Zur Rolle des Öls im Konflikt zwischen den USA und dem Irak

Von Martin Schlegel

Für den zu erwartenden Angriff der Vereinigten Staaten auf den Irak wird von Seiten der US-Regierung als Ziel der Sturz des irakischen Regierungschefs Saddam Hussein genannt. Als Begründung für den aus Sicht der US-Regierung unabdingbaren Sturz Saddam Husseins wird angeführt, dass er Massenvernichtungsmittel besitze, herstelle und einsetzen wolle. Dem müsse mit einem Präventivschlag zuvorgekommen werden.

Da der Irak nach Saudi-Arabien die zweitgrößten nachgewiesenen Erdölreserven aller Erdölförderstaaten besitzt, kann auch vermutet werden, der wahrscheinliche Angriff der USA auf den Irak habe vornehmlich den ökonomischen Grund, sich in den Besitz der irakischen Ölquellen zu bringen. Um diese Frage besser beurteilen und diskutieren zu können, sollen im Folgenden wesentliche Daten zum Thema Erdölreserven und -verbrauch zusammengestellt werden. Anschließend wird der Frage nachgegangen, ob es ein aktuelles wirtschaftliches Interesse der USA geben könnte, sich der irakischen Erdölquellen zu bemächtigen. Abschließend wird die Frage erörtert, ob die Kriegsplanung der USA gegen den Irak im Auftrag der amerikanischen Ölkonzerne erfolgt.

Öl- und Erdgasreserven und ihre Verteilung

Aus der Internetseite des Ölkonzerns BP [1] wurden die Tabellen 1 bis 3 dieses Kapitels zusammengestellt. Sie geben im Wesentlichen den Stand am Ende des Jahres 2001 wieder.

Tabelle 1: Erdölreservenverteilung nach Weltregionen (BP02)

Regionen

Menge
[1000 Millionen Barrels]

Anteil an Weltreserve
[%]

R/P
[Jahre]

USA

30,4

2,9

10,7

Nordamerika

63,9

6,1

13,5

Süd- und Zentralamerika

96,0

9,1

38,8

Europa

18,7

1,8

7,8

Frühere Sowjetunion

65,4

6,2

21,1

Mittlerer Osten

685,6

65,3

86,8

Afrika

76,7

7,3

27,4

Asien, Pazifikraum

43,8

4,2

40,3

Gesamt

1.050,0

100,0

40,3

Das Verhältnis R/P (in [2] statische Reichweite genannt) gibt die Anzahl der Jahre an, für die die nachgewiesenen Ölreserven für ein Land reichen, blieben die Erdölproduktion und die bekannten Reserven auf dem derzeitigen Stand. Vergleichbare Zahlen finden sich in [3] und BMWI_E_02.

Die nachfolgende Tabelle listet die Länder mit den größten Erdölreserven auf. Die vollständige Tabelle findet sich in BP02.

Tabelle 2: Rangfolge der Länder mit den größten Erdölreserven nach BP02 für das Jahr 2001

Anteil an Erdölreserve
[%]

Anteil an Gesamtproduktion
[%]

Anteil am Gesamtverbrauch
[%]

R/P

[Jahre]

Saudi-Arabien

24,9

11,8

1,8

85,0

Irak

10,7

3,3

*

118,0**

Arabische Emirate

9,3

3,2

0,4

120,0**

Kuwait

9,2

2,9

0,3

112,0**

Iran

8,5

5,1

1,5

67,4

Venezuela

7,4

4,9

0,6

63,5

Frühere Sowjetunion

6,2

11,8

4,8

21,1

USA

2,9

9,8

25,5

10,7

Libyen

2,8

1,9

*

57,3

Mexiko

2,6

4,9

2,4

21,7

Nigeria

2,3

2,9

*

30,8

China

2,3

4,6

6,6

19,9

* in BP02 keine Angaben vorhanden, ** Angaben aus BMWI_E_02

Insgesamt lagern im mittleren Osten somit 65 % der derzeit bekannten Weltölreserven. Dies bedeutet, dass das Gewicht des mittleren Ostens an der Weltölversorgung deutlich zunehmen wird.

Zunehmend werden zur Stromerzeugung, beim privaten Verbrauch und in Zukunft vermutlich verstärkt auch beim Automobilantrieb Erdölprodukte durch Erdgas ersetzt. In anderen Bereichen wie der Chemie lässt sich Erdöl als Grundstoff nicht durch Erdgas ersetzen. Weltweit hat Erdgas bereits einen Anteil von 21 % am gesamten Primärenergieverbrauch [4].

Wegen der zunehmenden Bedeutung des Erdgases für die Energieversorgung wird in Tabelle 3 die Versorgungssituation der Welt mit Erdgas für das Jahr 2001 nach BP02 zusammengestellt.

Tabelle 3 : Erdgasreservenverteilung nach Ländern (BP02)

Regionen

Anteil an Weltreserve
[%]

Anteil an Weltproduktion
[%]

Anteil an Weltverbrauch
[%]

R/P

[Jahre]

USA

3,2

22,5

25,6

9,2

Nordamerika

4,9

30,9

30,0

10,0

Süd- und Zentralamerika

4,6

4,1

4,0

71,6

Europa

3,1

11,9

19,5

16,1

Frühere Sowjetunion

36,2

27,5

22,8

78,5

Mittlerer Osten

36,1

9,3

8,4

> 200**

Afrika

7,2

5,0

2,5

90,2

Asien, Pazifikraum

7,9

11,4

12,7

43,8

Gesamt

100,0

100,0

100,0

61,9

** Angabe aus BMWI_E_02

Die Hauptlagerorte von Erdgas decken sich nicht mit den Hauptlagerorten des Erdöls. 72 % der derzeit bekannten Erdgasreserven sind in der Nähe Europas konzentriert. Die größten Einzelreserven liegen mit 30,7 % der Weltreserve in Russland, danach folgen mit 14,8 % der Iran, Quatar mit 9,3 %, Saudi-Arabien mit 4 %, die Arabischen Emirate mit 3,9 % und die USA mit 3,2 % (vollständige Tabelle in BP02). Der südkaspische Raum und der mittlere Osten haben beim Erdgas eine statische Reichweite von 200 Jahren, d. h. dort ist ein großes, bisher noch nicht genutztes Produktionspotenzial vorhanden.

Im Unterschied zum Erdöl spielt die Entfernung der Erdgasvorkommen zum Verbraucher eine große Rolle, da Erdgas wirtschaftlich nur über Leitungen transportiert werden kann. Der Ersatz anderer Energieträger durch Erdgas erfordert eine gut ausgebildete Infrastruktur, wie sie derzeit fast nur Industrieländer aufweisen.

Die angeführten Statistiken sind nicht als die reine Wahrheit zu betrachten. Im Auftrag des deutschen Bundestages hat die LB-Systemtechnik [5] die Reservelage bei Erdöl und Erdgas, den Produktionsverlauf, die Produktionsprognosen und die Entwicklung der Nachfrage untersucht. In der Untersuchung werden eine Reihe unterschiedlicher Quellen herangezogen und verglichen. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung in Bezug auf Erdöl sind folgende:

(1) Zwischen den Reservestatistiken für Öl gibt es beträchtliche Diskrepanzen. Ein Grund liegt in den unterschiedlichen Definitionen davon, was als Reserve zu bewerten ist. Eine Definition besagt, dass das Öl als Reserve gilt, das als unter heutigen Bedingungen nachgewiesen bzw. wahrscheinlich wirtschaftlich förderbar gilt. Dies ist eine Definition, die offensichtlich einen großen Interpretationsspielraum lässt.

Eine weitere Definition betrachtet eine Ölreserve dann als nachgewiesen, wenn sie zu 90 % wahrscheinlich ist, wobei für wesentliche Parameter eines Erdölfeldes eine Wahrscheinlichkeitsanalyse gemacht wird. Statt der Grenze von 90 % werden auch Analysen für andere Grenzen durchgeführt, was zu anderen Reservemengen führt. Je nach der angesetzten Grenze schwanken die Angaben zu den Ölreserven beträchtlich. Diese Definition führte zu der Methode von Neubewertungen, mit der wahrscheinliche Reserven in sicher nachgewiesene umdeklariert wurden. Eine weitere Größe, die in die Bestimmung der Erdölreserven bei allen Methoden eingeht, ist die Frage, welche Ölsorten einbezogen werden. So verdoppelte Venezuela im Jahr 1987 seine rechnerischen Ölreserven, indem es seit langem bekannte Schwerölreserven ab diesem Zeitpunkt in die Statistik mit einbezog.

Der dritte in der LB-ST-Studie beschriebene Ansatz schließt aus den bisherigen Ölfunden auf die Mengen an Öl, die noch gefunden werden können. Diesem empirischen Ansatz neigen die Autoren der Studie zu, wofür es plausible Gründe gibt. Diese Methode setzt die Anzahl der Bohrungen unter Berücksichtigung der Verbesserung der Erkundungsmethoden in Zusammenhang mit den tatsächlichen Funden. Die nach dieser Methode ermittelten Gesamtreserven an Öl liegen insgesamt um 20 % unter den Angaben der BP (LB-ST Tabelle 2.1.2), wobei die Unterschiede zu den BP-Angaben je nach Region verschieden sind.

Die LB-ST-Studie weist darauf hin, dass Veröffentlichungen, die von steigenden Ölreserven berichten, oft nicht die Randbedingungen für diese Aussagen benennen, ob zum Beispiel Neubewertungen stattgefunden haben und worin sie bestanden oder ab welchem Preis die „gewachsenen“ Reserven förderbar sind. Die in diesem Aufsatz zitierten BP-Statistiken über die Ölreserven sind daher wahrscheinlich als optimistische Obergrenzen anzusehen.

(2) Mindestens ebenso wichtig wie die Kritik der LB-ST-Studie an der Bestimmung der Ölreserven ist die dort enthaltene Methodenkritik an der Bestimmung der Reichweite dieser Reserven. Bei der Ermittlung der statischen Reichweite wird die Menge der Ölreserven durch die derzeitige Jahresproduktion geteilt, wodurch sich eine Anzahl von Jahren ergibt, für die die Reserven bei gleich bleibender Förderung ausreichen. Diese Betrachtung unterstellt, dass jedes Barrel Öl unabhängig vom Erschöpfungsgrad des Ölfeldes mit gleichem technischen und ökonomischen Aufwand gefördert werden kann. Der Aufwand steigt jedoch mit dem Ausschöpfungsgrad des Feldes. Wesentlich für wirtschaftliche Entscheidungen und Umbrüche ist daher der Zeitpunkt, ab dem mit den bisherigen Fördermethoden die Ölproduktion nicht mehr erhöht werden kann. Nach den in der LB-ST-Studie zitierten Untersuchungen wird der Zeitpunkt des Fördermaximums für die Nicht-OPEC-Länder zwischen den Jahren 2000 und 2005 erreicht sein und für die OPEC-Länder zwischen den Jahren 2005 und 2010, spätestens jedoch bis zum Jahr 2020. Das heißt, der Zeitpunkt, an dem große wirtschaftliche Umbrüche auf Grund der Ölversorgungssituation zu erwarten sind, ist erheblich näher, als die Betrachtung der statischen Reichweite suggeriert. Damit ergeben sich natürlich auch andere Zukunftsprognosen.

Dies gilt zum einen für die Preisprognosen für Öl. Nach dem Erreichen des Fördermaximums eines Ölfeldes muss dort zur Beibehaltung der Förderung in bessere Fördermethoden investiert werden. Dadurch steigen die Ölpreise, falls dies nicht durch Steigerung von billigerer Förderung aus anderen Ölfeldern aufgefangen wird. Angesichts der Zeitpunkte für die Fördermaxima bezweifelt die LB-ST-Studie die Preisprognose der IEA von 25 US-Dollar pro Barrel für die Jahre 2015 bis 2020. Die Studie begründet ihre Skepsis gegenüber der IEA-Preisprognose zusätzlich damit, dass die IEA einen Anteil der OPEC von 62 % an der Weltölversorgung im Jahr 2020 gegenüber 27 % im Jahr 1996 ermittelt. Hinzu kommt, dass die IEA für das Jahr 2020 eine Ölversorgungslücke von 17 % ermittelt, für die sie keine Angabe machen kann, wie sie gedeckt werden soll.

Zum anderen verändert sich entsprechend der für die Reichweite von Öl zu Grunde gelegten Methode auch die Prognose für die Reichweite des Erdgases. Denn Öl wird umso schneller durch Erdgas ersetzt, je teurer es wird. Bei der realistischen Annahme, dass das Öl ab dem Erreichen der Fördermaxima der Quellen teurer wird, wird von da an der Verbrauch an billigerem Erdgas steigen. Anzumerken ist noch, dass für die Angaben der Erdgasreserven und ihrer Reichweite die gleiche kritische Betrachtung vorzunehmen ist wie für das Erdöl. Auf dieses Kapitel der LB-ST-Studie wird hier nicht eingegangen.

Insbesondere für die USA werden sich bei einer Ölverteuerung ab den Fördermaxima wirtschaftliche Probleme ergeben. Sie sind gezwungen die höheren Ölpreise zu zahlen, da sie auf Grund ihrer großen Entfernung von den Haupterdgaslagerstätten Öl schwerer durch Gas ersetzen können als Europa und sich ihre eigenen Gasreserven dem Ende zuneigen.

Zusammengefasst:

Bezüglich der Erdölreserven und deren Reichweite gibt es unterschiedliche Angaben. Die in diesem Kapitel zitierten Daten von BP sind weit verbreitet. Sie sind auf Grund der ihnen zu Grunde liegenden Ermittlungsmethoden nur als optimistische Obergrenzen zu betrachten. Insbesondere ist der Zeitpunkt, ab dem wirtschaftliche Umbrüche auf Grund abnehmender Verfügbarkeit von Öl zu erwarten sind, früher erreicht, als es die Betrachtung der statischen Reichweite suggeriert.

Der Mittlere Osten wird auf Grund seiner Öl- und Erdgasreserven als Energielieferant noch an Bedeutung zunehmen. Im mittleren Osten befinden sich nach BP02 65 % der Welterdölreserven und 36 % der Welterdgasreserven. Für die Erdgasversorgung spielt die frühere Sowjetunion mit ihren Anrainerstaaten eine zentrale Rolle.

Energieverbrauch und Energieeffizienz der US-Industrie

Im Folgenden wird die Abhängigkeit der USA vom Erdöl genauer dargestellt. Ziel der Untersuchung ist es herauszufinden, ob es Gründe in der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Lage der USA gibt, sich der irakischen Ölquellen zu bemächtigen. Auf die weitere Vermutung, die US-Regierung handle dabei im Auftrag der amerikanischen Ölkonzerne, wird im nächsten Kapitel eingegangen.

Hier ist eine grundsätzliche Bemerkung angebracht.

Die Vertreter der Auffassung, dass hinter dem geplanten Angriff der USA auf den Irak ökonomische Interessen stecken, benennen in der Regel die Ölkonzerne als Drahtzieher und verweisen z. B. auf die engen Beziehungen wichtiger Regierungsmitglieder der Administration Bush junior zur Ölindustrie. Hinter dieser Auffassung steckt unausgesprochen die Vorstellung, dass der kapitalistische Staat von Teilen des Kapitals beherrscht wird.

Betrachtet man den kapitalistischen Staat dagegen als Vertreter der gesamten kapitalistischen Wirtschaftsordnung, so treten andere Gesichtspunkte in den Vordergrund, so vor allem die Absicherung des sozialen Friedens, wozu gehört, für genügend Wirtschaftswachstum in Gegenwart und Zukunft zu sorgen, damit trotz der „Kollateralschäden“ des Kapitalismus genügend Brosamen auf dem Tisch der produzierenden und der von der Produktion freigesetzten Bevölkerung bleiben. Sieht man es als Aufgabe des Staates, die Herrschaft der nationalen kapitalistischen Gesamtklasse abzusichern, beinhaltet dies auch politische Maßnahmen, falls die nationale Wirtschaft aus technologischen Gründen nicht mehr zur Wirtschaft anderer Nationen konkurrenzfähig ist. In diesem Kapitel wird nun untersucht, ob es einen aktuellen wirtschaftlich bedingten Anlass für einen Angriff auf den Irak gibt.

Zunächst werden Angaben zu Energieverbrauch und Energieeffizienz der USA zusammengestellt. Unter Energieeffizienz ist zu verstehen, wie viel Energie für das erwirtschaftete Bruttosozialprodukt (BSP) eines Landes verbraucht wird. Die Energieeffizienz ist somit ein Indikator für die Modernität der Industrie. Denn technischer Fortschritt hat als wesentliches Ziel, die Produktionskosten zu senken, wobei ein Anteil die zur Produktion erforderliche Energie ist.

Tabelle 4: Vergleich von Energieindikatoren für das Jahr 2000 nach [5] und BP02

Bevölkerung

BSP(PPP)

TPES

Ölverbrauch

TPES/
Kopf

TPES/
BSP(PPP)

Ölverbrauch/
BSP(PPP)

[Mio.]

[Mrd. USD]

[Mtoe]

[Mio. t]

[toe]

[toe/Mrd. USD]

[t/Mrd. USD]

IEA

IEA

IEA

BP02

IEA

IEA

IEA, BP02

USA

275,42

8.986,90

2.299,67

897,60

8,35

255.083,00

99.879,00

Deutschland

82,17

1.910,12

339,64

129,80

4,13

177.811,00

67.954,00

Welt

6.023,17

41.753,21

10.109,59

3.519,00

1,68

242.127,00

84.281,00

Erläuterungen zur Tabelle:

TPES: Total primary energy supply: gesamter Primärenergieverbrauch

PPP: Purchasing power parities (Kaufkraftvergleich): Um das Bruttosozialprodukt verschiedener Länder miteinander vergleichen zu können, müssen sie in eine einheitliche Währung umgerechnet werden, gewöhnlich ist das der US-Dollar. Die Umrechnung über die Währungsverhältnisse berücksichtigt nicht das unterschiedliche Preisniveau der Länder. Basiert die Umrechnung eines nationalen Bruttosozialprodukts in US-Dollar auf einem Kaufkraftvergleich, so spricht man von BSP(PPP). Nach [7] ist diese Umrechnung besser geeignet, um Mengenvergleiche durchzuführen.

TOE: Ton equivalent: ist die Angabe in Tonne, wobei z. B. der unterschiedliche Energiegehalt der Produkte aus unterschiedlichen Förderstätten herausgerechnet ist. Mtoe = 1 Million toe.


Die USA mit einem Bevölkerungsanteil von etwa 5 % der Weltbevölkerung konsumieren über 20 % der Primärenergie der Welt und über 25 % des Erdöls. Der hohe Verbrauch von Energie in den USA ist politisch begünstigt durch niedrige Energiesteuern. Auf Benzin z. B. beträgt derzeit [8] die durchschnittliche Steuer in den USA 40 US-Cents pro Gallon (1 US Gallon = 3.785 l), also etwa 10 US-Cents pro Liter, wohingegen die Steuer in Deutschland etwa sechs mal so hoch ist. Hohe Energiekosten führen zu Anstrengungen der Energieeinsparung in Industrie und Transport, das heißt zu effizienterer Produktion. Mit der Beibehaltung niedriger Mineralölsteuern beschritt die US-Regierung den Weg der Subvention der US-Industrie, um sie konkurrenzfähig zu halten, anstatt sie zur Modernisierung zu stimulieren. Tabelle 4 zeigt, dass der Pro-Kopf-Verbrauch der USA an Primärenergie doppelt so hoch ist wie in Deutschland. Der Verbrauch an Primärenergie stieg in den USA zwischen 1990 und 1999 um 8 %, während er in Deutschland im gleichen Zeitraum um den gleichen Betrag sank (BMWI_E_02). Nach BMWI_E_02 ist auch der Energieverbrauch pro Einheit des Bruttosozialprodukts doppelt so hoch wie in Deutschland, während die letzte Spalte von Tabelle 4 2 „nur“ einen um etwa 50 % höheren Energieverbrauch pro Einheit des Bruttosozialprodukts im Vergleich zu Deutschland ausweist.

Die US-Wirtschaft ist deutlich energieintensiver und damit stärker vom Erdölpreis abhängig als die Wirtschaft der EU. Nach [9] beträgt der Anteil der Industrie am Primärenergiekonsum in den USA 34 %, der des Verkehrs 28 %, in Deutschland verbraucht die Industrie 26,4 % und der Verkehr 29,8 % (BMWI_E_02). Der höhere Energieverbrauch der USA ist also nicht auf einen höheren Anteil des Verbrauchs im Transportsektor zurückzuführen. Der Anteil des Erdöls am gesamten Primärenergieverbrauch beträgt in den USA wie in Deutschland etwa 39 %. Die genannten Zahlen geben die Anteile bezogen auf den gesamten Primärenergieverbrauch an. Da der Energieverbrauch in den USA deutlich höher als in Deutschland ist, bedeuten somit z. B. gleiche Anteile des Transportsektors am Primärenergieverbrauch einen höheren Energieverbrauch dieses Sektors in den USA im Vergleich zu Deutschland.

Der deutlich höhere Energieaufwand pro Einheit des Bruttosozialprodukts und insbesondere der hohe Energieverbrauch der US-Industrie zeigen, dass die US-Wirtschaft in den traditionellen industriellen Kernbereichen technologisch hinter anderen entwickelten Volkswirtschaften zurück geblieben ist (vgl. [10]). Das dort untersuchte Handels- und Leistungsbilanzdefizit sowie die starke Abhängigkeit der US-Wirtschaft vom privaten Konsum könnten daher den Gedanken nahe legen, ein Krieg gegen den Irak könnte einen militärischen Versuch zur Lösung der aktuellen Wirtschaftsprobleme der USA darstellen.

Unterstellt man aktuelle gesamtwirtschaftliche Interessen der USA bei einem Angriff auf den Irak, so stellt sich die Frage, wie sehr sich das Leistungsbilanzdefizit durch eine Verbilligung des Erdöls verringern ließe und wie sehr sich gleichzeitig die Kaufkraft des US-Konsumenten erhöhen würde. Zur Frage der Auswirkung einer Senkung der Erdölpreise für die US-Wirtschaft lassen sich folgende Aussagen treffen. Nach [11] Tabelle 1303 machten die Rohölimporte im Mittel der Jahre 1997 bis 2000 etwa 6 % des gesamten Imports der USA aus, während der Anteil von industriell gefertigten Gütern in dieser Zeitspanne 85 % des Gesamtimports betrug. Bereits der Anteil der Importfahrzeuge am Gesamtimport in den USA ist etwa doppelt so hoch wie der Anteil des Öls. Das zeigt, dass sich das Problem des US-Leistungsbilanzdefizits von derzeit mehr als 1 Milliarde US-Dollar pro Tag nicht durch eine Verbilligung des Erdöls lösen lässt.

Auch die frei werdende Konsumkraft der US-Bürger durch eine etwaige Verbilligung von Öl wird vermutlich keinen großen Konsumschub auslösen, denn der US-Bürger wendet nach UCB01 Tabelle 648 weniger als 5 % seiner Ausgaben direkt für Ölprodukte auf. Dass die Stimulation des privaten Konsums kein Motiv für eine militärisch erzwungene Verbilligung von Erdöl ist, zeigt sich darin, dass die Regierung Bush derzeit versucht, den Konsum durch ein neues Steuersenkungsprogramm anzukurbeln.

Die Angaben der amerikanischen Energieinformationsbehörde (EIA) gehen in die gleiche Richtung. So lag der mittlere Anteil der Energieausgaben am Bruttosozialprodukt der USA im letzten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts bei etwa 7 % und der des Erdöls bei 4 %. Als Daumenregel für die Auswirkung des Steigens der Erdölpreise auf das Wachstum des US-Bruttosozialprodukts wird angegeben [12], dass jede 10-prozentige Erhöhung des Ölpreises das Wachstum des Bruttosozialprodukts um 0,05 % bis 0,1 % verringert. Eine Verdopplung des Ölpreises würde somit ein um etwa 0,5 % verringertes Wachstum des Bruttosozialprodukts bewirken. Die Spanne der Daumenregel für die Wachstumsverringerung soll die Dauer der Hochpreisphase des Öls berücksichtigen. Die Daumenregel beruht auf dem Vergleich des Wachstums des Bruttosozialprodukts nach Ölpreiserhöhung gegenüber einem geschätzten Wachstum des Bruttosozialprodukts bei gleich bleibendem Ölpreis. Sie ist aus Daten vergangener Ölkrisen abgeleitet, in denen der Anteil des Öls am Bruttosozialprodukt höher war als heute. Die Beschränktheit der Regel besteht aber vor allem darin, dass sie keine anderen Ursachen für einen Rückgang von Wirtschaftswachstum als die Ölpreiserhöhung berücksichtigt. Wendet man die Daumenregel auf eine Senkung des Ölpreises an, so würde eine Halbierung des Ölpreises das Wachstum des Bruttosozialprodukts um 0,25 % bis 0,5 % erhöhen. Dazu müsste aber die Voraussetzung gegeben sein, dass eine Investitions- und Konsumtionsbereitschaft derzeit wegen zu hoher Ölpreise zurückgehalten wird. Da viele Produktionskapazitäten in den USA aber nicht ausgelastet sind und die wachsende Arbeitslosigkeit die Konsumtion beschränkt, ist derzeit kaum ein Wirtschaftswachstum durch Ölpreissenkung zu erwarten. Das Risiko, dass sich die Krise der US-Wirtschaft durch eine kriegsbedingte zeitweilige Erhöhung des Ölpreises verschärft, ist vermutlich höher einzuschätzen als ein eventuelles künftiges Wachstum durch verbilligtes Öl nach einem Irakkrieg. Die aktuellen Wirtschaftsprobleme der USA geben also keinen rationalen Grund für einen Krieg her.

Vor allem kostet der Krieg zunächst Geld. Der letzte Irakkrieg der USA 1990/91 dauerte etwa eine Woche und kostete circa 60 Mrd. US-Dollar [13]. Von diesen Kosten trugen die USA nur 10 %, den Rest zahlten die Verbündeten: Saudi-Arabien 16,8 Mrd. US-Dollar, Kuwait 16 Mrd. US-Dollar, Japan 10,1 Mrd. US-Dollar, Deutschland 6,6 Mrd. US-Dollar und die Arabischen Emirate 4,1 Mrd. US-Dollar. Amtliche amerikanische Schätzungen beziffern die Kosten für einen aktuellen Irakkrieg auf 100 bis 200 Mrd. US-Dollar [14]. Es ist davon auszugehen, dass die USA die Kosten hauptsächlich selbst werden tragen müssen. Die Stationierungskosten belaufen sich nach dem FAZ-Artikel auf 6 bis13 Mrd. US-Dollar pro Monat. Nach der Besetzung des Iraks könnten die Kosten des Krieges zwar durch eine Erhöhung der irakischen Erdölförderung finanziert werden. Doch selbst bei einer Verdoppelung der Erdölproduktion und Beschlagnahme eines großen Teils der Mehreinnahmen würde die Dauer der Refinanzierung der Kriegskosten nach DB0902 bei 5 bis 10 Jahren liegen. Auch diese Betrachtung zeigt, dass der Irakkrieg den USA keine unmittelbaren gesamtwirtschaftlichen Vorteile bringt.

Zusammengefasst:

Ein aktuelles gesamtwirtschaftliches Interesse der USA an der Bemächtigung der irakischen Ölquellen lässt sich nicht ableiten.

Krieg für die Interessen der US-Ölkonzerne?

Der hohe Energieverbrauch und die begrenzten Erdölreserven der USA machen deutlich, dass für die USA die Absicherung des Zugriffs auf billiges Erdöl von wesentlicher Bedeutung ist. Dies legt den Schluss nahe, ein Angriff der USA auf den Irak erfolge, um die US-Ölkonzerne in den Besitz der irakischen Erdölquellen zu bringen, zumal dort derzeit mit Lukoil, Total und Eni russische und europäische Ölkonzerne tätig sind. Diese Argumentation beinhaltet eine Gleichsetzung nationaler Ölversorgungsinteressen mit den Interessen der nationalen Ölkonzerne. Zum einen wird dabei unterstellt, die US-Ölkonzerne bräuchten staatliche Interventionen, um an Öl zu kommen und dass ihr Absatz vor allem national ausgerichtet ist. Was aber wesentlicher ist: Dieses Argument verkürzt die Machtinteressen der USA auf die Interessen der nationalen Ölkonzerne, was zu falschen Einschätzungen der Außenpolitik der USA führen muss. Im Folgenden soll der Themenkomplex des Verhältnisses von nationalen Ölversorgungsinteressen zu den Interessen der Ölkonzerne schlaglichtartig gestreift werden. Die Ausführungen haben Thesencharakter, da im Einzelnen gründlichere Untersuchungen durchzuführen wären. Insbesondere stellen sie keine Geschichte der Ölindustrie dar. Die im Folgenden aufgeführten historischen Ereignisse sind, wenn nicht anders gekennzeichnet, dem Buch von Daniel Yergin [15] entnommen.

Im ersten Weltkrieg wurde die militärische Bedeutung des Erdöls erstmals offenkundig. Schon vor dem ersten Weltkrieg begannen die britische und amerikanische Regierung ihre Kriegsflotten von Kohle- auf Ölantrieb umzurüsten, um damit eine größere Reichweite zu erhalten. Zur Absicherung der Ölversorgung der Marine beteiligte sich die britische Regierung an der britischen Ölgesellschaft Anglo Persian, die amerikanische Regierung besaß zum selben Zweck drei eigene Erdölfelder. Im Verlauf des ersten Weltkriegs wurden erstmals ölgetriebene Panzer, Flugzeuge und U-Boote sowie Lastwagen eingesetzt. Da Kriegsverläufe auch von Aufmarschplänen bestimmt sind, betrat das Öl als Antriebsmittel der Militärmaschinerie sehr früh die Weltbühne als strategischer Rohstoff. Dementsprechend richtete sich das Augenmerk der Militärs auf die Sicherung und Eroberung von Ölressourcen sowie darauf, im Krieg den Gegner davon abzuschneiden. Beispiel dafür ist im ersten Weltkrieg der Vormarsch von deutschen und österreichischen Truppen nach Rumänien, um sich von dort den Ölnachschub zu sichern. Ein englisches Sonderkommando zerstörte kurz vor dem Einmarsch dieser Truppen die Bohrtürme, Anlagen und Öltanks. Umgekehrt führte der deutsche U-Boot-Krieg gegen die Transportschiffe der Alliierten zur Ölknappheit in Großbritannien, die von den USA ausgeglichen wurden, wozu in den USA eine Zwangswirtschaft der Energieversorgung eingeführt wurde. Im zweiten Weltkrieg wiederholte sich das Szenario, sich mit militärischen Operationen Ölquellen zu erobern und den Gegner davon abzuschneiden, in größerem Maßstab. Zu der strategischen Bedeutung des Erdöls in Hinblick auf Verlauf und Dauer von Kriegen kam als weiterer Aspekt die geophysikalische Tatsache, dass gerade die technologisch weit entwickelten Staaten bis auf die USA über wenig Öl verfügten. Der erste Weltkrieg machte klar, dass die Verfügung über Erdölressourcen machtpolitisch wichtig ist, wodurch die Sicherung des Zugangs zu Öl fester Bestandteil strategischer Überlegungen wurde.

Nach dem ersten Weltkrieg wurden Teile des zerfallenen osmanischen Reichs wie die arabische Halbinsel zwischen Großbritannien und Frankreich aufgeteilt. Bei der Aufteilung spielten die bekannten und vermuteten Ölquellen eine bedeutende Rolle. Nach dem San Remo-Abkommen von 1920 wurde Mesopotamien 1921 unter britisches Völkerbundmandat gestellt, wobei Frankreich seinen Anspruch auf Mosul aufgab. Dadurch entstand der heutige Irak. Großbritannien hatte somit die Kontrolle über die Zulassung von Ölkonzernen, Frankreich bekam im Gegenzug Anspruch auf ein Viertel des mesopotamischen Öls. Dabei ist anzumerken, dass es in Frankreich noch keine nationale Ölfirma gab. Erst 1924 wurde auf Betreiben der französischen Regierung die Compagnie Francaise des Petroles (CFP) gegründet. Auch Großbritannien war erst dabei, einen nationalen Ölkonzern zusammen zu schmieden, so dass die Gründe für die Aufteilung der arabischen Halbinsel im San-Remo-Abkommen nationale Interessen waren. Die Regierungen handelten nicht als Ausführungsorgane der nationalen Ölkonzerne. Die amerikanischen Ölkonzerne starteten eine Kampagne gegen ihre Abschottung von den mesopotamischen Ölfeldern, worauf die amerikanische Regierung Druck auf die britische ausübte, dem diese schließlich nachgab. Es sollte aber noch bis 1928 dauern, bis sich die Ölkonzerne Royal Dutch/Shell, Anglo Persian, die Franzosen (CFP) und das neu gegründete amerikanische Ölkonsortium Near East Development Company auf einen Anteil von jeweils 23,75 % der irakischen Ölvorkommen einigten, die restlichen 5 % hielt der Ölspekulant Gulbenkian. Im Jahr 1932 hob die britische Regierung gleichzeitig mit dem Ende ihres Völkerbundmandats auf Druck der USA die Klausel des San-Remo-Abkommens auf, dass jede Ölkonzession ihres Mandatgebietes auf der arabischen Halbinsel an eine britische Ölgesellschaft gehen sollte.

Damit soll darauf hingewiesen werden, dass die Ölpolitik der Siegermächte des ersten Weltkriegs zwischen den beiden Weltkriegen hauptsächlich von militärisch-strategischen Gesichtspunkten geleitet war und nur untergeordnet von den Interessen der nationalen Ölkonzerne. Dies ist auch darin begründet, dass bis auf die USA die Massenmotorisierung erst nach dem zweiten Weltkrieg einsetzte, so dass die volkswirtschaftliche Bedeutung des Erdöls deutlich geringer war als heute.

Zwischen den beiden Weltkriegen zeichnete sich ab, dass das Zeitalter des direkten imperialen Zugriffs auf fremde Ölquellen zu Ende gehen würde. Ein erstes Signal gegen die Beschlagnahmung der einheimischen Ölquellen durch ausländische Ölkonzerne für ein Bakschisch an lokale Regierungen und Potentaten setzte der Iran im Jahr 1932, als er die Konzession der britischen Ölgesellschaft Anglo Persian für ungültig erklärte. In den nachfolgenden Verhandlungen erreichte der Iran eine Verkleinerung des Konzessionsgebiets und feste Förderzinsen. Im Jahr 1938 verstaatlichte Mexiko die Ölindustrie mit der Folge, dass es jahrelang von den Ölgesellschaften boykottiert wurde. 1943 setzte Venezuela eine 50:50-Aufteilung der Gewinne der Ölförderung durch. Dieser Anteil wurde 1950 auf Drängen des amerikanischen Außenministeriums auch Saudi-Arabien von dem amerikanisch-britischen Ölkonsortium Aramco zugestanden. Der Druck des amerikanischen Außenministeriums auf Aramco erfolgte, um die amerikanische Ölversorgung im Koreakrieg abzusichern, zudem befürchtete die amerikanische Regierung eine weitere Ausdehnung des sowjetischen Einflusses im Nahen Osten.

Im Jahr 1951 verstaatlichte der Iran unter Premier Mossadeq die Ölindustrie des Landes, die sich bisher im Besitz der britischen Ölgesellschaft Anglo Iranian Oil Company befand. Zur Aufrechterhaltung der westlichen Macht- und Ölinteressen unternahmen die britische und amerikanische Regierung eine Militäraktion im Iran, in deren Folge die Regierung Mossadeq gestürzt und der Schah wieder an die Macht gebracht wurde. Es dauerte bis zum Jahr 1954, bis ein Konsortium aus der Anglo Iranian Oil Company, vier amerikanischen Ölkonzernen und der französischen CFP wieder Öl im Iran förderten. Dieses Konsortium besaß jedoch keine Konzession mehr, sondern arbeitete auf der Grundlage von Verträgen, in denen erstmals für ein nichtwestliches Ölförderland die Ölreserven und –anlagen als nationales Eigentum anerkannt wurden. Das Modell der Konsortiumsbildung aus Ölkonzernen unterschiedlicher Staaten wurde Vorbild für spätere Erschließungen von Erdölfeldern wie z. B. seit 1990 am Kaspischen Meer. Eine Konsortiumsbildung soll den Zweck erfüllen, die politischen Risiken für die Ölkonzerne zu verringern.

Zwei Aspekte sind an der Wiederaufnahme der Ölförderung im Iran noch hervorzuheben. Die amerikanische und britische Regierung mussten erheblichen Druck auf die Ölkonzerne ausüben, damit sie bereit waren im Iran Öl zu fördern, da ihnen das Geschäft zu risikoreich war und auf der arabischen Halbinsel genügend Öl gefördert wurde – dort mussten sogar die Fördermengen verringert werden. Zum anderen wurden die USA seitdem zu einer entscheidenden Größe in der Ölpolitik und im mittleren Osten, was sich nach der Suezkrise noch verstärkte. Mit dem Suez-Abenteuer verabschiedete sich Großbritannien endgültig als Weltmacht, im Jahr 1971 zog es aus Kostengründen die letzten Truppen aus der Golfregion ab. Gleichzeitig verstärkte sich der arabische Nationalismus, zu dessen Eindämmung die USA mit der Politik begannen, sich einen abhängigen Staat als regionale Ordnungsmacht aufzubauen, damals den Iran unter dem Schah.

Nach dem zweiten Weltkrieg fand in den Industriestaaten der Übergang von einer Kohle- zu einer Ölwirtschaft statt. Hatte im Jahr 1949 die Kohle weltweit noch einen Anteil von zwei Dritteln an der Weltenergieversorgung, so lieferten 1971 Erdöl und Erdgas diesen Anteil. Es kam nach dem zweiten Weltkrieg nicht zu der befürchteten Ölknappheit, da mehr und schneller Erdölreserven entdeckt wurden als der Verbrauch anstieg, wobei neue Förderländer nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Afrika zu den bisher bekannten hinzu kamen. Die Regierungen der Ölförderländer waren meist bestrebt, ihre Förderung zu vergrößern, da dann ihre Einnahmen wuchsen. Da zudem in den neuen Förderländern wie z. B. Libyen (Ölfunde 1959) oft neue Ölgesellschaften zum Zuge kamen, weil sie bessere Konditionen anboten, war die Überproduktion an Öl und damit der Preisverfall nicht aufzuhalten. Als weiterer Faktor kam hinzu, dass seit Mitte der 50er Jahre die Sowjetunion wieder als Öllieferant auf dem Weltmarkt auftrat. Die Einnahmen der Ölförderländer fielen allerdings nicht in demselben Maße wie die Endpreise, da ihre Anteile auf einen fiktiven (posted) Endpreis bezogen wurden. Der Grund für dieses Zugeständnis der Ölkonzerne war, weitere Debatten über ihre Ölkonzessionen und die Nationalisierung der Ölförderung zu vermeiden. Als BP im Jahr 1959 versuchte, den fiktiven Endpreis um 10 % zu senken, kam es zu Konferenzen von einigen der größten Ölförderländer mit dem Ziel, ein Produktions- und Preisregulierungssystem zu schaffen, das ihnen ständig steigende Einnahmen sichern sollte. Diese Absprachen endeten in der Gründung der OPEC im Jahr 1960.

Ihre heutige Bedeutung bekam die OPEC Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts durch zwei fast gleichzeitige Entwicklungen. Zum einen holte die Nachfrage nach Öl das Angebot ein, womit die 20-jährige Phase des Überangebots zu Ende ging. Zum anderen produzierten die amerikanischen Ölquellen keinen Überschuss mehr, wodurch die bisherige Sicherheitsreserve in Krisenzeiten und die Möglichkeit, Druck auf die Ölpreise auszuüben, wegfiel. Im Jahr 1969 kam in Libyen Ghadafi an die Macht und erhöhte 1970 die Ölpreise. Daraufhin verlangte der Iran 55 % der Ölgewinne, was dann auch den übrigen Golfstaaten zugestanden wurde. Venezuela forderte 60 % der Ölgewinne, und auch Libyen stellte neue Forderungen. Die Ölgesellschaften beschlossen daraufhin, künftig nur noch mit der OPEC zu verhandeln, damit sie nicht mehr durch die Förderländer gegeneinander ausgespielt werden konnten. Damit war die OPEC als Preis- und Förderkartell etabliert.

Klar wurden die neuen Machtverhältnisse zwischen Ölförderländern und Ölkonzernen während des Jom-Kippur-Krieges zwischen Ägypten und Israel im Jahr 1973, als die arabischen Staaten ein schrittweises Embargo gegen Israel-freundliche Staaten durchführten. Dadurch erzwangen die arabischen Staaten nicht nur einen schnellen Waffenstillstand, sondern erreichten auch deutlich höhere Öleinnahmen. Die Preise vervierfachten sich und die OPEC errang weitgehend die Kontrolle über die Festsetzung der Preise. Mit zwei Maßnahmen reagierten die meisten Industrieländer auf den starken Anstieg der Ölpreise. Zum einen versuchten sie bei der Ölversorgung unabhängiger von der OPEC zu werden, was unter anderem zur Erschließung von Ölfeldern in Alaska, der Nordsee und Mexiko führte. Zum anderen wurden Programme zur Reduzierung des Energieverbrauchs und zur Entwicklung anderer Energiequellen wie der Kernenergie durchgeführt. So sank zwischen dem Jahr 1970 und 2000 der Anteil des Öls am Gesamtenergieverbrauch der OECD um 12 %, der Anteil der Kernenergie stieg um 10 % und der des Erdgases um 3 % (IEA). In den USA waren die unter Präsident Carter entworfenen Energiesparprogramme nur teilweise durchsetzbar. Während im Zeitraum von 1980 bis 1999 der Gesamtenergieverbrauch in Europa um 20 % stieg, stieg er in den USA um 28 % (UCB01 Tabelle 1367). Mit der IEA versuchten die westlichen Verbraucherländer ein Regelungsorgan ihrer Interessen gegenüber der OPEC aufzubauen. Außerdem stockten sie die nationalen Ölreserven beträchtlich auf.

Die OPEC konnte die Preisschraube nicht beliebig anziehen. Ein Grund dafür bestand in der Veränderung der Energieversorgung der Industrieländer, was zum einen den Einsatz anderer Energieträger und zum anderen die Verstärkung des Ölimports aus Nicht-OPEC-Ländern bedeutete. Außerdem führte die Konkurrenz der Ölförderländer um Marktanteile zu einer Überproduktion und zu einem entsprechenden Preisverfall ab Mitte der 80er Jahre, wodurch die stetige Aufwärtsentwicklung der Ölpreise seit dem Jahr 1973 gestoppt wurde. Seit 1999 stiegen die Ölpreise von einem Mittel von 17 US-Dollar pro Barrel in den Jahren 1986 bis 1999 auf etwa 30 US-Dollar pro Barrel im Jahr 2000 [16]. Der Grund für diesen Preisanstieg ist, dass die Nicht-OPEC-Länder nicht über genügend Produktionsreserven verfügen, um die Mengenbegrenzungen der OPEC ausgleichen zu können. Derzeit folgt die OPEC einem Preiskorridor, der Ölpreise von 22 US-Dollar bis 28 US-Dollar pro Barrel vorsieht.

Der Machtumschwung zu Gunsten der OPEC seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts führte auch dazu, dass die letzten Ölkonzessionen an die Förderländer zurückgegeben werden mussten. Nach Kuwait im Jahr 1975, Venezuela im Jahr 1976, wurden ebenfalls 1976 in Saudi-Arabien die letzten Konzessionen einer Ölgesellschaft in einem Ölförderland beendet. Mit der Rückgabe der Ölkonzessionen endete für die Ölkonzerne nach Jahrzehnten die Phase, in der sie mit außerökonomischen Mitteln Extraprofite erzielten. Normale, rein ökonomische Beziehungen zwischen Ölförder- und Ölverarbeitungsgesellschaften stellten sich aber bis heute aus den folgenden Gründen nur zeitweise ein. Die Fördergesellschaften befinden sich meist in Staatsbesitz, so dass die Preise nicht allein durch den ökonomischen Wertbildungsprozess bestimmt sind, sondern wesentlich von der Geldgier der lokalen Herrschaftsschichten abhängen. Darüber hinaus steht den Ölhandelsgesellschaften mit der OPEC ein supranationales Kartell von Vertretern der Regierungen der Mitgliedsländer gegenüber. Immer wieder beeinflussten außerdem politische Ereignisse wie der Sturz des persischen Schahs oder der Irak/Iran-Krieg die Fördermenge und den Preis des Öls ganz erheblich.

Als Schlussfolgerung aus der in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu Ende gegangenen Epoche der Ölwirtschaft ist zum Thema des Verhältnisses der Ölkonzerne zu nationaler Politik Folgendes fest zu halten: Für die Staaten des Westens war das Öl zunächst auf Grund der militärischen Bedeutung, nach dem zweiten Weltkrieg zunehmend aber auch wegen der volkswirtschaftlichen Bedeutung ein Thema von strategischer Wichtigkeit. Mit der Gründung der OPEC als supranationaler Organisation blieben Ölversorgung und Ölpreise ein Thema, das auf Regierungsebene abgehandelt wurde. Ziel der Regierungen bei den Verhandlungen mit der OPEC war es nicht, die Profite der Ölkonzerne zu erhöhen, sondern für das Wirtschaftswachstum verträgliche Fördermengen und Preise zu erreichen.

Die Ölkonzerne, die bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Goldgräber- und Raubrittermanier auftreten konnten, betreiben seit nunmehr dreißig Jahre ihre Geschäfte weitgehend ohne militärische Rückendeckung. Für sie besteht kein Anlass, für ihre Interessen militärische Aktionen, wie die von den USA gegen den Irak geplanten zu fordern. Ihre Lehre aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist eher die, dass eine Verwicklung ihrer Geschäfte mit der Politik ein Geschäftsrisiko darstellt, auch wenn sie oft Vorteile aus staatlicher Intervention ziehen konnten.

Dieser kurze Streifzug durch die Geschichte der Ölindustrie zeigt, dass es machtpolitische Interessen sind, weshalb die USA einen Angriff auf den Irak planen. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 besetzten die USA zunächst Afghanistan, nun wird der Irak ins Visier genommen. Und das, obwohl nach der amerikanischen Philosophie Nordkorea nach seiner Erklärung, nukleare Waffen zu besitzen, der nächste Gegner sein müsste. Da in Südkorea aber bereits US-Truppen stationiert sind und auch bleiben, solange die Teilung Koreas bestehen bleibt, gibt es für die USA keinen Grund, dort den gegenwärtigen Status zu verändern. Hinzu kommt, dass das militärische Risiko einer Intervention in Nordkorea erheblich größer ist als das eines Angriffs auf den Irak.

Betrachtet man die Landkarte, so sieht man die geostrategische Bedeutung der Aktionen der USA. Mit der Besetzung Afghanistans stehen amerikanische Truppen im Süden der ehemaligen Sowjetunion und in direkter Nachbarschaft zu Pakistan und dem Iran. Mit Truppen im Irak ist der Iran auf beiden Seiten von amerikanischen Truppen und von USA-freundlichen Regierungen umgeben. Mit einer USA-freundlichen Regierung im Irak können sich darüber hinaus neue Möglichkeiten ergeben, den Nahostkonflikt und andere „Problemfälle“ in der Region im Interesse der USA zu lösen. Dazu passt, dass die Regierung Bush junior, anders als die Vorgängerregierung Clintons, seit ihrem Amtsantritt keine Initiativen zur Beendigung des Kampfes zwischen Israel und den Palästinensern unternimmt. Zu einer ausführlicheren Diskussion der Kriegsziele der USA im Nahen Osten siehe [17].

Die begrenzte Verfügbarkeit von Erdöl und Erdgas wird dazu führen, dass der Kampf um diese Reserven zunehmen wird. Dies auch aus folgenden Gründen. Der Ölverbrauch von neuen Industriestaaten wie China wächst stark. Die westlichen Industriestaaten, vor allem die USA, haben angesichts moderater Ölpreise seit Mitte der 80er Jahre die Ausnutzung des Potenzials an Energieeinsparung nicht genügend vorangetrieben. Vor allem haben sie keine dem technologischen Entwicklungsstand ihrer Industrie adäquate Ersatzenergie für das Öl entwickelt, um sich auf die bevorstehende Verringerung der Ölreserven vorzubereiten. Für die USA spielen Preis und der Zugriff auf Öl eine besondere Rolle. Ihre Volkswirtschaft ist wegen ihrer Ölverschwendung mehr als andere auf niedrige Ölpreise angewiesen, weshalb ihr Ziel sein muss, das Preiskartell der OPEC zu brechen. Außerdem können sie anders als Europa wegen der großen Entfernung von den hauptsächlichen Erdgasfeldern Öl schwer durch Erdgas ersetzen. Mit einem Festsetzen der USA im Irak könnte dort die Ölfördermenge erhöht und Druck auf die Preisgestaltung der OPEC ausgeübt werden, eventuell könnte der Irak sogar aus der OPEC austreten. In die gleiche Richtung gehen die Anstrengungen der Bush-Regierung, die Ölimporte aus Westafrika zu steigern. Die dortigen Förderländer sind bis auf Nigeria nicht Mitglieder der OPEC, Nigeria versucht die USA zum Austritt aus der OPEC zu gewinnen [18]. Auch für die Stellung des US-Dollar wäre eine größere Macht der USA über das Ölgeschäft sicher von Vorteil, da Ölgeschäfte weltweit in US-Dollar abgerechnet werden. Die Rolle des US-Dollar im Ölgeschäft wäre eine eigene Untersuchung wert.

Nicht nur im Eigeninteresse, sondern auch um Konkurrenten wie die EU, Russland und China in Schach zu halten, ist es für die USA machtpolitisch wichtig, über die Verteilung der Ölreserven mitzubestimmen. Mit der Festsetzung in Afghanistan können die USA auf die Frage der Trassenführung von Gas und Öl vom Kaspischen Meer nach Europa, Pakistan, Indien und China Einfluss nehmen und gleichzeitig Russland schwächen, das bisher die Trassen beherrscht. Die Festsetzung der USA in Afghanistan ist ein Puzzlestein, der mit der Besetzung des Irak erst ein Bild davon ergibt, was sich die USA derzeit geostrategisch wünschen. Damit wird nicht unterstellt, dass mit der Invasion in Afghanistan auch die des Iraks mitgeplant wurde, aber aus geostrategischen Gründen war der Irak Topfavorit für die „Achse des Bösen“, die Bush im Januar 2002 definierte. Hauptziel der Invasion nach Afghanistan war sicher die Zerschlagung der El-Kaida-Organisation, weil sie den arabischen Protest gegenüber der amerikanischen Hegemonie in der Golfregion am radikalsten formulierte [19].

Im Grunde würde eine Besetzung des Iraks der gleichen Strategie folgen, die bereits im Ersten Weltkrieg vom Militär bezüglich der Erdölressourcen angewandt wurde, nämlich die Erringung von Machtpositionen, um sich den eigenen Ölnachschub zu sichern und den des Gegners zu verhindern. Nun scheinen die USA zu versuchen, diese Taktik auf die Konkurrenz von Volkswirtschaften anzuwenden. Die US-Wirtschaft fällt im internationalen Konkurrenzkampf zurück, so dass es zur Aufrechterhaltung ihrer bisherigen weltpolitischen Stellung zunehmend erforderlich ist, militärische Mittel einzusetzen. Da heute Öl weltweit noch ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs ausmacht, würde ein verstärkter Einfluss der USA auf Ölpreise und –verteilung durch eine Besetzung des Irak einen großen Machtzuwachs und Wettbewerbsvorteil der USA ergeben.

Zusammengefasst:

Die Sicherung der Ölversorgung hatte von Anfang an eine strategische Bedeutung für die Industriestaaten. Die Ölkonzerne mussten sich im Konfliktfall immer staatlicher Raison unterwerfen. Die Ölversorgung war zunächst vor allem für die Kriegsführung wichtig, seit dem zweiten Weltkrieg zunehmend auch für das Funktionieren der Volkswirtschaften in den industriellen Staaten. Auf Grund der zur Neige gehenden Ölreserven wird die Auseinandersetzung um seine Verteilung und seinen Preis zunehmen. Somit deutet alles darauf hin, dass die US-Regierung mit dem geplanten Angriff auf den Irak vor allem eine neue Etappe im Kampf um die Kontrolle der Ölressourcen einleiten will und sich dabei eine Entscheidungsposition sichern will.

Anmerkungen

  1. BP statistical review of world energy, June 2002, sowie die weiteren Datensammlungen auf dieser Internetseite (BP02): http://www.bp.com
  2. Bundesministerium für Wirtschaft: Energie-Daten 2002 (BMWI_E_02).
  3. Friedemann Müller: Energiepolitische Interessen in Zentralasien, Aus Politik und Zeitgeschichte, B8/2002 (FM1).
  4. US Energy Information Administration, Annual Energy Outlook 2002 (EIAEO02): http://www.eia.doe.gov
  5. LB-Systemtechnik: Fossile Energiereserven (nur Erdöl und Erdgas) und mögliche Versorgungsengpässe aus Europäischer Perspektive, Endbericht, Vorstudie im Auftrag des Deutschen Bundestags, des Ausschusses für Bildung, Technik und Technikfolgenabschätzung, vorgelegt dem Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB), Ottobrunn, den 22. Juli 2000, (LB-ST): http://www.l-b-systemtechnik.com
  6. OECD International Energy Agency: Key world energy statistics, (IEA): http://www.iea.org
  7. OECD, Statistics Brief March 2002, No. 3: Purchasing power parities – measurement and uses: http://www.oecd.org
  8. US Energy Information Administration, Petroleum Marketing Monthly, October 2002: http://www.eia.doe.gov
  9. US Energy Information Administration:Annual Energy Review 2001, (EIA_AER_01): http://www.eia.doe.gov
  10. Martin Schlegel: Die New Economy der USA – krisenfreier Kapitalismus?
  11. US Census Bureau: Statistical Abstract of the United State 2001 (UCB01): http://www.census.gov
  12. US Energy Information Administration: Rules-of-Thumb for Oil Supply Disruptions: http://www.eia.doe.gov
  13. Deutsche Bank: USA: Die Kosten eines Irak-Kriegs, September 2002 (DB0902).
  14. Wirtschaftswissenschaftler berechnen Kriegsszenarien, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 29. November 2002.
  15. Daniel Yergin: Der Preis. Die Jagd nach Öl, Geld und Macht.
  16. Friedemann Müller Das Öl des Irak, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 36, September 2002 (FM2).
  17. Heiner Karuscheit: Über die amerikanischen Kriegsziele im Nahen Osten.
  18. Jean-Christophe Servant: Stille Offensive, Le Monde diplomatique die tageszeitung/Woz vom 20. Januar 2003
  19. Alfred Schröder: Der 11. September, der Afghanistankrieg und die Linke.
Letzte Änderung: 21.03.2016