WERT, GELD UND KREDIT IN HILFERDINGS „FINANZKAPITAL“

Franz Kaminski

 

Eine Untersuchung des Hilferdingschen Buches „Das Finanzkapital“ stößt auf gewisse Schwierigkeiten. Das vielgelesene Buch besticht durch einen schnellen Umgang mit marxistischer Begrifflichkeit. Bei näherer Sicht steht dabei aber neben Richtigem auch viel Falsches. Es soll hier versucht werden, den roten Faden in Hilferdings Auffassungen von Wert, Geld und Kredit aufzuzeigen und in einigen Konsequenzen klarzumachen. Dabei kann in einem kurzen Aufsatz nicht im Detail auf jede abweichende Äußerung eingegangen werden. Vielmehr wird versucht, die für den Fortgang der Hilferdingschen Anschauungen wirklich wichtigen Aspekte aufzugreifen.

 

1. Hilferdings „Finanzkapital“

„Der theoretische … Revisionismus ist abgetan, und wir Marxisten können unsere ganze Kraft und Zeit, soweit wir sie der Theorie zuzuwenden vermögen, wieder ganz der großen Aufgabe widmen, das Gebäude, das unsere Meister unvollendet hinterlassen, auszubauen und der Neuzeit anzupassen.“ So sah Karl Kautsky die Situation an der theoretischen Front der deutschen Sozialdemokratie im Jahre 1910 in seiner Rezension zu Hilferdings „Finanzkapital“[1]. Einen wichtigen Bei­trag zur Bewältigung dieser Aufgabe habe Hilferding mit seinem Buch „Das Finanzkapital“ geleistet.

Kautsky beschreibt die Lage in der deutschen Sozialdemokratie in bezug auf die Aneignung des „Kapitals“ in folgender Weise: Der erste Band des „Kapital“ sei viel populärer als die beiden folgenden Bände, nicht nur weil er als einziger voll­ständig ausgearbeitet sei, sondern auch „weil er die eigentliche Domäne des Klassenkampfes zwischen Kapital und Arbeit behandelte.“[2]

Die deutschen Arbeiter hätten sich den ersten Band des „Kapital“ angeeignet, weil es in diesem Buch um ihre eigentlichen Probleme gehe, während die Bände 2 und 3 eher die Gegensätze der Ausbeuter untereinander und damit die eigenen An­gelegenheiten der Bourgeoisie behandelten. Die Schätze aber, die im zweiten und dritten Band des „Kapitals“ lägen, habe Hilferding nun mit seinem Buch gehoben und für den Klassenkampf verwertet. Hilferding, so Kautsky, folge dabei aber Marx nicht sklavisch, sondern setze dessen unvollendet gebliebene Analyse fort, ergänze sie und passe sie der „gewaltigen ökonomischen Umwälzung“ seit Erscheinen des „Kapital“ an.

Das Urteil Kautskys ist eindeutig: Mit dem Hilferdingschen „Finanzkapital“ liege die notwendige Fortsetzung des „Kapital“ vor. Das „Finanzkapital“ war kaum erschienen, da hatte der große theoretische Führer der deutschen Sozialdemokratie über Hilferdings Buch bereits sein „Ja“ gesprochen. Es Muss wohl kaum erwähnt werden, dass damit eine wirkliche inhaltliche Diskussion des Werks alles andere als angeregt wurde.

Ganz ohne Kritik blieb Kautskys Rezension des „Finanzkapital“ jedoch nicht. Einen Punkt gab es, an dem Kautsky Hilferding nicht folgen konnte: „Es ist dies seine Auffassung, als lasse sich Geldware (Gold oder Silber) nicht bloß als Zirkulationsmittel, sondern auch als Wertmesser durch Papier ersetzen. Der wirkliche Wertmesser sei nicht das Metallgeld, sondern der Gesamtwert der zu zirkulierenden Waren (bei gleichbleibender Umlaufszeit), der von ihm sogenannte gesellschaftlich <notwendige Zirkulationswert>“[3]

Diese Kritik an der Hilferdingschen Geldtheorie wird von Kautsky aber nicht fortgeführt[4], da sich eine ausführlichere Auseinandersetzung schon deshalb erübrige, weil Hilferdings Geldtheorie „praktisch und theoretisch bei ihm ohne alle Wirkung“ bleibe und im weiteren Fortgang seines Buches „keine Rolle“ mehr spiele, überhaupt, so hatte Kautsky vorher festgestellt, werde der erste Band des Kapitals, in dem die Geldtheorie ihren Platz habe, in Hilferdings Buch kaum berührt.

Liest man die Rezension des Herausgebers der damals bedeutendsten theoretischen Zeitschrift des internationalen Sozialdemokratie, so wird klar, dass Hilferdings Buch von den meisten Sozialdemokraten ohne weiteres als bedeutende theoretische Schrift anerkannt wurde.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, wie Lenin die Hilferdingsche Schrift aufnimmt. In seinem Buch „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ findet Hilferdings Buch mehrfach lobende Erwähnung. Lenins Urteil zum „Finanzkapital“ ist bereits den ersten Seiten der Imperialismusschrift zu ent­nehmen: „Im Jahre 1910 erschien in Wien das Werk des österreichischen Marxisten Rudolf Hilferding <Das Finanzkapital> (russische Übersetzung Moskau 1912). Obwohl der Autor in der Geldtheorie irrt und eine gewisse Neigung zeigt, den Marxismus mit dem Opportunismus zu versöhnen, ist dieses Werk eine höchst wertvolle theoretische <Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus>, wie der Untertitel des Hilferdingschen Buches lautet.“[5] Lenin fasst hier seine Meinung zu der Schrift „Das Finanzkapital“ zusammen. Neben den Irrtümern in der Geldtheorie bescheinigt er Hilferding politische Fehler, schließt sich jedoch im Ganzen dem Urteil Kautskys an.

 

2. Hilferdings Vorgehen

Mit seiner Untersuchung „Das Finanzkapital“ stellt Hilferding den Anspruch, „die ökonomischen Erscheinungen der jüngsten kapitalistischen Entwicklung wissenschaftlich zu begreifen.“[6] Dabei will er „diese Erscheinungen in das theoretische System der klassischen Nationalökonomie einzureihen versuchen, die mit W. Petty beginnt und in Marx ihren höchsten Ausdruck findet.“ Erst dann will er das Charakteristische des modernen Kapitalismus untersuchen, worunter er jene Konzentrationsvorgänge versteht, „die einerseits in der <Aufhebung der freien Konkurrenz> durch die Bildung von Kartellen und Trusts, andererseits in einer immer innigeren Beziehung zwischen Bankkapital und industriellem Kapital erscheinen.“[7]

Hilferding beginnt seine Analyse im „Finanzkapital“ mit einem Abschnitt über Geld und Kredit. Erst nachdem er in einem zweiten Abschnitt dann noch „Die Mobilisierung des Kapitals. Das fiktive Kapital“ abgehandelt hat, kommt er im dritten Abschnitt zum Finanzkapital und zur Einschränkung der freien Konkur­renz. Dieses Vorgehen Hilferdings erscheint zunächst unlogisch und dem eigentlichen Gegenstand seiner Untersuchung unangemessen. Handelt er doch die Phänomene, die nach seinen eigenen Aussagen zumindest den faktenmäßigen, empirischen Ausgangspunkt seiner Analyse bilden, nämlich die Konzentrationstendenzen und die daraus folgenden Erscheinungen, erst zu Beginn der zweiten Hälfte seines Buches ab. Hätten nicht die neuen Erscheinungen des Kapitalismus, wie Hilferding sie in seinem Vorwort erwähnt, zuerst dargestellt und dann in Fortführung der Tradition der klassischen Nationalökonomie von Petty bis Marx wissenschaftlich erklärt werden müssen?

Das Vorgehen Hilferdings ist auch nicht verständlich aus der seinem Werk von Kautsky bescheinigten Doppelfunktion des Hebens der Schätze des dritten Bandes des „Kapitals“ einerseits und der Anwendung der Marxschen Theorie auf die Verhältnisse des modernen Kapitalismus andererseits. Hilferding handelt nämlich in den ersten Kapiteln seines Buches keineswegs nur ökonomische Beziehungen ab, wie sie Gegenstand des dritten Bandes des „Kapital“ sind. Vielmehr geht es ihm, wie Kautsky selbst bemerkt, um die Geldtheorie, d.h. um einen Gegenstand des ersten Bandes des „Kapital“.

Hilferding ist die Besonderheit seines Vorgehens sehr wohl bewusst. Er begründet sie damit, dass in den Beziehungen zwischen Bankkapital und Industriekapital sich nur die Beziehungen vollendeten, die bereits zwischen Geldkapital und produktivem Kapital beständen. Daher habe sich die Frage des Kredits und mit ihr die Frage des Geldes aufgeworfen. Wenn es noch einsichtig ist, dass zur Untersuchung neuer Beziehungen zwischen Bankkapital und industriellem Kapital auf die zwischen Geldkapital und produktivem Kapital und damit auf den Kredit zurückgegriffen werden Muss, so ist ein daraus folgendes Aufwerfen der Frage des Geldes keineswegs mehr zwangsläufig. Hilferding aber will in seinem Buch ausdrücklich die Frage des Geldes nicht nur im Anschluss an Marx rekapitulieren, sondern „klarlegen“.

Das von Hilferding gebrauchte Wort verweist schon darauf, dass er den Begriff des Geldes als keineswegs bereits durch Marx oder andere „klargelegt“ betrachtet. Er spricht von einigen Problemen, die sich seit der Formulierung der Marxschen Geldtheorie aufgetan hätten, wie zum Beispiel die Gestaltung des Geldwesens in Holland, Österreich und Indien, auf die die bisherige – d.h. auch die Marxsche – Geldtheorie keine Antwort zu finden vermocht habe, so dass eine erneute Behandlung des Problems angebracht erscheine. Die „richtige Analyse des Geldes“ Muss Hilferding zufolge demnach also noch erbracht werden.

Aber auch dies ist keine Begründung dafür, warum Hilferding Probleme der Marxschen Geldtheorie in seinem Buch über das Finanzkapital und nicht in einem Artikel in der „Neuen Zeit“ abhandelte, in der er seit Jahren schrieb. Der Grund für Hilferdings Vorgehen in seinem „Finanzkapital“ wird von ihm selber im Vorwort klar genannt. Auf der Grundlage einer von der Marxschen Geldtheorie abweichenden Analyse des Geldes soll eine Untersuchung des Kredits erfolgen und mit ihr der Stellung des Bankkapitals zum industriellen Kapital. Hilferding geht davon aus, dass „erst aus der richtigen Analyse des Geldes die Rolle des Kredits, damit aber die elementaren Formen der Beziehungen zwischen Bank- und Industriekapital erkannt werden konnten.“[8] Erst auf dieser Grundlage, die noch die Untersuchung der Effekten- und der Warenbörse einschließt, folgt bei Hilferding die Untersuchung der Konzentrationsprozesse. Dies ist das von ihm klar genannte Programm seiner Untersuchung des Finanzkapitals.

Verwunderlich ist angesichts dieses Programms nur, wie Kautsky Fehler Hilferdings in der Geldtheorie feststellen und gleichzeitig lange Zeit unwidersprochen behaupten konnte, diese Fehler seien ohne Wirkung für die weitere Analyse. Bevor wir aber zur Wirkung der fehlerhaften Grundlagen der Hilferdingschen Untersuchung kommen, müssen wir diese Grundlagen selbst betrachten.

 

3. Hilferdings falsche Werttheorie

Hilferding unternimmt es im „Finanzkapital“, den neuen Erscheinungen des Kapitalismus auf der Grundlage einer von Marx abweichenden Geldtheorie zu Leibe zu rücken. Dies wird im Vorwort halb versteckt und halb angedeutet. Bevor aber die Hilferdingsche Geldtheorie selbst betrachtet werden soll, Muss geklärt werden, auf welcher Basis Hilferding zu einer von Marx abweichenden Auffassung des Geldes gelangt.

In seinem Vorwort zur Neuauflage des „Finanzkapitals“ in der DDR hat Fred Oelßner, der im Grundsätzlichen die Auffassung Kautskys und Lenins teilt und die Schrift für „eine bedeutsame Weiterentwicklung der ökonomischen Theorie des Marxismus“[9] hält, auf „Ungenauigkeiten“ bei der Darstellung der Marxschen Werttheorie Im „Finanzkapital“ hingewiesen. Oelßner wirft Hilferding vor, er fasse den Wertbegriff in seiner Schrift nur quantitativ. Als Beispiel verweist Oelßner auf eine Fußnote, in der Hilferding schreibt: „Diese Dinge (gemeint sind zwei Dinge, die sich Im Austausch aufeinander beziehen, F.K.) müssen in einer warenproduzierenden Gesellschaft miteinander überhaupt in ein Verhältnis treten und dies können sie als Ausdruck gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit.“[10]

Oelßner bemerkt dazu zu Recht: „Das stimmt nicht, sondern sie beziehen sich als Ausdruck abstrakter Arbeit aufeinander.“[11] Weiterhin belegt er, dass Hilferding in seinem „Finanzkapital“ von der abstrakten Arbeit keinen Begriff hat, sie allenfalls in falscher Weise als abstrakte Arbeitszeit erwähnt.[12] Welche Bedeutung hat es, wenn Hilferding die abstrakte Arbeit nicht erwähnt bzw. sie in völlig falscher Weise nennt? Ist dies nur eine Ungenauigkeit, wie Oelßner sagt, oder deutet dies auf grundlegende Fehler Hilferdings nicht nur in der Geld-, sondern auch in der Werttheorie hin? Betrachten wir einmal genauer, welche Rolle die abstrakte Arbeit in der Marxschen Werttheorie einnimmt.

„Die Waren“, so Hilferding, „sind Verkörperungen gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit. Aber diese Arbeitszeit wird als solche nicht direkt ausgedrückt wie etwa in der Gesellschaft des Rodbertus, wo die Zentralbehörde für jedes Produkt die gesellschaftlich gültige Arbeitszeit direkt festsetzt. Sie erscheint nur in der Gleichsetzung einer Sache mit einer anderen im Austausch. In diesem wird also der Wert einer Sache, ihre gesellschaftliche Produktionszeit, ausgedrückt nicht als solche, als Acht- oder Zehn- oder Zwölfstundenarbeit, sondern als bestimmtes Quantum einer anderen Sache. Diese, als Ding, wie es geht und steht, mit allen seinen Natureigenschaften, dient also als Ausdruck des Werts eines anderen Dinges, als sein Äquivalent. Zum Beispiel in der Gleichung 1 Rock = 20 Meter Leinwand, sind diese 20 Meter Leinwand Äquivalent des Rockes. Sie sind ihm gleich, weil auch sie Verkörperung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit und als solche alle Waren einander gleich sind.[13]

So ist nach Hilferding der Austausch nur „ein quantitatives Verhältnis zwischen zwei Dingen.“[14] Marx aber hat gerade diese Auffassung abgelehnt: „Die ober­flächliche Auffassung dieser Tatsache, dass das Äquivalent in der Wertgleichung stets nur die Form eines einfachen Quantums einer Sache, eines Gebrauchswertes, besitzt, hat Bailey, wie viele seiner Vorgänger und Nachfolger, verleitet, im Wertausdruck ein nur quantitatives Verhältnis zu sehn. Die Äquivalentform einer Ware enthält vielmehr keine quantitative Wertbestimmung.“[15]

Auf die interessanten Beziehungen, die Hilferding in dem obigen Zitat zu Rodbertus knüpft,[16] müssen wir in diesem Zusammenhang noch zurückkommen. Wir haben hier eine der wenigen Stellen im „Finanzkapital“ vorliegen, in denen Hilferding ausdrücklich auf den Wert eingeht.

Dass die Waren Ausdruck gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit sind, zeigt sich nach Hilferding darin, dass sie einander im Austausch gleichgesetzt sind. Er gebraucht einige Formulierungen aus der Marxschen Wertformanalyse -, um den wirklichen Kern der Sache zu umgehen. In dem Wertausdruck l Rock = 20 Meter Leinwand sind die 20 Meter Leinwand, wie Hilferding richtig bemerkt, Äquivalent des Rockes. Diese Feststellung jedoch ist in bezug auf die Werttheorie un­zureichend. So führt Marx aus: „Damit die Waren an dem in ihnen enthaltenen Quantum Arbeit gemessen werden – und das Maß für das Quantum ist die Zeit -, müssen die verschiedenartigsten in den Waren enthaltenen Arbeiten reduziert sein, Durchschnittsarbeit, gewöhnliche, unskilled labour. Erst dann kann das Quantum der in ihnen enthaltenen Arbeitszeit an der Zeit, einem gleichen Maß gemessen werden. Sie Muss qualitativ gleich sein, damit ihre- Unterschiede zu bloß quantitativen, bloßen Größenunterschieden werden.“[17]

Dies ist jedoch, wie Marx feststellt, nur die quantitative Seite der Sache: „Diese Reduktion auf einfache Durchschnittsarbeit ist jedoch nicht die einzige Bestimmt­heit der Qualität dieser Arbeit, worin als Einheit sich die Werte der Waren auflösen. Dass das Quantum der in ihnen enthaltnen Arbeit das zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendige Quantum ist – die Arbeitszeit also notwendige Arbeitszeit -, ist eine Bestimmung, die nur die Wertgröße betrifft. Aber die Arbeit, die die Einheit der Werte bildet, ist nicht nur gleiche, einfache Durch­schnittsarbeit. Die Arbeit ist Arbeit des Privatindividuums, dargestellt in einem bestimmten Produkt. Als Wert soll auch das Produkt Verkörperung der gesell­schaftlichen Arbeit sein und als solches unmittelbar verwandelbar aus einem Gebrauchswert in jeden anderen. (…) Die Privatarbeit soll sich also unmittelbar darstellen als ihr Gegenteil, gesellschaftliche Arbeit; diese verwandelte Arbeit ist als ihr unmittelbares Gegenteil abstrakt allgemeine Arbeit, die sich daher auch in einem allgemeinen Äquivalent darstelle. Nur durch ihre Veräußerung stellt sich die individuelle Arbeit wirklich als ihr Gegenteil dar. Aber die Ware Muss diesen allgemeinen Ausdruck besitzen, bevor sie veräußert ist.“[18]

Es wird deutlich, worin der Fehler Hilferdings besteht: Die Waren als Verkörperung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit sind nur die quantitative Seite, die im Austausch zur Erscheinung kommt. Wenn in der Äquivalentform der Gebrauchswert zur Erscheinungsform des Werts wird, so wird damit zugleich konkrete Arbeit zur Erscheinungsform ihres Gegenteils, abstrakt menschlicher Arbeit. Durch das Fehlen des Begriffs der abstrakten Arbeit benutzt Hilferding einen Wertbegriff, der nur quantitativ bestimmt, seines eigentlichen qualitativen Inhalts beraubt ist.

Nun könnte man der Meinung sein, der fehlende bzw. falsche Begriff der abstrakten Arbeit bei Hilferding sei mehr zufällig und stünde in keinem wichtigen Zusammenhang mit seinen sonstigen Auffassungen. Dem ist aber nicht so. Schon am Vorgehen in der Darstellung in den ersten Kapiteln des „Finanzkapital“ ist ersichtlich, dass bei Ihm Gesellschaft für den Austausch in gewisser Hinsicht bereits vorausgesetzt ist. Hilferding beginnt nämlich mit der Darstellung von zweierlei Arten, auf die die „menschliche Produktionsgemeinschaft“ konstituiert sein könne. In der warenproduzierenden Gesellschaft habe der Austausch die Funktion, „den gesellschaftlichen Lebensprozeß möglich zu machen“. In dem Vollzug aller in dieser Gesellschaft möglichen Tauschakte Muss sich das durchsetzen, was in einer kommunistischen, bewusst geregelten Gesellschaft mit Bewusstsein durch das gesellschaftliche Zentralorgan bestimmt wird: was und wieviel produziert wird, wo und von wem produziert wird. Kurz, der Austausch Muss den Warenproduzenten dasselbe mitteilen, was den Mitgliedern der sozialistischen Gesellschaft ihre Behörden, die mit Bewusstsein die Produktion regeln, die Arbeitsordnung bestimmen usw.“[19]

Der einzelne Warenproduzent ist bei Hilferding sehr direkt und unmittelbar auf die Gesellschaft bezogen: Ihm wird mitgeteilt, was, wieviel usw. er zu produzieren hat. Damit setzt aber Hilferding Gesellschaftlichkeit in einer falschen Weise vor aller Produktion voraus. Natürlich sind die Einzelarbeiten im Kapitalismus aufeinander bezogen und insofern gesellschaftlich. Marx hat aber gerade gezeigt, dass die individuelle Arbeit zunächst Privatarbeit ist, also nicht in ihrer gesellschaftlichen Form erscheint. Deshalb auch ist ja die individuelle Arbeitszeit nicht deckungsgleich mit der gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitszeit. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Wertform, und die Konkurrenz der Privatarbeiten stellt den Verkauf zum Wert her. Deshalb beziehen sich die Privatarbeiten aufeinander als abstrakte Arbeit, die Hilferding nicht verstanden hat.

Bei Hilferding aber ist dieser Prozess offensichtlich gar nicht notwendig, da Gesellschaftlichkeit von vornherein gegeben ist. Sie wird nicht erst durch die Beziehung der Warenproduzenten aufeinander im Austausch erzeugt. Schon vom Ansatz her stellt sich Hilferding das Problem nicht, dass die produzierten Dinge zunächst Produkte konkret-nützlicher Privatarbeit sind. Hilferding sieht nur die Tatsache, dass das Ding Arbeitsprodukt ist. Im Austausch werde diese „natürliche Eigenschaft“ „zugleich eine gesellschaftliche Tatsache“[20]. Dabei ist es nach Hilferding so, dass die Einzelarbeit durch das Aufdecken des Gesetzes der warenproduzierenden Gesellschaft als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit lediglich erscheint[21].

Damit aber ist ein qualitativer Unterschied zwischen der Einzelarbeit und der Gesamtarbeit nicht mehr auszumachen. Der Unterschied besteht nur noch in der Beziehung des Teils zum Ganzen. Durch seinen Ansatzpunkt in den unterschiedlichen Gesellschaftsformationen setzt Hilferding den gesellschaftlichen Charakter der Einzelarbeit zunächst voraus, um ihn später scheinbar zu erklären. Einzelarbeit ist für ihn dadurch nur Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, ihr gesellschaftlicher Charakter wird vorausgesetzt. Damit kann aber nur mehr tautologisch erklärt werden, was bewiesen werden sollte. Hilferding sieht nicht, dass der Charakter der Arbeit selbst ein doppelter wird. Der der inneren Widersprüchlichkeit der Ware zugrundeliegende Doppelcharakter der Arbeit bleibt unbeachtet.

Benjamin Franklin, der Marx zufolge das Grundgesetz der modernen politischen Ökonomie formulierte, führt aus: „Da der Handel überhaupt nichts ist als der Austausch einer Arbeit gegen andre Arbeit, wird der Wert aller Dinge am richtigsten geschätzt in Arbeit.“[22] Marx wirft Franklin vor, dass er mit dieser Aussage einseitig bleibe. Er kritisiert an diesen Zeilen – und auch Hilferding entgeht diesem Vorwurf nicht -, Franklin spreche von der Arbeit als wertbestimmend „ohne weitere Bezeichnung als Substanz des Werts aller Dinge“[23]. Abstrakt menschliche Arbeit zu sein ist der spezifische Charakter der Arbeit, die Wert bildet. Hilferding lässt den Springpunkt der Werttheorie außer Acht. Dies ist jedoch nicht alles: „Es genügt indes nicht, den spezifischen Charakter der Arbeit auszudrücken, woraus der Wert der Leinwand besteht. Menschliche Arbeitskraft im flüssigen Zustand oder menschliche Arbeit bildet Wert, aber ist nicht Wert. Sie wird Wert in geronnenem Zustand, in gegenständlicher Form. Um den Wert als Gallerte menschlicher Arbeit auszudrücken, Muss er als eine <Gegenständlichkeit> ausgedrückt werden, welche von der Leinwand selbst dinglich verschieden und ihr zugleich mit anderer Ware gemeinsam ist“[24]

Bei Hilferding sind die beiden Seiten im Wertausdruck 1 Rock = 20 Meter Lein­wand beliebig miteinander austauschbar. (Er vertauscht übrigens die Stellen gegenüber dem „Kapital“ – ein weiterer Beleg dafür, dass er nur die Gleichsetzung von Wertgrößen sieht, aber nicht die qualitative Verschiedenheit der beiden Seiten.) Die eine Seite (1 Rock, 20 Meter Leinwand) drückt nur aus, dass die andere Seite Verkörperung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit ist und legt das Quantum dieser Arbeitzeit fest. Vom Marxschen Standpunkt her zeigt diese beliebige Wechselseitigkeit nur die Einseitigkeit Hilferdings.

Es macht nach Marx vielmehr einen erheblichen Unterschied, an welcher Stelle eine Ware im Wertausdruck erscheint: in dem einen Fall befindet sich die Ware in relativer Wertform, im anderen in der entgegengesetzten Äquivalentform. Diese Unterscheidung ist alles andere als bloße Sophisterei; denn sie macht deutlich, dass keine der im Wertausdruck stehenden Waren ihren Wert an sich selbst messen kann. Sie ist für sich betrachtet nur ein konkret nützliches Ding, d.h. besitzt ihre Naturalform. Es ist nur die eine Ware, die ihren Wert ausdrückt, die andere dient als deren Wertausdruck. Ihren Wert kann die eine Ware nur ausdrücken in Beziehung auf die andere Ware, die ihr gegenüber die Äquivalentform vertritt. Anders gesagt: Der Wert der Ware kann sich nur zeigen in der Verdoppelung der Ware selbst in ihre Naturalform und ihre Wertform.

„Sie stellt sich dar als dies Doppelte, was sie ist, sobald ihr Wert eine eigene, von ihrer Naturalform verschiedene Erscheinungsform besitzt, die des Tauschwerts, und sie besitzt diese Form niemals isoliert betrachtet, sondern stets nur im Wert- oder Austauschverhältnis zu einer zweiten, verschiedenartigen Ware.“[25] Mit der beliebigen Austauschbarkeit der beiden Seiten im Wertausdruck kann Hilferding aber diese Notwendigkeit der Wertform nicht festhalten. Damit fehlt aber die Feststellung der Notwendigkeit der Wertgegenständlichkeit, wie sie Marx im „Kapital“ herausarbeitet.

Es handelt sich dabei nicht, wie dem Leser der Hilferdingschen Untersuchung zunächst erscheinen kann, um Ungenauigkeiten und Auslassungen in vernachlässigbaren Detailfragen. Hilferding will ja im ersten Teil seines Buches – daran Muss hier erinnert werden – die Notwendigkeit des Geldes herausarbeiten. Um dies zu tun, müsste er aber gerade die Notwendigkeit der Wertform darstellen, denn: „Der von den Waren losgelöste und selbst als eine Ware neben ihn tretende Tauschwert ist – Geld.“[26]

Hilferding geht von einer warenproduzierenden Gesellschaft aus, um die Notwendigkeit des Geldes zu entwickeln. Gerade die Wertform wäre das wichtige Verbindungsglied zwischen der Ware und dem Geld gewesen. Dies Verbindungsglied aber hätte Hilferding darstellen müssen, um die Notwendigkeit des Geldes materialistisch aus der inneren Widersprüchlichkeit der Ware zu entwickeln. Entgegen seinem Vorhaben, die Notwendigkeit des Geldes zu entwickeln, Muss Hilferding daher diese der Warenproduktion als letztlich äußerliche Regel aufdrücken. Die Notwendigkeit des Geldes hat danach mit der Warenproduktion nicht unmittelbar etwas zu tun, sondern ergibt sich aus der Anarchie der Produktion.

Hilferdings Fehler bei der Behandlung der abstrakten Arbeit und sein daraus resultierendes fehlendes Verständnis der Wertform zeigen, dass er bei seinem Versuch, die Erscheinungen des modernen Kapitalismus „in das theoretische System der klassischen Nationalökonomie einzureihen …, die mit W. Petty beginnt und in Marx ihren höchsten Ausdruck findet“[27], doch eher bei Petty stehengeblieben ist. Er teilt nämlich mit diesen Fehlern grundlegende Mängel der bürgerlichen Nationalökonomie: „Es ist einer der Grundmängel der klassischen politischen Ökonomie, dass es ihr nie gelang, aus der Analyse der Ware und spezieller des Tauschwerts die Form des Werts, die ihn eben zum Tauschwert macht, herauszufinden. Gerade in ihren besten Repräsentanten, wie A. Smith und Ricardo, behandelt sie die Wertform als etwas ganz gleichgültiges oder der Natur der Ware Äußerliches. Der Grund ist nicht allein, dass die Analyse der Wertgröße ihre Aufmerksamkeit ganz absorbiert. Er liegt tiefer. Die Wertform des Arbeitsprodukts ist die abstrakteste, aber auch die allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise, die hierdurch als eine besondere Art der gesellschaftlichen Produktion und damit zugleich historisch charakterisiert ist. Versieht man sie daher für die ewige Naturform gesellschaftlicher Produktion, so übersieht man notwendig auch das Spezifische der Wertform, also der Warenform, weiter ent­wickelt der Geldform, Kapitalform usw. Man findet daher bei Ökonomen, welche über das Maß der Wertgröße durch Arbeitszeit durchaus übereinstimmen, die kunterbuntesten und widersprechendsten Vorstellungen von Geld, d.h. der fertigen Gestalt des allgemeinen Äquivalents.“[28]

Die Tendenz einer Verewigung der kapitalistischen Produktionsweise kann man Hilferding für die Zeit der Niederschrift des „Finanzkapital“ zwar noch nicht unterstellen, ansonsten befindet er sich aber mit seinen Fehlern in der Werttheorie in klassischer Gesellschaft. Da ist es nicht verwunderlich, dass er den kunterbuntesten und widersprechendsten Vorstellungen vom Geld eine weitere hinzufügt.

 

4. Hilferdings falsche Geldtheorie

Da Hilferding die Notwendigkeit des Geldes nicht wie Marx aus den Widersprüchen in der Ware selbst herleitet, sondern sie in der Anarchie der Produktion bedingt sieht, kommt er zwangsläufig zu falschen Auffassungen über den Charakter des Geldes selbst. Das Geld wächst nach Hilferding „primär aus der Zirkulation“[29] hervor. „Es Ist also zunächst Zirkulationsmittel.“[30] Hier wird nicht nur eine Funktion dos Geldes in den Vordergrund gerückt, die diese Stellung nicht verdient, die Fehler in der Werttheorie finden vielmehr ihre Auswirkungen. Wegen der zugrundeliegenden Fehler kann Hilferding ohne weitere Umstände zu dem von Kautsky monierten „gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert“ gelangen.

Du Geld erscheint „primär“ als Zirkulationsmittel, das heißt als Vermittler im Prozess Ware-Geld-Ware: „Das Geld“, so Hilferding, „spielt in diesem Prozess nur die Roll« des Beweismittels, dass die individuellen Produktionsbedingungen der Ware den gesellschaftlichen Produktionsbedingungen entsprechen … Der Wert der Ware wird ersetzt durch den Wert der anderen Ware.“[31]

Ist die Notwendigkeit des Geldes primär die, Zirkulationsmittel zu sein, so ist das Dazwischentreten des Geldes im Warenaustausch nicht aus dem Prozess selbst heraus notwendig, kann also letztlich entfallen. Es kann letztlich dann entfallen, wenn das Geld Im Prozess W – G – W den Waren nur äußerlich ist, nur Zirkulationsmittel ist. Wenn also die Ware nicht selbst eine ihrer Seiten verselbständigt und zu Geld wird, sondern nur eines Beweismittels im Vergleich mit einer anderen Ware bedarf. Bei Hilferding entspringt die Notwendigkeit des Geldes nicht aus den inneren Notwendigkeiten der Ware, sondern steht ihr vielmehr als rein Vermittelndes gegenüber. Bei Hilferding ist das Geld nur Vermittler zwischen den Waren. Warum es den Prozess vermitteln kann, das kann Hilferding nicht erklären. Wenn das Geld aber nur den eigentlichen Prozess vermittelt und ein innerer Zusammenhang zwischen dem Geld und den Waren nicht angegeben werden kann, so ist das Geld im Grunde für den eigentlichen Prozess überflüssig, sein Dazwischentreten nur aus anderen Gründen erklärbar und kann mit dem Fortfall dieser anderen Gründe schließlich aus dem Prozess ausscheiden, der nunmehr in „reiner“ Form stattfinden kann.

Doch noch ist das Geld bei Hilferding nicht verschwunden, es ist zunächst notwendig als Vermittler im Tausch der Warenwerte. Die Menge der Zirkulationsmittel ist also bestimmt durch die Preissumme der zu zirkulierenden Waren und durch die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes. Das Geld ist deshalb notwendig, weil das gesellschaftliche Verhältnis unter den Bedingungen der Anarchie der Produktion einen sachlichen Ausdruck finden Muss. Wird aber die Anarchie der Produktion in irgend einer Weise beseitigt oder auch nur teilweise eingeschränkt, so entfällt die Notwendigkeit des Geldes ebenso ganz oder teilweise.

Die erste bewusste Organisation in der anarchischen warenproduzierenden Gesellschaft ist nach Hilferding der Staat. Dieser übt zwar nicht die bewusste gesellschaftliche Kontrolle der Produktion aus, jedoch findet „die warenproduzierende Gesellschaft ihre höchste bewusste Organisation im Staate“.[32] Dementsprechend entfällt teilweise die Notwendigkeit, dem gesellschaftlichen Verhältnis sachlichen Ausdruck im Sinne von hartem Gold zu verleihen, da die gesellschaftliche Beziehung nun „unmittelbar ausgedrückt werden“ kann „durch staatliche Regelung“.[33]

So ist nach Hilferding das Papiergeld mit staatlichem Zwangskurs der erste Schritt zum unmittelbaren Ausdruck des Warenwerts in der warenproduzierenden Gesellschaft. Das Goldgeld, Hilferding zufolge nur ein „technischer Behelf, dessen Anwendung Unkosten verursacht, die nach Möglichkeit zu vermeiden sind“[34], wird ersetzt durch einfache Zeichen, Papierzettel ohne Wert. Wie wenig Hilferding die Notwendigkeit der eigenen Wertgestalt fassen kann, zeigt sich an diesem bruchlosen Übergehen vom eigentlich überflüssigen und nur Kosten verursachenden Goldgeld zum Papiergeld.

Hilferding verwendet zur Beschreibung des Papiergelds dabei durchaus denselben Ausdruck wie Marx: Geldzeichen. Jedoch versteht Hilferding diesen Begriff anders als dieser. Bei Marx sind Papierzettel als Goldzeichen oder Geldzeichen Repräsentanten für wirklich zirkulierendes Gold oder Silber, sie vertreten also als Geldzeichen wirkliches Gold. Bei Hilferding hingegen ersetzen diese Zeichen wirkliches Gold und vereinfachen damit sogar den zugrundeliegenden Prozess des Austauschs der Warenwerte. Die Zettel werden zu Geldzeichen, bloße Symbole, ohne Bezug auf wirkliches Gold. Im Prozess W – G – W treten also bei Hilferding nicht nur Waren auf, die keinen Preis haben, sondern auch Geld, das keinen Wert besitzt. Eine Konstruktion, die mit Marx absolut nichts zu tun hat.

Der erste ordnende Eingriff in die ansonsten anarchisch strukturierte Gesellschaft durch den Staat hat also schon weitreichende Folgen. Wirklicher Goldwert kann ersetzt werden durch Zeichen. Wie allerdings die Existenz des Staats als bewusstes Organ der warenproduzierenden Gesellschaft noch nicht die sozialistische Gesell­schaft bedeutet, so ist der Geldwert auch damit nur teilweise durch bedrucktes Papier ersetzbar. Denn, so Hilferding, der anarchische Charakter der Produktion macht sich weiterhin geltend durch Preisschwankungen der Waren, die einerseits saisonal, andererseits konjunkturell bedingt sind.[35]

Um diese Schwankungen auszugleichen, Muss Geld auch in „anderen Geldfunktionen“ auftraten, die das einfache Geldzeichen, der Papierzettel, nicht erfüllen kann. Hilferding meint mit diesen „anderen Geldfunktionen“ offensichtlich die des Zahlungsmittels bzw. die des Wertaufbewahrungsmittels. Zur Ausübung dieser Funktionen bleibt Geld mit Wert weiterhin erforderlich. Das Minimum der zur Zirkulation erforderlichen Geldmenge aber ist durch Papierzeichen ersetzbar. „Bei reiner Papierwährung mit Zwangskurs ist bei gleichbleibender Umlaufszeit der Wert des Papiergeldes bestimmt durch die Summe der Warenpreise, die in der Zirkulation umgesetzt werden Muss. Das Papiergeld wird ganz unabhängig vom Werte des Goldes und reflektiert direkt den Wert der Waren nach dem Gesetz, dass seine ganze Menge gleichen Wert repräsentiert wie die Preissumme der Waren (durch die) Umlaufszahl gleichnamiger Geldstücke.“[36]

Beim Papiergeld mit staatlichem Zwangskurs wird nach Hilferding klar, dass das Geld den Austausch der Waren nur vermittelt und daher sein Wert vom Wert der Waren in direkter Weise bestimmt ist. Das Papiergeld hat an sich nur einen verschwindend geringen Wert, nämlich den des bedruckten Papiers. Das Geld zeigt sich für Hilferding hier in seiner wirklichen Form. Der wirkliche Wert des gesamten Papiergeldes, so Hilferding, ist bestimmt durch die von ihm zu zirkulierenden Warenwerte, unter Berücksichtigung der Umlaufszeiten. Der Wert des Geldes also, so zeigt nach Hilferding das Papiergeld mit staatlichem Zwangskurs, ist keineswegs gebunden an den Wert der besonderen „Geldware“, beispielsweise des Goldes, sondern einzig an die Funktion des Geldes, eine bestimmte Warenmasse zu zirkulieren: „Das Geld erscheint nach wie vor als Wertmesser. Aber die Größe des Wertes dieses <Wertmessers> ist nicht mehr bestimmt durch den Wert der Ware, die ihn bildet, den Wert des Goldes oder Silbers oder des Papiers. Vielmehr wird dieser <Wert> in Wirklichkeit bestimmt durch den Gesamtwert der zu zirkulierenden Waren (bei gleichbleibender Umlaufsgeschwindigkeit). Der wirkliche Wertmesser ist nicht das Geld, sondern der <Kurs> des Geldes wird bestimmt durch das, was ich den gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert nennen möchte, der gegeben ist, wenn wir auch die Zahlungsfunktion des Geldes berücksichtigen, was wir bisher der Vereinfachung wegen unterlassen haben und worauf wir später ausführlich zu sprechen kommen, durch die Formel Wertsumme der Waren (durch die) Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes plus der Summe der fälligen Zahlungen, minus endlich der Anzahl Umläufe, worin dasselbe Geldstück abwechselnd bald als Zirkulations-, bald als Zahlungsmittel funktioniert.“[37]

Die Funktion des Geldes als Wertmesser wird hier von Hilferding nur noch dem Wort nach gebraucht, jedoch ist sie jeden Inhalts beraubt. Hilferding hat das Geld den Waren gegenübergestellt. Als Wertmesser ist das Geld somit den Waren äußerlich, kann als „gesellschaftlich notwendiger Zirkulationswert“ von ihm sogar auf der Ebene des Werts verselbständigt werden. Das Geld kann aber in Wirklichkeit die Rolle des Wertmessers nur spielen, weil die Waren selbst als Werte vergegenständlichte Arbeit, abstrakte Arbeit, und daher kommensurabel sind.[38]

Das von Hilferding jetzt so genannte Maß der Werte hat mit der Marxschen Geldtheorie nur einige nomenklatorische Anklänge gemein. Das Geld ist getrennt vom Wert der Ware. Es kann also den Wert der Waren gar nicht mehr messen. Der von Hilferding so genannte „gesellschaftlich notwendige Zirkulationswert“ ist nichts als der ziemlich hilflose Versuch, die Funktion des Geldes als Maß der Werte verbal beizubehalten, obwohl der Inhalt schon lange verlorengegangen ist. Es soll damit der Schein einer „Weiterentwicklung“ des Marxismus aufrechterhalten werden, obwohl dessen Grundlagen in der Geldtheorie bereits lange verlassen wurden. Es führt deshalb auch nicht weit, den Begriff des „gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswerts“ selbst bei Hilferding zu kritisieren.

Es ist Hilferding durchaus bewusst, dass sich seine Geldtheorie mit der Annahme eines gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswerts von der Geldtheorie Marx‘ unterscheidet. Er verweist aber auf neue Verhältnisse beim Papiergeld und erklärt die fehlende Übereinstimmung zwischen seiner Geldtheorie und der Marxens durch einen unnötigen „Umweg“, den Marx eingeschlagen habe:

„Wenn Marx betont, dass nur so viel Papier in der Zirkulation sein kann, wie sie Gold erforderte, so ist es für das Verständnis der modernen Währungsprobleme wichtig, sich zu erinnern, dass diese Goldmenge selbst, da ihr Wert gegeben ist, jeweilig bestimmt ist durch den gesellschaftlichen Zirkulationswert; sinkt dieser, so fließt Gold aus der Zirkulation ab; umgekehrt, umgekehrt. (…)

Am richtigsten scheint mir Marx die Gesetze der Papier- oder gesperrten Währung zu formulieren, wenn er sagt; <Die wertlosen Marken sind Wertzeichen, nur soweit sie das Gold innerhalb des Zirkulationsprozesses vertreten, und sie vertreten es nur, soweit es selbst als Münze in den Zirkulationsprozess eingehen würde, eine Quantität, bestimmt durch seinen eigenen Wert, wenn die Tausch­werte der Waren und die Geschwindigkeit ihrer Metamorphosen gegeben sind.> (Zitat aus „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, MEW 13, S. 97). Nur erscheint der Umweg überflüssig, den Marx einschlägt, indem er zuerst den Wert der Münzmasse bestimmt und durch ihn erst den des Papiergeldes. Der rein gesellschaftliche Charakter dieser Bestimmung kommt viel deutlicher zum Ausdruck, wenn man den Wert des Papiergeldes direkt vom gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert ableitet. Dass historisch die Papierwährungen aus den Metallwährungen entstanden, ist kein Grund, sie auch theoretisch so zu betrachten.“[39]

Hilferding bezieht sich nur scheinbar auf Marx, indem er dessen Aussagen über das Papiergeld einseitig auslegt und den geldtheoretischen „Unterbau“ als un­nötigen Umweg weglässt. Hilferding erkennt zwar die Notwendigkeit des Metallgeldes an, aber nicht wegen der darin zum Ausdruck kommenden Notwendigkeit der Wertgestalt der vergegenständlichten Arbeit, sondern sozusagen nur für einen „Überbrückungszeitraum“, solange das Geld noch nicht „ohne Umweg“ direkt aus dem gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert abgeleitet werden kann. Für den entwickelten Kapitalismus, heißt das, ist die Notwendigkeit der Betrachtung der Metallgeldzirkulation hinfällig, ein unnötiger Umweg in der Theorie.

Kautskys Kritik an Hilferdings offensichtlich mit Marx nicht über einstimmenden Geldtheorie setzt am Begriff des Geldzeichens oder Goldzeichens an, mit dem Marx das Papiergeld beschreibt. Kautsky betont, dass der auf der Banknote aufge­druckte Betrag nicht, wie Hilferding nahelegt, beliebig ist, sondern tatsächlich abhängt von dar Menge Goldes, das dieser Zettel repräsentieren soll. Bei Hilferding aber sei das Papiergeld vom Wert des Goldes unabhängig. Kautsky hält ihm entgegen, nach der Marxsehen Lehre werde der Wert des Papiergeldes zwar ebenfalls durch die ihm gegenüberstehende Warenmasse bestimmt, jedoch vermittelt durch das Gold, das weiterhin als Wertmesser fungiere.[40]

Kautsky wirft Hilferding weiterhin vor, dass er zwischen Wert und Preis nicht unterscheide. Auch nach Marx bestimme die Preissumme der Waren den Wert des umlaufenden Papiergeldes, doch unter der Voraussetzung, dass der Wert des Goldes gleichbleibe. Das Messen der Warenwerte durch bestimmte Mengen möglicherweise nur vorgestellten Goldes ist also vorausgesetzt. Für Hilferding ist dies ein Umweg, da er zwischen Wert und Preis nicht unterscheidet.

Steht im „Finanzkapital“ bei Hilferding zunächst noch Richtiges und Falsches nebeneinander, so führt die Diskussion um seine Geldtheorie mit Kautsky, Varga, Bauer und anderen dazu, dass er die Konsequenzen seiner Geldtheorie klarer ausführt. In einem Artikel in der „Neuen Zeit“ über „Goldproduktion und Teuerung“ überträgt Hilferding seine zunächst nur für das Papiergeld getroffenen Aussagen konsequenterweise auch auf das Goldgeld. Die staatliche Geldpolitik, so argumentiert er, habe bereits dafür gesorgt, dass der Wert des Goldes unabhängig von seinen Produktionskosten festgesetzt werde. Durch die „unbeschränkte Nachfrage“ der Zentralbank nach Gold werden ein Monopol auf Gold hergestellt und somit ein Monopolpreis festgesetzt, was wiederum zur Entkopplung des Goldwertes von den Produktionskosten führe. Hilferding fasst zusammen: „Die staatliche Regelung des Geldwesens bedeutet also eine prinzipielle Änderung in dem Verhältnis von Geld und Ware. Das Austauschverhältnis von Goldmünze und Ware wird durch das staatliche Eingreifen fixiert; aber nicht willkürlich; der Staat übernimmt nur ein historisch-naturwüchsig übernommenes Austausch­verhältnis; er kann auch, solange der Mechanismus derselbe bleibt, daran nichts ändern. Änderungen in den Produktionskosten des Goldes wirken nicht auf das Austauschverhältnis der Goldmünze zu den Waren, sondern entscheiden nur über die Frage, welche Goldlager noch mit Aussicht auf Profit in Angriff genommen werden können.“[41]

 

5. Die falsche Geldtheorie – eine Folge der falschen Werttheorie

Ricardos mangelhaftige Analyse der wertbildenden Arbeit führt ihn zu seinem Unverständnis der Wertform und schließlich zum Unverständnis des Geldes. Marx zitiert ihn in einem Aphorismus: „Das Geld, in seinem vollkommenen Zustand, ist das Papiergeld.“[42] Bei dem Gelde, der besonderen Ware, die allen anderen Waren als Äquivalent dient, soll die reale Wertgestalt verloren sein, das ist der Sinn dessen, das Papiergeld zur eigentlich realen Form des Geldes zu erklären. Auch bei Hilferding ergibt sich dies als Folge der falschen Werttheorie: „In einem Briefe an Rudolf Meyer sagt Rodbertus: <Das Metallgeld ist nicht bloß Wertmesser und Liquidationsmittel – soweit entspricht es nur der Idee des Geldes, in der es nicht liegt, dass diese Quittung = Anweisung auf Warenwert ist -, sondern dient heute auch als Produktionsregulator, und diesen Dienst versieht es nur durch seine kostbare Stoffzugabe. Sie müssten auch jedem Unternehmer befehlen dürfen, wie viel er produzieren soll, wenn Sie die Warennote einführen wollen. Die Idee der Warennote beruht auf dem interessantesten Punkt der ganzen National­ökonomie, aber als ständiges Zirkulationsmittel (und nicht bloß vorübergehender Darlehenskassenschein) ist sie nur möglich, wenn der Wert der Waren nach Arbeit konstituiert ist und die Warennote auf Warenwert nach Arbeit bemessen lautet. Die Möglichkeit eines solchen Geldes bezweifle ich nicht, aber soll ein solches Geld das alleinige Zirkulationsmittel sein, so setzte das die Aufhebung des Grund- und Kapitaleigentums voraus.> <Briefe und Sozialpolitische Aufsätze von Dr. Rodbertus-Jagetzow. Herausgegeben von Dr. Rudolf Meyer. Berlin 1881. II. Band, S. 441> Diese wie andere Stellen beweisen übrigens, dass Engels Rodbertus Unrecht getan hat, wenn er ihn mit den kleinbürgerlichen Arbeitsgeld­utopisten, den Gray, Bray etc., die ein Arbeitsgeld ohne gesellschaftliche Kontrolle der Produktion für möglich hielten, in einen Topf warf.“[43]

Die Fußnote aus dem „Finanzkapital“ lohnt es wirklich, in voller Länge zur Kenntnis zu nehmen, obwohl Hilferding kaum etwas anderes tut, als Rodbertus wiederzugeben. Diesen nimmt er in Schutz vor dem Vorwurf Engels‘, ein kleinbürgerlicher Arbeitsgeldutopist zu sein. Das Zitat, mit dem er das Gegenteil zu beweisen sucht, wirft auch einiges Licht auf Hilferdings eigene Position.

Die Idee des Geldes entspricht Rodbertus zufolge nicht, dass das Geld ein an sich wertvoller Stoff ist. Hilferding kann dieser Meinung des Rodbertus ohne weiteres zustimmen, da auch er, wie wir gesehen haben, die Notwendigkeit einer eigenen Wertgestalt nicht erkennt. Dementsprechend Muss es für das Geld unwesentlich sein, dass der Warenwert „auf einem so teuren Stoff geschrieben stehe, wie Edelmetall ist“, Dem Metallgelde verbleibt die Rolle des Produktionsregulators. Das Papiergeld, das demgegenüber der Idee des Geldes entspricht, eröffnet ganz andere Perspektiven. Wenn die Papierzettel nicht den Wert des Goldes repräsentieren, dann drücken sie unmittelbar die notwendige Arbeitszeit aus, womit wir bei der Auffassung der Stundenzettler angelangt wären. Hilferding hat diesem Gedankengang nichts entgegenzusetzen. Auch für ihn ist das Papiergeld das „eigentliche“ Geld. Was hat es nun eigentlich mit den kleinbürgerlichen Arbeitsgeldutopisten Gray, Bray usw. nur »loh, mit denen Rodbertus angeblich nicht in einen Topf zu werfen ist?

Die Lehre von der Arbeitszeit als unmittelbarer Maßeinheit des Geldes wurde zuerst von John Gray systematisch entwickelt. Er ging davon aus, dass die Arbeits­zeit das innere Muss der Werte ist. „Warum schätzen alle Waren ihren Wert in einer ausschließlichen Ware, die so in das adäquate Dasein des Tauschwerts ver­wandelt wird, in Geld? Dies war das Problem, das Gray zu lösen hatte. Statt es zu lösen, bildet er sich ein, die Waren könnten sich unmittelbar aufeinander als Produkte der gesellschaftlichen Arbeit beziehen.“[44]

Die Frage, die sich, wie Marx ausführt, Gray stellte, kann auch Hilferding nicht lösen. Die Konsequenz Grays war der Vorschlag, eine Zentralbank solle den Produzenten Empfangsscheine für geleistete Arbeitszeit ausgeben, und diese Banknoten auf Arbeitszeit sollten zugleich als Äquivalent aller anderen Waren dienen. Dies ist das von Hilferding genannte Arbeitsgeld oder der Stundenzettel. Marx kritisiert Gray: „Sie (die Waren, F. K.) können sich aber nur aufeinander beziehen als das, was sie sind. Die Waren sind unmittelbar Produkte vereinzelter unabhängiger Privatarbeiten, die sich durch ihre Entäußerung im Prozess des Privataustausches als allgemeine gesellschaftliche Arbeit bestätigen müssen, oder die Arbeit auf Grundlage der Warenproduktion wird erst gesellschaftliche Arbeit durch die allseitige Entäußerung der individuellen Arbeiten.“[45]

Den Auffassungen des Stundenzettlers Gray liegt also derselbe Fehler zugrunde, den wir auch bei Hilferding gefunden haben. Er kritisiert auch an Rodbertus keineswegs dessen Annahme, es sei prinzipiell ein Geld denkbar, dessen Wert „nach Arbeit bemessen lautet“. Hilferdings Verteidigung des Rodbertus gegen Engels besteht nun darin, Rodbertus zu bescheinigen, er habe – anders als die Stundenzettler – ein Arbeitsgeld nur bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Kontrolle der Produktion für möglich gehalten.

Gerade das Beispiel des Stundenzettlers Gray aber zeigt, dass die Vertreter des Arbeitsgeldes mit Notwendigkeit zu einer gesellschaftlichen Kontrolle der Produktion gelangen müssen, um ihren Ansatz zu retten: Der grundlegende Fehler in der Arbeitsgeldtheorie liegt darin, dass die Produkte zwar als Waren produziert, aber nicht als Waren ausgetauscht werden sollen. Bei Gray macht die Gesellschaft in Form der Nationalbank die Individuen einerseits von den Bedingungen des Privataustausches unabhängig und lässt sie andererseits fortproduzieren – auf der Grundlage des Privataustauschs.

„Die innere Konsequenz indes treibt Gray, eine bürgerliche Produktionsbedingung nach der andern wegzuleugnen, obgleich er bloß das aus dem Warenaustausch hervorgehende Geld <reformieren> will. So verwandelt er Kapital in Nationalkapital, das Grundeigentum in Nationaleigentum, und wenn seiner Bank auf die Finger gesehen wird, findet sich, dass sie nicht bloß mit der einen Hand Waren empfängt und mit der andern Zertifikate gelieferter Arbeit ausgibt, sondern die Produktion selbst reguliert.“[46] Das Gegenteil von Hilferdings Behauptung trifft also zu: Die Stundenzettler sind sogar genötigt, die gesellschaftliche Kontrolle der Produktion zu postulieren, um ihre Utopie vom Arbeitsgeld aufrechtzuerhalten.

Hilferdings Seitenhieb auf Engels über Rodbertus macht so nur deutlich, wo seine eigenen Auffassungen einzuordnen sind. Er teilt mit den Arbeitsgeldutopisten deren grundlegenden ökonomischen Fehler, nicht zu sehen, dass sich die Privatarbeit in abstrakt allgemeine Arbeit verwandeln Muss und sich so im Prozess des Austauschs als gesellschaftliche Arbeit erst bestätigen Muss. Wie Hilferding die Grundillusion der Stundenzettler am Ausgangspunkt teilt, so teilt er auch – ohne natürlich ein Stundenzettler zu sein – ihre utopischen Illusionen für die Zukunft des Kapitalismus.

Die Illusion der Stundenzettler besteht darin, dass eine Nationalbank mit der Ausgabe von Arbeitsgeld den Kapitalismus als „rein bürgerliche Reform“[47] verändern könne, indem sie seine durch das Geld manifestierten Übel beseitige. „Die Utopisten“, so führt Marx aus, „die die Ware wollen, aber nicht das Geld, auf Privataustausch beruhende Produktion ohne die notwendigen Bedingungen dieser Produktion, sind daher konsequent, wenn sie das Geld nicht erst in seiner greif­baren Form, sondern schon in der gasartigen und hirngewebten Form als Maß der Werte <vernichten>. Im unsichtbaren Maß der Werte lauert das harte Geld.“[48] Wenn alle Waren, also auch die Arbeitskraft, zu ihrem Wert bezahlt würden, so die Überlegung der Utopisten, könne es nur allseitige Gerechtigkeit und keine Ausbeutung mehr geben.

 

6. Anarchie der Produktion und Staat

Hilferding sieht – wie schon erwähnt – die Notwendigkeit des Geldes in der Anarchie der Produktion begründet. Deshalb soll an dieser Stelle untersucht werden, wie er die Rolle die Anarchie der Produktion in der kapitalistischen Gesellschaft betrachtet.

„Das Finanzkapital“ beginnt mit einer Gegenüberstellung der beiden Möglichkeiten, wie „die menschliche Produktionsgemeinschaft“ konstituiert sein könne. Auf der einen Seite sei dies die bewusst geregelte Gesellschaft, auf der anderen Seite die anarchisch strukturierte Gesellschaft auf der Grundlage der Warenproduktion. Die Gegenüberstellung der beiden prinzipiellen Möglichkeiten ist nicht nur unhistorisch, sondern stellt auch die warenproduzierende Gesellschaft in ein besonderes Licht.[49]

Die Anarchie wird von Hilferding ausschließlich negativ definiert: „Anarchie – denn es ist kein Bewusstsein da, das von vornherein die Produktion seinem Zwecke gemäß gestaltet (…)“.[50] In der nicht-anarchischen Gesellschaft wird die Arbeitsordnung und die Verteilung der Produkte durch Organe als „Vertreter des gesellschaftlichen Bewusstseins“ zentral kontrolliert. In der anarchischen Gesellschaft wird der gesellschaftliche Zusammenhang erst durch den Austausch hergestellt: „Nur dort, wo der Austausch erst den gesellschaftlichen Zusammenhang herstellt, also in einer Gesellschaft, in der die Individuen durch das Privateigentum und die Arbeitsteilung einerseits getrennt, andererseits aufeinander angewiesen sind, erhält der Austausch gesellschaftliche Bestimmtheit, Muss er die Funktion erfüllen, den gesellschaftlichen Lebensprozeß möglich zu machen.“[51]

Hier macht sich das Herangehen Hilferdings von den prinzipiellen Möglichkeiten her bereits negativ bemerkbar: Der gesellschaftliche Lebensprozeß Muss möglich gemacht werden. Nicht eine bestimmte Art und Weise der Produktion bringt eine bestimmte Gesellschaftsstruktur hervor, sondern die Gesellschaft Muss erhalten werden, und da der Zusammenhang nicht bewusst geregelt ist, Muss der Austausch sozusagen einspringen. Diese schiefe Sichtweise der Anarchie der Produktion soll zur Ableitung der Notwendigkeit des Geldes führen.

Hilferding betrachtet die Anarchie nur negativ, als den Mangel von Organisation. Die Anarchie der Produktion aber ist bei Marx nicht Mangel an Organisation, sondern notwendig mit der kapitalistischen Produktionsweise verbunden. Die Tatsache, dass die Produktion in der Form der Privatarbeit unabhängiger Produzenten sich vollzieht, bringt notwendig mit sich, dass der einzelne Produzent bei der Produktion nicht wissen kann, ob es für sein Produkt einen Bedarf gibt. Die Anarchie der Produktion ist bei Marx notwendig mit der kapitalistischen Produktionsweise verbunden.

Bei Hilferding aber ist die Anarchie viel oberflächlicher angelegt. Sie bezieht sich bei ihm auf die Verteilung der Produkte und auf die Möglichkeit der Regulierung der Produktion. Der Gegensatz von anarchischer und bewusst geregelter Gesellschaft ist dementsprechend bei Hilferding von Anfang an kein absoluter. Es finden sich Übergänge, da es ja prinzipiell nur um den Ausgleich eines Mangels geht.

Dies zeigt sich bei der Entwicklung des Goldgeldes zur Münze. Das Goldgeld wird in bestimmte Goldquanta aufgeteilt. Der Staat übernimmt die Funktion des Organisators der Teilung in Goldquanta und macht dies durch den Prägestempel deutlich: Das Goldgeld ist Münze. Obwohl der Staat dabei zunächst nur den notwendigen Prozess nachvollzieht, bei der Münzprägung zunächst nur passiv die bereits naturwüchsig existierende Einteilung sanktioniert, macht er sich doch bereits als organisierendes Element in der Anarchie der warenproduzierenden Gesellschaft geltend. Der Staat nämlich vollzieht das Setzen eines auf bewusstem Übereinkommen beruhenden Maßstabs.[52] Der Staat ist so nach Hilferding die „höchste bewusste Organisation“ der warenproduzierenden Gesellschaft. Er ist der Ort der „Übereinkunft“, das „bewusste Organ der warenproduzierenden Gesellschaft“.[53]

Diese Vorstellungen Hilferdings eines sozusagen über der Gesellschaft stehenden und sie zumindest ansatzweise organisierenden Staates, wie sie uns hier in ihren Anfängen begegnen, bilden die Grundlage für seine späteren Vorstellungen vom organisierten Kapitalismus. Da Hilferding die Anarchie der Produktion als Mangel an Organisierung definiert, ist mit dem Staat ein Element innerhalb der anarchisch strukturierten Gesellschaft gegeben, das von sich aus dem anarchischen Charakter der Produktionsweise entgegenzuwirken in der Lage ist.

Mit dem Staat als „organisierendem Element“ in der anarchisch strukturierten Gesellschaft ist für Hilferding ein Mittel gegeben, um den Auswüchsen der Anarchie der Produktion schrittweise abzuhelfen. Offensichtlich ist es nun möglich, dass die Wirkung der anarchischen Produktion schrittweise ausgeschaltet werden kann. Der von Hilferding festgestellte Widerspruch im Kapitalismus wird damit tendenziell durch den Staat auf dem Boden desselben für überwindbar erklärt.

Hilferdings Kennzeichnung des Staates als organisierendes Element in der anarchischen Produktionsweise ist noch in anderer Richtung wichtig. Bewusste Regelung tritt nämlich in die anarchische warenproduzierende Gesellschaft durch Übereinkunft ihrer Mitglieder. Der erste Ort dieser Übereinkunft ist im „Finanzkapital“ der Staat. Diese Vorstellung, die nicht nur Hilferding eigen ist, wurde von Marx bereits kritisiert. Es sei an dieser Stelle nur seine lapidare Bemerkung aus den „Grundrissen“ vermerkt: „Das Geld entsteht nicht durch Konvention, sowenig wie der Staat.“[54]

Mit der Berufung auf die Übereinkunft wird zugleich vorbereitet, dass alle weiteren Elemente der Einigung zwischen den konkurrierenden Mitgliedern der anarchisch strukturierten Gesellschaft von Hilferding auch als Schritte zur „Ausschaltung der Wirkung der anarchischen Produktion“, und das heißt letzten Endes als Schritte hin zur organisierten Gesellschaft gesehen werden können.[55] Das zweite organisierende Element innerhalb der anarchisch strukturierten Gesellschaft aber ist für Hilferding der Kredit.

 

7. Der Kredit – Vorbote des Sozialismus

Bei der Beschreibung der Grundmängel der klassischen politischen Ökonomie im „Kapital“ bemerkt Marx, dass die mangelnde Analyse der Wertform diese dazu führt, das Spezifische der Warenform, der Geldform, der Kapitalform und schließlich des Bankwesens notwendig zu übersehen.[56] Hilferding hat auf dem Weg, den wir ihm gefolgt sind, bisher den Pfad der bürgerlichen Klassik nicht verlassen. Er wird es – so kann man vorwegnehmen – auch bis zum Ende nicht tun.

Nur kurz behandelt Hilferding das Kapital und geht dabei von einem sehr eigenartigen Kapitalbegriff aus: „Wert wird zu Kapital, indem es Mehrwert heckender Wert wird.“[57] Nicht Wert, sondern Geld wird nach Marx zu Kapital, da der Kreislauf G -W- -G nur dann über längere Zeit stattfindet, wenn das zweite G größer als das erste, also G‘ ist. G – W – G‘ aber wird von Marx als der Kapitalkreislauf definiert. Auch in dieser zunächst nur punktuell erscheinenden Verwirrung der Begriffe durch Hilferding kommt sein grundsätzlicher Fehler wieder zum Ausdruck: Die Tatsache, dass der Kapitalkreislauf Geld als wertvolle Substanz voraussetzt, wird von Ihm nicht beachtet.

Doch wenden wir uns nach diesem kurzen Ausflug nun dem Kredit zu. Der „dornige Weg“ dorthin wird dem Leser des „Finanzkapital“ vom Autor sehr schmackhaft gemacht. Hilferding sucht nämlich die Hoffnung zu wecken, „dass auf diesem Wege es möglich ist, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, wie aus den Zirkulationsvorgängen selbst jene Macht erwächst, die als kapitalistischer Kredit schließlich die Herrschaft über die gesellschaftlichen Vorgänge erhält …“[58] Das Geheimnis, wie aus den Zirkulationsvorgängen die Macht entsteht, die die Gesellschaft beherrscht, kann von jedem Marxisten allerdings mit Spannung erwartet werden.

Der Übergang vom Geld als Zirkulationsmittel zum Geld als Zahlungsmittel fällt Hilferding auf der Basis seiner Geldtheorie nicht schwer, setzt doch, wie er schreibt, die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel „die beiderseitige Übereinkunft von Käufer und Verkäufer voraus, die Zahlung aufzuschieben.“[59] Mit dieser Übereinkunft aber kommt für Hilferding ein weiteres organisierendes Element in die kapitalistische Gesellschaft. Tritt nämlich Geld in seiner Funktion als Zahlungsmittel auf, fallen also wie beim Wechselgeschäft Übergabe der Ware und Übergabe des Geldes zeitlich auseinander, so wird auf der Grundlage privater Übereinkunft Kredit gewährt. Mit der Wechselzirkulation entsteht nach Hilferding der private Kredit durch das Zirkulieren privater Schuldtitel. Während der Umlauf des Staatspapiergeldes mit Zwangskurs auf dem gesellschaftlichen Minimum der Warenproduktion beruhe, nehme nun die Wechselzirkulation den Raum über diesem Minimum ein.[60]

Zunächst ist der Kredit dabei nur Vermittler der Beziehungen zwischen zwei Personen, wobei die Übereinkunft, das „Vertrauen“, das zwischen beiden herrscht, relativ zufällig zustande kommt. Nimmt das Kreditwesen aber größeren Umfang an, tritt die Bank als Vermittlerin des Kredits auf den Plan und kommt es mit der Entwicklung des Bankwesens zu immer größerer Anhäufung von disponiblem Geldkapital bei einzelnen Banken, zwischen denen nach Hilferding so gut wie keine Konkurrenz stattfindet[61], so erlangt die beim Kredit zugrundeliegende Übereinkunft gesamtgesellschaftliche Dimensionen.

Im Kredit tritt nach Hilferding „neben die sachliche die persönliche Beziehung“[62]. Wie die Vergabe von Kredit auf Übereinkunft zwischen Personen beruht, so ist der Kredit „persönlich-gesellschaftliche Beziehung gegenüber den dinglich-gesellschaftlichen der übrigen ökonomischen Kategorien“[63]. Ist das Bankkapital stark konzentriert, so wird die Vermittlung von Geldkapital für die produktiven Kapitalisten zur Möglichkeit der Kontrolle über die gesellschaftliche Produktion. Das persönliche Element, das nach Hilferding mit dem Kredit in die Ökonomie gerät, wird dann zur Möglichkeit der privaten Verfügungsgewalt über die Produktion durch die Finanzkapitalisten.

Eine derartige Verfügungsgewalt über die Produktion in einer Hand aber widerspricht dem anarchischen Charakter der kapitalistischen Produktionsweise. Folgerichtig ist der Kredit nach Hilferding deshalb das Element der Organisation und Kontrolle gegenüber der Anarchie und gehört nicht dem Kapitalismus, sondern dem Sozialismus an: „Und ebenso ist er (der Kredit, F.K.) in seiner Vollendung dem Kapitalismus entgegengesetzt, ist er Organisation und Kontrolle gegenüber der Anarchie. Er entspringt daher aus dem Sozialismus, der der kapitalistischen Gesellschaft angepasst wird, er ist der schwindelhafte, kapitalistisch adaptierte Sozialismus. Er sozialisiert das Geld der anderen für den Gebrauch der wenigen. In seinem Beginn eröffnet er dem Kreditritter plötzlich die gewaltigsten Perspektiven: die Schranken der kapitalistischen Produktion – die Privatvermögen – erscheinen gefallen; die gesamte Produktivkraft der Gesellschaft scheint dem einzelnen zur Verfügung gestellt.“[64]

Das vorstehende Zitat steht am Ende der ersten Hälfte der Untersuchung des „Finanzkapital“. Bis hierhin hat Hilferding nur Geld, Kredit und das Bankwesen dargestellt. Hier bereits, und das heißt vor aller Untersuchung der Konzentration der Kapitale, geht Hilferding zumindest von der Möglichkeit der Beherrschung der Produktion, sowie der Entwicklung des Geldes als Zahlungsmittel zum Kredit. Beim Bankwesen und Kredit findet sich Hilferding konsequenterweise wieder auf der Seite der utopischen Sozialisten. Denn auch die Vorstellung, im Kredit komme unter kapitalistischen Verhältnissen ein persönliches Element in die sachliche Beziehung, ist keine originäre Erfindung Hilferdings:

„Im Kreditwesen, dessen vollständiger Ausdruck das Bankwesen ist, gewinnt es den Schein, als sei die Macht der fremden, materiellen Macht gebrochen, das Verhältnis der Selbstentfremdung aufgehoben und der Mensch wieder in menschlichen Beziehungen zum Menschen. Die St.-Simonisten, von diesem Schein getäuscht, betrachten die Entwicklung von Geld, Wechselbriefen, Papiergeld, papiernen Repräsentanten des Geldes, Kredit, Bankwesen als eine stufenweise Aufhebung der Trennung des Menschen von der Sache, des Kapitals von der Arbeit, des Privateigentums vom Gelde und des Geldes vom Menschen, der Trennung des Menschen vom Menschen. Das organisierte Bankwesen ist daher ihr Ideal. (…) Im Kredit ist statt des Metalls der Mensch selbst der Mittler des Tausches geworden, aber nicht als Mensch, sondern als das Dasein eines Kapitals und der Zinsen. (…) Der Kredit scheidet den Geldwert nicht mehr in Geld, sondern in menschliches Fleisch und in menschliches Herz. So sehr sind alle Fortschritte und Inkonsequenzen innerhalb eines falschen Systems der höchste Rückschritt und die höchste Konsequenz der Niedertracht.“[65]

Das Bankensystem, von Hilferding in der Anlage als Vorbote der im Sozialismus vollständig organisierten Gesellschaft gesehen, ist nach Marx das „künstlichste und ausgebildetste Produkt, wozu es die kapitalistische Produktionsweise überhaupt bringt“[66]. Gerade beim Kredit zeigt sich der Charakter des Geldes in besonderer, „ausgebildetster“ Weise. Die Grundlage in der Geldware, dem Golde, zeigt sich gerade in staatlichen Zwangsmaßnahmen zur Begrenzung des Zinsfußes, da der Abfluss des wirklichen Goldes zeigt, wie sehr das Papiergeld und der Kredit das Gold nicht ersetzen, sondern gerade von ihm abhängig sind. Schon zu Marx‘ Zeiten war das Inland nicht mehr auf Metallgeld angewiesen. Um so wichtiger aber wird es damit für die Nationalbanken, den Abfluss von Gold aus dem Lande zu regulieren, um die Konvertibilität des Kreditgelds zu sichern.[67]

„Es Muss aber nie vergessen werden, dass erstens Geld – in der Form der edlen Metalle – die Unterlage bleibt, wovon das Kreditwesen der Natur der Sache nach nie loskommen kann. Zweitens, dass das Kreditwesen das Monopol der gesellschaftlichen Produktionsmittel (in der Form von Kapital und Grundeigentum) in den Händen von Privaten zur Voraussetzung hat, dass es selbst einerseits eine immanente Form der kapitalistischen Produktion ist und andererseits eine treibende Kraft ihrer Entwicklung zu ihrer höchst- und letztmöglichen Form.“[68]

Im dritten Band des „Kapital“ weist Marx ausdrücklich darauf hin, dass das Kreditwesen eine immanente Form des Kapitalismus ist. Dies bedeutet nicht nur, dass es der kapitalistischen Produktion notwendig in ihrer entwickelten Form eigen ist, sondern wirft auch die Frage auf, wie denn dasselbe Kreditsystem zur Überwindung eben dieser kapitalistischen Produktion und zum Übergang zum Sozialismus beitragen soll. Hilferding sieht die Sache so, dass das Kreditsystem selbst die Übergangsstufe zum Sozialismus darstelle, je mehr es also ausgebaut werde, um so organisierter werde die Gesellschaft.

Auch nach Marx unterliegt es keinem Zweifel, „dass das Kreditsystem als ein mächtiger Hebel dienen wird während des Übergangs aus der kapitalistischen Produktionsweise in die Produktionsweise der assoziierten Arbeit“[69]. Marx ist jedoch weit davon entfernt, das Kreditwesen selbst als Übergangsform anzusehen. Vielmehr treibt es die Widersprüche des Kapitalismus auf die Spitze, indem es zeigt, „dass das Geld nichts andres ist als ein besondrer Ausdruck des gesellschaftlichen Charakters der Arbeit und ihrer Produkte, der aber im Gegensatz zu der Basis der Privatproduktion stets in letzter Instanz als ein Ding, als besondre Ware neben andren Waren sich darstellen Muss.“[70]

Im Sozialismus hat das Kreditsystem keinen Sinn. Das Kreditsystem wird deshalb von Marx als mächtiger Hebel zur Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise bezeichnet „nur als ein Element im Zusammenhang mit andren großen organischen Umwälzungen der Produktionsweise selbst“.[71] Im Kreditwesen ist auch nach Marx die Form einer allgemeinen Buchführung und Verteilung der Produktionsmittel auf gesellschaftlicher Stufenleiter gegeben, aber, wie er ausdrücklich betont, auch nur die Form. Dieser zwiespältige Charakter des Kredits hat vor Hilferding schon andere dazu geführt, Illusionen über die wundertätigen Wirkungen des Kreditsystems zu entwickeln. Hier trifft sich Hilferding nicht nur mit den Arbeitsgeldutopisten, sondern auch mit den utopischen Sozialisten der saint-simonistischen Schule.

 

8. Das Verschwinden des Geldes

Hilferdings fehlerhafte Geldtheorie bleibt, wie gesehen, nicht ohne Konsequenzen. Es reicht nicht aus, Hilferdings Geldtheorie für falsch zu erklären und seine sonstigen Ansichten und Begriffe kritiklos zu übernehmen.

Hilferding selbst stellt dies im Vorwort zu dem Buch „Das Finanzkapital“ dar: Seine von Marx abweichende Geldtheorie bildet die Grundlage seiner Untersuchung über die neuesten Erscheinungen des Kapitalismus. Von seinen Fehlern in der Werttheorie bis zu seinen Illusionen über das Generalkartell zieht sich ein roter Faden. Die Notwendigkeit des Geldes in der Anarchie der Produktion führt schließlich im Generalkartell zum Wegfall des Geldes. Die falsche Geldtheorie bricht sich so in der historischen Perspektive Bahn:

„Als Resultat des Prozesses ergäbe sich dann ein Generalkartell. Die ganze kapitalistische Produktion wird bewusst geregelt von einer Instanz, die das Ausmaß der Produktion in allen ihren Sphären bestimmt. (…) Das Geld spielt dann keine Rolle. Es kann völlig verschwinden, da es sich ja um Zuteilung von Sachen handelt und nicht um Zuteilung von Werten. Mit der Anarchie der Produktion schwindet der sachliche Schein, schwindet die Wertgegenständlichkeit der Ware. (…) Die Zirkulation des Geldes ist unnötig geworden, der rastlose Umlauf des Geldes hat sein Ziel erreicht, die geregelte Gesellschaft, und das Perpetuum mobile der Zirkulation findet seine Ruh‘.“[72] Von hier aus bis zu Hilferdings späteren Vorstellungen vom organisierten Kapitalismus ist es kein ökonomisch-theoretischer, sondern nur noch ein politischer Schritt.

Hilferding teilt mit den Stundenzettlern die utopische Illusion, auf der Grundlage der Warenproduktion könne die Zirkulation von Waren verschwinden. Er geht in seinem Buch über das Finanzkapital von der Warenproduktion aus, und auch das Generalkartell wird von ihm als Möglichkeit vorgestellt, ohne diese Grundlage zu verlassen. Die Zirkulation aber soll unter dem Generalkartell schließlich nur noch eine Frage der Zuteilung durch die Magnaten der Kartelle sein. Das Verschwinden des Geldes zeigt dabei nur an, dass die Produkte, die vom Generalkartell verteilt .werden, keine Waren mehr sind. So gelangt Hilferding zu einem Unding, das dem Grays in nichts nachsteht: einer Gesellschaft, in der die Produkte zwar als Waren produziert, aber nicht als Waren ausgetauscht werden. Die Absurdität dieser utopischen Illusion ist offensichtlich. Von den Waren ohne Preis und dem Geld ohne Wert gelangt Hilferding am Ende zu einem Kapital, das kein Kapital mehr ist: So erlischt im Finanzkapital der besondere Charakter des Kapitals. Das Kapital erscheint als „einheitliche Macht, die den Lebensprozeß der Gesellschaft souverän beherrscht (…)“[73]

An all diesen Stellen zeigt sich, dass Hilferding die Widersprüche des Kapita­lismus so anfasst, als seien sie auf der Basis dieser Produktionsweise beseitigbar. Die Organisation der Ökonomie wird vom Finanzkapital immer besser gelöst. Seine Grundlagen hat dieses Herangehen bei Hilferding in dem fehlenden Aufzeigen der Widersprüche des Geldes. So schnell hier die Widersprüche durch das Dazutreten des Staates usw. entschärft werden, so rasch gelingt es Hilferding am Ende die Anarchie der Produktion selbst theoretisch zu beseitigen. Es ist am Ende nicht mehr einzusehen, wodurch sich die Zustände unter dem Generalkartell in ökonomischer Hinsicht, von den Eigentumsverhältnissen abgesehen, vom Sozialismus unterscheiden. Die Widersprüche des Kapitalismus sind in ökonomischer Hinsicht bereits beseitigt. Es fehlt nur noch der politische Schritt der Machtübernahme des Proletariats.

 

[1] Karl Kautsky:  Finanzkapital und Krisen, in: Neue Zeit XXIX/1   (1910/11), S. 762f

[2] ebenda,  S. 763

[3] ebenda, S. 771

[4] In seiner Rezension zu Hilferdings „Finanzkapital“ kritisiert Kautsky nur den „einen Punkt“ des „gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswerts“. In Kautskys Artikel „Gold, Papier und Ware“ findet sich eine tiefere und gründlichere Kritik an Hilferding. Dieser Artikel Kautskys steht jedoch im Zusammenhang einer Diskussion zu dem im Titel des Artikels erwähnten Thema, an der sich außer Kautsky und Hilferding auch Otto Bauer und andere beteiligten. Kautsky nahm die dort formulierte Kritik nicht zum Anlass, seine grundsätzliche Wertung der Hilferdingschen Schrift zu revidieren. (vgl. Karl Kautsky: Gold, Papier und Ware, in: Neue Zeit XXX/1 (1911/12) )

[5] W.I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW 22, S. 199

[6] Rudolf Hilferding: Das Finanzkapital. Frankfurt/Main,  Köln  1968, S. 17

[7] ebenda

[8] ebenda S. 18

[9] Fred Oelßner: Vorwort zur Neuauflage, in: Hilferding: Das Finanzkapital, Berlin 1959, S. XXII

[10] Finanzkapital, a.a.O., S. 28

[11] Oelßner, a.a.O., S. XXIV

[12] Oelßner selbst schwankt zwischen dem Vorwurf an Hilferding, er habe eine falsche Geldtheorie, und der Wiederholung der Kautsky-/ Leninschen  Feststellung einer falschen Werttheorie.

[13] Finanzkapital, a.a.O., S. 30

[14] ebenda, S. 28

[15] MEW 23, S. 70

[16] Johann Karl Rodbertus-Jagetzow (1805-1875) war preußischer Großgrundbesitzer und Ökonom. Er war Theoretiker des preußischjunkerlichen Staatssozialismus.

[17] MEW 26/3, S. 132 f.

[18] ebenda, S. 133

[19] Finanzkapital, S. 25 f.

[20] ebenda

[21] ebenda, S. 28

[22] Benjamin Franklin, zit. nach MEW 23, S. 65

[23] MEW 23, S. 65

[24] ebenda, S. 65 f., Hervorhebung F.K.

[25] MEW 23, S. 75

[26] Grundrisse, S. 63

[27] Finanzkapital, S. 17

[28] MEW 23, S. 95, Fußnote

[29] Finanzkapital, S. 37, Fußnote

[30] ebenda

[31] ebenda, S. 38

[32] ebenda, S. 36

[33] ebenda, S. 40, Hervorhebung F.K.

[34] ebenda

[35] ebenda, S. 41

[36] ebenda

[37] ebenda, S. 52

[38] vgl. MEW 23, S. 109

[39] Finanzkapital, S. 67

[40] Kautsky: Gold, Papier und Ware, Die Neue Zeit XXX/1 (1911/12), S. 810 f.

[41] Hilferding: Geld und Ware, Die Neue Zeit XXX/1 (1911/12), S. 780

[42] Ricardo, zit. nach Grundrisse, S. 45

[43] Finanzkapital, S. 79 f.

[44] Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13, S. 67

[45] ebenda

[46] ebenda, S. 68

[47] MEW 13, S. 68

[48] MEW 13, S. 54

[49] Auf Hilferdings etwas eigenartige, aber sicher in der II. Internationale seiner Zeit durchaus verbreitete Vorstellungen einer bewusst geregelten sozialistischen/kommunistischen Gesellschaft kann hier nicht eingegangen werden.

[50] Finanzkapital, S. 35 f.

[51] ebenda, S. 25

[52] ebenda, S. 36, 37

[53] ebenda, S. 39

[54] Marx: Grundrisse, S. 83

[55] Wie schon erwähnt, ist dies eine Konsequenz, die im „Finanzkapital“ noch  nicht gezogen wird.

[56] MEW 23, S. 95

[57] Finanzkapital, S. 80, Hervorhebung F.K.

[58] Finanzkapital, S. 79

[59] ebenda, S. 71

[60] ebenda, S. 72

[61] ebenda, S. 242

[62] ebenda, S. 244

[63] ebenda

[64] ebenda

[65] MEW Erg. Bd. I, S. 448, 449

[66] MEW 25, S. 620

[67] vgl. ebenda, S. 532 f.

[68] ebenda, S. 620

[69] ebenda

[70] ebenda, S. 621

[71] ebenda

[72] Finanzkapital, S. 321 f.

[73] ebenda, S. 323