchaus regional begrenzten industriellen Implantate, Einrichtungen und Einflusszonen des Auslandes veränderten in der Folge (allerdings ungleichmäßig) das Sozialgefüge und die Infrastruktur des Reiches, das seine alte Gestalt nicht bewahren konnte. So gerieten z.B. Inlands-Städte wie Beijing, Xi’an, Kaifeng, usw. langfristig ins ökonomische Abseits, während traditionell periphere Städte wie die Häfen Kanton, Shanghai, Qingdao, Tianjin sowie die entstehenden inländischen Verkehrsknotenpunkte und Niederlassungen aufblühten. Einige Städte platzten geradezu aus allen Nähten. Shanghai als Beispiel hatte Mitte des 19. Jahrhunderts 500.000 Einwohner. 1843 gründeten Engländer hier eine Niederlassung, die nach den 1. Opiumkrieg zu einem Konzessionsgebiet mit englischer Gerichtsbarkeit und eigenen bewaffneten Einheiten ausgebaut wurde. Amerikaner, Franzosen und ab 1895 auch Japaner eiferten ihnen nach und nisteten sich hier ebenfalls ein. Ausländer kontrollierten diese Stadt. 1919 beherbergte die internationale Konzession Shanghai dann ungefähr 2. Mio., 1928 bereits 3. Mio. Einwohner. Hier ballten sich der Handel, die industrielle Arbeit und die neuen Werktätigen. Das derartige ‚Küstenenklaven‘ wie die Großstädte Kanton und Shanghai zu ‚Sturmzentren‘ der gesellschaftlichen Auseinandersetzung werden sollten, ist also kein Zufall.

– Nach den verlorenen ‚Opiumkriegen‘ Mitte des 19. Jh. und den mühsam niedergeschlagenen Volksaufständen initiierten Provinzgouverneure und Mitglieder der herrschenden Klasse im Reich eine Bewegung zur „Selbststärkung“ Chinas, was das Studium westlicher Technologien und Verwaltung einschloß. Bei den Investitionen sollten privatwirtschaftliche Initiative und staatliche Aufsicht zusammenwirken. Die Losung hieß: „Chinesisches Wissen ist die Substanz, westliches Wissen dient der Nutzanwendung.“
– Im Ergebnis entstanden u.a. einige Waffen- und Munitionsfabriken, eine Handelsdampfschiffartsgesellschaft (um dem Ausland Konkurrenz zu machen), eine Baumwollspinnerei in Shanghai (die später ungeschützt abbrannte), Ansätze eines nationalen Telefon- und Eisenbahnnetzes, neue Docks und eine begrenzte Anzahl moderner Kriegsschiffe. Doch spätestens nach den Niederlagen im französisch-chinesischen Krieg (1885) sowie im japanisch-chinesischen Waffengang ( von 1894/95) zeigte sich, dass die letztlich individuellen Anstrengungen hinter den Erfordernissen der Zeit zurückgeblieben waren. Was fehlte, war der gesamtstaatliche Wille zur ökonomischen, sozialen und administrativen Neugestaltung im Reich.

– Der verlorene Japanisch-Chinesische Krieg 1895 veranlasste wiederum eine junge Generation von Reformern, mit Vorschlägen zur Verwaltungs- und Gesellschaftsreform an den Hof heranzutreten, um China zu stärken. Sie konnten dafür das Ohr des heranwachsenden Regenten erreichen, der aufgeschlossen reagierte. Doch sein Einfluß am Hofe war gering. Der Gegenschlag erfolgte im September 1898 unter Führung der alten Kaiserwitwe Xixi (1835 – 1908), deren Politik auf den Machterhalt der alten Ordnung und des Qing-Regimes zielte. Der junge Kaiser Guangxu wurde bis zu seinem Tode (1908) unter Hausarrest gestellt, der Thron endgültig von der Witwe und den Konservativen im Staatsstreich okkupiert, sechs Reformer sofort hingerichtet. Wer sich nicht durch Flucht oder Unterwerfung der Verhaftung entzog, verlor sein Leben. Das Reichsgebäude stagnierte und ächzte unter der Last der Vergangenheit. Das gesellschaftliche Reformlager aber spaltete sich in zunehmender Geschwindigkeit in Frustrierte und Revolutionäre. Ihre politischen Köpfe agierten nun vom In- und Ausland aus auf eine Zeitenwende hin.

– Zu spät erfolgte ein neuer staatlich gelenkter Reformanlauf im Reich vor und nach dem Tode der Xixi 1908, um den Druck aus dem gesellschaftlichen ‚Kessel‘ zu nehmen. Der Niedergang des ‚monarchistischen‘ Systems war nicht aufzuhalten.

Kein Reich besteht ewig: Dem Kaiserreich folgt die Republik nach

Das geschundene Reich der Mitte war an der Schwelle zum 20. Jh. in das Stadium seines allseitigen Verfalls eingetreten. Doch die Auflösung des Systems kam nicht von den Randgebieten des Reiches, sondern erfolgte durch eine Militärrevolte mit anschließenden inneren Unruhen.

1911 wurde das Kaiserreich in China gestürzt, 1912 die Republik ausgerufen, die jedoch gleich an Instabilität und politischen Fehlern litt. Ein Zeitzeuge kommentierte: „Die Errichtung der Republik scheint nun einen noch tieferen Bruch mit der Vergangenheit zu bedeuten als alles vorher Geschehene. Ist dem aber wirklich so? … Die Stellung des Präsidenten, in dessen Händen die gesamte Verfassungsgewalt liegt, der seine Minister, Beamte und Offiziere nach Gutdünken ernennt und entläßt, der über Heer und Finanzen verfügt und der Volksvertretung gegenüber die weitgehendsten Machtbefugnisse hat, unterscheidet sich von der eines Monarchen eigentlich nur noch dem Namen nach. Und wenn der Präsident (der Republik, d. V.), wie Jüan Shih-K’ai das für seine Person schon durchgesetzt hatte, dazu auf Lebenszeit gewählt wird, so sieht man kaum, worin da noch ein Unterschied von dem Wahlkaisertum des Altertums besteht.“ (E. Erkes. 1919, S. 108/9) 1914 putschte eben dieser Präsident (ein ehemaliger kaiserlicher General), um sich 1915 zum Kaiser auszurufen. 1916 war er am Ende. Doch die Turbulenzen gingen weiter. China war noch immer unter der ausländischen Knute. Schon bald setzte das Zeitalter der chinesischen Militärmachthaber ein, der Warlords mit einem Flickenteppich von Herrschaftsgebieten. Das Reich zersplitterte – und erodierte: 1913 erklärte Tibet einseitig seine Unabhängigkeit. Es stand dann unter britischem Einfluss. 1924 wurde die sich von der Zentralgewalt abnabelnde „Äußere Mongolei“ offiziell als autonome „Volksrepublik Mongolei“ unabhängig. Sie geriet unter sowjetische Kontrolle.

Betrachten wir einige Entwicklungen in China näher:

– Die chinesische Gesellschaft nach 1911 war weder feudalistisch (oder mit feudalen Resten gekennzeichnet, wie Stalin meinte) noch halbfeudal (d.h. ein Feudalismus mit beigemischten kapitalistischen Elementen, wie Mao Tse-tung mutmaßte). Sie blieb das, was G. Lewin (vor dem Stichjahr 1911) eine „vorkapitalistische Gesellschaftsformation“ genannt hatte. (Nur der Autor H. Peters vertritt diese Einschätzung, allerdings hätten seine Einlassungen eine stärkere sozialwissenschaftliche Fundierung verdient.) In der Fläche blieb China auch nach 1911 ein bäuerlich geprägtes, ungleich entwickeltes und mit einigen kommerziellen und industriellen Zentren und Flecken bestücktes Land. Die kapitalistischen ‚Inseln’ waren nicht prägend und ökonomisch bestimmend für das Reich. Diese Gesellschaft wandelte seine Sozialstruktur nach dem Sturz des Kaiserlichen Regimes weiter.

– Mit dem Wegfall des (mandschurischen) Kaiserhauses konnte sich das chinesische Bürgertum vor allem in den ausländisch dominierten Bereichen (den Vertragshäfen, Konzessionen, Bahnlinien, Bergwerken usw.) ungebremst entwickeln. Hier bildete sich (schon ab Mitte des 19. Jh.) ein weiterer Typus des Unternehmers heraus: der chinesische Kapitalist, verbunden mit dem ausländischen Kapital und dem ausländischen Imperialismus: der so genannte Komprador, der als Kontaktmann und Handelsvermittler zwischen China und den ausländischen Handelsinteressen begann, der aber am Ende des 19.Jh. auch anfing auf eigene Rechnung zu operieren. Seine ökonomischen und kommerziellen Interessen waren mit denen der klassischen Unternehmer und Händler Chinas nicht immer identisch.

– Mit dem Kaiserhaus, dem Obereigentümer von Grund und Boden, entfiel zugleich die letzte (formale) ‚Schutzmacht’ des kleinen Parzellenbauern, der als selbstwirtschaftender armer Bauer, Pächter (oder Landloser) unter verstärkten Druck geriet oder verelendete.

– Die Binnenkonjunktur (plus Export) im Gefolge des 1.Weltkriegs bescherte dem chinesischen Bürgertum in den 20ern goldene Zeiten. Die Zahl der Lohn- und Industriearbeiter, der ‚Gegenpart‘ des Bürgertums in den Zentren stieg an: Massierungen von Arbeitern gab es in Shanghai, Kanton und Hongkong, in den Provinzen Hunan, Hupeh und Kiangsi, vor allem in den Städten Wuhan, Changsha und in der Nähe der Bergwerke von Hanyehp‘ing und Anyüan, dazu kamen noch kleinere Gruppen in den industriellen Zentren der Provinzen Hopeh und der Mandschurei (nach J.P. Harrison, 1978). Eine syndikalistische Gewerkschafts- und eine ideologisch verschiedenartig geprägte Arbeiterbewegung entstanden hier, die später ihre Stimme erhoben. – Der Großgrundbesitz hatte Möglichkeiten, sich auf dem Land zu entfalten.

Doch mit der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre ging es auch in China bergab. Die gesellschaftlichen Widersprüche begannen erneut zu tanzen.

– Das Reich zerfiel mit der Beseitigung des Kaisertums. Der Zentral- und Einheitsstaat stand nur noch auf dem Papier. Diverse regionale Militärmachthaber und Bündnisse, die oben angesprochenen Warlords und politische Koalitionen konkurrierten nun (auch auf dem Schlachtfeld) in wechselnden Allianzen um die militärische und politische Hegemonie sowie um die Pfründe im Lande. Zwischen 1916 bis 1926 fanden alleine 22 einzelne Kriege und ‚Landsknechtszüge’ statt.

Die ‚Guomindang’ (die „nationale Volkspartei“ = GMD) war eine dieser Kräfte, die mit der Zeit über das Schlachtfeld zur politischen und militärischen Hegemonialmacht Zentral-Chinas aufsteigen sollte. Unter Dr. Sun Yat-sen (1870 – 1925) mehr oder weniger bürgerlich-demokratisch, wandelte sie sich im Laufe von wenigen Jahren zur reaktionären Staatspartei und Militärmacht unter General Chiang Kai-shek (das ist Jiang Jieshi, 1887 – 1975).

Die GMD – das sei hier im Vorgriff benannt – kontrollierte dann von 1928 – 1949 die chinesische Zentralregierung (Ein-Parteien-Herrschaft). Allerdings hatte sie 1931 erst 14,6 % der Fläche des Landes und 39 % seiner Bevölkerung unter ihrer Kontrolle. Doch der blutige Kampf diverser Militärcliquen in wechselnden Bündniskonstellationen hielt auch zwischen 1927 – 1937 an. 1937 beherrschte die GMD dann etwa ein Viertel des Landes. Alleinherrscher in China wurde sie nie.

Meine offene Frage: Welche Revolutionsstrategie wäre einer solchen Gesellschaft angemessen gewesen? Für eine reine Bauernrevolution war die Zeit bereits zu weit fortgeschritten. Für eine originär bürgerliche Revolution war die Bourgeoisie zu schwach und zu uneinheitlich. Für eine proletarische Revolution mit ergänzendem Bauernkrieg war die Zeit noch nicht gekommen.

Vielleicht kommt man einer Antwort näher, wenn man die ungelösten Probleme der ‚Revolution von 1911’ betrachtet:
1) China war noch immer eine „halbkoloniale Gesellschaft“. Der ausländische Imperialismus musste aus dem Land geworfen und Chinas volle Souveränität erkämpft werden.
2) Die chinesische Gesellschaft und der Staat bedurften einer grundlegenden Demokratisierung. Alle Reste des Kaisertums waren zu liquidieren, die Armee zu demokratisieren, die Privatarmeen aufzulösen und der demokratischen Republik zu unterstellen. Die Warlords mussten ausgeschaltet werden. Gesellschaft und Wirtschaft mussten zudem modernisiert werden, der republikanische Staat konnte dabei ein Hebel sein.
3) Der chinesische Bauer, der die Masse der Bevölkerung stellte, war nie Leibeigener oder Höriger wie sein europäischer ‚Bruder’. Er entsprach auch nicht dem Typ des russischen Gemeindebauers (des „obscina“-Bauern), der zur Stütze der Oktoberrevolution in Russland geworden war. Der chinesische Bauer war zwar persönlich frei, aber als Dorfarmer litt er unter der ungleichen Bodenverteilung, als Pächter unter der zu hohen Pacht, als Landloser fehlten ihm die Lebensgrundlagen. Alle bäuerlichen Glieder waren von der Geißel des Wuchers, hoher Zinsen und erdrückender staatlicher Steuern bedroht. Der Dorfarme, der Landlose, ja Teile der Mittelbauern hofften auf eine Boden- und Pachtreform (das hieße jedem Pflüger sein Feld, erträgliche Pacht, Zinsen und Steuern usw.). Aber würde man die Kraft zum eigenen Aufbäumen finden? Der niedergeschlagene Taiping-Aufstand des 19. Jh. und der erdrosselte Boxeraufstand des 20. Jh. saßen den Menschen noch in den Knochen. Zwar gab es die regional verankerten Bauernvereinigungen sowie einige bäuerliche Geheimgesellschaften zur gegenseitigen Hilfe (mit Anti-Qing Gesinnung), doch war man räumlich und ideologisch getrennt. Wer also konnte da der ‚Erlöser‘ sein? Und die großen Grundherren? Sie fürchteten den Bauernsturm, der, einmal entfesselt, unweigerlich zu einer Neuverteilung der Agrarfläche übergehen würde.
4) Die große Bourgeoisie wollte ihr Geschäft mit oder ohne das ausländische Kapital, mit oder ohne Schutzschirm des ausländischen Imperialismus; vor allem aber sollte ihr niemand in die Suppe spucken. Ökonomisch war man noch schwach und von der internationalen Konkurrenz, dem ausländischen Kapital bedroht. Wer war da der Beschützer? Sah diese Bourgeoisie selber über den Tellerrand Chinas, so sah man in Russland (1917) und Deutschland (1918) zwar ein antiimperialistisches Wollen, aber zugleich auch den eigenen drohenden Untergang in Gestalt des Bolschewismus. Wie sollte sie darauf reagieren?
5) Die junge Arbeiterklasse, die Werktätigen wollten das Tor zu politischen und sozialen Veränderung, ja zur Revolution in China geöffnet sehen. Doch war ihre Kopfzahl klein, gemessen an der Gesamtgesellschaft. Ihre politische Orientierung hatte eben erst begonnen.

Waren dies die Aufgaben und der Rahmen für eine anstehende bürgerlich-demokratische Revolution in China? Oder musste dieser Rahmen modifiziert, erweitert oder gar verlassen werden? (Leider stellt sich keiner der drei oben angesprochenen Autoren explizit diesen Fragen.) Welche Klasse, welche Partei war nun in dieser anstehenden Revolution der Führer und wer der Geführte? Die politischen Rezeptbücher der Zeit jedenfalls erwiesen sich als Makulatur.

Die politische Landschaft verändert sich

Im April 1917 war China (d.h. eigentlich eine ‚Koalition‘ der Militärmachthaber des Südens und Nordens) endgültig an der Seite der Entente in den 1. Weltkrieg eingetreten. Chinas Hoffnung war, als ‚Lohn‘ das Ende der „ungleichen Verträge“ einzufahren und das deutsche ‚Pachtgebiet‘ Shangtung zurückzuerhalten. Dafür stellte man den Alliierten Arbeitskräftebataillone zur Verfügung (ca. 200.000 Mann: in Frankreich, Russland und in Mesopotamien). Doch die Hoffnung trog. Auf der internationalen Konferenz von Versailles (1919) erhielt Japan und nicht China das Territorium Shangtung als Kriegsbeute zugesprochen, ausgerechnet jene Macht, die immer unverhohlener ihren Herrschaftsanspruch auf China formulierte.

In China löste die ‚Übereinkunft‘ die „4. Mai-Bewegung“ aus: eine antiimperialistische Protestbewegung aus den Reihen der Studentenschaft und der Intellektuellen. Der begleitende Boykottaufruf gegen japanische Waren fand sowohl in der Schicht der Kaufleute wie in den neu gebildeten Arbeitervereinigungen ihren Wiederhall. Der chinesische Nationalismus erstarkte von neuem. In der revolutionären ‚bürgerlichen‘ Opposition, speziell in der GMD Sun Yat-sens beschleunigte sich die Bereitschaft, die Unterstützung der revolutionären Sowjetunion zu suchen. In der Regierung der Warlords, formell eine der Siegermächte des 1. Weltkrieges, verweigerte man auf öffentlichen Druck hin die Unterschrift unter den Vertrag von Versailles.

Die Boykottbewegung der Kaufleute gegen die japanischen Waren hielt sich ein Jahr lang. Der politische Gärprozess aber fand seine Fortsetzung in der modernistischen „Bewegung für Neue Kultur“ (1915 – 1924), mit der die progressiven Kräfte endlich die ‚alten Zöpfe‘ des kulturell Gewesenen abschneiden wollten. Zeitgleich erschütterte eine zunehmende Streikbereitschaft der Lohnarbeiter in den großen Städten die Landschaft. Sie signalisierte das Entstehen einer gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung. – Neue Kräfte, andere politische Möglichkeiten waren im Begriff zu entstehen.

Die GMD als militanter Sammelpunkt diverser ‚bürgerlicher‘ Befürworter einer irgendwie gearteten Republik wurde bereits 1912 gegründet, dann mehrfach verboten, und wiederholt so 1914/17 sowie 1923-24 auf veränderter Grundlage auch ideologisch reorganisiert. Über ihre Orientierung und Entwicklung wird unten noch einiges zu sagen sein.

Die ersten marxistischen Studiengruppen in der Stadt entstanden 1918 in China. Hier wirkte das Echo der russischen Oktoberrevolution nach. Der Parteibildungsprozess des chinesischen Kommunismus begann Anfang der 20er Jahre. Die kleine Kommunistische Partei Chinas (KPCh) wurde 1921 aus der Taufe gehoben und mithilfe der russisch dominierten Kommunistischen Internationale (der KI / Komintern, die sich als kommunistische Weltpartei, als Organisator der Weltrevolution verstand) aufgebaut. Von der KPCh gingen dann weitere Impulse zur Entwicklung der chinesischen Gewerkschaftsbewegung in den großen Städten aus. Ihr Einfluss darin wuchs, während der des Anarchismus abnahm. Erst spät entdeckten die chinesischen Marxisten den Bauern als ein (weiteres) Subjekt der Revolution. Die KPCh wurde 1922 eine Sektion der KI und damit weisungsabhängig.

Die vorherrschende Linie der Komintern orientierte die KPCh auf eine bürgerlich-demokratische Revolution in China. Dazu sollte ein Bündnis mit der ‚bürgerlichen GMD‘ geschlossen werden, die formal den „drei Volksprinzipien“: „Volksselbständigkeit“, – „Volksherrschaft“ (Demokratie), – „Volkswohlstand“ (Sozialismus) – verpflichtet war (formal deshalb, weil es sich bei der GMD selber um ein Konglomerat unterschiedlicher Interessen und Standpunkte handelte, die sich in der Hülle der ‚Prinzipien’ bewegten).

Die ungleichen ‚Partner’: das Bündnis

Das Bündnis (die 1. Einheitsfront) der ungleichen Partner bot der KPCh Chancen, aber auch große Unwägbarkeiten:

Die GMD war keine einheitliche Organisation – weder politisch noch organisatorisch. Die GMD war gegenüber der überkommenen Ordnung insgesamt revolutionär und stand für die nationale Unabhängigkeit und Einheit Chinas in einer ‚bürgerlichen‘ Republik unter zentraler Verwaltung. Dieses formale Ziel verband sie mit der KPCh. Teile der GMD lehnten jedoch ein politisches Bündnis mit der Sowjetunion und der KPCh ab. Die sozialen Interessen jener Grundherren, Kapitalisten und Händler, die sich dieser ‚rechten‘ Parteiströmung zugehörig fühlten und deren Söhne dann als Offiziere in der Parteiarmee dienten, waren mit der sozialrevolutionären Perspektive der KPCh nicht kompatibel.

Daneben gab es jedoch einen ‚linken’ Flügel in der GMD (aus denselben Kreisen), der moderate Sozialreformen in China nicht ablehnte; außerdem als ‚dritte Richtung‘ die charismatische Führerpersönlichkeit Dr. Sun Yat-sen. Die beiden Letzteren befürworteten ausdrücklich ein Bündnis mit der KPCh. Ausschlaggebend war dabei die Hoffnung auf Geld, Militärhilfe, sowjetische Ausbilder und logistische Unterstützung aus der Sowjetunion für die noch immer desolate Partei, die auch – nach einigen Schwankungen der SU – gewährt wurde. Sun Yat-sen bildete das Scharnier zwischen den Parteiflügeln der GMD und eine Achse zur KPCh. Sun Yat-sen’s Pogramm selber war eklektisch aufgebaut. Neben nationalrevolutionären und liberalen Elementen (die als Voraussetzung und Motor zu einer umfassenden Modernisierung von Staat und Gesellschaft gesehen wurden) enthielt das Ideenpaket auch sozialpolitische Forderungen und Rechte für die Bauern und Arbeiter (ein Denken, das allerdings auch Vorbehalte kannte: so sollten in der angestrebten Agrarreform anfänglich lediglich Pacht und Zinsen gesenkt werden und erst später, in einer zweiten Phase die Landumverteilung erfolgen; usw.). Dieses personifizierte Programm Sun Yat-sen‘s bot allen Seiten in der GMD, aber auch der KPCh, Anknüpfungspunkte und Interpretationsmöglichkeiten. Kein Parteiflügel der GMD aber unterstützte den Gedanken des Klassenkampfes, was sich spätestens im Klassenkampf selber als politischer Sprengsatz zur KPCh erweisen sollte. Der Tod Sun Yat-sen’s 1925 ließ die Widersprüche in der GMD offen aufbrechen.

Die KPCh hingegen war klein, unerfahren, marxistisch bemüht und eben erst flügge geworden. Sie war zudem den (nicht immer hilfreichen) Ratschlägen und Weisungen der KI unterworfen.

1923 hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von GMD und der SU: „Dr. Sun hält die Einführung des Kommunismus oder auch nur des Sowjetsystems in China nicht für möglich, da hier die nötigen Vorbedingungen für eine erfolgreiche Anwendung fehlen. Herr Joffe (der Vertreter der Sowjetunion, d.V.) schließt sich voll und ganz dieser Ansicht an; er ist des weiteren der Meinung, daß das wichtigste und dringendste Problem Chinas die Herstellung seiner nationalen Einheit und seiner vollkommenen nationalen Unabhängigkeit sei. Herr Joffe hat Dr. Sun im Hinblick auf diese große Aufgabe der wärmsten Sympathie des russischen Volkes für China und (seine) Hilfsbereitschaft versichert.“ (dokumentiert in: C. Brand u.a., 1955, S. 48)

Trotz erheblicher Widersprüche und Widerstände in der Partei gab die KPCh dem Drängen der Komintern nach und erklärte im Juni 1923: „Die KMT sollte die Kerntruppe der nationalen Revolution sein und ihre Führung übernehmen …“. (dokumentiert in: W. Bauer, 1973, S. 22) – Gleichwohl war die revolutionäre Arbeiterpartei KPCh (mit ihrem sozialpolitischem Minimalprogramm und ihrem Endziel des Sozialismus und Kommunismus) der Wahrer und Vertreter der sozialen und nationalen Arbeiter- und Bauerninteressen, was im Klassenkampf unweigerlich zu Spannungen und Problemen mit der GMD führen sollte.

Das Bündnis von KPCh und GMD wurde zu den Bedingungen der GMD geschlossen: Die Kommunisten mussten individuell der GMD beitreten (was aus eigenem Entschluss nicht alle taten). Die Neumitglieder waren fortan dem Pogramm, Statut sowie der Parteidisziplin der GMD unterworfen, aber faktisch zu einer doppelten Loyalität gegenüber zwei Parteien verpflichtet. Die kommunistische Arbeit und Propaganda fand folglich unter erschwerten, teils konspirativen Bedingungen statt.

Die selbst verordneten Schwerpunkte der kommunistischen Arbeit lagen weiterhin in den Städten und in der Gewerkschaftsbewegung, sehr oft unter der Flagge der GMD. Ein revolutionäres Agrarprogramm gab sich die KPCh in diesen Jahren nicht, obwohl dies durchaus den Wünschen der Komintern entsprochen hätte. Es gab jedoch eine Strömung in der chinesischen Partei, die sich in folgender Position gefiel: „ Der Haupttrupp der kommunistischen Bewegung muß aus Industriearbeitern bestehen. In einem Land wie China sind über die Hälfte der Bauern kleinbürgerliche landbesitzende Bauern, die hartnäckig an der Idee des Privateigentums festhalten. Wie können die den Kommunismus annehmen?“ Dieses Denken war abstrakt und ahistorisch. Dabei schrumpfte die chinesische Bauernschaft auf eine politische Größe, zu einem Waffenträger im nationalen Befreiungskampf zusammen. – Die eigene und eigentliche kommunistische Arbeit unter den Bauern wurde nur schleppend und inkonsequent betrieben – wohl auch um die GMD nicht zu verschrecken. Dabei hätte klar sein können, dass demjenigen die gesellschaftliche Macht in China zufallen würde, der die Pacht bzw. die Zinsen auf dem Land senkte und die Agrarfläche an die Bauernmassen übergab. – Die Hoffnung der KPCh-Führung war wohl, die GMD durch Unterwanderung und Massenbeeinflussung nach links zu treiben und den rechten Parteiflügel zu isolieren.

Der Vorstoß der GMD-Parteiarmee von Kanton nach Shanghai / Nanking und die Vernichtung der organisierten Arbeiterbewegung

Das Bündnis der ungleichen Partner ebnete der GMD den Weg zur Macht: 1926 verließ die GMD-Parteiarmee ihren damaligen Stützpunkt, die Großstadt Kanton (= Guangzhou) zum so genannten Nordfeldzug gegen verschiedene Militärmachthaber Zentral- und Nordchinas. Diese Kräfte sollten nacheinander ausgeschaltet werden, um die Einheit des Landes wieder herzustellen. Die KPCh flankierte den militärischen Vormarsch mit Arbeiter-(General-)Streiks und Bauernerhebungen. Zwar war sie in der GMD-Parteiarmee mit Offizieren vertreten, doch hatte die KPCh auf ein eigenes Heer verzichtet.

Das Ursprungskonzept der Komintern scheiterte endgültig 1927 in den chinesischen Großstädten. Chiang Kai-shek als Oberbefehlshaber der GMD-Parteiarmee sowie die rechte GMD-Führung putschten mit der ihnen noch immer ergebenen Armee im soeben eroberten Shanghai sowie in anderen Städten gegenüber ihren Bündnispartnern. Ihnen war die KPCh, nach eigenem Bekunden, zu mächtig und einflussreich geworden. Später zog der linke Flügel der GMD in der Stadt Wuhan nach. Dabei stützte sich die Konterrevolution neben den eigenen Kräften auf die Unterwelt des Jangtse-Tals (so auf die „Grüne“ und „Rote“ Gilde bzw. Bande), auf Teile der Komprador-Bourgeoisie sowie auf das Wohlwollen der ausländischen Mächte (z.B. durch den konterrevolutionären Einsatz der englischen und japanischen Polizei in Shanghai).

Die KPCh war auf diesen Schlag nicht vorbereitet. Warnsignale wurden überhört. Die organisierte politische Arbeiterbewegung in den großen Städten wurde fast vollständig vernichtet, viele Arbeiterkader verhaftet und ausgelöscht (Massaker), verschiedene Gewerkschaften gedeckelt oder verboten.

Die KPCh verlor in den nachfolgenden Wirren und mit der anschließend eingeschlagenen Strategie der Aufstände in den Städten, die im Desaster endete, ihre Verbindung zu den Arbeitermassen – und das für lange Zeit.

Amerikanische Historiker brachten ihre Genugtuung über die Ereignisse von 1927 nachträglich so zu Papier: „Bis zum Frühjahr 1927 hatten KMT und die KPC beide den Hauptzweck ihres Bündnisses erreicht und sich mit Hilfe des anderen Partners eine Stellung erobert, von der aus jede von ihnen den Versuch wagen konnte, die totale Macht an sich zu reißen. Die KMT besaß jetzt dank des Entgegenkommens der Russen einen Parteiapparat und eine Parteiarmee und dank der Unterstützung der Kommunisten einen festen Halt bei den Massen.
Die Kommunisten ihrerseits hatten mit Hilfe der KMT-Armeen ihren Einfluß auf große Arbeiter- und Bauernorganisationen im Süden und in der Mitte Chinas ausgedehnt, Gebiete, die erst seit kurzem von der Herrschaft der Generäle befreit waren.
So hatte sich jeder eine Waffe gesichert, mit der er den anderen aus dem Feld schlagen konnte. Tschiang Kai-schek konnte die Massenbewegungen durch sein Militär in Schach halten und hoffen, sie ganz zu unterdrücken. Die Kommunisten konnten durch ihre Beherrschung der Massen die KMT-Führung unterminieren und zu beseitigen hoffen. In dem China von 1927 hatte bei diesem Wettkampf die militärische Macht die größere Chance. Die von den Kommunisten im Verlauf der „Großen Revolution“ von 1925 bis 1927 aufgezogenen Massenorganisationen wurden innerhalb weniger Wochen von den Bauernheeren der KMT-Generäle zerschlagen. Das Bündnis endigte, wie beide Teile erwartet hatten, mit der Diktatur des einen; aber es waren diesmal die Kommunisten, die der Rache derer verfielen, die von ihnen als Opfer ausersehen waren.“ (C. Brand u.a., 1955, S.47)

Die politisch durchblickenden Köpfe in der KPCh wussten von nun an, welches Schicksal die GMD mit ihrem zukünftigen Parteivorsitzenden Chiang ihnen zugedacht hatte. Sie würden sich nie mehr entwaffnen und von der GMD vereinnahmen lassen.

Exkurs: Wie genau war die Klassenanalyse der KPCh?

Rückblickend kann gesagt werden, dass die Klassenanalyse der chinesischen Gesellschaft durch die KPCh in den Anfangsjahren unzureichend war. Das trifft sowohl auf die Bauernschaft wie auf die Werktätigen, die Arbeiterklasse zu, ja betrifft selbst die nationale Bourgeoisie. Die eigene Klassenanalyse reichte aber noch aus, um nach den blutigen Lektionen in Shanghai (usw.) den nationalen und sozialen Volks- bzw. Bauernkrieg zu führen.

– Mao Tse-tung war im Übrigen nicht der Erste und Einzige, der die Brisanz der Bauernfrage für das ‚Neue China‘ erkannte, wie der Autor H. Böke zu Recht angemerkt hat. 1922 begann P’eng P’ai (1896 – 1929), radikaler Sohn eines wohlhabenden Grundbesitzers, jenseits der KPCh mit dem Aufbau von revolutionären Bauernvereinigungen in Hailufeng, die allerdings bereits 1924 blutig unterdrückt wurden. P‘eng P’ai trat 1924 nach seiner Flucht in Kanton der KPCh bei und wurde einer ihrer Funktionäre. Er nahm auch weiterhin hohe politische Funktionen in der (mehr oder weniger spontan) wachsenden Bauernbewegung ein. – Im Juni 1926 sollen 5.353 unabhängige, leicht vernetzte Bauernvereinigungen mit 980.000 Mitgliedern in ganz China bestanden haben. Um 1927 war die Bewegung auf 9 Mio. Mitglieder angewachsen, verteilt auf 16 Provinzen des Reiches, neben diversen bäuerlichen Geheimbünden (J. P. Harrison, 1978, S. 122 – 124). Die KPCh erfand dieses gesellschaftliche ‚Unruhepotenzial‘ auf dem Lande nicht, sie fand es vor. – P’eng P’ai, dieser Praktiker des Klassenkampfes aber fiel als kommunistischer Funktionär 1929 der GMD in die Hände und wurde erschossen.

– Auch in der Frühphase der revolutionären GMD gab es noch Initiativen zu progressiver Bauernpolitik, die aber nach dem konterrevolutionären Putsch Chiang Kai-sheks am 27. April 1927 in Shanghai versandeten und ins Gegenteil verkehrt wurden.

– Maos „Untersuchungsbericht über die Bauernbewegung in Hunan“ ( noch verfasst in seiner Doppelmitgliedschaft als Parteikommunist und als Gründungsmitglied des Ausschusses der nationalistischen Bauernbewegung bzw. als Leiter des Schulungsinstituts der Bauernbewegung der GMD) vom März 1927 war jedoch der erste systematische Versuch, die Bauernbewegung in Hunan/China zu analysieren und daraus politische Schlussfolgerungen abzuleiten. Emphatisch schrieb der Autor: „Während meiner kürzlichen Reise in die Provinz Hunan untersuchte ich an Ort und Stelle die Lage… Ich sah und hörte viel Erstaunliches – Dinge, die ich früher weder zu sehen noch zu hören Gelegenheit hatte… Mit dem ganzen Gerede gegen die Bauernbewegung muß rasch Schluß gemacht werden, und alle falschen Maßnahmen der revolutionären Behörden in bezug auf diese Bewegung müssen schleunigst abgeändert werden. Nur so kann man zur zukünftigen Entwicklung der Revolution beitragen. Denn der gegenwärtige Aufschwung der Bauernbewegung ist ein gewaltiges Ereignis. Es dauert nur noch eine sehr kurze Zeit, und in allen Provinzen Mittel-, Süd- und Nordchinas werden sich Hunderte Millionen Bauern erheben; sie werden ungestüm und unbändig wie ein Orkan sein, und keine noch so große Macht wird sie aufhalten können. Sie wird alle ihnen angelegten Fesseln sprengen und auf dem Weg der Befreiung vorwärtsstürmen. Sie werden allen Imperialisten, Militärmachthabern, korrupten Beamten, allen Tuhao und Liäschen das Grab schaufeln. Sie werden alle revolutionären Parteien, alle revolutionären Genossen überprüfen, um sie entweder zu akzeptieren oder abzulehnen. Soll man sich an ihre Spitze stellen, um sie zu führen? Soll man hinter ihnen hertrotten, um sie wild gestikulierend zu kritisieren? Oder soll man ihnen in den Weg treten, um gegen sie zu kämpfen? Es steht jedem Chinesen frei, einen dieser drei Wege zu wählen, aber der Lauf der Ereignisse wird dich zwingen, rasch deine Wahl zu treffen.“ (Mao Tse-Tung. Ausgewählte Werke = AW. I., S. 21/22) Eine historische Analyse der Bauernfrage in China entwickelte das Papier jedoch nicht.

Die von P’eng P’ai, Mao Tse-tung und den Anderen begonnene Arbeit unter den Bauern (hier von mir nicht dargestellt) sollte später der in den Städten geschlagenen KPCh Unterschlupf und Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Doch wird der Verlauf des sozial-revolutionären Krieges der KPCh auch zeigen, dass die sozialen und politischen Verhältnisse in China vielgestaltig waren. Präzisierungen und Kurskorrekturen in der Bauernpolitik (usw.) werden die Geschichte der KPCh begleiten.

– Unzulänglich war auch die Erfassung und Beschreibung der kleinen chinesischen Arbeiterklasse und der zahlenmäßig beschränkten Werktätigen in ganz China in der Anfangsphase der KPCh (Literatur u.a.: G. Lewin,1972 / R. Lorenz (Hg.), 1977).

Der Heroismus dieser jungen Avantgarde war jedoch atemberaubend und dürfte das rosarote Bild einer ‚erwachsenen‘ und starken Arbeiterklasse in der KPCh beeinflusst haben. – Leider fehlt mir hier der Raum, diesen Fragen nachzugehen. Dazu käme ja auch noch das Problem, was sich nach dem ‚Stichtag 1927‘ in der Sozialstruktur der arbeitenden Klassen in China getan hat.

– Gibt es nun einen Zusammenhang zwischen der falschen Gesellschaftsanalyse Chinas, die von einer halbfeudalen oder feudalistischen Gesellschaft ausgeht, sowie der unzureichenden Klassenanalyse der Komintern / KPCh in den 20er/30er Jahren einerseits und den frühen Niederlagen der Kommunisten in China andererseits? Ich meine ja. Denn die Fehlurteile begünstigten falsche strategische und politische Weichenstellungen und Handlungen der Kommunisten in China. So stellt sich die Frage nach der Richtigkeit der Revolutionsstrategie der Komintern in China explizit. Ich kann diesen Fragenkomplex leider nur anreißen. – Es stände den heutigen Marxisten gut zu Gesicht, sich erneut diesen Problemen zu stellen.

Ein arger Weg der Erkenntnis: die strategische Neuorientierung der KPCh

Der Rückzug der KPCh aufs Land, der in Etappen verlief (von mir hier in der räumlichen und zeitlichen Dimension nicht dargestellt), war dann nach der Niederschlagung der kommunistischen Aufstände in den Städten eine pragmatische Notwendigkeit sowie Auftakt für politische Fraktionskämpfe und erzwungene Lernprozesse, denn nicht alle Genossen waren spontan bereit, ihre ‚Bauernblindheit‘ abzulegen. Zwei Bedingungen waren ausschlaggebend für das Überleben der KPCh: Zum einen die sich langsam herausbildende und verankernde ‚Mao-Strategie‘ der ländlichen Revolution unter kommunistischer Führung (in der Partei erst vollständig durchgesetzt zwischen 1935 – 43). Die Rest-KP zog sich als Kader in einer politisierten Bauernarmee ins chinesische Hinterland zurück. Militärische Einkreisungsversuche und Ausrottungsfeldzüge der GMD bildeten dabei eine ständige Bedrohung. Mehrfach stand das Überleben der KPCh auf des Messers Schneide. Allerdings konnte die oben angezeigte Kurskorrektur – weg von den damals sinnlosen städtischen Aufständen und hin zur unterdrückten Dorfarmut – nur wirksam werden, weil äußere Faktoren das Überleben der KP im ländlichen Raum begünstigten: Die Größe des Landes mit seiner Unübersichtlichkeit und die politische Zersplitterung des Reiches, in der rivalisierende Militärmachthaber und Banden auf einem Mosaik von Herrschaftsflächen der KPCh Raum für Manöver und isolierte Gefechte boten. Außerdem war die Zentralregierung in Nanking (d.h. der Militärmachthaber Chiang Kai-shek und seine GMD) zeitgleich noch immer in parallele ‚Generalskriege‘ (Kriege mit einzelnen Militärmachthabern) verwickelt und kämpfte selber ums Überleben. Vor diesem Hintergrund konnte die ‚maoistische‘ Strategie greifen, militärische und soziale Stützpunktgebiete bei den Dörfern zu errichten – und so zu überleben. Einer geeinten, konzentrierten Staatsmacht hätten die geschwächte Partei und Bewegung damals wahrscheinlich nicht standhalten können.

III. Der japanische Überfall auf die Republik China und die Folgen

Der Überfall Japans auf die (Rest-)Mandschurei, Nord- und Zentralchina sowie auf Südost- Asien leitete dann eine politisch-strategische Wende für die KPCh, aber auch für die GMD ein.

Japan hatte sich Ende des 19. / Anfang des 20. Jh. Zug um Zug zu einer imperialistischen Macht gemausert. Nicht im Handel, sondern im Erwerb von Rohstoffquellen für die eigene Industrie sowie in der Aneignung von Land für die Ansiedelung japanischer Bauern wurde die Zukunft Groß-Japans gesehen. Wo? Auf dem asiatischen Festland und in Südostasien.

So eignete sich Japan immer größere Gebiete in China an: 1931 erfolgte als nächster Schritt die Besetzung der chinesischen Mandschurei, ohne dass die GMD-Truppen, beschäftigt mit der Vernichtung des Kommunismus, nennenswerten Widerstand leisteten. China und die GMD verloren so schlagartig 11% ihres Territoriums, 40 % der chinesischen Waldfläche, 35% der damals bekannten Kohle-, 50% der Erdöl- und 80% der Eisenvorräte. 1932 zum eigenen Staat erklärt, wurde das japanische Protektorat dann 1934 als Kaiserreich Mandschukuo (das heißt Mandschustaat) in die Welt gesetzt, mit dem letzten chinesischen Kaiser mandschurischer Abstammung Pu Yi als japanische Marionette. Gleichzeitig ermunterte und unterstützte Japan separatistische Kräfte in der chinesischen Inneren Mongolei, die später Teil der japanischen ‚5. Kolonne’ in China wurden. 1932 erfolgte als weiterer Schritt ein erster Angriff japanischer Soldaten auf Shanghai, dem jedoch nach heftigen chinesischen Abwehrkämpfen und internationalem Druck ein Rückzug folgte. Am 5. Mai 1932 gab es dann ein Waffenstillstandsabkommen mit der chinesischen Zentralregierung. Doch die Destabilisierung chinesischen Territoriums durch die japanische Armee ging weiter.

– Am 7. Juli 1937 begann nach japanischen Provokationen der ‚offizielle‘ Chinesisch-Japanische Krieg. Peking und die Küstenstädte fielen in die Hand der Japaner. Japan beherrschte nun bald große Teile Nord- und Ostchinas, alle Häfen und die Transportlinien. Shanghai fiel im November1937, Nanking ein Monat später. Danach wurde der japanische Vormarsch langsam eingestellt und auf wenige lohnende Ziele begrenzt. Im Vordergrund standen die Konsolidierung des Eroberten sowie die Abwehr des chinesischen Partisanenkrieges. Häufig mussten sich die Japaner allerdings auf die Sicherung der Städte und die der Verkehrswege beschränken. (Zum Verlauf weiter unten.) 1940 gelang der japanischen Besatzungsmacht dann die Etablierung eines nachhaltigen chinesischen Marionettenregimes (mit Sitz in Nanking). Sie konnte dafür den ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der GMD und innenpolitischen Rivalen Chiangs, den Militärmachthaber Wang Jingwei (1884-1944) als antikommunistische (‚pro-asiatische‘) Gallionsfigur gewinnen.

Der Nationalist und Militärmachthaber Chiang Kai-shek aber verweigerte sich den Japanern sowie den Sirenenklängen ihrer Kollaborateure. Die nationalchinesische GMD-Armee und die Zentralregierung verlagerten ihre Stellungen 1938/39 in die Tiefe Südwest-Chinas.

Die GMD, die chinesische Zentralregierung unter Chiang Kai-shek, setzte dem Vordringen Japans in China anfänglich wenig entgegen (siehe oben). Die Vernichtung des Kommunismus hatte für sie Priorität. Die Leitlinie hieß: zuerst Befriedung, dann Widerstand. Das begünstigte lange den Vormarsch der Japaner in die Fläche des Landes. Durch die Verhaftung Chiangs (= „Xi’an – Zwischenfall“) am 12. Dez. 1936 erzwangen jedoch zwei aus Nordost-China vertriebene GMD-Generäle mit ihren Mannschaften das Einverständnis der Partei, in die offene Konfrontation mit Japan einzutreten und ein militärisches Bündnis mit der KPCh gegen Japan zu schließen (die 2. nationale Einheitsfront). Die Auseinandersetzung begann im Juli 1937. Japan dehnte danach (wie beschrieben) den Krieg in China aus, da mit einer Kapitulation der Nationalregierung nicht mehr zu rechnen war. Doch Chiang Kai-shek und die GMD führten den Kampf für sich weiter als traditionellen Frontenkrieg. Sie erlitten dabei gegenüber den modern ausgerüsteten Japanern große territoriale und menschliche Verluste.

Um der Bombardierung und Unterwerfung seiner Hauptstadt Nanking zu entgehen, wurde der nationalchinesische Regierungssitz immer tiefer in den Südwesten Chinas verlagert – entlang dem Flussbett des Jangtsekiang – zuerst in die Stadt Wuhan, die schon bald fiel, später in die fernwestliche ‚Fluchtburg‘, das städtische Chongping in der Provinz Sichuan, das durch natürliche Hindernisse weniger verletzlich schien.

Die Vertreibung und der Stellungswechsel hatte für die GMD Folgen: Sie verlor ihre Wurzeln in den Küstenstädten und Küstenprovinzen Chinas. Vor allem aber verlor sie an Japan die Zolleinnahmen aus dem See- und Binnenhandel, die einen beträchtlichen Teil ihres Staatshaushaltes ausgemacht hatten. – Mehrere Mio. Menschen aus vielen Teilen Chinas siedelten danach fluchtartig in die Gebirgsprovinzen des Westens über, im mühsamen Tross ganze Industrieanlagen, Betriebe, Universitäten mitführend. Dieser Teil des Reiches erlangte dadurch eine kurzzeitige Blüte. Doch statt sich im neuen Herrschaftsgebiet mit den armen Bauern gutzustellen, betrieb die GMD auch weiterhin ihre alte reaktionäre Bauernpolitik. Sie setzte damit auch hier den Keim der Unzufriedenheit.

Die KPCh hatte bereits im Februar 1932 in ihrem weit abgelegenen ländlichen Basisgebiet, der chinesischen „Sowjetrepublik Jiangx“, Japan den Krieg erklärt. (Damals umfasste diese Räterepublik in der gleichnamigen Provinz 50.000 qkm. Sie beherbergte 4,5 Mio. Menschen. Die Volksmacht verfügte über eine reguläre Streitmacht von 25.000 Mann, hatte aber nur 20.000 Gewehre. Ihr Vorsitzender war Mao Tse-tung = Mao Zedong). Doch war die Kriegserklärung an Japan, weitab vom eigentlichen Frontverlauf, wohl eher ein symbolischer Akt. Denn noch hatte die KPCh andere Sorgen. Schon seit Anfang der 30er Jahre wurde sie in ihren Stützpunktgebieten durch diverse Ausrottungsfeldzüge der GMD bedrängt. Der fünfte, groß angelegte Versuch (Einsatz – je nach Rechnung und Autor – 700.000 oder 1 Mio. Soldaten und eine veränderte Militärstrategie der GMD) zwang die militärischen und politischen Hauptkräfte der KPCh in den „Langen Marsch“, eine Flucht- und Ausweichbewegung weg von Jiangxi, der sie über eine Strecke von nahezu 11.000 km (nach anderer Lesart 12.500 km) kreuz und quer durch elf chinesische Provinzen führen sollte (1934 – 35/36). Nur ein Zehntel jener, die ihn begonnen hatten, überlebte. Zwar stand die KPCh jetzt am Abgrund einer totalen Vernichtung, doch konnte sie dem Würgegriff der GMD entkommen und ihre Identität bewahren.

Im äußersten Nordwesten Chinas, in der Provinz Shaanxi in Yan’an, schlugen die stark geschwächte Rote Armee und die KPCh ihr neues Hauptquartier auf. Yan’an, das war ein kleiner Fleck auf der großen Landkarte Chinas, der etwa 1,5 Mio. Menschen ein kärgliches Leben erlaubte. Hier verbanden sich die Partei und ihre Armee erneut mit der armen ländlichen Bevölkerung und hielten so diesen Stützpunkt unangefochten bis März 1947.

Am Ende des Langen Marsches dürften die Kräfte der Partei noch 40.000 Köpfe umfasst haben, verstreut auf ganz China – gut die Hälfte dieser Anhänger konzentriert auf Yan’an.

Die zweite ‚nationale Einheitsfront’ und ihre Widersprüche

Je tiefer Japan in China eindrang, umso mehr Gewicht und Zuspruch fand die Forderung aus der Öffentlichkeit nach einer neuen „antijapanischen Einheitsfront“. Auch die KPCh richtete sie frühzeitig an die Adresse der GMD-Mitglieder. Die GMD-Parteiorganisation musste dem öffentlichen und internen Druck 1936 nachgeben und in ein solches Bündnis einwilligen (siehe oben): Zwar widerwillig, aber ‚verbindlich‘. – Beide Vertragspartner blieben jedoch politisch wie organisatorisch autonom und nur formal einem gemeinsamen Militärkommando unterstellt. Alles andere wäre einem politischen Selbstmord der KPCh gleichgekommen. – Umgekehrt schluckte die KPCh die Kröte einer nationalen Einheitsfront von oben (das heißt unter Einschluss von Chiang Kai-shek). Hier hatte die Komintern bei der KPCh nachgeholfen, ja, die KI hätte eine stärkere Annäherung der KPCh an Chiang gern gesehen. Doch ließ sich das in der KPCh (gegen die ‚Mao-Fraktion‘) nicht durchsetzen. In Folge des militärischen Bündnisses brach Chiang die Vorbereitungen auf einen 6. antikommunistischen Vernichtungsfeldzug ab und die Angriffe der GMD auf das Hauptquartier der KPCh hörten erst einmal auf.

Die nun entlastete KPCh und ihre rote Armee standen vor einem grandiosen Comeback. Dazu musste die KPCh jedoch in ihrem neuen Herrschaftsgebiet die revolutionäre Agrarreform abmildern. Man setzte mehr auf Pacht- und Zinssenkungen für die Bauern sowie auf eine progressive Besteuerung denn auf die gewaltsame Landumverteilung. Maßstab war die örtliche Machbarkeit der jeweiligen Maßnahme: Eine taktische Rücksichtnahme der KPCh, um die nationale Volksfront nicht zu gefährden. Erst mit dem Absterben der 2. Nationalen Einheitsfront – so 1941/42 und nach 1946/47 – verschärfte die KPCh ihre Agrarreform und die Landumverteilung erneut.

Neue antijapanische Stützpunktgebiete unter kommunistischer Leitung entstanden in China – nervös beäugt von der GMD. Im militärischen Kampf gegen Japan setzte die Rote Armee auf die Tiefe des Raumes als Waffe. Sie führte den Bewegungs- und Guerillakrieg gegen die japanischen Besatzer im ländlichen Raum – vor und hinter den japanischen Linien. Damit unterschied sie sich von der Militärstrategie der GMD, die weiter auf den Frontenkrieg setzte, und reduzierte die eigenen Verluste.

Yan’an:

Yan’an, das kommunistische Hauptquartier, wurde zum politischen Anziehungspunkt des antijapanischen Volkswiderstandes. In Stichworten: – Die Rote Armee – reguläre Armee und Partisanen – rekrutierte sich aus dem Volk, vor allem aus der bäuerlichen Bevölkerung, erzogen und politisiert von der Partei. Ihre Reihen in ganz China füllten sich in atemberaubender Schnelle: 1936 betrug die Zahl der Überlebenden des Langen Marsches 22.000, ein Jahr später hatte sich die reguläre Streitmacht verdoppelt, 1938 betrug sie 180.000 Mann, 1940 eine halbe Mio., im März 45 über achthunderttausend und überschritt dann im laufenden Jahr die Mio.-Grenze. – Die in Yan’an stationierten Teil-Kräfte waren vor Ort zugleich kämpfende Truppe wie landwirtschaftlich arbeitende Körperschaft zur Eigenversorgung. – Die KPCh baute ihre Verbindung zur intellektuellen und literarischen Elite Chinas aus, die sie in ihre Reihen rief, die sie aber auch ideologisch beeinflusste. – Die örtliche Bevölkerung in Yan’an wurde mit der dort stationierten Roten Armee zu einer Kampf-, Lern-, und Produktionsgemeinschaft zusammengeschlossen und Teil der lokalen und regionalen Volksmacht. Die Maßgabe der KPCh war, in den befreiten Gebieten die Organe der lokalen politischen Volksmacht in einer Art Drittelparität aufzubauen: 1/3 Parteimitglieder, 1/3 GMD- Anhänger (eigentlich Dissidenten der GMD-Partei), 1/3 Parteilose: Ein politisches Experiment und Laboratorium der Volksherrschaft in den ländlichen Gebieten – mit Langzeitwirkung. Die revolutionäre Praxis wurde zum Lehrmeister der sich selbst befreienden Bauern und Kleinbürger. – Die eigenen anschwellenden Parteireihen der KPCh wurden in Yan’an politisch vereinheitlicht und ausgerichtet. – Die Mitgliederzahlen der KPCh in ganz China schossen in die Höhe: Von etwa 20.000 im Jahre 1936 auf 200.000 im Jahre 1938. In den 40er Jahren waren 800.000 Gen. organisiert. Im April 1945 gab es 1,2 Mio. Mitglieder der Partei. – Die KPCh häutete sich gezwungenermaßen. Sozial gesehen waren 9 von 10 Genossen Bauern, der Arbeiteranteil der Partei war gering. Bei den Führungskadern dominierten die Altgenossen, die Überlebenden des Langen Marsches sowie die roten Intellektuellen. – Die KPCh löste sich langsam aus der Umklammerung ihrer Moskauer Nannys vor Ort, deren Positionen oft genug neben den chinesischen Realitäten lagen. Die Selbstauflösung der sowjetisch dominierten Komintern im Mai 1943 erleichterte diesen Vorgang. – Die einflussreiche Mao-Fraktion in der KPCh gewann immer mehr an Boden. Mao Tse-tung wurde 1943 Vorsitzender des Politbüros und des Zentralkomitees, 1945 Parteivorsitzender.

Politische Perspektiven

Die KPCh verstand sich auch in den 40er Jahren als Vorhut der chinesischen Arbeiterklasse, die am Erfahrungsschatz der internationalen kommunistischen Bewegung partizipierte, sowie als Arm einer revolutionären Bauernbewegung. Doch das politische Etappenziel im Reich (neben der Vertreibung des japanischen Imperialismus) hieß erst einmal: eine demokratische Republik für China, frei von Fremdherrschaft, in den Worten Maos „ eine(r) neudemokratischen Gesellschaft unter der gemeinsamen Diktatur der vom chinesischen Proletariat geführten revolutionären Klassen Chinas“ (Worte, die man 1945 so nicht mehr wählte), eines Klassenbündnisses also aus Proletariat, Bauernschaft, Intelligenz und anderen kleinbürgerlichen Schichten unter Führung der KPCh . Mao Tse-tung entwickelte diesbezüglich 1940 konzeptionelle Vorstellungen in seiner Schrift „Über die Neue Demokratie.“, einer angedachten ‚Bündnisplattform’, die das Zeug zu einem zeitgemäßen hegemonialen Pogramm einer kommunistischen Partei über das Kleinbürgertum und die Bauern Chinas mitbrachte. (In dieser Wertung treffe ich mich wohl mit dem Autor Helmut Peters.) Das Konzept wurde später in der Schrift „Über die Koalitionsregierung“ (Mao Tse-tung, 1945) weiterentwickelt. Zugleich verleugnete die KPCh ihr historisches Ziel des Sozialismus und Kommunismus nicht, dessen Wegmarken sie so kennzeichnete: „Die chinesische Revolution zerfällt, historisch betrachtet, in zwei Stufen, die demokratische und die sozialistische. Die erste Stufe ist nicht Demokratie im gewöhnlichen Sinne, sondern eine neue, besondere Art, eine Demokratie chinesischer Prägung – d. h., es ist die Neue Demokratie… Wenn die gegenwärtige chinesische Gesellschaft also einen kolonialen, halbkolonialen und halbfeudalen Charakter hat, so muß die chinesische Revolution sich offenbar in zwei Stufen vollziehen. Auf der ersten muß sich diese koloniale, halbkoloniale und halbfeudalistische Gesellschaft in eine unabhängige, demokratische Gesellschaft verwandeln. Auf der zweiten muß die Revolution zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft fortschreiten. Wir befinden uns augenblicklich auf der ersten Stufe der chinesischen Revolution… Die erste Stufe, d.h. das erste Stadium der Revolution, bezweckt gewiß nicht, eine kapitalistische Gesellschaft unter der Diktatur der chinesischen Bourgeoisie aufzubauen, und kann das auch nicht; seine Aufgabe ist vielmehr, eine neue demokratische Gesellschaft unter der vereinigten Diktatur aller revolutionären Klassen aufzubauen … Die Neue Demokratie unterscheidet sich einerseits von der alten westlichen Form der bürgerlich-demokratischen Republik, die unter der Diktatur der Bourgeoisie steht und veraltet ist, sie unterscheidet sich andererseits von der neuesten Republik im Sowjetstil, die unter der Diktatur des Proletariats steht… Sie ist die Übergangsform des Staates in den revolutionären Kolonien und Halbkolonien.“ (nach Mao Dse-dung, 1940, in: W. Bauer, 1973, S. 49 / andere, redigierte Fassung / Übersetzung: Mao Tse-tung: „Über die neue Demokratie“, AW. II., S. 395 – 449)

IV. Wer über die KPCh spricht, muss auch über den Kontrahenten, die GMD unter Chiang Kai-shek reden

GMD und KPCh waren gesellschaftspolitische Antipoden. Sie wussten das und handelten entsprechend. Umso erstaunlicher ist, wie wenig Aufmerksamkeit die drei oben angesprochenen linken Autoren der GMD schenken:

– Bei H. Böke (2007, S. 22 und 27) heißt es z.B.: Chiang Kai-shek „ hatte anfangs mit Sowjetrussland zusammengearbeitet, verbündete sich aber mehr und mehr mit der Bourgeoisie und den Großgrundbesitzern und verfolgte eine zunehmende antikommunistische Linie.“ Weiter seine Ausführung zum Jahr 1927: „ Die Guomindang unter Chiang Kai-shek, auf die Mao zunächst große Hoffnungen setzte, kippte nach rechts.“ Das ist zwar alles richtig, aber bleibt beschreibend und erklärt nichts. Letztlich sagt der Autor hier nur, was Mao Tse-tung 1927 so ausgedrückt hatte: „Das gegenwärtige Regime der neuen Militärmachthaber der Kuomintang bleibt immer noch das Regime der Kompradoren-klasse der Stadt und der Feudalklasse im Dorf; nach außen hin hat es vor dem Imperialismus kapituliert, nach innen hat es die alten Militärmachthaber durch die neuen ersetzt und die wirtschaftliche Ausbeutung und politische Unterdrückung der Arbeiterklasse und der Bauernschaft noch mehr verschärft. Die Kompradorenklasse und die Feudalherrenklasse haben die Führung der bürgerlich-demokratischen Revolution … auf halbem Weg an sich gerissen und damit die Revolution sofort auf den Weg der Konterrevolution umgeleitet …“.(Mao Tse-tung, AW. I., 1968, S. 67)

– Bei O. Weggel, einem bürgerlichen Historiker, werden da schon eher Triebkräfte und Interessen innerhalb der GMD benannt. Der Autor benennt „fünf Hauptgruppen“ im „Willensbildungsprozeß“ der GMD (d.h. in ihrer Ein-Parteien-Herrschaft). Da wären:
1) Die Finanzclique, „die sich aus einflußreichen Vertretern des Handels- und Industriebürgertums mehrerer Küstenstädte zusammensetzte“. (Weggel gibt die Präsenz des „Großbürgertums“ im Zentralkomitee (= ZEK) der GMD 1932/35 mit 21%, 1935/37 mit 25% an). Diese Kreise wollten „ vor allem günstigere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sowie Regierungssubventionen erkämpfen.“ – Das dabei entstandene System der „Verquickung von Privatinteressen und öffentlichen Funktionen“ wurde dann in der Rotchinesischen Geschichtsschreibung als „bürokratischer Kapitalismus“ gekennzeichnet.
2) Die „Huangpu- Clique“, eine Bruderschaft ehemaliger Kadetten, jetzt Offiziere der GMD-Armee, die verlässliche Gefolgsleute Chiangs abgaben.
3) Drei Geheimdienste, „die den äußersten rechten Flügel bildeten“. Einer zur Überwachung und Ausbildung der GMD, einer zur Überwachung und Bekämpfung des kommunistischen Untergrundes (100.000 Agenten), ein weiterer, die „Blauhemden“, „deren Gliederung dem Modell der damals im faschistischen Europa notorischen Braun- und Schwarzhemden nachempfunden war, und mit ihren rund 10.000 Mann eine Art Leibstandarte Jiang Jieshis bildeten.“
4) Dann die „Wissenschaftsgruppe“, die bei Weggel als „institutionalisierter Protest“, als Dach, unter dem „sich der Sachverstand des damaligen China versammelte“, verkauft wird: Kurz , die intellektuellen Lakaien und Fans Chiangs und der GMD.
5) Außerdem verschiedene Warlords und Provinzgouverneure, „die fernab der Zentrale wie Könige regierten, und die es bei Laune zu halten galt“.

– ‚Vergessen‘ hat O. Weggel in seinem Reigen die Großgrundbesitzer, die, an ihrer Grundherrschaft bzw. an den annektierten Eigentumstiteln interessiert, bis zu Chiangs Ende dessen treue Stütze blieben. Dieses ‚Versäumnis‘ Weggels ist erstaunlich, gibt der Autor doch an anderer Stelle die Präsenz des „Grundbesitzertums“ im ZEK der GMD 1932/35 mit 45%, 1935/37 mit 38% an.

All diese Kräfte innerhalb der GMD galt es auszubalancieren und einzubinden. Sie bildeten die Herrscherschicht und die Parasiten im GMD-Reich. – Eine solche Aufzählung ist zwar keine marxistische Polit- und Klassenanalyse, umkreist aber Klientel, Stützen und Einflüsterer der GMD recht anschaulich. (O. Weggel, 1989, S. 73 – 77 bzw. S. 79 und 83 ; ähnlich, aber differenzierter: J.P. Harrison, 1978) Die Auflistung Weggels ist noch nicht einmal vollständig. Denn Chiang blieb auch der kriminellen „Grünen Bande“ verbunden, ebenso seinen wechselnden ausländischen Unterstützern – natürlich als Nationalist und Warlord. Die Darstellung Weggels (u.a.) zeigt uns ‚lediglich‘ die Verflechtung der Kräfte mit ihren durchaus unterschiedlichen oder konkurrierenden Interessen; sie beschreibt ein reaktionäres Bündnis, das in der Person Chiang Kai-sheks seine durchaus eigenständige politische Verkörperung fand.

– F. Wemheuer vermerkt nun über die GMD im antijapanischen Krieg um 1941 – 1943: „Auch wenn die Guomindang standhielt, so gelang es ihr jedoch nicht, einen > totalen Krieg < zu organisieren und Massen aus ganz China für die Front zu mobilisieren. Dazu fehlte der GMD die Kontrolle über die Dörfer und ein attraktives Pogramm sozialer Reformen.“ (F. Wemheuer, 2010, S. 60)

Da fragt man sich doch: Warum verweigerte ‚das Dorf’ die freiwillige Zusammenarbeit mit der GMD und was war das reale (‚unattraktive‘) Programm dieser Staatspartei? Statt Antworten verzeichnet die zitierte Schrift da nur Leerstellen. Das ist offensichtlich kein Problem knapper Zeilen. Hier hätte F. Wemheuer eben soziale Verhältnisse, Klassenstandpunkte und Handlungen charakterisieren müssen. Ohne sie ist eine politische Geschichtsschreibung, wie sie dieser Autor betreibt, ohne Tiefenschärfe.

Ein reaktionäres Gebäude

Bürgerliche Autoren, die der angesprochene F. Wemheuer hätte auswerten können, charakterisieren die gesellschaftspolitischen Ambitionen der GMD ‚an der Macht’ da schon mit deutlicheren Konturen. Hier zwei Beispiele:

– E. Pilz: „Das Programm der GMD war insgesamt darauf gerichtet, in einem technokratischen Sinn zu modernisieren. Im landwirtschaftlichen Sektor wurde dabei einerseits an den wirklichen Problemen vorbeigeplant. Aufgrund von Geldmangel bzw. Desinteresse an den entscheidenden Schaltstellen blieb zudem die Modernisierung auf der Ebene von Forschungsprojekten und Durchführungsplanungen stecken. Die Bauernfrage meinte das Regime durch Aufrechterhaltung des Status quo regeln zu können. Was der ländlichen Entwicklung allerdings zugute kam, war der sehr beachtliche Aufwand für die Verbesserung der Infrastruktur: Weite Teile des chinesischen Hinterlandes wurden durch den Ausbau des Straßen- und Bahnnetzes zumindest dem Informationsstrom des modernen städtischen Sektors angeschlossen. Auf diesen, vor allem den küstennahen urbanen Bereich, konzentrierten sich die zahlreichen und gut ausgebildeten Spezialisten und Fachkräfte in der GMD-Bürokratie vor allem: Hier fanden im Banken- und Finanzwesen, im Informationsbereich, in der Energieversorgung, in der industriellen Entwicklung, im Erziehungs-, Bildungs- und Wissenschaftssystem Modernisierungsschübe statt. Das Problem dabei war die Abgehobenheit dieses hochqualifizierten und höchstspezialisierten Sektors von der sozialen und ökonomischen Realität Chinas. … Auch im städtischen Bereich fand Modernisierung deutliche Grenzen. Das Konzept eines Marktplatzes von Ideen, eines Diskurses zwischen unterschiedlichen, auch gegensätzlichen Ideologien, der Integration eines möglichst breiten Spektrums von Meinungen in die politischen Entscheidungsprozesse usw. waren der GMD-Ideologie unter Jiang nicht nur fremd, sie wurden im Kontext der politischen Entwicklung seit 1927 zu staatsgefährdenden Ideen hochstilisiert. Der Vorwand zur Unterdrückung der freien Meinungsäußerung, unabhängigen Presse und freien Organisation von BürgerInnen war die tatsächliche oder konstruierte Nähe zum Marxismus und/oder Kommunismus, dem erklärten Feind Nr.1. Die Struktur des Nanjing-Regimes zeigt, daß dieser „Confucian Fascism“ … von seinem Selbstverständnis her jedem Pluralismus abhold war. Jiang selbst umgab sich mit konzentrischen Kreisen von Organisationen ihm ergebener Parteimitglieder, von denen einige so geheim waren, daß sie dem Bewusstsein der Öffentlichkeit über Jahrzehnte entgangen waren, mit deren Hilfe er sich aller unliebsamen, weil kritischen Elemente der Gesellschaft – seien es StudentInnen und ihre ProfessorInnen, JournalistInnen oder SchriftstellerInnen und ihre Verleger, Gewerkschafter, politische AktivistInnen – zu entledigen suchte. Wer sich regimekritisch äußerte, musste mit Behinderung, wirtschaftlichen Sanktionen, bis hin zur physischen Beseitigung durch gedungene Meuchelmörder rechnen. Hier erreichte der Trend zur Repression bereits technokratisch hochentwickelte Formen.“ (E. Pilz, 1999, S. 81/2)

– O. Ladstätter: „In einem Land, dessen Bevölkerung zu 80 Prozent aus Bauern bestand, spielte natürlich das Problem des Grundbesitzes und das des Pachtsystems eine zentrale Rolle. Wenngleich auch von der Regierung in Nanking einige Anstrengungen unternommen wurden, den Lebensstandard der bäuerlichen Bevölkerung zu heben, so waren diesen Bemühungen durch den Einfluß mächtiger Wirtschafts- und Finanzkreise in der Umgebung Jiang Jieshis (d.h. Chiang Kai-shek d.V.) sowie verschiedener Militärmachthaber, die ihre eigenen Interessen durch eine Landreform gefährdet sahen, doch relativ enge Grenzen gesetzt. Hinzu kam noch, daß das politische Bewußtsein der Bauern durch eine Reihe von Aufklärungskampagnen von seiten der Kommunisten wie auch von seiten der Guomindang-Regierung selbst stärker ausgebildet worden war und die breiten Massen der bäuerlichen Bevölkerung daher das Ausmaß ihrer Ausbeutung und Unterdrückung allmählich immer deutlicher zu erkennen begannen. Das Scheitern in der Frage der Landreform war dann auch eine der Hauptgründe für die spätere Niederlage der Guomindang durch die Kommunisten.“ (O. Ladstätter, 1983, S. 210)

Die Feststellung F. Wemheuers, dass die GMD keinen „totalen Krieg“ gegen Japan in China führte, ist jedoch passend. Allerdings dürfte eine Erklärung dieses Umstandes eigentlich keine Schwierigkeiten machen: Einen „totalen Krieg“ kann man nur gestützt auf die Massen führen. Letztlich ist er ein konsequenter Volkskrieg, der sich radikaler Mittel bedient. Wer ihn führen will, muss die Interessen der Massen vertreten, oder aber, er wird selber zertreten. Genau da lag das Problem Chiang Kai-sheks als Vorsitzender der GMD. Er musste fürchten, dass die nunmehr bewaffneten armen Bauern die Gewehre (irgendwann) umdrehten und den Schusskanal gegen ihn und die eigenen Herren richteten. Eine Befürchtung, die prophetisch war und die angesprochenen politischen ‚Versäumnisse’ der GMD in Punkto Volkskrieg hinreichend erklärt: Chiang war weder in der Lage noch Willens, einen „totalen Krieg“ gegen Japan zu führen.

Doch folgen wir nun dem konkreten Geschichtsverlauf weiter: Das geschrumpfte Herrschaftsgebiet der GMD hatte sich Anfang der 40er Jahre im Südwesten Chinas stabilisiert. Aber wie? B. Tuchman schreibt dazu unter anderem: „ Die betonierten Maschinengewehr-Nester an den Straßenecken in Chungking und Kunming waren nicht zum Gebrauch gegen die Japaner bestimmt. Die große patriotische Welle der Jahre 1937 – 38, die den Japanern entgegengeschlagen war, hatte sich in Erschöpfung, Unterdrückung und Profitgier verlaufen.“

V. Die USA als ehrlicher Makler in China?

Mit dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbor (am 7. Dez. 1941) und dem offiziellen Eintritt der USA in den 2. Weltkrieg veränderten sich die politischen Koordinaten, mithin die Kampfbedingungen in China erneut.

Allerdings waren die USA kein Neuling in China. Meine These dazu ist: Die USA waren in der chinesischen Geschichte bis 1940/41 eine negative, im 2. Weltkrieg eine politisch widersprüchliche, ab 1945/46 eine konterrevolutionäre Kraft. Doch der Reihe nach:

Die US-Politik im Alten China:

– Die USA haben im Alten China keine Kolonialpolitik betrieben. (Das war ein gänzlich anderes Verhalten als etwa auf den von ihnen eroberten Philippinen (1898 – 1946), ein Territorium,das den USA als Kolonie und Sprungbrett zur Eroberung ausländischer Märkte diente. Mit den Philippinen jedenfalls wurde die Stützpunktkette der USA bis an die chinesische Vorhoftür getragen.) Praktisch vertraten die USA in China den Standpunkt der „Offenen Tür“, d.h. sie traten hier für offene Märkte und gleiche und liberale Handelsmöglichkeiten aller ein, aus Eigennutz. Deshalb waren die USA auch ein Gegner kolonialer Ambitionen der anderen imperialistischen Mächte auf dem chinesischen Parkett, sie waren gegen eine Aufteilung Chinas, sie bevorzugten einen chinesischen Einheitsstaat unter chinesischer Führung. Kurz, die USA waren gegen den europäischen oder japanischen Imperialismus und Kolonialismus in China, was den eigenen Handelsimperialismus gegenüber dem Reich natürlich nicht ausschloss.

– Für die Öffnung der Tür mussten die Regierungen des chinesischen Kaiserhauses im 19. Jh. allerdings erst gefügig gemacht werden. Die USA waren daher schon im 19. Jh. in China politisch wie militärisch präsent: Mal gegen die, mal mit den anderen imperialistischen Konkurrenten, die sich hier eingenistet hatten (siehe oben). 1844, im Vertrag von Wanghia, erpressten die USA von der Qing-Regierung die Meistbegünstigung (siehe oben). War das herrschende chinesische Regime nun von den imperialistischen Mächten mit Drohungen und Aktionen weich geklopft und kooperationswillig, so wurde es gegebenenfalls durch wechselnde Allianzen gegenüber dem Volkszorn gestützt. Soziale Volksbewegungen, die die kaiserliche Qing-Dynastie bedrohten und die den Hinauswurf der ausländischen Barbaren, die Abschottung Chinas forderten, wurden gemeinsam mit der Reichsregierung militärisch niedergeworfen: so der Taiping-Aufstand 1851-1864, hier gemeinsam mit England und Frankreich; so der Boxeraufstand 1900/1, hier gemeinsam mit 8 Fremd-Staaten einschließlich den USA. Dies ließ sich das verbündete Imperialistenpack dann teuer von der Reichsregierung bezahlen (Kriegsentschädigungen) und mit weiteren Privilegien vergolden. Schon in diesem Stadium waren die USA also daran beteiligt, China in die Schuldknechtschaft zu treiben und seine Souveränität einzuschränken. Allerdings folgte der Peitsche oft das ‚Zuckerbrot‘ nach: 1907 erließen die USA China die Hälfte ihres Anteils an der Boxerentschädigung. Man empfahl sich, auch mit einer Kulturoffensive, als Freund Chinas.

– 1899 bzw. 1900 verpflichteten die USA einige ausländische Mächte, wie England, Frankreich, Deutschland, Russland, Japan und Italien auf eine „Open-Door-Politik“ im Reich. Was praktisch bedeutete: offene Türen und Märkte in China für alle; und da sich alle Räuber das Reich als territoriale Beute wünschten, bekam es vorerst keiner (Näheres u.a. bei H.-U. Wehler, 1987). Doch handelten die USA schon bald wieder gegen ihren Mythos als antiimperialistische Kraft: Nach dem russisch-japanischen Krieg 1905 um die Kontrolle der Mandschurei und Koreas „stimmten jetzt auch die Westmächte der japanischen Vorherrschaft über Korea zu; die USA erkennen Japans Anspruch im Taft-Katsura-Memorandum vom 29.7.1905 an.“ (R. Zöllner, 2002, S. 114) Die USA blieben dieser ‚projapanischen‘, eigentlich einer nunmehr gegen die Sowjetunion in Ostasien gerichteten Linie auch auf der internationalen Konferenz von Versailles (1919) treu. Dort verschacherten sie mit den anderen West-Mächten aus handels- und außenpolitischen Gründen ebenfalls fremdes Territorium, so das chinesische Shangtung mit der Stadt Kiautschou an Japan.

Doch nicht nur das chinesische Volk wurde in Versailles verprellt: „1914 bis 1918 kämpfte Japan an der Seite der Entente gegen Deutschland und besetzte die deutsche Kolonie in China (Tsingtao). An der Friedenskonferenz von Versailles nahmen zwar japanische Vertreter teil, aber neben den USA, Großbritannien und Australien nicht wirklich als gleichberechtigte Delegierte. Ein Vorstoß Japans, in den Friedensvertrag und später in die Charta des Völkerbundes einen Passus über rassische Gleichberechtigung aufzunehmen, wurde von den Westmächten rundweg abgelehnt, eine Demütigung, die den beginnenden Ultra-Nationalismus in Japan anfachte. Japans Kriegsziele in China, die mit den sog. 21 Forderungen an die junge chinesischen Republik (seit 1911) China zu einem japanischen Protektorat gemacht hätte wurde in Versailles ebenfalls von den Westmächten blockiert, nur Japans Kolonialherrschaft über Korea wurde bestätigt – eine koreanische Delegation fand kein Gehör.“ (M.Pohl, 2002, S.71)

Die US-Politik im Neuen China:

Der japanische Angriff auf Pearl Harbor (1941) und die US-Reaktion

– Die USA waren über die Entwicklung im China der 20er/30er Jahre gut informiert. So hatten sie Kenntnisse über die reaktionäre Sozial- und Innenpolitik der GMD unter Chiang Kai-shek (z.B. aus den Berichten des amerikanischen Militärattaches und späteren Vier-Sterne-Generals in China, Joseph W. Stilwell, der die Leiden des chinesischen Volkes an Chiang Kai-shek nicht ertragen konnte).

– Das weitere Vordringen Japans in China wurde in Amerika mit wachsender Sorge registriert, drohte doch die Abschottung der Auslandsmärkte für die eigenen US-Waren und Kapitalien gleich an zwei ‚Gegenküsten’: In Europa durch die Autarkie- und Machtpolitik des NS-Staates, vor allem bei einem Sieg Nazi-Deutschlands auf dem Kontinent und in China bzw. Asien durch das imperiale Japan. Die kapitalistische Handelsmacht USA war herausgefordert.

Im April 1938 erhielt die Nationalregierung Chinas (das heißt praktisch die GMD) erstmals einen größeren Kredit für Waffenkäufe in den USA. Offiziell hielten die USA jedoch den Anschein aufrecht, sich nicht in die inneren Angelegenheiten Chinas und Japans einzumischen. Doch politische Sorgen waren für die USA noch lange kein Hemmnis, sich das Geschäft mit dem rohstoffarmen Japan verderben zu lassen: „Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Japan blieben 1938 … noch durchaus freundlich, und die Vereinigten Staaten lieferten dem Inselreich 90 Prozent seiner Schrotteinfuhr, 91 Prozent seines Kupfers und zwei Drittel seines Öls. Als Tokio im Dezember 1938 sein >Pogramm zur Neuordnung der Prosperität in Ostasien< verkündete, wurde man freilich in Washington nervös. 1939 kündigte Außenminister Hull den seit 1911 bestehenden Handelsvertrag. Obwohl die Lieferungen vorerst noch normal weitergingen …“ (U. Sautter, 2006, S. 424) Und so fiel der Schrott Amerikas weiter in Gestalt japanischer Bomben auf die Häupter Chinas. Ende 1940 gewährten die USA der Nationalregierung dann erneut Kredite über 75 Mio. Dollar. Insgeheim stimmte die Regierung Roosevelt dem Leasing von 100 amerikanischen Kampfflugzeugen für Chiang Kai-shek zu und gestattete die Beurlaubung und das Anwerben von 100 Piloten als Söldner – aus dem aktiven Dienst der Luft- und Seestreitkräfte der Army – für das „Freie China“ (April 1941). Es erfolgte die Gründung einer „Amerikanischen Militärmission für China“ zwecks Beratung der Nationalregierung und Koordinierung zukünftiger Militärhilfen. Die US-Regierung war somit längst in den Krieg um China involviert, bevor die ersten japanischen Bomben auf das amerikanische Pearl Harbor fielen.

Auf den japanischen Einmarsch in Französisch Indochina hin ließ der Präsident dann aber im Sommer 1940 den zwischen Japan und den USA bestehenden Handelsvertrag auslaufen und unterwarf den Verkauf strategischer Güter an Japan gewisser Beschränkungen. Dadurch, daß Japan den Dreimächtepakt (mit Deutschland und Italien d.V.) unterzeichnete, verschlechterte sich die Lage für die Vereinigten Staaten, da nun die Probleme in Europa und im Pazifik vermengt wurden. Als im Sommer 1941 japanische Truppen in Südindochina einrückten, sperrten Amerika, England und Holland den gesamten Export nach Japan und schnitten damit den für Japan wesentlichen Öl- und Kautschuknachschub ab. Japanische Militärbeamte rechneten aus, daß die davon in Japan angelegten Reserven nur zwei Jahre reichen würden. Für sie war die Situation untragbar. … Bis die Gespräche zwischen (den Außenministern d.V.) Nomura und Hull im Sommer 1941 stattfanden, waren beide Länder in eine Sackgasse geraten. Die Vereinigten Staaten bestanden darauf, daß Japan nicht nur Indochina, sondern auch China räume. Japan bestand darauf, daß die Vereinigten Staaten aufhörten, Chiang Kai-shek zu unterstützen, die Hegemonie Japans im Fernen Osten anerkennten und das Embargo für Öl, insbesondere das aus Indonesien, aufhöben.“ (J.W. Hall, 1984, S. 340).

Damit lagen die Alternativen für Japan auf dem Tisch: Kapitulation oder Kampf. Der Überfall des imperialistischen Japan auf die amerikanische Basis Pearl Harbor (Hawaii) am 7. Dezember 1941 dürfte Washington dann nicht wirklich überrascht haben – bestenfalls der Zeitpunkt (vergl. H. Karuscheit, 2010, S. 42 ff.). Die USA verloren hier 19 Kriegsschiffe, 120 Flugzeuge, und 2400 Menschen. Noch waren die Kriegsziele Japans gegenüber Amerika begrenzt. Die USA sollten durch einen spektakulären Akt ‚lediglich’ genötigt werden, die von Japan in Anspruch genommenen Interessensphären zu akzeptieren. Das ging bekanntlich schief. Der Attacke auf Pearl Harbor folgte die Kriegserklärung der USA an Japan, wie umgekehrt – auf Verlangen Japans – die von Deutschland und Italien am 11. Dezember 1941 an die Vereinigten Staaten. Der 2. Weltkrieg hatte nun weltumspannende Züge.

Japan auf weiterem Angriffskurs und das drohende Menetekel ‚an der Wand’

Unter dem ideologischen Banner einer „Neuen Ordnung in Ostasien“ (auch als „Großasiatische Sphäre gemeinsamen Wohlstands“ bezeichnet) gingen die Vorstöße des japanischen Militärs in Südostasien weiter: „In rascher Folge überrannten die Japaner die Philippinen, nahmen Hong Kong, Singapore und Indonesien ein. Bis März 1942 standen japanische Truppen in Neuguinea und waren für den Angriff auf Australien bereit. Bis zum Mai hatten sie Burma erobert und erwogen die Unterwerfung Indiens.“ (J.W. Hall, 1984, S. 341) Erst Mitte 1942 begann sich das ‚Kriegsglück’ Japans zu wenden. Den Anfang vom Ende machte die verlorene Luft- und Seeschlacht bei den Midwey-Inseln im Pazifik (Juni 1942). Es folgte dann das bekannte amerikanische Inselspringen, ein Waffengang, um ins Herz des Aggressors vorzustoßen.

Kriegsschauplatz China

Ende November 1941 trat die japanische Marionettenregierung des Chinesen Wang Jingwei (Nanking) dem Antikominternpakt bei. Dezember 1941, zwei Tage nach dem japanischen Überfall auf das amerikanische Pearl Harbor, erklärte die Nationalregierung Chinas (d. h. die GMD) Deutschland und Italien sowie Japan den Krieg: ein notwendiger, längst überfälliger Schritt. National-China wurde damit Bestandteil der Alliierten und ihres militärischen Versorgungssystems sowie Teil des globalen Pazifik-Krieges.

Allerdings dürften die Vorstellungen der alliierten Akteure in China unterschiedlich gewesen sein:

Die UdSSR hatte bereits am 21. August 1937 angesichts des erneuten japanischen Überfalls auf China einen Nichtangriffspakt mit der chinesischen Republik geschlossen und der GMD-Regierung großzügige Militär- und Finanzhilfe gewährt. Am 13. April 1941 folgte dann ein fünfjähriger Neutralitätspakt mit Japan, um sich den Rücken nach Asien angesichts der Kriegsgefahr an den europäischen Westgrenzen frei zu halten. Allerdings hatte bereits 1939 ein erfolgreicher sowjetischer Militärschlag an der mongolisch-sowjetischen Grenze die japanischen Ambitionen auf diese Gebiete gestoppt: ein militärisches Desaster des japanischen Angreifers, das man in Tokio der Bevölkerung wohlweislich verschwieg. Der „Große Vaterländische Krieg“ gegen den Aggressor Hitler-Deutschland (22. Juni 1941 – 8. Mai 1945) band dann die sowjetischen Kräfte vor allem an den Kriegsschauplatz Europa. Ihr China-Einsatz musste warten.
– England war zu jener Zeit daran interessiert, Japans Aggression in China zu binden, um einen Durchmarsch der japanischen Truppen in die englischen Kolonialgebiete nach Singapur, Burma … und in die Kronkolonie Indien auszuschließen.
– Die USA hingegen hatten längerfristige, weitergehende strategische und handelspolitische Interessen in China. Sie hofften auf eine aktive Rolle der nationalchinesischen Regierung (der GMD) bei der Niederwerfung der japanischen Besatzer in China und in Süd-Ost-Asien (was der Kolonialmacht England so gar nicht Recht war, fürchtete sie doch die Wiederauferstehung eines starken Chinas sowie das Ende des britischen Empire). Allerdings koppelte Washington seine Hilfen für Chiang Kai-shek nicht an die Gegenleistung zum entschiedenen Kampf gegen Japan – was die GMD auszunutzen verstand.
– Chiang selber hoffte auf eine Aufwertung der chinesischen Positionen im Westen sowie auf Geld und Waffen für sich. Doch war er nicht gewillt, einen ‚amerikanischen bzw. alliierten Krieg’, d.h. den totalen antijapanischen Krieg in China zu führen. Die USA und die Alliierten – so das Kalkül – sollten vielmehr Japan besiegen und so helfen, China zu befreien. Chiang wollte seine Armee behalten und nicht verschleißen, um nach dem alliierten Sieg mit den Kommunisten und den anderen nationalen Widersachern im eigenen Land abzurechnen. Sein Beitrag gegen Japan auf chinesischem Boden blieb folglich hinter seinen Möglichkeiten und den militärischen Erfordernissen zurück, was zu ständigen Reibereien mit dem alliierten Kommando führte.
– So hatte jeder seine Interessen und Vorbehalte. Und so konnte das Ergebnis auch niemanden befriedigen. Eine effektive Koordinierung, ja offensive Führung der alliierten Kriegsanstrengungen in China und Burma (bzw. an den indischen Außengrenzen) unterblieb. Hier standen sich die Bündnispartner selber im Wege. (Näheres bei B. Tuchman, 1988)
– Die britische Kolonie Burma aber fiel im Mai 1942; damit wurde der alliierte Nachschub für ganz China auf dem Landwege bis Anfang 1945 blockiert.

Politische Lager

In Washington waren die Meinungen über die ‚Qualitäten’ Chiangs gespalten. So antwortete der amerikanische Luftwaffen-General Chennault auf die Frage Präsident Roosevelts nach dem persönlichen Charakter Chiang Kai-sheks (1943): „Sir, ich halte den Generalissimus für einen der zwei oder drei größten militärischen und politischen Führer der Gegenwart. Er hat mir gegenüber niemals eine Verpflichtung gebrochen.“; während der volkstümliche amerikanische General Stilwell, zeitweilig Stabschef Chiangs, gallig anmerkte: „Er ist ein wankelmütiger, trickreicher und unzuverlässiger alter Schurke, der nie sein Wort hält“ (zitiert bei: B. Tuchman, 1988, S. 448/49).

Chiang bekam trotzdem sein amerikanisches Geld und die Waffen gegen Japan – aus politischen Gründen. Dass er das militärische Gerät auch gegen die chinesischen Kommunisten einzusetzen gedachte, war Washington damals zwar nicht recht, man nahm es jedoch hin. (B. Tuchman, 1988, S. 264 und 272)

Am 11. Januar 1943 erhielt Chiang dann ein diplomatisches Geschenk: Die westlichen Staaten gaben viele ihrer Privilegien in China auf, wohl um das Land bei der alliierten Stange zu halten. (Das ‚Geschenk’ betraf jedoch nicht das britische Hongkong und das portugiesische Macao, die im westlichen Kolonialbesitz verblieben). Allerdings reagierte der Westen mit seinen Zugeständnissen an Chiang nur auf die Absicht der Japaner, wieder verstärkt auf die antikoloniale Karte zu setzen: „… am 21. Oktober (1943, d.V.) stellte sich der indische Nationalist Subhash Chandra Bose … in der japanischen Hauptstadt an die Spitze einer Regierung des >Freien Indien<. Es folgte am 30. Oktober der Abschluß eines Freundschaftsvertrages mit der Nanking-Regierung, in dem Japan auf seine Sonderrechte nach dem >Boxer-Protokoll< von 1901 verzichtete. Am 1. November begann in Tokio eine dreitägige >Großasiatische Konferenz<, an der außer Japan selbst Mandschukuo, Nanking-China, das mit Japan verbündete Thailand, die Philippinen, Birma und Boses >Freies Indien< teilnahmen. Das Ergebnis blieb deklamatorischer Art: Die Teilnehmer verpflichteten sich zu einer engen Zusammenarbeit beim Aufbau einer gemeinsamen ostasiatischen Wohlstandssphäre und zur wechselseitigen Achtung ihrer Souveränität. Mit der neuen Verbindlichkeit im Umgang mit verbündeten und abhängigen Staaten reagierte Japan sowohl auf das Ausscheiden Italiens aus dem Lager der Achse wie auf eigene Rückschläge im Krieg mit den Westmächten…“ (H. A. Winkler, 2011, S. 1068/69)

Doch das Bemühen Japans um einen Schulterschluss mit den unterdrückten Völkern des Ostens hatte wenig Erfolg. Zu rigide und ausbeuterisch war das japanische Besatzerregime in vielen Teilen Süd- und Ostasiens vorgegangen und eine Änderung wurde nicht erwartet. Japan produzierte geradezu den Widerstand. So entstanden antijapanische Befreiungsbewegungen in den Philippinen, auf der malaiischen Halbinsel, in Französisch Indochina, in Burma … Mit seiner doppelten Stoßrichtung der nationalen und sozialen Befreiung lieferte dieser Aufbruch dann auch späterhin Sargnägel zum Untergang des holländischen, französischen und britischen Kolonialismus in Asien.

Innenpolitische Frontverläufe in China

Schon 1939/40 war das Klima zwischen GMD und KPCh frostig geworden. Chiang ging erneut zur antikommunistischen Blockadepolitik in China über (= militärische Belagerung und Einpferchung der Roten Armee sowie persönliche Verfolgung und Ermordung von Kommunisten). Zugleich ließ sein militärischer Eifer gegen Japan auf chinesischem Boden nach. Beobachter sprachen vom „passiven Hinhalten an ruhigen Fronten“. Chiang begann sich im Südwesten Chinas einzurichten.

Seine Stellung zu den kommunistischen ‚Verbündeten’ in China legte Chiang Kai-shek 1941 öffentlich so da: „Sie, meine Herren, denken, es sei wichtig, daß ich die Japaner in diesen Jahren daran gehindert habe, sich weiter auszubreiten … Ich sage Ihnen, es ist noch wichtiger, daß ich die Kommunisten daran gehindert habe, sich auszubreiten. Die Japaner sind eine Hautkrankheit, die Kommunisten sind ein Herzleiden. Sie sagen, sie wollen mich unterstützen, aber insgeheim wollen sie mich nur stürzen.“ (dokumentiert in: W. Bauer, 1973, S. 42)

Im Januar 1941 nutzte Chiang die Chance, die kommunistische „Neue 4. Armee“, die am südlichen Ufer des Gelben Flusses operierte, militärisch aufzureiben. In gewisser Weise wiederholten sich hier die Ereignisse von Shanghai in den 20er Jahren. Die 2. Nationale Einheitsfront, das Zweckbündnis der ungleichen ‚Partner’ stand nur noch auf dem Papier.

Zu dieser Zeit gab es in China also neben den Provinzen ohne zentralstaatliche Kontrolle drei ungleich große und starke, rivalisierende Gebiets- und Machtzentren: Die von den japanischen Truppen besetzten und mit Hilfe chinesischer Kollaborateure verwalteten Hauptgebiete Chinas, die unter der Herrschaft der GMD verbliebenen Flächen im Westen und die von der KPCh angeleiteten oder beherrschten antijapanischen Stützpunktgebiete.

Die späteren Kriegsereignisse warfen dann noch einmal ein Schlaglicht auf die Inkompetenz Chiang Kai-sheks und seiner GMD: „Die Jahre 1944/45 standen im Zeichen erneuter japanischer Großangriffe (auf China, d.V.), deren Ziel es war, einen in sich geschlossenen Korridor von der Mandschurei bis hinunter zum Südchinesischen Meer herzustellen und – angesichts herber Niederlagen im Pazifik – wenigstens China zu einer soliden Basis für einen noch lange andauernden Krieg auszubauen. Der Feldzug entwickelte sich abermals zu einem Blitzkrieg und führte in der Zeit zwischen März und Dezember 1944 erneut zu einer verheerenden Niederlage der GMD-Streitkräfte, die jetzt ihre ganze Schwäche offenbarten, indem sie innerhalb von nur zehn Monaten etwa eine Mio. Soldaten und 2 Mio. qkm Territorium (Henan, Hubei, Hunan, Guangxi, Guandong und Guizhou) mit zusammen 60 Millionen Einwohnern verloren…“ (O. Weggel, 1989, S. 118)

Diese Stärke der japanischen Armee bzw. die Schwäche Chiangs wurde dann auf der Alliierten Konferenz von Jalta (1945) zum Politikum und zu einem Faktor im späteren chinesischen Bürgerkrieg (doch dazu weiter unten).

Das japanische Desaster

An dieser Stelle reicht es festzustellen, dass der alliierte Krieg in Süd-Ost-Asien dann nicht in China, sondern vor den ‚Toren Japans’ und mit der amerikanischen Besetzung des japanischen Kernlandes entschieden wurde. GMD und KPCh hatten ‚lediglich‘ große Teile der japanischen Militärmaschinerie auf dem chinesischen Festland gebunden. Schätzungen sprechen von 40 Prozent der militärischen Macht Japans: Also kein unbedeutender Beitrag Chinas im 2. Weltkrieg, der mit einem hohen Blutzoll des chinesischen Volkes bezahlt wurde. Die im Feld ungeschlagene japanische Invasionsarmee auf chinesischem Boden dann zu entwaffnen und heimzuschicken, wurde zur politisch-militärischen Herausforderung der Siegermächte nach Kriegsende.

– Die US-Politik in China gleich nach 1945/46:

Nach der bedingungslosen Kapitulation Japans im August 1945 wurden die USA Kriegspartei im chinesischen Bürgerkrieg an der Seite der GMD – was im weiteren noch ausführlicher darzustellen ist. Noch immer behaupten bürgerliche Historiker, die USA seien in diesen Konflikt hineingeschliddert und nur gezwungenermaßen Partei geworden. Dem ist nicht so, wie auch die Archive enthüllen. Die USA unter Präsident Harry S. Truman entschieden sich bewusst für Chiang Kai-shek und gegen die KPCh – wenn auch unter gelegentlichen Bauchschmerzen. Minderheitenpositionen wie die von General Stilwell, China angesichts des aufflammenden Bürgerkrieges zu verlassen, „und zwar sofort“, wurden abgelehnt.
– Gewaltige Summen flossen damals in die Taschen der GMD. Doch all das amerikanische Geld war letztlich nur ‚Sand gegen den Wind‘: B. Tuchmann schrieb später in ihrer Studie zur amerikanischen Politik in China 1911 -1945: „Alle Bemühungen der Amerikaner, den Status quo aufrechtzuerhalten, konnten einem verbrauchten Regime weder Stärke noch Stabilität noch die Unterstützung der Bevölkerung verschaffen. Eine leere Hülse ließ sich ebenso wenig aufrechterhalten, wie man verhindern konnte, dass der ‚Auftrag des Himmels’ in periodischen Abständen an einen anderen Herrscher überging. Am Ende ging China seinen eigenen Weg, als wären die Amerikaner nie dort gewesen.“

Doch werfen wir im Folgenden noch einige Blicke auf die letzten Akte des chinesischen Dramas, da sie die Zukunft des Landes entschieden.

VI. Der Eintritt der Sowjetunion in den Kampf um die Freiheit Ostasiens am 8. August 1945 und die Folgen

Wann endete der 2. Weltkrieg? Nicht wenige werden auf diese Frage mit einem Hinweis auf die Kapitulation Hitler-Deutschlands antworten: Am 8. Mai 1945. Eine eurozentristische Sichtweise. Tatsächlich kapitulierte ein wichtiger Akteur des 2.Weltkriegs erst Monate später am 15. August 1945: Japan. Ebenso dürfte vielen Betrachtern entgangen sein, dass die Sowjetunion am 8. August 1945 in den Krieg um Ostasien eintrat. Sowjetische Truppen eroberten in dessen Verlauf unter anderem die Mandschurei sowie den Norden Koreas. Die UdSSR wurde damit zu einem weiteren Faktor im Ringen um die innere Ordnung Chinas, ja Ostasiens.

Die Sowjetunion eröffnete kurz vor Ende des 2. Weltkrieges eine neue Front gegen Japan – in China

Bereits im Verlauf des 2. Weltkriegs war den Alliierten bewusst geworden, dass die Niederschlagung und Entwaffnung der japanischen Armee sowie ihrer Kollaborateure in China letztlich nur mit Unterstützung der Sowjetunion möglich war, da sich Chiang Kai-shek dazu als unfähig gezeigt hatte. Zudem musste verhindert werden, dass sich die noch immer unbesiegte japanische Armee in China bei einer Kapitulation des Mutterlandes verselbstständigte, um den Krieg auf eigene Rechnung weiterzuführen (zumal die japanische Kriegerideologie des „Bushido“ den Begriff der Kapitulation eigentlich nicht kannte). – Auf der Konferenz von Jalta (4. – 11. Februar 1945) wurde daher (ohne Konsultation Chiang Kai-sheks) folgendes Abkommen geschlossen: „ Die Regierungschefs der drei Großmächte – Sowjetunion, die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien – sind übereingekommen, daß zwei oder drei Monate nach der Kapitulation Deutschlands und Beendigung des Krieges in Europa die Sowjetunion in den Krieg gegen Japan auf der Seite der Alliierten unter der Bedingung eintreten soll, daß 1. der Status quo in der Äußeren Mongolei (der mongolischen Volksrepublik) erhalten bleibt; 2. die früheren Rechte Rußlands, welche durch den tückischen Überfall Japans im Jahre 1904 verletzt wurden, wiederhergestellt werden … Die Sowjetunion ihrerseits drückt ihre Bereitschaft aus, mit der Nationalregierung Chinas einen Freundschafts- und Bündnispakt zwischen der UdSSR und China zu schließen, um China mit ihren bewaffneten Streitkräften beizustehen mit dem Ziel, China vom japanischen Joch zu befreien.“ (dokumentiert in: Sch. Sanakojew u.a., 1978, S. 213/14).

Ihren Verpflichtungen zum Kampf kam die UdSSR mit der Kriegserklärung an Japan am 8. August 1945 nach. Der Einmarsch sowjetischer Truppen erfolgte am 9. August von Ost-Sibirien aus gegen die japanisch besetzte Mandschurei (Einsatz 1. Mio. Mann). – Am 10. August griffen dann auch mongolisch-sowjetische Verbände aus der Volksrepublik Mongolei die japanischen Besatzer in der Inneren (chinesischen) Mongolei an, um sich hier mit den roten Partisanen zu verbinden. Eine ganze Armee (80.000 Soldaten) durchquerte dabei die von den Japanern für unüberwindlich gehaltene Wüste Gobi. Große Teile der mongolischen Kollaborateure gingen daraufhin freiwillig mit ihren Waffen zu den Befreiern über. (W. Heissig, 1979, S. 252/53) – Die Lage der japanischen Armee in China, nun von vielen Seiten bedrängt, wurde ungemütlich. Dazu kam der Atombombenabwurf der Amerikaner auf Hiroshima (am 6. August 1945) und Nagasaki (9. August 1945), der das Aus auch im japanischen Mutterland stimulierte. Die USA setzten dabei zwei vermutlich unterschiedliche Typen der Atombombe ein, die sie damit grausam an der japanischen Bevölkerung testeten. Sie demonstrierten zugleich der Sowjetunion ihre Machtfülle, um sie politisch einzuschüchtern und zu mäßigen. So oder so, der imperiale Traum von Großjapan endete für Japans politische Klasse im Desaster. Japan kapitulierte bekanntlich am 15. August 1945 bedingungslos.

Wer bekam die japanischen Waffen?

Nach der Kapitulation Japans stellte sich die Frage nach der Entwaffnung und Repatriierung der noch immer gefechtsfähigen japanischen Armee in ganz China (1,25 Mio. Mann) als dringliche Aufgabe. Wer aber sollte (und wollte) sich das militärische Gerät aneignen?

In Tokio erließ General MacArthur, als Oberbefehlshaber der Alliierten Streitkräfte in Ostasien, den Generalbefehl Nr.1, der die japanischen Truppen in China und diejenigen nördlich des 16. Breitengrades in Vietnam anwies sich nur den chinesischen Nationalisten zu ergeben, während diejenigen in der Mandschurei nur von den Truppen der Sowjetunion kapitulieren dürften.“ (J.P. Harrison, 1978, S. 548) Ähnliche Befehle ergingen von Chiang bereits am 11. August 1945 in China.

Dieser Maßnahmenkatalog kanalisierte den Waffentransfer. Das meiste Gerät gelangte so in die Hände der GMD, nur ein kleiner Teil konnte von der KPCh konfisziert werden. Die Sowjetarmee übergab (daraufhin?) die von ihr in der Inneren Mongolei erbeuteten japanischen Waffen an die KPCh (nach dem Zusammentreffen der nach Nordosten marschierenden Teile der chinesischen Volksbefreiungsarmee mit der russischen Sowjetarmee bei Kalgan). Vor allem die leichten japanischen Waffen und Transportmittel wechselten dabei den Besitzer. (Der amerikanische Historiker J. Spence vertritt hingegen die These von massiven Waffenlieferungen der Russen an Mao, einschließlich schwerer Waffen, wie aus „später in Moskau veröffentlichten Zahlen“ hervorgehe (2003, S. 150). Leider legt er seine Quellen dazu nicht offen.) So oder so, bürgerliche Historiker sehen in dem Akt der sowjetischen Waffenübergabe stets eine Bevorzugung der KPCh. Tatsächlich stellte die UdSSR aber nur das bestehende Kräfteverhältnis zwischen der GMD und der KPCh sicher – zumal die USA ihrerseits zu einer massiven Aufrüstung Chiangs übergegangen waren.

Der Run der Revolutionäre auf die Mandschurei

Weder die KPCh noch die GMD waren vor der Befreiung der Mandschurei mit nennenswerten Kräften in der Kolonie präsent gewesen, da sich dieser ‚Staat’ fest in der Hand japanischer Invasoren befunden hatte. Doch mit der Kapitulation Japans und dem Einmarsch sowjetischer Truppen in die Mandschurei rückte nun auch dieser Teil Chinas in den Fokus der politischen Auseinandersetzungen. Beide nationalchinesischen Konkurrenten setzten ihre Kräfte in Bewegung: Zum einen lockten die verbliebenen Reste der Industrie für den zu erwartenden Bürgerkrieg; zum anderen war allen Seiten die geostrategische Lage dieses Landblocks für die Machtfrage in China klar. Die Mandschurei ragt ja wie ein großes Rechteck aus dem Körper Chinas nach Nordosten: Angrenzend an die Sowjetunion Stalins, seitlich begrenzt von der Volksrepublik Mongolei, die damals unter sowjetischer Kontrolle war und seitlich flankiert vom Norden Koreas, wo jetzt sowjetische Truppen standen und die rote Guerilla des Kim Il Sung operierte.

Eine Übernahme der Mandschurei durch die KPCh, deren Hauptkräfte im äußersten Nordwesten China verweilten, hätte somit einen geschlossenen Block kommunistischer Kräfte sowie ein sicheres Hinterland für die KPCh geschaffen. Die Gefahr einer Zweiteilung Chinas war heraufbeschworen. Jeder geschichtsbewusste Chinese wusste zudem, dass der Norden Chinas häufiger zum Ausgangspunkt der Eroberung Westchinas geworden war. Vieles sprach also für die Absicht Chiangs, an der er geradezu besessen festhielt, sofort den Norden Chinas einschließlich der Mandschurei einzunehmen. Nur eines sprach dagegen: die zahlenmäßige Schwäche und die begrenzte regionale Präsenz der GMD.

Nicht alle amerikanischen Militärberater Chiang Kai-sheks befürworteten daher diesen Schritt. Sie fürchteten zu Recht eine Überdehnung seines Herrschaftsgebietes und eine Schwächung seiner Kräfte in der Fläche. Doch Chiang war ein Spieler (und mittelmäßiger Militär), den solche Gedanken nicht anfochten. Noch aber saß die GMD nach ihrer Vertreibung aus den Küstenprovinzen Chinas im Südwesten des Reiches fest. Hier half die USA-Regierung aus: „In nur wenigen Wochen beförderten die USA eine Million Regierungssoldaten nach Nord- und Nordostchina, wobei die nordchinesischen Städte in der Regel aus der Luft, die nordöstlichen Stellungen aber über See angegangen wurden. Daneben ließen sich 80.000 US-Soldaten in fünf Schlüsselstädten entlang der Bohai-Bucht nieder. / Die erste Runde des Wettrennens ging unter diesen Umständen eindeutig an die GMD.

Der nach dem plötzlichen Tod Roosevelts inzwischen an die Macht gelangte neue Präsident Truman begründete die Hilfsaktion seines Landes damit, dass „uns völlig klar war, daß ganz Nordchina von den Kommunisten überrannt worden wäre, hätten wir den Japanern befohlen, ihre Waffen sofort niederzulegen und zur Küste zu marschieren. Wir mußten deshalb eine Zwischenlösung wählen und den Feind als Besatzer benutzen, bis wir die chinesischen Nationaltruppen nach Nordchina einflogen und Marineinfanteristen zur Bewachung der Küstenhäfen entsandt hatten. So wurde den Japanern befohlen, in ihren Stellungen auszuharren und die Ordnung aufrechtzuerhalten. Zur gegebenen Zeit würden Truppen unter Jiang Jieshi (das ist Chiang Kai-shek d.V.) erscheinen, die Japaner könnten sich ihnen dann ergeben, zu den Häfen marschieren, und wir würden sie zurück nach Japan befördern.“ (O. Weggel, 1989, S. 124)

Zeitweise behinderte die Sowjetunion die Anlandung der nationalchinesischen Truppen, indem sie den Hafen Dalian für alle Truppentransporte sperrte (was bürgerliche Historiker gerne hervorheben). Als die USA ihre maritimen chinesischen Basen für den gleichen Zweck öffneten, gestatte die Sowjetunion den Transport der GMD-Truppen auf dem Luft- und Landweg in die Mandschurei (was dieselben bürgerlichen Historiker, aber auch einige SED-Apologeten gerne unterschlagen). Das Vordringen Chiangs in der Mandschurei wurde somit verzögert, aber nicht blockiert. (J.P. Harrison, 1978, S. 561)

Ende 1945 hatte die KPCh dann etwa 300.000 Kämpfer in der Mandschurei konzentriert, der hier die Soldaten der GMD sowie die n der GMD-Armee aufgehenden Kräfte der japanischen Marionettenregierungen vor allem in den Städten gegenüberstanden.

Nach dem japanischen Zusammenbruch: die Entschädigungsfrage

Nach ihrem Einmarsch in die japanische Kolonie Mandschurei betrachtete die Sowjetunion die dortige Industrie als Beute. In der Tat stellte sich, wie auch in Deutschland, die Entschädigungsfrage gegenüber Japan. Es gab jedoch einen Unterschied. Die Alliierten hatten auf den Konferenzen von Jalta und Potsdam feste Quoten der Abgaben Deutschlands an die Siegermächte vereinbart, es aber versäumt, das Gleiche für Japan zu tun. Auch blieb die Frage der politischen Neuordnung und Verwaltung Japans unklar. Die Sowjetunion bediente sich also ungeniert an der nunmehr ‚herrenlosen’ Mandschurei, deren chinesische Souveränität man allerdings anerkannt hatte.

Der mit den Kommunisten sympathisierende Journalist Israel Epstein schrieb 1950: „ Die Sowjetarmee entfernte keinerlei Fabrikeinrichtungen, die vor der japanischen Besetzung chinesisches Eigentum gewesen waren. Nach verschiedenen Schätzungen schaffte sie zwischen 10 und 25 Prozent des später von den Japanern errichteten Maschinenparks nach der Sowjetunion.“ Ob er damit Recht hatte, konnte ich nicht überprüfen. J.P. Harrison jedenfalls beziffert den Wert der gleich nach Kriegsende aus der Mandschurei entnommenen modernen Anlagen durch Russland auf 858 Mio. US- Dollar, damals eine gewaltige Summe (J.P. Harrison, 1978, S. 559/60). Für das strukturschwache China war das ein bedeutender materieller Aderlass – der weder unter Nationalisten noch unter Rotchinesen Begeisterung ausgelöst haben dürfte.

VII. Warum siegte die Volksbefreiungsarmee (der KPCh) in Nordchina sowie in der Mandschurei über die GMD (1945 – 1949)

Mit der Beendigung des 2. Weltkriegs stellte sich die Frage nach der politischen und sozialen (Neu-) Ordnung in China erneut. Spannend war nur, ob es zur friedlichen Konkurrenz von GMD und KPCh oder zum gewaltsamen Zusammenprall der Kräfte und Konzeptionen kommen würde.

Das veränderte Kräfteverhältnis in China

Im Verlauf des antijapanischen Krieges war die KPCh zu einem ernstzunehmenden gesellschaftlichen Machtfaktor – neben der GMD – geworden: „ Im Frühjahr 1945 behaupteten die Kommunisten, daß sie über eine Armee von 910000 Mann, eine Miliz von 2,22 Mill. Mann und ein Selbstverteidigungskorps aus 10 Mill. Mann in 19 befreiten Gebieten verfügten. Diese Gebiete lagen in einer gleichen Anzahl von Provinzen und umfaßten insgesamt 950000 qkm (ein Zehntel der gesamten Landesfläche) in denen eine Bevölkerung von 95,5 Mill. Menschen lebte.“ Sieben Basisgebiete lagen in Nordchina, zehn kleinere in Zentral- und zwei in Südchina. ( J.P. Harrison, 1978, S. 548/49)

Die GMD hingegen verfügte 1945 auf dem Papier über 8 Mio. Soldaten, Mitte 1946 real über 4.3 Mio. Mann. Sie verwies auf Parteimitglieder in ganz China (1937 sprach man von 300.000 Mitgliedern). Die GMD (plus Armee) war somit nominell stärker als die KPCh mit ihren bewaffneten Einheiten. Ja, sie hatte erheblich mehr Fläche Chinas und Einwohner (ca. 70% der Gesamteinwohnerschaft) unter ihrer Kontrolle. Die GMD stellte zudem die chinesische Zentralregierung. Sie verfügte damit über eine ‚solide‘ Rekrutierungsbasis für Soldaten. Mit ihren Bajonetten beherrschte sie zudem den Südwesten des Landes. Viele, doch nicht alle Warlords des Reiches zählten zu ihrer Gefolgschaft.
– Doch die Mehrzahl der Partei- und Staats-Soldaten bestanden aus zwangsrekrutierten Bauern, die für die alten Zustände und gegen ihre eigenen sozialen Interessen antreten sollten. Entsprechend schwach war ihre Kampfkraft und die Moral der Truppe. Die sozialen Zustände in den Rekrutierungslagern und in der Armee waren erbärmlich. Teile des GMD-Offizierskorps waren korrupt, einige Kader unfähig. Berichtet wird auch von kommunistischen ‚Schläfern’ im Offizierskorps der GMD. Dazu kamen unzählige Widersprüche in der Armee selbst: So war es nicht ohne Risiko, einen zwangsrekrutierten Soldaten aus dem Süden im kalten Nordosten Chinas einzusetzen, wie es auch umgekehrt problematisch war, einen ehemaligen Soldaten der Warlords des Nordostens für die Interessen der Militärclique des Südens einzusetzen: Widersprüche, die sich auf den Zusammenhalt der Armee auswirkten und die Desertation der Soldaten begünstigten. – Die GMD war ein Koloss auf tönernen Füßen.

Die politische Offensive der KPCh 1945/46

Am 25. August 1945, also gleich nach der japanischen Kapitulation, so eine sowjetische Arbeit, „veröffentlichte das Zentralkomitee der KP Chinas eine Deklaration über die gegenwärtige Lage, in der es seine Bereitschaft erklärte, unter folgenden Bedingungen zu einem friedlichen Übereinkommen mit der Guomindang zu kommen: Einstellung der Kriegshandlungen gegen die Befreiten Gebiete; Anerkennung der Volksregierungen und der Volksbefreiungskräfte der Befreiten Gebiete; Festlegung des Territoriums, wo die Volksstreitkräfte die Kapitulation der japanischen Truppen entgegennehmen konnten; Auflösung der Marionettentruppen; Einberufung einer Beratung mit dem Ziel, eine demokratische Koalitionsregierung zu bilden und freie Wahlen zu einer Volksversammlung vorzubereiten.“ (In den AW. IV. Maos, Peking 1969, wird diese Deklaration zwar erwähnt, aber nicht wiedergegeben. Sie entzieht sich daher meiner Überprüfung, d.V.)

Auch Chiang offerierte der KPCh zeitgleich und mehrfach ein Koalitionsangebot, wohl auf Druck der Amerikaner hin, die sich auch als Vermittler zwischen den Lagern anboten, was die KPCh zu seiner Überraschung auch annahm. Allerdings hatte das Ansinnen Chiangs eine andere Stoßrichtung als das der KPCh. Ihm ging es um die Ausschaltung des kommunistischen Einflusses in China sowie um Zeitgewinne für eine bessere räumliche Positionierung seiner Kräfte im zu führenden Bürgerkrieg. – Das Angebot der Kommunisten, zu einer demokratischen Koalitionsregierung zu kommen, lehnte Chiang dann nach vielen Winkelzügen ab. – F. Wemheuer hat völlig Recht, wenn er urteilt: „Weder die Kommunisten noch die Guomindang hatten die Absicht, langfristig die Macht zu teilen. Zu unterschiedlich waren ihre Vorstellungen von einem neuen China.“ (F. W., 2010, S. 68)

Doch warum verweigerte Chiang letztlich seine Zustimmung zum Angebot? Warum zog er im Verlauf des politischen Pokers um die demokratische Koalitionsregierung den Kürzeren, d. h. warum ‚verlor er sein Gesicht‘ in der Öffentlichkeit? Um das zu verstehen, ist (u.a.) ein kurzer Blick in Maos Schrift „Über die Koalitionsregierung“ (AW. III., 1969, redigierte Fassung, S. 239 – 319) nützlich, die der oben angesprochenen Deklaration der KPCh vom August 1945 vermutlich zugrundelag. Denn hier umriss die Partei die politische Stoßrichtung ihres Angebotes.

Das Papier, eigentlich eine Rede Maos auf dem VII. Parteitag der KPCh am 24. April 1945, rekapitulierte noch einmal die allgemeinen und aktuellsten Vorstellungen der Partei über die „Neue Demokratie“, Vorstellungen, die man in China nach der Zerschlagung der japanischen Aggression – ob mit oder ohne die gemeinsame demokratische Koalitionsregierung – schon bald umzusetzen gedachte:

– Dem Bauern versprach das Papier: „Jedem Pflüger sein Feld“ (was auf eine Enteignung und Zerschlagung der Grundherrenklasse hinauslief).
– Der
nationalen Bourgeoisie garantierte es die Existenz und gute Geschäfte unter der Maßgabe, dass diese sich dem internationalen Imperialismus verweigerte und sich dem demokratischen Neuaufbau Chinas verschrieb; dem Kapital und der Industrie der Kompradorenbourgeoisie allerding drohte sie mit der Verstaatlichung und der politischen Ausschaltung; dem internationalen Kapital wurden Geschäfte beim Wiederaufbau Chinas angeboten, wenn es sich denn aus den inneren Angelegenheiten Chinas heraushielte.

– Dem Arbeiter, dem Proletariat stellte es in dürren und unverbindlichen Worten eine lichtere Zukunft in Aussicht. So hieß es im Text: „Wenn an die Stelle der Unterdückung durch den ausländischen Imperialismus und durch den eigenen Feudalismus eine gewisse Entwicklung des Kapitalismus tritt, so stellt das nicht nur einen Fortschritt, sondern auch einen unvermeidlichen Prozeß dar. Das kommt nicht nur der Bourgeoisie, sondern auch dem Proletariat zugute, und letzterem sogar noch mehr.“ Und an anderer Stelle: „Unter dem neudemokratischen Staatssystem wird eine Politik der Regelung der Verhältnisse zwischen Arbeit und Kapital betrieben werden. Auf der einen Seite schützt man die Interessen der Arbeiter – es wird je nach den Umständen der Acht- bis Zehnstundentag eingeführt und für eine angemessene Arbeitslosenunterstützung und Sozialversicherung gesorgt, und es werden die Rechte der Gewerkschaft gewahrt. Auf der anderen Seite garantiert man einen rechtmäßigen Gewinn aus der vernüftigen Bewirtschaftung staatlicher, privater und genossenschaftlicher Unternehmen. Das alles soll bewirken, daß sich sowohl der staatliche als auch der private Sektor und sowohl Arbeit als auch Kapital gemeinsam um die Entwicklung der Industrieproduktion bemühen.“ (Dürre Worte für eine kommunistische Partei, worin sich spätere politische Widersprüche in der KPCh bereits andeuten, d.V.)

– Der Öffentlichkeit, dem Volk versprach das Papier eine gründliche Demokratisierung von Staat und Gesellschaft (was auf eine Auflösung der Ein-Parteienherrschaft der GMD hinauslief und der Demokratie, aber auch der KPCh die nötigen Entfaltungsmöglichkeiten verschafft hätte).

– China sollte als territorial geeinte und souveräne demokratische Republik wiederauferstehen (das hieß aber auch, auf absehbare Zeit kein Sozialismus, wobei die Frage, wann denn doch, ausgeblendet und umschifft wurde. Im Text hieß es sogar: „Nur über die Demokratie kann man zum Sozialismus gelangen – das ist ein unerschütterliches Gesetz des Marxismus.“).

– Auf die rhetorische Frage „Wofür sind wir also?“ antwortete Mao im Text u.a.: „Wir sind dafür, daß nach der völligen Niederwerfung der japanischen Aggression eine Staatsordnung des demokratischen Bündnisses der Einheitsfront errichtet werden muß, die sich auf die überwiegende Mehrheit des Volkes stützt und unter Führung der Arbeiterklasse steht. Eine solche Staatsordnung nennen wir eine neudemokratische Ordnung. …Die Politik der Neuen Demokratie, für die wir eintreten, besteht darin, das fremde nationale Joch abzuwerfen sowie die einheimische feudalistische und faschistische Unterdrückung zu beseitigen, danach nicht die politische Ordnung einer Demokratie alten Typus, sondern eine auf der Einheitsfront des Bündnisses aller demokratischen Klassen beruhende Ordnung zu errichten.“

Für die Zeit einer noch andauernden japanischen Besatzung des Vaterlandes legte die Schrift allerdings ein abgespecktes Koalitionsprogramm vor, das zwar seine demokratischen Inhalte behielt, das sich im ökonomischen und sozialen Maßnahmenkatalog aber zurückhielt.

Das Papier „Über die Koalitionsregierung“ vom April 1945, so haben die Recherchen des Sinologen H. Martin ergeben, existiert heute in vier abweichenden Fassungen: „als Nachschrift dessen, was Mao tatsächlich auf dem Parteitag vortrug, zweitens als eine Version, die nur für Parteimitglieder bestimmt war, drittens als eine offene Version für die Außenwelt, die 1945 nach dem Parteitag veröffentlicht wurde, und schließlich viertens als nochmals redigierte Fassung des letztgenannten Textes im Zusammenhang mit dem entsprechenden Band der kanonisierten > Ausgewählten Werke < .“ Nur die harmloseste Variante des Papiers bekam die Öffentlichkeit damals zu Gesicht. Nicht nur die GMD, auch die KPCh verstand sich bereits aufs Tricksen und Täuschen.

Doch die KPCh vergab sich damals nichts mit ihren Vorschlägen und Angeboten: Sie hatte sich in der Öffentlichkeit als konsequente Kraft im antijapanischen Volkskrieg bewiesen. Sie hatte ihre sozialrevolutionäre Ader gelebt. Nun bot sie also der GMD einen Verhandlungsfrieden und eine Koalitionsregierung nach und mit demokratischen Spielregeln an, ohne sich und die Befreiten Kern- Gebiete selber aufzugeben. Sie konnte in diesem politischen Poker, ob mit oder ohne Erreichen der demokratischen Koalitionsregierung, nur gewinnen. Denn sie hatte die Finger am Puls der Zeit – und Chiang, kein politischer Dummkopf, wusste, was ihm blühte.

Auf dem fast zeitgleich zum KPCh-Parteitag stattfindenden Parteikongress der GMD sprach Chiang in einem geheimen Bericht Klartext: „Der Kern unserer Arbeit besteht heute in der Vernichtung … der kommunistischen Partei. Japan ist unser äußerer Feind. Die kommunistische Partei ist unser innerer Feind.“ (zitiert nach H. Peters, 2007, S. 112)

Die öffentlichen Koalitionsverhandlungen unter Vermittlung der USA zogen sich von Ende August 1945 bis März 1947 hin. Da hatte Japan längst kapituliert. Das Klima der Verhandlungen wurde immer gereizter. Die regionalen Kämpfe flammten in Abständen wieder auf. Für Chiang waren die Prämissen der KPCh letztlich unannehmbar. Als zentrale Knackpunkte im Verhandlungsmarathon zur Koalitionsregierung kristallisierten sich zwei Vorbedingungen Chiangs heraus: a) die Forderung, Beamte oberhalb der Kreisebene in China nur von der Nationalregierung ernennen zu lassen und nicht der Volkswahl zu unterstellen, was auf eine Auflösung der Befreiten Gebiete hinauslief, und b) die Forderung Chiangs an die KPCh, sich aus allen Schlüsselstellungen in der Mandschurei zurückzuziehen. Die KPCh war aber nur bereit, acht Basisgebiete vor der Haustür Chiangs aufzugeben, was leichtfiel, da sie schlecht zu verteidigen waren, sowie die Armee proportional zu der der GMD abzubauen, was hieß, die Waffen in der Hand der KPCh zu belassen. Letztlich scheiterten die Koalitionsverhandlungen an der Frage der Befreiten Gebiete und an der Mandschurei – mal abgesehen von dem Umstand, dass beide Seiten an der eigenen Machtübernahme arbeiteten. So lehnte die GMD das Koalitionsangebot der KPCh nach vielem Hin und Her als Erste ab und Chiang stand vor der Öffentlichkeit mit dem ‚Schwarzen Peter‘ des Kriegstreibers und Demokratieverächters da.

Das doppelte Spiel der USA

1945 / 46/47 bedrängten sowohl die SU als auch die USA die nationalchinesischen Kontrahenten, zu einer irgendwie gearteten Koalitionsregierung zu kommen. Dabei waren die Motive der Großmächte keineswegs gleich: Der SU ging es anfänglich darum, die nationale chinesische Einheitsfront im Kampf gegen Japan zu stärken. An eine Siegeschance der KPCh über Chiang in China glaubte man eh nicht. Darum drängte man die KPCh, ihre Beziehung zu Chiang zu verbessern und ein Arrangement mit der GMD zu suchen – im Krieg und nach dem Kriege. – Die USA ihrerseits waren spätesten nach der japanischen Niederlage davon überzeugt, dass Chiang im Kampf gegen die KPCh nicht so einfach siegen könnte. Ein Bürgerkrieg mit ungewissem Ausgang sollte möglichst vermieden werden. Auch war man daran interessiert, die GMD-Herrschaft in China zu zivilisieren um sie zu stützen. So boten sich die USA als Vermittler zwischen der GMD und der KPCh an.

Doch die US-Regierung betrieb in den ständig unterbrochenen Koalitionsverhandlungen und den aufflammenden Kämpfen von Anfang an ein doppeltes Spiel. So beschrieb z.B. der dritte amerikanische Vermittler General Marshall gegenüber seinem Dienstherrn Truman seine Aufgabe in China so, „daß er, wenn die Kommunisten keine vernünftigen Zugeständnisse machten, nationalistische Truppen nach Nordchina bringen lassen würde. Wenn andererseits der Generalissimus keine Zugeständnisse machte und damit alle Einigungsbemühungen scheiterten, könnten die Vereinigten Staaten ihn trotzdem nicht fallenlassen, „weil die tragische Konsequenz ein geteiltes China und wahrscheinlich die erneute Machtergreifung der Russen in der Mandschurei wäre … das würde bedeuten, daß wir unser wichtigstes Ziel im Pazifik-Krieg verfehlt hätten“. Er sah seine Aufgabe folglich darin, daß unter den gegebenen Umständen „der Generalissimus beim Transport von Truppen nach dem Norden Chinas weiter unterstützt werden mußte“ – zumindest so lange, bis die Evakuierung der Japaner abgeschlossen war. Truman und Byrnes waren einverstanden. / Das war im Grunde die Entscheidung für die Konterrevolution.“ (B. Tuchman, 1988, S. 630)

Exkurs: Das Dilemma der Sowjetunion

Die politische Situation der Sowjetunion – zeitweise im Besitz der Mandschurei – war zu diesem Zeitpunkt kompliziert. Einerseits war man mit Chiang Kai-shek verbündet (Freundschaftsvertrag – gemäß den Verpflichtungen von Jalta – am 14. August 1945), ja, man hatte Chiang stets hofiert und zum Ärger der KPCh auch privilegiert materiell unterstützt. Andererseits war man mit den chinesischen Kommunisten liiert, die allerdings nur mit einer kleinen rotlackierten Bauernarmee dazustehen schienen. Die SU reagierte auf diese Lage widersprüchlich:
– Die Sowjetunion übergab zwar ihre japanischen Beutewaffen aus der Inneren Mongolei bei Kalgan an die KPCh, aber sie rüstete die rote Volksbefreiungsarmee – meiner Kenntnis nach -nicht mit modernen und schweren Waffen auf.
– Sie verzögerte zwar die Anlandung der GMD-Streitkräfte im Nordosten Chinas, aber sie erlaubte schließlich doch das Eintreffen dieser Truppen auf dem Luft- und Landwege nach Norden und in der Mandschurei, statt die KPCh hier in den Sattel zu heben.
– Die Sowjetunion (bzw. die KPdSU) war zwar mit den chinesischen Kommunisten liiert, aber im Freundschaftsvertrag mit Nationalchina band sie sich an Chiangs Legalität. So heißt es im Text des Freundschaftsvertrages, dass beide Länder „sich verpflichten, kein Bündnis zu schließen und in keiner Weise an irgendeinem Zusammenschluß teilzunehmen, der gegen die andere hohe vertragsschließende Partei gerichtet ist“ und dass beide Seiten „ darin übereinstimmen, in enger und freundschaftlicher Zusammenarbeit zusammenzuwirken … und gemäß den Prinzipien gegenseitigen Respekts für die Souveränität und territoriale Integrität sowie der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen vertragsschließenden Partei zu handeln.“ (Zitiert bei J.P. Harrison, 1978, S. 560)

Bürgerliche Historiker sind sich darin einig, dass die Sowjetunion mehr für ihre kommunistischen Gesinnungsgenossen hätte tun können. Worin lagen die Hemmnisse? Dieselben bürgerlichen Historiker sagen z.B.:
– Es habe ein Misstrauen von Seiten Stalins gegenüber der KPCh bestanden. In der Tat lassen sich gewisse Vorbehalte zeitweilig nachweisen.
– Es habe in Moskau die Furcht gegeben, die USA könnten offen in den chinesischen Bürgerkrieg zugunsten der GMD eingreifen (und sich im Rücken der Sowjetunion festsetzen, d.V.).
– Eine solche Mutmaßung ist in der Tat nicht abwegig, standen doch US-Truppen zeitweilig in Japan sowie im Süden Koreas, ja, selbst in einigen Küstenstädten Chinas. Harrison spricht von 113.000 stationierten Soldaten der US-Armee in Nord-China zu dieser Zeit. Es schien also ratsam, sich mit den Nationalisten in Nanking zu arrangieren und die eigene revolutionäre Staatsmacht in Moskau vor bösen Überraschungen im Rücken zu schützen, zumal der ‚Kalte Krieg‘sich abzuzeichnen begann. Das gilt für die Zeit, als man noch vom Überleben des GMD-Regimes überzeugt war. – Doch ob dies wirklich zu den Überlegungen in Moskau gehörte, ist nicht belegt.

Ich kenne nur eine, wohl authentische Äußerung Stalins zum Thema: „ Nach dem Krieg luden wir die chinesischen Genossen nach Moskau ein, und wir erörterten die Lage in China. Wir erklärten ihnen unmißverständlich, unserer Auffassung nach hätte eine (revolutionäre) Erhebung in China keinerlei Aussicht, und die chinesischen Kommunisten sollten versuchen, zu einem modus vivendi mit Chiang Kai-shek zu gelangen, sich dessen Regierung anzuschließen und ihre Armee aufzulösen. Die chinesischen Genossen stimmten hier (in Moskau) mit der Auffassung der sowjetischen Genossen überein, gingen dann aber nach China zurück und handelten ganz anders. Sie sammelten ihre Kräfte, organisierten ihre Armee und schlagen nun, wie wir sehen, Chiang Kai-sheks Armee. Nun müssen wir im Falle Chinas zugeben, daß wir unrecht hatten.“ (zitiert bei J.P. Harrison, 1978, S. 568/69).

Der flächendeckende Bürgerkrieg in China beginnt

Die UdSSR zog im März / April 1946 – vertragswidrig spät – aus der Mandschurei ab. Das eröffnete ein neues Wettrennen der nationalchinesischen Konkurrenten in dieses Reichsgebiet.

Nach dem Abzug der Sowjettruppen aus der Mandschurei und dem Aufkündigen der Koalitionsverhandlungen für China durch Chiang Kai-shek forcierte die GMD den latenten Bürgerkrieg im Reich – und das in einem kriegsmüden Land. – Shanghai, Nanking und Peking hatte Chiang mit amerikanischer Hilfe bereits in der Tasche. – Auch die KPCh rang mit militärischen Mitteln um strategisch wichtige Positionen und Städte in der Mandschurei. Es ist daher wenig sinnvoll nach dem ‚Aggressor‘ auf dem chinesischen Parkett zu suchen. Folgen wir besser den Ereignissen:

Im März / Mai 1946 brachte Chiang die gesamte Bahnlinie von Peking bis Chagchun in der Mandschurei unter seine Kontrolle. – Im Juni ging die GMD dann zu landesweiten Angriffen auf die Stützpunkte der KPCh über. Der Schwerpunkt dieser Angriffswelle lag zuerst in Nordchina; Yan’an wurde zudem bombardiert. – Die Kampfhandlungen lösten keineswegs Freude bei Chiangs amerikanischen Verbündeten aus. Sie versuchten, die GMD durch ein zeitweiliges Waffenembargo zu mäßigen und an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Doch knickte man in Amerika schon bald ein. Wieder setzte man auf das ‚alternativlose‘ falsche Pferd, bis es zu spät war. – Vor allem die Kämpfe in Nord- und Nordost-China sollten sich für Chiang Kai-shek zum ‚chinesischen Stalingrad‘ entwickeln; Ereignisse, die hier nur skizziert werden können (Näheres z.B. bei J.P. Harrison, 1978 und O. Weggel, 1989).

In der wissenschaftlichen Literatur wird der intensivierte Bürgerkrieg in 3 Phasen unterteilt:

– Anfänglich hatte die GMD noch Erfolge vorzuweisen. Das kennzeichnete die 1. Phase der Auseinandersetzung (Juni 1946 – Juni 1947). – Die Kämpfe vom November 46 – Februar 47 richteten sich dabei vor allem gegen die Stützpunktgebiete der KPCh in Ost- und Zentralchina, was die KPCh zwang, große Teile Südchinas aufzugeben. – Chiang gelang die Rück-Eroberung vieler Städte in der Mandschurei, wobei er nun auch hier seine Unfähigkeit und Willkürherrschaft demonstrierte. – Die KPCh hingegen infiltrierte die ländlichen mandschurischen Gebiete. Dort begann sie mit einer radikalen Bodenreform, die ihr schon bald die dortigen Bauernmassen zutreiben sollte. Wer Land und Freiheit aus der Hand der KPCh erhielt, war auch gewillt, seine ‚Söhne und Töchter‘ in den Dienst der Revolution zu stellen. – Am 19. März 1947 eroberte die GMD unter großen Kraftanstrengungen Yan’an. Doch sollte sich dieser propagandistisch gefeierte Sieg als Pyrrhussieg erweisen. Die hier stationierte Revolutionsarmee hatte sich vorsorglich abgesetzt und nur ‚leere Kommando-Höhlen‘ hinterlassen. Der Bewegungs- und Guerillakrieg wurde an anderer Seite wieder eröffnet. Nordchina blieb ein Operationsgebiet der KPCh. – Der Angriff auf Yan’an, darin waren sich die damaligen Beobachter einig, schloss die Tür zum Verhandlungsfrieden endgültig. – Was die Volksbefreiungsarmee an einem Punkt verlor, glich sie an anderer Stelle z. B. in Nordost-China gleich mehrfach aus. Chiangs Kräfte hingegen wurden hoffnungslos überdehnt und damit verletzlich. Sie boten den Kämpfern der KPCh die nötige Angriffsfläche.

Schon im Juni 1947 konnte die KPCh zur strategischen Gegen-Offensive übergehen. Die Losung hieß: „Die Städte von den Dörfern her einkreisen“.

– Die 2. Phase der Auseinandersetzung (Sommer 1947 bis Ende 1947) konzentrierte sich auf die großen Ebenen zwischen dem Gelben Fluss und dem Jangtse. – Die Truppenstärke der GMD in ganz China sank bereits von 4,3 Mio. – so Mitte 1946 – auf 3,6 Mio. Mann ab, während sich die der KPCh von 1,2 auf 1,95 Mio. vermehrt hatte. – Strategisch bedeutend war zudem die Unterbrechung der Eisenbahnlinie von Süd- nach Nordostchina durch die roten Kämpfer. Diese Unterbrechung blockierte den Nachschub der GMD-Armee und reduzierte ihren Aktionsradius mehr und mehr auf die Verteidigung von Schlüsselstellungen sowie auf die der großen Städte in Nord- und Nordostchina. – Das rote Umland belagerte hier die von der GMD besetzten Städte, hungerte sie aus, bis sie sturmreif oder demoralisiert waren. Nicht wenige davon kapitulierten friedlich. Truppenteile des Gegners gingen freiwillig oder unfreiwillig in die Kriegsgefangenschaft, ja, abgespaltene Teile dieses Armeekörpers gliederten sich aus eigenem Entschluss mit ihren Waffen in die Volksbefreiungsarmee ein.

– Die 3. Phase der Auseinandersetzung (1948 – 1949/50) begann um die Jahreswende 1947/48. Zu diesem Zeitpunkt lag die Kontrolle der ländlichen Gebiete Nordost-, Nord- und Zentralchinas bereits bei der Volksbefreiungsarmee. – Entlang der großen Eisenbahnlinien beherrschte Chiang allenfalls einen ‚Dünnen Schlauch‘ an Fläche, ständig bedroht durch Vorstöße der Roten Kämpfer. – Nur die Gebiete südlich des Jangtse wurden noch durch Nanking (d.h. durch die GMD) kontrolliert. Doch auch hier hatte der Rote Widerstand seine Arbeit wieder aufgenommen.

Die Militärmacht der KPCh, daran muss hier noch einmal erinnert werden, bestand aus einer Partisanen- sowie aus einer über die Jahre aufgebauten regulären Feldarmee. In drei Gefechten von größerer Bedeutung bewies diese Volksbefreiungsarmee nun im weiteren Verlauf ihre erworbenen Fähigkeiten. Das Abräumen der GMD-Stellungen erfolgte dabei von Nord nach Süd:

– Das erste Schlachtengeschehen (12.9.47 – 2.1.48) fand um die endgültige Herrschaft im Nordosten, also um die Mandschurei statt und wurde von der Volksbefreiungsarmee bereits in Kesselschlachten ausgetragen.
– Bei der 2. Schlacht (7.11.48 – 10.1.49) ging es darum, die Pforte nach Zentral- und Südchina aufzustoßen und Nanking für einen späteren Angriff militärisch zu entblößen.
– Die 3. Schlacht (5.12.48 – 31.1.49) fand fast zeitgleich mit der 2. statt. Hier ging es um die endgültige Herrschaft in Nordchina und den Zugriff auf Peking und Tianjin (an der Bohai-Bucht). – Im April 1948 hatten Abteilungen der Volksbefreiungsarmee bereits Yan’an zurückerobert. – In Peking zog man am 31. Jan. 1949 ein, friedlich, denn die GMD-Besatzung kapitulierte kampflos. Mao rief hier am 1. Okt. 1949 die Volksrepublik China aus.

Alle drei großen Schlachten der Jahre 1948/49 gingen für die GMD verloren. Dabei wurden ca. 1,5 Mio. Soldaten Nankings ausgeschaltet. Nach Schätzungen lag die Truppenstärke Chiangs danach nur noch bei 1,5 Mio. Mann (Hilfstruppen eingerechnet).

Nach rotchinesischen Angaben verlor die Nationalregierung zwischen Mitte 1946 und Ende 1948 ganze 4,9 Mio. Mann, drei Viertel davon Überläufer und Kriegsgefangene. 105 der insgesamt 869 Generäle Chiangs wechselten zudem die Seite. Die GMD-Armee zerlegte sich. Selbst unter den ‚verlässlichen‘ Warlords begann die Gefolgschaft zu Chiang zu bröckeln.

Und in den GMD- besetzten Städten? Auch hier schmolz die Zustimmung für Chiang und seine Clique dahin. Im ganzen GMD-Land galoppierte die Inflation, grassierte die Korruption. Preiserhöhungen für Lebensmittel verärgerten und bedrückten die Bevölkerung und eine missratene Währungsreform (1948) ruinierte den chinesischen Mittelstand. Selbst die demokratische (nichtkommunistische) Opposition, als Parteiströmung des 3.Weges längst verboten, wurde hier in die Illegalität abgedrängt. Die KPCh mit ihrer Parole der „Neuen Demokratie“ empfahl sich da als gesellschaftliche Alternative. Alles Andere, nur nicht die GMD wurde zur einflussreichen politischen Stimmung in den Städten.

Mandschurische Bilanzen‘

F. Wemheuer schreibt angesichts des Vordringens der KPCh in China: „Die Mandschurei als Waffenschmiede sollte den Kommunisten im chinesischen Bürgerkrieg zum Sieg verhelfen. Mit der schwerindustriellen Basis im Rücken konnte die Volksbefreiungsarmee die bewegliche Guerillataktik durch konventionelle Offensiven mit modernen Waffen wie Panzern und Kampfflugzeugen ersetzen.“ ( F. Wemheuer, 2010, S. 69)

Hat der Autor in diesem speziellen Fall Recht? Als ich seine These das erste Mal las, fielen mir spontan folgende Zeilen aus einem Brecht-Gedicht ein: „General, dein Tank ist ein starker Wagen. Er bricht einen Wald und zermalmt 100 Menschen. Aber er hat einen Fehler: Er braucht einen Fahrer.“ – Es ist doch so: Waffen und Industrieanlagen sind für eine moderne Kriegsführung wichtig. Das festzustellen ist ebenso banal wie die Feststellung, dass mit einem Dreschflegel kein Panzer zu knacken ist. Zu bedenken ist aber auch: China war damals ein vormodernes, ein in sich ungleich entwickeltes Land. Anders gesagt: Dieses China war noch immer eine weitgehend vorkapitalistische Gesellschaft, aber ein Land, das sich im Umbruch befand, in dem nun Krieg mit zum Teil importierten Waffen und Strategien geführt wurde. Aber auch hier galt: Waffen und Industrieanlagen sind nur Instrumente. Ohne bewegende Kräfte sind diese Dinge nichts, nichts als ein Haufen Schrott. Der Held unserer Geschichte ist daher das durch die KPCh angeleitete chinesische Volk.

Meine These dazu lautet: Die KPCh gewann den Kampf um die Köpfe in der Mandschurei, erst auf dem Land, dann in den Städten, die von den roten Bauernmassen und ihrem bewaffneten Arm unter Führung der KPCh eingekreist wurden. Innerhalb von 3 Jahren wurde die ehemalige Kolonie Japans ein ‚rotes Meer’, in der die hierher entsandten Kernkräfte der GMD ertranken; ein Prozess, der durch harte politische Arbeit der Kommunisten in allen Kreisen der Gesellschaft und durch eine revolutionäre Agrarreform der KPCh erkämpft wurde.
– Die Waffen der Volksbefreiungsarmee stammten dabei vor allem aus Beutegut, wobei die Amerikaner unfreiwillig die größten Lieferanten wurden. Denn diese Waffen nahmen die Kämpfer mit dem roten Stern der GMD-Armee ab. Was die Sowjetunion an japanischem Militärgut der roten Volksbefreiungsarmee bei Kalgan 1945/46 übergeben hatte, war zwar hilfreich, aber entschied nicht den Bürgerkrieg. Ebenso wenig das industrielle (Rest-)Potenzial der Mandschurei. Letztlich war es der bewaffnete, organisierte, interessensgeleitete Wille und Heroismus der Massen, der die Machtfrage zugunsten der KPCh in der Mandschurei und dann in ganz China entschied. Doch war der Weg dahin steinig.

Die Rückkehr der KPCh in die Städte: „ als wären sie Nägel, die man nacheinander herauszieht “ (Zhou Enlai) / Die Gewerkschaften erleben ihren zweiten Frühling

Nicht nur auf dem Lande, sondern auch in den Städten entwickelte die KPCh nach dem 2. Weltkrieg neue Stärken. Bereits oben wurden dazu einige Fakten benannt. Im Folgenden soll das Bild weiter vervollständigt werden.

Ab 1946, nach einem kurzen Intermezzo mit der SU und der GMD, war die abgelegene mandschurische Großstadt Harbin in der Hand der KPCh. Harbin wurde zu einem politischen Laboratorium und Vorbild der Volksherrschaft in den eroberten Städten für die chinesischen Kommunisten.

Nach dem 2. Weltkrieg beherrschte die KPCh nach eigenen Angaben bereits eine zunehmende Anzahl urbaner Zentren. Dem lag die folgende Kampftaktik zugrunde: „Erst kleine Städte, mittelgroße Städte und ausgedehnte ländliche Gebiete, dann die Großstädte einnehmen …Das Hauptziel ist, die lebende Kraft des Feindes zu vernichten, nicht Städte und Gebiete zu halten oder einzunehmen.“ (Mao Tse-tung, 1947)

Der Eroberung von Metropolen folgte die nationale (Neu-)Gründung demokratischer Massenorganisationen, so der Jugend, der Frauen, der Intelektuellen sowie demokratischer Konsultationsorgane durch die KPCh.

Vom erwähnten Harbin gingen wichtige Impulse zur Reorganisation der chinesischen Gewerkschaftsbewegung aus. – Die Re-Vitalisierung dieser Bewegung hatte jedoch schon im antijapanischen Befreiungskrieg begonnen: Als Untergrundbewegung im japanisch besetzten Vaterland; in den befreiten Roten Gebieten, ermuntert durch die KPCh; unter den wachsamen Augen der GMD-Geheimpolizei in deren Herrschaftsgebieten. Chiang ließ die „Chinesische Arbeitervereinigung“ (gegründet August 1938 in Hankow, jedoch auch arbeitend in Shanghai, 1943 = 400.000 Mitglieder) dann im Dezember 1946 als unsicheren Kantonisten verbieten und durch einen systemhörigen Verband ersetzen, was deren oppositionelle Gewerkschaftskader in den Untergrund und an die Seite der KPCh trieb. – 1947/48 begann die KPCh die Wiederbelebung der städtischen Gewerkschaftsbewegung voranzutreiben: „Anläßlich des 6. Gesamtchinesischen Arbeiterkongresses im August 1948 in Harbin entstand der Gesamtchinesische Arbeiterbund aufs neue, der seit 1949 ca 2.373.000 Mitglieder zählte. An der Spitze stand der kommunistische Drucker Ch’en Yün, aber auch Chu Hsüeh-fan (ein politischer Reformist, d.V.). Das neue Regime konnte mit echter Unterstützung aus gewerkschaftlichen Kreisen rechnen.“ (A. Roux, in: W. Franke, Chinahandbuch, 1974, S. 448)

Tatsächlich erweiterte die KPCh ihre politische und soziale Basis in ganz China – auch in den Reihen der Werktätigen: „Wenn man die Rolle der Arbeiterklasse im revolutionären Prozess am Vorabend des Sieges der Kommunisten betrachtet, steht man vor zwei Tatsachen …Tatsache ist, daß es im Jahr 1948 keinen Aufstand in den Städten gab; der Sieg der Kommunisten war ein Sieg der Roten Armee. Ebenso ist es eine Tatsache, daß die 3 Mill. Arbeiter mit den Kommunisten sympathisierten, was entfernt an die ruhmreichen Jahre 1925 – 1927 erinnert.“ (A. Roux, in: ebenda, S. 40).

1948 waren 3,1 Mio. Menschen kommunistische Parteimitglieder in China, 1949 waren es 4,6 Mio. Die Volksbefreiungsarmee – Reguläre und Guerillas – wuchs von 1,95 Mio. Mann im Jahre 47 auf 2,8 Mio. im Juni 1948, um im Juni 1949 die Marke von 4 Mio. Kämpfern zu überschreiten (1950 = 5 Mio.). – Man stand Gewehr bei Fuß, um den letzen Schlag gegen das morsche Herrschaftsgebäude Chiangs zu führen

VIII. Das Endspiel: „Auch eine Schlange, die sich in die Luft erhebt, muss zu Staub zerfallen“ (chinesische Spruchweisheit)

Im April 1949 schickte England vier Kriegsschiffe den Jangtse hinauf. Die KPCh wertete das als militärische Provokation und Versuch der Intervention. Die Volksbefreiungsarmee nahm die Flottille aus englischen und GMD-Schiffen unter Beschuss und kaperte eines der britischen Kriegsschiffe. Diesmal endete Englands Kanonenbootpolitik anders als in den Opiumkriegen des 19. Jahrhunderts – in der Blamage. Später wird der Historiker J.D. Spence anmerken: „der unerhörte antiimperialistische Affront blieb ungerächt“. Klar warum: Im britischen Unterhaus verklang die Forderung und Ansprache des englischen Premierministers W. Churchills ungehört, „mindestens einen, wenn nicht gar zwei Flugzeugträger in die chinesischen Gewässer (zu) schicken … um mit Waffengewalt Vergeltung zu üben.“ (W. Churchill, zitiert bei Mao Tse-Tung, AW. IV. Anmerkungen d. Red., S. 429).

In der Tat, in China wurde dem britischen Löwen das Gebiss ramponiert. Mao Tse-tung als Sprecher des Oberkommandos der Volksbefreiungsarmee rechtfertigte am 30. April 1949 die Haltung seiner zukünftigen Staatsmacht so: „Der Yangtse ist ein inländischer Wasserweg Chinas; welches Recht habt ihr Engländer, eure Kriegsschiffe in diesen Strom einlaufen zu lassen? Ihr habt kein solches Recht. Das chinesische Volk muß sein Territorium und seine Souveränität verteidigen und wird niemals Eingriffe fremder Regierungen gestatten. … die Volksbefreiungsarmee fordert, daß England, die USA und Frankreich schnellstens ihre bewaffneten Kräfte – ihre Kriegsschiffe, Militärflugzeuge und Marineinfanterie, die in den Flüssen Yangtse und Huangpu und in anderen Gegenden Chinas stationiert sind – von den Binnen- und Territorialgewässern, dem Landgebiet und dem Luftraum Chinas abziehen und daß sie davon ablassen, dem Feind des chinesischen Volkes zu helfen, einen Bürgerkrieg zu führen.“ ( Mao Tse-Tung, AW. IV., 1969, S. 427/28) – Der rote Drache hatte seinen Flug begonnen.

Der Angriff der Revolutionsarmee auf die letzten GMD-Bastionen Zentral- und Süd-Chinas erfolgte am 21. April 1949. Die Volksbefreiungsarmee überschritt auf breiter Front den Jangtse. Das Endspiel war eröffnet.

Was folgte, war das Auskämmen der verbliebenen letzten Positionen der GMD auf dem chinesischen Festland. Das Hauptaugenmerk richtete sich dabei bereits auf die großen Städte Chinas. Nanking fiel am 23. April, Shanghai am 27. Mai, Kanton am 14. Oktober 1949 …; ein rasanter Siegeszug, der ohne Unterstützung aus dem städtischen Milieu kaum möglich gewesen wäre. – Was von der GMD-Armee noch übrig war (nach unterschiedlichen Rechnungen etwa 600.000 bis 1. Mio. Mann sowie 1. Mio. Zivilisten), wurde nach Taiwan abgedrängt (Flucht). – Die Abschirmung dieses Rückzugsgebietes durch die US-Flotte verhinderte allerdings die bereits geplante Invasion der Insel durch die Rote Volksbefreiungsarmee (1950). Die chinesische Provinz Taiwan blieb danach lange eine Militärdiktatur der GMD, die darauf hoffte, erneut das Festland zu betreten und die Revolution niederzuschlagen. Für Chiang Kai-shek jedoch wurde der Fluchtpunkt Taiwan zu einer Reise ohne Wiederkehr.

Die KPCh hingegen begann ihre Herrschafts- und Verwaltungsbasis vom Dorf in die Städte Chinas zu verlagern.

IX. Die Chinesische Revolution: (nur) eine Bauernrevolution unter Führung der Kommunistischen Partei ?

Keiner der drei oben erwähnten linken Autoren versucht sich an einer historischen Einordnung der Chinesischen Revolution. Was aber war sie, die Revolution von 1911 – 1949?

– China war bis zu seiner Befreiung eine „halbkoloniale Gesellschaft“, die Mandschurei und Taiwan sogar eine Kolonie Japans. Auch im chinesischen Bürgerkrieg 1945 – 1949 schwang die nationale Frage mit. Die USA traten hier offen als weiterer Akteur in der Unterwerfung des Landes auf – an der Seite der GMD. (Ziel der USA: Niederschlagung der sozialen Revolution und indirekte Sicherung ihres politischen Einflusses nebst Offenhaltung des chinesischen Marktes für die USA vermittels der GMD)

– Bei Mao Tse-tung und der KPCh aber fielen die soziale Revolution der Arbeiter und Bauern und der nationale Befreiungskrieg in eins; mochte der Stellenwert beider und die Formen des Kampfes auch in den Etappen ihrer historischen Austragung variieren.

Die ‚Formel’ müsste also lauten: Chinesische Bauernrevolution unter Führung der Kommunistischen Partei plus nationaler Befreiungskrieg – unter den damals gegebenen nationalen und internationalen Umständen – ist gleich Sieg im Volkskrieg. Das war die Chinesische Revolution von 1911 bis 1949: eine Revolution, deren Charakter ich als demokratische Volksrevolution unter Führung der Kommunistischen Partei kennzeichnen würde. Wobei, das dürfte die obige Darstellung gezeigt haben, weder der Weg der Revolution unvermeidlich noch der beschriebene Sieg der KPCh vorherbestimmt waren.

Die KPCh, jetzt Herrscher Chinas und des revolutionären Staatsapparates, stand nunmehr vor der schwierigen Aufgabe, in einem ökonomisch zurückgebliebenen Land an der Seite der Sowjetunion ihren Traum vom zukünftigen Sozialismus in die Realität umzusetzen. Der dabei eingeschlagene Weg und das weitere Schicksal Chinas sind jedoch nicht mehr Gegenstand meiner Anmerkungen zur Geschichte.

Juni 2012

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