Das deutsche Eingreifen – Kampf um Kolonien?
Nach der Machtübertragung auf Hitler schien es zunächst so, als setzten die Nazis in der Kolonialpolitik den traditionellen Revanchismus fort. Hitler, keinesfalls Protagonist dieser Politik, forderte hin und wieder die Rückgabe der deutschen Kolonien. 1933 sagte er: „Was unsere Überseekolonien anbetrifft, so haben wir koloniale Bestrebungen keineswegs aufgegeben (…)“ [279] Am 7.3.1936 forderte der „Führer“ erstmals in einer offiziellen Erklärung die Rückgabe der deutschen Kolonien. [280] In diesem Jahr machte die deutsche Presse die koloniale Frage zum Dauerthema. Hitler betonte dabei, daß es sich nur um eine friedliche Rückgabe handeln könne. [281]
Im Sommer 1936 schickte Hitler Hjalmar Schacht nach Paris, um über die Rückgabe der deutschen Kolonien zu verhandeln. Schacht berichtete nach dem Krieg von diesen Verhandlungen: „Bevor jedoch eine präzisere Antwort einlief, wurde alles zunichte gemacht, weil Hitler durch seinen Eingriff in die spanische Bürgerkriegs – Affäre die Beziehung zu beiden Westmächten auf das Ungünstigste beeinflußte. Ein schon angesagter Besuch des deutschen Außenministers von Neurath in London wurde wieder abgesagt, und meine aussichtsreich begonnenen Besprechungen fanden keine Fortsetzung.“ [282]
Noch im „Friedensangebot“ an England vom 6. Oktober 1939 bot Hitler an, das Empire nicht anzutasten, verlangte aber auch die Rückgabe der deutschen Kolonien. [283] Frankreich und England zeigten sich im Rahmen der Appeasementpolitik sogar zu einigen kolonialen Zugeständnissen bereit. Doch Hitler hatte schließlich ganz andere Ziele. So hielten damalige Staatsmänner im Nachhinein Hitlers koloniale Revisionsforderungen für Ablenkung. Francois Poncet meinte, daß die kolonialen Forderungen „nur ein Täuschungsmanöver Hitlers waren, der bloß auf einen günstigen Augenblick wartete, um Hand an Österreich und die Tschechoslowakei zu legen.“ [284] Im gleichen Tenor schätzte ihn der britische Premier Chamberlain ein: „Die koloniale Agitation diente Hitler (…) nur noch als Ablenkungsmanöver, um seine wahren Absichten zu verbergen.“ [285]
Den Flottenbau (Z-Plan) ließ Hitler im September 1939, also kurz vor der anstehenden Auseinandersetzung im Westen, einstellen. Er wurde erst später wieder aufgenommen. Diese Tatsache spricht dafür, daß der „Führer“ der nationalsozialistischen Bewegung seine Programmatik nicht geändert hatte. Bei der Besetzung Frankreichs zeigte Deutschland, wie schon erwähnt, keinerlei koloniale Interessen. Es ist also anzunehmen, daß Hitler die Forderung nach der Rückgabe der deutschen Kolonien nur als taktisches Mittel gegen seine Gegner einsetzte.
Das deutsche Eingreifen in den Krieg in Afrika hatte andere Ursachen. Hier wurde der „Stahlpakt“ mit Italien zum Verhängnis für die deutsche Ostexpansion. Italien versuchte seit dem Machtantritt der Faschisten, ein „großrömisches Imperium“ zu schaffen und knüpfte dabei an klassische imperialistische Kolonialpolitik an. 1935 begann Italien mit der Aggression gegen Abessinien den kolonialen Eroberungsfeldzug in Afrika. Den Eroberungskrieg führte Italien gegen Libyen und Ägypten weiter. Großbritannien startete im Dezember 1939 den Gegenangriff zur Rettung des Empire. Der Krieg in Afrika war somit ein klassischer Kampf zweier Kolonialmächte um Einflußsphären. Die italienische Armee verlor in Afrika eine Schlacht nach der anderen gegen die Briten und mußte sich immer mehr zurückziehen. Zusätzlich lieferten sich Italien und Großbritannien um Griechenland, das zum Einflußgebiet des Empire gehörte, harte Gefechte, auch hier drohte die faschistische Kriegspolitik im Fiasko zu enden.
Ab Februar 1940 versuchte das deutsche „Afrika- Korps“, Italien vor einer katastrophalen Niederlage zu retten und griff in den Kolonialkrieg ein. Die Nazis sahen sich gezwungen, dem italienischen Kolonialismus Schützenhilfe zu leisten, da ein Sieg Englands den Alliierten einen weiteren Zugang zum europäischen Festland über das Mittelmeer verschafft hätte. Dem Autor sind keine Dokumente bekannt, die belegen würden, daß Hitler in Afrika koloniale Ziele verfolgte. Der deutsche Eingriff konnte die Niederlage der „Achse“ in Afrika nur verzögern, aber nicht abwenden. Die deutschen Truppen mußten am 13. Mai 1943 kapitulieren. „Die westlichen Alliierten errangen günstige Bedingungen für eine Landung auf Sizilien und der Apenninhalbinsel.“ [286]
Krieg auf dem Balkan
Schon seit Jahrhunderten kämpften die Großmächte um politischen und ökonomischen Einfluß auf dem Balkan. Mit der Machtübernahme der NSDAP versuchten die Regierung und deutsche Konzerne den Balkan als ökonomische Einflußsphäre zurückzugewinnen. Mit Hjalmar Schachts „Neuem Plan“ sollten die Balkanstaaten zum billigen Agrarlieferanten und Absatzmarkt für Deutschland werden. Man tauschte Maschinen gegen Agrarprodukte und konnte so Devisen sparen. Einige Staaten gerieten schon vor der deutschen Aggression in große Abhängigkeit.
Als erstes Land versuchte Italien, Albanien und Griechenland militärisch zu unterwerfen. Beide Länder wurden von den Faschisten als natürliche Einflußsphäre des „römischen“ Imperiums angesehen. Im Oktober 1940 überfiel die italienische Armee das kleine Albanien. Wenig später erfolgte die italienische Intervention in Griechenland. Auch hier fand das italienische Kriegsglück ein schnelles Ende. Die griechische Armee leistete mit politischer und militärischer Unterstützung Großbritanniens erfolgreichen Widerstand. Am 16. März brach dadurch die italienische Offensive endgültig zusammen.
Die deutsche Regierung griff in den Krieg ein. Am 6.April gab Hitler den Befehl für den Angriff. Deutsche Truppen sollten mit Hilfe von Bulgarien und Rumänien Griechenland besetzen, um den Krieg auf dem Balkan zu beenden. Hitler äußerte damals: „Ich sehe wohl, daß der italienische Beistand gleich Null ist, aber die strategische Lage Italiens ist zu wichtig, als daß ich zugestehen könnte, daß das Land aus diesem Krieg vollkommen zusammengebrochen hervorginge.“ [287] Kurz danach trafen sich Hitler und Mussolini in der Nähe von Salzburg. Hitler lehnte zu diesem Zeitpunkt noch das Entsenden deutscher Panzerdivisionen nach Afrika ab und schlug Mussolini vor, zusammen mit Jugoslawien Griechenland zu besetzen. [288] Zu diesem Zeitpunkt war das königliche Jugoslawien Mitglied des „Dreimächtepaktes“ und somit wichtiger Verbündeter. Am 27. März machte ein Offiziersputsch in Jugoslawien Hitler einen Strich durch die Rechnung. Die neue Regierung trat aus dem Dreimächtepakt aus und schloß wenig später einen Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion, der allerdings keine militärischen Verpflichtungen enthielt. Noch am 27. März unterzeichnete Hitler die Weisung Nr. 25, die festlegte, daß Jugoslawien „so rasch wie möglich zerschlagen werden“ müsse. [289]
Am 6. April 1941 folgte der deutsch-italienische Angriff auf Jugoslawien und Griechenland. In Belgrad veranstaltete die deutsche Luftwaffe einen gnadenlosen Bombenterror gegen die Bevölkerung. Ziel des deutschen Angriffs war die Sicherung der Südflanke für den „Rußlandfeldzug“. „Im Grunde war Hitler durchaus nicht kampfeslustig. Er zog widerwillig in die Balkanarena, in die er sich wegen des törichten Angriffs Mussolinis auf die Griechen begeben mußte, denen die Achse nicht das geringste vorzuwerfen hatte. Die Truppen, die die Donau überschritten, waren eigentlich dazu bestimmt, die Ukraine zu besetzen, und nur äußerst unwillig befahl ihnen Hitler nun diesen Umweg über das Ägäische Meer.“ [290] Durch das Eingreifen in Jugoslawien mußten die Nazis den Überfall auf die Sowjetunion um 4 Wochen verschieben. [291] Hitler hätte lieber ein in den Antikomintern-Pakt eingebundenes Jugoslawien gesehen, als an immer mehr Fronten kämpfen zu müssen. Doch jetzt, wo die Achse den Balkan unterworfen hatte, erfolgte eine systematische wirtschaftliche Ausbeutung durch Deutschland. Rohstoffe wie das rumänische Öl wurden unentbehrlich, um den Krieg weiterzuführen.
Nach dem Sieg der Wehrmacht auf dem Balkan standen die Siegesaussichten für einen Krieg im Mittelmeer gut. Trotzdem bereiteten die Nazis Deutschland auf den alles entscheidenden Krieg gegen die Sowjetunion vor. „Unmittelbar nach dem Kreta-Unternehmen wurde der Hauptteil der deutschen Luftstreitkräfte vom Mittelmeer in die Ausgangsstellungen für den Rußland- Feldzug verlegt.“ [292], berichtete Admiral Friedrich Runge. Wieder entschied sich Hitler gegen einen antibritischen Kolonialkrieg.
Der Krieg im Westen, auf dem Balkan und in Afrika stellte nur scheinbar eine Abweichung vom nationalsozialistischen Programm dar. Deutschland hatte die volle Verantwortung für diese Kriege. In allen Ländern verübte Deutschland grausame Kriegsverbrechen, versuchte das Judentum zu vernichten und beutete die besetzen Länder wirtschaftlich aus.
Den Krieg im Westen nahmen die Nazis billigend in Kauf. Er bildete aber in der nationalsozialistischen Strategie nur die zweite Variante. Sie entschieden sich erst für den Krieg, als die erste Variante, das Bündnis mit dem Empire zur Rückendeckung für den Vernichtungskrieg im Osten, gescheitert war. Neben dem eisernen englischen Willen, Deutschland nicht die Herrschaft über Europa zu überlassen, rief das militärische Debakel des italienischen Faschismus Deutschland auf die Schlachtfelder in Afrika und auf dem Balkan. Das deutsche Eingreifen schadete und verzögerte die Vorbereitung des „Unternehmens Barbarossa“. Die Nazis mußten aber aus der Logik ihres Programms eingreifen, da ein auf Grund des italienischen Zusammenbruchs vorrückendes England alle bis dahin errungenen Erfolge in Frage gestellt und den Krieg gegen die Sowjetunion auf den Sanktnimmerleinstag vertagt hätte. Zum einen war das Bündnis mit Italien dem deutschen Faschismus zum Verhängnis geworden, zum anderen hatte sich das Empire nicht programmgemäß verhalten. Trotzdem starteten die Nazis nun den Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion.