Die Kapitalisierung der UdSSR und einiges zum Untergang des Realsozialismus

K.H.Goll 25.10.2022

Diese Zeilen erfüllen allein schon der Kürze wegen nicht den Anspruch einer umfassenden Analyse. Sie widersprechen vor allem den Ansichten vieler Linken, welche das Ende einer sozialistischen UdSSR auf das Jahr 1989 datieren und/oder den imperialistischen Charakter des heutigen Russland leugnen. Die Konterrevolution begann nämlich bereits in den 60-iger Jahren.

Ein etwas längerer Exkurs befasst sich mit der Politik von kommunistischen Parteien zum Kleinbürgertum, zur Kleinproduktion mit der Folgerung (Hypothese), dass eine diesbezüglich vielfach falsche (idealistisch-voluntaristische) Politik stark zum historischen Untergang des Realsozialismus beigetragen hat. Mit der Kapitalisierung der UdSSR begann der Untergang des gesamten realsozialistischen Lagers mit all seinen Varianten, sozusagen das historische Scheitern des ersten kommunistischen Anlaufs der Menschheit.

 

Der russische Kapitalismus vor 1917

Dazu hat Lenin zwischen 1896 bis 1899 umfangreiche Untersuchungen angestellt und unter dem Titel „Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland“ auf über 600 Seiten zusammengestellt. Dazu sei hier auf den Band 3 der Werke Lenins [1]) verwiesen.

(Dieser Text muss sich vielfach auf Lenin beziehen, weil dieser zweifellos der Theoretiker war, der die Strategie und Taktik der ersten zunächst erfolgreichen sozialistischen Revolution maßgeblich und entscheidend bestimmte.)

Russland befand sich vor der Revolution in einer Phase, die Lenin 1893 [2] folgendermaßen umschrieb: „… Ablösung der Naturalwirtschaft durch die Warenwirtschaft und der Warenwirtschaft durch die kapitalistische Wirtschaft …“ und: „Verarmung des Volkes –  Wachstum des Kapitalismus – Erweiterung des Marktes – Entwicklung und Vertiefung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung…

 

Das Wertgesetz*) im Sozialismus

*) Das Wertgesetz lautet: Die Substanz des Werts ist und bleibt nichts anderes außer verausgabter Arbeitskraft. Marx: „Wert ist nichts als „festgeronnene Arbeit“. Im entwickelten Kapitalismus wirkt das Wertgesetz nicht mehr in der einfachen Weise wie in der einfachen Warenproduktion. Es wirkt modifiziert über die sogenannten Produktionspreise, bei denen die allgemeine Profitrate des gesellschaftlichen Gesamtkapitals den Zuschlag zu den Kostpreisen der Einzelkapitalien bestimmt – um so mehr, je mehr die kapitalistische Warenproduktion und Vergesellschaftung vorherrschen. Zur allgemeinen Profitrate – „ein nie festzustellender Durchschnitt ewiger Schwankungen“ (Marx) –[3] siehe auch https://kommunistische-debatte.de/wp-content/uploads/Artikel-Imp-2022-1.pdf.

 

Im sowjetischen „Lehrbuch der politischen Ökonomie“ [4], das 1954 (1 Jahr nach dem Tod Stalins) erschien, hieß es in Bezug auf dessen Schrift zu den „Ökonomischen Problemen des Sozialismus in der UdSSR“ [5]:

    • das Wertgesetz besteht und wirkt (seinerzeit) in der UdSSR;
    • seine Wirkungssphäre erstreckt sich auf die Warenzirkulation, vor allem auf den Austausch von Waren des persönlichen Konsums und bewahrt hier innerhalb bestimmter Schranken die Rolle des Regulators;
    • und weiter (Zitat): „Aber die Wirkung des Wertgesetzes ist nicht auf die Sphäre der Warenzirkulation beschränkt. Sie erstreckt sich auch auf die Produktion. Allerdings hat das Wertgesetz in unserer sozialistischen Produktion keine regulierende Bedeutung, aber immerhin wirkt es auf die Produktion ein, und das darf man bei der Leitung der Produktion nicht außer acht lassen. Es handelt sich darum, dass für die Konsumtion bestimmte Produkte, die für die Deckung des Aufwands an Arbeitskraft im Produktionsprozeß notwendig sind, bei uns produziert und realisiert werden als Waren, die der Wirkung des Wertgesetzes unterliegen. Hier zeigt sich gerade die Einwirkung des Wertgesetzes auf die Produktion. Im Zusammenhang damit haben in unseren Betrieben Fragen wie die der wirtschaftlichen Berechnung und der Rentabilität, der Selbstkosten, der Preise u. dgl. m. aktuelle Bedeutung. Deswegen können und dürfen unsere Betriebe nicht ohne Berücksichtigung des Wertgesetzes auskommen.
    • Der Wirkungsbereich des (Mehrwert-)gesetzes wird immer mehr eingeschränkt.
    • Für die Produktionsmittelindustrie, die Schwerindustrie gilt jenseits des Wertgesetzes „das Gesetz der planmäßigen (proportionalen) Entwicklung der Volkswirtschaft“ nach den Plänen der KPdSU. Danach wird „…die Rentabilität nicht vom Standpunkt einzelner Betriebe oder Produktionszweige und nicht in der Perspektive eines Jahres, sondern vom Standpunkt der gesamten Volkswirtschaft und in der Perspektive, sagen wir, von zehn bis fünfzehn Jahren…“

So weit zur offiziellen ökonomischen Konzeption der Sowjetunion bis zum Anfang der 50-iger Jahre des letzten Jahrhunderts. Für den Übergang zum Kommunismus sah man eine historisch lange Entwicklungsperiode für unumgänglich, ohne „leichtsinnige Übereilung“, in der eine Reihe von Voraussetzungen erreicht werden müssten.

So nannte G. Malenko, der auf dem 19. Parteitag der KPdSU 1952 den Rechenschafts­bericht des ZK vortrug [6], folgende Bedingungen für die „Vorbereitung des Übergangs zum Kommunismus“:

    • das bevorzugte Wachstum der Produktion von Produktionsmitteln;
    • durch allmähliche Übergänge das Eigentum der Kolchosen auf das Niveau des allgemeinen Volkseigentums zu heben, die Warenproduktion einzuschränken und allmählich durch ein System des Produktenaustauschs zu ersetzen;
    • ein hohes kulturelles Wachstum, eine allseitige Entwicklung der physischen und geistigen Fähigkeiten und der Bildung;
    • dazu müssen der 6-Stundentag, eine Verbesserung der Wohnverhältnisse von Grund auf, eine Verdoppelung der Reallöhne erreicht werden;
    • Letztenendes müssen die Gegensätze zwischen Stadt und Land sowie von körperlicher und geistiger Arbeit aufgehoben werden.

All das wurde mit dem 20. Parteitag 1956 unter Chruschtschow im Wesentlichen ignoriert und über Bord geworfen. Dabei muss man nicht – wie maoistische Kritiker – von einer bösartigen Verschwörung ausgehen. Vielmehr kamen idealistische, voluntaristisch-ultralinke Tendenzen zum Durchbruch, die schon seit Jahrzehnten in der kommunistischen Bewegung eine Rolle gespielt hatten.

 

„Kommunistischer Idealismus“ bzw. Voluntarismus

Diese Form des Idealismus bedeutet nicht die Erklärung des Geistigen, der Ideen, zur Ursache aller Erscheinungen und Entwicklungen (etwa nach dem Satz: „am Anfang war das Wort …“ – Joh.1/1) oder dass die Wirklichkeit auf Ideen basiert oder dass die reale Welt nur als Objekt des Bewusstseins existiert. Das alles nicht (bzw. weniger). Dagegen geht es um die  Überhöhung eines ideologisch begründeten Willens per Parteibeschlüssen zum Agens  der Gesellschaft – losgelöst von bzw. im Widerspruch zu objektiven, materiellen Bedingungen. Beispielsweise u.a., indem man vom Willen der Menschen unabhängige ökonomische Gesetze jenseits der objektiven Voraussetzungen per Beschlüssen willkürlich übergehen, gar abschaffen oder neue Gesetze erfinden kann.

Ein solcher Idealismus zeigte sich auch z.B. in der deutschen Novemberrevolution und danach: Die Revolutionäre, die für die Ideale einer sozialistischen Republik nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution kämpften, blieben in der Rätebewegung eine Minderheit. Sie unterschätzten die noch unerledigten Aufgaben der bürgerlichen Revolution, die für den Sozialismus „unreife“ Klassenstruktur und die Aktionsfähigkeit  der sozialdemokratisch geführten Konterrevolution. Lenin kritisierte (teilweise) den zugrundeliegenden linken Radikalismus der deutschen Revolutionäre [7]. Die KPD mit ihrem fortdauernden linken Sektierertum und ihrem Voluntarismus, die die Ideen von Sozialismus und Diktatur des Proletariats als unmittelbar auf der Tagesordnung verfolgte, konnte Massen rückständiger Arbeiter, Bauern und Millionen anderer kleiner Warenproduzenten nicht gewinnen und wurde letztlich vom Nazi-Faschismus überrollt.

 

Die voluntaristische Politik zu Kleinproduktion und  Kleinbürgertum

Lenin: „… die Kleinproduktion aber erzeugt unausgesetzt, täglich, stündlich, elementar und im Massenumfang Kapitalismus und Bourgeoisie. Aus allen diesen Gründen ist die Diktatur des Proletariats notwendig …“  (Lenin, „Der  „linke Radikalismus …“ – [7]).

Lenin prägte schärfste Worte gegen das  Kleinbürgertum und dessen Parteien während der Zeit der Doppelherrschaft bis zur Revolution wie z.B. noch im April 1918: „Wir haben einen außerordentlich gefährlichen geheimen Feind, der gefährlicher ist  als viele offene Konterrevolutionäre: dieser Feind – ein Todfeind der sozialistischen Revolution und der Sowjetmacht … ist die Elementargewalt des Kleineigentümers“ [8]. Oder ebenda, S. 331: „… der Sieg über Unordnung, Zerrüttung, Schlamperei ist wichtiger als alles andere, denn das Fortbestehen der kleinbesitzerlichen Anarchie ist die größte, die schlimmste Gefahr …“ .

Eine für sämtliche sozialistischen Anläufe letztlich verhängnisvolle Konsequenz einer Kanonisierung bzw. Dogmatisierung solcher Sätze war eine falsche Politik gegenüber dem Kleinbürgertum als Ausdruck des „kommunistischen Idealismus“ bzw. Voluntarismus in den Ländern nach der kommunistischen Machtübernahme. Man berief sich auf  solche Zitate, um die Kleinproduktion zu bekämpfen und sie in „leichtsinniger Übereilung“ schnellstmöglich ohne Rücksicht auf verheerende Folgen einzudämmen bis abzuschaffen.

Nach der relativen Stabilisierung der Sowjetmacht und dem Übergang zur „neuen ökonomischen Politik“ (NÖP) hatte sich die Lage entscheidend geändert, so dass sich (notwendigerweise) die Haltung zum Kleinbürgertum ändern musste – laut Lenin:

„Man muss es verstehen, die am wenigsten proletarischen,  die am meisten kleinbürgerlichen Schichten der Werktätigen, die sich uns zuwenden, für uns zu gewinnen … Die Losung des Tages ist nicht ihre Bekämpfung, sondern ihre Gewinnung …“ (Nov. 1918 – [9]).

Dies schrieb Lenin noch weit vor dem Übergang zur „Neuen ökonomischen Politik“ (NÖP). Zu dieser grundsätzlichen politischen Wende hieß es 1921 in radikaler Selbstkritik: „… begingen wir den Fehler, dass wir beschlossen, den unmittelbaren Übergang zur kommunistischen Produktion und Verteilung zu vollziehen“ [10]. In der Landwirtschaft hatte die „kommunistische“ rigorose Ablieferungspflicht schwere Hungersnöte verschärft; sie wurde abgeschafft und durch eine Naturalsteuer ersetzt. So musste sich die Politik zu den (kleinbürgerlichen) Bauern grundlegend  ändern.

In den „Aufsätzen zur Diskussion“ (AZD Nr. 85 – [11]) hieß es: „Der Preis für die proletarische Macht war eine antikapitalistische, rückwärtsgewandte Agrarrevolution, die jeden direkten Weg zur sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft versperrte.“ Dazu lässt sich einfach nur sagen: es ging nicht anders. Ein direkter (voluntaristischer) Weg wäre der „leichtsinnig übereilte“ direkte Weg in den Abgrund gewesen, der sich vor der Wende zur NÖP aufgetan hatte.

Die Leninsche Haltung zum Kleinbürgertum erscheint janusköpfig, sie ist widersprüchlich – einerseits definiert er es zum Todfeind des Sozialismus, andererseits zum zu gewinnenden Bündnispartner der Arbeiterklasse. Beides ist höchstens halbwegs erklärlich, wenn man die jeweilige politische Lage, die jeweils konkrete materielle Situation berücksichtigt. Es ging einerseits im Wesentlichen um den Kampf gegen die konterrevolutionäre Rolle kleinbürgerlicher Parteien (Sozialrevolutionäre, Menschewiki) in der Zeit um den Oktober 1917, andererseits um die Bündnispolitik nach der Revolution. Die Bündnispolitik mit den Bauernmassen und kleinbürgerlichen Schichten war zwingend notwendig für sämtliche (real-)sozialistischen Länder nach der Machtübernahme kommunistischer Parteien. Eine abrupte Abdrosselung der Kleinwirtschaft mit dem Übergang zu einer komplett planwirtschaftlichen, verstaatlichten  Produktion und Verteilung war ohne katastrophale Folgen vollkommen unmöglich.

Auch im „Linken Radikalismus“ [7]  ergänzte Lenin wenige Absätze nach dem obigen Zitat in Bezug auf die „nichtproletarischen werktätigen Massen“ , dass diese „durch die Richtigkeit der politischen Führung … durch eigene Erfahrung …“ überzeugt werden müssen.

Die kleinbürgerlichen Schichten (Bauern, Händler, Handwerker, Kleingewerbetreibende) üben bis heute – und betrieben erst recht in der nachrevolutionären UdSSR, wie in allen ehemals sozialistischen Ländern – eine auf historisch lange Zeit unverzichtbare Warenproduktion für den Austausch von Waren des persönlichen Konsums  und persönlicher Dienstleistungen – siehe dazu das obige Kapitel „Das Wertgesetz im Sozialismus“.

In den kapitalistischen Ländern vollzog und vollzieht sich mit der stürmischen Produktivitätsentwicklung, der Industrialisierung und Konzentration ein zahlenmäßiger Schrumpfungsprozess kleinbürgerlicher Betriebe, der bei den Bauern am drastischsten ausfiel. In der BRD sank allein seit 1975 die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe von ca. 1 Million auf weniger als 300.000. Auch die Zahl beispielsweise von Einzelhändlern, handwerklichen Bäckern und Metzgern nimmt kontinuierlich ab. Das geschieht in einem jahrzehntelangen, durch Krisen jeweils beschleunigten historischen Prozess, in dem aber zugleich neue Industrien, „Start-up´s“ und ein anschwellender Dienstleistungssektor neue Arbeitsplätze „geschaffen“ haben.

Kommunistischer Voluntarismus zeigte sich darin, durch vorzeitige „realsozialistische“ Formen der Kollektivierung und Verstaatlichung die Kleinproduktion abzuwürgen bzw. abzuschaffen, bevor überhaupt die notwendigen Voraussetzungen (Produktivität, Produktionsmittel, Produktionsver­hältnisse, Bildungsstand … – s. Zitat Malenko oben [6]) ausreichend entwickelt waren.

Als konkretes Beispiel sei nur die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR genannt: die Gründung der LPG´s erfolgte als voluntaristische Kehrtwende nur wenige Jahre nach der Landaufteilung an Einzelbauern („Junkerland in Bauernhand“) ohne ausreichend vorhandene Produktionsmittel zur Bewirtschaftung großer zusammengelegter Flächen und ohne überzeugte „Fachkräfte“ in ausreichender Zahl mit der Folge, dass Subbotniks, gar Schulklassen bei der Ernte aushelfen mussten, damit nicht z.B. die Kartoffeln auf den Äckern verfaulten.

Die Folge der voluntaristischen Verstaatlichungspolitik war eine stagnierende Mangelwirtschaft, die letztlich alle Staaten in allen Varianten des Realsozialismus ergriff. Hier können nur weitere Analysen angeregt werden, nicht nur zu den Folgen in der UdSSR und der Staaten des Warschauer Paktes, sondern ebenfalls derjenigen in Cuba, Albanien oder Nordkorea, auch in China als Sonderfall.

In der „Geschichte der Partei der Arbeit Albaniens“ [12] hieß es beispielsweise zur Periode des „vollständigen Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft unter den Bedingungen der imperialistisch-revisionistischen Blockade 1960 – 1965“:
„Durch die vollständige Überführung der wichtigsten Produktions- und Verkehrsmittel … in das Staatseigentum und durch die Vollendung der sozialistischen Kooperation der Landwirtschaft … verschwanden im allgemeinen die verschiedenen Formen der Wirtschaft und an ihre Stelle trat das einheitliche sozialistische Wirtschaftssystem. Im Jahre 1960 erzeugte der sozialistische Sektor 99% der gesamten Industrieproduktion, 80% der gesamten landwirtschaftlichen Produktion und etwa 90% des Nationaleinkommens; er umfasste ferner 100% des Großhandels und 90% des Kleinhandels.“

Die negativen Folgen versuchte der „kommunistische Idealismus“ durch permanente ideologische Kampagnen, durch moralische Mobilisierung und „sozialistische Erziehung“ bzw. Umerziehung der Massen zu bekämpfen, aber auch  durch eine umfassende Repression, wobei die STASI in der DDR als perfektioniertes Beispiel gelten kann. Man glaubte durch die „Hauptseite Ideologie“, durch die „allseitige erzieherische Tätigkeit der Partei“ Stagnation, Versorgungsmängel und ausbleibende Produktivitätsfortschritte bekämpfen zu können.

Die „große proletarische Kulturrevolution“ in China war die extremste Art einer solch idealistischen Kampagne. (Ein Relikt des Maoismus ist in Deutschland die MLPD mit ihrem Sisyphoskampf gegen das „System der kleinbürgerlichen Denkweise“, das laut der Vorsitzenden Gabi Fechtner („Rote Fahne“ Nr. 16/22) „inzwischen sogar zur hauptsächlichen Regierungsmethode wurde“ und dem man durch eine „systematische Umerziehung der kleinbürgerlichen Zwischenschichten zu einer proletarischen Denkweise durch praktische Zusammenarbeit“ laut Programm der MLPD zu Leibe rücken will.)

Die Kluft zwischen ideologischer Propaganda und einer zunehmend tristen Realität wurde immer größer. Nicht die „Überzeugung von der Richtigkeit der politischen Führung … durch eigene Erfahrung …“ wurde maßgeblich, sondern ideologische „Erziehung“ und verstärkte Repression gegen wachsende Unzufriedenheit und gegen die Verlockungen von „Freedom & Democracy“ der westlichen Konsumgesellschaften.

Als Fazit sei also hier die Hypothese aufgestellt, dass ein gemeinsamer Grund für das Scheitern sowohl des Chruschtschowschen Realsozialismus als auch seiner entschiedenen Gegner (insbesondere des China Mao Tse Tungs und Enver Hoxhas Albanien) die falsche, voluntaristische Politik gegenüber der Kleinproduktion war durch die vorzeitige Kollektivierung und Verstaatlichung ohne notwendige Voraussetzungen. Selbstverständlich kann dies nur ein – wenn auch sehr wichtiger – Einzelaspekt einer historischen Gesamtbetrachtung sein.

 

Die Arbeiterklasse im Realsozialismus

Zwischen der materiellen Lage der Arbeiterklasse im Realsozialismus unter den Bedingungen der stagnierenden Mangelwirtschaft einerseits – und der quasi staatsreligiösen sozialistischen Propaganda und moralischen Dauermobilisierung andererseits – entstand eine tiefe Kluft, eine große Entfremdung zwischen Arbeiterschaft und realsozialistischer Obrigkeit. Der Glaube an den „immer siegreichen Weg der Partei“ entschwand genauso wie der revolutionäre Enthusiasmus der frühen Jahre. Die Verhältnisse züchteten geradezu Antikommunismus, der natürlich vom Westen im Zuge der imperialistischen Konkurrenz im kalten Krieg massiv befeuert wurde. Eine Kette von Ereignissen markiert den Niedergang: 17. Juni 1953 in Deutschland; Ungarnaufstand 1956; Berliner Mauerbau 1961, Prager Frühling 1968; Solidarnosc in Polen 1980; Glasnost und Perestroika in Russland (zweite Hälfte der 80-iger Jahre) bis hin zur „Wende“, dem Bankrott 1989.

Eine historisch-politische Darstellung zu den „Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten des ersten Sozialismusversuchs in Deutschland“ bietet das Buch von Heiner Karuscheit: „Sozialismus ohne Basis“ [13].

 

Die Vielgestalt des Bürgerlichen

Laut Wikipedia wird das Bürgertum „charakterisiert durch den Erwerb bzw. die Wahrung von Besitz – und zwar Besitz von Rechten oder Besitz von materiellen Gütern oder Besitz von Bildung“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Bürgertum). Man muss hinzufügen, dass das bürgerliche Klassenbewusstsein ganz allgemein die Überzeugung einer grundsätzlichen Überlegenheit, ein elitäres Sendungsbewusstsein gegenüber den „unteren“ Schichten impliziert.

Hier spielen auch hinter der (notwendigen) Avantgarderolle der Kommunisten an der Macht die „Versuchungen“ eine Rolle, Privilegien zu beanspruchen und Machtmissbrauch, letztlich bürgerliches Verhalten an den Tag zu legen. Partei- und Staatsapparat waren selbstverständlich nicht  frei von den berühmten „Muttermalen“ des Kapitalismus. Es ist signifikant, dass in sämtlichen Parteitagsberichten und sonstigen Dokumenten realsozialistischer Parteien immer wieder vom „entschlossenen Kampf“ (in Worten) gegen all die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Relikte und Anfechtungen die Rede ist, während letztlich überall dieser Hydra immer wieder neue Köpfe wuchsen.

Besitzbürgertum im Kapitalismus, marxistisch die Bourgeoisie, ist die Klasse, die die Verfügungsge­walt über die gesellschaftlichen Produktionsmittel ausübt.

Vielfach wird behauptet, es hätte in der Sowjetunion keine aktive Bourgeoisie mehr geben können, weil die alte enteignet, alles verstaatlicht oder kollektiviert war und es also keinen individuellen Besitz an Produktionsmitteln mehr gab. Aber bereits im  Kapitalismus des 19. Jahrhunderts vollzog sich die Entwicklung vom Kapital besitzenden Bourgeois hin zu jenem, der nur noch Kapital verwaltet. Schon Marx schrieb von der „Verwandlung des wirklich fungierenden Kapitalisten in einen bloßen Dirigenten, Verwalter fremden Kapitals“ …  „die Aufhebung  des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst“ [14]. Es ist also kein Mysterium, dass sich im Zuge der Libermannschen Wirtschaftsreformen (s.u.) in der sowjetischen Wirtschaft eine entsprechende bürgerliche Schicht von Managern, „Verwaltern, bloßen Dirigenten“ der staatlichen Betriebe etablieren konnte.

 

Karrieristen des „großen Terrors“

Der Sturz der zaristisch/bürgerlichen Klassenherrschaft in Russland und der anschließende Bürgerkrieg mussten mit blutiger Gewalt durchgekämpft werden. Auch die Verteidigung des jungen sowjetischen Staates gegen die innere Konterrevolution, gegen imperialistische Interventionen und ausländische Agenten war selbstverständlich ohne revolutionäre Gewalt, Gefängnis, Verbannungen und Tod unmöglich.

In den 1930-iger Jahren eskalierte allerdings ein Wahn, als Hybris des „kommunistischen Idealismus“ in der KPdSU, man könne in kurzer Zeit die Bourgeoisie, die Vertreter des Zarismus, die Kulaken ebenso wie bürgerliche Elemente in der Partei durch „Säuberung“, Lager-Verbannung und Liquidationen vollständig vernichten und dagegen den „neuen Menschen schaffen“. Das war die Zeit des großen Terrors. Und damit öffnete sich die Hintertür für bürgerliche Elemente in neuer Gestalt.

Denn man muss das Auftauchen des (Neu-)bürgerlichen in der KPdSU auch von einer ganz anderen Seite her konstatieren, die in allen bisherigen Debatten kaum eine Rolle gespielt hat: Im Zuge der Säuberungen des „großen Terrors“ der 30-iger Jahre wurde ein Typus skrupelloser Karrieristen geradezu gezüchtet. Es waren Leute, die eine bedingungslose Linientreue an den Tag legten, stets und höchst geschmeidig den Mantel nach dem Wind hängten und sich ebenso im Personenkult gegenüber Stalin geradezu überschlugen. Gleichzeitig denunzierten sie Konkurrenten ihrer Karriere und lieferten sie ans Messer. Ein typischer Vertreter dieser Sorte war Nikita Chruschtschow, der sich bis ins enge Umfeld Stalins hocharbeitete und dessen Wohlwollen genoss. Zwei seiner Karrieresprünge folgten dem Erschießen seiner Vorgänger. Chruschtschow war einer der aktivsten Betreiber des großen Terrors in Spitzenämtern.

Das Bürgerliche hatte also auch in Gestalt solcher skrupellosen Karrieristen im Partei- und Staatsapparat Fuß gefasst. Ihre 150-%-ige Linientreue äußerte sich in idealistischen Vorstellungen vom baldigen Übergang zum Kommunismus, einer weitestgehenden (bürokratischen) Verstaatlichung, dem Erlöschen des Klassenkampfes, dem „gesetzmäßig“ unaufhaltsamen Sieg des sozialistischen Lagers und dem baldigen Zusammenbruch des Kapitalismus.

Das Programm der Chruschtschowianer

Man glaubte mit raschen administrativen Schritten dem Kommunismus näher zu kommen. So wurde bereits am 14. April 1956 mit einer Verordnung des ZK und des Ministerrats der KPdSU beschlossen, die Genossenschaften (Kooperative) des Handels und der Industrie „in die Zuständigkeit der staatlichen Stellen“ zu überführen, sprich zu verstaatlichen. (Das entsprechende Dokument ist auf russisch unter  https://docs.cntd.ru/document/901704896 zu finden.)

Der Autor Sava Djahov führt dazu in einem Artikel  der „AZD Nr. 93“ [15] weiter aus:

„Zu diesem Zeitpunkt wurden (noch) ungefähr 33% der Textilwaren, 40% der Möbel, 70% der Küchengeräte aus Metall und alles Spielzeug … von Genossenschaften hergestellt.“

Die Verstaatlichung ergriff auch kleine Einzelunternehmungen (Kleinhändler. Handwerker, Reparatur­dienste etc.). Mit Ausnahme des Agrarsektors wurde demnach „unter Chruschtschow praktisch die gesamte Wirtschaft der UdSSR verstaatlicht“ [15].

All das wurde als Fortschritt auf dem Übergang zum Kommunismus propagiert, während grundsätzliche Voraussetzungen (Malenko – s.o. [6]) dazu historisch überhaupt nicht erreicht waren. Als Ergebnis entstand durch die weitgehende Abschaffung der genossenschaftlichen Warenproduktion und der privaten Kleinwirtschaft durch ein ineffizientes Planungssystem ein chronischer Mangel an Konsumgütern, eine bürokratische Mangelwirtschaft.

Sava Djahov [15] beschrieb das so: „Die totale Verstaatlichung hat katastrophale Konsequenzen gehabt und meiner Meinung nach das Ende der Sowjetunion eingeleitet. … Chruschtschow hat im Grunde versucht, die chaotische wirtschaftliche Aktivität der Menschen zu systematisieren und durch zentrale „wissenschaftliche“ Planung zu ersetzen. Dadurch würgte er aber die Vitalität der sowjetischen Zivilgesellschaft ab, die bis dahin wirtschaftlich sehr aktiv war. Eben dadurch schufen Chruschtschows Reformen die Basis für die vielen Ineffizienzen, welche zuerst zu Stagnation und schließlich zum Niedergang der UdSSR führten.“

(Djahov sieht allerdings keine Alternative zur Marktwirtschaft, jedenfalls zu einer „weitgehend privatisierten, dezentral marktorientierten Abteilung II“. Er betrachtet ahistorisch die Marktwirtschaft „seit der Steinzeit“ als „natürliche Wirtschaftsform“ ohne Rücksicht auf die wirkliche Geschichte der Ware und des Geldes. Zitat Djahov: „Und die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, die zur Herausbildung des Kapitalismus geführt haben, stehen genauso wenig im Gegensatz zum Sozialismus. Im Gegenteil, im Sozialismus muss es darum gehen, Herr dieser Gesetzmäßigkeiten zu werden“ (was richtig ist) „und diese auf die Spitze zu treiben!“ Auch das Wertgesetz auf die Spitze, auch durch Libermann´sche Reformen auf die Spitze zu treiben? – Da fragt sich nämlich, wohin das letztlich führen soll bzw. geführt hat. Djahov kann sich anscheinend keine (historisch lange) Periode einer „Vorbereitung des Übergangs zum Kommunismus“ vorstellen mit einer Einschränkung und Zurückdrängung des Wirkungsbereiches des Wertgesetzes, einem Übergang zu einem System des Produktenaustauschs.)

 

Kapitalistische „Reformen“

Mit dem Anspruch, den Karren wieder flott zu bekommen, Versorgungsdefizite, Stagnation und mangelnde Produktivität zu überwinden, übernahmen nun „Reformer“, wie der Ökonom Libermann [16] die Regie – . Dessen Vorschläge liefen auf die Integration kapitalistischer Mechanismen wie die Motivation durch Profit in die Planwirtschaft hinaus. Libermann war aktiv an der Diskussion und Ausarbeitung der sowjetischen Wirtschaftsreformen von 1965 beteiligt.

Nebenher wurden die staatlichen Maschinen- und Traktorenstationen (MTS) den Kolchosen übereignet, so dass die wichtigsten landwirtschaftlichen Produktionsmittel wieder zu Objekten des Warenhandels wurden.

Mit dem XXII. Parteitag der KPdSU 1961 wurde ein „Programm des Kommunismus“ beschlossen, begleitet von „linken“ idealistischen Phrasen, die vom „Einholen und Überholen“ des Westens, vom „Gulaschkommunismus“ und einer kommunistischen Güterverteilung in wenigen Jahren schwärmten. Das Gegenteil trat ein – der Marsch in die  Abwärtsspirale war nicht mehr aufzuhalten.

 

Die Kapitalisierung Russlands

(Die nachfolgend kursiv gesetzten Zeilen sind Zitate aus [17]:)

Seit den 60-iger Jahren setzte sich in der KPdSU also das Gegenteil einer Zurückdrängung des Wert­gesetzes durch. Die marktwirtschaftlichen „Reformen“  hatten „unter der Form der allgemeinen Verstaatlichung der Betriebe“ – zunehmend bis zum Endstadium des Zerfalls der Sowjetunion – den staatlichen Betrieben „praktisch die Eigenhohheit über die Investitionsmittel, die Produktions­struktur, den faktisch freien Verkauf ihrer Erzeugnisse, die Verwendung des Gewinns, der Preisgestaltung verschafft, sodass die von ihnen erzeugten Produkte den Charakter von Waren besaßen, deren Preise man zwar zu regulieren suchte, die sich aber munter an die ihnen anhaftenden Kapital-Gesetzmäßigkeiten hielten. Die dem Staat zugedachte Rolle des Ausgleichs der Widersprüche der Warenproduktion  – welch letztere theoretisch geleugnet und mittels eines kaum zu übertreffenden Kauderwelschs marxistischen Gepräges verschleiert wurden – schlug jedoch in ihr Gegenteil um. Die mit der Warenproduktion verknüpfte Widersprüchlichkeit, die sich im Kapitalismus in wiederholten Krisen manifestiert, wurde – da der Markt sich nicht frei entfalten und die Krisen die Widersprüche nicht ausgleichen konnten – nicht etwa abgeschwächt, sondern im Gegenteil noch so weit verstärkt, dass das gesamte System kollabierte und sich in einem gewaltsamen und chaotischen Prozess die Form neu schuf, die der Warenproduktion adäquat ist: das private Eigentum an Produktionsmitteln.“  Auch in Form von kapitalistischen Unternehmen, Konzernen und Staatsmonopolen, die von neubürgerlichen „Verwaltern und Dirigenten“ gemanaged werden.

Die formal noch als Volkseigentum definierten Produktionsmittel rissen sich im vom Westen fürsorglich betreuten Chaos der Jelzin-Zeit clevere Parteikarrieristen, Führungskader in Wirtschaft, Chefs von Kombinaten und Betrieben, Geheim­dienstkader etc., Businessmen, Oligarchen  in der einen oder anderen Form unter den Nagel, die heute im Wesentlichen die bürgerliche Basis des russischen Imperialismus darstellen.

Zwischen den kapitalistischen (chruschtschow/libermannschen) „Reformen“ bis zum Systembankrott 1989 hatte die neue Bourgeoisie immerhin über 2 Jahrzehnte Zeit, sich auszubreiten, zu etablieren und die kapitalistischen Startlöcher für die Wende zu besetzen. Hinzu kamen die „skrupellosen Karrieristen“ aus Partei- und Staatsapparat sowie reliktäre altbürgerliche Elemente, die insgesamt nach 1989 bis heute nochmal 3 Jahrzehnte hatten, um sich  zu einer tollen Bourgeoisie auf der Basis einer „Marktwirtschaft vom Feinsten“ auszuwachsen, eines Systems von Oligarchen mit märchenhaftem Reichtum, durchsetzt von Korruption bis mafiösen Strukturen. Das gilt nicht nur hinsichtlich einer ökonomischen Klassenanalyse sondern auch im Hinblick auf Kultur und Ideologie. Man denke an an das neureiche Geprotze in der Baukultur, die nostalgische Wiederbelebung religiöser und kultureller Elemente  aus der Zarenzeit…

Allerdings gelang unter Putin eine gewisse soziale Stabilisierung – finanziert vor allem durch immense Rohstoff- und Energieexporterlöse – und ein deutlicher Aufschwung des Lebensstandards aus dem Wende-Chaos, was eine recht breite Unterstützung der Bevölkerung bewirkte. Auch eine gewachsene „Mittelschicht“ profitierte von dieser Entwicklung.

Sowohl der „heilig“ gesprochene Zarismus, die orthodoxe Religion, pan-russischer Mystizismus (von Ideologen wie Solschenyizin, I.J. Iljin bis A.G. Dugin), auch noch die Weltkriegs­zeit des großen vaterländischen Krieges werden zu einer großrussisch-nationalistischen Mixtur auf- bzw. wiederaufbereitet, von der sich auch Putin als ehemaliger KGB-Agent leiten lässt.

Die Kapitalisierung der Sowjetunion hatte also alles in allem einen jahrzehntelangen „realsozialistischen“ Vorlauf.

 

Der weitere Verlauf, grob skizziert:

Vor allem in der materiellen / gesellschaftlichen Lage der Menschen in den Staaten des Warschauer Paktes nach dem 2. Weltkrieg findet sich ein Schlüssel zur Erklärung der heutigen Konfrontationen. Im Vergleich zum relativ prosperierenden Westen wirkten sich die oben skizzierte Stagnation und Mangelwirtschaft nicht nur in der Sowjetunion, sondern selbstverständlich im gesamten „Ostblock“, aber auch in den übrigen als sozialistisch bezeichneten Ländern (Albanien, Cuba, Nordkorea, auch im Sonderfall China) aus.

Der offizielle „Marxismus-Leninismus“ war zu einer (idealistischen) Staatsreligion erstarrt, deren Himmel sich immer weiter und unglaubwürdiger von der grauen Realität abgehoben hatte. In den europäischen Ex-Ostblockstaaten strebten clevere Apparatschiks zusammen mit altbürgerlichen Kräften gen Westen, in die EU und NATO. Angezogen vom Glanz der westlichen Konsumgesellschaften und deren relativen Freiheiten folgten breite Massen der Bevölkerung dem westlichen Weg. Sie empfanden die Wende auch als Befreiung von der sowjetischen Vorherrschaft, die vielfach als russische Fremdherrschaft erfahren wurde. Sie besteht für den angewachsenen Nationalismus – siehe z.B. Ukraine, Polen oder Baltikum etc. – bis heute als Angstprojektion fort.

Während in einigen Staaten wie z.B. in Polen oder Tschechien ein relativ erfolgreicher kapitalistischer  Aufschwung eintrat, weisen andere postsowjetische Länder, wie sie einschl. Russland in der „Eurasischen Wirtschaftsunion“ zusammengeschlossen sind, z.T. stagnierende bis schillernde, autokratisch bis kleptokratisch geprägte Verhältnisse mit starker Ungleichheit, politischer Unterdrückung und inneren Konflikten mit prowestlichen Strömungen auf, wie beispielsweise in Belarus nach den letzten Wahlen oder in Kasachstan.

In Russland gelang es etatistischen Kräften unter Putin das teils vom Westen unterwanderte Chaos in eine Ordnung hin zu einer neu formierten (allerdings „prekären“) imperialistischen Macht zu überführen, mit einer Oligarchenwirtschaft – verbunden mit nationalistischer Tradi­tions­pflege. So hatte sich ein imperialistischer Konkurrent aus dem Gorbatschow-Jelzinschen Chaos aufgerappelt. Spätestens da sind USA&NATO zu ihrer Strategie der Osterweiterung ab 1999 übergegangen. Diese Strategie, z.B. von Zbigniew Brzezinski, dem ehemaligen Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter 1997 formuliert („Die einzige Weltmacht“ 1997) , enthielt ja den schönen Satz: „Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“ Gegenüber dem System Putin gingen USA&NATO zu ihrer antirussischen Strategie über, als begonnen wurde, den „Ausverkauf“ Russlands an den Westen zu stoppen, westlich orientierte Oligarchen und das Auslandskapital zurückzudrängen und (wieder) eigene imperialistische Interessen zu verfolgen.

Die Schäden der jahrzehntelangen Stagnation und des finalen Zusammenbruchs waren allerdings so immens, dass der russische Imperialismus in der Defensive steckt, ökonomisch sekundär, mit einem BIP in der Größenordnung Italiens und Militärausgaben von einem Bruchteil derjenigen der NATO – allerdings mit einem exquisiten hochtechnologischen bis atomaren Waffenarsenal. All diese Erblasten prägen die aktuelle imperialistische Gemengelage auch hinsichtlich des Ukraine-Krieges.

Russland als „prekäre“ imperialistische Macht steckt in einer (im Oktober 2022) hoffnungslos erscheinenden Sackgasse, in der durch die NATO-Osterweiterung und die Aufrüstung der Ukraine zum antirussischen Frontstaat gestellten Falle eines ukrainischen Afghanistan.

Die (neokonservative) US-amerikanische Strategie zielt darauf ab, dass einerseits die Ukraine im Stellvertreterkrieg so lange weiter kämpfen soll, bis Russland als Machtkonkurrent am Ende ist und die USA die Hände frei bekommen gegen China. Andererseits erreichen die USA mit ihrer Strategie bewusst und mit Erfolg, dass die Konkurrenten in Europa und besonders Deutschland durch die Rückwirkungen der Sanktionen empfindlich getroffen, von Russland abgeschnitten und in noch größere Abhängigkeit von den USA gebracht werden.

Die weitere Kriegseskalation kann eigentlich nur durch eine Antikriegs-Massenmobilisierung ähnlich 1917/18 gestoppt werden. Das heißt im Westen gegen die NATO und US-Präsenz, in Deutschland gegen die US-Vasallenpolitik der transatlantischen Superkoalition aus Ampel+CDU/CSU. In der Ukraine gegen das Selenski- und in Russland gegen das Putin-Regime. Und das auf der Basis von Streiks und Widerstand gegen die sozialen Folgen des Krieges. An den Kriegsfronten Verweigerung, Desertion und Verbrüderung über den Schützengräben. Je länger der Krieg dauert, umso dringlicher wird das werden.

 

Quellen:

[1] Lenin, Werke Band 3

[2] Lenin, Werke Band 1, S.95 f

[3] Marx-Engels, Kapital, MEW 25, S. 171

[4 Lehrbuch der politischen Ökonomie, Band 2, deutsche Übersetzung der russischen
Ausgabe von 1954, Dietz-Verlag , Nachdruck ZAV 1971

[5] J.W. Stalin, „Die ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR“
(Auszüge:  (http://www.mlwerke.de/st/st_285.htm

[6] G. Malenko, Rechenschaftsbericht an den XIX. Parteitag, Verlag für fremdsprachige
Literatur, Moskau 1952, Nachdruck: Verlag Neue Einheit

[7] Lenin, Werke Band 31, S.8 (Der linke Radikalismus …)

[8] Lenin, Werke Band 27, S.222 und S. 331

[9] Lenin, Werke Band 28, S.187

[10] Lenin, Werke Band 33, S.44

[11] Aufsätze zur Diskussion (AZD) Nr. 85/2017 – Kommentar von Alfred Schröder zu N.Bucharin

[12] Die Geschichte der Partei Albaniens, Tirana 1971

[13] Heiner Karuscheit, „Sozialismus ohne Basis“, Verlag am Park, ISBN 978-3-947094-85-1

[14] Marx, Kapital III, MEW 25, S.554

[15] Sava Djahov, „Sozialismus und Kapital“, Aufsätze zur Diskussion Nr. 93, Gelsenkirchen, …….…….(www.kommunistische-debatte.de/page_id=851)

[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Jewsei_Grigorjewitsch_Liberman

[17] Frithjof  Rausch, „Die Geschichte der Ware und des Geldes“, zu finden unter:          …https://kommunistische-debatte.de/?page_id=2003