– „Antideutsche“ und Linke zum Irakkrieg –
Von Heiner Karuscheit
Vorbemerkung
Die bevorstehende Irak-Invasion der USA zwingt alle politischen Kräfte, Position zu beziehen. Die Mehrheit der Linken distanziert sich von der amerikanischen Kriegsplanung vom Boden des Pazifismus oder der Demokratie aus. Stand beim Krieg um das Ölscheichtum Kuwait vor zwölf Jahren eher der Pazifismus im Vordergrund, weil der Irak seinerzeit mit der Besetzung Kuwaits das Völkerrecht gebrochen und den USA damit einen Kriegsgrund geliefert hatte, so geht es diesmal eher um die Frage der Demokratie, weil der vorgesehene Krieg durch keinerlei Rabulistik als „Präventivkrieg“ gegen einen bevorstehenden Überfall durch den Irak deklariert werden kann, d. h. schlicht völkerrechtswidrig ist. So ablehnend man dem Krieg der USA gegenübersteht, so wenig will man allerdings auch mit dem Regime von Saddam Hussein zu tun haben. Die Entscheidung, ob man für oder wider Sieg oder Niederlage eine der beiden Parteien ist, wird daher umgangen.
Gegen Pazifismus und Völkerrecht
Gänzlich anders verhalten sich die sog. „Antideutschen „, an der Spitze die „antideutschen Kommunisten“ um die Zeitschrift BAHAMAS. Sie argumentieren inhaltlich, nicht formal. Weit vom Pazifismus entfernt, ist ihnen auch die Demokratie kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Der Irak unter Saddam Hussein ist für sie ein finsterer Terrorstaat, der vor allem dem sog. „Islamfaschismus“ (gemeint sind die islamisch-fundamentalistischen Bewegungen), dem Hauptfeind jeden Fortschritts und insbesondere Israels, politische Rückendeckung gibt. Weil der Irak in den Augen der islamischen Welt ein „scheinbar unbesiegbarer Hort bewaffneten islamischen Widerstandes“ sei und als „Turm in der Schlacht gegen Zionismus und Amerikanismus“ gelte, soll er fallen. (Krieg dem Baath-Regime, Waffen für Israel; Erklärung der Bahamas-Redaktion vom Dezember 2002; BAHAMAS 39/2002.)
Demgegenüber würden die USA für die kapitalistische Modernisierung und damit für die Schaffung der Voraussetzungen des Kommunismus stehen. Das von dem US-Präsidenten in seinen Reden zur Einstimung auf den Irak-Krieg genannte Ziel für die nahöstliche Region: „Demokratie und freie Märkte“, wird von ihnen geteilt, die dem entsprechende Umgestaltung des Nahen Ostens als Schritt voran befürwortet: „Das ist dann nicht schon die bessere Welt, aber eine, in der man überhaupt wieder am schwierigen Unternehmen soziale Revolution arbeiten könnte.“ (Erklärung der Bahamas-Redaktion; Nr. 39/2002 vom Dezember 2002).
Von dieser Position aus scheren sie sich keinen Deut um die Legalität eines US-Kriegs, sondern verteidigen den beabsichtigten Bruch des Völkerrechts als notwendig. Im gleichen Atemzug distanzieren sie sich ebenso wie die US-Regierung von dem soeben gegründeten Internationalen Gerichtshof in Den Haag, weil dieser – so ihre wahrscheinlich zutreffende Einschätzung – nach Lage der Dinge zum großen Teil mit us-amerikanischen Kriegsverbrechen beschäftigt sein wird, wenn er seine Arbeit ernst nimmt (Thomas Becher u. Horst Pankow: Herrschaft des globalen Rechts. Die Ideologie des Internationalen Strafgerichtshofes und seine Profiteure; BAHAMAS 39/2002).
Ein Krieg der kapitalistischen Zentralmacht
In der dargelegten Konsequenz vertritt diese Position nur die Zeitschrift BAHAMAS, die sich die Interessen Israels vollständig zu Eigen gemacht hat und als deutsches Sprachrohr der Scharon-Regierung fungiert. Die übrigen „Antideutschen“ identifizieren sich nicht ebenso widerspruchsfrei mit Israel, und da von dessen akuter Bedrohung keine Rede sein kann, fühlen sie sich eher „Zwischen allen Fronten“, wie es in einer Artikelüberschrift der „jungle world“ vom 27. November heißt (Nr. 49/2002). Nicht einmal die Zeitschrift KONKRET, die noch vor 12 Jahren den amerikanischen Kuwait-Krieg gegen den Irak uneingeschränkt befürwortete, wagt sich heute so weit vor. Ihr Herausgeber Gremliza ruft stattdessen in langatmigen Ausführungen, bei denen das schlechte Gewissen aus jeder zweiten Zeile spricht (aus jeder Ersten spricht die böse Absicht), dazu auf, die USA auf keinen Fall vorschnell zu verdammen, sondern gründlich nachzudenken, ernsthaft zu prüfen und ausgewogen zu urteilen. Offen kriegstreiberisch tritt somit lediglich die BAHAMAS auf, während der Rest der „Antideutschen“ die US-Invasion nur noch indirekt stützt und sich um eine Wiederannäherung an die Linke bemüht.
Unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Stellungnahme ist an den Autoren der BAHAMAS bemerkenswert, dass sie das tun, wovor die Mehrheit der übrigen Linken, darin eingeschlossen die meisten Organisationen mit kommunistischem Anspruch, zurückscheut: sie formulieren als Maßstab ihrer politischen Parteinahme, was den Interessen der künftigen sozialen Revolution dient bzw. ihre Bedingungen verbessert, und was nicht. So richtig dieser Maßstab allerdings ist, so abwegig ist dessen Anwendung. Das Saddam-Hussein-Regime mag im Innern reaktionär sein (weshalb sein Sturz eine Pflicht für die irakischen Kommunisten ist). Aber nicht der Irak ist die kapitalistische Zentralmacht, sondern die USA sind es. Sie sichern die bürgerliche Gesellschaftsordnung weltweit ab und tun dies als Führungsmacht der NATO speziell im entwickelten Europa. Dass ihre Niederlage den weltweiten Niedergang der kapitalistischen Ordnung befördern und die Kampfbedingungen für soziale Umwälzungen in den Industriestaaten verbessern würde, ist dermaßen unübersehbar, dass der Verdacht nahe liegt, dass die „antideutschen Kommunisten“ bei allem progressiven Wortgeklingel ganz anderen Interessen als denen der sozialen Revolution verpflichtet sind.
Davon abgesehen würde ein US-Sieg auch für den Irak selber keinen Fortschritt bedeuten, wenn man die ökonomischen und politischen Ziele betrachtet, die von der Cheney-Bush-Regierung in der Öffentlichkeit für die „Nach-Saddam-Hussein-Zeit“ propagiert werden: Demokratie und freie Marktwirtschaft.
Fortschritt durch „freie Märkte“?
Die erste Folge „freier Märkte“ im Irak beträfe das bislang im Staatsbesitz befindliche Erdöl. Bekanntlich verfügt der Irak nach Saudi-Arabien über die weltweit größten bekannten Erdölreserven, die zudem zu besonders niedrigen Kosten gefördert werden können. Zwar wird es eine Zeit lang dauern, bis die bestehenden Anlagen modernisiert und neue Förderkapazitäten aufgebaut sind, aber dann werden die Ölpreise aller Voraussicht nach sinken. „Wahrscheinlich würde Irak das erste OPEC-Land, dessen Ölindustrie nicht mehr in staatlicher Hand ist. Die übrigen OPEC-Staaten wären mit einem Mitspieler konfrontiert, der Förderung und Exporte massiv ausweitet, der seine Ölförderindustrie nicht mehr kontrolliert und dessen Staatseinnahmen nur noch indirekt von der Höhe des Ölpreises bestimmt werden. Sie könnten dann ihre Bemühungen zur Stabilisierung der Preise durch Exportbeschränkungen getrost einstellen. Der von der OPEC derzeit mühsam bei etwa 25 $ gehaltene Rohölpreis würde vermutlich unter 10 $ absinken. Genauer gesagt, die OPEC wäre tot.“ (FTD 14. August 2002)
Selbst wenn die hier vorhergesagte Privatisierung der Ölquellen und auch ein Absturz des Ölpreises in derartige Tiefen nicht erfolgen sollte, so verdeutlicht der Kommentar der Financial Times Deutschland, welche Perspektiven sich mit der Übernahme des Irak verbinden. Die Herrschaft über dessen Erdöl und die damit einhergehende Kontrolle der Ölpreise würde die OPEC untergraben und vor allem Saudi-Arabien als bisherige Schlüsselmacht für die Ölpreise und die OPEC entmachten. „Die Kontrolle der irakischen Reserven ebnet so den Weg, Saudi Arabien vor die Wahl zu stellen: Befolgung der US-Vorgaben oder Ersetzung durch eine US-Interessen freundlicher gesonnene Regierung. (…) Am Ende dieses Weges soll die Unterwerfung der kompletten Region um den Persischen Golf stehen.“ (Jürgen Wagner, Irak als Vorspiel. Die Logik der US-Ölstrategie; in: „Z“ Nr. 52, S. 99, 89)
Von sinkenden Ölpreisen würden alle Industrieländer profitieren, vor allem aber die Vereinigten Staaten. Sie sind nicht nur in absoluten Zahlen der weltweit größte Energieverbraucher (über ein Viertel des weltweiten Energiebedarfs bei 5 % der Weltbevölkerung), vor allem verbrennen sie auf Grund veralteter Industrieanlagen und ebenso rückständiger Geräte der privaten Konsumtion (Automobile, Heizungs- und Klimaanlagen etc) weitaus mehr Erdöl pro Einwohner als beispielsweise die Europäer. Sie haben das Klimaprotokoll von Kyoto nicht ratifiziert, weil sie sich außer Stande sahen, die daraus resultierende umfassende Modernisierung ihrer Industrieproduktion vorzunehmen.
Für den Irak würden sinkende Ölpreise die Haupteinnahmequelle zurückgehen lassen, die das Land für den Aufbau seiner Wirtschaft braucht. Aber auch von den Einnahmen aus dem Ölverkauf abgesehen kann der Irak eine eigenständige Industrie – gleich unter welchem Regime – nur dann entwickeln, wenn diese für geraume Zeit durch Schutzzölle gegen die produktivere ausländische Konkurrenz abgeschirmt wird. Die Herstellung „freier Märkte“ hätte daher in jeder Hinsicht verheerende Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten des Landes und damit auf die Schaffung der „Voraussetzungen des Kommunismus“.
Karikatur einer „Demokratie“
Noch schlechter sieht es mit der angeblich erstrebten „Demokratie“ aus. Ihre Gewährung aus amerikanischer Hand stößt auf ein unüberwindliches Hindernis: jede demokratisch gewählte Regierung im Irak, d. h. jede Regierung, die sich auf die Massen stützt, kann gar nicht anders, als den entscheidenden Reichtum des Landes, das Erdöl, vor dem Zugriff des Auslands zu bewahren. In der Vergangenheit hingen so gut wie alle nationalen Erhebungen gegen die Kolonialmächte bzw. ihre Marionettenregierungen in der Region mit dem Bestreben nach Verfügungsgewalt über die eigenen Reichtümer zusammen. Dass sich daran bis heute wenig geändert hat, ist auch der amerikanischen Politik bewusst. „Nach Medienberichten sollen bereits Planungen für eine Militärregierung vorliegen, ähnlich der in Deutschland oder in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg.“ (FTD 5. Dezember 2002) Was den Irak also erwartet, ist das Schicksal eines Protektorats, das auf der Niederhaltung der Massen gründet, zu seinem Überleben auf die dauerhafte Präsenz amerikanischer Truppen angewiesen ist und nicht einmal als Karikatur einer bürgerlichen Demokratie eine Zukunft hätte.
Die Frage der Demokratie ist noch von einer weiteren Seite aus zu betrachten. Historisch gesehen, befindet sich der Irak in der Etappe der bürgerlichen Revolution, deren Vollendung noch bevorsteht. Ein elementarer Bestandteil dieser Revolution trägt nationaldemokratischen Charakter und zielt auf die Schaffung eines gesamtarabischen Nationalstaats, der die von den Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien nach dem Ersten Weltkrieg künstlich gezogenen Grenzen überwindet und die arabische Nation eint.
Ob im Falle eines US-Siegs die jetzigen Grenzen des Irak Bestand haben werden oder nicht, wird sich noch herausstellen. Wenn sie geändert werden, dann jedenfalls nicht zu Gunsten der arabischen Einheit, sondern zwecks Verteilung der Kriegsbeute an die amerikanischen Verbündeten. Jahrzehnte nach der Vertreibung der letzten englisch-französischen Kolonialtruppen und dem Sturz ihrer Marionetten-Regierungen entsteht so erneut die Gefahr, dass sich eine ausländische Macht mit Waffengewalt in einem Kerngebiet Arabiens festsetzt und die Weiterführung seiner bürgerlich-nationaldemokratischen Revolution zurückwirft.
Der amerikanische Niedergang
Angesichts des amerikanischen Kriegskurses ist es unumgänglich, die Frage nach dessen Triebkräften zu stellen. Die „Antideutschen“ werden nicht müde, dazu als geschichtliche Analogie den 2.Weltkrieg anzuführen, als die USA mit dem Schlachtruf „Für Demokratie und offene Märkte“ in den Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland und das kaiserliche Japan eintraten. Der Vergleich hinkt indes auf sämtlichen Füßen, besonders in der Ökonomie. Der amerikanische Kriegseintritt vor über 60 Jahren und die aus dem Sieg gewonnene Hegemonie über die kapitalistischen Länder des Westens gründete sich auf überlegene industrielle Produktivkräfte, den sog. „Fordismus“, der die amerikanische Vormachtstellung auf quasi natürliche Weise untermauerte. Diese Überlegenheit ist in den Jahrzehnten nach dem 2.Weltkrieg verloren gegangen; der Vietnam-Krieg markiert den Umschlag. Mittlerweile sind die USA aus einem Gläubigerland zum weltgrößten Schuldnerland geworden, das seinen inneren Lebensstandard ebenso wie seine äußere Machtstellung in stetig wachsendem Umfang vom Ausland finanzieren lassen muss (siehe Martin Schlegel, Die New Economy der USA: krisenfreier Kapitalismus?)
Die letzte Präsidentschaft versuchte noch, die Vereinigten Staaten durch ein Programm der gesellschaftlichen Modernisierung (Reform der Krankenversicherung, des Bildungswesens und der Justiz) fort zu entwickeln. Diese Politik ist mit ihrem Protagonisten gescheitert, und damit verbindet sich ein sowohl innen- als auch außenpolitischer Kurswechsel von größter Tragweite. Zwar ist die grundlegende außenpolitische Zielsetzung unter Bush junior dieselbe geblieben wie unter seinen Vorgängerregierungen Clinton und Bush senior, nämlich Sicherung der weltweiten amerikanischen Hegemonie. Aber die zur Erreichung dieses Ziels eingesetzten Strategien unterscheiden sich substanziell voneinander.
Von der Kooperation zur Konfrontation
In der Vergangenheit erfolgte der Einsatz militärischer Macht als nachgeordnetes Mittel, um die Ausbildung regionaler Hegemonie durch eine fremde Macht zu verhindern bzw. ein bedrohtes regionales Gleichgewicht wiederherzustellen und so die indirekte Herrschaft zu sichern. Sowohl der Kuwait-Krieg von 1992 (gegen die drohende Vormachtstellung des Irak am Golf) als auch die Einsätze in Jugoslawien (gegen die Ambitionen Deutschlands auf Hegemonie über Südosteuropa) folgten dieser Gleichgewichtsstrategie, die in Brzezinskis Buch Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft formuliert ist. Demgegenüber verfolgt die Cheney-Bush-Administration keine Gleichgewichtspolitik mehr, sondern setzt vorrangig auf den Gebrauch militärischer Machtmittel zwecks Gewinnung der direkten Kontrolle über das Öl und dessen Transportwege. Dabei ist die Gewinnung eines neuen Stützpunkts am Golf als Ersatz für den vor über 20 Jahren verloren gegangenen Iran nur der erste Schritt. Gestützt auf die Kombination von Herrschaft über das Öl und vorbeugend eingesetzter Militärmacht sollen alle potenziell konkurrenzfähigen Mächte auf lange Sicht in Schach gehalten werden. Der „Unilateralismus“ (ohne oder gar gegen die UNO) an Stelle des „Multilateralismus“ (mit der UNO bzw. der NATO als Schaltzentren), wie dieser Wechsel von der politischen Wissenschaft bezeichnet wird, spiegelt den Übergang von kooperativen Formen der Hegemoniesicherung zu einer Politik der Konfrontation wider.
Dieser Kurs bedingt den Abschied von den bürgerlichen Verkehrsformen des internationalen Rechts, wie sowohl der geplante völkerrechtswidrige Krieg gegen den Irak als auch die Ablehnung des Internationalen Gerichtshofs zeigen. Im Innern gehört dazu die Einschränkung demokratischer Rechte, die aus dem „Kampf gegen den Terror“ resultiert und gegenwärtig im Aufbau eines sog. Heimatschutzministeriums gipfelt. In seiner jüngsten Veröffentlichung über die „Weltpolitik im Umbruch“ sieht der bürgerliche Amerikaforscher Ernst Otto Czempiel, dem durchaus kein „Antiamerikanismus“ vorzuwerfen ist, die USA langsam in ein Stadium eintreten, „in dem eine expansionistische, gewaltgestützte Außenpolitik eng verbunden einhergeht mit der Ausbildung autoritärer Regierungsstrukturen“.
Die sich hier abzeichnende Entwicklung bedarf weiterer Untersuchungen, um zu einer tiefergehenden Einschätzung zu gelangen. Unabhängig davon ist auf die Frage nach der Stellung zu dem herannahenden Krieg jedoch zu antworten, dass vom Boden des revolutionären Marxismus aus nur die Niederlage der USA und der Sieg des Irak befürwortet werden kann.