Revolution und Konterrevolution 1918

Der nachstehende Beitrag wurde in einer gekürzten Fassung zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift Sozialismus, Heft 11-2018

Heiner Karuscheit 

Das Scheitern einer bürgerlichen Revolution und die Folgen

Seit der gescheiterten Revolution von 1848/49 stand die Vollendung der bürgerlichen Revolution in Deutschland auf der Tagesordnung der Geschichte.

Die Reichsgründung hatte die nationale Aufgabenstellung dieser Revolution erledigt, aber gleichzeitig die Verwirklichung ihrer demokratischen Aufgabenstellung, den Sturz der preußischen Militärmonarchie und ihrer herrschenden Klasse von Gutsbesitzern, abgewendet. Der von Bismarck durch die Einigungskriege von 1866-1870 zustande gebrachte Reichsgründungskompromiss zwischen Junkertum und Bourgeoisie – genauer gesagt mit dem rechten, schwerindustriellen Flügel der Bourgeoisie – hatte diesem eine Beteiligung an der Herrschaft eingeräumt, aber der innere Kern der Macht war den bürgerlichen Kräften verschlossen geblieben, denn die Militäraristokratie behielt nicht nur das Kommando über die Armee, sondern aufgrund des fortgeltenden Dreiklassenwahlrechts auch die Vorherrschaft über den deutschen Hegemonialstaat Preußen. (Karuscheit 2014: 90ff)

Die bürgerliche Revolution war mit der Reichseinigung also nicht erledigt, wie die Sozialdemokratie meinte,1 sondern musste als demokratische Revolution weitergeführt werden. Da sich die Bourgeoisie jedoch davon verabschiedet hatte, ja ihre maßgebliche Fraktion auf der anderen Seite der Barrikade stand, musste die Arbeiterbewegung an ihre Stelle treten. Erst wenn diese historisch unabdingbare Aufgabenstellung gelöst war, war der Weg zum Sozialismus frei.

In den folgenden Jahrzehnten erlebte der industrielle Kapitalismus in Deutschland einen beispiellosen Aufschwung, aber die bei der Reichsgründung zementierten Herrschaftsverhältnisse blieben bis zum Weltkrieg unverändert.2 Durch welche politische Umwälzung sollte die Bourgeoisie auch in den Besitz der Macht gelangt sein? Sie hatte nach Bismarcks Abgang ihren Einfluss auf den Staat ausbauen können, mehr aber nicht. Wenn es noch eines Beweises für die gegebenen Machtverhältnisse bedurfte, so erbrachte ihn der Weltkrieg, denn während in Frankreich und Großbritannien, den Ländern einer bürgerlichen Revolution in Europa, die Parlamente die Oberhoheit über das Militär behielten bzw. ausweiteten, hielt in Deutschland seit 1916 die Oberste Heeresleitung unter Hindenburg und Ludendorff die Zügel der Macht in der Hand.

Eine revolutionär-demokratische Umwälzung

Am Ende des Großen Kriegs schien endlich zu gelingen, was 1848/49 fehlgeschlagen war. Anfang November 1918 fegte eine elementare, sich wie ein Lauffeuer ausbreitende revolutionäre Bewegung die bis dahin unbesiegbar erscheinende preußisch-deutsche Staatsmaschinerie binnen weniger Tage hinweg. Soldatenräte übernahmen die Herrschaft über das wichtigste Machtinstrument der Militäraristokratie, das Heer; in allen größeren und vielen kleineren Städten entmachteten Arbeiter- und Soldatenräte den monarchischen Polizei- und Verwaltungsapparat, und die Fürstenthrone stürzten einer nach dem anderen. Als der Bau der alten Herrschaft wie ein Kartenhaus in sich zusammen fiel und eine Republik an die Stelle des Kaiserreichs trat, schien die bürgerliche Revolution endlich gesiegt zu haben. In ganz Deutschland existierte keine andere Macht mehr als die Rätebewegung, die zwar von Arbeitern dominiert war, aber auch viele bürgerliche Kräfte umfasste und insbesondere in den Soldatenräten des Heeres eine nichtproletarische Mehrheit aufwies, entsprechend der Zusammensetzung der Armee. (zu den Soldatenräten: Kluge) Trotz der Kriegsniederlage befand sich die deutsche Gesellschaft im Aufbruch, denn der jahrelange Krieg war vorüber und zusammen mit dem preußischen Militarismus schien auch der reaktionäre Obrigkeitsstaat überwunden zu sein.

Vom 16.-21. Dezember 1918 trat in Berlin der zentrale Reichsrätekongress zusammen, um über die endgültige Beseitigung der alten Ordnung und die künftige Gestaltung des Staats zu beraten. Er beschloss u.a. die „Zertrümmerung des Militarismus“, die Schaffung einer Volkswehr anstelle eines stehenden Heeres sowie die Sozialisierung „aller dafür reifen Industrien“ – gemeint war die Schwerindustrie. Außerdem war Konsens in der Novemberbewegung, den Großgrundbesitz aufzuteilen.3 Auch wenn die Ziele der Massenbewegung nicht ausformuliert waren, war das Programm der Revolution eindeutig. „Dieses Programm war die Abschaffung des Obrigkeitsstaats und eine tiefgreifende demokratische Umgestaltung der politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse.“ (Rürup: 50)

Von der Sozialisierung der Schwerindustrie abgesehen (die wegen des Monopolcharakters auch von Bürgerlichen unterstützt wurde), gehörten die geforderten Maßnahmen seit 1848/49 zum Grundkatalog einer bürgerlichen Revolution gegen die preußische Militärmonarchie. Die spontane Bewegung stellte sich die Aufgabe, die historisch auf der Tagesordnung stand, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Teils waren die aufgestellten Forderungen von einer sozialistischen Terminologie begleitet, aber ein „ernster Wille, sozialistische Maßnahmen durchzuführen, zeigte sich bei den revolutionären Massen eigentlich nirgends. Solche Absichten wären schon durch die Haltung der Soldaten vereitelt worden, deren Mehrheit nicht sozialistisch war, entsprechend der Zusammensetzung des deutschen Volkes.“ (Rosenberg 1: 139)

Dem entsprach die Entscheidung über die künftige Regierungsform. Ein Antrag, das Rätesystem „als Grundlage der Verfassung der sozialistischen Republik“ festzuschreiben, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Stattdessen beschloss der Kongress, Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung durchzuführen. Er wendete sich also dagegen, seine eigene Herrschaft zu etablieren, sondern öffnete den Weg für eine parlamentarische Demokratie.

Das sozialdemokratische Machtkonzept

Aber während die revolutionäre Bewegung sich noch ihres Sieges sicher war und der Rätekongress über die Demokratisierung Deutschlands beriet, hatte die SPD-Führung hinter den Kulissen die Weichen für eine ganz andere Politik gestellt.

Die Sozialdemokratie war nach dem Ende des Sozialistengesetzes 1890 allmählich in den Staat hineingewachsen, und das war in Preußen-Deutschland ein vorbürgerlicher Militär- und Obrigkeitsstaat, der sich einer bürgerlichen Revolution bis dahin erfolgreich widersetzt hatte. Anders als bei den sozialistischen Parteien Frankreichs und Großbritanniens bewirkte das Hineinwachsen in ihn keine Verbürgerlichung, sondern eine Verpreußung der Sozialdemokratie. (Karuscheit: Für Preußen-Deutschland und die Macht. Die Politik der SPD in Krieg und Novemberrevolution, in Initial 3/2018; ders: Die SPD und der „Junkerstaat“, in: Karuscheit u.a. 2018)

Damit im Zusammenhang hatte die Parteiführung sich von dem Ziel verabschiedet, im Fall eines Siegs der Arbeiterbewegung die alte Staatsmaschinerie zu zerschlagen und eine neue aufzubauen, wie Marx und Engels das für unumgänglich gehalten hatten, sondern strebte deren Übernahme unter sozialdemokratischer Herrschaft an. Das bedeutete in diesem Fall, den obrigkeitlichen Beamtenstaat fortzuführen – mit den Worten des Parteivorsitzenden Bebel: „Wenn wir den Junkerstaat in der Hand haben, haben wir alles.“

Militärpolitisch ergänzte sich dieses Konzept durch die Position, im Fall eines deutsch-russischen Kriegs mit Regierung und Militär zusammen zu gehen, um die Errungenschaften der Arbeiterbewegung gegen eine unterstellte Bedrohung durch das barbarisch-zaristische Russland zu verteidigen. Damit hatte sich der Wandel zu einer preußisch-sozialpatriotischen Arbeiterpartei komplettiert, und auf dieser Basis war die Sozialdemokratie im August 1914 an die Seite der Regierung getreten, um das Proletariat unter dem Kommando des Militäradels für einen deutschen Sieg kämpfen zu lassen. Das damit eingegangene Kriegsbündnis war anschließend durch das Vaterländische Hilfsdienstgesetz 1916 sowie den gemeinsam mit der OHL organisierten Sturz des friedensbereiten Kanzlers Bethmann Hollweg 1917 vertieft worden. (Karuscheit 2017: 60ff)

Im Oktober 1918 stand die SPD kurz davor, den „Junkerstaat“ in die Hand zu bekommen, wie angestrebt, denn angesichts der bevorstehenden Kriegsniederlage hatte die Reichsregierung, um den US-Präsidenten Wilson als Friedensvermittler zu gewinnen, durch eine Verfassungsänderung das Kaiserreich parlamentarisiert und damit der stärksten Reichstagspartei das Tor zur Regierungsübernahme geöffnet. Von diesem Stand aus war die Novemberrevolution nicht nur überflüssig, sondern vor allem von Übel, weil die SPD-Führung die vorhandene Staatsordnung weiterführen wollte, während das Ziel der Revolution die Errichtung eines neuen Staats war. Nachdem sie die Ausrufung der Republik und somit das Ende der Monarchie nicht hatte verhindern können, setzte sie nunmehr alles daran, es bei einem bloßen Wechsel der Staatsform zu belassen und die alte Ordnung unter republikanischem Vorzeichen zu bewahren bzw. wiederherzustellen. Zu diesem Zweck nutzte sie das Vertrauen, über das sie trotz Abspaltung der USPD in den proletarischen Massen verfügte, und setzte sich an die Spitze der Bewegung, um von hier aus die politisch-gesellschaftliche Entwicklung zu steuern.

Konterrevolution unter Führung der SPD

Am 10. November bildete sich auf ihren Vorschlag hin aus je drei Vertretern von SPD und USPD der Rat der Volksbeauftragten, der in der kommenden Zeit als „Revolutionsregierung“ fungierte. Nach seiner eigenen Erklärung und der Überzeugung der Massen würde der Rat die Ziele der Revolution umsetzen, so auch die Beschlüsse des Rätekongresses einige Wochen später. Jedoch verfolgten die SPD-Mitglieder im Rat andere Ziele. Noch am Abend des 10. November vereinbarte Friedrich Ebert, der führende Kopf im Rat der Volksbeauftragten, mit General Groener, dem Nachfolger Ludendorffs in der OHL, die Zusammenarbeit mit der alten Militärführung, um möglichst rasch wieder „gesetzmäßige Zustände“ herzustellen.

Die Übereinkunft war nicht aus der Situation heraus geboren, wie regelmäßig unterstellt wird, sondern setzte das 1914 eingegangene Bündnis mit dem Militäradel fort. Vier Jahre zuvor als Kriegsbündnis gegen die Alliierten eingegangen, richtete seine Fortsetzung sich jetzt gegen die Novemberrevolution. Klassenpolitisch eine Allianz zwischen dem rechten Flügel der Arbeiterbewegung und der Militäraristokratie, stellte es den eigentlichen Gründungsakt der am Tag zuvor ausgerufenen Republik dar, sicherte über die Abwehr der revolutionären Demokratiebewegung hinaus die Fortexistenz des Junkertums und gab die künftige Gestalt der Republik vor. Alle weiteren Entscheidungen, die den Grundcharakter des Weimarer Staats bestimmten, ergaben sich aus der Weichenstellung dieses Tags.

Das heißt, als der Rätekongress im Dezember 1918 tagte, hatte die SPD-Führung schon einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Das von dem Kongress beschlossene Demokratisierungsprogramm stand „zum Konzept der SPD-Führung in eindeutigem Widerspruch“ (Kolb;Schumann: 15), und die Sozialdemokraten dachten gar nicht daran, es umzusetzen. Sie realisierten nicht einen der gefassten Beschlüsse und hebelten die Rätebewegung Schritt für Schritt aus.

Als Pendant zum Ebert-Groener-Pakt hatte die Gewerkschaftsführung am 15. November mit der Schwerindustrie das sog. Stinnes-Legien-Abkommen geschlossen, das die sozialdemokratische Allianz mit dem Junkertum durch ein Bündnis der Gewerkschaften mit dem rechten Flügel der Bourgeoisie ergänzte und die Verstaatlichung der Zechen und Stahlwerke im Tausch gegen sozialpolitische Zugeständnisse abwendete. Da außerdem die überfällige Landreform nicht durchgeführt wurde, so dass die Gutsbesitzer ihr Eigentum und ihren gesellschaftlichen Einfluss in Ostelbien bewahren konnten, behielten die entscheidenden Träger der alten Ordnung ihre Machtpositionen. Darüber hinaus erfolgte keine Trennung von Staat und Kirche, wurden die Fürstenhäuser nicht entschädigungslos enteignet, blieb das reaktionäre Justizwesen erhalten und wurden die Räte, die überall die Demokratisierung von Verwaltung und Polizei eingeleitet hatten, sukzessive entmachtet. Auf diese Weise blieb „der ganze Herrschafts- und Geistesapparat des Kaiserreiches erhalten: Verwaltung, Justiz, Universität, Kirchen, Wirtschaft, Generalität“. (Mann: 670)

Als die Massen registrierten, dass die von ihnen geforderten Veränderungen durch den Rat der Volksbeauftragten sabotiert wurden, kam es in Teilen der Bewegung zu einer Linkswendung bis hin zu Aufstandsversuchen. „Nicht zuletzt aufgrund der von der SPD-Führung verfolgten politischen Linie endete so, was im November 1918 als demokratische Volksbewegung begonnen hatte, im Frühjahr 1919 in Radikalisierung bei den einen und Resignation bei den anderen.“ (Kolb; Schumann: 173) Doch es gab keine politische Kraft, die den revolutionär-demokratischen Kampf mit dem geeigneten Programm organisieren und anführen konnte. Weil die SPD auf der Linken keinen ernst zu nehmenden Gegenspieler hatte, hatten die in aller Eile aufgestellten Freikorps und neu formierten Reichswehrverbände keine Mühe, den aufflackernden Widerstand niederzuwerfen.4

Eine Staatsgründung ohne Perspektive

Als Produkt nicht einer siegreichen demokratisch-bürgerlichen Revolution, sondern einer Konterrevolution gründete die Republik „ihr Selbstverständnis nicht auf die Revolution, sondern allenfalls auf deren Überwindung. … die der Revolution abgerungene Kontinuität war die Basis der Weimarer Demokratie.“ (Rürup: 4f) 1928 gab die sozialdemokratisch geführte Müller-Regierung einen Sammelband „Zehn Jahre deutsche Geschichte 1918-1928“ heraus. Der revolutionäre Staatsumsturz als Ausgangspunkt der Republik fand darin mit keinem Wort Erwähnung. Stattdessen war von den „Tagen des völligen Zusammenbruchs“ sowie „Deutschlands tiefster Not“ die Rede, und der Beitrag von Gustav Noske arbeitete die „Abwehr das Bolschewismus“ als entscheidendes Merkmal der Republikgründung heraus. (Rürup: ebda)

Der Vorgänger des Weimarer Staats, das Kaiserreich, hatte seine innenpolitische Stabilität fast vierzig Jahre lang bewahrt, gestützt auf den Reichsgründungskompromiss zwischen Junkertum und Bourgeoisie, der den Nationalstaat hervorgebracht hatte und erst 1909 zerbrach. Auch diesmal stand ein Klassenbündnis an der Wiege des neuen Staats. Aber dieses Bündnis hatte nur ein negatives Ziel, nämlich das Zurückwerfen der Novemberrevolution; ihm lag kein neuer Gesellschaftsvertrag zugrunde und es konnte dem neuen Staat keine Stabilität bringen – im Gegenteil.

Bei der vom Rätekongress beschlossenen Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 gaben die Massen den Parteien, die sich zur Republik bekannten und für die parlamentarische Demokratie eintraten (SPD, Zentrum und DDP) mit über 76 % mehr als drei Viertel der Stimmen, getragen von einer Welle der demokratischen Hoffnungen. Anderthalb Jahre später, nachdem inzwischen die Verfassung verabschiedet war, fand am 6. Juni 1920, wenige Monate nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch und der blutigen Niederschlagung des Ruhraufstands, die erste reguläre Reichstagswahl statt. Nach dem Ausbleiben aller von den Massen erhofften Reformen und dem Wüten von Reichswehr und Freikorps war die bei der Wahl zur Nationalversammlung vorherrschende Aufbruchstimmung verflogen und erhielten die Parteien der Republik statt ihrer vorherigen Dreiviertelmehrheit weniger als 44 % der Stimmen. Allein die SPD verlor fast die Hälfte und ging von knapp 38 auf unter 22 % der Stimmen zurück – das dürften zahlenmäßig in etwa ihre Stammwähler vom reaktionären Flügel der Arbeiterbewegung gewesen sein. Nur eine Minderheit von Wählerinnen und Wählern bekannte sich also noch mit ihrem Stimmzettel zur parlamentarischen Demokratie, und das blieb mit abnehmender Tendenz bis zum Ende der Republik so. Faktisch setzte der Niedergang des Weimarer Staats schon ein Jahr nach seiner Gründung ein.

Angeblich durchlief die Republik in der Mitte der 20er Jahre eine Phase der „relativen Stabilisierung“. Das trifft allenfalls zu, wenn man die wirtschaftliche Beruhigung nach der Währungsreform und das Ausbleiben von Putschversuchen als Stabilisierung wertet. Tatsächlich schaffte es jedoch von sechs Reichsregierungen zwischen 1924 und 1930 nur eine einzige, fast zwei Jahre im Amt zu bleiben; die Überlebenszeit der meisten Regierungen betrug nicht mehr als ein halbes Jahr. Das Unvermögen, eine stabile Koalitionsregierung zustande zu bringen, dokumentierte das Scheitern des Weimarer Parlamentarismus und machte die Republik faktisch unregierbar. Wenn man dann noch dazu nimmt, dass 1925 mit Hindenburg ein erklärter Gegner von Republik und Demokratie zum Reichspräsidenten gewählt wurde, wird deutlich, wie haltlos die Stabilisierungsthese ist.

Das Unvermögen der Linken

Die revolutionären Linken hatten keinen maßgeblichen Einfluss auf die Revolution, denn sie verfügten weder über die dazu erforderliche Organisation noch erst recht über ein geeignetes politisches Programm, denn sie hatten sich nie grundsätzlich von den fehlerhaften politisch-strategischen Positionen der Bebelschen Sozialdemokratie abgegrenzt. Deshalb verblieben sie nicht nur bis 1917 in der SPD, bevor sie sich mit dem Spartakusbund der USPD anschlossen und am Jahreswechsel 1918/19 die KPD gründeten. Vor allem war entscheidend, dass sie wie die ganze SPD die bürgerliche Revolution in Deutschland mit der Reichseinigung für abgeschlossen hielten.

Als Eduard Bernstein in der Revisionismusdebatte vor 1900 versuchte, aus der SPD eine bürgerlich-reformistische Arbeiterpartei zu machen, begriffen sie nicht, dass seine Forderung nach Voranstellung des demokratischen Kampfes angesichts der Herrschaftsverhältnisse in Preußen-Deutschland richtig war. Dasselbe betraf seine Fragestellung, wie die proletarische Machtergreifung und Herrschaftsausübung gegenüber einer kleinbürgerlichen Bevölkerungsmehrheit vonstatten gehen sollte.

Auf die gestellten Fragen, die das Kernproblem der Revolutionsstrategie betrafen, ging Rosa Luxemburg in ihrer Auseinandersetzung mit Bernstein nicht ein. In ihrer Schrift „Sozialreform oder Revolution?“ behandelte sie weder das Verhältnis zwischen (bürgerlich-) demokratischer und sozialistischer Revolution noch das Problem einer Bündnispolitik. Vielmehr konzentrierte sie sich auf den politökonomischen Nachweis, dass das kapitalistische System entgegen Bernsteins Behauptungen unvermeidlich zusammenbrechen würde und erklärte den Kampf um Demokratie in diesem Zusammenhang als abträglich für den sozialistischen Kampf. Außerdem griff sie die Gewaltfrage auf und attackierte Bernstein hier zu recht, da er der Auffassung war, die Sozialdemokratie könne durch friedliche Reformen an die Macht gelangen.

Auf diesem Boden blieben die Linken in der Novemberrevolution isoliert. Eine realitätstaugliche Revolutionsstrategie hätte darin bestehen müssen, die angelaufene bürgerliche Revolution unter Führung des Proletariats gegen die von der SPD organisierte Konterrevolution zu Ende zu führen; der Sozialismus konnte erst in einer späteren Etappe angestrebt werden. Spartakus/KPD verfolgten jedoch statt eines revolutionär-demokratischen ein revolutionär-sozialistisches Konzept. Sie negierten die stattfindende demokratische Revolution des ganzen Volkes und propagierten eine proletarische Alleinrevolution mit dem Ziel der Diktatur des Proletariats. So forderte das von Luxemburg verfasste Oktoberprogramm der Spartakusgruppe von 1918 u.a. die Enteignung nicht nur des großen Grundbesitzes, sondern auch der mittleren Bauernschaft. Es war ein linksradikales politisches Programm, das nicht nur das gesamte Kleinbürgertum zum Gegner machte, sondern auch innerhalb des Proletariats nicht mehrheitsfähig war. Zum zentralen Rätekongress im Dezember wurde nur eine Handvoll Spartakus-Anhänger gewählt; Luxemburg und Liebknecht erhielten kein Rederecht.

1920/21 wurde die KPD durch den Anschluss des linken USPD-Flügels zur Massenpartei, aber was änderte das? Nachdem die Republik sich vorläufig gefestigt hatte, hätte man für eine neue Demokratie in einer zweiten Republik eintreten müssen, um die weiterhin ausstehende bürgerliche Revolution zu vollenden. Aber obwohl die KPD demokratischen Forderungen zwischenzeitlich mehr Platz einräumte, hielt sie im Grundsatz über alle Linienwechsel hinweg an der linksradikal verfehlten Sozialismusstrategie fest. Auf diese Weise mauerte sie den revolutionären Flügel des Proletariats in einem Ghetto ein, diente den anderen Klassenkräften eher als Spielmaterial und stand dem Ende der Republik ebenso begriffs- und hilflos gegenüber wie der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus.

Die Schwäche des bürgerlichen Lagers

Die Bürgerlichen spielten weder bei der Entstehung noch beim Untergang Weimars eine entscheidende Rolle. In der Rätebewegung waren auch bürgerliche Kräfte aktiv und der linke Flügel des bürgerlichen Lagers befürwortete die Republik als späte Verwirklichung der Ideen von 1848/49. Aber die bestimmende Fraktion der Bourgeoisie stand der Revolution so feindlich gegenüber wie der parlamentarischen Demokratie und setzte alles daran, sie sobald wie möglich zu Fall zu bringen.

Vor dem Krieg hatte die Bourgeoisie ein hegemoniales politisches Programm verfolgt, das unter Umgehung der Frage der Demokratie außen- mit innenpolitischen Zielen verknüpfte: die Weltpolitik. Während man nach außen den Anspruch auf ein großes Kolonialreich mit Weltmachtstellung erhoben und zur Durchsetzung dieses Ziels gegen Großbritannien binnen weniger Jahre eine gewaltige Schlachtflotte aus dem Boden gestampft hatte, war das innere Ziel der Weltpolitik gewesen, durch Verschiebung der militärischen Gewichte vom junkerlichen Landheer zur bürgerlichen Marine die Machtverteilung zugunsten der Bourgeoisie zu verändern, ohne die Gutsbesitzerklasse offen herauszufordern. (Karuscheit 2014: 126ff) Unter Überbrückung aller sonstigen politischen Unterschiede hatte die Weltpolitik sämtliche Parteien des bürgerlichen Lagers vereint und war durch den Deutschen Flottenverein, den mitgliederstärksten nationalistischen Verband im Kaiserreich, breit im städtischen Kleinbürgertum verankert gewesen.

Dieses Programm war im Krieg 1914-18 vollständig gescheitert. Die Schlachtflotte hatte im Kriegsverlauf so gut wie keine Rolle gespielt und das bestimmende Kriegsziel der bürgerlichen Imperialisten – die Inbesitznahme der Nordseehäfen Belgiens und möglichst auch Frankreichs, um von hier aus den Entscheidungskampf gegen das Empire zu führen – war ferner denn je gerückt. Indem der Versailler Vertrag das Reich dazu zwang, alle Kolonien abzugeben und die Flottenrüstung drastisch zu reduzieren, war die Weltpolitik am Ende.

Ein neues politisches Programm zur Erringung der Hegemonie vermochte die Bourgeoisie nicht zu entwickeln. Ihre Schwäche spiegelte sich am sichtbarsten im Schicksal der nationalliberalen Partei, vor dem Krieg als politische Vertretung der wichtigsten Teile des Kapitals die Führungspartei der Bourgeoisie. Nach dem Krieg in Deutsche Volkspartei DVP umbenannt, waren die Nationalliberalen tief gespalten. Ein Teil plädierte dafür, die Republik anzuerkennen und durch den Brückenschlag zur SPD einen sozialen Kompromiss zwischen Kapital und Arbeit einzugehen, um dem Staat ein neues gesellschaftliches Fundament zu verschaffen – ein Vorläufer der nach dem 2.Weltkrieg etablierten sozialen Marktwirtschaft. Aber die mächtige Schwerindustrie auf dem rechten Parteiflügel war dazu um keinen Preis bereit. Sie widerrief die 1918/19 im Stinnes-Legien-Abkommen vereinbarten Ansätze zu einer Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften und betrieb einen Konfrontationskurs, der sich gleichermaßen gegen den sozialen Ausgleich, die Arbeiterbewegung und die Republik richtete.

Außenpolitisch konnte der DVP-Vorsitzende Stresemann eine Politik der friedlichen Revision des Versailler Vertrags betreiben. Sobald er aber versuchte, in der Stellung zur Republik, zur SPD und zum sozialen Ausgleich nach links zu gehen, um den Staat zu stabilisieren, versagte seine Partei ihm die Gefolgschaft. Durch ihre internen Gegensätze auf dem Feld der Innen-, Arbeits- und Sozialpolitik praktisch handlungsunfähig, verlor die einst so machtvolle Partei der Bourgeoisie immer mehr Stimmen und endete schließlich mit 2 % der Stimmen als Kleinpartei.

Ähnlich erging es ihrer linksliberalen Schwesterpartei, der Deutschen Demokratischen Partei DDP (beide Parteien schlossen sich nach dem 2. Weltkrieg zur FDP zusammen). In der Tradition der 48er Revolution stehend, erzielte sie bei der Wahl zur Nationalversammlung mit dem Bekenntnis zur demokratischen Republik fast 19 % der Stimmen. Doch ohne ausreichende Verankerung in Preußen und der großen Industrie, mit Schwerpunkten im Banken- und Zeitungswesen sowie einem Massenanhang hauptsächlich im Kleinbürgertum im Süden und Südwesten Deutschlands blieb sie wie ihre Vorgängerpartei(en) politisch einflusslos, büßte angesichts des scheiternden Parlamentarismus mehr und mehr Stimmen ein, rückte immer weiter nach rechts und trat schließlich für einen autoritären Staat anstelle der parlamentarischen Demokratie ein. 1932 versank sie mit 1 % der Wählerstimmen in der Bedeutungslosigkeit.

Im Gegensatz zu den liberalen Parteien verkörperte das Zentrum im Ansatz so etwas wie eine bürgerliche Volkspartei, war jedoch als katholische Partei nicht hegemoniefähig, das gelang erst der CDU nach dem 2. Weltkrieg in Westdeutschland. Die Stimmenzahl des Zentrums ging ebenfalls zurück, allerdings nicht unter 12 %, und seit Ende der 20er Jahre trat es wie die Liberalen für eine autoritäre Herrschaft ein.

Insgesamt waren die bürgerlichen Kräfte nach dem Krieg politisch schwächer als vorher. Die Reichswehr gehorchte dem Militäradel und gegen Ende der Republik verfügte die Bourgeoisie nicht einmal mehr über eine politische Partei als Vertretung. Als Juniorpartner des Junkertums konnte sie lediglich noch mit Hilfe ihrer wirtschaftspolitischen Interessenverbände agieren, allen voran der schwerindustrielle „Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen“.

Die Rückkehr der Militäraristokratie zur Macht

Das Schicksal der Republik entschied sich zwischen den Klassenkräften, die ihre Grundlegung vollbracht hatten: Sozialdemokratie und Junkertum. In der Revolution war die bis dahin herrschende Klasse Preußens auf die Hilfe der SPD angewiesen gewesen, um ihren Untergang zu verhindern. Aber sie dachte nicht daran, sich dauerhaft unterzuordnen und ihren Machtverlust sowie die Republik zu akzeptieren. Sobald ihre Stellung sich stabilisiert hatte, nahm sie von dem Bündnis wieder Abstand. Das geschah bereits im März 1920 beim Kapp-Lüttwitz-Putsch, als Teile der Reichswehr meuterten und Freikorpstruppen in Berlin einmarschierten, um die Regierung zu stürzen.

Da die Reichswehr mit den Zielen der Aufständischen sympathisierte, rechneten diese mit dem Beistand der Militärführung, und damit war die SPD-Herrschaft zusammen mit der Republik im Prinzip am Ende. Doch die alliierten Siegermächte ließen erkennen, dass sie keinen Rechtsputsch dulden würden, und es bestand die Gefahr, dass das französisch besetzte Rheinland sich vom Reich abspaltete. Darum lehnte die Reichswehrspitze unter v.Seekt die erwartete Unterstützung ab, weigerte sich jedoch gleichzeitig, die Regierung militärisch zu verteidigen, sondern erklärte ihre Neutralität. So blieb der SPD nichts anderes übrig, als einen Generalstreik auszurufen, dem sich USPD und KPD anschlossen und der die von allen Seiten isolierten Putschisten binnen kurzem zum Aufgeben zwang.

Nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch kam man nicht an der Erkenntnis vorbei, dass die Republik nicht in direktem Anlauf zu stürzen war, sondern dass man dazu den Weg der Legalität einschlagen und zunächst den Versailler Vertrag beseitigen musste. Während die Reichswehr weiter als „Staat im Staat“ ausgebaut wurde, ging das junkerlich-konservative gemeinsam mit dem rechtsbürgerlichen Lager deshalb daran, seinen Einfluss mit legalen Mitteln auszubauen, um die parlamentarische Demokratie von innen her zu zerstören. Die Reichspräsidentenwahl 1925, zu der Hindenburg als Kandidat der Rechten antrat, bedeutete einen großen Schritt dorthin, denn bei einer Krise des Parlamentarismus, worauf die Rechtskräfte hinarbeiteten, konnte er aufgrund seiner Machtbefugnisse über das Schicksal der Republik entscheiden.

Weil die Republik weder eine Kriegsschulddebatte geführt noch die Dolchstoßlegende ernsthaft zurückgewiesen hatte,5 konnte der ehemalige Chef der OHL, statt als Kriegstreiber am Pranger zu stehen, angesichts der andauernden Regierungswechsel als Garant für Stabilität und Retter des Vaterlands gewählt werden. 1928 machte er seinen ehemaligen OHL-Stellvertreter General Groener zum Reichswehrminister, so dass die Militärfraktion des Junkertums nunmehr zwei zentrale Schaltstellen der Macht besetzte. Und weil das Parlament seit Anfang 1930 nicht mehr in der Lage war, eine Regierung zu wählen, sondern der Reichspräsident die Kanzler aus eigener Machtvollkommenheit aussuchte, bestimmte seither die Reichswehrführung die von Hindenburg ernannten Präsidialregierungen.

Bis zu Beginn der 30er Jahre sicherten die Vorbehaltsrechte der Alliierten aus dem Friedensvertrag von Versailles noch die Restbestände des Parlamentarismus. Als 1931/32 jedoch die deutschen Reparationsverpflichtungen aufgehoben wurden und die Alliierten dem Reich 1932 die militärische Gleichberechtigung zugestanden, fiel dieser Schutz weg. Nachdem so die außenpolitischen Bedingungen gegeben waren, um den Weimarer Staat zu beenden, mussten nur noch die letzten innenpolitischen Hindernisse beseitigt werden, und das geschah mit der Reichspräsidentenwahl 1932.

Diesmal musste Hindenburg gegen Adolf Hitler als Kandidaten der NSDAP in die Stichwahl gehen, so dass dreizehn Jahre nach der Republikgründung zwei Gegner der Republik darum wetteiferten, sie zu Grabe tragen zu dürfen. Da die SPD zur Wahl Hindenburgs aufrief, kam in einer ironischen Volte der Geschichte noch einmal die Gründungskonstellation der Republik zustande: das Zusammengehen von Sozialdemokratie und Junkertum. Nur hatten sich die Vorzeichen inzwischen umgekehrt. Im November 1918 hatte die Militäraristokratie die Hilfe der SPD-Führung benötigt, um zu überleben. Jetzt unterstützte die SPD den Repräsentanten der Militäraristokratie in der Hoffnung, so ihre verbliebenen Machtpositionen zu retten. Das war im wesentlichen die Herrschaft über das Land Preußen, dessen Aufteilung die SPD 1919 verhindert hatte, weil sie hier im Gegensatz zum Süden Deutschlands mit dauerhaften Mehrheiten rechnete und in der Tat durchgängig den Ministerpräsidenten stellte.

Hindenburg und seine Kamarilla dachten indessen nicht daran, die sozialdemokratische Wahlhilfe zu honorieren, sondern ließen die geschäftsführende SPD-Landesregierung am 20. Juli 1932 durch die Reichswehr aus dem Amt jagen. Indem der „Preußenschlag“ das letzte Hindernis beseitigte, hatten die Militäraristokratie und der sie unterstützende Flügel der Bourgeoisie vierzehn Jahre nach der Novemberrevolution die 1918 verloren gegangene Herrschaftsstellung zurückerobert.

Allerdings war eine einfache Rückkehr zu den früheren Verhältnissen nicht möglich. Um die erneuerte gemeinsame Herrschaft innenpolitisch zu stabilisieren, war die Abstützung durch eine Massenbewegung notwendig, und diese bot der Nationalsozialismus. Im Januar 1933 ging man deswegen ein Bündnis mit ihm ein in der festen Überzeugung, die braunen Horden beherrschen zu können. Dass es der NS-Führung gelingen könnte, die Machtverhältnisse in dem Bündnis umzukehren, lag jenseits des eigenen Vorstellungsvermögens.

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1918/19 hatte die SPD im Verein mit der preußisch-deutschen Militärführung die Novemberrevolution zurückgeschlagen, den Sieg der bürgerlichen Revolution vereitelt und das Junkertum vor dem Ende bewahrt. 1933 brachten die Vertreter dieser seit langem überholten, untergehenden Kaste mit dem Nationalsozialismus eine Bewegung an die Macht, die in unbedingtem Gegensatz zu allen Errungenschaften der bürgerlichen Revolution stand und daran ging, mit der Errichtung eines Rassenstaats das Rad der Geschichte in eine völlig neue Richtung zu lenken. Damit ging das Geburtsland des wissenschaftlichen Sozialismus einem bis dahin ungeahnten Tiefpunkt seiner Geschichte entgegen.

Literatur:

Karuscheit, Heiner (2014): Deutschand 1914. Vom Klassenkompromiss zum Krieg. VSA: Hamburg

Karuscheit, Heiner (2017): Die verlorene Demokratie. Der Krieg und die Republik von Weimar. VSA: Hamburg

Karuscheit, Heiner; Sauer, Bernhard; Wernecke, Klaus (2018): Vom „Kriegssozialismus“ zur Novemberrevolution. VSA: Hamburg

Kolb, Eberhard; Schumann, Dirk (2013): Die Weimarer Republik. Oldenbourg Grundriss der Geschichte Band 16: München

Kluge, Ulrich (1975): Soldatenräte und Revolution. Vandenhoek & Ruprecht: Göttingen

Mann, Golo (1958): Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, S.Fischer: Frankfurt/M

Rosenberg, Arthur (1983): Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik (Teil 1 und 2 in einem Band). EVA: Frankfurt/M

Rürup, Rainhard (1968): Probleme der Revolution in Deutschland 1918/19. Franz Steiner Verlag: Wiesbaden

1 Indem der Parteitheoretiker Kautsky konstatierte, dass „die deutsche bürgerliche Revolution …1870 ihr Ende erreichte“, gab er die vorherrschende Überzeugung wieder. (Karl Kautsky: Der Weg zur Macht. Politische Betrachtungen über das Hineinwachsen in die Revolution; Erstauflage 1909, Neuauflage hrsg. und eingeleitet von Georg Fülberth, Frankfurt 1972, S. 18)

2 F. Engels erörterte verschiedentlich, ob Bismarck das Kaiserreich nicht zu einer bonapartistischen Monarchie bürgerlichen Charakters umgewandelt hätte. Der Autor teilt diese Überlegungen nicht.

3 Die liberale Deutsche Demokratische Partei, die das Kleinbürgertum in der Tradition von 1848/49 repräsentierte und bei der Nationalversammlungswahl fast 20% der Stimmen erhielt, forderte in ihrem Gründungsprogramm von 1919 die Aufteilung des Großgrundbesitzes an Bauern und Landarbeiter.

4 Die westdeutsche Geschichtsschreibung folgte lange der Legitimation der SPD-Führung, dass die Zusammenarbeit mit dem preußisch-deutschen Offizierskorps zur Abwehr der Bolschewismusgefahr unumgänglich war. Ungewollt sekundiert wurde diese Position von der DDR-Historiographie, die Stärke und Einfluss der Spartakusgruppe/KPD maßlos überzeichnete. Erst im Zuge von Studien auf breiter Quellenbasis gelangte die Revolutionsforschung zum Ergebnis, dass a) die Rätebewegung wesentlich keine sozialistischen, sondern revolutionär-demokratische Ziele verfolgte, b) eine Radikalisierung erst als Folge der von der SPD-Führung betriebenen reaktionären Politik einsetzte und c) Spartakus und KPD nie eine ernsthafte Gefahr darstellten. Mittlerweile ist dieser Befund praktisch unbestritten. (Kolb; Schumann: 171ff)

5 In beiden Fragen hatte die SPD-Führung die Debatte unterbunden bzw. kleingehalten. Zur Kriegsschuldfrage hatte Kautsky nach dem Krieg eine Aktenedition erarbeitet, aus der hervorging, dass die deutsche Diplomatie die Hauptverantwortung für den Kriegsausbruch trug. Weil damit die Vaterlandsverteidigungspolitik der SPD unhaltbar wurde, verhinderte die Scheidemann-Regierung die Veröffentlichung.
Auch die von Ludendorff zur Diskreditierung der Novemberrevolution aufgebrachte Dolchstoßlegende wäre leicht zu widerlegen gewesen, da aktenkundig war, dass die OHL nach dem Fehlschlag der Sommeroffensive 1918 die Regierung ultimativ aufgefordert hatte, die Alliierten um einen sofortigen Waffenstillstand zu bitten, weil das Heer die Front nicht länger halten könne. Aber zum einen hätte eine solche Zurückweisung der Dolchstoßlegende die Novemberrevolution legitimiert und zum andern barg sie die Gefahr, dass die OHL-Mitglieder die Kooperation der SPD-Führung beim Sturz Bethmann Hollwegs 1917 und damit deren Mitverantwortung für die Verlängerung des Kriegs um ein Jahr offenbaren würden.