Die Kindertrompeten des Peter Miso

Chris & Phil

Wir staunten nicht schlecht, als wir eine Mail von einem uns unbekannten Peter Miso erhielten, in der er angab, unter der Überschrift „Zukunftsmusik auf der Kindertrompete“ eine Rezension über ‚Goodbye Kapital‘ geschrieben zu haben. Eigentlich „mehr als eine Buch-Rezension“ schrieb er uns: „[I]nspiriert von eurem Buch habe ich eigene Überlegungen angestellt, teilweise ziemlich abenteuerliche“ (so Miso über Miso). Mit ersterer Angabe bauchpinselt der Peter sich schon sehr. Denn über ‚Goodbye Kapital‘ erfährt der*die geneigte Leser*In recht wenig und letztlich ist es nicht ‚mehr‘, sondern schlichtweg weniger als eine Rezension. Eine ernste Auseinandersetzung mit unserem Buch fand nicht statt, fast gewinnt man den Eindruck, der Rezensent hat das Buch nur auszugsweise gelesen oder digital mit einer Suchmaschine durchforstet. „[E]igene Überlegungen […] teilweise ziemlich abenteuerliche“ findet man dagegen in Misos ‚Rezension‘ mehr als genug. Vieles bezieht sich dabei gar nicht auf uns und bleibt deshalb an dieser Stelle weitestgehend unkommentiert.

Dass wir uns überhaupt auf seine ‚Kindertrompeten‘ einlassen, liegt daran, dass er so viele Zitate von uns verdreht und aus dem Zusammenhang reißt, dass es schlichtweg Falschdarstellungen sind, die eine knappe Gegendarstellung verlangen. Wir beschränken uns dabei auf ausgewählte Beispiele:

Occupy, von Chris&Phil als ‚globale Revolte‘ deklariert“, beginnt Peter seine Ausführungen und zeigt damit deutlich, dass er nicht einmal das einleitende Kapitel bei uns gelesen und/oder verstanden hat. Natürlich bezeichnen wir ‚Occupy‘ nicht als ‚globale Revolte’ sondern beschreiben die Gesamtheit einer ganze Reihe globaler Ereignisse des Jahres 2011, die wir in ihren Eigenheiten und mit ihren Widersprüchlichkeiten darstellen: Die Arabellion, die ‚Empörten‘ in Südeuropa und die Occupy-Bewegung. Wir versuchen dabei aufzuzeigen, wo ihre Besonderheiten und ihre Gemeinsamkeiten lagen und in welchem Zusammenhang sie zur ‚großen Krise‘ standen. Dabei war uns wichtig, die Bewegung(en) weder im orthodoxen Stil zu kritisieren, noch sie unkritisch abzufeiern. Peter versteht das nicht. Dass unser Verhältnis zur ‚Occupy-Bewegung ambivalent‘ sei, ist noch das schlaueste, was ihm einfällt. Ansonsten nur Falschdarstellungen: Die „im Herbst 2011 beginnende, Protestbewegung [gab es für Peter] nur für einige Monate, und eigentlich nur in den USA“. Dagegen im Original: „Interessanterweise startete das Protestjahr 2011 nicht nur zwei bis drei Jahre nach der Weltmarktkrise, sondern auch fernab von deren Zentren. Der Startschuss fiel in Tunesien. Am 14. Januar 2011 […] Sowohl Tunesien als auch Ägypten waren und sind typische Länder der kapitalistischen Peripherie.“ (S. 36). Usw. usf. Eine Darstellung der widersprüchlichen Entwicklung eben. Wen es interessiert, der lese das Original!

Im zweiten Kapitel geht es um Geld. Miso kritisiert den Verlust „wissenschaftlicher Klarheit“ in unserer Darstellung der Geldfunktionen. Sein angeführtes Beispiel zeigt dabei allerdings nur, dass er weder Marx noch unsere Rezeption verstanden hat: „Die Tatsache des kapitalistischen Akkumulationszwanges verleitet Chris&Phil dazu, die dritte Funktion des Geldes, als Wertaufbewahrungsmittel, zu vernachlässigen, ja geradezu auszuschließen […] vielmehr denken sie, alles gehortete Geld müsse wieder zu aktiven Kapital gemacht werden“ (Miso). Dann zitiert er aus unserm Buch: „[D]enn vermehren sie ihr Geld nicht, werden sie es verlieren, und damit ihre Stellung und ihre Macht“ (S. 73). Letzteres Zitat befindet sich in unserem Buch, wie korrekt angegeben, auf Seite 73. Allerdings wird dort längst Geld als Kapital behandelt und natürlich muss Kapital sich vermehren. Dagegen die dritte Geldfunktion ‚Wertaufbewahrungsmittel‘ zu halten, ist totaler Blödsinn. Über ‚wissenschaftliche Klarheit‘ brauchen wir da gar nicht reden.

Gleiches gilt übrigens für seine Kritik an unserer online verfügbaren gekürzten Fassung der marxschen Grundrisse (http://assoziation.info/?p=54). Peter hat ein Marx-Zitat gefunden, das ihm scheinbar Deutungshoheit gegen uns garantiert, und dies bei einer digitalen Durchforstung in unserer gekürzten Fassung nicht gefunden. Surprise, surprise! Der MEW Band 42, auf dessen Grundlage wir gekürzt haben, hat fast 1000 Seiten. Unsere Variante, die wir für Schulungsarbeit entwickelt haben, ganze 730 Seiten weniger! Da wird sich so manches Zitat nicht wiederfinden. Hätte Peter sich allerdings die Mühe gemacht, die 270 Seiten zu lesen, hätte er wohl bemerkt, dass ’sein‘ Zitat, das er so schmerzlich vermisst, von der Logik der Darstellung natürlich drinnen stehen könnte. Nirgends fehlt der Inhalt dieses Zitates.

Aber zurück zu ‚Goodbye Kapital‘ und unserem ‚Rezensenten‘. Hätten wir bezüglich fehlender ‚wissenschaftlichen Klarheit‘ echte Beispiele bekommen, wären wir dankbar gewesen. Dabei gilt es allerdings folgendes zu beachten: Anspruch von unserem Büchlein ist es, dass man es ohne Vorkenntnisse verstehen soll. Es ist sozusagen eine populärwissenschaftliche Schrift. Einen gewissen Grad an ‚wissenschaftlicher Klarheit‘ wird man dabei wohl verlieren, dies ist unbestritten und gilt für alle Wissenschaften. Nicht umsonst empfehlen wir im Buch, das Original, also Marx, zu lesen und zu studieren! Aber anstatt mit Marxologen um die richtige Auslegung zu streiten (und da gibt es ja verschiedene Interpretationen, die sich für die reine Lehre halten), wollten wir hier unseren eigenen Standpunkt darstellen. Wer mehr über diesen erfahren möchte, lese das Original!

Wer dagegen die ‚Kindertrompeten‘ in Gänze gelesen hat, wird schnell gemerkt haben, dass Peter weder über die ‚globale Revolte‘ noch über die Geldfunktionen bei Marx schreiben möchte, sondern sich eigentlich nur für eines interessiert: Die Macht des aufgehäuften Geldes und der Börse!

Die Macht des Geldes und die Börse

Die alte Gier nach Gold ist noch wirksam“, schreibt er über die Schatzbildung. Mag sein, aber Gier erklärt noch nicht den Kapitalismus und die Funktion von ‚Geld als Wertaufbewahrungsmittel‘ in diesem. „Mit vorhandenen Geldverhältnissen (bzw. Besitzverhältnissen) werden bestehende Herrschaftsverhältnisse zementiert“, bewertet er das Geld als Zahlungsmittel. Richtig, Geldverhältnisse schaffen sogar Herrschaftsverhältnisse. Dass wir ausführlich auf die Wirkungen dieser Geldverhältnisse in der Krise eingegangen sind – geschenkt. Peter geht es um etwas anderes: „Das Verhältnis von ‚Gläubiger und Schuldner‘ ist das von Herr und Knecht, die Entwicklung des Geldes aus und in den Handelsgeschäften ein juristischer Akt, die Gesetze des Handels, der Schulden, des Marktes.“ Die Entwicklung des Geldes ein juristischer Akt? Ist das wirklich das, was ihm in unserem Buch an der dritten Geldbestimmung gefehlt hat? Ähäm. ‚Wissenschaftliche Klarheit’?

Konsequenterweise hält Peter die Krise 2007/2008 einzig für ein ‚Finanzdisaster‘, eine reine ‚Geldkrise‘, verursacht von ‚Börsenspielern‘. Original: „Selbst die Börsenwölfe dienen nicht dem Geld, sondern sind nur süchtig, damit und darum zu spielen; und wer spielt, gewinnt eben nicht immer, verliert bisweilen.“ Nun gut. Immerhin hat er unserem Buch entnommen, dass wir diese Einschätzung nicht teilen. Niemand solle sagen, er hätte gar nichts daraus verstanden. Denn ‚Peter und den (Börsen-)Wolf‘ wird man bei uns tatsächlich vergeblich suchen. Doch wer aufmerksam gelesen hat, wird bemerkt haben, dass wir grade von einer oberflächlichen Kritik der Erscheinungen in der Finanzwelt, die in der Krise allerorten zu sehen waren, zu den Grundlagen der kapitalistischen Ökonomie, zum Wert, zur Ware und zum Geld, vordringen wollten. Um eben darzulegen, warum genau diese Basis, die alle höheren Formen wie die Börse erst ermöglicht, abgeschafft werden muss. Mit der Analyse des Spielverhaltens von Finanzinvestoren wird man jedenfalls keine an Marx orientierte Gesellschaftskritik fertigbringen. Aber Marx scheint bezüglich der Börsen sowieso nicht gerade die Hauptreferenz von Peter zu sein: „Marx&Engels unterschätzen anfangs die ökonomische Bedeutung der Börsenspekulation […diese] findet sich erst in der dritten (deutschen) Auflage von ‚Das Kapital Erster Band’.“ Was ein Schwachsinn. Seit Marx sich mit dem Kapitalverhältnis beschäftigte, beschrieb er auch die Börsen. Und das auf einem bis heute unerreicht hohem Niveau. Das kann man von den Piketty, Weber oder Minskey – mit denen Peter Marx ‚ergänzt‘ – beim besten Willen nicht behaupten. Linke Buchläden quellen über mit Wagenknecht, Zeise oder Harvey: Alles Leute, die sich einleitend auf Marx berufen und dann ziemlich schnell bei der ‚Macht der Börsen und des Geldes‘ landen. Soweit, so gewöhnlich. Aber warum wird sowas mittlerweile in den AzD abgedruckt? In dieser Zeitschrift erschien immerhin der Artikel ‚Monopolkapitalismus und Finanzkapital‘ (AzD 39) der gründlich mit den Grundlagen dieser Theorie aufgeräumt hat. Aber sei’s drum… Wer mehr darüber erfahren möchte, lese Klaus Winter in den alten Ausgaben der AzD!

Kommunismus

Der eigentliche Clou unseres Buches, das dritte Kapitel zu Arbeitszeitrechnung, wird von Peter mit einer Kritik an den ‚Alternativen aus dem Rechner‘ von Cockshott/Cottrell übergangen, auf die wir uns nicht wie er behauptet berufen, sondern die wir kritisieren. Wir beziehen uns dagegen konsequenter auf die ‚Kritik des Gothaer Programmentwurfs‘ und sehen gerade den von Miso kritisierten Punkt („Lohn im Kommunismus“) anders als Cockshott/Cottrell!

Die einschlägigen Textstellen bei Marx dürften bekannt sein. Marx spricht von einer „ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft“, wie sie aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgegangen ist, in der noch das bürgerliche Prinzip der Verteilung gilt. Cockshott/Cottrell bleiben hier stehen. Was bei letzteren eine dauerhafte Einrichtung sein soll, nämlich ‚Entlohnung‘ nach Arbeitszeit, ist bei uns ein aus der alten Gesellschaft überkommener, zunächst ‚unvermeidbarer Mißstand’ der Übergangsgesellschaft.

Erst in einer „höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft“, die „nach langen Geburtswehen“ aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgegangen ist, gilt: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ Diese Gedanken haben wir uns recht konsequent zu eigen gemacht, wie man spätestens im fünften Kapitel unsere Buches bemerken dürfte, an dessen Ende wir sogar voranstehendes Zitat paraphrasieren.

Aber was hat Peter gelesen: „Es bleibt seltsam und beinahe unverständlich, an Lohn und Preis (wenn auch ohne Profit) in einer kommunistischen Gesellschaft festhalten zu wollen, anstatt eine bedarfsgerechte Verteilung vorhandener Wirtschaftsgüter anzustreben, ohne Auf- und Abrechnung von ‚Arbeitsguthaben‘ (Junge können noch nicht arbeiten, Alte können es nicht mehr; die Bewertung der Arbeitsleistung von Künstlern ist problematisch; etc.).“ Vermutlich kritisiert Peter hier wieder Cockshott/Cottrell und hat diese mit uns verwechselt? Für jede/n, der unser Buch gelesen hat, machen seine Ausführungen spätestens hier beim besten Willen keinen Sinn mehr. Aber amüsant ist es schon zu einem gewissen Grad: Der Kritiker der Kindertrompeten interessiert sich plötzlich für die ‚Bewertung der Arbeitsleistung von Künstlern‘!? LOL

Aber noch einmal zu wichtigen Dingen zurück: „Einstimmig mit Bloch denken Chris&Phil, daß ein neues Bewußtsein sich nur entwickeln, nicht einfach beschlossen werden kann. Aber mit der Arbeitskontenrechnung, die sofort umsetzbar wäre, könne es sich entwickeln“ (Miso). Ein weiterer Punkt, bei dem Peter tatsächlich etwas verstanden hat! Ebenso wie Bloch haben wir diesen klugen Gedanken allerdings bei Marx entlehnt: „Das Recht kann nie höher sein als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft.“ Nur ‚Arbeitskontenrechnung‘ ist eine Erfindung des ‚Rezensenten‘, kommt bei uns nicht vor und ist auch nicht gemeint. Die Arbeitszeitrechnung, mit der wir uns naheliegenderweise ausführlicher als mit den Arbeitszeitkonten beschäftigen, ignoriert Peter dafür konsequent.

Eine „Zustimmung zu den Stundenzetteln bzw. dem Arbeitsgeld“ kann Peter bei Marx nicht finden. Die Beurteilung, ob bei revolutionärer Umgestaltung der Gesellschaft „Marx diese Möglichkeit wohlwollend, wenn nicht gar zustimmend in Betracht zog“ (Goodbye Kapital, 11) wollen wir an dieser Stelle dem*der Leser*In des Originals überlassen. Hier nur eines: Peter selbst zitiert den entscheidenden Punkt, dass es darum gehen muss, das in der „Kategorie Geld ausgedrückte Produktionsverhältnis selbst aufzuheben“. Dass alle unsere Betrachtungen zur Arbeitszeitrechnung dies zur Bedingung machen, übersieht unser eifriger Rezensent. Dabei hätte er dazu bloß den Klappentext lesen müssen…

Ansonsten mault er sich noch miesopetrig ein bisschen was zu ‚Proletariat’ und ‚Klassenkampf‘ zusammen. Was er verschweigt: Wir haben beide Themen in Kapitel vier untergebracht, in welchem wir bewusst und ernsthaft Fragen aufwerfen. Diese Fragen stellen wir offen und nicht als rhetorische Finten. Als orthodoxer Gralshüter kann man es natürlich schon frevelhaft finden, diese Angelegenheiten aus dem Kanon herauszunehmen und als Fragen aufzuwerfen. Geschenkt. Aber warum wieder diese grotesken Falschaussagen? Zum ersten Satz aus dem kommunistischen Manifest heißt es bei uns: Dieser „ist sicherlich nicht falsch, aber vielleicht doch etwas einseitig. Zumindest ist er meistens sehr einseitig aufgefasst worden“ (S. 111). Was macht Peter daraus? Die Unterstellung, bei uns würde es heißen, der Satz würde „heute nicht mehr zutreffen“!? Aus seiner Behauptung leitet er dann ab, wir würden „die aktuellen ökonomischen und ökologischen Probleme nicht mehr als eine Klassen-, sondern als eine Menschheitsfrage“ sehen. Abgesehen von den Fragen, die wir in Kapitel vier aufwerfen, schreiben wir recht eindeutig: „Wir wollen hier deshalb auch nicht dafür plädieren, die Theorie von Klassen und Klassenkämpfen zum alten Eisen zu legen. Schließlich leben wir nach wie vor in einer Klassengesellschaft […]“ (S. 113). Kindertrompeten hin oder her – versuchen mit einem Holzhammer draufzuhauen und dann voll daneben treffen, macht definitiv keinen schönen Klang …

Das diese Replik insgesamt etwas den Anschein von Marxexegese und Zitatenschlacht hat, liegt ausschließlich an der undankbaren Tatsache, dass Peter die entscheidenden Zitate vollkommen aus dem Zusammenhang reißt und damit unsägliche Falschdarstellungen bietet. Tatsächlich geht es in unserem Buch um etwas anderes. Angelehnt an Marx wird ein in einfacher Sprache verfasster (eigenständiger) Entwurf zu den Themen Geld und Zukunft entwickelt. Wen es interessiert, der lese das Original oder sei auf die Rezension des marxistischen Ökonomen Günther Sandleben verwiesen, die am 06.01.20 unter dem Titel ‚Prägendes Verhältnis‘ in der ‚junge Welt‘ erschien und sich im Netz leicht finden lässt.

Zu Peters ‚Rezension‘ zusammenfassend – wie damals in der Schule: ‚Thema verfehlt, setzen, sechs!‘