Nachrichtentransfer aus der fließenden Welt.

Fritz Gött

Aktuelle Auseinandersetzungen zur Evolutionstheorie

In der Natur geht es dialektisch zu. Marx und Engels haben sich ein Leben lang für die Erkenntnisse der Naturforschung interessiert. Sie haben die Rezeptionsgeschichte der Naturwissenschaften verfolgt. Es ging ihnen um die Fundierung der materialistischen Weltanschauung und die Erziehung der Arbeiterklasse. – Heute ist man schon froh, einen Marxisten / einen Linken zu treffen, der etwas von der ‚Dialektik der Natur’ bzw. der Naturwissenschaften gehört hat. Dabei bietet der Buchmarkt doch einiges. (1) Egal, dieser Typus aus der Linken ist Politiker, Ökonom oder sonst was, kurz er ist ein ‚Bereichsmarxist’, aber in dieser Beschränktheit kein umfassender Vertreter des wissenschaftlichen Sozialismus; kein gebildeter Marxist und Propagandist. Das muss sich ändern – will man die Deutungshoheit in Natur und Gesellschaft nicht den Anderen überlassen. Eigentlich hätte das vor Jahren in Deutschland populär gewordene New Age, diese eklektisch zusammengehauene esoterisch-wissenschaftliche Bewegung, Marxisten für die weltanschauliche Debatte sensibilisieren müssen. Jetzt schwappt über den Großen Teich das ‚Intelligent Design’, und wieder hält man still. So verliert man unnötig Boden.

Naturwissenschaftliche Evolutionstheorien

In der FAZ fand sich folgende Rezension unter dem Titel ‚Die andere Evolution. Über den Ursprung des Lebens.’(2): „Vor der Evolution der Organismen muß eine andere Evolution stattgefunden haben – die der Moleküle. Über diese Vorgänge, die in der Entstehung des Lebens gipfelten, wissen wir recht wenig. Es gibt eben keinen Darwin der chemischen Evolution. Von den Bemühungen, wissenschaftliche Antworten auf die Fragen nach dem ‚Woher’ des Lebens zu finden, handelt ein neues Buch des Biochemikers Horst Rauchfuß. Einem kurzen historischen Überblick folgt ein Exkurs in die Kosmologie, denn ‚die Wiege der Chemie liegt in den Sternen’, wie aus einem Lehrbuch zitiert wird. Der Autor geht dabei auch auf neue Erkenntnisse ein, wie sie etwa bei Weltraummissionen zu Nachbarplaneten der Erde und ihren Monden sowie zu Kometen gewonnen wurden. Mit diesem ausgestattet, kann sich der Leser den folgenden, fachlich durchweg höchst anspruchsvollen Ausführungen zuwenden. Neben der ‚Protein-Welt’ und der ‚RNA-Welt’ werden zahlreiche weiter Theorien und Hypothesen erörtert, und das stets mit der gebotenen Distanz. Im abschließenden Kapitel geht es um Astrobiologie, jenen von der Nasa massiv geförderten Wissenschaftszweig, der von der Kosmochemie bis zur Erforschung möglicher Lebensspuren auf dem Mars und anderen Himmelskörpern reicht.“ (3)

Hätte eine derartige Rezension nicht auch in der linken Presse stehen müssen – und sei es als Zitat? Sicher, das Buch wendet sich an ein wissenschaftlich interessiertes Publikum. Arbeiter – mit einfacher Bildung – werden es schwerlich lesen können. Sozialisten, mit der entsprechenden Fachausbildung, müssten seine Inhalte aufnehmen, gegebenenfalls kritisch hinterfragen, das Ganze in eine verständliche Sprache übersetzen und dazu noch in der (zersplitterten) linken Presse unterbringen. Ja, wenn sie dem Problem der Weltanschauung, der Erkenntnis und der Weltveränderung wieder mehr Aufmerksamkeit schenken wollten.

Früher, als es noch eine lebendige, kommunistische Bewegung gab, war es selbstverständlich, dass der marxistische Intellektuelle an der Propagierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse beteiligt war. Einige standen sogar mit an der Spitze ihrer Erstellung. Ich erinnere nur an Namen wie: den Biologen J.B.S. Haldane (4), den Biochemiker A.I. Oparin (5), den Physiker und Kristallographen J.D. Bernal (6) usw. Als Forscher und Populärwissenschaftler wollten sie nicht einfach Bildung vermitteln. Es galt Wissenschaft in einer Art und Weise zu verbreiten, die immun machte gegen Aberglauben und obskurantistische Propaganda. Das war ‚klassische’ Aufklärung im besten Sinne. Die Verbreitung von Wissen , die Verankerung des wissenschaftlichen Sozialismus. Da müssen wir wieder hin.

Ein Schuss ins Knie …

Es gibt jedoch auch Fehlschüsse. Zum Hintergrund: In den USA tobt derzeit ein Kulturkampf besonderer Art. Die (Darwinsche) Evolutionstheorie wird – wieder einmal – in Frage gestellt. Waren es ‚einst’ die klassischen Kreationisten, so gesellt sich zu ihnen noch eine andere Truppe: die Theoretiker des ‚Intelligent Design’ (ID). Ihr Credo: Eine richtende Intelligenz sei bei jedem Schritt der Natur im Spiel. Zwar wird hier der Begriff Gott vermieden, der christliche Gott wird jedoch als intelligenter Designer, als stetiger Gestalter im Naturgeschehen wieder ins Bewusstsein eingeschmuggelt. Die Grenze von (christlicher) Religion und Wissenschaft wird verwischt, soll verwischt werden. Die Darwin’sche Theorie wird abgelehnt. Das Etappenziel der Bewegung ist klar: Sie möchte das ID gleichberechtigt neben der Darwin’schen Evolutionstheorie im staatlichen Biologieunterricht gelehrt wissen. Immerhin sei das ID eine Alternative zur Irrlehre des Darwinismus.

Die modernen ‚Neokreationisten’ haben mächtige Fürsprecher in den USA. Der ‚wiedergeborene’ Christ George W. Bush, seines Zeichens Präsident der USA, zählt zu ihnen. Sein Plädoyer: „Wenn sie mich fragen, ob die Menschen mit den verschiedenen Ideen konfrontiert werden müssen, lautet die Antwort: Ja. Nur so können sie verstehen, worum es in der Debatte geht.“ (7) Dieses Plädoyer hat mit Liberalität wenig zu tun. So jubelte das Discovery Institute, das selber an vorderster Front an der Entwicklung der ID-Idee beteiligt ist: „Wir interpretieren, dass der Präsident seine Kommandoposition nutzt, um die Freiheit der Forschung und die freie Rede über die Frage des biologischen Ursprungs zu unterstützen. Das kommt genau zur rechten Zeit, weil viele Wissenschaftler diskriminiert werden, sobald sie mit der darwinschen Orthodoxie brechen.“ (8) Der Streit um die Etablierung des ID bzw. des klassischen Kreationismus beschäftigt immer wieder die amerikanischen Gerichte. – Das ID hat gleichwohl einflussreiche Gegner in den USA: das liberale Bürgertum.

Auch in Europa versucht das ID Boden zu gewinnen. Der britische Premierminister Blair gilt als verschämter Sympathisant des ID. Warum? „Das Emmanuel City Technology College … ist nichtstaatlich und darf daher Schüler gemäß ihrer Leistung auswählen, doch die private und öffentliche Finanzierung erlaubt es ihr, keine Gebühren zu erheben. Seit März (2002, d.V.) sieht sich die britische Regierung jedoch einem peinlichen Problem gegenüber. Der private Sponsor der Schule … ist ein evangelikaler Christ, dem es gelingen konnte, seine Ansichten zur Evolution in den Lehrplan des Colleges einzubringen: Ein fundamentalistischer Kreationismus amerikanischen Stils wird in einer von Steuergeldern mitfinanzierten Schule gelehrt. Der landesweite Lehrplan verpflichtet Schulen zwar, die Evolutionslehre zu unterrichten, verbietet jedoch nicht den Unterricht einer Schöpfungslehre. Am Emmanuel College können daher Darwins Evolutionslehre und göttliche Schöpfung als gleichberechtigte Theorien dargestellt werden. … In einer Fragestunde des Parlaments weigerte sich Tony Blair, die Schule zu kritisieren und wies auf die von ‚Ofsted’ (der engl. Schulaufsichtsbehörde, d.V.) dokumentierte gute Leistung der Einrichtung hin.

Einige Beobachter fragen sich, ob der bekanntlich sehr gläubige Blair etwa selbst kreationistische Sympathien habe. Aber weder Blair noch seine Mitarbeiter sind bereit, darüber Auskunft zu geben. Der bedauernswerte Zustand des staatlichen britischen Schulsystems hat in den vergangenen Jahren die Labour-Regierung die Vorzüge religiös ausgerichteter Privatschulen erkennen lassen … Nun steht die britische Schulpolitik vor den Folgen dieser Entscheidung: Sie muß klären, welche Formen des religiösen Unterrichtes akzeptabel sind und welche nicht. Zahlreiche Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisationen sind jedoch allem Anschein nach nicht dazu bereit, das drohende Wachstum eines antievolutionäen Fundamentalismus kampflos hinzunehmen.“ (9)

In Deutschland gibt es eine kleine, aber wachsende Fangemeinde des ID. Sie kann sich mit akademischen Federn schmücken, eigene Propagandaforen betreiben (z.B. www.weloennig.de), schon mal einen Ministerpräsidenten auf Länderebene vor den Karren spannen (ohne dass dieser dienstrechtliche Konsequenzen zu befürchten hätte), mit einem eigenem Lehrbuch aufwarten usw. Der große gesellschaftliche Durchbruch blieb jedoch aus, was den Aktivitäten keinen Abbruch tut. (10)

Die katholische Kirche reagiert zurückhaltend auf das Intelligent Design. Das ganze riecht ihr nach Sektierertum. Da ist zudem das offizielle Wort mehrerer Päpste: „1950 hat Papst Pius XII. in der Enzyklika ‚Humanae generis’ die Evolutionslehre noch als „ernst zu nehmende Hypothese“ bezeichnet, „die einer Erforschung und vertiefenden Reflexion würdig“ sei. Mitte der neunziger Jahre verkündete Papst Johannes Paul II. dann, die Tatsache, dass zahlreiche Forscher unabhängig voneinander die Evolutionstheorie bestätigt gefunden hätten, führe dazu, sie „nicht mehr als reine Hypothese“ anzusehen. Er betonte jedoch zugleich, die Überzeugung, dass der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen sei, sei „eine Achse des christlichen Denkens“. Die Kirche sehe nach wie vor im Menschen „das einzige Lebewesen, das Gott um seiner selbst willen gewollt“ habe.“ (11)

Es gibt aber auch ‚indirekte’ Befürworter des ID in den Reihen der Kirche. 2005 schreckte der Wiener Kardinal Christoph Schönborn mit folgender Stellungnahme auf: „Evolution im Sinne einer gemeinsamen Abstammung könnte wahr sein, aber Evolution im neodarwinistischen Sinne – ein ungeleiteter, ungeplanter Prozess zufälliger Variationen und natürlicher Auslese – ist es nicht. Jedes Denksystem, das die überwältigenden Beweise für einen Plan (,design’) in der Biologie leugnet oder wegerklären will, ist Ideologie, und nicht Wissenschaft“. (12) Das Wort des Johannes Paul von 1996 (in Briefform), nannte er dagegen „vage und unwichtig“.

Josef Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI, schwieg dazu. War ihm die Attacke seines Amtsbruders recht? Vielleicht um in den USA und Lateinamerika kirchlichen Boden gutzumachen? Hält sich die Kurie nur taktisch zurück? Allerdings lässt man dem Leiter der päpstlichen Sternwarte, dem Jesuiten G. Coyne wohl freie Hand, das ID beredet anzugreifen. (13) Dieser ‚Gottesmann’ hält Religion und die neodarwinistische Evolutionstheorie für kompatibel. Ist das auch die Meinung von Papst Benedikt XVI ? Der sagte 2006: “ Seit der Aufklärung arbeitet wenigstens ein Teil der Wissenschaft emsig daran, eine Welterklärung zu finden, in der Gott überflüssig wird. Und so soll er auch für unser Leben überflüssig werden. Aber sooft man auch meinen konnte, man sei nahe dran, es geschafft zu haben – immer wieder zeigt sich: Das geht nicht auf. Die Sache mit dem Menschen geht nicht auf ohne Gott und die Sache (…) dem ganzen Universum, geht nicht auf ohne ihn. Letztlich kommt es auf die Alternative hinaus: Was steht am Anfang: die schöpferische Vernunft, der Schöpfergeist, der alles wirkt und sich entfalten lässt oder das Unvernünftige, das vernunftlos sonderbarerweise einen mathematisch geordneten Kosmos hervorbringt und auch den Menschen, seine Vernunft. Aber die wäre dann nur ein Zufall der Evolution und im letzten also doch auch etwas Unvernünftiges. Wir Christen sagen: Ich glaube an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde – an den Schöpfer Geist. Wir glauben, dass das ewige Wort, die Vernunft am Anfang steht und nicht die (…).“ (14)

Die bürgerliche Welt Westeuropas ist nicht begeistert vom ID. Viele großbürgerliche Zeitungen wie die FAZ, SZ, Tagesspiegel, Zeit, usw. haben das ID kritisiert. Wissenschaftsmagazine, wie das ‚Spektrum’ (15), oder ‚Bild der Wissenschaft’ (16) schrieben gegen das ID an. Auch auf dem Buchmarkt gibt es Gegendarstellungen. (17)

Ich hätte mir in der linken Presse eine Auseinandersetzung mit dem ID gewünscht. Bis jetzt bin ich aber nur in der (von mir wenig geschätzten) ‚Jungle World’ auf eine solche gestoßen. Ganze 4 großformatige Seiten hatte die Zeitschrift dem Schlagabtausch reserviert. Die Qualität der Beiträge schwankt. Der interessanteste Aufsatz zum ID stammt aus der Feder von Cord Riechelmann. (18) Daraus einige Textauszüge und ergänzende Bemerkungen von mir:

Kreationisten, so der Autor, „sind Anhänger der biblischen Schöpfungsgeschichte. Den sechs jeweils 24 Stunden dauernden Schöpfungsphasen, in denen vor 10 000 Jahren alles Leben erschaffen wurde, haben sich Forschung und Lehre unterzuordnen. Allerdings gibt es auch unter ihnen welche, die zugestehen, dass jeder Tag der Genesis eine geologische Epoche repräsentiere, die mehrere Millionen Jahre gedauert haben könnte.“ … „Die Intelligent-Design-Theoretiker hingegen beziehen sich nicht auf religiöse Quellentexte. Sie arbeiten mit Argumenten aus der Informationstheorie, der SETI-Forschung (‚Search for Extra-Terrestrial Intelligence’), der Künstlichen Intelligenz, der Archäologie und der Molekularbiologie. Sie unterscheiden strikt zwischen religiösen und wissenschaftlichen Texten und bestreiten weder die in der Evolutionstheorie verhandelte Dauer des geschichtlichen Naturprozesses noch die Veränderbarkeit der Arten. Nur an den Zufall glauben sie eben nicht.“

„Tatsächlich sind bereits die einfachsten Lebensformen wie Einzeller auf biochemischer Ebene dermaßen komplex strukturiert, dass es wirklich nicht ganz leicht ist anzunehmen, dass durch zufällige Mutationen das eine zum anderen gekommen sei, um dann einen lebensfähigen Organismus hervorzubringen. Die Design-Theoretiker reden in diesem Fall gern von der ‚irreduziblen Komplexität’.“In der Tat, darin sind sich auch gestandene Evolutionstheoretiker einig, gibt es in der Natur Erscheinungen, für die die Evolutionsbiologie noch keine Erklärung oder Ableitung anzubieten hat. Der Text Riechelmanns nennt Beispiele. Platzgründe hindern uns daran, sie zu zitieren. „Aus der angenommenen nicht reduzierbaren Komplexität schließen seine (die ID d.V.) Anhänger auf eben jenen intelligenten Designer, der das Leben sozusagen aus seinem Geist hinter der Materie anwirft und in Gang setzt. Die Identität des Designers lassen sie dabei offen. … Dass bei vielen Anhängern des Intelligent Designs dabei dann doch wieder Gott herauskommt, dürfte klar sein. Zwangsläufig ist das aber nicht, und das erklärt, warum auch nicht religiöse Wissenschaftler und Deszendenztheoretiker der Idee einer intelligenten Schöpfung anhängen.“

Worauf ist der Auftritt des ID in der US-Gesellschaft zurückzuführen? Da gibt es unterschiedliche Hervorhebungen der Kritiker, obwohl sich ihre historischen Erklärungsmodelle gar nicht ausschließen. Die einen sagen: „Da der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA, bereits mehrmals auf der verfassungsgemäßen Trennung von Religion und Staat beharrt und Alleingänge einzelner Bundesstaaten stets gestoppt hat, haben die Kreationisten die Strategie geändert. Sie vermeiden die Worte Kreationismus, Schöpfung und Gott und sprechen von Intelligent Design (ID). Obwohl ID als Theorie bezeichnet wird, um es mit der Evolutionslehre auf eine Stufe zu stellen, ist es keine. Es erklärt nämlich nichts und kritisiert lediglich vermeintliche Schwachstellen der Evolutionstheorie.“ (19)

Herr Richelmann hingegen betont einen (weniger beachteten, aber nicht von der Hand zu weisenden) Aspekt: „In gewissem Sinne reagiert diese Theorie (d.h. das ID, d.V.) auf offene Fragen, die die institutionalisierte Evolutionstheorie suspendiert und nicht diskutiert oder nicht diskutieren will. Insofern müssen die Theoreme der Intelligent Designer auch nicht unbedingt als Angriff der fundamentalistischen Christen auf die säkularisierte Gesellschaft gewertet werden. Im Gegenteil, die klassischen Kreationisten lehnen die Unterscheidung von religiösen und wissenschaftlichen Schriften strikt ab.“
„Es sind gerade die offenen Fragen der Evolutionstheorie, an denen die Intelligent-Design-Theoretiker ansetzen. Wenn man ihnen argumentativ und nicht nur institutionell, wie es etablierte Universitätsprofessoren wie Kutschera und Hölldobler tun, begegnen will, sollte man auch ihre Argumente studieren und sie nicht einfach mit dem antikreationistischen Affekt abbügeln. Ebenso wenig wie sich innerhalb der Evolutionstheorie Lamarckisten, Darwinisten, Neo-Darwinisten oder Anhänger der synthetischen Evolutionstheorie Ernst Mayrs umstandslos in einen Topf werfen lassen, kann man auch die neuen Naturtheologen der kreationistischen Schule und der Intelligent-Design-Theorie über einen Kamm scheren. Man kommt, gerade wenn man sie kritisieren will, nicht um Genauigkeit herum.“

Soweit so gut. Ich gestatte mir an dieser Stelle eine Zwischenbilanz: Die Stärke des Artikels ist a) Der Unterschied zwischen den klassischen Kreationisten und dem ID (oder besser gesagt, seinen Varianten) wird herausgearbeitet; b) Die Herausforderung der Darwinschen Evolutionstheorie durch das ID wird betont, ja eine Bearbeitung der aufgezeigten Widersprüche und Schwächen der klassischen Evolutionstheorie(en) wird angemahnt; c) Die Schwachpunkte und Fehler des ID, in meinen Textauszügen nicht ausgeführt, werden hervorgehoben. – Bei all dem kann man etwas lernen. Solch gut erkundete Arbeiten wünschte man sich auch in der linken Presse.

Dann aber finden sich Äußerungen im Papier, die befremden sollten: Kreationisten, heißt es da, „sind in der Regel – wenn auch gefährliche – bornierte Deppen, die sich auf ihren Treffen in Dallas auf die Schenkel schlagen, wenn ihnen Ronald Reagan oder George W. Bush süffisant erzählen, dass die Wissenschaft auch ihre Probleme mit der Evolutionstheorie habe. Die Vertreter des Intelligent Design sind das nicht. Im Gegenteil“. Der Kreationist als bornierter Depp: Das ist eine oberflächliche, liberale Kritik an der Religion, hier an einer orthodoxen Form derselben. Eine derartige Polemik erklärt die Wurzeln der Religion im Kapitalismus, religiöser Auffassungen sowie die Existenz des religiösen Bedürfnisses nicht materialistisch. Diese Polemik klagt das religiöse Vorurteil vom Standpunkt eines bürgerlich beschränkten Kulturträgertums an – und verspottet den religiösen Eiferer als Dummkopf.

Werfen wir einen Blick auf amerikanische Zustände: “ In einer von CBS News im Oktober (2005, d.V.) in Auftrag gegebenen Umfrage gaben 51 Prozent an, sie lehnten die Evolutionstheorie ab, vielmehr habe Gott die Lebewesen in ihrer jetzigen Form geschaffen. Das Pew Research Center ermittelte im August, 38% der Amerikaner seien dafür, Kreationismus an Stelle der Evolutionstheorie in den Schulen zu lehren.“ (20) Neue Umfragen bestätigen das Meinungsbild. So untersuchte eine amerikanisch-japanische Forschergruppe gut 20 Jahre lang die Einstellung einer umschriebenen Gruppe amerikanischer Bürger zur Frage, „ob die Aussage ‚Der Mensch von heute hat sich aus früheren tierischen Organismen entwickelt’ richtig oder falsch ist“. Die Erhebung wurde auch auf andere Länder ausgedehnt und ein Vergleich angestellt.

Das Ergebnis liegt nun vor (‚Science’ Bd.313, S.765). Die FAZ schreibt: „Nach zwei Jahrzehnten zum Teil heftiger öffentlicher Debatten über die Bedeutung der Evolution für die Entstehung des Menschen zeigt sich die amerikanische Öffentlichkeit noch immer in zwei annähernd gleich große Lager gespalten. Nicht einmal die Hälfte der Bürger (40 Prozent) teilen der Umfrage zufolge die Überzeugung, daß sich der Mensch durch Evolution entwickelt hat. Praktisch ebenso viele (39 Prozent) verneinen die Evolution bei der Entstehung des Menschen. Aus den Analysen ließ sich errechnen, daß die Zahl der Zweifelnden, die sich nicht sicher über die Herkunft des Menschen sind, zwischen 1985 und 2005 in den Vereinigten Staaten erstaunlicherweise stark zugenommen hat, und zwar von sieben auf 21 Prozent. Zugleich sank der Anteil der Evolutionsanhänger von 45 Prozent im Jahr 1985 auf 40 Prozent im Jahre 2005. Bei einer differenzierteren Befragung standen schließlich nur 17 Prozent zweifelsfrei zu ihrer Meinung, der Mensch sei aus der Evolution hervorgegangen.“ (21)

Und in Europa? „Laut einer Umfrage des schweizerischen Meinungsforschungsinstituts IHA-GfK sind auch im deutschen Sprachraum mehr als 20 Prozent der Menschen der Ansicht, dass die Evolutionstheorie falsch ist.“ (22) Die oben angezeigte amerikanisch-japanische Studie vertieft und differenziert das Zahlenmaterial für Europa und Japan: „Europäer und Japaner hielten deutlich mehr von der Evolution (als Amerikaner d.V.). Gut 90% der Isländer und Japaner akzeptieren die Vorstellung, daß sich der Mensch aus anderen Arten entwickelt hat. Und auch in Frankreich, Dänemark, Schweden, Spanien und Großbritannien waren 80% und mehr der Befragten für die Evolution. Deutschland schnitt mit etwas weniger als 80% ähnlich ab. Noch weniger Anhänger der Evolutionslehre als in den Vereinigten Staaten fanden sich in der Türkei.“ (23)

Nicht jeder, der die Theorie Darwins ablehnt, ist ein klassischer Kreationist. Doch die Gruppe, die an der christlichen Schöpfungsgeschichte im wortwörtlichen Sinne festhält, dürfte nicht unbedeutend sein. Alles nur beschränkte Tölpel? Dann wäre ‚Dummheit’ eine Seuche? Ist sie durch Tröpfcheninfektion übertragbar? Ist sie genetisch vererbbar? Oder bräuchte man zur Erklärung des klassischen Kreationismus sowie für sein heutiges Überleben in den USA nicht eher eine geistesgeschichtliche und gesellschaftspolitische Untersuchung der heutigen US-Gesellschaft? Ich verfüge über eine solche Untersuchung nicht. Daher kann ich nur ‚methodisch’ anmerken: Die These von der angeblichen Dummheit der Kreationisten erklärt und beweist nichts. Bestenfalls illustriert sie die landläufige Meinung, dass der ‚bornierte Depp’ hinter den aufgeklärten Christen zurückfällt, weil der ‚Depp’ den Stand der wissenschaftlichen Diskussion vernachlässigt, oder ihn sogar ignoriert. Aber warum? Spott jedenfalls wird den Kritisierten nicht läutern, eher verbittern. Schmutz war noch nie ein gutes Argument.

September 2006

Literatur:

1) Friedrich Engels: Dialektik der Natur. (Erstveröffentlichung 1925), Berlin: Dietz Verl., 1961 ./ Friedrich Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. (1878), (‚Anti-Dühring’) Mit Kommentar. Hrsg.: Walter Hollitscher. Frankfurt/M.: Verl. Marxistische Blätter, 1971 / Friedrich Engels über die Dialektik der Naturwissenschaft. Texte zusammengestellt und herausgegeben von B.M. Kedrow. Köln: Pahl-Rugenstein Verl., 1979

2) Bezieht sich auf: Horst Rauchfuß: Chemische Evolution und der Ursprung des Lebens. Berlin: Springer, 2005

3) FAZ, 16.11.05, S. N 2

4) J.B.S. Haldane: Der dialektische Materialismus und die moderne Wissenschaft (1941). Berlin Ost: Dietz Verl. 1948

5) A.I. Oparin: Die Entstehung des Lebens auf der Erde. Berlin: ( Übers. nach der 3. veränd. Aufl.), Deutscher Verl. der Wissenschaften, 1957

6) J.D. Bernal: Der Ursprung des Lebens. Lausanne: 1972

7) George W. Bush; zitiert nach: Steve Jones: Gott pfuscht auch. Warum Intelligent Design religiös motivierter Unfug ist. in: Die Zeit./ Nr.33, 11.Aug. 2005, S. 31

8) Discovery Institut; zitiert nach: St. Jones, S. 31

9) Thomas Weber: Christlicher Fundamentalismus in den Lehrplänen englischer Privatschulen. Rückschläge der Evolution. in: FAZ, 26.Juli 2002, S. N 3

10) Zur Übersicht siehe Kutschera u.a.

11) Martin Rasper: Gibt es einen Schöpfer? in: Natur + Kosmos. 12/2005 (S. 20-27), Zitat S. 25 .

12) FAZ , 14.7.05, S. 79 . / Zum Hintergrund siehe auch: M. Laubichler: Glaube ans Design. in: FAZ, 15.7.05, S. 33

13) George Coyne: Aliens und Atheisten. in: Die Zeit. Nr.8, 16. Feb.2006, S. 38/ George Coyne SJ: Gott sprach zu Darwin. Der Schöpfer, der Zufall und der Kardinal. in: FAZ, 25.Aug. 2005, S.31

14) Papst Benedikt XVI; zitiert nach: Am Anfang steht der Schöpfergeist. Auszüge aus der Predigt auf dem Islinger Feld. in: SZ, 13.9.2006, S. 12

15) Daniel C. Dennett: Intelligent Design. Wo bleibt die Wissenschaft? in: Spektrum der Wissenschaft. Okt. 2005 , S. 110-113

16) bild der wissenschaft. 3/2006 , S. 30-33

17) Ulrich Kutschera: Streitpunkt Evolution. Lit-Verlag. Münster: 2004/ U. Kutschera: Evolutionsbiologie. Ulmer/UTB, Stuttgart: 2006 (2.Aufl)

18) Cord Riechelmann: Kann das alles Zufall sein. in: Jungle World. Nr. 51/52 vom 21./23. Dez. 2005, S. 4-5. Alle Zitate stammen aus diesem Artikel

19) M. Rasper, S. 22

20) Matthias B. Krause: Und Darwin hat doch Recht. Wie das New Yorker Museum of Natural History in die aktuelle Debatte um Kreationismus und Intelligent Design eingreift. in: Tagesspiegel. 28. Nov. 2005, S. 23

21) Barbara Hobom: Die Frage der Herkunft. Viele Menschen halten nichts von der Evolutionslehre. in: FAZ, 16. Aug. 2006, S. N 1

22) M. Rasper, S. 23

23) B. Hobom, S. N 1