Der Ukraine-Krieg hat alle politischen Kräfte auf den Prüfstand gestellt. Für die deutsche Bourgeoisie bedeutete er den kompletten Zusammenbruch ihrer außen- und militärpolitischen Strategie, die im Zeichen der „gemeinsamen Sicherheit mit Russland“ darauf zielte, sich im Zeichen der Entspannung langsam aus der nukleargestützten US-Hegemonie herauszuschleichen (siehe den Artikel über die „traurige Gestalt“ der deutschen Bourgeoisie in dieser Ausgabe). Erneut eingebunden in die Nato-Gefolgschaft der USA und zur Aufrüstung genötigt, gleichzeitig herausgefordert durch Frankreichs Forderung nach „strategischer Autonomie“ Europas, gespalten zwischen Atlantikern und Nicht-Atlantikern, irrt diese Bourgeoisie seitdem auf der Suche nach einem neuen sicherheitspolitischen Konzept ziellos umher – ein Bild des Jammers.
Wie hat demgegenüber die Linke die Probe des Kriegs bestanden, insbesondere ihr kommunistischer Flügel? Während die einen das Verhältnis zur Nato neubestimmen wollen, beschwören andere Wiedererstarken des deutschen Imperialismus herauf und rühmen wieder andere den mit großrussisch-imperialen Zielen geführten Krieg Putins als Einsatz für eine multipolare Weltordnung. Für die Niederlage beider Seiten in diesem allseits reaktionären Krieg einzutreten, wie Lenin das im 1. Weltkrieg tat, taucht bestenfalls als Randerscheinung auf. Die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und Nationen als Kernpunkt für einen Frieden zwischen beiden Seiten wird durchgängig umschifft, und statt den Austritt Deutschlands aus der Nato ins Zentrum zu rücken, gibt man sich mit Parolen des Pazifismus zufrieden. Mit anderen Worten: Die Linke hat es geschafft, den erbärmlichen Auftritt der in sich zerstrittenen deutschen Bourgeoisie noch zu übertreffen.
Und die AzD? Im Gegensatz zur Orientierungslosigkeit dieser Linken, die immer weiter nach rechts abdriftet – gerade auch der kommunistische Flügel –, haben unsere Autoren zur Einschätzung des Kriegs von Beginn an eine Position des revolutionären Defätismus bezogen, deren Richtigkeit sich seither bewiesen hat. In den Artikeln dieser Ausgabe kann unsere Leserschaft sich davon ein eigenes Bild machen.
In dem Beitrag „Ein falsch verstandener Lenin“ kritisiert A. Schröder die Unsinnigkeit, den Ukraine-Krieg anhand eines von Lenin aufgestellten Kriterienkatalogs des Imperialismus zu beurteilen, und befasst sich sodann näher mit der Imperialismustheorie. Ausgehend von Karl Kautsky und Rudolf Hilferding untersucht er die Imperialismusdebatte, die vor und während des 1. Weltkriegs von den Marxisten geführt wurde. Er kommt zu der Schlussfolgerung, dass die damals entstandene Imperialismustheorie – einschließlich der von Lenin vertretenen Variante – auf eine falsche ökonomische Theorie der II. Internationale“ zurückzuführen ist, „aus der sich sehr unterschiedliche politische Schlussfolgerungen – reformistische wie revolutionäre – ziehen lassen“.
Abschließend geht Rainer Werning in dem Artikel über die Einkreisung Chinas auf die aktuelle Hauptstoßrichtung der imperialistischen Politik Washingtons ein, die der deutschen Bourgeoisie über den Ukraine-Krieg hinaus bereits heute heftige Kopfschmerzen bereitet.