Der folgende Artikel ist in verkürzter und teils von der junge-Welt-Redaktion veränderter Fassung zum ersten Mal erschienen in: junge Welt Nr. 263 vom 13. November 2007.
Von Heiner Karuscheit
Die Umgruppierung der Mächte im Vorfeld eines möglichen Irankriegs
(26. Oktober 2007) Die Warnung des amerikanischen Präsidenten Bush vor einem Dritten Weltkrieg und seine Versicherung, er wolle das iranische Nuklearproblem vor Ende seiner Amtszeit lösen, lassen einen Krieg Washingtons gegen Teheran näher rücken. Dessen Gefahr, die damit verbundenen Ziele und die internationalen Implikationen sind das Resultat des Irakkriegs von 2003.
Nicht erreichte politische Zwecke
Die politischen Zwecke, welche die Cheney-Bush-Administration mit dem Irakkrieg verfolgte, sind im Wesentlichen verfehlt worden. Zwar hat der militärische Sturz Saddam Husseins den drohenden Aufstieg des Irak zur arabischen Hegemonialmacht verhindert und die damit verbundene Gefahr einer nichtamerikanischen Kontrolle der Ölressourcen beseitigt. Aber es ist nicht gelungen, ein stabiles, US-höriges Regime als Stützpunkt am Golf zu etablieren. Der Irak steht in der Gefahr des Zerfalls, der bewaffnete Widerstandskampf der irakischen Milizen zermürbt das amerikanische Heer, und die ungestörte Ausbeutung des irakischen Öls, dessen Nutzung u. a. den Ölpreis niedrig halten sollte, liegt angesichts fortdauernder Anschläge auf die Pipelines in weiter Ferne. Nach den jüngsten Worten des zeitweisen Oberkommandierenden der Koalitionsstreitkräfte, des US-Generals Ricardo Sanchez, ist die Situation im Irak ein „Alptraum“ ohne absehbares Ende.
Auf der Kippe steht damit die gesamte Stellung der USA im Nahen Osten, der mit seinen Energiereserven die Schlüsselregion der gegenwärtigen Weltpolitik ist. Hier laufen die internationalen Kraftlinien zusammen und wird die globale Machtverteilung auf viele Jahre hinaus festgelegt. Um in dieser Region angesichts der instabilen gesellschaftlichen Verhältnissen die amerikanische Oberhoheit zu fundieren, verfolgte die Cheney-Bush-Regierung eine Transformationspolitik, die vom Irak ausgehend die im Kern vermoderten, durch und durch korrumpierten arabischen Regimes von Saudi-Arabien bis Ägypten zunächst destabilisieren und sodann durch moderne, langfristig mit den USA verbündete bürgerliche Staatsgewalten ersetzen sollte, gemäß dem Motto „aus dem Chaos die Ordnung“. Das war der Kern der „Freiheits-“ und „Demokratisierungs“-Agenda, die von den republikanischen Sendungspolitikern im Weißen Haus propagiert wurde.
Zusammen mit dem Irakkrieg ist diese Strategie komplett fehlgeschlagen. Die Wahlerfolge der Hamas in Palästina und der Muslimbrüder in Ägypten haben demonstriert, was „Demokratisierung“ gegenwärtig bedeutet, nämlich den Vormarsch islamischer Massenbewegungen, die bei aller Unterschiedlichkeit in den verschiedenen Ländern durch eines geeint sind – die Gegnerschaft gegen die USA.
Insbesondere gelang es nicht, den Iran gefügig zu machen. Indem die US-Truppen den Irak ausschalteten, beförderten sie im Gegenteil dessen hegemonialen Aufstieg am Golf. Dieser Gegner ist aber nicht nur bevölkerungsreicher und militärisch besser gerüstet als der Irak Saddam Husseins, sondern kann auch auf verbündete Milizen wie die Hizbullah im Libanon und die Badr-Brigaden im Irak zurückgreifen. Außerdem gab die Israel freundliche Politik Washingtons ihm die Gelegenheit, durch das Ausspielen der antiisraelischen Karte den traditionellen persisch-arabischen Gegensatz (der ihn eigentlich zu einem möglichen Verbündeten Israels macht) zu überbrücken und die arabische „Straße“ auf seine Seite zu ziehen.
Vor einem weltpolitischen Waterloo
Geschwächt durch das irakische Desaster haben die Vereinigten Staaten in einer weiteren strategisch und energiepolitisch bedeutsamen Region des „eurasischen Schachbretts“, am Kaspischen Meer, einen empfindlichen Rückschlag hinnehmen müssen. Nach Auflösung der Sowjetunion konnten sie insbesondere in Turkmenistan und Aserbeidschan Fuß fassen, von hier aus den Afghanistankrieg führen und daran gehen, die Kontrolle über die Öl- und Erdgasproduktion zu gewinnen, womit vor allem Europa und China in Abhängigkeit zu halten waren.
Die am 16. Oktober 2007 auf ihrem Teheraner Gipfeltreffen von den kaspischen Staaten Aserbeidschan, Kasachstan, Turkmenistan, Russland und Iran verabschiedete Vereinbarung zeigt, dass von diesem Einfluss so gut wie nichts übrig geblieben ist. In einer selten deutlichen Wendung gegen die amerikanischen Kriegspläne erklärten die Regierungen, dass sie einem Drittstaat „unter keinen Umständen“ erlauben werden, „unsere Gebiete für einen Angriff oder eine andere militärische Aktion gegen einen der Mitgliedstaaten zu nutzen“, und verteidigten in Unterstützung des iranischen Atomprogramms „das Recht aller Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags auf friedliche Nutzung der Kernenergie“ – ein weiterer Affront gegen die USA.
Dazu kommt die wachsende Entfremdung der Türkei, die als Vorposten der NATO unverzichtbar für militärische Einsätze in Asien ist, sich aufgrund der kurdischen Frage aber immer weiter von dem großen Verbündeten entfernt.
Ein zweifelhafter Erfolg: der Kurswechsel Frankreichs
Nur in Europa hat sich Washingtons Stellung durch einen Kurswechsel Frankreichs verbessert. Die Kriegsdrohung des neuen Staatspräsidenten Sarkozy gegen Teheran, der Vorwurf, Russland nutze seine Trümpfe im Energiesektor „mit Brutalität“ zur Rückkehr auf die internationale Bühne und erschwere die Lösung großer weltpolitischer Probleme, die Zustimmung zu den Raketenstationierungsplänen der USA in Osteuropa – all das demonstriert den Übertritt Frankreichs aus dem Lager des „alten“, mit Russland verbündeten Europas in das Lager des „neuen“, US-nahen Europas.
Aber was ist der Hintergrund dieses Schwenks? Die Teilnahme Frankreichs an der russisch-deutsch-französischen Achse von 2003 richtete sich gegen die mit dem Irak-Krieg verfolgten „unipolaren“ Ambitionen Washingtons. In diesem Zweckbündnis spielte die „grande Nation“ jedoch nur die dritte Geige, während Deutschland durch das Zusammengehen mit Russland neue Spielräume gewann. Dies war für Paris dauerhaft nicht hinzunehmen, ist doch die Wahrung des Vorrangs vor Deutschland Gesetz der französischen Außenpolitik.
Weil die Vereinigten Staaten mittlerweile nicht mehr die siegesgewisse Supermacht von 2003 sind, sondern einem angeschlagenen Boxchampion gleichen, konnte Paris leichten Herzens einen Partnerwechsel vollziehen. Ob seine Zukunft allerdings an der Seite der USA besser aufgehoben ist als an der Seite Russlands und Deutschlands, sei dahingestellt.
Die Notwendigkeit des Kriegs gegen Teheran
Der Fortsetzung des Niedergangs kann Washington nur begegnen, wenn es das irakische Debakel durch eine siegreiche Schlacht gegen Teheran ausbügelt, um so das ursprüngliche Ziel einer langfristigen Sicherung der nahöstlichen Hegemonie doch noch zu erreichen.
Theoretisch könnte man auch die seit Jahren verfolgte Konfrontationspolitik aufgeben, die Beziehungen normalisieren, die Wirtschaftssanktionen aufheben, dem Iran eine Nichtangriffsgarantie geben und ihn in eine regionale Sicherheitsorganisation einbinden. Auf diesem Weg würde es voraussichtlich über kurz oder lang zur Ablösung des klerikalen Regimes kommen, dessen Rückhalt in der Bevölkerung nicht grenzenlos ist und das durch den äußeren Druck eher stabilisiert als destabilisiert wird. Durch eine Nichtangriffsgarantie wäre auch das Atomprogramm zu entschärfen, gleich ob es nun tatsächlich der Nuklearrüstung dient oder dies lediglich behauptet wird, um einen Kriegsgrund zu fingieren.
Aber welche politischen Kräfte auch immer in Teheran an die Macht kommen – nach dem Sturz Mossadeghs durch die CIA 1953 und der gegen die USA durchgekämpften islamischen Revolution von 1979 wird keine iranische Regierung je wieder wie das Schahregime zum Vasallen der USA am Golf werden. Deshalb würde Washington durch den Wechsel zu einer Kooperationspolitik nichts gewinnen, sondern viel verlieren, denn ein friedlich prosperierender Iran würde seine Position am Golf weiter stärken, und einem Angriff wäre jegliche Legitimationsgrundlage entzogen.
Daraus resultiert das Grunddilemma der Vereinigten Staaten: sie müssen entweder den Iran militärisch niederwerfen – oder das Ringen um Hegemonie am Golf verloren geben. Zu einem Eingeständnis der Niederlage ist gegenwärtig jedoch keine Washingtoner Regierung bereit, welche Partei auch immer den Präsidenten stellt. Die Kriegspartei hat nicht nur bei den „Republikanern“ Oberhand, sondern auch bei den „Demokraten“, deren prominenteste Präsidentschaftsbewerber Clinton, Obama und Edwards bereits ihre Zustimmung zu einem Militärschlag bekundet haben.
Der gescheiterte Vorkrieg im Libanon
Der Libanonkrieg vom Juli/August 2006 zwischen Israel und der Hizbullah war der vorerst letzte Schritt auf dem Kriegskurs Richtung Teheran. Geführt mit Rückendeckung, wenn nicht gar auf Initiative der Vereinigten Staaten (die israelische Armee war schlecht vorbereitet), diente als äußerer Anlass neben der Beschießung Nordisraels mit Katjuscha-Raketen die Gefangennahme zweier israelischer Soldaten durch die schiitische Miliz. Politisches Ziel des Kriegs war die Eliminierung des syrisch-iranischen Einflusses durch Zerschlagung der Hizbullah und die Umwandlung des Libanon in ein amerikanisch-israelisches Protektorat. Die Bombardierung der Wohnviertel sollte die Bevölkerung gegen die dafür verantwortlich gemachte Hizbullah aufbringen, dadurch einen „Regimewechsel“ herbeiführen und insoweit als Testfall für das Vorgehen gegen den Iran dienen.
Jedoch scheiterte dieser Erprobungskrieg ebenso wie der Irakkrieg, denn es wurde nicht eines der gesteckten Ziele erreicht. Militärisch musste die israelische Armee empfindliche Verluste hinnehmen; insbesondere wurden die bis dahin für unverwundbar gehaltenen Panzer in größerer Zahl abgeschossen. Statt einen Stimmungsumschwung gegen die Hizbullah herbei zu bomben, bewirkte der Terror aus der Luft eine Solidarisierung weit über den schiitischen Bevölkerungsteil hinaus und zog wegen seiner Völkerrechtswidrigkeit wachsende internationale Kritik auf sich. Als die Kampfhandlungen eingestellt wurden, hatte Israel nicht einmal die als Kriegsgrund vorgegebene Befreiung der gefangenen Soldaten erreicht.
Ein stillschweigender Bündniswechsel
Wäre die Generalprobe im Libanon erfolgreich gewesen, hätte der Angriff auf Teheran möglicherweise schon lange stattgefunden. So aber musste zunächst eine neue Strategie ausgearbeitet werden, um das unveränderte Ziel zu erreichen. Sichtbar wurden die Veränderungen durch die Aufstockung der Besatzungstruppen im Irak zum Jahresanfang 2007. Im Zusammenhang damit nahm die US-Administration stillschweigend eine politische Umorientierung vor, die das Verhältnis sowohl zu den innerirakischen Kräften als auch zu den arabischen Ländern und zum Nahostproblem grundlegend änderte.
Innerhalb des Iraks erfolgte ein Bündniswechsel von den Schiiten (genauer: von den schiitischen Kräften, die gemeinsame Sache mit den USA machten) zu den Sunniten, die die Stütze des Saddam-Hussein-Regimes gewesen waren. Durch Verhandlungen mit den sunnitischen Stämmen, Geld und Waffenlieferungen ging die US-Armee daran, bewaffnete sunnitische Einheiten in Stärke von wenigstens 50.000 Mann aufzubauen, die an ihrer Seite kämpfen und zu denen auch Angehörige der ehemaligen Sondereinheiten des Baath-Regimes gehören. Diese Hilfstruppen wurden mittlerweile bereits in Bagdad gegen die schiitische Mahdi-Armee eingesetzt.
Gegenüber den Regimes in Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und den Golfscheichtümern beendete man die Transformations- und Demokratisierungspolitik, auf deren Basis die US-Außenministerin Condoleeza Rice noch im Juni 2005 in Kairo die ägyptische Regierung öffentlich aufgefordert hatte, freie Wahlen zuzulassen, die internationalen Standards genügten. Stattdessen ist man heute bemüht, die zuvor als anachronistisch und undemokratisch kritisierten Staaten zu stabilisieren, mit Waffen im Wert von über 70 Milliarden Dollar aufzurüsten, und sie in eine antiiranische Koalition einzubinden. Unter anderem sind in den meisten Ländern Patriot-Systeme stationiert worden, die den befürchteten gegnerischen Raketenschlag nach einem Angriff auf Teheran neutralisieren sollen.
In einer weiteren Volte macht die US-Diplomatie sich jetzt an eine Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Jahrelang war das Nahostproblem auf Eis gelegt worden, da nicht das Fehlen eines palästinensischen Staates, sondern die fehlende Demokratie als Kernproblem der Region verstanden wurde. Der Nahostkonflikt, so die Planung, sollte erst gelöst werden, nachdem die Umgestaltung der Golfregion im Sinne Washingtons gelungen war. So lange propagierte man Israel als demokratisches Vorbild – und gab in der politischen Realität seinen Siedlungsprogrammen freie Hand.
Die für Ende November in Annapolis geplante Nahostkonferenz soll nunmehr den Konflikt lösen, der auf Basis der neuen Politik als Haupthindernis für die Einbindung der arabischen Staaten in die Kriegsfront gegen den Iran gilt. Das setzt allerdings voraus, dass Israel bereit ist, sich auf verbindliche Regelungen einzulassen, die ein Ende der Siedlungspolitik bedeuten würden.
Der Preis des Verrats
Um ihren neuen sunnitischen Verbündeten im Irak mehr Einfluss zu verschaffen, versuchten die Diplomaten des Weißen Hauses in den letzten Monaten, den schiitischen Ministerpräsidenten al-Maliki zu stürzen und eine neue Regierung zu bilden. Bislang ist dieses Vorhaben gescheitert, da sie in dem schiitisch dominierten Parlament keine Mehrheiten finden und es sich nicht leisten können, das Parlament aufzulösen, ohne vollends unglaubwürdig zu werden. Im Zuge der neuen Politik haben die USA auch aufgehört, der Maliki-Regierung weitere Waffen für die Ausrüstung der Polizei und Armee zu liefern – mit der Konsequenz, dass die Regierung für 100 Millionen Dollar Waffen in China kaufte.
Außerdem vereinbarten die einflussreichsten schiitischen Gruppierungen unter Führung von Abdulaziz Hakim (Sciri, Badr-Brigaden) und Muqtada al-Sadr (Bewegung der Sadristen, Mahdi-Armee) Anfang Oktober als Antwort auf den amerikanischen Bündnisschwenk einen „Ehrenpakt“, der die Einstellung aller gegenseitigen Angriffe vorsieht. Schon zuvor war al-Sadr durch eine so genannte „Suspendierung“ gegen die Teile der von ihm geführten Mahdi-Armee vorgegangen, die sich hauptsächlich dem Kampf gegen die konkurrierenden schiitischen Kräfte verschrieben hatten.
Unter diesen Bedingungen erklärt sich der Rückgang der Gewalt relativ einfach. Die Angriffe auf US-Soldaten haben nachgelassen, weil ein Teil der sunnitischen Aufständischen auf die Seite der Besatzer übergetreten ist, und die Anschläge auf Iraker sind zurück gegangen, weil der Waffenstillstand zwischen den schiitischen Milizen wirkt. Insoweit hat zwar nicht die Truppenverstärkung als solche, aber der damit einher gehende Bündniswechsel Früchte getragen. Ob dieser Erfolg allerdings dauerhaft ist oder nicht vielmehr die Basis für ganz andere Gewaltausbrüche legt, wird sich zeigen. Die Stille könnte sich auch als Ruhe vor dem Sturm entpuppen, der spätestens beim Angriff auf Teheran losbrechen wird.
Ein später Sieg Brzezinskis und der „Demokraten“
Die politischen Zwecke des nahenden Kriegs werden durch die unzureichenden militärischen Mittel eingegrenzt. Nach Einschätzung des eingangs zitierten Generals Sanchez benötigt das amerikanische Heer mindestens zehn Jahre, um sich von dem irakischen Desaster zu erholen. Der Krieg muss also aus der Luft geführt werden, unterstützt durch einzelne Kommandounternehmen zu Land.
Da nach den Erfahrungen des Libanonkriegs auszuschließen ist, dass die Bombardierung der Zivilbevölkerung einen Regimewechsel herbeiführt (was die Cheney-Bush-Regierung nicht davon abhalten wird, je nach Verlauf der Dinge dennoch zu diesem Mittel zu greifen), kann das Ziel realistischer Weise nur sein, den Gegner durch Zerschlagung seiner militärischen Fähigkeiten, industrieller Schlüsselanlagen und der Infrastruktur so zu schwächen, dass er auf absehbare Zeit keine Herausforderung mehr darstellt.
Auf diese Weise wird eine neue Balance hergestellt zwischen den aufgerüsteten arabischen Ländern einerseits und einem geschwächten Iran andererseits, mit Washington als dem Garanten des Gleichgewichts und Hegemon des Golfs im Zentrum. Das bedeutet die Rückkehr zu der von Brzezinski verfochtenen Strategie. In seinem Buch über „Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ hatte Brzezinski für eine globale Gleichgewichtspolitik plädiert, die mögliche Herausforderer der amerikanischen Weltmacht mit den Mitteln der Politik gegeneinander austarieren sollte; der Einsatz von Gewalt sollte erst erfolgen, wenn eine bedrohte Regionalbalance sonst nicht wieder herzustellen und die US-Hegemonie gefährdet war.
Diesen „realistischen“ Politikansatz ersetzten die neokonservativen „Revolutionäre“ im Weißen Haus durch eine Politik der offensiven Herrschaftssicherung durch den frühzeitigen Einsatz militärischer Mittel. Wenn jetzt der Krieg gegen den Iran geführt werden sollte, will es die Ironie der Geschichte, dass er zwar von einem republikanischen Präsidenten kommandiert wird, aber als „Gleichgewichtskrieg“ ein Krieg der demokratischen Partei sein wird.
Die Realität der Kriegsgefahr
Zwei Tage nach der Teheraner Erklärung der kaspischen Staaten, am 18. Oktober, warnte der US-Präsident vor der Gefahr eines Dritten Weltkriegs aufgrund des iranischen Nuklearprogramms. Offiziell richtete sich die Bemerkung gegen Teheran, der eigentliche Adressat war aber Moskau. Die USA wollen am Golf nur einen regional begrenzten Krieg führen und haben kein Interesse an der Ausweitung zu einem weltweiten Konflikt. Das sollte Russland von Bush bedeutet werden, und aus demselben Grund wird Washington wahrscheinlich in der nächsten Zeit versuchen, Moskaus Zurückhaltung durch Zugeständnisse an anderer Stelle zu erkaufen.
Wenn es so weit ist, könnte der Waffengang mit einem israelischen Schlag gegen die iranischen Nuklearanlagen beginnen, damit nach dem zu erwartenden Gegenschlag die US-Armee eingreifen kann, um den Iran in dem gewünschten Umfang zu zerstören. Denkbar ist auch, dass Israel wie im zweiten Golfkrieg 1991 nicht an dem Krieg beteiligt wird, um keinen Aufstand der arabischen Massen zu riskieren, und die USA alleine oder gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien vorgehen.
Vielleicht halten wirtschaftliche Erwägungen den Angriff noch auf, denn die absehbare Explosion des Ölpreises wird vor allem die Vereinigten Staaten treffen, die wegen ihres höheren Energieverbrauchs mehr als andere entwickelte Länder auf billige Energiezufuhr angewiesen sind. Angesichts der zusätzlichen Gefahren, die von ihrer riesigen Auslandsschuld ausgehen, ist schließlich auch ein Zusammenbruch der gesamten Ökonomie denkbar. Vielleicht treten auch internationale Ereignisse dazwischen, die gegenwärtig noch unabsehbar sind, wie z. B. ein Umsturz in Pakistan oder eine islamische Revolution in einem arabischen Staat. Nach dem Gang der bisherigen Entwicklung wird der Krieg allerdings immer wahrscheinlicher.