Mögliche Auswirkungen der Automatisierung auf den Arbeitsmarkt

Im Folgenden wird eine Auswahl von Studien vorgestellt, die versuchen, mögliche Auswirkungen der Automatisierung auf den Arbeitsmarkt zu quantifizieren.

Eine viel zitierte Studie ist die von Frey und Osborne ([28]) für den amerikanischen Arbeitsmarkt. Sie vergleicht den Stand der bei Abfassung des Artikels vorhandenen Automatisierungsmöglichkeiten im Jahr 2010 mit der Klassifizierung der Berufsgruppen des amerikanischen Arbeitsministeriums und den für sie notwendigen Fähigkeiten. Berechnet wird damit eine Automatisierungswahrscheinlichkeit, auch Substituierungspotential genannt, für Berufe unter der Voraussetzung, dass jede technische Möglichkeit der Automatisierung auch durchgeführt wird. In einer gewissen Hinsicht gibt die Studie damit eine Obergrenze an, da es von einer Reihe von Faktoren abhängt, ob eine Automatisierung durchgeführt wird.

Für eine Auswahl von Berufsgruppen ließen Frey und Osborne Robotikexperten beurteilen, ob sie automatisierbar sind und rechneten diese Ergebnisse anhand von Tätigkeitsmerkmalen statistisch auf die restlichen Berufsgruppen hoch. Die Rechenergebnisse ordneten sie drei Gruppen von Substitutionswahrscheinlichkeiten zu, geringe, mittlere oder hohe Wahrscheinlichkeit, wobei sie als hohe Wahrscheinlichkeit definierten, dass mehr als 70 % der Tätigkeiten dieser Berufsgruppe automatisierbar sind. Das Ergebnis war, dass 47 % der US-Berufsgruppen durch Automatisierung stark gefährdet sind. Nicht behandelt werden in der Studie ein möglicher Arbeitsplatzaufbau durch die neuen Technologien.

Betroffen sind nach Frey und Osborne vor allem Berufe in Büros und Verwaltung, Transport und Logistik und Hilfsarbeiter in der Produktion. Derzeit noch nicht automatisierbar sind vor allem Berufe, die kreative oder soziale Intelligenz erfordern, sowie Berufe mit besonderer Wahrnehmungs- und Handhabungsqualität. Bei Letzteren ändert sich aber die Situation mit verbesserten Sensoren, Handhabungseinrichtungen und Programmen, die es erlauben, dass Roboter auch Nichtroutinetätigkeiten übernehmen können. Die Studie weist auch darauf hin, dass Serviceroboter zunehmend Arbeiten im Dienstleistungsbereich übernehmen können, dem Bereich, in dem es in den letzten Jahren den größten Arbeitsplatzaufbau in den USA gab. Die Autoren betonen, dass aus ihrer Analyse keine Prognose über den tatsächlichen Arbeitsplatzabbau ableitbar ist. Für den technologisch möglichen Arbeitsplatzabbau nennen sie einen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren.

Die Methodik von Frey und Osborne wurde von verschiedenen Autoren auf andere Länder übertragen. Für Deutschland gibt es insbesondere die Studien von Bonin ([62]) und Brzeski und Burk ([63]). Beide Studien benutzen die deutsche Berufsqualifikation. Brzeski und Burk schätzen die Wahrscheinlichkeit der durch Automatisierung hoch gefährdeten Berufe auf 59 %, Bonin auf 42 %. Die Verteilung der hochgefährdeten Berufe ist in allen Berichten ähnlich. Um das anschaulicher zu machen, wird die folgende Tabelle von Brzeski/Burk wiedergegeben:

Funktionsklasse

Berufe pro Gruppe

Sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigte

Gefährdete Arbeitsplätze

Wahr-scheinlich-

keit

Total

1286

37.990.000

Untersuchte Berufe

369

30.870.000

18.300.000

59 %

Bürokräfte und verwandte Berufe

26

3.500.000

3.000.000

86 %

Hilfsarbeitskräfte

20

3.800.000

3.260.000

85 %

Anlagen- und Maschinenbediener, Montagekräfte

28

4.640.000

3.210.000

69 %

Dienstleistungs- und Verkaufsberufe

30

4.570.000

3.120.000

68 %

Facharbeiter in Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei

11

78.000

50.000

64 %

Handwerks- und verwandte Berufe

67

4.1000.000

2.580.000

63 %

Technische und gleichrangige nichttechnische Berufe

72

4.800.000

2.470.000

51 %

Akademische Berufe

91

3.990.000

471.000

12 %

Führungskräfte

24

1.380.000

157.000

11 %

 

Gemäß dieser Tabelle arbeiten weit mehr als 6 Millionen Arbeitskräfte in hoch gefährdeten Berufen (mehr als 70% der Tätigkeiten automatisierbar).

Die Studie von Bonin ([62]) wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durchgeführt. Sie analysiert auch die methodischen Beschränkungen der Untersuchung von Frey und Osborne. Ein wichtiger Einwand ist, dass nicht Berufe, sondern Tätigkeiten durch die Automatisierung wegfallen. Die Studie berechnet auf Basis des tätigkeitsbasierten Ansatzes, dass 12 % von Tätigkeiten durch die weitere Automatisierung in Deutschland wegfallen könnten. Diese Betrachtung impliziert, dass sich Berufe mit der durch die Automatisierung wegfallenden Tätigkeiten verändern, aber nicht verschwinden, was zum Teil sicher der Fall sein wird. Die Differenz von 12 % und 42 % in derselben Studie erstaunt dennoch, denn sie beinhaltet, dass die Anzahl automatisierbarer Tätigkeiten innerhalb der Berufe noch gering ist. Eine Erklärung zu diesen sehr unterschiedlichen Zahlen gibt die Untersuchung nicht.

Obiger Tabelle ist zu entnehmen, dass auch Bürokräfte, die zum Teil der Mittelschicht angehören, gefährdet sind. Gemäß dem Schwerpunkt meiner Untersuchung wurde vor allem die Automatisierung von Produktionsprozessen betrachtet, bei der Betrachtung möglicher Arbeitsplatzverluste durch Automatisierung ist natürlich die Gesamtheit der Beschäftigten zu betrachten. Dazu ein Beispiel aus dem Dienstleistungsbereich: Lässt man sich bei einer Bank über eine Geldanlage beraten, so liest der Berater seine Vorschläge von Ergebnissen ab, die ein Programm erstellt hat und empfiehlt die Produkte, an der seine Bank am meisten verdient. Ein umfassenderes Ergebnis kann man auch über ein Vergleichsportal im Internet erreichen, der Portalbetreiber verdient an der Vermittlungsgebühr, wenn man einen seiner Vorschläge auswählt. Der Bankberater ist also überflüssig. Gleiches gilt für viele verwandte Berufe wie zum Beispiel Versicherungsmakler und andere kaufmännische Berufe. Viele Betriebe wickeln inzwischen ihre Geschäftsbeziehungen über eine Software ab, das Bestellwesen durch den Menschen und ähnliche Aufgaben können mehr und mehr entfallen. Eberl ([2], Seite 239 folgende) gibt an, dass inzwischen auch Sportberichte oder die Quartalsberichte von Unternehmen maschinell erstellt werden. In seinem Buch ([2], Seite 241) wird eine Studie des Mc Kinsey Global Institute zitiert, dass in den nächsten zehn Jahren weltweit die Tätigkeit von 110–140 Millionen „Wissensarbeitern“ automatisiert werden könnten, was eine Einsparung von 6 000 Milliarden Euro pro Jahr ergeben würde. In den Dienstleistungsbereichen kann die menschliche Tätigkeit in der Regel sehr schnell durch Programme ersetzt werden, da dies keine teuren Investitionen in mechanische Roboter erfordert. So verwenden Hotlines von Unternehmen zunehmend Sprachroboter, sogenannte „chatbots“, zur Beantwortung von Fragen, Callcenter-Mitarbeiter werden überflüssig.

Es gibt auch Studien, die zu dem Schluss kommen, dass die beschleunigte Automatisierung keine zahlenmäßig bedeutsame Auswirkung auf den Arbeitsmarkt haben werde. So würden zwar Tätigkeiten abgebaut, aber sie würden anderweitig kompensiert. Stellvertretend für diese Positionen seien die Studien des Instituts für Arbeit und Beschäftigung (IAB) und der Boston Consulting Group ([58]) genannt. Das IAB hat mehrere Studien zu diesem Thema veröffentlicht ([64], [65], [66]). Diese Studien legen die deutsche Berufs­qualifizierung zugrunde und sind daher keine reine Übertragung der Studie von Frey und Osborne auf Deutschland. Sie folgen methodisch Bonin ([63]) darin, dass keine Berufe, sondern Tätigkeiten durch rechnergesteuerte Maschinen ersetzt werden. Die Berechnungen erfolgten auf der Basis der vorhandenen Technik, die Beurteilung der Substitutionswahrscheinlichkeit wurden aber nicht von Experten für Technologie sondern von Experten der Bundesanstalt für Arbeit ([65], Seite 22) durchgeführt. Berücksichtigt wird, dass Berufe mit hohen Beschäftigtenzahlen eher automatisiert werden. Das Ergebnis ist, dass rund 15 % der sozialpflichtigen Beschäftigten einem hohen Substituierungspotential (mehr als 70 %) ausgesetzt sind, was den Ergebnissen von Bonin entspricht. Im IAB-Forschungsbericht ([64]) wird versucht zu quantifizieren, wie viele Arbeitsplätze durch „Industrie 4.0“ geschaffen und wie viele verloren gehen könnten. Demnach würden bis zum Jahr 2030 420 000 Arbeitsplätze verloren gehen und 360 000 ([64], Seite 8) neu geschaffen, es wäre damit eine fast ausgeglichene Bilanz. In ([38], Seite 56) wird eine Studie zitiert, die zu dem Schluss kommt, bis zum Jahr 2025 würden durch „Industrie 4.0“ netto, das heißt nach Abzug der verlorengehenden Arbeitsplätze, 350 000 industrielle Arbeitsplätze geschaffen. Der Kontrast solcher Zahlen zu den Angaben in obiger Tabelle der Studie von Brzeski und Burk ([63]) ist offensichtlich. Oft wird auch argumentiert, frühere industrielle Revolutionen hätten auf längere Sicht nicht zu großem Arbeitsplatzabbau geführt. Solche pauschalen Aussagen ersparen sich Untersuchungen dazu, warum es trotz Rationalisierung zu einem Aufbau der Gesamtbeschäftigung kommen kann. Keiner der Autoren der beschriebenen Studien ist verdächtig, Weltuntergangsphantasien beschwören zu wollen oder ein Apologet der schönen neuen Welt der Automatisierung zu sein. Dennoch dient die eine Studie den Panikmachern, die andere den Propagandisten. Alle Studien heben hervor, dass neue Berufe entstehen werden, andere verschwinden und viele Beschäftigte in andere Berufsfelder wechseln müssen.

Nun soll auf eine aus mehreren Teilstudien bestehende Untersuchung eingegangen werden, die einen anderen Ansatz als die bisher vorgestellten verfolgt. Sie stammt von der Unternehmungsberatung Boston Consulting Group aus dem Jahr 2015 ([58]). In ihnen geht es darum, die ökonomischen Anreize abzuschätzen, die eine weitere Automatisierung für die Unternehmen attraktiv machen könnte. Untersucht wurden 21 Industriezweige in 25 Exportnationen.

Die Studie benutzt als Maßstab, dass Firmen dann Roboter einsetzen werden, wenn die Roboterarbeitsstunde etwa 15 % billiger als die menschliche Arbeitsstunde ist. Somit hängt der Robotereinsatz im Wesentlichen ab vom

 

  • allgemeinen Lohnniveau eines Landes
  • innerhalb eines Landes vom Lohnkostenanteil in den einzelnen Branchen
  • von der Fähigkeit der Roboter, menschliche Tätigkeiten zu ersetzen
  • von den Preisen für Roboter, ihrer Programmierung und Wartung.

Gemäß der Studie, die sich auf die Industrie bezieht, sind vor allem die Herstellung von Computern, elektrischen und elektronischen Produkten, Transport und Maschinenbau die Bereiche, in denen am meisten automatisiert werden kann und für die die meisten Roboterinstallationen erwartet werden. Weitere Prognosen der Studie bis zum Jahr 2025 werden kursorisch dargestellt:

  • Wachstum der automatisierbaren Aufgaben von derzeit 10 % auf 25 % im Jahr 2025
  • Produktivitätswachstum durch Automatisierung um etwa 30 %, Sinken der Lohnstückkosten um 20 % – 30 % je nach Land
  • Wachstum des Roboterabsatzes um 10 % pro Jahr. Sinken der Kosten des Robotereinsatzes bis zum Jahr 2025 um mehr als 20 % bei einer gleichzeitigen Steigerung der Leistungsfähigkeit der Roboter um 5 % pro Jahr
  • Auf die 5 Länder China, USA, Japan, Deutschland und Südkorea werden bis zum Jahr 2025 etwa 80 % der Roboterbestellungen entfallen. Für Südkorea schätzt die Studie, dass bis zum Jahr 2025 etwa 40 % aller Tätigkeiten automatisiert werden. Die Studie erwartet auch für Indonesien, Taiwan und Thailand eine schnelle Einführung von Robotern. Der Grund ist, dass diese Länder schnell zu den Qualitätsstandards der entwickelten Länder aufschließen wollen, wozu die Roboter helfen sollen.
  • Die Einführung von Robotern verbessert die Konkurrenzfähigkeit von Volkswirtschaften. Der Einsatz von billigen Servicerobotern macht es möglich, Fertigungen aus Niedriglohnländern in Hochlohnländer zurückzuholen.

Auch wenn die Boston Consulting Group in ihrer Studie ihre Prognosemethoden nicht beschreibt, so ist davon auszugehen, dass sie das nötige Fachwissen dafür besitzt. Aus der Studie folgt, dass für viele Unternehmen und Volkswirtschaften ein großer Anreiz besteht, die Automatisierung der Produktion voranzutreiben. Aus allen bisher vorgestellten Studien geht hervor, dass hier eine Entwicklung im Gange ist, die trotz des wachsenden Niedriglohnsektors in vielen Ländern nicht aufzuhalten ist.

Zwei Einwände sind gegenüber zu hochgesteckten Erwartungen an die Automatisierungsgeschwindigkeit vorzubringen. Zum Ersten: Seit vielen Jahren wird in den entwickelten kapitalistischen Ländern die Unternehmenspolitik von Finanzunternehmen bestimmt. Deren meist kurzfristige Renditeerwartungen widersprechen den langfristig orientierten Investitionsentscheidungen für eine Automatisierung. Außerdem ziehen sie Geld aus den Unternehmen ab. Statt dass Gewinne reinvestiert werden, verschwinden sie zu einem großen Teil in den Taschen von Finanzspekulanten. Zum Zweiten: In einem früheren Kapitel wurde auf die Zeitgleichheit der Entscheidung für Hartz IV und die Hightech Strategie hingewiesen. Dies ist ein Zeichen der kapitalistischen Widersprüchlichkeit, da der Drang nach niedrigen Löhnen der Entwicklung der Produktivität entgegensteht.

Es gibt weitere Studien zur Auswirkung der fortschreitenden Automatisierung auf den Arbeitsmarkt, die zu anderen Zahlen kommen als die hier vorgestellten. Insgesamt liegen die Zahlen zu möglichen Arbeitsplatzverlusten durch die fortschreitende Automatisierung so weit auseinander, dass man schlussfolgern muss, dass darüber keine seriösen Angaben gemacht werden können, weshalb dazu prinzipielle Überlegungen notwendig sind. Dennoch sind in vielen Studien übereinstimmende Tendenzen erkennbar. Zum einen: Während es bei früheren Produktivkraftrevolutionen darum ging, qualifizierte Arbeit durch einfache zu ersetzen, ist mit der weiteren Entwicklung auch der Ersatz von mittel und höher qualifizierter Arbeit abzusehen. Gleichzeitig steigt der Bedarf an anders und hoch qualifizierter Arbeit. Außerdem steigen die Anforderungen an die Arbeitskräfte, mit dem sich beschleunigendem technischen Wandel mitzuhalten. Zum anderen: Bisher wuchs der Dienstleistungsbereich kontinuierlich und konnte teilweise den Arbeitsplatzabbau in der Produktion kompensieren. Nun ist er ebenfalls von der Automatisierung betroffen und könnte tendenziell schrumpfen. Abschließend ist zu den Studien noch zu bemerken, dass sie auf den gegebenen technischen Möglichkeiten der Automatisierung bei ihrer Abfassung beruhen und sich daher mit jedem weiteren Fortschritt die technisch möglichen Substitutionspotentiale erhöhen. Die tatsächliche Einführung einer Automatisierung ist von ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig.

Aus marxistischer Sicht ist zur zunehmenden Automatisierung der Produktion zunächst festzustellen, dass jeder technische Fortschritt, der menschliche Arbeitskraft ersetzen kann, zu begrüßen ist, da er den Menschen von Arbeit befreit. Die Frage ist, welche Auswirkungen dies im Kapitalismus hat. Wie schon dargestellt, wird im Kapitalismus nur automatisiert, wenn dies billiger als die eingesparte Arbeit ist. Diesen Wettlauf scheint der Mensch in immer mehr Bereichen nicht mehr gewinnen zu können. Schon Marx beschäftigte sich mit den auch zu seiner Zeit verbreiteten Kompensationstheorien und schrieb dazu ([15], Seite 466): „Obwohl die Maschinerie notwendig Arbeiter verdrängt in den Arbeitsbereichen, wo sie eingeführt wird, so kann sie dennoch eine Zunahme von Beschäftigung in anderen Arbeitszweigen hervorrufen. Diese Wirkung hat aber nichts gemein mit der sogenannten Kompensationstheorie. Da jedes Maschinen­produkt, z.B. eine Elle Maschinengewebe wohlfeiler ist als das von ihm verdrängte gleichartige Maschinenprodukt, folgt als absolutes Gesetz: Bleibt das Gesamtquantum des maschinenmäßig produzierten Artikels gleich dem Gesamtquantum des von ihm ersetzten handwerks- oder manufakturmäßig produzierten Artikels, so vermindert sich die Gesamtsumme der angewandten Arbeit.“ Und nochmals Marx zum grundsätzlichen Verhältnis von Maschine zur Arbeit: „Die Maschine wird als Arbeitsmittel sofort zum Konkurrenten des Arbeiters selbst. Die Selbstverwertung des Kapitals durch die Maschine steht im direkten Verhältnis zur Arbeiterzahl, deren Existenzbedingung sie vernichtet. Das ganze System der kapitalistischen Produktion beruht darauf, daß der Arbeiter seine Arbeitskraft als Ware verkauft. Die Teilung der Arbeit vereinseitigt diese Arbeitskraft zum ganz partikularisierten Geschick, ein Teilwerkzeug zu führen. Sobald die Führung des Werkzeugs der Maschine anheimfällt, erlischt mit dem Gebrauchswert der Tauschwert der Arbeitskraft. Der Arbeiter wird unverkäuflich, wie außer Kurs gesetztes Papiergeld.“ ([15], Seite 454).

Auch wenn durch Automatisierung mehr Arbeitsplätze abgebaut werden als durch sie geschaffen werden, so bedeutet das nicht automatisch, dass damit der Arbeitsmarkt schrumpfen muss. Denn die Entwicklung des Arbeitsmarkts hängt im Kapitalismus vor allem von der Akkumulationsdynamik des gesamt­gesellschaftlichen Kapitals ab. Dies wird zum Beispiel beim Blick auf die Wirtschaftsgeschichte Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg deutlich:

Das durchschnittliche Produktivitätswachstum nach dem zweiten Weltkrieg betrug in Westdeutschland durchschnittlich 4 % pro Jahr, wobei die Steigerung in den beiden Nachkriegsjahrzehnten am größten war. Es wurde bald Vollbeschäftigung erreicht, die im Bergbau und in der Landwirtschaft freigesetzten Arbeitskräfte wurden schnell in den Arbeitsmarkt integriert und zusätzlich noch Gastarbeiter aus anderen europäischen Ländern angeworben. Dies änderte sich nach der Weltwirtschaftskrise 1974/1975, als es im Aufschwung nicht mehr gelang, die in der Krise freigesetzten Arbeitskräfte wieder­aufzunehmen. Trotz Senkung der Jahresarbeitszeit, Frühverrentungen und anderen Maßnahmen stieg die Massenarbeitslosigkeit in Deutschland bis zum Jahr 2005 deutlich an. Auch das Wachstum des Dienstleistungssektors, der inzwischen rund 70 % aller Arbeitnehmer beschäftigt, konnte den Arbeitsplatzabbau in der verarbeitenden Industrie nicht ausgleichen. Der Abbau der Arbeitslosigkeit seit 2005 hat mehrere Gründe. Hauptsächlich basiert er auf der erfolgreichen Exportoffensive der deutschen Wirtschaft nach der Einführung des Euro. Die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit wiederum basiert auf der Senkung der Lohnstückkosten durch Reallohnsenkung, Ausweitung des Niedriglohnbereichs, dem Anwachsen der Teilzeitarbeit und anderer Formen atypischer Beschäftigung sowie der Abwertung des Euros seit seiner Einführung. Seit der Krise 1974/1975 wurden schrittweise die sozialen Errungenschaften der Nachkriegszeit rückgängig gemacht.

Der Unterschied zwischen dem Charakter der Wirtschaftsentwicklung bis zur Mitte der 1970er Jahre und der danach besteht darin, dass davor eine beschleunigte Akkumulation des Kapitals stattfand, während danach eine strukturelle Überakkumulation von Kapital vorherrschte. Bei einer beschleunigten Akkumulation findet ein überzyklischer Aufbau der produktiven Beschäftigung statt. Dies ist so lange möglich, wie der Einsatz von Kapital für Produktionsmittel und Arbeitskräfte noch eine steigende Profitmasse abwirft, die den Fall der Profitrate kompensiert. Bei einer strukturellen Überakkumulation von Kapital ist dies nicht mehr der Fall, so dass hauptsächlich Ersatzinvestitionen vorgenommen werden, die die Produktion weiter rationalisieren ([29]).

Aus der dargestellten Entwicklung lässt sich folgern, dass sich die durch Automatisierung freigesetzten Arbeitskräfte nur in einer Phase der beschleunigten Akkumulation des Gesamtkapitals leicht in den Arbeitsmarkt integrieren lassen. Die Wiedereingliederung ist heute aus zwei Gründen schwieriger als in der Nachkriegszeit: Zum einen, weil die Spezialisierung der Arbeit größer geworden ist, weshalb es vor der Aufnahme einer neuen Tätigkeit in der Regel einer längeren Umschulung bedarf. Zum Zweiten, weil der Dienstleistungssektor, der bisher zusätzliche Arbeitsplätze schuf, zunehmend selbst von Rationalisierungsmaßnahmen betroffen ist. Die zentrale Frage ist aber, ob und wie das Kapital einen Weg in eine neue Phase der beschleunigten Akkumulation finden kann, durch die neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Eine weitere Schlussfolgerung ist, dass nicht die Entwicklung der Technologie ursächlich für eine endgültige alternativlose Freisetzung von Arbeitskräften ist, sondern die Wachstumshemmnisse der kapitalistischen Produktionsweise.

Die grundsätzliche Herangehensweise an das Thema lässt über die generelle Aussage hinaus, dass Automatisierung mehr Arbeitsplätze vernichtet als schafft, keine zahlenmäßige Prognose zu den Folgen der Automatisierung zu. Einige Maßnahmen zur Milderung der Auswirkungen durch die fortschreitende Automatisierung sind offensichtlich: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, Umschulung der freigesetzten Beschäftigten, Aufbau eines öffentlichen Beschäftigungssektors und höhere Löhne, damit die wachsende Warenproduktion konsumiert werden kann. Die Wirtschaft hofft, dass sich die deutsche Exportoffensive unendlich fortsetzt und so möglicherweise auch Automatisierungsopfer beschäftigen kann. Diese Exportoffensive führt außerdem zur Deindustrialisierung in den importierenden Ländern, es werden dort, statt in Deutschland, Arbeitnehmer freigesetzt. Dies ist eine Strategie, die den Profitinteressen des deutschen Kapitals dient und nur auf Kosten der deutschen Arbeitnehmer möglich wurde und ist ([29]). Dass Wirtschaft und Staat die negativen Folgen der weiteren Automatisierung auf den Arbeitsmarkt befürchten, zeigt unter anderem die Debatte über eine Maschinensteuer, das heißt eine Teilhabe der Gesellschaft an dem Produktivitätsfortschritt durch Automatisierung und die Debatte über ein Grundeinkommen. Die Debatte über ein Grundeinkommen wird auch darum geführt, um den Widerstand gegen die Folgen der Automatisierung abzuschwächen.

Abschließend sollen zwei bisher noch nicht angesprochene Aspekte der Automatisierung erwähnt werden. Auf den ersten sei anhand eines Beispiels eingegangen. Mit der Automatisierung einher geht die weitere Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses. Wie das Beispiel der „Crowdworker“ zeigt, ist Flexibilität gefordert. Es handelt es sich dabei um zeitlich begrenzte Aufgaben, die von Unternehmen auf Internetplattformen angeboten werden. Die Plattform „Clickworker“ hat 700 000 Mitglieder, das heißt Menschen, die dort ihre Arbeit freiberuflich weltweit anbieten. Natürlich gibt es dort keinen Mindestlohn und keine Sozialversicherungsbeiträge. Nach einer Studie der Böckler-Stiftung ([67]) beträgt der Monatslohn der nebenberuflich tätigen Crowdworker 326 € im Monat, der der hauptberuflichen 1503 € im Monat.

Zum zweiten Aspekt: Die zunehmende Digitalisierung der Produktionsprozesse erfordert neue Kompetenzen und neue Berufsbilder. Dem muss eine sich ständig modernisierende Ausbildung Rechnung tragen und es ist angesichts des Tempos der technischen Entwicklung ein lebenslanges Lernen erforderlich. Die Notwendigkeit verstärkter Ausbildung wird zwar diskutiert, bei den Bildungsausgaben rangiert Deutschland aber unterhalb des Durchschnitts der OECD-Länder. Auch hinkt die Modernisierung von Ausbildungsgängen in der Regel dem technischen Fortschritt deutlich hinterher.

Abschließend noch eine Anmerkung: In diesem Jahr ist der 150. Jahrestag der Herausgabe des ersten Bands des Kapitals. Die hier vorgenommene Analyse der Revolutionen der Produktivkräfte zeigt meiner Meinung nach, dass die von Marx entwickelte Methodik nach wie vor ein geeignetes Rüstzeug zur Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus bietet.

Fortsetzung:

-> Betrachtungen zum Verhältnis zwischen der Revolution der Produktivkräfte und der politischen Revolution