Antwort auf die Kritik an „Die New Economy der USA: Krisenfreier Kapitalismus?“
Von Martin Schlegel
Dieter Pentek strebt an, mit seiner Kritik zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, zum einen meinen Artikel zur „New Economy“, zum anderen Alfred Schröders Artikel : „Der 11. September, der Afghanistankrieg und die Linke“ (AZD 72 oder auf dieser Internetseite). Pentek haut nicht nur in beiden Fällen daneben, viel ärgerlicher ist, dass er vor der politischen Auseinandersetzung mit dem Inhalt der jeweiligen Artikel kneift, wie insbesondere sein Umgang mit Alfred Schröders Artikel zeigt. Penteks Behauptung ist, dass die „US-Ökonomie noch in voller Blüte steht“. Er zieht gegen die beiden Artikel zu Felde, weil sie seiner Meinung nach den ökonomischen Niedergang der USA behaupten.
Das Thema von Alfred Schröders Artikel ist aber der Wandel der amerikanischen Außenpolitik unter der Regierung von Bush junior im Vergleich zur Vorgängerregierung Clintons sowie die Auffassungen der deutschen Linken zu diesem Thema. In seiner These 2 formuliert Schröder, dass eine Ursache dieses Wandels in unterschiedlichen Antworten auf die amerikanische Debatte zu dem Thema besteht, wie das Zurückbleiben der US-Wirtschaft gegenüber Konkurrenten verhindert werden kann, eine Debatte, die Clinton in seinem Wahlkampf zu einem Hauptthema machte. Zu dieser These wie dem Thema des Artikels insgesamt schweigt Pentek sich aus.
Auch auf das Thema meines Artikels geht Pentek nicht ein. Mein Ziel war nachzuweisen, dass die US-Wirtschaft mit der New Economy nicht in ein neues krisenfreies Stadium eingetreten ist, wie das in den economic reports der US-Regierung und von vielen Wirtschaftswissenschaftlern in den USA und Europa behauptet wurde. Anlässlich des Kritikversuchs Penteks stelle ich im Folgenden nochmals die wesentlichen Argumente meines Artikels zusammen. Darüber hinaus nenne ich einige Aspekte, die meiner Meinung nach zu untersuchen wären, wollte man den ökonomischen Niedergang der US-Wirtschaft beweisen.
Zur Frage des Wirtschaftswachstum in den USA 1995 – 2000
Ein wesentlicher Teil meiner Argumentation gegenüber der Behauptung eines angeblich neuen krisenfreien Stadiums der US-Wirtschaft aufgrund der New Economy stützt sich auf die Untersuchungen R. J. Gordons zu den Wachstumsraten in der Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche und der der restlichen Industrie in den USA. Nach diesen Untersuchungen hat es außerhalb der Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche kein Produktivitätswachstum gegeben. Die Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche hat in der Informations- und Kommunikationstechnologie-Euphorie der zweiten Hälfte der neunziger Jahre Überkapazitäten aufgebaut und geriet dann nach dem Jahr 2000 in eine klassische Überproduktionskrise, womit die Kernthese des krisenfreien Wachstums durch die New Economy widerlegt wurde. Die Gesamtwirtschaft geriet dadurch nur deshalb noch nicht in eine Krise, weil der Informations- und Kommunikationstechnologie-Sektor nur einen kleinen Bereich der Industrieproduktion ausmacht und beeinflusst. Insgesamt nahm die Industrieproduktion gemäß Sachverständigengutachten 2002 der Bundesregierung Deutschland in den USA im Jahr 2001 um 6,9 % ab. Das nicht gestiegene Produktionswachstum außerhalb der Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche zeigt weiter, dass durch die New Economy keine technologische Revolution stattgefunden hat, was von den Propheten der New Economy ebenfalls behauptet wurde. Die Produktion materieller Güter stagnierte während der Boomjahre 1995 bis 2000.
Meine Untersuchungen zur Statistikschönung hatten das Ziel, nachzuweisen, dass es keine qualitativen Unterschiede zwischen den Wachstumsraten der US-Wirtschaft und dem Rest der OECD gibt. Qualitative Unterschiede wären aber für die Behauptung notwendig, dass mit der New Economy ein qualitativ neues Stadium des Kapitalismus geschaffen worden sei. Penteks Absicht, die ökonomische Überlegenheit der US-Wirtschaft zu beweisen, führt ihn dazu, zu erfinden, ich wolle mit dem Begriff qualitativ eigentlich sagen, dass die amerikanische Produktivität (quantitativ, Ergänzung von mir) hinter dem „Rest der Welt“ geblieben sei, eine Unterstellung, die zeigt, dass er den Artikel missverstehen will.
Wollte ich den ökonomischen Niedergang der USA nachweisen, würde ich nicht bei der Untersuchung des Wachstums des Bruttosozialprodukts stehen bleiben, während sie für meine Nachweisziele angemessen war. Für den Nachweis des ökonomischen Niedergangs müsste vor allem das Produktivitätswachstum und die Produktivität nicht nur relativ sondern vor allem auch absolut international verglichen werden, da das Wachstum des Bruttosozialprodukts über das Produktivitätswachstum nichts aussagt. Außerdem müssten die einzelnen Abteilungen des Kapitals untersucht werden, damit zum Beispiel eine erhöhte Anzahl von Börsengeschäften nicht gegen einen Rückgang materieller Produktion aufgerechnet werden kann.
Des weiteren müssten die Begrifflichkeiten und Methoden der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in den einzelnen Ländern untersucht werden, falls man Bruttosozialproduktangaben heranzieht – so ist in den USA und Deutschland bereits die Definition, was unter verarbeitendem Gewerbe zu verstehen ist, verschieden; das unterschiedliche Bevölkerungs- und Erwerbstätigenwachstum müsste herausgerechnet werden usw. Vor allem aber müsste definiert werden, was unter einem ökonomischen Niedergang zu verstehen ist, ob ein Untergang wie der des römischen Reiches oder des britischen Empires oder was sonst.
Zur Frage des Beschäftigungswunders durch die New Economy
Hier ist genau das eingetroffen, was ich schrieb. Mit der Krise im Informations- und Kommunikationstechnologie- und im Dienstleistungsbereich wurden viele Arbeitsplätze, die im Boom geschaffen wurden, auch wieder abgebaut. Inzwischen beträgt die offizielle Arbeitslosenquote in den USA 6,4 % und ist damit genauso hoch wie 1994, vor dem Beginn der angeblichen New Economy. Nach einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Juni 2003 wurden seit Juli 2000 auch im produzierenden Gewerbe 2,6 Millionen Arbeitsplätze vernichtet, das sind rund 15 % aller Stellen. Man sieht also auch hier kein neues Stadium des Kapitalismus, sondern nur altbekannte kapitalistische Gesetzmäßigkeiten wie Überproduktion und Krise.
Wieder geht Dieter Pentek in der Kritik dieses Kapitels auf dessen Inhalt gar nicht ein. Um ihm auch in dieser Frage die Fiktion zu nehmen, gegen einen Artikel zum ökonomischen Niedergang der USA angehen zu müssen, will ich anführen, dass für einen derartigen Nachweis andere Untersuchungen notwendig wären. Es müsste untersucht werden, wo Beschäftigungswachstum stattgefunden beziehungsweise wo Beschäftigung abgenommen hat, ob zum Beispiel in hoch oder niedrig produktiven Bereichen oder ob hauptsächlich in der Produktion oder im Dienstleistungsbereich. Das heißt, es müsste die Beziehung zwischen Produktivitäts- und Beschäftigungswachstum analysiert werden.
Zur Finanzierung der New Economy
Ein wesentlicher Punkt meines Artikels war der Nachweis, dass die USA nicht mehr in der Lage sind, ihren Konsum und ihre Investitionen durch eigene Wertschöpfung zu finanzieren, wie ihre seit 1980 negative Leistungsbilanz zeigt. In dem vor allem seit 1995 stark gewachsenen Leistungsbilanzdefizit liegt ein wesentliches Moment für eine allgemeine Wirtschaftskrise. Auch die New Economy war wesentlich ein Wachstum, das auf Pump im Ausland beruhte. Die Staatsverschuldung, auf der Dieter Pentek so herumreitet, spielt in dem Zusammenhang nur die Rolle, dass sie dem Kapitalmarkt zusätzliche Mittel entzieht, also die Abhängigkeit vom Ausland verstärkt. Interessant ist die rasche Umkehr von einer Politik der Überschüsse in den Staatshaushalten der Regierung Clinton zu einer erneuten Defizitpolitik der Bush-Administration. Dieses Jahr wird ein Rekorddefizit von 450 Milliarden US-Dollar erwartet.
In der Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche hat die Überproduktionskrise seit dem Jahr 2000 zum Zusammenbruch vieler Unternehmen geführt und vielen Kreditgebern wie Firmen, Banken, Versicherungen und Pensionsfonds in den USA und im Ausland Milliardenverluste beschert. Die Verluste des Börsencrashs seit dem Jahr 2000 sollen in den USA insgesamt rund 9 Billionen, weltweit rund 12 Billionen US-Dollar betragen. Seitdem sind die ausländischen Kapitalanleger vorsichtiger geworden. Das Kernproblem der US-Wirtschaft ist nach wie vor die Notwendigkeit der Zufuhr von Kapital aus dem Ausland, die zum einen vom Vertrauen des Auslands in erwartete größere Wachstumsraten der US-Wirtschaft als denen im Rest der Welt abhängt, zum anderen von der Stärke des Dollarkurses. Bei sinkendem Dollarkurs wächst die Neigung, Vermögen aus den USA abzuziehen und auch Geschäfte in Euro abzuwickeln, was zum Rückgang von Devisenkonten und Geldanlagen in den USA führt. Dieser Trend ist nach einem Artikel der Financial Times Deutschland vom 8. Mai 2003 bereits deutlich ausgeprägt. Ein größerer Rückgang der Liquiditätszufuhr in die USA könnte ein Auslöser für eine allgemeine Wirtschaftskrise in den USA sein.
Ein weiterer Auslöser für eine umfassende Wirtschaftskrise könnte ein Einbruch der privaten Konsumtion sein. Die weiterhin hohe private Konsumtion hat bisher den Abschwung der US-Wirtschaft seit dem Jahr 2000 verlangsamt. Wie ich in dem Artikel zeigte, wird die private Konsumtion in den USA zunehmend auf Pump finanziert. Wegen steigender Immobilienpreise und niedriger Zinsen refinanzierten viele Wohneigentümer ihre Immobilien und nahmen zusätzliche Hypotheken auf. Laut einem Artikel im Quartalsbericht September 2002 der Bank für internationalen Zahlungsausgleich wurden in den USA seit 1997 bei mehr als 50 Prozent der Refinanzierungen Bargeldauszahlungen vereinbart, die in den Konsum flossen oder zur Deckung von Kreditkartenschulden dienten. Im Jahr 2001 wurden nach Schätzungen des Berichts allein auf diese Weise circa 150 Milliarden privaten Konsums auf Kredit finanziert. Ein Einbruch bei den Immobilienpreisen hätte somit großen Einfluss auf das Konsumtionsverhalten. Zusätzlich hat der Niedergang der Börsenkurse zum Rückgang von Privatvermögen und von Pensionsfonds geführt, was ebenfalls die Konsumtionsfähigkeit reduziert.
Bereits diese beiden Momente, begleitet von einer rasch wachsenden Staatsverschuldung aufgrund der Kriegspolitik und der Steuersenkungen der Regierung Bush lassen es wahrscheinlicher erscheinen, dass die US-Wirtschaft von der gegenwärtigen Rezession in eine allgemeine Wirtschaftskrise gerät, als dass ein Wirtschaftsaufschwung zu erwarten ist. Inzwischen sind auch die Propheten der New Economy ziemlich stumm geworden, wie zum Beispiel der Artikel „Analysten tragen die New Economy zu Grabe“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. August 2002 ausführt. Gleichzeitig gibt es vermehrt Artikel – bezeichnenderweise aus dem Anlagenberatungssektor – die über meinen damaligen Artikel hinausgehende Aspekte zu dem Wachstumsunterschied der Wirtschaft Deutschlands und der USA untersuchen und diesen weiter relativieren. Als Beispiel sei der Artikel der Kreditanstalt für Wiederaufbau Vorbild USA? Deutschland gesünder als man meint genannt. Diese Untersuchung ist – wie die meisten in meinem Artikel genannten Aufsätze – im Internet einsehbar.
Zu Dieter Penteks Kritik an den Zahlenangaben zum Anteil der Sozialabgaben am US-Haushalt ist festzustellen: Die Aussagen des Sachverständigengutachtens 2001 der Bundesregierung Deutschland beziehen sich auf den Zeitraum 2001 bis 2011 und nicht auf ein Haushaltsjahr, sind aber etwas missverständlich formuliert. Das eigentliche Argument bleibt, dass der US-Haushalt derzeit noch von den Überschüssen in den Sozialsystemen „profitieren“ kann. Auch wenn die USA eine günstigere Alterspyramide als Deutschland aufweisen, ist klar, dass dort, zumal bei der schnell wachsenden Staatsverschuldung, eine vergleichbare Diskussion wie in Deutschland über die Finanzierung der Sozialsysteme bevorsteht.
Insgesamt ist somit festzustellen: Dieter Pentek interessiert sich nicht für das Thema meines Artikels und des Artikels von Alfred Schröder, sondern nur für die Widerlegung der angeblich in diesen Artikeln enthaltenen These des ökonomischen Niedergangs der USA. Seine Methode ist die des Prokrustes. Dieser Held einer griechischen Sage hielt alle vorbeigehenden Wanderer an und spannte sie auf sein Bett. Diejenigen, die kürzer als sein Bett waren „längte“ er, diejenigen, die länger waren „verkürzte“ er. Pentek will Argumente gegen einen ökonomischen Niedergang der USA vortragen und benutzt dazu meinen und Schröders Artikel und verkürzt, verlängert deren eigentlichen Inhalt auf das, wogegen er argumentieren will. Er führt aber nur einen Kampf gegen seine eigenen Windmühlenflügel. Ehrlicher wäre, Pentek hätte direkt einen Artikel zum Nachweis der ökonomischen Überlegenheit der USA geschrieben.