Vietnam und Afghanistan – Antiimperialismus gestern und heute

Von Heiner Karuscheit

Wenn man den vor 30 Jahren geführten Vietnam-Krieg und den jetzigen Krieg gegen Afghanistan miteinander vergleicht, so handelt es sich beide Male um Kriege der USA gegen ein Land der Dritten Welt auf dem Boden amerikanischer Hegemonialpolitik. Darüber hinaus fallen jedoch gravierende Unterschiede ins Auge, von denen drei besonders bedeutsam erscheinen.

Saigon – Teheran – Kabul

Den Vietnam-Krieg eingeschlossen, wurden die großen Revolutionen und Befreiungskämpfe des 20.Jahrhunderts unter dem Banner des Marxismus bzw. Sozialismus ausgetragen. Obwohl vorwiegend getragen von agrarischen Volksmassen, war erklärtes Ziel die industrielle Entwicklung und der Weg in die Moderne. Geführt von einer kommunistischen Partei und gestützt hauptsächlich auf eine bäuerliche Landbevölkerung, bildete der vietnamesische Befreiungskampf den letzten Höhepunkt und Abschluß dieser Ära.

Bereits wenige Jahre nach dem Abzug der Amerikaner aus Saigon 1973 dokumentierte die islamische Revolution von 1979 im Iran einen grundlegenden politischen Umschwung. Noch vor dem Untergang der Sowjetunion hatte der Marxismus seine Funktion als maßgebliche Theorie der Befreiung verloren. Zum erstenmal fand eine antiimperialistische Revolution nicht unter Berufung auf den Marxismus mit dem Ziel eines wie immer gearteten Sozialismus statt, sondern als „islamische“ Revolution mit dem Ziel der Errichtung eines „Gottesstaats“. Doppelt spürbar war der Wandel, weil der Umsturz in Teheran nicht von der Bauernschaft ausging, sondern von den Millionenmassen der Vorstädte, die der Arbeiterklasse im Prinzip näher stehen, aber hier unter Führung der schiitischen Geistlichkeit das Schah-Regime stürzten.

Heute sind es afghanische Stammeskrieger, die objektiv ebenso eine revolutionäre Rolle spielen wie früher die iranischen „Mustafizim“. Sie setzen sich zur Wehr gegen die amerikanische Weltvormacht, deren Niederlage die Bedingungen für den Kampf gegen das Kapital weltweit verbessern würde. Aber ihre Zielsetzung, die Errichtung bzw. Erhaltung eines mittelalterlichen Gottesstaats, ist denkbar reaktionär.

Nach einem geflügelten Satz aus den Zeiten der Kommunistischen Internationale galt der „Emir von Afghanistan“ als Verbündeter des revolutionären Proletariats, weil und solange er den gemeinsamen imperialistischen Feind bekämpfte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist von einer umsturzbereiten Arbeiterbewegung in den Metropolen nichts zu sehen. Stattdessen wird die Bühne der Weltgeschichte von islamischen Gotteskriegern eingenommen, die vergangenen Jahrhunderten entsprungen scheinen. Das wird sich erst ändern, wenn das Proletariat in den entwickelten Staaten die bürgerliche Hegemonie abschüttelt. Dann wird vielleicht auch die islamische Welt nicht mehr unter dem Banner des Mittelalters, sondern wieder unter dem der Moderne gegen den Imperialismus kämpfen.

Von der Ostpolitik zur „bedingungslosen Solidarität“

Ein zweiter großer Unterschied betrifft die Bundesrepublik Deutschland. Vor mehr als 30 Jahren begann das damalige Westdeutschland, im Zeichen der europäischen Entspannungspolitik seine Ostpolitik zu entfalten. Parallel zum eskalierenden Vietnam-Krieg und sehr zum Missfallen der USA, das noch in den Veröffentlichungen ihres damaligen Außenministers Kissinger nachklingt, ging die BRD daran, ihren außenpolitischen Handlungsspielraum sukzessive zu erweitern.

Zwischenzeitlich hat die deutsche Wiedervereinigung stattgefunden. Aber ihr Resultat war kein größerer, sondern ein geringerer Handlungsspielraum gegenüber den Vereinigten Staaten. Grund dafür ist nicht allein der Untergang der Sowjetunion als gleichwertiger Widerpart der USA, der die Manövriermöglichkeiten einschränkt, sondern auch die Tatsache, dass die letzte sowjetische Regierung es 1989 versäumte, die Wiedervereinigung gegen den Austritt aus der NATO anzubieten. Deshalb konnten die USA sich an die Spitze der unabweisbar gewordenen Entwicklung setzen und ihr Eintreten für die deutsche Einheit mit der Bekräftigung und Ausdehnung ihrer Vorherrschaft nach Osten hin bezahlen lassen.

Statt sie loszuwerden, gehört die Mitgliedschaft in der NATO heute mehr denn je zur außenpolitischen Staatsräson der BRD. Um an die Regierung zu gelangen, haben die „Grünen“ sich diesem Diktat vor drei Jahren unterworfen, und die PDS ist unter ihrem Vorreiter Gysi auf dem Weg dorthin.

Dachte vor 30 Jahren weder eine US-Administration noch eine Bundesregierung daran, deutsche Truppen in Vietnam einzusetzen, so wird der militärische Einsatz für amerikanische Interessen heute wie selbstverständlich angedient. Zugleich hat die von Staats wegen eingeforderte, bedingungslose „Solidarität mit Amerika“ im Innern ein zuvor ungekanntes Ausmaß an Einschüchterung und Gesinnungsterror gegen Andersdenkende hervorgebracht. Der Abbau demokratischer Rechte, jahrelang als inhaltsleere Litanei vorgetragen, wird heute durch eine sozialdemokratisch-grüne Bundesregierung organisiert, die dabei ist, das Brief-, Telefon- und Bankgeheimnis aufzuheben und die verfassungsrechtliche Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst zu durchlöchern. Offiziell gegen „Terroristen“ gerichtet, können die flächendeckenden Überwachungsmaßnahmen des entstehenden Schnüffelstaats jederzeit jede revolutionäre Bewegung treffen.

Sozialrevolutionärer und nationalrevolutionärer Antiimperialismus

Ein dritter Unterschied schließlich kennzeichnet die antiimperialistische Bewegung in Deutschland selber. Während des Vietnam-Kriegs und noch lange danach war die Kritik des „US-Imperialismus“ und die Forderung nach Austritt aus der NATO bis in das bürgerliche Lager hinein hoffähig, zumindest in dessen sozialdemokratischen Flügel. Auch hier hat die deutsche Einheit einen unübersehbaren Wandel herbeigeführt.

Während ein Großteil der Linken damals einen imaginären neuen Faschismus heraufziehen sah und gegen die Chimäre eines „IV.Reichs“ anritt wie weiland Don Quichotte gegen die Windmühlen, gaben die „Antideutschen“ mit der Parole „Nie wieder Deutschland“ den Takt vor. Das Resultat dieses ideologischen Feldzugs gegen die Vergangenheit ist ein Zustand, in dem jede Kritik an den USA oder der NATO unter dem Verdikt steht, dem auf seine Entfesselung wartenden deutschen Imperialismus Vorschub zu leisten. In diesem Umfeld fanden die Friedensdemonstrationen vom 13. Oktober 2001 statt. Sie waren durchgängig geprägt von pazifistischem Gedankengut. Politische Parolen gegen den US-Imperialismus und die Vasallenpolitik der Bundesregierung führten ebenso ein Mauerblümchendasein wie die Forderung nach Austritt aus der NATO.

Die Kehrseite dieser Entwicklung macht sich auf der Rechten bemerkbar. Zu Zeiten des Vietnam-Kriegs im wesentlichen proamerikanisch, ist die Rechte heute dabei, das von der Linken hinterlassene Vakuum mit einem nationalistisch begründeten Antiimperialismus aufzufüllen. Die Parolen der NPD zur „Solidarität mit Afghanistan“, gegen den US-Imperialismus und gegen die NATO, hätte man vor Jahren nur bei linken Organisationen vermutet. Es ist daher höchste Zeit, dass die Linke sich von dem Einfluß der „Antideutschen“ und ihrer verschämten Parteigänger in den verschiedensten Organisationen frei macht. Sonst stehen wir eines Tages vor der Tatsache, dass der Antiimperialismus in Deutschland kein sozialrevolutionäres Gesicht mehr trägt, sondern ein nationalrevolutionäres.


Zuerst veröffentlicht in: Kalaschnikow-Online

Letzte Änderung: 21.03.2016