Nicht nur „Kohl muß weg“…

Bundestagswahlen und der übliche Opportunismus der Linken

Bei den in diesem Jahr anstehenden Bundestagswahlen steht für Linke und Kommunisten nichts zur Wahl. Der durch den politischen Kalender vorgegebene Inhalt der anstehenden Wahlentscheidung – die Stellung zur Einführung des Euro – wird von den Volksparteien als Wahlkampfthema gemieden, wie der Teufel in der christlichen Mythologie das Weihwasser meiden soll. Ob Kohl oder Lafontaine, ob Schäuble oder Schröder, sie alle stehen für die Einführung des Euro. Hier gibt es zwischen den führenden bürgerlichen Politikern fast nur Gemeinsamkeiten und kaum Differenzen. Gemeinsam wollen sie verhindern, daß die Bevölkerung ihre Stimme gegen das Euro-Projekt des großen Kapitals abgibt. Gemeinsam wollen sie das Euro-Thema aus den Wahlen heraushalten und gemeinsam wollen sie die Einführung des Euro gegen die eindeutigen Mehrheiten in der deutschen Bevölkerung durchsetzen.

Bei so viel Gemeinsamkeit will die Linke nicht abseits stehen. Auch sie hütet sich, den Kampf gegen die Einführung des Euro in das Zentrum ihrer politischen Agitation zur Bundestagswahl zu stellen. Und dies, obwohl der Euro das Instrument des großen Kapitals und seiner willfährigen politischen Handlanger in den Volksparteien werden soll, den Angriff auf das Lohnniveau und die sozialen Standards in der BRD in den kommenden Jahren zu organisieren.

All das, was die Volksparteien in den letzten Jahren nicht wagten, an Angriffen auf den Lebensstandard der Werktätigen umzusetzen (das Damoklesschwert der Wahlen und des anschließenden Machtverlustes fürchtend), dies alles soll künftig der Euro über die Sachzwänge des europäischen Marktes verwirklichen. In den engeren Kreisen von Politik und Wirtschaft wird dies auch offen formuliert: „Die europäische Einheitswährung wird (…) dazu führen, daß der Standortwettbewerb innerhalb von Europa in noch stärkerem Maße über die Faktorpreise – vor allem über die Löhne – ausgetragen wird.“ (FAZ vom 17.12.97 über die Ergebnisse der Tagung der European International Business Academy) Dies bedeutet wachsende Arbeitslosigkeit und sinkendes Lohnniveau, „portugiesische Löhne bei deutschen Preisen“, wie es in der Erklärung zur Herausgabe dieser Zeitung treffend formuliert wurde.

Die Linke führt seit Jahren einen Kampf zur „Verteidigung des Sozialstaates“, ohne zu begreifen, daß dieser „deutsche Sozialstaat“ als Instrument zur Klassenzusammenarbeit konzipiert wurde und auch zukünftig wenn irgend möglich in seinem Kern (als Instrument der Klassenzusammenarbeit) erhalten werden soll. Nicht dieser „Sozialstaat“ ist zu erhalten, sondern die sozialen Standards der Werktätigen sind zu verteidigen. Dazu gehören die Sozialkassen aus den Händen der Regierung in die Hände der Arbeiterklasse; dazu gehören ökonomische Interessenvertretungen der Werktätigen, die einen aktiven Lohnkampf führen und nicht sozialdemokratisch dominierte Gewerkschaften, die den Lohnverzicht „sozialverträglich“ organisieren.

Der Euro soll, bei Aufrechterhaltung des politischen Auftrags des „deutschen Sozialstaates“ – nämlich Organisierung der Klassenzusammenarbeit – die sozialökonomischen Attacken des Kapitals auf die Lebenslage der Werktätigen als Sachzwänge des europäischen Marktes verkleiden. Nicht die Klassenzusammenarbeit in der Form des „deutschen Sozialstaates“ will das große Kapital in der BRD aufgeben, sondern vermittels des Euro ein neues Instrument zur Senkung der sozialen Standards gewinnen. Der Euro und die Zwänge des europäischen Marktes, die wachsende Arbeitslosigkeit und die organisierte Zuwanderung von Billigarbeitern aus europäischen Niedriglohnländern, die zu erwartende Geldentwertung (siehe dazu ebenso FAZ vom 17.12.97) bei gleichzeitig stagnierenden Löhnen, das sind die Fakten, die es dem großen Kapital und seinen Vertretern in den Volksparteien erlauben sollen, die künftigen Verschlechterungen unseres Lebensniveaus “sozialverträglich” zu verkaufen.

… sondern der Euro muß weg!

Große Teile der Linken und der Kommunisten führen ihre Wahlagitation unter der griffigen Losung: Kohl muß weg! Die „Vorzüge“ dieser Losung sind unübersehbar. Nicht nur, daß ihre Popularität mit der wachsenden Unbeliebtheit dieser Regierung ansteigt, macht sie in linken Kreisen so beliebt. Sie hat für viele Linke auch den zweiten „Vorzug“, keinen Graben zu den sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften und zu der PDS aufzureißen. Unter dem Banner „Kohl muß weg“ kann sich alles sammeln, was mit der bisherigen Bonner Politik unzufrieden ist, ohne sich inhaltlich auf eine andere Politik festlegen zu müssen. Jedem steht es vermeintlich frei, seine eigenen Vorstellungen über eine andere Politik an diese gemeinsame Losung anzuhängen. Der an sich offenkundige Opportunismus der Losung „Kohl muß weg“, soll so verdeckt werden.

Die Abwahl Kohls nutzt keinem einzigen Werktätigen, solange der zentrale Punkt seines Programms, die Umsetzung des Euro, von allen anderen Kandidaten geteilt wird. Es reicht nicht Kohl abzuwählen, sondern die Verwirklichung seines Programms gilt es zu verhindern. Der tatsächliche politische Inhalt der anstehenden Bundestagswahlen muß auch zum Inhalt der linken Agitation werden: das auf dem Euro fußende Programm der „sozialverträglichen“ Senkung der Löhne und der sozialen Standards in der BRD. Daß dies letztendlich nicht über Wahlen allein zu verwirklichen ist, ist kein Grund, den tatsächlichen Inhalt der Wahlentscheidung Hand in Hand mit allen Volksparteien und natürlich der Gewerkschaftsführung zu verschleiern. Kohl steht ebenso wie Lafontaine, Schäuble und Schröder für das oben skizzierte Programm der „europäisch“ begründeten Senkung der sozialen Standards. Nicht gegen Kohl ist die Agitation zur Bundestagswahl zu führen, sondern gegen die von den Volksparteien und der Mehrzahl der Linken betriebene Verschleierung des eigentlichen Wahlthemas. So läßt sich bereits heute feststellen, daß die 1998 anstehenden Bundestagswahlen die Scheidelinie zwischen einer kleinbürgerlichen Linken und kommunistischer Politik deutlicher hervortreten lassen werden.

(In den folgenden Nummern der Zeitung werden wir die Politik der verschiedenen linken Organisationen zur Bundestagswahl im einzelnen vorstellen und kritisieren.)

Alfred Schröder