Der ökonomische Niedergang der USA

Von Dieter Pentek

Im Zusammenhang mit der Begründung für den Krieg der USA gegen den Irak von 2003 wird in den AzD und dem Forum der „Kommunistischen Debatte“ vor allem auf den angeblichen ökonomischen Niedergang der USA hingewiesen. Dieser soll Ursache für die USA sein, ihre Vorherrschaft in der Welt durch die Eroberung der Erdölquellen und damit des Energiequells der Welt sicherzustellen. („Die Haupttriebkraft der Cheney-Bush-Politik ist in dem ökonomisch-gesellschaftlichen Niedergang der USA zu suchen (…)“. So Heiner Karuscheit in den AzD 72, S. 4. Weitere Verweise zu bringen, würde den Umfang dieses Textes sprengen.) Im Folgenden werden die der Einschätzung vom ökonomischen Niedergang der USA zu Grunde liegenden Angaben kurz überprüft.

Die Produktivität

In den AzD 72 sowie in der „Kommunistischen Debatte“ hat sich Martin Schlegel der Entwicklung der USA zugewandt und diese unter drei Gesichtspunkten untersucht. Hier wird seinem Aufbau gefolgt.

Bei der Untersuchung des Produktivitätswachstums zwischen 1995 und 2000 kommt Schlegel zu folgendem Resümee: „Sie (die amerikanischen Produktivitätsraten) liegen von 1995 bis 2000 nicht so deutlich über dem Rest der OECD, dass ein qualitativer Unterschied erkennbar wäre“. Also die Tatsache, dass die amerikanischen Produktivitätsraten nicht deutlich über dem Rest der OECD lagen, beweist, dass die amerikanische Produktivität hinter dem Rest der Welt zurückbleibt. Ist nicht vielmehr die von Schlegel ja selbst bemerkte Gegebenheit der größeren amerikanischen Produktivitätsraten Ausdruck für die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit der USA? Hier wird, man muss schon sagen reichlich unverfroren, eine Tatsache, die man selbst herausgefunden hat und trotz langatmigster Erklärungen und Beschwörung von Statistikverfälschungen nicht wegdiskutieren kann, einfach zur Begründung für die Behauptung des Gegenteils benutzt.

Die Arbeitslosenquote

„Die amerikanische Arbeitslosenstatistik ist nicht sehr verlässlich und verliert bei Berücksichtigung der Haftrate einiges von ihrem Glanz.“ So Schlegel. Die Arbeitslosenquote in den USA ist bedeutend geringer als in Deutschland und kaum größer als in Japan. So kommt Schlegel auf den Gedanken, die Zahl der Häftlinge in den USA den Arbeitslosen zuzurechnen und kommt damit auf höhere Werte – und auch dann kommt er nur auf den gleichen Prozentsatz wie in Deutschland. Ausgehend von dem eher humoristischen Ansatz, Häftlinge den Arbeitslosen zuzurechnen, könnte man für die deutsche Arbeitslosenstatistik folgende Aussage treffen: „Die deutsche Arbeitslosenstatistik ist nicht sehr verlässlich und wird unter Berücksichtigung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, vom Arbeitsamt finanzierten Umschulungen und der in Deutschland bestehenden Wehr- und Zivildienstpflicht noch mieser.“

Die Finanzlage der USA

Hier besorgt sich Schlegel zum Einen über die sinkende Sparquote der privaten Haushalte in den USA. Bei unserem eurozentrischen Weltbild sollte aber nicht übersehen werden, das die US-Amerikaner nicht durch Fürsten und sonstige Grundherren zum Abliefern ihrer Spargroschen in Sparkassen und dergleichen erzogen wurden, sondern die Sparquote in den USA schon immer bedeutend niedriger war als in Europa. Sie sind trotzdem ökonomisch vorherrschende Macht geworden. Und wie er später ja auch feststellt: die US-Amerikaner sparen halt riskanter – indem sie ihr Geld in Aktien anlegen.

Auch der Anstieg der Verschuldung der amerikanischen Haushalte gibt Schlegel zudenken. Nach seinen eigenen Angaben ist der Anstieg der Verschuldung in Deutschland aber wesentlich höher als in den USA: von 44 % auf 69 %, also um über 50 %, in den USA aber nur von 76 % auf 90 %, also um weniger als 20 %. Welche Wirtschaft sollte dann gemäß Schlegelscher Definition im Abschwung sein?

Dann die Verschuldung der öffentlichen Haushalte! 6 Billionen US-Dollar ist die Schuldenlast der gesamten öffentlichen Haushalte in den USA, das sind mehr als 20.000 Dollar pro US-Bürger. Die FTD vom 2. Mai 2003 gibt an Staatsschulden der USA 6365,38 Mrd. Euro an, was bei 288,6 Mio. Einwohnern 22.056 Euro pro Einwohner ausmacht. Die Werte für Deutschland: 1263,22 Mrd. Euro Schulden, 83,3 Mio. Einwohner, 15.164 Euro pro Einwohner. Die Euro-Zone: 4627,83 Mrd. Euro, 303,9 Mio. Einwohner, 15.228 Euro pro Einwohner. Japan: 6007,32 Mrd. Euro, 127,3 Mio. Einwohner, 47.190 Euro pro Einwohner. Japans Verschuldung übertrifft die der USA um das Doppelte pro Einwohner, wogegen die Verschuldung Deutschlands und der Euro-Zone immer noch etwa 65 % derjenigen der USA ausmacht. Hieraus könnte man ein Indiz für den ökonomischen Niedergang der USA konstruieren.

Verlassen wir nun Martin Schlegel, der außer dem ständigen Vorwurf von geschönten Bilanzen, auf welche die anderen Nationen, dumm wie sie sind, hereinfallen, und verschiedensten Mutmaßungen über den Verlauf der Zukunft nur die hohe Pro-Kopf-Verschuldung der USA als Beweis für die Katastrophentheorie anführen kann.

Alfred Schröder führt in den AzD 72, S 8, „amerikanisches Außenhandelsdefizit“ und „US-Staatsverschuldung in astronomischer Höhe“ als Anzeichen für den „unübersehbaren Niedergang der USA“ an.

Das Außenhandelsdefizit der USA ist keine Erscheinung der letzten zehn Jahre. Meines Wissens nach existiert dies seit mindestens 1980 fast durchgehend und wird von der bürgerlichen Ökonomie auch gegenwärtig nicht als Besorgnis erregend angesehen. So schreibt die KfW in einer Internet-Veröffentlichung, dass die „Verschuldungssituation noch komfortabel“ sei, und da ein Großteil der Schulden auf Dollar lautet, können die USA sie in eigener Währung begleichen. Darüber hinaus sollte bei jeder Bewertung berücksichtigt werden, das die USA nur 10 % ihres BSP im Außenhandel erwirtschaften. In Deutschland sind es 30 %.

Die „astronomische Höhe“ der US-Staatsverschuldung relativiert sich sofort, wenn man sie in Relation zu ihrem Bruttosozialprodukt setzt. Sie macht nämlich nur 57,6 % davon aus, wogegen die deutsche Staatsverschuldung bei 59,8 % liegt, die Euro-Zone auf 69,1 % und Japan gar auf 132 % kommt. Der Schuldenberg schrumpft schlagartig und wird gar zu einem kleinen Loch!

Das Bruttosozialprodukt

Erstaunlich ist, dass alle Katastrophentheoretiker beim Sammeln von Beweisen Angaben zum Bruttosozialprodukt geflissentlich umgehen. Dabei ist dies ja der eigentliche, summarische Ausweis für die Leistungsfähigkeit und Produktivität einer Volkswirtschaft. Der Wert der erzeugten Güter wird in diesem Wert ausgedrückt. Setzt man ihn in Beziehung zur Erwerbsquote, so erhält man den Wert der erzeugten Güter pro Beschäftigten. Für die USA beträgt dieser Wert 51.123,80 Euro pro Jahr, Deutschland 33.996,10 Euro, Euro-Zone 31.754,80 Euro, Japan 46.069,80 Euro. Setzt man bei den USA eine Jahresarbeitszeit von 1904 Stunden an, so produziert ein beschäftigter US-Amerikaner pro Stunde einen Gegenwert von 26,85 Euro. Der deutsche Beschäftigte produziert bei Berücksichtigung der westdeutschen Jahresarbeitszeit von 1592 Stunden 21,35 Euro. Der US-Amerikaner produziert also pro Stunde immer noch 25 % mehr an Wert als sein deutscher Kollege.

Kurz gesagt: der Niedergang der US-Ökonomie ist noch in weiter Ferne. Sie steht immer noch in voller Blüte, zumindest in Relation zu den anderen kapitalistischen Staaten. Hier einen Kriegsgrund für die USA zu suchen, ist schlicht unmöglich. Das kann nur bei völliger Verkennung der Tatsachen oder der Betrachtung einzelner herausgepickter Kennziffern gelingen. Betrachtet man mehrere Kennziffern ohne bewusste Verdrehung von Tatsachen, muss man zu dem Schluss kommen, das hier einfach kein Kriegsgrund gefunden werden kann.

Nochmal zu Martin Schlegel

In den AzD 72, S. 28, schreibt Schlegel: „Der Haushaltsüberschuss der US-Regierung wurde für das Jahr 2001 auf 3,55 Billionen US-Dollar beziffert, wobei er außerhalb der Sozialversicherung vermutlich 0,84 Billionen Dollar betragen wird.“ (Die New Economy der USA: Krisenfreier Kapitalismus? Quellenangabe: Sachverständigengutachten 2001) Auf die Originalquelle habe ich keinen Zugriff, aber nach Martin Thunert, Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftspolitik in den USA unter der Clinton Administration, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“, S. 24: „Insgesamt beläuft sich der Etatüberschuss der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts somit auf 4,19 Billionen US-Dollar.“

Der Unterschied zwischen einer Dekade und einem Haushaltsjahr scheint mir doch so bedeutend, dass er nicht unerwähnt bleiben sollte. Inwieweit der Fehler im Original der bei Schlegel angegebenen Quelle liegt, kann ich nicht beurteilen – siehe oben. Ob Schlegel dies in seinem Internetartikel berichtigt hat, kann ich auch nicht beurteilen – die Webseite ist – mal wieder – nicht erreichbar.

Im Haushaltsjahr 2000 machte der Überschuss 211 Milliarden US-Dollar, also 0,211 Billionen Dollar aus. Im Juni 2000 hatte das Weiße Haus einen Etatüberschuss von 1,47 Billionen Dollar für die nächste Dekade prognostiziert, ausschließlich 0,4 Billionen Überschuss aus der staatlichen Gesundheitsfürsorge, sowie ausdrücklich, wieder nach Thunert: „Nicht enthalten sind in dieser Berechnung die Überschüsse des Sozialversicherungstrustfonds, somit der staatlichen Rentenversicherung. Diese belaufen sich auf 2,3 Billionen US-Dollar für die nächste Dekade.“

Die Diskrepanz zwischen Schlegel, nämlich 2,71 Billionen US-Dollar Überschuss aus den Sozialversicherung im Jahre 2001, und Thunert, nämlich 2,7 Billionen US-Dollar Überschuss aus der Sozialversicherung in der ersten Dekade, ist angesichts der Übereinstimmung der Zahlen in der falschen Angabe des betreffenden Zeitraumes zu finden.

Wie schon die AzD-Artikel von einem gewissen Kolja Wagner zum Faschismus zeigt auch Martin Schlegel, dass der Umgang mit Zitaten nicht zu den Stärken der AzD-Autoren gehört. Selbst wenn der Fehler im Original so vorhanden sein sollte, müsste angesichts der Tatsache, dass der US-Staatshaushalt 2000 insgesamt nur knapp 2 Billionen US-Dollar insgesamt ausmacht, ein Überschuss von ca. 200 % dem Autor eigentlich zu denken gegeben haben. Doch wie gesagt: Zitieren scheint nicht die Stärke der AzD-Autoren zu sein.

Letzte Änderung: 21.03.2016