Versuch, eine ferne Entwicklung zu verstehen (VSA, Hamburg 2017)
Erwin Maurer, im Juni 2017
In diesem Taschenbuch hat Theodor Bergmann mehrere von ihm bereits in anderen Büchern und Zeitschriften veröffentlichte Beiträge in zum Teil überarbeiteter und ergänzter Weise zusammengefasst.1
Er versucht, wie er im Vorwort schreibt: „die Entwicklungen in der Volksrepublik China für zweifelnde deutschsprachige Sozialisten und Kommunisten verständlich zu machen“, weil auch sie oft bezweifeln, „dass die VR China sich auf dem Weg zum Sozialismus nach vorne entwickelt“. (S. 9) Er wendet sich gegen die Kritiker (sowohl bürgerliche als auch marxistische), die wie er meint, auch aus unterschiedlichen Interessen, entweder das Scheitern des Aufbaus des Sozialismus in China wünschen oder aber als weitere Niederlage der kommunistischen Bewegung befürchten.
Er stellt im Vorwort klar, dass er „weder Historiker noch Sinologe, aber ein vorsichtig-kritischer Optimist (ist), der die Überwindung des Kapitalismus erhofft. Meine Hoffnung wird dadurch bestärkt, dass die chinesischen Kommunisten aus der Fehlentwicklung der UDSSR gelernt und die Irrtümer der Mao-Ära in öffentlicher Selbstkritik auf vorbildliche Weise aufgearbeitet haben.“ Weiter stellt er fest, dass er „in diesem Buch versuchen (will), die Probleme der Volksrepublik China zu erklären, ohne alle Lösungsvorschläge zu billigen. Und gewiss kann auch der Erfolg der chinesischen Entwicklung zum Sozialismus kein Modell für die Sozialisten der Industrieländer sein.“ (S. 9)
Er stellt fest, dass es in China „keinen paradiesischen Endzustand (gibt); vielmehr gibt es immer Widersprüche, Schichten-Interessen, neue Entwicklungen, neue Bedürfnisse, neue Aufgaben. Und diese Interessen suchen sich ihre Ausdrucksformen.“ (S. 10/11) Dieses Buch ist mehr eine Beschreibung der Entwicklung und der vorhandenen Probleme sowie Besonderheiten der VR China, weniger eine ausführliche Analyse derselben.
Das Buch unterteilt sich in 3 Teile :
Im Teil 1 stellt Bergmann der „Revolutionsperspektive von Marx“ die reale Geschichte gegenüber.
Er stellt fest, dass Marx und Engels, obwohl sie sich auch mit China und Indien beschäftigten, davon ausgingen, „die Revolution würde zuerst in einem hochindustriellen Land siegen können, mit einer demokratisch erfahrenen, gebildeten, klassenbewussten Arbeiterklasse.“ … „Entgegen den Vorstellungen der Klassiker siegte die erste proletarische Revolution in einem überwiegend agrarischen, >rückständigen< Land.“ (S. 13) Da die Revolutionen in den industriell fortgeschrittenen Industrieländern des Westens scheiterten, war die Sowjetunion nach dem Bürgerkrieg gezwungen einen eigenständigen Weg beim Aufbau des Sozialismus zu suchen. Mit der „Neuen ökonomischen Politik (NÖP)“ sollte die Industrialisierung des Landes vorangetrieben und die Rückständigkeit überwunden werden.
Im Weiteren werden die Krisen des „sozialistischen Lagers“ und der damit verbundenen Auseinandersetzungen zwischen „Stalinisten“ sowie „Maoisten“ einerseits und den von Bergmann so genannten „kommunistischen Reformern“ andererseits, in den verschiedenen Ländern, sowie die Konflikte zwischen den kommunistischen Parteien und der Arbeiterklasse innerhalb der sozialistischen Länder, als auch zwischen den verschiedenen sozialistischen Ländern beschrieben. Dabei wird vor allem „die durch die Dominanz der KPDSU – ein Geburtsfehler der Komintern – und deren Führung durch die Stalin-Equipe erzwungene >>Einheit<< der kommunistischen Welt mit einem >>Generalstab<< in Moskau“ kritisiert. (S. 19)
Ein wesentliches Merkmal für die Einstufung als sozialistischer Staat ist nach den Ausführungen Bergmanns der selbst erklärte Wille der jeweils regierenden kommunistischen Partei, am Aufbau des Sozialismus festzuhalten. Diese Einstufung wird nur durch die grundsätzliche Einschätzung Bergmanns, mit der er an die Geschichte der Kommunistischen Bewegung herangeht, zu verstehen. Danach hat die „Kommunistische Bewegung wichtige Beiträge zum internationalen Klassenkampf geleistet. Sie hat die ersten historischen Großversuche unternommen, ein neues Gesellschaftssystem zu schaffen. Mit dem ersten Versuch ist sie trotz unübersehbarer Leistungen nach 75 Jahren gescheitert. Der zweite Großversuch – mit einem Fünftel der Menschheit – geht weiter und ist gegenwärtig sehr erfolgreich, bietet ein Kontrastprogramm zur tiefen Weltkrise des Kapitalismus.“ 2
Im Teil 2 werden die „Entwicklungsprozesse und -probleme des kommunistischen China“ dargestellt.
Bergmann beschreibt die Entwicklung der Volksrepublik China anhand einer „riesigen“ Aufgabe: dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft bei gleichzeitiger Verdreifachung der Gesamtbevölkerung, „um die ganze Größe der Entwicklungsleistung vorstellbar zu machen“. (S. 24) Außer den verschiedenen Tabellen und statistischen Zahlen zur Entwicklung in der VR China zeigt er einen „Vergleich der Entwicklungsstrategien“ zwischen China und Indien während des gleichen Zeitraums. Wie schon in früheren Veröffentlichungen erwähnt, ist für ihn „die Entwicklungs-Aufgabe in China … nur zu vergleichen mit der in Indien“. (S. 27)
Für Bergmann „(ist) die Reform und Öffnung, die Deng Xiaoping mit seinen Helfern sofort nach seiner erneuten und nun endgültigen Rückkehr in die Führungsposition der KP Chinas im Jahr 1978 forderte und betrieb, offensichtlich eine Analogie zu Lenins NÖP.“ (S. 29/30) Er wehrt sich gegen die Behauptung (z.B. von Helmut Peters) „Sozialismus und Marktwirtschaft sind im Wesen unvereinbar“ (S.30), da es dafür bei den Klassikern keine Belege gäbe. Außerdem sei sie wirklichkeitsfremd. „Markt gab es unter Mao und gibt es vermutlich immer; ob dieser legal, grau oder schwarz ist, hängt von der Versorgungslage und der Härte der staatlichen Kontrolle ab. Wenn die Behauptungen von Peters stimmen würden, müsste man Deng Xiaoping, Raul Castro und allen anderen sozialistischen Reformern ihre Intention absprechen, als Sozialisten zu handeln und den Sozialismus aufzubauen und den Reformen selbst ihren sozialistischen Charakter. Davon kann aber nicht die Rede sein. Es ist nur so, dass diese komplizierte historische Aufgabe nicht mit Stalins Ungeduld (>>den Fünfjahresplan in vier Jahren erfüllen<<) und mit Maos >>großem Sprung nach vorn<< durchzuführen ist.“ (S. 30) Stattdessen bezieht er sich positiv auf den „marxistischen Ökonomen Klaus Steinitz“ der meint, „Markt und Plan gehören zusammen, ergänzen einander“ und der eine ähnliche Position wie Bucharin bezieht, „dass der Staat in einer sozialistischen Marktwirtschaft den Markt kontrolliert und nur >>die Kommandohöhen der Wirtschaft<< als Volkseigentum beherrscht“. (S.30)
In diesem längeren Zitat wird die Grundhaltung von Theodor Bergmann nochmals deutlich:
Er geht einerseits von einer sehr langfristigen Entwicklung aus, und unterstellt den Reformern grundsätzlich den ernsthaften Willen, zum Aufbau des Sozialismus in ihren Ländern beizutragen, trotz aller dabei auftretenden Widersprüchen und negativen gesellschaftlichen Phänomenen (wie die vorhandene Korruption oder die zunehmende soziale Spaltung etc.). Diese werden nicht verschwiegen, teilweise auch kritisiert, aber als erklärbare, zeitlich begrenzte aber notwendige Begleiterscheinung behandelt.
Andererseits macht er die Rückschläge beim Aufbau des Sozialismus in der Hauptsache weniger an den gesellschaftlichen Widersprüchen fest, sondern am jeweiligen „Personenkult“ oder aber am „Voluntarismus“ von Stalin und Mao Tse-tung, d.h. an der grundsätzlich falschen Politik bzw. deren subjektiven Verfehlungen. Vor allem kritisiert er dabei die, seiner Meinung nach, falsche Position (das von Stalin formulierte und von Mao Tsetung übernommene >>Gesetz<<), dass der Klassenkampf sich nach der erfolgreichen Revolution verschärft. „Dieses angebliche Gesetz diente als Vorwand sowohl für die Moskauer Schauprozesse und auch für die >>große proletarische Kulturrevolution<<“. (S.64) Stattdessen befürwortet Bergmann die Position des Reformers „Liu Shaoqi, der Klassiker des chinesischen Marxismus“. Dieser „erklärte dagegen ausdrücklich, dass nach dem Sieg der Revolution die bisher herrschende Klasse zerschlagen ist. Die wichtigste neue Aufgabe der Partei sei nun nicht weiterer Klassenkampf, sondern die Entwicklung der Produktivkräfte und die Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung. Da man dafür neue Wege suchen muss, gibt es >>den Kampf zweier Linien<<, die Debatte über Alternativen.“ (S. 65)
Bergmann fordert neue Begriffsbestimmungen, um die Probleme im Sozialismus besser zu verstehen. „In diesem langwierigen Prozess des sozialistischen Aufbaus bedienen wir uns der Begriffe eines anderen Systems und einer anderen Geschichtsetappe, ohne zu fragen, ob diese alten Begriffe unter neuen sozialen Verhältnissen noch adäquat sind.“ (S. 31) Er selbst aber wendet diese alten Begriffe in unterschiedlichen Zusammenhängen an, ohne die unterschiedliche Bedeutung dieser Begriffe klar zu machen.
Um ein Beispiel zu nennen: Er greift Lenins Frage auf, „ob man nach den siegreichen sozialistischen Revolutionen noch von Klassenverhältnissen sprechen kann, ob dieser Begriff der Klasse noch auf die unterschiedlichen Interessengruppen anwendbar ist“. (S. 31) Nach einem längeren Leninzitat, in dem dieser den Begriff der Klasse definiert, stellt Bergmann, mit Bezug und Abgrenzung zu H. Peters fest, dass man es durchaus „als marxistisch akzeptieren kann“, wenn „Xi Jinping (seit 2012 Generalsekretär der KP CH) nicht mehr von Klassen (sondern von Schichten) spricht“. „Widersprüche werden auch im Sozialismus in Form von Streiks ausgetragen.“ „Diese Widersprüche sind nicht antagonistisch“, da „der von einer kommunistischen Partei geführte Staat unterstützt heute im Allgemeinen die Arbeitenden bei betrieblichen Auseinandersetzungen.“ (ebda).
Dies steht allerdings im Widerspruch zu seiner Feststellung, die er bei der Beschreibung der größten Massenorganisationen der KP Chinas, dem allchinesischen Gewerkschaftsverbund, macht. Nachdem er feststellt, dass die spontanen Streiks der Wanderarbeiter im Jahr 2010 durch diesen nicht unterstützt wurden, weil sie in den Privatunternehmen, in denen oft frühkapitalistische Verhältnisse herrschen, kaum vertreten sind, macht er die folgende Aussage: „Die Mobilität, die erhöhte berufliche Qualifikation und das wachsende Klassenbewusstsein der Arbeitenden, die Abnahme ihrer Zahl und das steigende Lohnniveau erleichtern die Interessenvertretung der Beschäftigten – aus der Klasse an sich wird die Klasse für sich“. (S.67) Gegen oder in Abgrenzung zu welcher anderen Klasse sich diese neue arbeitende Klasse herausbildet, bleibt bei ihm allerdings unbeantwortet.
Was Bergmann hierbei allerdings selbst auch nicht leistet, ist eine konkrete Untersuchung der Klassen in China, sowohl bei der Gründung der VR China, als auch in der heutigen Zeit. Er geht davon aus, dass die ehemals herrschenden Klassen in China (Großgrundbesitzer und Komprador-Bourgeoisie) im Bürgerkrieg geschlagen wurden und die nationale Bourgeoisie mit den Kommunisten nach ihrem Sieg kooperierte. Die Frage nach der möglichen Rückeroberung der Macht stellt er nicht, gerade weil die Kommunistische Partei anfangs in den Städten und in der Arbeiterklasse wenig Einfluss hatte.
Die Frage nach dem Charakter der Revolution wird von ihm nicht direkt gestellt. Nach der Beschreibung des Sieges im Bürgerkriegs stellt er allerdings fest: „Soziale Revolution und nationale Befreiung waren in China also eng mit einander verbunden. Ohne die Masse der Kleinbauern hätten den Roten Armeen die Kämpfer gefehlt, und ohne die gemeinsam erkämpfte ökonomische und politische Souveränität hätte es keine Bauernbefreiung vom Feudalismus gegeben. Die nationale Befreiung konnte nur von der KP Chinas durchgesetzt werden. Die Wiederherstellung der vollen nationalen Souveränität war immer auch ein historisch berechtigtes und notwendiges Anliegen der Arbeiterklasse; die Großbourgeoisie dagegen konnte für diese Anliegen nicht kämpfen – aus Furcht vor einer sozialen Revolution. Das berechtigte nationale Anliegen der Kommunisten war – wie erwähnt – kein aggressiver Nationalismus, anderseits war ohne Souveränität, ohne die Befreiung von den imperialistischen Mächten, eine soziale Revolution nicht durchzusetzen.“ (S.73) In der Vergleichstabelle der Entwicklungsstrategien der VR China mit der Indischen Union benennt er als Merkmal der Führung die „Kommunistische Partei der Bauern und Arbeiter“. (S.28)
Für Bergmann ist „die Entwicklung von der Agrar- zur Industriegesellschaft, die sich gegenwärtig in den Entwicklungs- und Schwellenländern vollzieht“ entscheidend. (S. 23) Er unterscheidet zwischen dem Agrarsektor, dem Industriesektor und dem sich neu entwickelnden Dienstleistungssektor. Auch werden die sich wandelnden Eigentumsverhältnisse beschrieben, ohne aber zu untersuchen, ob sich hieraus auch neue Klassenverhältnisse entwickeln.
Darüber hinaus gibt Bergmann eine konzentrierte, aber umfassende Beschreibung der Entwicklung und dem erreichten Stand in der VR China mit vielen Daten, soweit dies auf ca. 90 Seiten möglich ist: Die Erfolge im Bildungswesen, seit Einführung der Schulpflicht 1949, werden benannt und anhand der heutigen Bildungsinfrastruktur dargestellt. Ausführlich wird die widersprüchliche Entwicklung des Agrarsektors, incl. der Schwierigkeiten und der politischen Konflikte beschrieben. Dabei wird vermerkt: „Die große Transformation vom Agrar- zum Industriestaat führt zu einer Umkehr der Rolle des Agrarsektors. Hatte dieser anfangs einen hohen Faktorbeitrag zum Entwicklungsstart leisten müssen, kann der Staat jetzt den Agrarsektor durch moderne Produktionsmittel (Landmaschinen, Pflanzenschutzmittel, Handelsdünger, Hochleistungssaatgut) und durch verschiedene Transferleistungen (Subventionen, Sozialversicherung) fördern.“ (S.37) Am Ende wird nochmals als Ergebnis der widersprüchlichen Entwicklung festgehalten:„Der Staat ist heute in der Lage, Landwirtschaft und Dorfbevölkerung planmäßig und gezielt zu fördern – und die Vorleistungen des Agrarsektors zurückzugeben. Man sucht vorsichtig nach neuen Formen der Kooperation. Ferner werden neue Formen der Zusammenarbeit geschaffen. … Die Nöte und Wünsche der Bauern werden öffentlich erörtert und in den Fünfjahresplänen behandelt. Es fehlt jedoch eine autonome organisierte Interessenvertretung der Bauern.“ (S.41) Es werden aber auch die „Hauptprobleme auf dem Land heute“ (Wanderarbeiter, Einkommensunterschiede, Soziale Sicherung, Urbanisierung, Familienplanung); ihre Entwicklung sowie die angedachten Lösungen, ausführlich behandelt.
Die Reform des Industriesektors, die Mitte der 1980er Jahre begonnen hat und die verschiedenen Unternehmenstypen, sowie die verschiedenen Methoden, mit denen der Staat die Kontrolle über die wichtigsten Branchen und Unternehmen ausübt, werden beschrieben. Die Struktur der „Industriebetriebe nach Unternehmenstyp 2014“ und die Verteilung der Beschäftigten „nach Ort und Unternehmenstyp“ werden in zwei Tabellen dargestellt.
Wie schon erwähnt, zitiert Bergmann ausführlich Klaus Steinitz, der u.a. feststellt: „Es geht nicht primär um den Gesamtumfang dieses öffentlichen Eigentums, sondern vor allem um die Rolle, die dieses Eigentum aufgrund seiner Qualität und seiner Dominanz in Schlüsselbereichen der Wirtschaft und darunter besonders in der Finanzwirtschaft, in den sozialen Sicherungssystemen und in der Infrastruktur spielt.“ (S.31) Dies sieht Bergmann als gegeben. Für ihn ist die chinesische Volkswirtschaft immer noch in der ersten Phase der NÖP, in der durch die Reformpolitik die beschleunigte Modernisierung der Industrie durch Technologie-Transfer gefördert wird.
Er sieht aber die Möglichkeit, dass „die chinesische Volkswirtschaft allmählich die zweite Phase der NÖP (erreicht)“ (S.29), in der „ausländische Unternehmen das Land aus unterschiedlichen Gründen (wieder verlassen)“. „Vor allem wegen steigender Löhne… und sinken (der) Extraprofite“, weil „die chinesischen Unternehmen die neuen Technologien erlernt (haben) und konkurrenzfähig geworden (sind).“ (S. 29)
Die aktuelle Entwicklung beschreibt Bergmann wie folgt: „Die Industriestruktur wird modernisiert. Anfangs förderte der Staat dörfliche Fabriken, township and village enterprises (TVE), die mit lokalen Rohstoffen einfache Produkte herstellten. Diese waren und sind in der Rohstoffverwendung und in der Arbeit wenig effizient, oft auch umweltschädlich. In der nächsten Phase wurden bei niedrigen Löhnen einfachere Industrieprodukte in großen Mengen erzeugt und auf den Weltmarkt geworfen .
Die 110 staatseigenen Großunternehmen (unter zentraler Kontrolle der Behörde SASAC) und die viel zahlreicheren Unternehmen im Eigentum der Provinzen und Städte bleiben staatlich, sollen effizienter werden. Einen Teil ihres Kapitalbedarfs sollen sie sich an der Börse und bei den Banken beschaffen oder ihren Beschäftigten Aktien verkaufen. Der Staat bleibt Mehrheitsaktionär. Die Unternehmen werden neu klassifiziert in Produktionsbetriebe und solche für gesellschaftliche Dienstleistungen. Was die Betriebsorganisation betrifft, soll das Führungssystem gestrafft werden, zugleich werden weitere Wege der Beteiligung der Beschäftigten an Eigentum und Verwaltung gesucht. Die externe Kontrolle wird intensiviert, um den Verlust von Staatseigentum zu verhindern (siehe Zhou Xiaoyan 2015).
>>Ziel ist, die staatliche Kontrolle durch den Staatsanteil am Kapital zu erhalten, bei gleichzeitiger Verkleinerung des staatlichen Kapitalanteils. Die jetzt geplanten Reformen sollen gleiche Bedingungen für Staats-und Privatunternehmen schaffen, mit denen sie untereinander kooperieren oder konkurrieren<< sollen (siehe Market socialism 2015). Ähnlich forderte N. I. Bucharin Anfang der 1920er Jahre für die Sowjetunion, dass die Staatsunternehmen nach einer beschützten Phase die gleiche Effizienz wie die Privatbetriebe erreichen, also gleiche Leistungsfähigkeit beweisen sollten.
Im Gegensatz zu Maos Entwicklungspolitik haben die Reformer einen Technologietransfer (mit ausländischen Kapitalinvestitionen in verschiedenen Kooperationsformen) befördert. Große Gemeinschaftsunternehmen bleiben unter effektiver staatlicher Kontrolle. Die gegensätzlichen Interessen der Partner werden vertraglich fixiert; dennoch wird um die Fertigungstiefe, >>Indigenisierung<< (inländische Produktion aller Komponenten, auch der Präzisionsteile), Verwendung des Profits, Dividenden der ausländischen Aktionäre gerungen. Der Staatssektor (State owned enterprices, SOE) wird modernisiert und umstrukturiert. In vielen Branchen wird die billige Massenproduktion durch High-tech-Produktion ersetzt.
Fred Schmid (2015: 51) fasst die Ziele zusammen: China will zu einem neuen Wachstumsmodell übergehen >>durch Abbau der Überkapazitäten in energie- und rohstoffintensiven Bereichen, Stilllegung von Umweltdreckschleudern, Übergang zu Hochtechnologie und ressourcenschonender Produktion<<. Da die Löhne steigen, wandern bereits manche Unternehmen in asiatische Niedriglohnländer ab, die keine großen Investitionen getätigt hatten.
Auch in China haben wir es bei der >>zweiten Phase der NÖP<< mit den Problemen zu tun, die bereits Lenin und Deng Xiaoping voraussahen: Es gibt durchaus private Profiteure oder >>Nepleute<< und >>Moskitos<<. (S.49/50)
In diesem längeren Zitat wird die beschreibende Methode von Bergmann nochmals deutlich: Er führt verschiedene Aussagen und Fragestellungen aus unterschiedlichen Untersuchungen zur Entwicklung in der Volksrepublik China zusammen, um den seiner Meinung nach immer noch positiven Entwicklungsweg zu dokumentieren. Bestimmte Fragestellungen, wie zum Beispiel nach der Preisbestimmung auf den Märkten klammert er aus, obwohl er von der Existenz einer sozialistischen Marktwirtschaft ausgeht. Ebenso beschreibt er die Einflussnahme des Staates auf die Unternehmen, ohne die Frage aufzuwerfen, in welcher Funktion der Staat in China dies tut.3
Auch die „sozialistische Krisenstrategie“ in der Weltwirtschaftskrise 2007 und die „Chinesische(n) Auslandsinvestitionen“ (vor allem in Afrika) incl. des Projekts „Neue Seidenstraße“) werden ausführlich referiert und diskutiert. Die „Neue (zentrale) Planungsmethode“ (statt quantitativer Detailplanung, strategische Planung mit indirekten Methoden) wird anhand der Erstellung des 13. Fünfjahresplanes (2016 – 2020) erläutert und die Hauptziele des vom nationalen Volkskongress beschlossenen Planes sind aufgeführt (S.58ff).
Im Kapitel über die Rolle des Staatsapparates, der KP und der Massenorganisationen werden die Veränderungen in der Zusammensetzung der Mitgliedschaft der KP Chinas in den letzten Jahren beschrieben. Einerseits wird das gewaltige quantitative Wachstum der KP CH (88 Mio. in 2016) erwähnt (wobei auch viele ‚Karrieristen‘ den Weg in die Partei gefunden haben) , andererseits wird auf die Veränderung der Sozialstruktur hingewiesen (der Anteil mit höherer, akademischer Ausbildung wächst) und dass es seit einigen Jahren Bestrebungen gibt, höhere Anforderungen an die Beitrittskandidaten zu stellen, um die Qualität zu verbessern. Dabei geht es auch um die Trennung von Partei und Staatsapparat. Eine Forderung, die schon von Deng Xiaoping erhoben wurde. Die neuen Regeln zur Aufnahme neuer Mitglieder stehen für Bergmann in engem Zusammenhang mit der „Antikorruptionskampagne“. „Die Kommunistische Partei soll sich nur noch um überzeugte Kommunisten bemühen, die als politische Erzieher und Vorbilder wirken können.“ (S. 62/63)
Die Außenpolitik Chinas seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird referiert und festgestellt, dass „Soziale Revolution und nationale Befreiung in China eng miteinander verbunden (waren)“. (S. 73) Sie bedingten sich gegenseitig. Der Wandel in der Außenpolitik der VR China, sowohl gegenüber den führenden kapitalistischen, als auch gegenüber den sozialistischen Ländern, sowie die derzeitige Stellung in der Weltpolitik und der Weltwirtschaft wird sehr ausführlich beschrieben.
Dabei kommt Bergmann zu der Einschätzung, dass im Unterschied zu China, das „lange Objekt der Weltpolitik“ war, „die VR China heute zu einem wichtigen Subjekt der Weltpolitik geworden“ ist. Er schreibt: „Chinas gegenwärtige Außenpolitik ist …. im Ganzen defensiv, zurückhaltend und wirkt in gewissem Ausmaß stabilisierend“. (S. 77) Dies gilt für ihn auch ausdrücklich für die Politik des Ziels der „Verwirklichung des nationalen Traums“ von Xi Jinping. (S.88)
Er widerspricht auch W.F. Haug, dass die VR China sich „mit ihrem Schritt auf den Weltmarkt (und ihrem WTO-Beitritt in 2001) in den nach den Regeln der kapitalistischen Führungsmächte funktionierenden Weltmarkt >ein- und untergeordnet< (habe)“. (S. 89)
Auch wenn man nicht alle Bewertungen im Detail unterstützen kann, ist die Beschreibung eine knappe, gute, übersichtliche und lesenswerte Darstellung der Außenpolitik Chinas und ihrer derzeitigen Stellung in der Welt. Sie ist auch eine gute Grundlage für eine kritische Diskussion. Das Gleiche gilt für Bergmanns Beschreibung und Bewertung des Übergangs „Von der Mao – Ära zur Reformpolitik“. Hier benennt er insbesondere „den Kampf der zwei Linien“ und die Debatte über Alternativen, als den besonderen Unterschied der Geschichte der KP Chinas zur Geschichte der KPdSU. Diese Politik sei allerdings von Mao Tse-tung etwa ab 1956 abgebrochen worden und erst seit der öffentlichen Selbstkritik der Partei nach der „Kulturrevolution“ wieder umgesetzt worden, weil die KP CH über eine große Anzahl „erfahrener Kämpfer des langen Bürgerkrieges“ hatte, die in dieser Zeit „in ihrer großen Mehrheit zusammengehalten“ habe und „Ministerpräsident Zhou Enlai alles getan (hat), um die erfahrenen Funktionäre zu schützen.“ (S.102) Hier werden auch die strukturellen Veränderungen in der Führung von Staat und Partei, die nach der Kulturrevolution rasch eingeführt wurden, erwähnt.
Seit Beginn der Reformpolitik gibt es – nach Bergmann – einen neuen Arbeitsstil, der „auch deutlich in den fünf parteiöffentlichen Debatten“ (von der Debatte über die Fehler der KP in der Mao-Ära, über die Debatten zu Agrarpolitik, der Industriepolitik, der sozialistischen Demokratie bis zur Debatte über die Ursachen des Zusammenbruchs des Realsozialismus in der UDSSR und Osteuropa) wurde, die er skizziert. 2012 wurde eine neue Debatte in einer neu gegründeten Akademie für Marxismus angestoßen, in der es um die Weiterentwicklung des Marxismus geht.
Auch um „die Zukunft der sozialistischen Marktwirtschaft“ gibt es eine Debatte. Bergmann gibt hier die „sieben Strömungen sozialen Denkens und ihre Entwicklung im gegenwärtigen China“, die der marxistische Forscher Cheng Enfu im Jahr 2008 referierte, ausführlich wieder, weil er der Meinung ist, „dass hier über zentrale Probleme der Zukunft der sozialistischen Marktwirtschaft in China gesprochen wurde“. (S.105) Diese „sieben Strömungen“ reichen vom Neoliberalismus, dem Demokratischen Sozialismus, der Neuen Linken, dem Revialismus, dem Eklektischen Marxismus, dem Traditionellen Marxismus bis zum Innovativen Marxismus, dem sich auch Cheng Enfu zuordnet und „die konform ist mit dem ZK der KP China in ihrer grundlegenden Richtung und Theorie“. (S. 108)
Im Teil 3 wird „Ein Neuer Internationalismus – ohne Generalstab der Weltrevolution“ als Form der Zusammenarbeit in der sozialistischen Bewegung gefordert. Hier geht es Bergmann darum, „einige Grundzüge (der Zusammenarbeit) aus der geschichtlichen Erfahrung und dem aktuellen Stand des internationalen Klassenkampfs abzuleiten, da die Aufgaben in den verschiedenen Ländern unterschiedlich sind. Seine Vorstellungen über die weitere Entwicklung fasst er in 13 Thesen zusammen.
Abschließend werden „die sozialistischen Inseln und ihre Reformen“ kurz beschrieben. Dazu zählt er, außer der VR China, noch die Länder Vietnam, Kuba und mit Einschränkungen und Fragezeichen (auch aus Mangel an Informationen) Laos und Nordkorea.
Im Anhang sind „Kurzbiographien der wichtigsten Reformer in der VR China“ abgedruckt und „einige irrige Prognosen in der Süddeutschen Zeitung (SZ) und anderen Medien … über die Volksrepublik China … über Kuba … über Nordkorea“ zusammengestellt. Weiter sind zur Dokumentation einige Bilder der verschiedenen Reisen von Theodor Bergmann in der VR China und eine Karte der chinesischen Provinzen und ihre Bevölkerungsdichte angehängt.
Mein Fazit: Theodor Bergmann hat eine lesenswerte und umfassende Beschreibung des derzeitigen Entwicklungsstandes in der VR China geschrieben. Sein Blick auf die VR China wird bestimmt von einem Ansatz „kritischer Solidarität“ ohne die vorhandenen Probleme und Widersprüche zu umgehen. Auch wenn man nicht alle seine Bewertungen teilt, ist es eine gute Grundlage für weitere Diskussionen. Dazu können auch die 13 Thesen herangezogen werden. Für Bergmann geht es darum, dass die Aufgaben, die sich die sozialistische Bewegung gestellt hat, weiter akut bleiben: „Denn die Aufgabe, die sich die sozialistische Bewegung gestellt hat, muss im Interesse der Menschheit gelöst werden: eine Welt ohne Ausbeutung, Krieg, Faschismus, Armut, Unwissenheit, Unterdrückung. Es ist eine Welt zu schaffen, in der die volle Entwicklung jedes Einzelnen die Voraussetzung ist für die Entwicklung der Gesellschaft.“ (Strukturprobleme der Kommunistischen Bewegung, S. 204)
Erwin Maurer, im Juni 2017
1 Insbesondere ist hier zu erwähnen: Theodor Bergmann: Strukturprobleme der kommunistischen Bewegung, Irrwege – Kritik – Erneuerung; VSA–Verlag 2012
2 Siehe Strukturprobleme der kommunistischen Bewegung…, S.205)
3 Dass diese Fragestellungen und die Untersuchung der spezifischen Besonderheiten der ökonomischen Verhältnisse in der VR China zu sehr unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Antworten führen können, zeigen z.B. die Darstellungen von Stephan Krüger in „Wirtschaftspolitik und Sozialismus“ (VSA 2016) S. 346 ff und von Tobias ten Brink „Chinas Kapitalismus“ (Campus 2013). Während Krüger die „Vorbildfunktion“ der „sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung“ als „erfolgreiche systemische Transformation“ mit der Herausbildung wirklicher Marktverhältnisse einschließlich „wirklicher Kosten- bzw. Marktpreise“ auch für andere sozialistische Staaten ausdrücklich anerkennt, sieht ten Brink in der VR China seit ihrer Gründung nur „eine neuartige Variante der kapitalistischen Modernisierung“. (S. 314) Für ihn wird der Versuch scheitern. Der „Versuch einer sich kommunistisch nennenden Machtelite, den Staat gewissermaßen zu genau jenem Instrument zu machen, welches Friedrich Engels einmal kritisch als ‚ideellen Gesamtkapitalisten‘ bezeichnete, (wird) genau von jenen Wettbewerbsmechanismen konterkariert werden, die dieser in Gang setzte.“ (S.327)