4. Stabilisierung der Bauernschaft

„Das Dritte Reich wird ein Bauernreich sein oder es wird vergehen wie die Reiche der Hohenstaufen und Hohenzollern.“ Adolf Hitler [127]

Der Reichsnährstand und Darrés Bauernpolitik

Vor allem die protestantischen Bauernmassen nördlich des Mains hatten der NSDAP die notwendigen Stimmen gegeben, die den legalen Machtantritt möglich machten. Die Nazis standen nun vor der Aufgabe, die Bauern auch in den süddeutschen und katholischen Gebieten zu gewinnen, um ihrer Herrschaft eine stabile Basis zu geben und ihr Blut- und Boden- Programm zu verwirklichen. Diese Aufgabe war durchaus nicht einfach, da man gleichzeitig die radikalisierte Landvolkbewegung zufriedenstellen und auf die junkerlichen Bündnispartner Rücksicht nehmen mußte. Außerdem war die Agrarkrise so schwer gewesen, daß nur mit einer radikalen Umgestaltung der Landwirtschaft Hitlers Regierungsversprechen, in 4 Jahren die Bauernschaft zu retten, umzusetzen war. Nach der Machtübertragung wurde zwar der Deutschnationale Hugenberg Minister für Ernährung, doch der NSDAP gelang es schon am 29. Juni 1933, mit „Reichsbauernführer“ Walter Darré das Ministerium zu übernehmen.

Obwohl die NSDAP eine starke bäuerliche Anhängerschaft hatte, machten ihre Führer nicht einfach eine „Bauernschutzpolitik“, um die sozialen Interessen der Bauernschaft zu vertreten, sondern um mit der Blut- und Bodenpolitik ihre rassistischen Vorstellungen zu verwirklichen. So legte Darré offen dar: „Die Bauernschaft muß klar erkennen: In der Zeit der modernen Technik, der modernen Verkehrsmittel, der modernen Arbeits- und Wirtschaftsmethoden hat sie genauso wenig Grund, wirtschaftlich zu sein, wie das Segelboot im Vergleich zum Dampfschiff. Aus rein wirtschaftlicher Sicht sind Größe und Form des bäuerlichen Betriebes unrentabel. Die einzige Daseinsberechtigung für die Bauernschaft liegt in der Tatsache, die uns die Geschichte lehrt: Ein Volk erneuert sich nur durch seine Bauernschaft, ein Volk muß die Bauernschaft am Leben erhalten, um seine eigene Existenz zu erhalten.“ [128] Um die Bauernschaft trotz fortschreitender Industrialisierung vollständig zu erhalten, forderte Hitler in einer Kabinettssitzung: „Die Bindung des Bauern an das Kapital verbinde ihn mit allen Schicksalen, die dem Kapital anhaften. Der Bauer, der einmal den Hof verloren habe, sei meistens praktisch erledigt. Der Bauer müßte deshalb aus dem freien Wirtschaftsleben herausgehoben werden.“ [129]

Mit dem Gesetz über den Aufbau des Reichsnährstandes vom 13. September 1933 wurde die Landwirtschaft von der kapitalistischen Produktion in der Industrie abgesondert. Unter dem populären Schlagwort „Selbstverwaltung“ schuf man ein mächtiges Bauernsyndikat, in dem 17 Millionen Mitglieder zwangsweise vereinigt wurden. Der Reichsnährstand legte die Preise fest, regelte den Absatz und plante die landwirtschaftliche Produktion. Von der mithelfenden Bauernfrau bis zum Großgrundbesitzer, dem Inhaber des Tante-Emma-Ladens oder dem Chef der Brotfabrik, Viehhändler oder Krabbenfischer- alle wurden Zwangsmitglieder, die irgendwie etwas mit der Landwirtschaft zu tun hatten.

Ergänzt wurden diese Maßnahmen durch das „Reichserbhofgesetz“ vom 29. September 1933. Im Interesse, das „Bauerntum… als Blutquelle des deutschen Volkes (zu) erhalten“ [130], wurden Erbhöfe geschaffen, die nur lupenreine „Arier“ besitzen durften. Dabei richtete sich das Gesetz ausdrücklich an Klein- und Mittelbauern, da nur Bauern bis 125 ha Erbhofbauern werden konnten. Die Erbhöfe gingen ungeteilt auf den ersten Sohn über und waren „unveräußerlich und unbelastbar“. Die Folgen dieses Gesetzes waren vielfältig. Zum einem schützte es die Bauern vor Zwangsversteigerungen und Verschuldung. Außerdem wurden die ohnehin schon kleinen Höfe nicht in die Bestandteile vieler Erben zerstückelt. Die negative Seite war vor allem für die Bauern, daß sie für die Modernisierung ihres Betriebes von den Banken kein Geld mehr leihen durften, was ja durchaus im Interesse der Nationalsozialisten lag, weil Maschinisierung überflüssige Arbeitskräfte in die Städte getrieben und den „Blutsquell des deutschen Volkes“ reduziert hätte. Die andern Söhne sowie die Bauersfrauen, die bis 1943 das Erbrecht ausschloß, verloren durch die Erbregelung das Interesse an dem Betrieb. Aus den zweiten und dritten Söhnen wollten die Nazis später das Siedlungspotential für Rußland rekrutieren. Die Steigerung der Geburtenraten blieb allerdings aus. Im Gegenteil verstärkte das Erbrecht die Tendenz zur Ein-Kind-Familie.

Von den Bauern wurde das Reichserbhofgesetz unterschiedlich aufgenommen. In manchen Gegenden, wie z. B. im Rheinland, war es seit der napoleonischen Besatzung üblich, das Erbe zu teilen. In diesen Gebieten standen viele Bauern der neuen Regelung skeptisch gegenüber. Zum Beispiel gab es Mitte 1936 ca. 160.000 Einsprüche (16 %) gegen Erbhofeintragungen, wobei in Südwestdeutschland die Quote noch höher lag. [131] So machten im Westen und Süden die Erbhöfe nur 15 % der landwirtschaftlichen Fläche aus. [132] Die Erbhöfe konnten sich aber auf Grund der Zustimmung in den anderen Gebieten durchsetzen. 1938 gab es schließlich 673.000 Erbhöfe, was 32 % der Anbaufläche entsprach. [133] Nach einiger Zeit machte der Reichsnährstand Ausnahmen bezüglich der Größe des Betriebes, und einige Großbauern und Junker wurden zu Erbhofbesitzern. Die Großbetriebe machten aber nur 1,8 % der Erbhöfe aus. [134] Das Mißtrauen von Hitler und Darré gegen die Junker, die sie für rassisch angekränkelt hielten, blieb auch nach der Machtübernahme bestehen.

Mit dem Reichsnährstand wurde also eine neue Ordnung in der Landwirtschaft geschaffen. Selbst die Alliierten hielten diese Organisation für die Versorgung Deutschlands für so wichtig, daß der Reichsnährstand als einzige NS- Organisation das NS-Regime überdauerte, sogar um fast drei Jahre. [135]

Banken und Junker

Darré stimmte auch nach der Machtübertragung radikale Töne an: „Die Freizügigkeit des Handels mit Grund und Boden ist (…) die Quelle allen sozialen Elends eines Volkes.“ [136] Neben den Erbhöfen wollte er in den Jahren 1933 und 1934 eine grundlegende Entschuldung der gesamten Bauernschaft durchführen. Darré lieferte sich deshalb mit dem schwerindustriellen Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht einen harten Kampf. Dabei konnte keiner von beiden seine Vorstellungen durchsetzen. Zwei Gesetzentwürfe von Darré zur Entschuldung scheiterten am hartnäckigen Widerstand von Schacht, da er als Vertreter der Industrie kein Interesse an der Subvention der kleinen und großen Bauernwirtschaften und als Vertreter der Banken an der Rückzahlung der Schulden ein Interesse hatte. [137] Darré konnte gegen den Wirtschaftsminister aber die „kleine“ Variante der Entschuldung durchsetzen, durch die die Erbhöfe um 10,3 % und die Großbetriebe durchschnittlich um 18,4 % entschuldet wurden. [138]

Schacht forderte mit der Begründung, daß Kredite benötigt würden, die Kreditsperre aufzuheben und als Absicherung wieder Zwangsversteigerungen zuzulassen. Doch die Bauern hatten die Schreckensbilder der Zwangsversteigerungen in der Agrarkrise noch vor Augen. Schacht und die Banken verloren diese Auseinandersetzung gegen Darré und Hitler. Kredite gab es nur über den Reichsnährstand und die Deutsche Rentenbank-Kreditanstalt, die im Rahmen des 4-Jahresplans gegründet wurde. [139] Mit der Entschuldung nahm die NSDAP den Bauern etwas von ihrer Schuldenlast, und der Einfluß der Banken und Geldverleiher auf das Dorf wurde deutlich zurückgedrängt.

Bei der Preispolitik konnte der Reichsnährstand seine Ziele besser umsetzen. Die von ihm festgelegten Preise lagen meist über Weltmarktniveau, waren stabil und der deutsche Markt wurde von der ausländischen Konkurrenz abgeriegelt. „Von der wachsenden Nachfrage nach Lebensmitteln und pflanzlichen Rohstoffen profitierten in erster Linie Großagrarier und Großbauern, aber auch erhebliche Teile der Mittelbauernschaft.“ [140] Diese Politik ging eindeutig auf Kosten des Verbrauchers und vor allem der Arbeiterklasse in den Städten.

Mit den politischen Zugeständnissen an die Bauernschaft ging ihre gesellschaftliche Aufwertung Hand in Hand. Die Bauern sollten das Gefühl bekommen, der wichtigste Stand der Nation zu sein. Das Erntedankfest wurde zum nationalen Feiertag erklärt, an dem sich Hitler auf dem Bückeberg bei Hameln von 100.000 Teilnehmern als „Bauernkanzler“ huldigen ließ. Auch Film und Kunst rückten den Bauern in den Mittelpunkt. Der „Völkische Beobachter“ erschien bis 1936 mit einer extra Wochenbeilage mit dem Titel „Um Blut und Boden“.

Welche Stellung hatten die Junker in der neuen Ordnung der Landwirtschaft? Der Nationalsozialismus war weit davon entfernt, sich zum Erfüllungsgehilfen der ostelbischen Großgrundbesitzer zu machen. Mit der Auflösung aller Bauernverbände 1933 verloren die Junker endgültig ihren Einfluß in der landwirtschaftlichen Interessenvertretung. In den führenden Positionen im Reichsnährstand waren sie nicht mehr vertreten. Darré garantierte 1933 den Großbauern ihr Eigentum, allerdings mit einer Einschränkung: „Ich werde hier (…) keinen Besitz antasten, mag er so groß sein, wie er will, wenn er wirtschaftlich gesund ist und sich allein und aus eigener Kraft zu erhalten vermag.“ [141] Die Zeiten der fetten Osthilfe, die jahrelang die maroden und verschuldeten Betriebe der Junker saniert hatte, waren vorbei. Darré hoffte, auf diesem Wege würden die meisten Rittergüter auf Dauer eingehen. In dem Aufsatz „Ostelbien“ von 1934 schrieb er: „ich (sehe) die Entwicklung Ostelbiens in den nächsten Jahrzehnten so, daß wir eine organische Strukturwandlung in Richtung natürlicher bäuerlicher und mittelständischer Betriebe erleben werden. (…) Dann wird Ostelbien wieder ein Bauernland werden, und in den Kreisstädten Ostelbiens wird wieder der gewerbliche Mittelstand zu blühen beginnen.“ [142] Insgesamt betrugen die Subventionen, inklusive der Osthilfe, bis 1943 nur knapp 300 Millionen RM. [143] In den letzten Jahren der Weimarer Republik war es ca. 1 Milliarde RM gewesen. Auch die Bevorzugung der Junker in der Preispolitik hörte auf. Die NS-Preispolitik diente eher den niedersächsischen und bayrischen Weizenproduzenten als den ostelbischen Roggenproduzenten. [144]

Die erste offensive Maßnahme gegen den halbfeudalen Besitz führte man aber erst 1938 durch. Die Fideikommisse, die unverkäuflichen Rittergüter, wurden im Juni 1938 per Gesetz beseitigt. [145] Damit setzte die NSDAP eine Bestimmung aus der Weimarer Republik durch. 1928 hatten die SPD und DVP im preußischen Landtag ein Gesetz verabschiedet, in dem das Ende der Fideikommisse auf den 1.7.1938 festgesetzt wurde. [146] Damit waren es ausgerechnet die Nazis, die ein feudales Relikt zerschlugen. Das Land verblieb trotzdem in den Händen der Junker. Der Nationalsozialismus konnte den Junkern trotz aller Nachteile ihr Eigentum sichern und sorgte dafür, daß die Löhne der Landarbeiter niedrig blieben. [147] Das war für die Junker immer noch eine günstige Alternative zur sozialen Revolution, in der ihre Tage gezählt gewesen wären.

Die Stabilisierung der Landwirtschaft

Auch die Nationalsozialisten wußten, ohne eine Bodenreform und Zerschlagung des Junkertums konnte die Agrarfrage innerhalb Deutschlands nicht gelöst werden, auch wenn man die Bauernschaft vorübergehend befriedigen konnte. Die Lösung aller Probleme sahen sie in der Besiedlung von Rußland und Polen. Das war aber ohne Krieg nicht möglich. Ab der Mitte der 30er Jahre litt ihre Blut- und Bodenpolitik unter der forcierten Aufrüstung. In Folge dessen fiel die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten von 9,7 Mio. (1925) auf 9 Mio. (1939), was immerhin noch 25,9 % der Bevölkerung entsprach. [148] Darré mußte nun einen Kampf gegen die Abwanderung von Arbeitskräften in die besser zahlende Industrie führen. Seine Vorschläge, die Löhne der Landarbeiter zu erhöhen, wurden von Hitler mit Verweis auf die folgende Lebensmittelpreissteigerung wiederholt abgelehnt. [149] Den Bauern schickte man zur Verstärkung Arbeitsdienstmaiden und später Tausende Zwangsarbeiter. 1938 arbeiteten 80 % der Arbeitsdienstmänner und 90 % der Arbeitsmaiden in der Landwirtschaft. Unter der Parole „Aufrüstung des Dorfes“ wurden Kontrollen der Bauern durch die „Hofkarte“ durchgeführt, und 1937 wurden per Erlaß die Preise für Düngemittel um 25-30 % gesenkt, [150] um die Erträge zu steigern.

„Reichsbauernführer“ Darré gab sich aber mit seinen relativen Erfolgen in der Landwirtschaft nicht zufrieden. Er wollte sein reaktionäres Ständesystem des Reichsnährstandes auf alle Industriezweige ausdehnen. „Im Reichserbhofgesetz hat der Nationalsozialismus den ersten Schritt getan, in diesem Sinne zu einem deutschen Sozialismus zu kommen… es ist tatsächlich so, daß der besitzlose Arbeiter der Stadt sein soziales Problem nur gelöst bekommt, wenn es gelingt, im Sinne der mit dem Reichserbhofgesetz beschrittenen Wege zu einem deutschen Sozialismus zu kommen (…).“ [151] Diese Phantasien waren jedoch weder gegen die Großindustrie durchzusetzen, noch gegen Hitler, dem eine ganz andere Wirtschaftsordnung vorschwebte.

Auch in der Landwirtschaft gelang es Darré nicht vollständig, seine Ziele durchzusetzen. Über eine Bauernschutzpolitik hinaus wollte Darré zu einer mittelalterlichen Ordnung zurück finden. Den zentralen Begriff dieser Programmatik bildete der Gegensatz zwischen „Landwirt“ und „Bauer“. „Bauer ist, wer in erblicher Verwurzelung seines Geschlechtes mit Grund und Boden sein Land bestellt und seine Tätigkeit als eine Aufgabe an seinem Geschlecht und Volk betrachtet. Landwirt ist, wer ohne erbliche Verwurzelung (…) sein Land bestellt und in dieser Tätigkeit nur eine rein wirtschaftliche Aufgabe des Geldverdienens erblickt.“ [152] Außerdem wäre der Boden des „Bauern“ keine Ware und seine Arbeit finde nur im „Dienst des Familiengedankens“ statt. Der Hof des „Landwirtes“ spalte sich hingegen in „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“, wogegen der „Bauer“ sich nur auf „mitarbeitende“ Hausgenossen stütze. [153]

Nicht nur der Großgrundbesitz, sondern auch diejenige Kleinproduktion, die hauptsächlich nach Rentabilitätskriterien betrieben wurde, war Darré ein Graus. Sein Ziel war die Wiederherstellung einer kleinbäuerlichen Familienwirtschaft jenseits aller ökonomischen Gesetzmäßigkeiten. Obwohl das Erbhofgesetz einen Schritt in dieser Richtung darstellte, konnte Darré die Abschaffung des „Landwirtes“ nicht erreichen. Einen so großen Schritt zurück wollten auch die Klein- und Mittelbauern nicht gehen, die im Gegensatz zu Darré ihre finanzielle Lage für wichtiger hielten als die rassischen Überlegungen ihres „Bauernführers“. Die Realitätsferne der Abschaffung des „Landwirtes“ wurde auch Hitler klar, da neben der Rettung des Kleinbauern auch eine effektive Versorgung während des Krieges sichergestellt werden mußte. Ab 1936 drängte Hitler den „Mystiker“ Darré in den Hintergrund und ließ den pragmatischen Staatssekretär Backe die Geschäfte des Ministeriums führen.

Als Fazit kann man trotzdem nicht sagen, daß die „Bauernschutzpolitik“ gescheitert ist. Trotz Aufrüstung verbesserte sich die Lage der Bauern auch ohne Siedlungsland im Osten. Durch die Bauernschutzmaßnahmen nach der Machtübernahme der NSDAP konnten die Bauern sicherlich keine großen Sprünge machen. Für die meisten war das Leben weiter hart und beschwerlich. Doch diese Politik bewirkte, was nach der Krise 1929 unmöglich schien: Die Bauernschaft wurde gerettet. Die große Mehrheit der Bauernschaft wurde so zur wichtigen Stütze des NS-Staates. Gesellschaftlich gesehen war diese Politik antimodern und reaktionär. Millionen von Kleinproduzenten verweilten in der „Idiotie des Landlebens“ (Engels), anstatt Proletarier auf Grundlage der modernen Industrie zu werden. Eine Modernisierung der Landwirtschaft wurde verhindert und der Industrialisierungsprozeß blockiert. Die Bundesrepublik beweist heute, daß eine moderne Industriegesellschaft mit einer verschwindend geringen Zahl von „Landwirten“ auskommen kann.