1. Einleitung: Die Republik auf tönernen Füßen
Der Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung erfolgte auf Grundlage der sozialen und politischen Krise der Weimarer Republik 1928/1929, in der die NSDAP zur Massenpartei wurde. Die neue Ordnung von Weimar erwies sich in der Krise als äußerst instabil.
Die Geburt der ersten parlamentarischen Republik auf deutschem Boden war ein Produkt eines Kompromisses zwischen der kaiserlichen Armeeführung und der Mehrheitssozialdemokratie im November 1918. Die alte preußische Elite übergab der SPD die Regierungsgewalt und behielt dafür ihren von der Revolution bedrohten Großgrundbesitz und ihre dominante Stellung im Staatsapparat der Republik. Die Niederschlagung der revolutionären Aufstände fand im gegenseitigen Einverständnis statt. Der Einfluß des mehrheitlich demokratiefeindlichen preußischen Adels auf die Republik blieb in Folge ungebrochen. Im Gegensatz zum Kaiserreich mußten sich die Junker nun aber mit den Sozialdemokraten und Parteien des Bürgertums arrangieren. Die Armee stand jedoch weiter unter Führung der preußischen Junker und ihr Offizierskorps blieb für andere Gesellschaftsschichten weiter verschlossen. Während des Rechtsputsches von Kapp 1920 zeigte sich, daß die Armeeführung nicht zur Verteidigung der Republik bereit war.
Den übernommenen Staatsapparat mit seinen Beamten und Richtern prägte noch entscheidend der Geist der Kaiserzeit. Östlich der Elbe bestanden noch die Rittergüter und andere halbfeudale Überbleibsel der Junker weiter und behinderten den Modernisierungsprozeß Deutschlands. Der sogenannte Preußenschlag 1932, der die sozialdemokratische Regierung in Preußen mit verfassungswidrigen Mitteln stürzte, markierte das endgültige Ende der Zusammenarbeit zwischen Junkern und Sozialdemokratie. Zu keinem Zugeständnis mehr bereit, wandte sich der Großteil der alten Elite nun offen gegen die Republik.
Die andere Säule der Republik bildete anfänglich der Kompromiß zwischen der Schwerindustrie und der sozialdemokratischen Gewerkschaft. Der „Stinnes-Legien-Pakt“ war der Anfang der Sozial- und Tarifpartnerschaft. Mit der Einführung des 8-Stundentages und des Betriebsverfassungsgesetzes wurden wesentliche Forderungen der Arbeiterbewegung erfüllt, so daß sich nur eine Minderheit des Proletariats mit der Kommunistischen Partei gegen die Republik auflehnte. Mitte der 20er Jahre kündigte die Industrie diesen Kompromiß auf und ging wieder auf Konfrontation zu den Gewerkschaften. Den 8-Stundentag gab es schon 1925 in den meisten Bereichen der Wirtschaft nicht mehr und die Schwerindustrie rebellierte gegen die staatliche Zwangsschlichtung bei Tarifverhandlungen. Die „Sozialpartnerschaft“ fand im Ruhreisen-Streit von 1927 schließlich ihr Ende.
Mit der Agrar- und der Weltwirtschaftskrise 1928/29 zerbrach die Klassenzusammenarbeit der Weimarer Republik endgültig. Die Koalitionsregierungen der Weimarer Republik zeigten sich nicht in der Lage, die sozialen Probleme zu lösen. Weder den Pleiten des städtischen Kleinbürgertums noch dem Massensterben der Bauern konnte Einhalt geboten werden. In der Krise schwenkten diese Massen weiter nach rechts und bildeten das Potential für die Nationalsozialisten. Die einst tragenden bürgerlichen Parteien der Weimarer Koalition sanken in die Bedeutungslosigkeit ab. Auch der Arbeitslosigkeit konnten die ständig wechselnden Notstandsregierungen nicht Herr werden.
Das Ende der Weimarer Republik lag in ihrem Klassendilemma begründet. Anfangs hielt die Angst vor der sozialistischen Revolution Junker, Kapital, Kleinbürgertum und die sozialdemokratische Führung zusammen. Doch nach dem Ende der revolutionären Unruhen wurde schon bald die schwache Basis der Republik offenbar. Keine der Klassen zeigte sich in der Lage, die Hegemonie über die Gesellschaft herzustellen und zu ihrem „allgemeinen Repräsentanten“ zu werden. Die Arbeiterklasse war politisch hoffnungslos gespalten und keine ihrer Parteien besaß ein Programm, um die kleinbürgerlichen Massen an sich zu binden. Die Junker verloren die nord- und ostdeutsche Bauernschaft sowie das protestantische Kleinbürgertum als ihr traditionelles Fußvolk. Durch das Zusammengehen mit der Sozialdemokratie ließen ihre Vertreter das Kleinbürgertum links liegen. Zudem waren die Zeiten vorbei, in denen die Junker über den Staatsapparat eine Schutzpolitik für die Kleinproduzenten machen konnten. Das Bürgertum war, wie die Arbeiterklasse, politisch in zwei gegnerische Lager gespalten. Die Schwer und- die Leichtindustrie vertraten in der Innen- und Außenpolitik unterschiedliche Konzeptionen. Gegen Ende der Weimarer Republik verlor das Bürgertum die gesamte Massenbasis. Dieses Klassendilemma führte dazu, daß keine stabilen Mehrheiten mehr zustande kamen. Nur noch auf dem Boden der Notverordnungen konnte die „demokratische“ Republik regiert werden. So ist es auch nicht verwunderlich, daß am Ende mit Ausnahme der Sozialdemokratie keine Partei bereit war, die Republik zu verteidigen.
Zudem war Weimar mit dem „Kainsmal“ des Versailler Vertrages versehen. Die Republik stand auch symbolisch für die Kriegsniederlage und den Verlust der Souveränität Deutschlands. Die Abtrennung wichtiger Industriegebiete wie des Saarlands oder Oberschlesiens und die Reparationen an die Sieger verstärkten die Wirtschaftsprobleme. Keiner Regierung war es gelungen, eine wesentliche Veränderung des Vertrages zu erzielen, den viele Deutsche als Schmach empfanden. Mit der radikalen Propaganda gegen die Pariser Nachkriegsordnung fanden die Nationalsozialisten sowohl im Kleinbürgertum als auch bei den alten Eliten, vor allem der junkerlichen Armeeführung, Zustimmung.
Der Nationalsozialismus bot Ende der 20er Jahre eine Auflösung des Klassendilemmas an und sagte der Ordnung von Versailles den Krieg an. Die Antwort auf die sich gegenseitig blockierenden Klassen war der Führerstaat, der versprach, den sozialen Interessen des „ganzen Volkes“ entgegenzukommen. Die politisch heimatlos gewordenen Massen der Bauernschaft und des Kleinbürgertums sog der Nationalsozialismus in der Krise auf. Auf dieser Grundlage entstand eine machtvolle Bewegung, der keine andere Klasse etwas entgegenzusetzen hatte.