Ausgehend von dem Axiom der stagnierenden oder nur geringfügig steigenden Bodenproduktivität stand Deutschland nach Hitlers Auffassung schon im 19. Jahrhundert vor der Alternative, entweder eine Politik der „Erwerbung von neuem Grund und Boden zur Ansiedlung der überlaufenden Volkszahl“ zu betreiben [69] oder aber „durch Industrie und Handel für fremden Bedarf zu schaffen, um vom Erlös das Leben zu bestreiten“. Letzteres hieß, mehr industrielle Erzeugnisse herzustellen, als für den eigenen Bedarf erforderlich, um auf dem Weltmarkt dafür Lebensmittel einzutauschen. „Der Sinn einer solchen (Industrie-) Wirtschaft liegt darin“, schrieb er in seinem Zweiten Buch, „dass ein Volk an gewissen Gütern des Lebens mehr produziert, als es für den eigenen Bedarf nötig hat, diesen Überschuss außerhalb der eigenen Volksgemeinschaft verkauft und vom Erlös sich diejenigen Lebensmittel und auch Rohstoffe anschafft, an denen es Mangel besitzt.“ [70]
Diese Entwicklung hatte sich nach seinen Worten im Bismarckreich vollzogen. Weil die Industrie sich wegen der Bevölkerungszunahme über das sozusagen natürliche Maß des Binnenmarkts hinaus ausgedehnt hatte, war es zu einer „ebenso schrankenlosen wie schädlichen Industrialisierung“ gekommen, mit zwei schwerwiegenden Folgen. Zum einen wurde man vom Weltmarkt, d. h. vom Ausland abhängig. Noch schlimmer war die durch die Überindustrialisierung hervorgerufene „Schwächung des Bauernstandes. In dem Maße, in dem dieser zurückging, wuchs die Masse des großstädtischen Proletariats immer mehr an, bis schließlich das Gleichgewicht vollständig verloren wurde.“ [71]
Für einen krisenfesten „Lebensraum“
Die einzige Lösung des Problems lag in einer radikalen Vergrößerung des Lebensraums. Solange wegen der unzureichenden Bodenfläche die Einfuhr der notwendigen Lebensmittel durch Ausfuhr von Industrieprodukten finanziert werden musste, stand, so Hitler, „die Frage der Verkaufsmöglichkeiten, also des Absatzes, in überragender Bedeutung vor uns. Der Absatzmarkt der heutigen Welt ist kein unbegrenzter. Die Zahl der industriell tätigen Nationen hat dauernd zugenommen. (…) Damit beginnt von selbst ein Kampf um den begrenzten Absatzmarkt, der umso härter werden wird, je zahlreicher die industriell tätigen Nationen werden und je mehr die Absatzmärkte sich verengen. Denn während einerseits die Zahl der um den Weltmarkt ringenden Völker zunimmt, wird der Absatzmarkt selbst langsam verkleinert, teils infolge einer Selbstindustrialisierung aus eigener Kraft, teils durch ein System von Filialunternehmungen, die aus reinem kapitalistischen Interesse in solchen Ländern mehr und mehr ins Leben gerufen werden. (…) Je mehr nur rein kapitalistische Interessen die heutige Wirtschaft zu bestimmen beginnen, je mehr hier vor allem allgemeine Finanz- und Börsengesichtspunkte entscheidenden Einfluss erringen, umso mehr wird dieses System von Filialgründungen um sich greifen, damit aber die Industrialisierung bisheriger Absatzmärkte künstlich durchführen und besonders den europäischen Mutterländern die Exportmöglichkeiten beschneiden. (…) Je mehr aber die Absatzschwierigkeiten wachsen, um so erbitterter wird der Kampf um die übrigbleibenden geführt werden. Wenn nun auch die ersten Waffen dieses Kampfes in der Preisgestaltung und in der Güte der Waren liegen, mit denen man sich gegenseitig niederzukonkurrieren versucht, so liegt aber die letzte Waffe auch hier beim Schwert.“ [72]
Die hier von Hitler formulierte Theorie der beschränkten Aufnahmemöglichkeit der nichtindustrialisierten Märkte war weit verbreitet. Sie bildete unter anderem die Richtschnur der Weimarer Außenwirtschaftspolitik: die Regierung wandte sich offiziell gegen die Industrialisierung der Agrar- und Rohstoffländer, um diese als Absatzmärkte für die eigenen Industrieerzeugnisse zu erhalten. [73] Auf marxistischer Seite wurden derartige Auffassungen u. a. von Rosa Luxemburg verfochten. In ihrer Schrift über „Die Akkumulation des Kapitals“ behauptete sie, dass die kapitalistische Akkumulation eines zusätzlichen Marktes in nichtkapitalistischen Regionen und Klassen bedürfe, weil Kapitalisten und Arbeiter keinen ausreichenden Markt für die störungsfreie Entwicklung des Kapitals darstellten; die Realisierung des für die Akkumulation erforderlichen Mehrwertteils sei nur durch den Austausch mit nichtkapitalistischen Produzenten und Konsumenten möglich. Luxemburg leitete aus dieser – im Gegensatz zu Marx stehenden – Akkumulationstheorie die Ursache der Krisen, den Übergang zum Imperialismus und den schließlichen Untergang des Kapitalismus ab. Hitler teilte die zugrundeliegende Theorie mitsamt ihrer Zuspitzung, den unabänderlich kommenden Kriegen – und zog eine gänzlich andere Schlußfolgerung daraus, nämlich die, dass Deutschland den nächsten Krieg so führen müsse, dass für mehrere Generationen genügend Raum zur Sicherung der Ernährungs- und Rohstoffbasis gewonnen werde.
Die Kritik Hitlers an der „ebenso schrankenlosen wie schädlichen Industrialisierung“ und an der „Schwächung des Bauernstandes“ kann so verstanden werden, als ob die Rückführung der Industrie und des Proletariats gefordert würde. In der Tat traten Teile der nationalsozialistischen Bewegung für eine solche Reagrarisierung Deutschlands ein, nicht jedoch die nationalsozialistische Führung. Die zitierten Bemerkungen aus Mein Kampf richten sich nicht gegen die Industrialisierung im allgemeinen, sondern gegen die Überindustrialisierung. Nicht das Proletariat als solches, sondern dessen übermäßiges Wachstum ging auf Kosten des bäuerlichen „Fundaments der Nation“. Darum galt es, durch eine radikale Vergrößerung der Landfläche ein erneutes „Gleichgewicht“ zwischen Agrarwirtschaft und Industrie, zwischen Bauernschaft und Proletariat herzustellen. Die zusätzlichen Bauern würden die Lebensmittel, die bislang auf dem Weltmarkt eingekauft werden mussten, im Binnenmarkt herstellen und dort gegen Industrieprodukte, die bislang an agrarische Drittländer gingen, tauschen. Die „zu große“ Industrie brauchte also nicht abgebaut zu werden, sondern die „natürlichen“ Relationen zwischen Proletariat und Bauernschaft ergaben sich organisch aus der Vergrößerung des Agrarsektors. Da durch eine solche Erweiterung des Lebensraums auch die erforderlichen Rohstoffe auf dem Binnenmarkt zur Verfügung standen, würde der Kreislauf einer „Bedarfs- und Ausgleichswirtschaft“ sich schließen und verschwand mit der Abhängigkeit vom Weltmarkt die Gefahr von Krisen.
In Hitlers Worten war dieser Weg „die einzige Lösung, die eine Nation das tägliche Brot im inneren Kreislauf einer Wirtschaft finden läßt. Industrie und Handel treten von ihrer ungesunden führenden Stellung zurück und gliedern sich in den allgemeinen Rahmen einer nationalen Bedarfs- und Ausgleichswirtschaft ein. Beide sind damit nicht mehr die Grundlage der Ernährung einer Nation, sondern ein Hilfsmittel derselben.“ [74] Die Rückkehr zur „Bedarfs- und Ausgleichswirtschaft“ richtete sich in diesem Sinn nicht gegen die Industrie.
Für die Entwicklung der Industrie
Im Gegenteil war Hitler auf dem Boden der bäuerlichen Fundierung der Gesellschaft ein unbedingter Anhänger der industriellen Entwicklung. Für ihn war „die allgemeine Motorisierung der Welt … eine Angelegenheit von einer gar nicht abzumessenden Zukunftsbedeutung. Denn der Ersatz der menschlichen und animalischen Kraft durch den Motor ist erst am Beginn seiner Entwicklung, das Ende kann heute noch gar nicht abgeschätzt werden. Für die amerikanische Union jedenfalls steht die Automobilindustrie von heute an der Spitze aller Industrien überhaupt.“ [75] Die Anhänger der sogenannten „konservativen Revolution“ (Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, als führender Nationalsozialist: Otto Strasser) teilten Hitlers industriellen Fortschrittsglauben nicht: „Ganz im Gegensatz zu Hitler waren viele Anhänger dieser Richtung der Ansicht, dass im 20.Jahrhundert die klassische Zeit epochaler Erfindungen vorüber sei und die Menschheit im wesentlichen die bekannten technischen Lösungsmöglichkeiten nur noch ausschöpfen könne.“ [76] Hitler dagegen bezeichnete sich selber als „Narr der Technik“ und glaubte an eine großartige Zukunft der vom Arier geschaffenen Industrie.
Die Überzeugung von den Fortschritten der Technik machte ihn zum Gegner einer Verherrlichung der handwerklichen Kleinproduktion. „Bei uns hat es immer geheißen: deutsche Werkmannsarbeit. Man wollte damit glauben machen, dass es sich um etwas Unerreichtes handelt. Das ist ein Bluff. Eine moderne Riesenpresse stanzt mir das mit einer Genauigkeit aus, wie es bei unserer Handarbeit gar nicht möglich ist. Auch ihre Automobilfabriken machen sie mit einem Minimum an Menschen. Die erste deutsche Fabrik dieser Art wäre das Volkswagenwerk geworden. Wir sind da noch lange nicht dort, wo die Amerikaner sind! (…) Das ganze ist eine reine Automatenarbeit, daher können sie auch jeden Trottel anstellen. Umschulen, das braucht es dort gar nicht.“ [77] Das Entweder-Oder in der Auseinandersetzung um Agrar- oder Industriestaat durchbrach der Nationalsozialismus mit seiner Entscheidung für einen Agrar-/Industriestaat. Nicht einfach Blut und Boden, sondern Blut, Boden und Technik waren seine Leitsterne.
Entwicklung der Industrie hieß wesentlich auch Steigerung der Konsumgüterproduktion. Es gelte „vor allem, die Ideologie der Bedürfnislosigkeit und der systematischen Einschränkung des Bedarfs, also den vom Kommunismus ausgehenden Primitivitätskult zu bekämpfen“, führte Hitler in einer Rede am 20. September 1933 vor dem Generalrat der Wirtschaft aus. „Dieses bolschewistische Ideal der allmählichen Rückentwicklung der Zivilisationsansprüche müsse unweigerlich zur Zerstörung der Wirtschaft und des ganzen Lebens führen.“ [78] Vor allem die Kfz-Produktion sollte als Schlüssel für die ganze industrielle Weiterentwicklung nach amerikanischem Vorbild vorangetrieben werden, zusammen mit dem massenhaften Bau neuer Straßen. Als die deutschen Automobilproduzenten das Projekt eines billigen, in Massenproduktion gefertigten „Volkswagens“ hintertrieben, weil sie um den Absatz ihrer teueren Autos fürchteten, wies das Dritte Reich die DAF an, ein „Volkswagenwerk“ aufzubauen. Die Autoproduktion und der Autobahnbau waren entgegen landläufiger Meinung keineswegs primär für die Kriegführung gedacht, sondern als Mittel zur Steigerung des Lebensniveaus. [79] Die Reichswehr beklagte sich, dass sie an den Planungen für die Produktion und den Autobahnbau nicht beteiligt war.
Die Ordnung der Wirtschaft
Über die künftige Ordnung der deutschen Wirtschaft gab es kein ausformuliertes Programm. Vor der Machtergreifung lehnte Hitler die Erstellung eines solchen Programms ab, um, wie er sagte, die „Männer der Wirtschaft“ nicht zu verschrecken, ohne deren Einverständnis der Einzug in die „Wilhelmstraße“ (den Amtssitz des Reichskanzlers) nicht möglich war. Sodann legte der Krieg und seine Vorbereitung Zurückhaltung auf, weil nicht gleichzeitig Krieg geführt und die Wirtschaft umgestülpt werden konnte. Schließlich war die nationalsozialistische Wirtschaftsordnung bisher ohne Vorbild und sollte ihre endgültige Form in der Praxis finden. Dennoch gibt es auch hier erste praktische Schritte, die beweisen, dass der Nationalsozialismus einen eigenen Weg ging.
Die klassenmäßige Orientierung des Nationalsozialismus legitimierte sich ideologisch auch auf dem Gebiet der Wirtschaft durch den Sozialdarwinismus. Weil der Erwerbs- und Besitztrieb als natürlicher Trieb galt, der gesetzlich genauso wenig zu verbieten war wie der Geschlechtstrieb, sondern im Gegenteil wichtige Eigenschaften wie Durchsetzungsvermögen und persönliche Verantwortungsbereitschaft förderte, waren der Besitz von Produktionsmitteln und der wirtschaftliche Konkurrenzkampf als selbstverständlich anerkannt. Die entschiedenen Träger des Wirtschaftskampfes waren die einfachen Warenproduzenten. „Nie zuvor (seit dem Mittelalter) genossen Handwerker und Bauern – weniger die Einzelhändler! – solch hohes gesellschaftliches Ansehen wie in der faschistischen Öffentlichkeit!“ [80]
Die selbständigen Unternehmen mussten allerdings lebensfähig sein, d. h. nicht am Rande der Existenz dahinvegetieren. „Die mittelstandspolitischen Maßnahmen waren dementsprechend in erster Linie auf den (potentiell) leistungsfähigen Betrieb ausgerichtet.“ [81] So sollte das Reichserbhofgesetz zur Schaffung von Bauernhöfen in einer Größe jenseits der Subsistenzproduktion beitragen, um die Erwirtschaftung von ausreichenden Überschüssen zu ermöglichen, nicht zuletzt, um einen höheren Grad an Lebensmittel-Selbstversorgung in Deutschland zu erreichen. Im Prinzip vertrugen sich die Gesetze des Lebenskampfs auch nicht mit der Aufrichtung gesetzlicher Schranken zum künstlichen Schutz bestimmter Wirtschaftssektoren. Im Unterschied zu großen Teilen der NS-Bewegung (und zum Parteiprogramm) lehnte Hitler die von den städtischen Kleinbürgern angestrebte Zunftordnung mit Innungen und Meisterbrief ab. Die Einführung des Großen Befähigungsnachweises und andere Maßnahmen des Dritten Reichs waren offenkundig Kompromisse, die nicht der wirtschaftlichen Grundüberzeugung Hitlers entsprachen.
Auch die Ablehnung der anonymen Formen des großen Kapitals wurde wirtschaftsdarwinistisch begründet. Ohne selber einen Handschlag zu tun und ohne persönliche Verantwortung zu tragen, würde der Aktienbesitzer von dem Fleiß der Arbeiter und Ingenieure profitieren, die ihrerseits nichts von steigenden Aktienkursen hätten. Darum betrachtete Hitler „das langsame Ausscheiden des persönlichen Besitzrechtes und allmähliche Übergehen der gesamten Wirtschaft in das Eigentum von Aktiengesellschaften“ als eine „schwere wirtschaftliche Verfallserscheinung“. [82] Kapital musste persönlich geführt werden. Gegen Großunternehmen war nur so lange nichts einzuwenden, wie sie als Familienbetriebe von den Inhabern persönlich geleitet wurden, diese also Eigenverantwortung trugen.
Im Gegensatz zu diesem „schaffenden“ Kapital galt das Bank- und Börsenkapital als „raffend“, weil auf Spekulation beruhend, und wurde regelmäßig als jüdisch und international kritisiert. Hitler verlangte eine „scharfe Scheidung des Börsenkapitals von der nationalen Wirtschaft“. [83] Dem Inhalt nach verschob diese Kritik die Ausbeutung aus dem Produktions- in den Zirkulationsprozess. Darum wurde die Forderung nach Abschaffung der Ausbeutung durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel auch als jüdisch-marxistisch zurückgewiesen, weil das auf die Zerstörung des (deutschen) schaffenden Kapitals hinauslief, während es in Wirklichkeit auf die Beseitigung des jüdisch-internationalen Börsen- und Leihkapitals ankam.
Die zentrale Rolle des Staats
So grundlegend der Wirtschaftskampf auch war, konnte er doch nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden. Der Privatunternehmer handelte aus Eigennutz, was im Kampf ums (wirtschaftliche) Überleben selbstverständlich und moralisch nicht zu verdammen war. Aber daraus resultierte kein Gemeinnutz. Hitler lehnte den Lehrsatz der klassischen Ökonomie, dass aus der Konkurrenz der Einzelnen die Harmonie des Ganzen hervorgehen würde, der Gemeinnutz also das Resultat des Eigennutzes wäre, strikt ab. Umgekehrt mussten die Anforderungen des völkischen „Gemeinnutzes“ vorgegeben werden. Ausgehend davon, dass „Sinn und Zweck eines Staates“ in der Forterhaltung der Art bestand, war die Wirtschaft „nur eines der vielen Hilfsmittel, die zur Erreichung dieses Zieles eben erforderlich sind.“ [84] Nicht der Staat hatte der Wirtschaft zu dienen, sondern umgekehrt: der Staat war das alles entscheidende Organ, das die Wirtschaft beherrschte und zu steuern hatte.
Das hieß zum einen die Einführung staatlicher Planung, wie das mit dem ersten Vierjahrplan 1936 aus Anlass der Kriegsvorbereitung in breiter Form geschah. In seiner Denkschrift dazu schrieb Hitler: „Das Wirtschaftsministerium hat nur die nationalwirtschaftlichen Aufgaben zu stellen, und die Privatwirtschaft hat sie zu erfüllen. Wenn aber die Privatwirtschaft glaubt, dazu nicht fähig zu sein, dann wird der nationalsozialistische Staat aus sich heraus diese Aufgabe zu lösen wissen. (…) Die deutsche Wirtschaft aber wird die neuen Wirtschaftsaufgaben begreifen oder sie wird sich eben unfähig erweisen in dieser modernen Zeit, in der ein Sowjetstaat einen Riesenplan aufrichtet, noch weiter zu bestehen. Aber dann wird nicht Deutschland zugrundegehen, sondern es werden dies höchstens einige Wirtschaftler.“ Mit dem Vierjahrplan schränkte der NS-Staat den Handlungsspielraum der Betriebe rigoros ein, indem er ihnen die Entscheidungen über Investitionen und Produktion vorschrieb. „Nicht um die Vollstreckung der Interessen des Kapitals ging es Hitler, sondern um die Durchsetzung seiner Weltanschauung und Politik gegen alle Widerstände, auch wenn diese aus den Reihen der Industriellen kamen, die er (…) lediglich als Beauftragte des nationalsozialistischen Staates sah und denen er, offen oder versteckt, mit der Sozialisierung drohte, falls sie nicht bereit waren, diese Rolle zu spielen.“ [85]
Zum andern bedeutete dies den Aufbau einer eigenen Staatswirtschaft. Die staatlichen Eisen- und Stahlwerke „Hermann Göring“ in Salzgitter wurden zum größten Werk in Europa. Mit dem Krieg breitete sich zugleich die SS in der Wirtschaft immer weiter aus. „Es ist kaum zu bezweifeln, dass bei längerer Fortdauer der nationalsozialistischen Herrschaft auch der Ausdehnungsprozeß der SS-Wirtschaftsunternehmungen weitergegangen wäre. Zahlreiche Projekte, die nach dem Krieg in Angriff genommen werden sollten, sind in den Akten enthalten. Durch eine solche Entwicklung wäre aber das Gefüge der Privatwirtschaft, deren Formen und Rechtsnormen sich die SS opportunistisch bediente, je länger desto mehr ausgehöhlt worden. Mit der zunehmenden Akkumulation der SS-Wirtschaft war schon der Weg zur funktionellen und strukturellen Veränderungen wichtiger Bereiche der deutschen Wirtschaft beschritten. In einem Aktenvermerk vom 21.Oktober 1942 betonte Himmler gegenüber dem wirtschaftspolitischen Reformeifer SS-Brigadeführer Ohlendorfs, des Chefs des Inland-SD, dass ‚während des Krieges‘ eine ‚grundsätzliche Änderung unserer total kapitalistischen Wirtschaft nicht möglich‘ sei. Jeder, der dagegen ‚anrenne‘, würde ein ‚Kesseltreiben‘ gegen sich heraufbeschwören. Diese Äußerung läßt aber zugleich erkennen, dass auch Himmler prinzipiell eine – wie immer geartete – Neuordnung der Wirtschaftsordnung nach einem für Deutschland siegreichen Kriege befürwortete und sie dann auch für eher durchführbar hielt.“ [86]
Mit dem Voranschreiten des Kriegs und der Erkenntnis der zunehmenden bolschewistischen Rüstungsproduktion trat Hitler für die Ausweitung der Planwirtschaft nach bolschewistischem Vorbild ein, wie Zitelmann nachgewiesen hat. Er plante auf Dauer die Verstaatlichung der großen Aktiengesellschaften (wegen der nicht persönlichen Inhaberschaft), der Energiewirtschaft (weil dort keine Konkurrenz stattfand) sowie aller Wirtschaftszweige, die lebensentscheidende Rohstoffe produzierten, wie Erdöl, Kohle und Eisenindustrie. [87] Sein Vorbild für die Organisierung der Produktion waren Post und Bahn. Das Problem war nur, dass das zur Verwaltung der riesigen Konzerne erforderliche „pflichteifrige Beamtentum“ erst im Verlauf von Jahrzehnten herangebildet werden konnte. Allerdings blieb er bis zuletzt Gegner eine „Vollsozialisierung“, aus Angst vor Bürokratisierung, Überzentralisierung und Erstickung der Privatinitiative. [88]
Ideologiegeschichtlich sind die nationalsozialistischen Wirtschaftsvorstellungen vor dem Hintergrund der in Deutschland jahrzehntelang vorherrschenden „historischen Schule“ der Nationalökonomie zu sehen, der u. a. der Verein für Socialpolitik, die Kathedersozialisten und die Richtung des „Deutschen Sozialismus“ zugehörten. Sie stand in erklärtem Gegensatz zur klassischen, von Ricardo und Smith begründeten „modernen“ Nationalökonomie. [89] Avraham Barkai faßt fünf „Hauptthesen“ zusammen, die jenseits der Unterschiede ihrer einzelnen Vertreter diese Richtung kennzeichneten:
- „wurde als erstes Ziel aller wirtschaftlichen Betätigung nicht die individuelle Bedarfsdeckung, sondern die Machtstärkung des Staates oder des Volkes und die Förderung ihrer gesellschaftlichen und politischen Aufgaben postuliert;
- ergaben sich hieraus Recht und Pflicht des Staates, den Wirtschaftsablauf zu dirigieren und die freie Wirtschaftsinitiative zugunsten eines vom Staat allein zu definierenden ‚Gemeinnutzes‘ einzuschränken;
- (…);
- eine deutliche Neigung zu autarker Selbstversorgung innerhalb eines kontinentalen Großwirtschaftsraumes (…);
- eine romantisch verklärte Vorrangstellung der Landwirtschaft und Idyllisierung des Dorflebens neben einer deutlichen Ambivalenz gegenüber der Industrialisierung und der damit verbundenen ‚Verstädterung‘.“ [90]
Der führende Kopf dieser Schule in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, Werner Sombart, spitzte diese Auffassungen in seinem 1934 erschienenen Werk „Deutscher Sozialismus“, einer Huldigung an das soeben entstandene Dritte Reich, noch zu, indem er schrieb: „Wenn man also als den Hauptnachteil einer Beseitigung des Kapitalismus, Verlangsamung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, bezeichnet, so antworten wir, dass wir gerade darin einen Segen erblicken würden.“ [91] Die Erwiderung im „Völkischen Beobachter“ zeigte, in welchem Punkt der Nationalsozialismus sich von der ansonsten geschätzten „historischen Schule“ abhob. Die nationalsozialistische Einstellung zur technischen Entwicklung, schrieb der Rezensent, würde sich „nicht im mindesten mit der Sombarts“ decken. „Für uns ist die moderne Technik Geburt des nordischen Geistes. Sie drückt die Gewalt unseres Menschentums aus“. [92]
Eine staatskapitalistische Produktionsweise?
Die Ausdehnung der wirtschaftlichen Staatstätigkeit hat Lehmann dazu veranlasst, die nationalsozialistische Wirtschaftsordnung als „staatskapitalistisch“ zu charakterisieren. Eine Begründung dafür hat er nicht gegeben, offenbar in der Überzeugung, dass „staatlich“ bei Vorhandensein kapitalistischer Produktion nur „staatskapitalistisch“ bedeuten kann. Das wirft einige Fragen auf, zumindest wenn man nicht die Produktionsverhältnisse zugrundelegt, die die Nazis vorfanden und im Ganzen beibehielten, sondern die Verhältnisse, auf die sie hinsteuerten.
Der Bereich der kleinen Warenproduktion in Land und Stadt, vom Nationalsozialismus besonders geschützt und gefördert, gibt für die Frage nach dem Staatskapitalismus nichts her, weil die Produktion weder staatlich noch kapitalistisch ist. Lohnarbeit wird gar nicht oder nur in geringem Umfang angewendet; das Unternehmen wird nicht zwecks Verwertung des Werts betrieben, sondern um die größeren oder kleineren persönlichen Bedürfnisse des Betriebsinhabers zu befriedigen.
Bei den mittleren und großen Familienbetrieben ist von kapitalistischer Produktionsweise auszugehen, wenngleich unter Ausschaltung von Formen, die das Kapital in seiner Bewegung hervorbringt und benötigt (Börse, Aktie). Gleichzeitig behielt sich der Staat das Recht vor, über die Entscheidungen der Produktionsmittelbesitzer zu bestimmen. Der juristische Besitztitel blieb formal ebenso erhalten wie die weiterhin private Aneignung der gemachten Profite. Aber der Inhaber konnte nicht mehr frei über Gegenstand und Höhe der Investitionen entscheiden. Auch der Kern des Kapitalverhältnisses, die Lohnarbeit, war durch die „Treuhänder der Arbeit“ staatlicher Entscheidung unterworfen. Die auf dem Höhepunkt der deutschen Siege von der DAF vorgenommenen Nachkriegsplanungen sahen vor, dass auf Dauer gesehen das Volk „nicht arbeiten (könne), was, wann und wo es will“, sondern in der Reihenfolge und an den Orten, die durch die allgemeinen Lebensnotwendigkeiten der Gemeinschaft bestimmt sind. [93] Hinzu kommen noch die Folgen, die die Unterwerfung fremder, nichtarischer Völker mit der Einführung millionenfacher Sklavenarbeit für die Entwicklung der Produktionsweise haben musste.
Zusammengefaßt ergibt sich daher folgendes Bild: auf der einen Seite steht ein übermächtiger, die Schlüsselindustrien besitzender Staat, auf der anderen Seite die kleine, von diesem Staat besonders geschützte Warenproduktion. Dazwischen befindet sich die eigentlich kapitalistische Produktion (von Kapital in persönlicher Inhaberschaft). Dieses Kapital kann sich nur beschränkt seinen eigenen Gesetzen gemäß bewegen; es ist eingepfercht und kontrolliert in einem abgegrenzten „Reservat“, dessen Schicksal der Staat in der Hand hält, der sich gesellschaftlich hauptsächlich auf die Bauern stützt. Historisch drückt sich darin aus, dass die Millionenmassen der kleinen Warenproduzenten ihren Niedergang endgültig nur aufhalten können, indem sie den Staat übernehmen und für ihre Zwecke dienstbar machen.
In der Theorie des „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ ist der deutsche Faschismus ein bestimmendes Beispiel für das Hinüberwachsen des Monopolkapitalismus in den Staatsmonopolkapitalismus. An diesem Punkt hat die SMK-Theorie nicht zu unrecht auf die Formen gesellschaftlicher Steuerung der Produktion durch den Staat hingewiesen, sie allerdings fälschlich als Weiterentwicklung des Kapitalismus interpretiert. Einige bürgerliche Wirtschaftshistoriker formulieren dies so, dass das nationalsozialistische Wirtschaftssystem „eine Alternative zu Kapitalismus und Kommunismus sein sollte und weder freie Marktwirtschaft noch totale Planung bedeutete“. [94] Wie auch immer man an das Problem herantritt: der Begriff des „Staatskapitalismus“ ist zur Charakterisierung der nationalsozialistischen Wirtschaftsordnung untauglich. Damit wird gerade das Entscheidende verdeckt, nämlich dass der alles beherrschende Staat des Nationalsozialismus keinen bürgerlichen, der Entwicklung des Kapitals verpflichteten Charakter trug, sondern von letztlich bäuerlichen Zielsetzungen beherrscht war. Eine andere Frage ist, ob der „Dritte Weg“, den der Nationalsozialismus mit seinem „völkischen Sozialismus“ auch in der Wirtschaft jenseits von Kapitalismus und Sozialismus gehen wollte, dauerhaft tragfähig war.
Damit löst sich auch das Rätsel der neuen Mittelschichten, die Lehmann am Staatsruder stehen sieht. Die Ausdehnung der Staatstätigkeit verlangte naturgemäß die Ausdehnung des für die Organisierung und Leitung erforderlichen Personals. Diese betrieben jedoch keine von den Hauptklassen der Gesellschaft unabhängige, klassenlose „Modernisierung“, sondern dienten im Staatsapparat den vorgegebenen Klasseninteressen.