3. Die Arbeiterklasse unterm Hakenkreuz

„Adolf, gib uns Arbeit, gib uns Brot – sonst werden wir rot.“ (Flüsterspruch bei NSBO-Gruppen in Hitlers erstem Regierungsjahr)

Zuckerbrot und Peitsche

Von zentraler Bedeutung war für den Nationalsozialismus nach der Machtübernahme das Verhältnis zur Arbeiterklasse. Die Mehrheit der Arbeiter fühlte sich weiterhin SPD und KPD zugehörig. Der Nationalsozialismus stellte sich eine doppelte Aufgabe. Auf der einen Seite wollte man die marxistische Arbeiterbewegung restlos zerschlagen. Auf der anderen Seite war Hitler sich völlig im klaren darüber, daß ohne Unterstützung oder wenigstens Duldung der Arbeiterklasse kein Krieg zu führen war. Um ein neues 1918 zu verhindern und eine stabile gesellschaftliche Ordnung zu finden, mußte die NSDAP sozialpolitische Kompromißpolitik machen. „In privaten Gesprächen ließ Hitler oft durchblicken, daß man nach der Erfahrung von 1918 nicht vorsichtig genug sein könne“, [83] berichtete Albert Speer. Wie ein Damoklesschwert hingen die Erfahrungen des Arbeiteraufstandes im 1.Weltkrieg über dem „Dritten Reich“. 1936 legte Robert Ley in einer sozialpolitischen Diskussion über die Belastbarkeit des Volkes im Krieg die Lehren der Novemberrevolution dar: „Da gibt es eine Grenze, und wenn diese Belastungsgrenze erreicht ist, dann bricht das eben. Und die war bei uns eben da 1918 am 9. November, daß die regierenden Männer vergaßen, dem Volk die ungeheure Belastung dieser viereinhalb Jahre auf der anderen Seite neue Kräfte einzugeben und immer wieder hinein zu pumpen.“ [84] Nur mit Terror ließ sich der Klassenkampf nicht durch einen Klassenkompromiß ersetzen. Die Mischung aus Terror und sozialen Zugeständnissen war während der gesamten 12 Jahre der Ausdruck der Doppelaufgabe. Neben der notwendigen Zufriedenstellung wollten die Nationalsozialisten die Arbeiterklasse als festen Bestandteil in die deutsche „Volksgemeinschaft“ einbinden.

Um die Arbeiterklasse beeinflussen zu können, mußten die Nazis erst einmal die sozialdemokratische und kommunistische Bewegung brutal zerschlagen. Die KPD wurde schon im Februar 1933 nach dem wahrscheinlich von Göring inszenierten Reichstagsbrand verboten und hunderte Arbeiterfunktionäre verhaftet. Massenwiderstand gegen diese Verfolgungen blieben aus, da die KPD auf diesen Terror kaum vorbereitet war und ihre treuen Anhänger gegen die gewaltige Massenbasis der NSDAP nichts ausrichten konnten. Außerdem besaß die KPD kein Programm, um den Kampf mit der NSDAP um die kleinbürgerlichen Massen aufzunehmen.

Mit der Einführung des 1. Mai als bezahltem Feiertag wurde dann aber eine uralte Forderung der Arbeiterbewegung erfüllt. Das war ein großes Zugeständnis und eine gesellschaftliche Aufwertung der Arbeiterklasse. Am 1.Mai 1933 demonstrierten ADGB und NSBO gemeinsam. Doch der Tag bekam eine völlig neue Bedeutung. Anstelle „internationaler Kampftag der Arbeiterklasse“ hieß er nun „Tag der nationalen Arbeit“ und stand für die Integration des deutschen Arbeiters in die „Volksgemeinschaft“. So war im Aufruf von Goebbels zum 1. Mai folgendes zu lesen: „Die Schranken von Klassenhaß und Standesdünkel wurden niedergerissen, auf daß Volk wieder zu Volk zurückfand. Nun stehen wir vor der schweren und verantwortungsvollen Aufgabe, nicht nur das deutsche Arbeitertum zum sozialen Frieden zurückzuführen, sondern es als vollberechtigtes Glied in den Staat und in die Volksgemeinschaft mit einzufügen. (…) Ehret die Arbeit und achtet die Arbeiter!“ [85]

Am 2. Mai war der ADGB an der Reihe. Die Gewerkschaftsführung hatte sich bis dahin bei den Nazis angebiedert und wiederholt versprochen, im „Dritten Reich“ eine „loyale Opposition“ zu sein. Das half ihnen aber nichts. Nach dem 1.Mai 1933 wurden die Gewerkschaften zerschlagen. Bis zum Verbot der SPD sollte es nicht mehr lange dauern. Die SPD-Führung, die auch nach dem Ermächtigungsgesetz weiter den Legalitätskurs predigte, mußte in die Emigration gehen. Teil Eins von Hitlers Plan war erfüllt: Die Arbeiterbewegung war zertrümmert. Jetzt stand er vor der viel schwereren Aufgabe, die Arbeiterklasse für den Nationalsozialismus zu gewinnen.

Das zentrale soziale Problem war 1933 die Arbeitslosigkeit. Über 40 % der männlichen Industriearbeiter hatte keine Arbeit. [86] Gerade die jungen Arbeiter lernten in den letzten Jahren der Weimarer Republik die Stempelstellen besser kennen als die Industrie. Hitler versprach in seiner ersten Regierungserklärung, die Arbeitslosigkeit binnen 4 Jahren zu beseitigen. An diesem Versprechen wurde die Vertrauenswürdigkeit der neuen Regierung gemessen.

In den zwei ersten Jahren blieben trotz viel statistischer Kosmetik die großen Erfolge aus. Bis 1936 gelang es der Regierung, die Arbeitslosigkeit fast restlos zu beseitigen. Wie gelang Hitler dieses Unternehmen, an dem alle seine Vorgänger kläglich gescheitert waren? Auf diese Frage gibt es nicht nur eine Antwort. Der Wirtschaftsaufschwung durch die forcierte Aufrüstung trug sicherlich einen bedeutenden Teil dazu bei. Am 8. Februar 1933 erklärte Hitler im Reichskabinett: „Jede öffentlich geförderte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme müsse unter dem Gesichtspunkt beurteilt werden, ob sei notwendig sei vom Gesichtspunkt der Wiederwehrhaftmachung des deutschen Volkes.“ [87] Neben der Aufrüstung investierte der Staat aber auch große Summen für die Arbeitsbeschaffung. Am 1. Juni 1933 wurden mit dem „Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit“ 1 Milliarde Reichsmark und am 1. September 500 Millionen RM für Instandsetzungsarbeiten investiert. [88] Hauptnutznießer dieser Maßnahmen war die Bauindustrie. Insgesamt betrugen die Ausgaben für zivile Arbeitsbeschaffung von 1932 bis 1939 ca. 7 bis 8 Milliarden RM. Zum Vergleich, für Rüstung waren es 60 Milliarden. [89]

Neben dieser keynesianischen Investitionspolitik wurden auch Arbeitsplätze für Männer frei, indem ein Teil der Frauen wieder an den Herd geschickt wurde. Das Gesetz über das Ehestandsdarlehen schaffte dazu den notwendigen sozialen Anreiz: 1000 RM bekamen junge Familien zinslos. Pro Kind mußte das Ehepaar 200 RM weniger zurückzahlen. Bedingung war allerdings bis 1937, daß die Frau aufhören mußte zu arbeiten und ärztliche Untersuchungen der Ehepaare auf sogenannte Erbkrankheiten aller Art durchgeführt wurden. Viele Familien nahmen die 1000 Mark trotz des „Ariernachweises“ gerne an. In einigen Bereichen stoppte die NSDAP die Maschinisierung, um Arbeitsplätze zu schaffen. Im Tiefbau durfte die Arbeit sogar nur noch in Handarbeit ausgeführt werden und die Neuaufstellung von Maschinen in der Tabakindustrie wurde verboten. [90]

Durch die erfolgreiche Arbeitsbeschaffung trat bald ein Mangel an Facharbeitern ein, und durch Bevorzugung fanden auch viele „alte Kämpfer“ von der SA und Partei wieder Arbeit. Viele Legenden gibt es bis heute um den Bau der Reichsautobahn. In Wirklichkeit beschäftigte dieses Projekt nur 5 % der Arbeitslosen. Zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit trug auch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1936 und das „hauswirtschaftliche Jahr“ für Mädchen 1938 bei.

Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit war kein zufälliges Nebenprodukt der Kriegsvorbereitung, sondern ein durch verschiedene Maßnahmen herbeigeführtes Ergebnis, das die Arbeiterklasse für den Krieg neutralisieren sollte. Als jedenfalls 1936 die 6 Millionen wieder Arbeit hatten, war in den Augen von Millionen Deutschen Hitler der Mann, der zu seinem Wort stand, während die Sozialdemokraten und Kommunisten, die Woche für Woche Hitlers Wahlversprechen als Lüge bezeichnet hatten, unglaubwürdig erschienen.

Löhne und Arbeitszeiten

Bis zu den Veränderungen nach 1936 war das Lohnniveau durchschnittlich eingefroren worden. Nach dem Arbeitsordnungsgesetz vom 1. Mai 1933 sollten die gültigen Tarifverträge durch von den Unternehmen erlassene Tarifverträge abgelöst werden. [91] Diese Regelung verstärkte aber die Unzufriedenheit in den Betrieben. So mußte selbst Hitler in seiner Rede am 21. März 1934 eingestehen, daß der deutsche Arbeiter „zum Teil geradezu unmögliche Lohnsätze“ erhalte. [92] Am 28. März 1934 ordnete der Reichsarbeitsminister schließlich die unbefristete Weitergeltung der noch laufenden Tarifverträge an. [93] Die Lohnpolitik lief in den ersten 2 Jahren nur darauf hinaus, eine offene Rebellion zu verhindern. Hitler wandte sich 1934 energisch gegen einen Anstieg der Lebensmittelpreise, da die Entwicklung sonst zu einer „revolutionären Situation“ führen könnte. [94] Die Lebensmittelpreise stiegen von 1933 bis 1936 trotzdem um 10 %. [95]

Das Lohnniveau war in den einzelnen Industriezweigen sehr verschieden. Die Schere ging im Zuge der Aufrüstung noch weiter auseinander. Die Industrien, die vom Rüstungs- und Bauboom profitierten und so unter Facharbeitermangel litten, mußten die Löhne schnell erhöhen. Die Betriebe zahlten „Locklöhne“, um die nötigen Arbeitskräfte anzuwerben. Außerdem entstand ein starkes Ost- Westgefälle. Ein Arbeiter verdiente in Hamburg doppelt so viel wie in Ostpreußen und an der Ruhr 20 % mehr als in Oberschlesien. [96] Zwischen Dezember 1935 und Juni 1939 stieg der Stundenlohn in der Industrie insgesamt um 10,9 %. Die Wochenlöhne fielen auf Grund der längeren Arbeitszeit 17,4 % höher aus. Durch den Lohnanstieg in der Industrie erhöhte sich die Konsumkraft der Arbeiter um 85 Millionen Reichsmark pro Woche. [97] Die stärkere Kaufkraft kam so auch der Konsumgüterindustrie zugute. Wegen der hohen Überstunden vor dem Krieg gab es in der Industrie die bis dahin höchsten Löhne. [98]

Im Gegensatz zur Industrie sanken die Löhne der Landarbeiter und auch in vielen Handwerksbetrieben. Von dieser Entwicklung waren gerade die Frauen betroffen, die fast 50 % der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft stellten. Um die Abwanderung der Landarbeiter und Handwerker in die besser zahlende Rüstungsindustrie zu stoppen, wurde 1935 die freie Arbeitsplatzwahl untersagt. Die Unterschiede in der Konsumgüter- und Schwerindustrie glichen sich aber im Laufe der Zeit an. „Die Unfähigkeit von Arbeitern in vielen Zweigen der Konsumgüterindustrie, eine Erhöhung ihrer ohnehin sehr niedrigen Verdienste in den Jahren 1933 bis 1936/37 durchzusetzen, Jahre in denen die gelernten Maschinenbau- und Bauarbeiter beträchtliche Lohnerhöhungen erzielten, war vor allem Resultat einer zunehmend ungleichen Verteilung der Arbeitslosigkeit. Die Unterschiede zwischen den Verdiensten wuchsen nur, weil (und solange wie) Arbeiter in der Konsumgüterindustrie auf ihre Arbeitgeber keinen effektiven Druck ausüben konnten – aber ab 1937 waren sie dazu in der Lage, und die Lücke schloß sich wieder ein wenig.“ [99]

Beim Urlaub konnten schon von Anfang an einige Verbesserungen erzielt werden. Nachdem der 1. Mai bezahlter Feiertag wurde ( im Krieg 1942 wurde er wieder abgeschafft), erhöhte die Regierung den Mindesturlaub für Industriearbeiter von 3 auf 6 Tage [100]. Ab 1937 wurden auch die anderen gesetzlichen Feiertage bezahlt. Gerade die jungen Arbeiter bildeten eine feste Basis der NSDAP in der Arbeiterklasse. Um diese Folgsamkeit zu festigen, schuf man unter dem Stichwort „Jugendschutz ist Volksschutz“ ein besonderes Urlaubsgesetz. Das „Gesetz über Kinderarbeit und über die Arbeitszeit von Jugendlichen“ vom 30. April 1938 hatte folgendes zu bieten: Ausdehnung des Jugendschutzes von 16 auf 18 Jahre und bezahlten Mindesturlaub für Jugendliche unter 16: 15 Werktage und über 16: 12 Werktage, der bei Teilnahme an HJ- Fahrten auf 18 Tage erhöht werden konnte. [101] Ein solches Urlaubsgesetz für Jugendliche hatte es bisher in Deutschland noch nicht gegeben.

Besonders an die Arbeiterjugend richtete sich auch die „Olympiade der deutschen Arbeit“, zu der die HJ und DAF aufriefen. Alle Jugendlichen sollten sich an diesem „Leistungskampf“ beteiligen. Die Sopade-Berichte meldeten dazu: „Zwar interessierte die Jugendlichen nicht so sehr die Erhöhung ihrer Qualifikation, aber neben den verschiedenen ‘wirtschaftlichen Anreizmitteln’ wie Abkürzung der Lehrzeit, Gratifikation, Sonderurlaub usw. seien es vor allem der ‘Kampf selbst und die allgemeine Betriebsamkeit’, die sie mitrissen.“ [102] Der Wettbewerb führte aber zum Nachteil der Jugendlichen zur erheblichen Steigerung des Leistungsdrucks, was wohl auch das Ziel der sogenannten Olympiade war.

Die Unternehmer brachten Einwände gegen den Wettbewerb vor. Schacht hatte am 5. August 1937 allen Betrieben verboten, am Leistungskampf teilzunehmen, solange Göring nicht die Mitsprache der gewerblichen Wirtschaft bei der Auszeichnung gewährleistete. [103] Das Reichswirtschaftsministerium wollte eine Aussetzung des Wettbewerbs mit der Begründung erreichen, daß Kapital fehlgeleitet werden könnte und die Einführung der Sozialleistungen eine indirekte Lohnerhöhung darstelle. [104]

Aufstieg der DAF

In der Arbeits- und Sozialpolitik spielte die Deutsche Arbeitsfront im „Dritten Reich“ eine zentrale Rolle. Nachdem ihre Rolle in den ersten Jahren sehr beschränkt blieb, stieg sie zur mächtigen Organisation auf, die durch die Zwangsmitgliedschaft und Übernahme des Gewerkschaftseigentums die mitgliederstärkste Organisation des NS- Staates wurde. Die DAF stellte dabei weder eine Handlangerorganisation der Unternehmer, noch eine „Quasi-Gewerkschaft“ dar. Sie war die Organisation, die durch Sozialpolitik und Propaganda die Arbeiterklasse in den NS- Staat integrieren sollte. Die Unternehmer traten ihr nur widerwillig bei und spielten in der Organisation keine große Rolle.

Nachdem die Verordnung über die DAF vom Oktober 1934 ihr nur eine Erziehungsrolle zugedacht hatte, versuchte Ley, den Einfluß seiner Organisation durch Vertretung von Forderungen der Arbeiter zu vergrößern. So griff 1934 die DAF auf Seiten der Arbeiterklasse ein. Im April 1934 legten die Unternehmer des Bergbauvereins und der Arbeitsminister die Kürzung des Urlaubsgeldes auf 70 % fest. Ley sprach vor den Kumpels: „Euch Männern der Kohle will man die hundertprozentige Bezahlung eures Urlaubs nicht bewilligen, euch, die ihr ihn am allernotwendigsten hättet, denn eure Arbeit ist mit Geld gar nicht zu bezahlen. (…) Eins aber sage ich euch schon heute, und (…) auch euren anderen Kameraden an der Ruhr: Ihr bekommt euren Urlaub bezahlt, und zwar mit 100 Prozent.“ [105] Nach dieser Aktion intervenierte Thyssen empört bei Hitler. Doch Ley konnte sich durchsetzen. Das Urlaubsgeld wurde nicht gekürzt. Im August 1933 setzte sich die DAF vergeblich für die Erhöhung der Löhne in der Bauindustrie ein und 1934 für die Erhöhung der Löhne im Bergbau. [106] Der Treuhänder der Arbeit Sachsens meldete: „In den Versammlungen der DAF sind Lohnfragen das beherrschende Thema. In vielen Fällen nehmen Versammlungen einen stürmischen Verlauf. Einige mußten wegen Unruhen abgebrochen werden.“ [107]

Da der Nationalsozialismus in den ersten drei Jahren die Löhne einfror und außer den Erfolgen bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit der Arbeiterklasse nicht viel zu bieten hatte, war sowohl Ley als auch Hitler klar, daß eine Wende herbeigeführt werden mußte. Auf Grundlage der Vollbeschäftigung 1936 begann der Aufstieg der DAF und der Ausbau der Sozial- und Lohnpolitik. Das Reichskriegsministerium stellte im Februar 1936 fest: „Die Betriebsverwalter können dem Druck der Gefolgschaftsmitglieder nicht mehr standhalten.“ [108] Durch den Facharbeitermangel und die Beseitigung des Schreckgespenstes Arbeitslosigkeit wurden die Forderungen in den Betrieben nach Lohnerhöhungen lauter. Dieser Druck steigerte sich noch, da 1938 schon 1 Million Arbeitskräfte fehlten. So schrieb der Autor T. Mason richtig: „Im Namen einer ideologisch verstandenen Überwindung der Klassengegensätze und einer vermeintlichen Steigerung der Produktivität war die DAF zum Verfechter der Lebens- und Arbeitsbedingungen des Arbeitnehmers in der Industrie geworden.“ [109]

Im Sommer 1936 machte sich die DAF zum Sprachrohr der Forderung der Arbeiter im Kohlebergbau und verlangte kürzere Arbeitszeiten und mehr Kindergeld. Die alte Forderung nach der Gewinnbeteiligung von Arbeitern an den Betrieben wurde wieder aufgegriffen. Dabei unterstützte sie auch der HJ-Führer Arthur Axman, der ein Verbot von Kinderarbeit, die Verkürzung der Arbeitszeit und Gewährung eines dreiwöchigen bezahlten Urlaubs verlangte. [110] Die DAF rief nun regionale Arbeitsausschüsse ins Leben, die immer mächtiger wurden und als Konkurrenz zu den Treuhändern der Arbeit und den Unternehmern auftraten. Robert Ley wollte den „Totalitätsanspruch der Deutschen Arbeitsfront durchsetzen“ [111] und das gesamte Sozialsystem übernehmen.

Um eine leichte Verbesserung der Arbeitsverhältnisse zu erzielen, ohne in Konfrontation mit den Unternehmern zu geraten, startete die DAF die Aktion „Schönheit der Arbeit“. Im Rahmen dieser Aktion wurden Kampagnen, wie „Laßt den Frühling in die Betriebe“, „Gutes Licht – Gute Arbeit“, „Warmes Essen im Betrieb“, „Gesunde Luft im Arbeitsraum“, „Saubere Menschen im sauberen Betrieb“ durchgeführt. Es konnten so in angeblich über 70.000 Betrieben Küchen, Sportanlagen, Grünanlagen usw. geschaffen werden. [112] Im Zusammenhang mit dem „Leistungskampf“ der deutschen Betriebe erhielten ab 1937 die besten Betriebe, die die Leistung steigerten und „Schönheit der Arbeit“ durchführten, die Auszeichnung als „nationalsozialistische Musterbetriebe“ und wurden bei öffentlichen Aufträgen bevorzugt behandelt.

Kraft durch Freude [113]

Um die ideologische Beeinflussung der Arbeiterklasse zu erhöhen, schuf die Deutsche Arbeitsfront die Organisation „Kraft durch Freude“ nach dem Vorbild der von den italienischen Faschisten gegründeten Freizeitorganisation „Opera Nazionale Dopolavoro“ (Nach der Arbeit). Erklärtes Ziel von KdF war die alte Gewerkschaftsforderung, den deutschen Arbeitern einen billigen Urlaub zu bieten. So konnte man z. B. 3 Tage zum Bodensee für 7,90 RM, einen 14-tägigen Sommerurlaub am Tegernsee für 54 RM machen oder für ein paar Mark zum Oktoberfest nach München fahren. Ebenfalls wurde ein Theater- und Kulturprogramm angeboten, in dem nicht nur NS- Propagandastücke dargeboten wurden. An diesen Angeboten konnte die Masse der Arbeiter teilnehmen. An den propagandistisch am meisten ausgeschlachteten KdF-Seereisen mit der „Robert Ley“ nach Teneriffa nahmen hingegen nur wenige Arbeiter teil. Unter 20 % der Seereisenden waren Arbeiter. Nur 1 % aller Arbeiter konnten auf den Luxusdampfern mitfahren. Im Kern waren es „Seereisen für den Mittelstand“. Trotzdem riß „Kraft durch Freude“ Standesschranken nicht nur scheinbar, sondern real ein. Nur einige Jahre zuvor wäre ein solcher Urlaub für einen kleinen Kaufmann oder Arbeiter undenkbar gewesen. Auf Rügen wurde mit dem Bau eines neuen Seebades mit einer Jahreskapazität von ca. 350.000 Urlaubern begonnen. Mit dem Krieg wurde das Projekt allerdings nicht mehr weitergeführt.

Die DAF drang auch in den Sport ein. Unter dem Stichwort KdF-Sport wurden Hunderte von Turnhallen und Sportplätzen gebaut. „Kampf den Vorurteilen, es gibt keine feudalen Sportarten mehr“, hieß die Parole, die es auch einigen Arbeitern möglich machte, Tennis oder Golf zu spielen. Nicht zu vergessen ist allerdings, daß gerade der Sport stark von der Rassenideologie und dem faschistischen Körperkult geprägt war. Nach der gewaltsamen Zerschlagung der Arbeitersportvereine wurde so der Sport dem Nationalsozialismus dienstbar gemacht.

Mit dem Krieg wurde das Ende von „Kraft durch Freude“ eingeleitet. Aber auch die Nazigrößen waren mit ihrer Organisation nicht mehr zufrieden. Starke, der Pressereferent der DAF, legte die Ziele von KdF offen dar: „Wir schickten unsere Arbeiter nicht auf eigenen Schiffen auf Urlaub oder bauten gewaltige Seebäder, weil uns das Spaß machte… Wir taten das nur, um die Arbeitskraft des einzelnen zu erhalten und um ihn gestärkt und neu ausgerichtet an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu lassen.“ [114] Dieses Ziel erreichte man anscheinend nicht. Göring stellte bereits im Juli 1938 verärgert fest, „die Arbeitsfront solle weniger Freude, dafür aber mehr Kraft machen.“ [115] Auch Goebbels bedauerte 1941, KdF degradiere zur „Rummelbewegung“. Der DAF- Kriegsorganisationsplan vom 26.1.1942 hob KdF schließlich faktisch auf. [116] Die KdF-Schiffe wurden jetzt für Truppentransporte oder als schwimmende Lazarette eingesetzt.

Richtig betrogen wurde die Arbeiterklasse durch die Volkswagenaktion, die auch ein Teil von KdF war. 1938 begann sie mit großem propagandistischen Aufwand. Der „Sozialismus der Tat“ versprach dem Arbeiter ein eigenes Auto. Durch langfristiges Sparen sollte man zum billigen Volkswagen kommen. 336.668 Sparer zahlten bis Kriegsausbruch 236 Millionen RM ein. [117] Kein einziger Wagen wurde ausgeliefert. Selbst als klar war, daß an Stelle von Autos in Wolfsburg Kriegsfahrzeuge hergestellt wurden, warb die DAF noch für den VW.

Das Verhältnis der Arbeiterklasse zum NS-Staat

Bekanntlich blieb die proletarische Revolution, selbst ein Massenwiderstand der Arbeiterklasse gegen den nationalsozialistischen Staat aus. Der Terror ist jedoch keine Erklärung dafür, daß Millionen Arbeiter überzeugte Hitleranhänger wurden, andere Millionen das System freiwillig mit trugen und zwar bis in die letzten Kriegsmonate. Durch die praktischen sozialen Erfahrungen eroberte die NSDAP bis zum Krieg die große Mehrheit der deutschen Arbeiterklasse. Diese Erfahrungen reichten aus, um den Raubkrieg des Verbrecherregimes als Krieg für die eigenen Interessen zu betrachten und den Nationalsozialismus bis zur letzten Kugel zu verteidigen. Bis die Nazis die Masse der Arbeiter gewonnen hatten, dauerte es aber Jahre.

Bei den letzten Wahlen im März 1933 zeigten sich die Arbeiter von dem neuen Regime wenig beeindruckt. Trotz Terror stimmten 12,3 % der Bevölkerung für die KPD und 18,3 % für die SPD. Noch größeren Widerspruch erntete die NSDAP bei den Betriebsratswahlen im März 1933. Die Vertreter der NSDAP und der anderen Rechtsparteien kamen auf etwa 25 %. Mit dem Gesetz vom 4.April wurden die Betriebsratswahlen deshalb abgeschafft. [118] Am 1. Mai 1933 kam es zu Gegendemonstrationen in vielen großen Städten. Noch traute man sich, der Regierung offen entgegenzutreten. Als nach der Zerschlagung des ADGB die Zwangsmitgliedschaft in der DAF eingeführt wurde, verweigerten viele Arbeiter aus Protest die Beitragszahlungen. Die monatlichen Beitragsleistungen sanken im Laufe des Sommer 1933 von 17 auf 8 Millionen. [119]

Mit dem Gesetz zur „Ordnung der nationalen Arbeit“ konnten in den Betrieben Vertrauensräte gewählt werden, die natürlich nicht die Klasseninteressen vertraten, sondern den „Betriebsfrieden“ sichern sollten. Bei den Vertrauensratswahlen 1934 blieben 60  % der Wahlberechtigten der Abstimmung fern. Die Ergebnisse wurden nie veröffentlicht. Bei den Vertrauenswahlen 1935 stimmten angeblich 83 % für Betriebsführer und Obleute der NSDAP. Parteiinterne Berichterstatter fürchteten, sich mit diesen Zahlen vor „der gesamten Arbeiterschaft lächerlich“ zu machen, [120] woraus man auf eine immense Wahlfälschung schließen kann. Die Wahlen fanden nie wieder statt. Sie zeigten eindeutig, daß die große Mehrheit der Arbeiter die Vertreter der NSDAP in ihrem eigenen Betrieb ablehnte. Da es nach 1935 in den Betrieben überhaupt keine Wahlen mehr gab, ist das Maß der Zustimmung oder Ablehnung schwer einzuschätzen. Die Ablehnung Hitlers und des NS-Staates im allgemeinen konnte daraus nicht automatisch geschlossen werden. Viele trauten aus betrieblichen Erfahrungen den Parteivertretern nicht, hatten aber trotzdem Vertrauen zu Hitler. Den Führer-Mythos sollte man nicht unterschätzen.

Daß es trotzdem noch weiter Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse gab, zeigten einige Treuhänderberichte. Aus einem Bericht des Treuhänders der Arbeit in Hessen von 1936 geht hervor: „Die scheinbare Ruhe in der Arbeiterschaft stellte seiner Ansicht nach keine „wahrhafte Befriedung“ dar; viel eher sei sie durch „Resignation und Verzicht“ gekennzeichnet. Bei den Arbeitern bestehe vielmehr die Auffassung, daß die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nur dem Unternehmer Erholung von seinem wirtschaftlichen Niedergang gebracht habe“. [121]

In vielen Betrieben wurde der Kampf für höhere Löhne mit neuen Mitteln fortgeführt. Streiks gab es zwar hin und wieder, aber damit setzte man schließlich sein Leben aufs Spiel. Die Funktionäre der DAF zählten von Februar 1936 bis Juni 1937 192 Streiks. Allerdings waren die Streiks begrenzt und kurz, in nur 6 Fällen waren mehr als 80 Leute beteiligt. [122] Die neuen Lohnkampfmethoden waren individuell. Die Arbeiter wechselten in Betriebe mit höheren Löhnen, da sie bis 1938 die Freiheit hatten, den Arbeitsplatz zu wechseln. Auch noch 1938/1939 wechselten alle Beschäftigten den Arbeitsplatz durchschnittlich einmal im Jahr, da das Gesetz nicht durchgesetzt wurde. [123] Die Unternehmer setzten weiterhin Locklöhne und zusätzliche Krankenversicherungen und Urlaubsgelder ein, um Arbeiter abzuwerben. [^124] 1938 wurde die zivile Dienstpflicht eingeführt, um den Arbeitswechsel zu unterbinden. Der Treuhänder der Arbeit berichtete 1937 über die Stimmung in den Betrieben, daß die steigenden Löhne „die Stimmung der Arbeiter nicht verbessert“ hätten. „Es hat sogar den Anschein, als ob der Arbeiter unzufriedener geworden ist.“ [125] Diese Berichte stimmten allerdings mit den Ereignissen um den Anschluß des Saarlandes und Österreichs nicht überein.

Im Saarland, das 1918 unter die Verwaltung des Völkerbundes fiel, zeigte sich die große Bedeutung der nationalen Frage und die Haltung der Arbeiter zum NS-Staat. Die Beseitigung des Versailler Vertrages war wohl der breiteste Konsens in der deutschen Bevölkerung. Auch die SPD und KPD hatten die Pariser Vorortverträge immer prinzipiell abgelehnt. Allerdings waren die Arbeiterparteien und die bürgerliche Mitte für die friedliche Beseitigung der französischen Nachkriegsordnung eingetreten.

Wie im Vertrag von Versailles festgelegt, wurde hier 1936 eine Volksabstimmung durchgeführt, ob der Status quo beibehalten oder das Saarland an Deutschland oder Frankreich angegliedert werden sollte. Da die Wahlen vom Völkerbund überwacht wurden, sahen SPD und KPD die große Chance gekommen, die Wahl zu einer antifaschistischen Machtdemonstration zu machen. SPD und KPD wollten die Angliederung an das „faschistische Reich“ verhindern und riefen auf, für den Status quo zu stimmen. Noch bei der Wahl 1932 kamen SPD und KPD zusammen auf 32 % der Stimmen, linke Splittergruppen auf 6 %. Der Sozialdemokrat Otto Braun rechnete mit 60 % der Stimmen für den Status quo. Doch es sollte ganz anders kommen. 90,8 % der Wähler votierten für den Anschluß, nur 8,9 % für den Status quo und 0,4 % für den Anschluß an Frankreich.

Die große Mehrheit der Arbeiter des industriell geprägten Saarlands hatte damit für den Anschluß an Hitler-Deutschland gestimmt. Die widersinnige Abtrennung des Saarlandes von Deutschland zu beenden, hatte vor der Überlegung überwogen, die nationalsozialistische Herrschaft nicht noch mehr auszuweiten. Bei dieser Wahl spielte aber auch die soziale Frage eine Rolle. Zumindest die 24 % Erwerbslosen werden aus diesem Blickwinkel auf das Deutschland der Vollbeschäftigung geguckt haben. Die saarländische Arbeiterklasse hatte trotz der Zerschlagung ihrer Organisation im Reichsgebiet die Angst vor Hitler verloren. Bei der Anschlußfrage spielten auch die konfessionellen Unterschiede keine Rolle. Im katholischen Saarland war das Zentrum die stärkste Partei gewesen. Die Katholiken stimmten ebenfalls für den Anschluß an Deutschland.

Dasselbe Bild zeichnete sich beim Anschluß Österreichs 1938 ab. Trotz Betrug und Terror der Nazis bei der Volksabstimmung bestreitet heute kein Historiker die große Zustimmung in allen Teilen der Bevölkerung für die Herstellung Großdeutschlands. Der Parole „rot, weiß, rot – bis in den Tod“, die für die österreichischen Antifaschisten blutige Wahrheit werden sollte, folgten nur wenige. Die Auffassung, Österreich und Deutschland gehören zusammen, die auch in der Arbeiterbewegung beider Staaten Traditionen hatte, überwog. [126] Außerdem traf Österreich die Weltwirtschaftskrise besonders hart. Weder die Republik noch das Dollfuß-Regime waren in der Lage, die sozialen Probleme wie die Arbeitslosigkeit zu lösen.

Die einzige richtige Position war in beiden Abstimmungen, gegen den Anschluß zu stimmen, um den Nationalsozialismus zu schwächen und Tausenden Menschen Tod und Elend zu ersparen. Die große Mehrheit der Arbeiterklasse entschied sich in diesen Jahren aber für Hitler.