Heiner Karuscheit (H.K.): Der deutsche Rassenstaat [1] und das „Imperialismusproblem III“ [2] – ein paar Anmerkungen

Karl-Heinz Goll, Oktober 2025

 

Vorbemerkung

Zum vorliegenden Text habe ich zunächst bis zum Erscheinen der AZD 98 [2] abgewartet, weil für dieses Heft eine neuerliche „Kritik der Leninschen Imperialismustheorie“ angekündigt war. Der Zusammenhang zwischen dem Buch [1] und dieser Kritik musste aufgegriffen werden. Ansonsten sind nachfolgend etliche Eigenzitate z.T. ohne besondere Quellenangabe aus meinen früheren Beiträgen enthalten.

Vorab zum Buch [1]: Teilweise ist es lesenswert und „lehrreich“, wenn auch stark durchsetzt mit fragwürdigen Thesen und falschen Schlussfolgerungen.

„Positives“ und Kritik:

H.K. beginnt folgerichtig mit der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848/49: Sie „endete mit einer Niederlage, weil ein maßgeblicher Teil des Bürgertums, voran die emporstrebende industrielle Bourgeoisie, es angesichts der sozialen Forderungen der Massen vorzog, an die Seite Preußens zu treten um die Volksbewegung niederschlagen zu lassen ….“ – so H.K. Und weiter:
… der 1862 … ernannte Bismarck … setzte den preußischen Militärstaat an die Spitze der Nationalbewegung und ließ die junkerliche Armee in den Einigungskriegen von 1864 bis 1870 einen kleindeutschen Nationalstaat unter Ausschluss Österreichs erkämpfen.“

Diesen Staat charakterisierte Karl Marx 1875 folgendermaßen: „ … als nichts anderes als ein mit parlamentarischen Formen verbrämter, mit feudalem Beisatz vermischter und zugleich schon von der Bourgeoisie beeinflusster, bürokratisch gezimmerter, polizeilich gehüteter Militärdespotismus“.

 Wohlgemerkt: 1875

Wie es weiterging, habe ich in [3 – AZD 93] folgendermaßen angedeutet: „Heiner Karuscheit macht m.E. einen grundsätzlichen Fehler, wenn er die preußische Staats- und Gesellschaftsordnung um 1900 als ‚vorbürgerlich‘, ‚nicht von der Bourgeoisie beherrscht‘ definiert (u.a. AZD 88). Er macht keinen Unterschied zwischen Form und Inhalt, zwischen Staat und Gesellschaftsordnung, die er mit einem Bindestrich vermengt. Überspitzt könnte man so die heutige Staats- und Gesellschaftsordnung als vorbürgerliche Monarchie betrachten.“ Und:
„Etwas schräg bzw. submarin könnte man das Bürgertum des späten Kaiserreiches mit einem Einsiedlerkrebs vergleichen, der mangels (demokratischer) Kruste mit seinem weichen Hinterleib in einem (preußischen Militär- und Obrigkeits-) Schneckenpanzer steckt, ohne dass man ihn deswegen mit der Schnecke verwechseln sollte.“

Das deutsche Reich war bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Monarchie mit schwindenden halbfeudalen Relikten, aber zunehmend bestimmt von den ökonomischen Interessen der Bourgeoisie. Bismarck suchte durch Sozialreformen (Kranken- und Unfallversicherung, Renten- und Invalidenversicherung) sowie mit den Sozialistengesetzen zwischen 1878 bis 1890 „gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ den wachsenden Einfluss der sozialistischen Arbeiterbewegung zurückzudrängen. Trotz alledem erreichte die SPD später 1912 bei den Reichstagswahlen 35% der Stimmen.

Der Optimismus der SPD, den Staat friedlich-parlamentarisch übernehmen zu können, war so groß, dass selbst Friedrich Engels 1891 zu höchst fatalen Aussagen kam (MEW 22, S. 250 bis 251):
„Die sozialdemokratische Partei, die einen Bismarck gestürzt, die nach elfjährigem Kampf das Sozialistengesetz gebrochen, die Partei, die wie die ansteigende Flut alle Dämme überbraust, die sich über Stadt und Land ergießt, bis in die reaktionärsten Ackerbaudistrikte – diese Partei steht heute auf dem Punkt, wo sie mit fast mathematisch genauer Berechnung die Zeit bestimmen kann, in der sie zur Herrschaft kommt.“

Und Engels weiter: „Die Hauptstärke der deutschen Sozialdemokratie liegt aber keineswegs in der Zahl ihrer Wähler. Bei uns wird man Wähler erst mit 25 Jahren, aber schon mit 20 Soldat. Und gerade die junge Generation es ist, die unsrer Partei ihre zahlreichsten Rekruten liefert, so folgt daraus, dass die deutsche Armee mehr und mehr vom Sozialismus angesteckt wird. Heute haben wir einen Soldaten auf fünf, in wenigen Jahren werden wir einen auf drei haben, und gegen 1900 wird die Armee, früher das preußischste Element des Landes, in ihrer Majorität sozialistisch sein. Das rückt heran, unaufhaltsam wie ein Schicksalsschluss.“
Doch das genaue Gegenteil dieser Engelsschen Visionen – eine sozialdemokratisch geführte Konterrevolution – trat ein.

Die SPD „hineingewachsen“ (H.K.) in den preußischen Staat

Die Massen sozialdemokratischer Funktionäre in den Gewerkschaften, den Sozialversicherungen, staatlichen Behörden (z.B. den „12-Endern“, in der Regel Unteroffiziers-Dienstgrade der laut Engels „sozialistisch angesteckten“ Reichswehr, die nach 12 Dienstjahren anschließend als Beamte zum Beispiel bei Finanzämtern, Zoll, Justiz, Post, Bahn, übernommen wurden) identifizierten sich weitestgehend mit dem preußischen Staat, von dem sie glaubten, dass die SPD ihn in Bälde „übernehmen“ würde. Dessen revolutionäres „Zerbrechen“ im Sinne von Marx war für sie undenkbar.

Für Marx war klar, dass das Proletariat die bürgerliche Staatsmaschine „nicht einfach in Besitz nehmen“ kann, sondern dass es diese im Bürgerkrieg „zerschlagen“, „zerbrechen“ muss. Das Gegenteil wurde für die SPD zur Richtschnur ihrer staatstreuen Politik, was später – angefangen mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten, der „Burgfriedenspolitik“, der „Vaterlandsverteidigung“ – zum Ausdruck kam, womit sie 1914 die Proletarier in das Völkergemetzel mobilisierte.

1918/19: eine sozialdemokratisch geführte Konterrevolution

Die konterrevolutionäre Rolle der sozialdemokratischen Führung in der Novemberrevolution hat H.K. treffend herausgearbeitet. Nun mehr an Kritik:

H.K.`s undialektisches Entgegensetzen von Klassenkampf und Ökonomie

Dieses (im marxistischen Sinn) metaphysische, schematische Verständnis von Klassenkampf äußert sich bei H.K. in verschiedenen Thesen. Es ist überwiegend beschränkt auf Parteienkonstellationen in den Parlamenten, den Regierungen, dem politischen Überbau, während der dialektische Zusammenhang mit der ökonomischen Basis als „Ökonomismus“ abgetan wird. Als ob dieser unlösbare Zusammenhang nicht schon aus dem Titel des Hauptwerkes von Marx/Engels hervorginge: „Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie“.

Laut Wikipedia wird das Bürgertum „charakterisiert durch den Erwerb bzw. die Wahrung von Besitz, und zwar Besitz von Rechten, oder Besitz von materiellen Gütern oder Besitz von Bildung“. Man muss präzisieren: Besitz von Produktionsmitteln und muss hinzufügen, dass das bürgerliche Klassenbewusstsein ganz allgemein die Überzeugung einer grundsätzlichen Überlegenheit, ein elitäres Sendungsbewusstsein gegenüber den „unteren“ Schichten impliziert.

Besitzbürgertum im Kapitalismus, marxistisch die Bourgeoisie, ist die Klasse, die die Verfügungsgewalt über die gesellschaftlichen Produktionsmittel ausübt. Sie bestimmt im Kapitalismus letztlich, bzw. lässt zu – auf die eine oder andere Weise – ob parlamentarisch oder per „Ermächtigung“ – wer die staatliche Geschäftsführung, sprich Regierungsgewalt ausübt.

Das Junkertum
Wohin der „historische Untergang“ des Junkertums führte, darüber gibt das Buch [1] wenig Auskunft. Lediglich die „… Weltmarktkonkurrenz des preiswerteren Getreides der amerikanischen Farmer …“ wird genannt, die die nach H.K. immer selbst-gleichen Junker zwang, „sich umso mehr an die Staatsmacht zu klammern“.

Bei H.K. beherrscht das Junkertum als Klasse Deutschland mit dem preußischen Hegemonialstaat, speziell in Gestalt des Militäradels „zusammen mit den von der Schwerindustrie bestimmten Nationalliberalen“. Die Junker kommandierten nach H.K. quasi unwandelbar bis ins 3. Reich hinein die Armee „als wichtigsten innenpolitischem Machtfaktor“ – was allerdings bei näherer Betrachtung bezüglich der Nazizeit so einfach nicht stimmt.

Im Gegensatz zu H.K.`s Meinung („Pakt mit dem Militäradel“) [1- S.85] beherrschte der Militäradel alias Junkertum nur noch bedingt Hitlers Wehrmacht. Vielmehr kamen zahlreiche Generäle aus bürgerlichen bzw. kleinbürgerlichen Verhältnissen. Was besonders zählte, waren die Sporen, die im 1. Weltkrieg verdient wurden. Es seien unter den Generälen nur die Namen von Ludwig Beck, Alfred Jodl, Friedrich Fritz Fromm, Fritz Halder, Kurt Zeitzler, Wilhelm Burgdorf, Erwin Rommel, Friedrich Paulus genannt, eine Liste, die sich bis in nachrangige Posten beliebig verlängern ließe.

H.K.`s zentrale These zum 1. Weltkrieg ist mehr als fragwürdig, wonach der Krieg „wesentlich ein Machtsicherungskrieg des untergehenden Junkertums“ gewesen sei, bzw., dass der junkerliche Militäradel keine andere Möglichkeit mehr (sah), als „die Flucht in einen Krieg, um seine Vormachtstellung zu behaupten“. Dieser Nebenaspekt, der aber die Kriegsziele, besonders Annektionen, ignoriert, dient H.K. vor allem dem Zweck, ökonomisch-imperialistische Kriegsgründe als „Ökonomismus“ abzutun.

Im geradezu Ehrfurcht erregenden 5-seitigen Literaturverzeichnis zum Buch [1] fehlt das sehr wichtige Werk von Roger Pickering [4]. (Auch fehlt z.B. ein ebenfalls wichtiges Buch des Autors Ulrich Enderwitz: „Antisemitismus und Volksstaat“ [7]).

Pickering [4] schreibt: „Der Reichstag war tief gespalten: Die Konservativen und die Rechtsliberalen, die Rechtsparteien, die den adligen Landbesitz und das Großbürgertum repräsentierten, forderten einen kompromisslosen Siegfrieden mit üppigen Gebietsgewinnen … Die meisten politischen und sozialen Eliten Vorkriegsdeutschlands waren in diesem Lager zu finden. Sie erwarteten, dass ein militärischer Triumph ihre eigene Führungsposition rechtfertigen und Forderungen nach politischen und sozialen Reformen entkräften würde.“

Gebietsgewinne, sprich Annexionen, nach denen die genannten Eliten gierten, betrafen besonders besetzte Gebiete im Westen (Belgien, Elsaß-Lothringen) und im Osten (russische Gebiete, Polen, im Baltikum bis nach Rumänien). Das war Imperialismus in Reinkultur und bedeutete keineswegs nur einen „Machtsicherungskrieg“ des „untergehenden Junkertums“. Der „historische Untergang“ bestand darin, dass die Junker sich zu einer Fraktion der Bourgeoisie entwickeln mussten. Von dieser Tatsache will H.K. offenbar nichts wissen.

Das Bürgertum als herrschende Klasse der Nazi-Diktatur

Laut H.K. war die NSDAP „keine bürgerliche, sie war eine kleinbürgerliche Partei.“ Das mag für die Entstehungszeit der NSDAP gelten. Dagegen hat u.a. der Autor Bernt Engelmann mehrere Bücher veröffentlicht, darunter 1978 den fast 600 Seiten langen Bericht: „Krupp – die Geschichte eines Hauses; Legenden und Wirklichkeit“ [5].

2022 erschien das Buch: „Braunes Erbe – die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien“ [11] des Autors David de Jong. Es ist ein akribisch recherchiertes Werk über die Familien Quandt, Flick, von Fink, Porsche-Piech und Oetker, deren Vertreter zumeist als Partei- und oft SS-Mitglieder engste Beziehungen zur NSDAP-Führung unterhielten. Sie bereicherten sich besonders durch umfangreiche „Arisierungen“ jüdischer Firmen und Besitztümer sowie durch die massenhaft-brutale Ausbeutung von Fremdarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen.

Führende Industrielle der Großbourgeoisie unterstützten Hitler schon vor der Machtergreifung und mitfinanzierten die NSDAP. So ist der von Fritz Thyssen arrangierte Empfang vom 26. Januar 1932 im Industrieclub Düsseldorf berüchtigt, auf dem Hitler erschien, redete und den großen Bossen von Rhein und Ruhr vorgestellt wurde. Auf S. 80 des Buches [1] beschreibt auch H.K. die „ungeteilte und z.T. begeisterte Zustimmung der 650 Zuhörer, unter denen sich so gut wie alle Wirtschaftsführer aus dem Montanbereich befanden:“

Das mittlere bis kleinere Bürgertum reihte sich begeistert in die „Reichsarbeitsfront“ ein, als das schuldenfinanzierte Kriegsrüstungsprogramm der Nazis zu einem ungeahnten Aufschwung führte. Kleinere Bauunternehmer z.B., die mit vielleicht 15 Arbeitern gerade noch mit Mühe und Not die Weltwirtschaftskrise überstanden hatten, machten nun Profite teils mit über 300 Leuten, z.T. Reichsarbeitsdienstler, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, nur beispielsweise beim Bau des West- oder Atlantikwalls.

Eine „neue Bourgeoisie“

Aus den Reihen der Nazi-Organisationen, z.B. aus dem „Stahlhelm“, der SA und SS kamen „Aufsteiger“, die sich einen bürgerlichen Lebensstil leisten konnten, mit großzügigen Wohnungen oder Villen, mit Dienstgesinde, Autos und weiteren Statussymbolen. Es waren Kader der Wehrmacht, „Wehrwirtschaftsführer“, Nazi-Parteibonzen usw., die die Bourgeoisie des Naziregimes komplettierten. Der zügellose großbürgerliche Prunk von Hermann Göring sei nur als Beispiel genannt.

Nach 1945 – H.K.`s groteske These

Zitat von H.K. aus der „Schlussbetrachtung“ zu [1]: „Mit Adenauer an der Spitze erreichte die Bourgeoisie damit (mit Hilfe der USA), wozu sie selbst nicht imstande gewesen war: sie konnte in der 1949 gegründeten Westrepublik zum ersten Mal in ihrer Geschichte (!!) die Herrschaft übernehmen.“

Eine solch geradezu groteske These kann man bestenfalls mit höchster Heiterkeit verkraften. Karuscheit verwechselt wieder die Macht der Kapitalbesitzer mit der vom Bürgertum (s.o.) unter dem Wohlwollen der Westalliierten eingesetzten staatlichen Geschäftsführung. HK traut dem Bürgertum „nur prinzipiell, nicht in jedem Einzelfall“ eine parlamentarisch-demokratische Herrschaft zu. Den deutschen Faschismus schiebt er aufs Kleinbürgertum oder den preußischen Militärdespotismus auf die Junker.

Kontinuität der Klassen- und Machtstrukturen in Westdeutschland und Gesamtdeutschland nach der Wiedervereinigung

Nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus ging es den Siegermächten zunächst vor allem darum, ein Wiedererstarken des deutschen Imperialismus und Militarismus nachhaltig zu verhüten, allerdings wesentlich bestimmt vom beginnenden kalten Krieg und der Rollback-Politik des Westens gegenüber der Sowjetunion. Die Westmächte etablierten 1949 die westdeutsche BRD nach der Währungsreform von 1948. Im Oktober 1949 folgte die Gründung der DDR unter sowjetischer Oberherrschaft.

Die Einbindung und Einhegung der beiden deutschen Staaten in die jeweiligen Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt sowie in die jeweiligen Wirtschaftsblöcke war das Leitmotiv der folgenden Entwicklungen. Dazu gehörte die Integration Westdeutschlands in das Projekt Europa unter US-amerikanischer (und alliierter) Protektion, beginnend mit der Montanunion.

Der Wiederaufstieg eines eigenständigen und unkontrollierbaren Deutschen Imperialismus zu verhindern ist, wie man heute sieht, nicht in jeder Hinsicht gelungen. Die Karriere des wiedervereinigten Deutschlands ist eher vergleichbar mit einem Kuckucksei, aus dem sich ein ökonomischer Riese mit militaristischem Programm auf dem Weg in die „Kriegstüchtigkeit“ heraus gepellt hat, allerdings in anhaltender US-Abhängigkeit. Die Unterwürfigkeit gegenüber den USA zählt zur DNA Nachkriegsdeutschlands (s. auch unten).

Scheinbar paradoxerweise wurden die Eliten, die oben beschriebene „bunte Mischung“ des Bürgertums aus dem 3. Reich – abgesehen von einer geringfügigen Dezimierung durch eine höchst laxe „Entnazifizierung“ von den Westmächten weitestgehend in das westdeutsche Establishment übernommen. Das bedeutete die Kontinuität der alten Klassen- und Machtstrukturen. So wurde der Antikommunismus der Nazi-Führungsschichten wie des Personals des alten Staatsapparates in den kalten Krieg eingebracht – geradezu ein WinWin-Deal für die Westmächte und die alte (west)deutsche Bourgeoisie. In der Wirtschaft, den politischen Parteien, in Verwaltung, Justiz etc. tummelten sich massenhaft demokratisch gewendete Kader des NS-Staates. Polizei und Geheimdienste blieben durchsetzt mit Ex-Nazis. Beispielsweise der BND ging aus der Organisation Gehlen hervor, mit der ehemalige Agenten der „Abteilung fremde Heere Ost“ des Oberkommandos der Hitler-Wehrmacht quasi kollektiv übernommen wurden.

Der niedergeschlagene imperialistische Wolf musste sich allerdings diverse Schafspelze überstreifen, um wieder auf die Beine zu kommen und in der westlichen Welt salonfähig zu werden, als da wären: pro-westlich (NATO-Mitgliedschaft), US-Hörigkeit, kosmopolitisch statt national-chauvininistisch, pro-zionistisch statt antisemitisch, parlamentarisch statt diktatorisch, marktwirtschaftlich statt kriegs-kommandowirtschaftlich … Das prägt bis heute die deutsche Staatsräson, sozusagen die DNA der Bundesrepublik, obwohl auch hier („Zeitenwende“ und Trump) inzwischen etwas ins Rutschen gekommen ist.

„Erschreckendes Fazit“: dieselben sozialen Gruppen in Spitzenpositionen seit 100 Jahren

Die Kontinuität der (bürgerlichen) Eliten Deutschlands belegt auch neben [11] die soziologische Forschung: Die Untersuchung von Prof. Michael Hartmann, Soziologe und Elitenforscher zeigt: der Anteil sozialer Aufsteiger hat sich seit über 100 Jahren, nämlich seit 1907, kaum verändert. [Ulrike Hagen, Frankfurter Rundschau vom 30.06.2025].

„Das Imperialismusproblem“ [2]; die AZD-Kritik an Lenin

Kein deutscher Imperialismus? Seit Jahrzehnten (spätestens seit den 90-iger Jahren) ist die „Verabschiedung der Leninschen Imperialismustheorie“ ein Leitmotiv der AZD. Neben berechtigter Kritik an der Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ hat sich H.K. so weit verirrt, dass er sich „dagegen ausspricht … angesichts des kürzlich beschlossenen 100-Milliarden Aufrüstungsprogramms der Berliner Regierung … daraus gleich auf die Wiederauferstehung von Militarismus, Imperialismus und Kriegsvorbereitung zu schließen [10].

Ich habe dazu folgendes bemerkt [6, AZD vom Oktober 22]: „Schon der Terminus „Wiederauferstehung“ (von den Toten) kann ich nur so verstehen, dass es vor dem 100-Mrd. Schulden“vermögen“ nach H.K.`s Ansicht weder einen bundesdeutschen Militarismus noch Imperialismus noch Kriegsvorbereitungen gegeben hat. Und auch nach dem 100-Mrd.-Beschluss spricht er sich dagegen aus, auf eine Wiederauferstehung (von der vorhergehenden Nichtexistenz) „zu schließen“. Ohne hier langatmig auf eine solch verwunderliche Sichtweise zu entgegnen, sei hier zunächst auf die umfangreichen Dokumentationen der „Informationsstelle Militarisierung (http://www.imi-online.de/) verwiesen.

Einen schwachen Erklärungsansatz für H.K.`s Lesart könnte man in dem Sachverhalt vermuten, dass die Geschäftsführung des deutschen Imperialismus in Gestalt der transatlantischen Superkoalition – CDU/CSU, SPD+Grüne+FDP – die deutsche „Sicherheit“ tief im neokonservativen Enddarm des US-Imperialismus sucht. Diese Rolle als Vasall der USA – geradezu masochistisch forciert durch die Ampel-Regierung – wird nun dem Modell Deutschland zum Verhängnis aufgrund der neokonservativen US-Strategie zur Ukraine und dem Sanktionsregime gegen Russland.“

Die US-Strategie unter Biden zielte darauf ab, dass einerseits die Ukraine im Stellvertreterkrieg so lange weiterkämpfen sollte, bis Russland als Machtkonkurrent am Ende ist und die USA die Hände frei bekommen gegen China. Andererseits erreichten die USA bewusst und mit anhaltendem Erfolg, dass die Konkurrenten in Europa und speziell Deutschland durch die Rückwirkungen der Sanktionen empfindlich getroffen, von Russland abgeschnitten und in noch größere Abhängigkeit von den USA gebracht wurden.

Mit Trumps Zollpolitik und dessen angestrebten „Deal“ mit Russland kommen die EU und besonders Deutschland vom Regen in die Traufe. Logischerweise (keine Wiederauferstehung) dürfte es nach H.K. keinen deutschen Imperialismus (mehr) geben. Andererseits ist in den AZD immer wieder von Imperialismus die Rede (zumindest etwas verschämt von „imperialen Mächten“).

Zur „Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands“ habe ich einen Artikel geschrieben [8] mit dem Fazit:
„Denn wo Deutschland als Unterauftragnehmer der USA scheinbar paradoxerweise einem Wirtschaftskrieg, einem „friendly fire“ seitens diesem „engsten Verbündeten“ ausgesetzt ist, bedingen die sonstigen Verstrickungen in die zahlreichen Widersprüche und Konkurrenzverhältnisse eine wahre Strategie-Unfähigkeit, geradezu einem Masochismus eines ratlos hin-und her getriebenen, angeknacksten Wirtschaftsriesen und Strategie-Zwerges. Würden die Herrschenden nach imperialistischer Logik Ernst machen und würde Deutschland entgegen der hohlen Großmachtphantasien im „globalen machtpolitischen Konkurrenzkampf“ als „Gestaltungsmacht“ ernst genommen und einen wirklichen Platz an der Sonne als großer „Führungs-Player“ in NATO und EU einnehmen können, würde das nur durch noch heftigere, vielseitige Gegenreaktionen und verschärfte Widerstände gefährlich durchkreuzt werden. Das alles heißt mit Sicherheit alles andere als Sicherheit.“

Imperialismus heute: In [6] wurde von mir ein „holzschnittartiger Versuch einer Definition von „Imperialismus heute – über Lenin hinaus“ – veröffentlicht. Dazu gab es von H.K. (auch von Alfred Schröder), den Autoren von „Das Imperialismusproblem III“ [2 – AZD 98] bislang keine Stellungnahme. Man findet in den Artikeln dieser Autoren auch so gut wie nichts zur Definition bzw. den allgemeinen politökonomischen Merkmalen des heutigen Imperialismus.

Das „Imperialismusproblem III [2] – falsche und berechtigte Kritik

Diesen Text kann man als Resümee aller bisherigen AZD-Artikel zur Leninschen Imperialismus-Theorie betrachten.

Metaphysik statt Dialektik

„Doch Lenin vermochte es nicht, die Konstellation des Krieges klassenpolitisch zu erklären, weshalb er daran ging, die Erklärung in der Ökonomie zu suchen … nämlich in der Frage nach dem ökonomischen Wesen des Imperialismus … Noch deutlicher konnte man die Orientierung an der Ökonomie nicht formulieren, was bedeutete, dass er dem ökonomischen Marxismusverständnis der II. Internationale verhaftet blieb“ [2, S.19].

Unabhängig von Lenins Imperialismusschrift zeigen diese Formulierungen ein undialektisches, metaphysisches Auseinanderdividieren und Entgegensetzen der Kategorien „Klassenpolitik“ versus „Ökonomie“ durch die Autoren. Die jeweilige ökonomische Formation der Gesellschaft ist jedoch unlösbar die Basis von Klassen und Klassenkampf, woraus die dialektische Entwicklung folgt.

Das Verhältnis Basis-Überbau lässt sich (laut Engels [MEW 20/25) folgendermaßen ausdrücken: „Es zeigte sich … das also die jedesmalige ökonomische Struktur der Gesellschaft die reale Grundlage bildet, aus der der gesamte Überbau der rechtlichen und politischen Einrichtungen sowie der religiösen, philosophischen und sonstigen Vorstellungsweise eines jeden geschichtlichen Zeitabschnittes in letzter Instanz zu erklären sind.“

Also auch die Klassenkämpfe. Und daher ist auch die „Frage nach dem ökonomischen Wesen des Imperialismus“ in der „ökonomischen Struktur der Gesellschaft“ zu ergründen.

Wenn jemand die „Frage nach dem ökonomischen Wesen des Imperialismus“ aufwirft – was hat das mit dem „ökonomischen Marxismusverständnis der II. Internationale“ zu tun?  Da ist kein zwingender Zusammenhang zu erkennen. Ein Blick in das Leninsche Heft von 1916 zeigt: nichts weist auf das „Marxismusverständnis der II. Internationale“ hin. Der fundamentale Unterschied zwischen Lenin und der II. Internationale ist immerhin der, dass Lenin nicht die friedliche Übernahme des Staates durch Wahlen, sondern dessen Sturz für unumgänglich hielt. Lenin das „ökonomische Missverständnis der II. Internationale“ vorzuwerfen, ist nur Ausdruck der oben kritisierten Metaphysik der Autoren.

„Sterbender Kapitalismus“ – Epoche der proletarischen Revolution ?

Es bleibt allerdings das Problem, ob die Imperialismusschrift auch rückblickend nach über 100 Jahren den einstigen Ansprüchen Lenins und der Komintern genügt. Man kann nur die völlige Fehlanzeige konstatieren. Denn nach über 100 Jahren haben Kapitalismus und Imperialismus sämtliche gescheiterten sozialistischen Anläufe überdauert und in Form kapitalistischer Restaurationen Urständ gefeiert. Der Kommunismus ist marginalisiert und existiert im Westen nur noch in Gestalt irrelevanter, meist „revisionistischer“ bzw. idealistischer Sekten. Will man das imperialistische China, das familien-dynastische Nord-Korea oder das dahinsiechende Cuba als „kommunistisch“ betrachten, beglaubigt man den vollständigen Bankrott der „Sache“.

„Kommunistischer Idealismus“

Diese Spielart des Idealismus bedeutet nicht die Erklärung des Geistigen, der Ideen, zur Ursache aller Erscheinungen und Entwicklungen oder dass die reale Welt nur als Objekt des Bewusstseins existiert. Das alles nicht (bzw. weniger). Dagegen geht es um die Überhöhung von Analysen bzw. ideologisch begründeten Parteibeschlüssen oder Theoremen „unfehlbarer Führer“ zum Agens der Gesellschaft – losgelöst von bzw. im Widerspruch zu objektiven Bedingungen. Beispielsweise u.a., indem man vom Willen der Menschen unabhängige ökonomische Gesetze jenseits der objektiven Voraussetzungen per Beschlüssen willkürlich übergehen, gar abschaffen oder neue Gesetze erfinden könnte.

Ein solcher Idealismus zeigte sich auch z.B. in der deutschen Novemberrevolution und danach: die Revolutionäre, die für die Ideale einer sozialistischen Republik nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution kämpften, blieben in der Rätebewegung eine Minderheit. Sie unterschätzten die noch unerledigten Aufgaben der bürgerlichen Revolution, die für den Sozialismus „unreife“ Klassenstruktur und die Aktionsfähigkeit der sozialdemokratisch geführten Konterrevolution: Lenin kritisierte (in taktischer, nicht strategischer Hinsicht) den zugrundeliegenden linken Radikalismus der deutschen Revolutionäre. Die KPD mit ihrem fortdauernden linken Sektierertum und ihrem Voluntarismus, womit sie die Ideen von Sozialismus und Diktatur des Proletariats als unmittelbar auf der Tagesordnung verfolgte, konnte Massen rückständiger Arbeiter, Bauern und Millionen kleiner Warenproduzenten nicht gewinnen und wurde letztlich vom Nazi-Faschismus überrollt.

War Lenin frei von diesem „kommunistischen Idealismus“? Er war ein Mensch seiner Zeit, in der durch den 1. Weltkrieg sich gewaltige revolutionäre Bewegungen erhoben und unter Lenins Führung die russische Oktoberrevolution siegte.

Die AZD-Kritik an Lenins Imperialismusschrift – zum Teil berechtigt

Der „Abschied“ von der Leninschen Imperialismustheorie wird in den AZD seit Ende der 80-iger Jahre ventiliert. So wurden im August 22 in der „Kommunistischen Debatte“ Texte aus dem Jahr 1987 (AZD 39) wiederveröffentlicht, die damals unter dem Titel „Kapital und Monopol – zur Kritik der Monopoltheorie bei Hilferding und Lenin (https//kommunistische-debatte.de/?page_id=366) erschienen sind und deren Schlussfolgerungen im Wesentlichen in [2] wiederholt sind. Dieser sehr gründliche Beitrag (132 Seiten) zu den Widersprüchen zwischen Lenins Quellen (besonders Hilferding, Hobson) und der Marxschen Theorie weist klar nachvollziehbare und zutreffende Kritikpunkte auf, auch an „Schwankungen und Unsicherheiten“ Lenins selbst.

Da Lenin seine Schrift teilweise auf Hilferding gestützt hat, schließen die Autoren, dass auch die Leninsche Theorie des Imperialismus mit der Marxschen Theorie nicht vereinbar sei. Man wirft Lenin den Begriff „Übergangskapitalismus“ vor, in dem „die Warenproduktion bereits untergraben ist und die Hauptprofite den Genies der Finanzmachenschaften zufallen“; ja man meint daraus den Schluss ziehen zu müssen, dass es (angeblich laut Lenin) nicht mehr der Wert sei, der die Produktion bestimmt und regelt (AZD 39/91). Oder man unterstellt Lenin, dass er mit seiner Rede vom Monopolkapitalismus die „Aufhebung der Gesetzmäßigkeiten der Warenproduktion“ behauptet habe – krass überspitzte Stücke an Interpretationskunst.

Marx wird gegen Lenin ausgespielt. Dabei wird ignoriert, dass schon Marx bemerkt hat (MEW 25/454): „Es ist dies die  Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise selbst und daher ein sich selbst aufhebender Widerspruch, der prima facie als bloßer Übergangspunkt zu einer neuen Produktionsform sich darstellt. Als ein solcher Widerspruch stellt er sich dann auch in der Erscheinung dar. Er stellt in gewissen Sphären das Monopol her und fordert daher die Staatseinmischung heraus. Er produziert eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von Projektemachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren, ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienschwindel.“

Und Engels fügt als Beispiel hinzu, dass „… in diesem Zweig, der die Grundlage der ganzen chemischen Industrie bildet, in England die Konkurrenz durch das Monopol ersetzt und der künftigen Expropriation durch die Gesamtgesellschaft, die Nation, aufs trefflichste vorgearbeitet.“ Hatte Lenin damit nicht etwa schon Vordenker?

H.K. setzt diesem Ausspielen Lenins gegen Marx sein Fazit obendrauf: „Es ist deshalb an der Zeit, dass wir uns verabschieden, nicht von Lenin, der an der Seite des revolutionären Proletariats den Kampf gegen den Opportunismus … der II. Internationale aufnahm, sondern von der (?) Imperialismustheorie. Konsequenter kann man das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Das „Problem des Imperialismus selber“ muss stattdessen heute neu aufgerollt werden; dazu haben die AZD bislang kaum etwas geleistet.

Zunächst ein paar grundsätzliche Bemerkungen zum Umgang mit den sogenannten „Klassikern des Marxismus-Leninismus“:

Der „Umgang“ mit den Klassikern

Es gibt 2 Extreme, wie mit Lenin und den übrigen „Klassikern“ des Marxismus umgegangen wird: auf der einen Seite betrachtet man sie als heilige, unfehlbare Propheten, denen (fast) alles (oft einseitig verzerrt, dogmatisch bzw. idealistisch) nachgebetet wird. Das andere Extrem bedeutet, wie z.B. bei Lenin, dass man sich von dessen Imperialismustheorie komplett verabschieden muss, ja dem man historische Niederlagen des Kommunismus ankreidet. Sozusagen ein positiver bzw. negativer Personenkult.

Sämtliche „Klassiker“ des sogenannten ML haben sich in manchen Fragen geirrt, haben Fehler selbstkritisch konstatiert und – so möglich – korrigiert oder konnten sie nicht erkennen. Schön ist der diesbezügliche Spruch von Engels zum 50. Geburtstag von Marx: „Was wir doch vor 25 Jahren für jugendliche Enthusiasten waren, als wir uns rühmten, um diese Zeit längst geköpft zu sein“ MEW 32/515).

Engels hat selbstkritisch eingeräumt, dass sie beide, Marx und Engels sich historisch geirrt hatten: „Die Geschichte hat uns … unrecht gegeben. Sie hat klargemacht, dass der Stand der ökonomischen Entwicklung damals bei weitem nicht reif war für die Beseitigung der kapitalistischen Produktion“ (MEW 22/515). Und Engels lag völlig daneben, als er 1895 glaubte, die SPD stehe „heute auf dem Punkt, wo sie mit fast mathematisch genauer Berechnung die Zeit bestimmen kann, in der sie zur Herrschaft kommt.“ (MEW 22/515).

Lenins radikale Selbstkritik bei der Wende zur NÖP 1921 (4,5 Jahre nach der Imperialismusschrift – LW 33/42) ist klassisch: „… begingen wir den Fehler, dass wir beschlossen, den unmittelbaren Übergang zur kommunistischen Produktion und Verteilung zu vollziehen. Das war alles andere als eine Kleinigkeit, war doch dieser Fehler verbunden mit einer Niederlage, die ernster war, als irgendeine Niederlage, die uns jemals von Koltschak, Denikin oder Pilsudski beigebracht wurde, … viel ernster, viel wesentlicher und gefährlicher …“ (LW 33/44).

In der Landwirtschaft hatte die radikale Ablieferungspflicht schwere Hungersnöte verschärft; sie wurde abgeschafft und durch eine Naturalsteuer ersetzt. Die Kritik an Lenin lässt sich fortsetzen an seiner Rolle bei der „Zimmerwalder Linken“, die 1915 die in Deutschland noch unerledigten Aufgaben der bürgerlichen Revolution unterschätzte.  Auch dazu hat Lenin 1920 sich in „Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus“ geäußert, was man auch als Selbstkritik im Rückblick auf Zimmerwald interpretieren kann.

Lenin hat auch beispielsweise 1919 in seiner Kritik an Bucharin präzisiert: „Reinen Imperialismus ohne kapitalistische Grundlage hat es niemals gegeben, gibt es nicht und wird es niemals geben, … Nirgendwo auf der Welt hat der Monopolkapitalismus ohne freie Konkurrenz in einer ganzen Reihe von Wirtschaftszweigen existiert und wird er jemals existieren“ (LW 29/150). Wer will, kann das als eine Selbstkritik zum Imperialismusheft betrachten.

Der Kontext 1916, Lenins Unklarheiten und der Abschied von Heiligkeiten

Die Imperialismusschrift wurde 1916 geschrieben, im 1.Weltkrieg, als sich bereits die revolutionäre Situation abzeichnete. 1920 schrieb Lenin dazu: „Es fällt schwer, jetzt, in den Tagen der Freiheit, diese durch Rücksicht auf die zaristische Zensur entstellten, zusammengequetschten in einen eisernen Schraubstock gepressten Stellen der Broschüre wieder zu lesen …“ (LW 22/191)

In der Tat haben gewisse Schlussfolgerungen, Unklarheiten und Überspitzungen des Textes eine Grundlage geliefert für verschiedene grundfalsche Theoreme. So für die quasi „gesetzmäßige“ Gewissheit bis in die Tage Honeckers: „den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf“- dass nämlich der faulende Imperialismus unmittelbar der „Vorabend der sozialen Revolution des Proletariats“ sei. Das scheint heute auch nach über 100 Jahren reichlich fern. Oder eine Grundlage für die „antimonopolistische Demokratie“ der DKP, auch für die Agitation der MLPD, in der „DIE MONOPOLE“ quasi der Satan schlechthin und die „Alleinherrschaft des internationalen Finanzkapitals“ der internationale Hauptfeind des internationalen Proletariats sind. Die in Wirklichkeit „allein herrschende“ Konkurrenz der imperialistischen Staaten wie der Monopole untereinander ist dabei ultraimperialistisch weggezaubert.

Was bleibt da, wenn man wegen ihrer Fehler und Irrtümer, ihrer im Nachhinein erklärbaren Fehlprognosen den „Klassikern“ die Heiligkeit, die Eigenschaften als Wahrsager und unfehlbare Propheten absprechen muss? Die Marxisten müssen in selbstständiger theoretischer Arbeit mit der Marxschen Methodik an die jeweils aktuellen Entwicklungen herangehen.

Folgen – „Revisionismus“ pur

In [2] wird völlig richtig die „Begeisterung für die Leninsche Imperialismustheorie“ in einem Teil der Linken unter Einschluss ihres „kommunistischen Flügels“ konstatiert: „… obwohl man sich von den sonstigen theoretischen und insbesondere revolutionären Positionen Lenins längst verabschiedet hat. Statt die Lenin-Liebknechtsche Position des revolutionären Defätismus gegen beide imperialistischen Kriegsparteien im Ukraine-Krieg zu beziehen, vertrat man entweder die offene Unterstützung der russischen Seite, forderte Waffenstillstände oder verfiel gleich dem Pazifismus.“

Das kennzeichnet den marginalen Zustand der Linken (vielleicht abgesehen von der „woken“ Linkspartei), erst recht der „kommunistischen“ Splitterparteien bzw. idealistischen Sekten.

Seit über 100 Jahren „sterbender Kapitalismus“?

Im Gegenteil: Es ist ein geradezu exponentielles „Wachstum“ des Kapitalismus, das bei gleichzeitig wachsender Ungleichheit und verelendeten Zonen den Globus mit inzwischen über 8 Milliarden Menschen überzogen hat. Man kann feststellen, wie der tendenzielle Fall der Profitrate [MEW 25, 221 bis 277] die Kompensation durch gesteigerte Waren- und Profitmassen hervorbringt. Durch die qua Konkurrenz ständige Produktivitätssteigerung (per Automatisierung, Digitalisierung etc., „mit immer weniger Leuten wird immer mehr produziert) ist in den einzelnen Waren immer weniger gesellschaftlich-durchschnittliche Arbeitszeit kristallisiert (was letzten Endes geringeren Profit pro einzelner Ware bedeutet); ergo: die Waren werden relativ immer billiger, was sich durch die gesteigerte (automatisierte) Massenproduktion wettmacht.

Infolgedessen überschwemmen ungeheuer angeschwollene Warenfluten mit ihren Abfallprodukten den Globus, wofür die Ressourcen unwiderruflich geplündert, verheizt und vergeudet werden.  Zugleich wird aber auch die Ware Arbeitskraft billiger, da diese sich mit den „wohlfeileren“ Waren reproduziert, d.h. die sinkenden Warenwerte gehen einher mit relativ sinkenden Löhnen – was mehr oder weniger nominal durch die gleichzeitige „säkulare Inflation“ überdeckt, auch durch erfolgreiche Lohnkämpfe zeitweise konterkariert wird.

Das Kapital strebt – getrieben von wachsender Produktivität nach dem Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate – nach grenzenloser internationaler Expansion und Akkumulation, jedoch eingebannt in die staatlichen Formen. Dieser Expansionsdrang, dieser innere Druck auf die staatliche Organisation muss daher unbedingt durch eine mehr oder weniger expansive, aggressive imperialistische Politik der konkurrierenden Staaten gegeneinander zum Ausdruck kommen – je nach dem Maß ihrer kapitalistischen und militärischen Potenziale bis zum Krieg als ultima Ratio des Imperialismus.

Immer mehr Staaten haben inzwischen einen Entwicklungsstand erreicht, mit dem sie am globalen Konkurrenzkampf um Rohstoffe, Absatzmärkte, Kapitalexport, militärische Rüstung und Einflusszonen teilnehmen. Entgegen dem Euphemismus von einer „friedlichen multipolaren Welt“ handelt es sich tatsächlich um eine multi-imperialistische Welt der heftigsten Konkurrenz, des Wettrüstens und der Kriege.

Der revolutionäre Optimismus, von dem Lenin vor über 100 Jahren erfüllt war, hat sich „in Luft aufgelöst“. Es sind komplexe Ursachen, zu denen der „kommunistische Idealismus“ (s.o.) zählt.

Ein entscheidender Wendepunkt war der Machtantritt der Chruschtschowianer in der Sowjetunion, mit der die Konterrevolution, die Kapitalisierung der UdSSR etwa in den 60-iger Jahren des letzten Jahrhunderts begann. Dazu verweise ich auf meinen diesbezüglichen Artikel [8]. Mit der Kapitalisierung der UdSSR begann der Untergang des gesamten realsozialistischen Lagers mit all seinen Varianten, sozusagen das historische Scheitern des ersten kommunistischen Anlaufs der Menschheit.

Aussichten

Hierzu empfehle ich der Kürze halber das Schlusskapitel meines Textes: „Der tendenzielle Fall der Profirate und Imperialismus heute – Kapitalismus ohne Ende?“: http://kommunistische-debatte.de/wp-content/uploads/Artikel-Imp-2022-1.pdf.

Literatur:

[1]     Heiner Karuscheit: „Der deutsche Rassenstaat – Volksgemeinschaft & Siedlungskrieg“. NS-Deutschland 1933-1945“, VSA-Verlag Hamburg, 2025

[2]     AZD (Aufsätze zur Diskussion) Nr. 98, Juni 2025 = https://kommunistische-debatte.de/?page_id=2861

[3]     AZD (Aufsätze zur Diskussion) Nr. 93, Mai 2021 = https://kommunistische-debatte.de/?page_id=2077

[4]     Roger Chickering: „Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg“, Becksche Reihe; Verlag C.H.Beck, München 2002

[5]     Bernt Engelmann: „Krupp – Die Geschichte eines Hauses – Legenden und Wirklichkeit“, Wiihelm Goldmann Verlag, August 1978

[6]     AZD (Aufsätze zur Diskussion) Nr. 95, Oktober 2022 = https://kommunistische-debatte.de/?page_id=2537

[7]     Ulrich Enderwitz: „Antisemitismus und Volksstaat, zur Pathologie kapitalistischer Krisenbewältigung“, –  Ca ira – Verlag 1998 = http://reichtum-und-religion.de/antisemitismus/antisemitismus-node1.html

[8]     K.-H.Goll: „Die nationale Sicherheitsstrategie Deutschlands“ = http://www.kommunistische Debatte.de/?page_id=2800

[9]     K.-H.Goll: „Die Kapitalisierung der UdSSR und einiges zum Untergang des Realsozialismus“ = https://kommunistische-debatte.de/?page_id=2635

[10]   Heiner Karuscheit: „Der Ukraine-Krieg und die Frage des deutschen Imperialismus“ = https://kommunistische-debatte.de/?page_id=2382

[11]   David de Jong: „Braunes Erbe – die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien“.  2022, Kiepenheuer und Witsch, deutsche Übersetzung des Titels: „Nazi Billionairs“