Die nächste Krise wird genauso ablaufen wie die jüngsten

– Vom Kandidatengerangel zur IWF-Frühjahrstagung in Washington –

Von Petra Bach

(März 2000) In der Ausgabe vom 25. Februar erlaubte sich die staatseigene Wochenzeitung Das Parlament einen peinlichen journalistischen Fehler. Sie brachte unter der Überschrift: „Internationale Stellung Deutschlands gestärkt – Koch-Weser neuer IWF-Generaldirektor“ einen Artikel, der darüber informierte, dass die Bundesregierung am 2. Februar bekannt gegeben habe, Caio Koch-Weser werde diesen international renommierten Posten übernehmen. Das Blättchen behandelte die deutsche Erklärung bereits als eine Tatsache. Das war zu früh gefreut.

Drei Tage später, am 28. Februar, teilte Clinton dem deutschen Bundeskanzler mit, dass die amerikanische Regierung die Kandidatur Koch-Wesers nicht unterstützen werde. [1] Nun erst strebte ein internationaler Machtkampf seinem vorläufigen Höhepunkt zu, an dem die Staaten der Welt Farbe bekennen mussten, und den der Kandidat selbst mit den Worten beschrieb: „Hier geht es um einen der wichtigsten Posten der internationalen Finanzpolitik, hier geht es um Macht, und da wird hart gekämpft.“ [2]

Konkurrierende Reformkonzeptionen

Ende letzten Jahres kündigte Michel Camdessus, dessen Amtszeit planmäßig erst 2002 geendet hätte, seinen vorzeitigen Rücktritt an. Wie die Bundesregierung behauptet, war er es, der Koch-Weser als seinen Nachfolger vorschlug. [3] Als IWF-Direktor hatte Camdessus mit Koch-Weser zusammengearbeitet, der in zentraler Position in der Weltbank tätig war, bis ihn Eichel im Frühjahr 1999 als Staatssekretär ins Finanzministerium holte, um dort die keynsianische Seilschaft Lafontaines zu ersetzen.

Während die Spitze der Weltbank traditionell einem Amerikaner zufällt (gegenwärtig James Wolfensohn), wird der Direktorenstuhl des IWF seit Jahrzehnten einem Franzosen eingeräumt. Die Aussicht, hier nun einen Deutschen nominieren zu können, wird Eichel den Verzicht auf seinen gerade neu gewonnenen Staatssekretär erleichtert haben. Jedenfalls machte Schröder dessen Kandidatur umgehend zur Chefsache.

Als sich Ende Dezember 1999 Berichte häuften, von mehreren Seiten, die ihren organisatorischen Kern im amerikanischen Finanzminister Larry Summers hätten, werde insgeheim gegen Koch-Weser intrigiert, „wurden die verdeckten Interventionen Summers in Berlin als nicht sonderlich störend empfunden, weil Clinton sie zunächst nicht übernommen hatte“ [4].

Lassen wir einmal die US-Finanzminister Summers unterstellten persönlichen Ambitionen auf den IWF-Chefsessel und dessen lange Bekanntschaft mit dem IWF-Vize Stanley Fischer, der schließlich als Konkurrent Koch-Wesers ins Rennen geschickt wurde, beiseite. Hinter der Nominierung unterschiedlicher Kandidaten stehen unterschiedliche Konzeptionen einer Reform des Internationalen Währungsfonds im Gefolge der internationalen monetären Erschütterungen seit der mexikanischen Pesokrise 1995.

Koch-Weser leugnete zwar noch in der Öffentlichkeit seinen Rückzug, hatte Schröder aber bereits um die Erlaubnis zum Rücktritt gebeten, als er seine Konzeption in einem Interview mit dem Handelsblatt beschrieb: „Meine Vorstellungen liegen zwischen der Kritik der Meltzer-Kommission [5], dem US-Finanzministerium und den Auffassungen des früheren IWF-Chefs Michel Camdessus“. Und auf Nachfrage des Handelsblatts räumte er ein, dass seine Vorstellungen „näher an dem liegen, was Camdessus vorgeschlagen hat“. Koch-Wesers Aussagen erläuterte das Handelsblatt wie folgt: „Die Meltzer-Kommission im US-Kongress tritt dafür ein, den Aufgabenbereich des IWF massiv zu reduzieren, das US-Schatzamt will den IWF zu einer Krisenfeuerwehr für die internationalen Finanzmärkte umrüsten, und der ehemalige IWF-Chef Camdessus wollte die sozialen Auswirkungen von IWF-Auflagen stärker berücksichtigt wissen. [6]

Damit wird ebenso deutlich, warum Camdessus seine Amtszeit vorzeitig beenden musste, wie erkennbar ist, dass Koch-Weser aufgrund seine konzeptionellen Nähe zu Camdessus niemals eine reale Chance auf dessen Nachfolge hatte.

Die Machtverhältnisse im IWF

Clintons ursprüngliche Rückendeckung für Koch-Weser, nationales Auftrumpfen Schröders oder einfach diplomatisches Ungeschick einer in der Politik der internationalen Organisationen unerfahrenen Bundesrepublik – was auch immer die Bundesregierung getrieben haben mag, Koch-Wesers Kandidatur trotzdem mit solcher Vehemenz zu betreiben – einmal auf diesen Zug aufgesprungen, konnte Sie nicht mehr zurück. Nachdem sie die übrigen EU-Staaten mit Zuckerbrot und Peitsche in ihr Boot gezwungen hatte, konnte auch die Europäische Union nicht mehr aussteigen und musste ihr Gesicht wahren. „Sie glauben doch nicht, dass sich Europa gestern Nachmittag auf einen europäischen Kandidaten verständigt hat und heute sagt, das sei nicht so“, gibt das Handelsblatt Hans Eichel wieder: „Es könne nicht sein, dass die Vereinigten Staaten erklären würden, wer der europäische Kandidat sei.“

Auch wenn der Generaldirektor traditionell von einem Franzosen gestellt wird, dominieren die USA den internationalen Währungsfond: „Der IWF ist zwar genossenschaftlich organisiert und hat eine demokratische Verfassung. Aber vor der Demokratie kommt beim IWF die Macht des Geldes. Zu den 298 Milliarden Dollar Kapital des Währungsfonds haben die USA 17,3 Prozent beigesteuert. Also verfügen sie auch über 17,3 Prozent der Stimmrechte im Exekutivdirektorium – ein Einfluss der ihnen bei bestimmten Entscheidungen eine Sperrminorität einräumt.“ Dazu gehören Änderungen der Statuten und – ganz wesentlich – Kapitalerhöhungen; beides erfordert Mehrheiten von 85 Prozent. Schließlich ist das Personal des IWF durch seinen Sitz in Washington über alle Hierarchieebenen hinweg auf naturwüchsige Weise amerikanisch geprägt. Darüber hinaus besetzt Amerika stets die Position des Chefvolkswirts.

Auf der anderen Seite kommen die USA nicht an der Tatsache vorbei, dass es die Europäische Gemeinschaft ist, die – sofern ausnahmsweise einmal an einem Strang ziehend – den größten Block innerhalb des IWF stellen. Zusammen erreichen die EU-Staaten entsprechend ihrer finanziellen Einlagen in den Fond 30,2 Prozent der Stimmen.

Dazwischen befindet sich ein breites Feld von Staaten, von denen keiner hegemoniefähig ist. Japan hält 6,3 Prozent der Fondanteile und kommt mit den übrigen asiatischen Staaten auf 15,8 Prozent, darunter Staaten mit völlig unterschiedlichen Interessen wie Indien und China. Afrika und der Nahe Osten kommen auf 13 Prozent, wobei die afrikanischen Staaten sich offenbar gerne entsprechend ihrer französisch oder englisch geprägten kolonialen Vergangenheit verhalten. Lateinamerika kann 6,6 Prozent in die Waagschale werfen. Die verbleibenden 17 Prozent verteilen sich auf alle anderen Mitgliedsstaaten des IWF. Nur die großen europäischen Staaten, die USA und Japan sind in der Lage, einen eigenen Exekutivdirektor zu benennen, der im Wahldirektorium vertreten ist. Die übrigen 177 Mitglieder schließen sich zusammen, um einen der restlichen neunzehn wahlberechtigten Exekutivdirektoren zu wählen. [7]

Der Showdown

Anlässlich der Kandidatur Koch-Wesers trat der europäische Block gegen die USA an, aber keiner spielte mit offenen Karten, sondern jeder zog hinter den Kulissen alle Register seines historisch gewachsenen Einflusses. Die USA hatten – mit britischer Hilfe – die englisch sprachigen afrikanischen Staaten dazu animiert, Stanley Fischer, als Gegenkandidaten zu küren, und die Washington Post erklärte ihren Lesern „Stans“ Problem mit den einfachen Worten: „Stan Fisher, who is supported by several developing countries, is highly regarded as the IMF‘s number two and de facto policy chief – clearly the best of the current candidates. But his American nationality would complicate the diplomatic task ahead of him: In much of the world, the IMF is regarded as an American tool.“ [8]

Um nicht den offenen Konflikt mit Europa zu suchen, hatten die USA immer wieder erklärt, sie würden sich nicht gegen einen von den Europäern gemeinsam nominierten Kandidaten stellen. So verbot es ihnen die Diplomatie ebenso, gegen Koch-Weser, wie für Fischer zu stimmen. Sie spekulierten auf eines der vielen ungeschriebenen Gesetze des IWF, nämlich die einstimmige Wahl eines Kandidaten, und enthielten sich der Stimme. Ihnen folgten Australien, Kanada, Russland, Saudi-Arabien, Indien und Brasilien. „Viele Exekutivdirektoren aus den Entwicklungs- und Schwellenländern hätten ihm bei den Washingtoner Gesprächen in der zurückliegenden Woche gesagt, dass sie bei der ersten Abstimmungsrunde unter massivem Druck der USA gestanden haben, entweder gegen ihn zu stimmen oder sich neutral zu verhalten“, gab Koch-Weser dem Handelsblatt an [9]. Stolz berichtet er, dass die „Länder des französischen Afrika geschlossen für ihn gestimmt hätten. Trotz des massiven Drucks der Amerikaner hätten sogar Länder, die geopolitisch besonders stark von den USA abhängig seien, den Mut gehabt, für den europäischen Bewerber Flagge zu zeigen, so die Türkei und Kasachstan.“ [10]

Doch das reichte nicht. Im Ergebnis erhielt Koch-Weser 43 Prozent der Stimmen, dass heisst immerhin 12,8 Prozent mehr als der EU-Block hergibt, Fischer 12 Prozent, darunter natürlich die englisch sprachigen afrikanischen Staaten, und der dritte – japanische – Kandidat mit 9 Prozent nicht einmal den asiatischen Anteil (China stimmte für Koch-Weser). Damit hatten die USA, auch ohne sich offen gegen den europäischen Kandidaten zu stellen, das gewünschte Ziel erreicht. Koch-Weser war nicht mehr haltbar.

Die Gegensätze der Europäer

Es wäre den USA schwerer gefallen, sich gegen eine geschlossene EU durchzusetzen. Doch wie üblich bestimmten die nationalen Interessen die Politik der EU-Mitgliedsländer, so stark sogar, dass das Handelsblatt in aller Deutlichkeit und mit unverhohlener Wut schrieb: „Bei der Kandidatenkür für die IWF-Spitze spielen unsere britischen und französischen Freunde ein mieses Spiel.“ [11]

Unter Berufung auf IWF-Quellen heisst es: „Seit dem EU-Gipfel in Helsinki wurden zwei Drehbücher zum Stück ‚Wie man den deutschen Kandidaten verbrennen kann‘ geschrieben (…): ‚Das eine wurde im Pariser Elyseé geschrieben, das andere – mit den Briten als Ko-Autoren – in der US-Treasury.“ [12] Während die britische Ko-Autorenschaft mit den US-Amerikanern angesichts der Special Relationship Großbritanniens nicht weiter verwundert, fehlt auf den ersten Blick ein Motiv der Franzosen. Ihnen war von den USA unter der Hand in Aussicht gestellt worden, dass sie den nächsten Weltbankchef stellen könnten. Und wenn es um Europa geht, ist den Franzosen das Hemd wie immer näher als die Hose.

Diese dumme Politik nationaler Alleingänge, von denen auch die Bundesrepublik nicht auszunehmen ist, barg die Gefahr, auch noch das Hemd zu verlieren, wie die Washington Post zurecht bemerkte: „The Europeans, who traditionally provide the IMF‘s leader, need to come up with a better candidate quickly. If they don‘t, they will deserve to lose their historical hold on the job.“ [13] Das Koch-Weser nicht der neue IWF-Direktor werden würde, war der Bundesregierung – nach einer beispiellosen internationalen Hetze gegen Koch-Weser und dem Umschwenken Clintons – auch vor der Abstimmung klar: „Doch das Abstimmungsergebnis für Koch-Weser machte es nach Auffassung im Bundeskanzleramt erst möglich, nach einem anderen Kandidaten aus Deutschland zu suchen.“ [14]

Dieser war durchaus nicht schwer zu finden, sondern lag förmlich auf der Straße. Bereits im Frühjahr 1998, als Bundeskanzler Kohl Horst Köhler für den Vorsitz der Osteuropabank nominierte, prognostizierte das Handelsblatt: „Wenn Köhler seine Aufgabe an der Spitze der Osteuropabank gut macht, wäre er nach vier Jahren noch jung genug für eine noch größere Aufgabe: nämlich im Jahre 2002 die Nachfolge des heute bereits 65-jährigen Franzosen Michel Camdessus an der Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF) anzutreten.“ [15] Als Osteuropaspezialist qualifizierte sich Köhler zudem für die Lösung des finanzpolitischen Weltproblems Nr. 1 – der russischen Krise, die zur Zeit nur durch den hohen Ölpreis verdeckt wird.

Warum also war Köhler nicht von Anfang an nominiert worden? Das CDU-Mitglied Köhler ist ein Mann Kohls, und seine Vorstellungen zu einer Reform des IWF unterscheiden sich von denen Koch-Wesers. Er steht den Positionen der Bundesbank näher, ist aber deshalb noch lange kein willfähriges Werkzeug der USA.

Die Luftblasen-Ökonomie der USA

In den USA hat sich der Aktien- und Finanzmarkt längst von seiner realen wirtschaftlichen Basis gelöst. Der amerikanische Boom ist ein Boom des unproduktiven Konsums – ein Boom auf Pump.

Alle Welt redet vom Haushaltsüberschuss der USA, der als Ergebnis dieses Booms auf Pump entstanden ist. Dabei wird übersehen, dass davon kein einziger Cent zum Abtragen der bestehenden Staatsschulden verwendet wird. So werden die Schulden des amerikanischen Staates von 5,7 Billionen Dollar [16], die weiterhin verzinst werden müssen, natürlich auch nicht geringer. Private Verbraucher und Unternehmen stehen dem Staat in Nichts nach. Während die Reallöhne stagnieren, lebt ein ganzes Volk von der Spekulation mit überbewerteten Aktien oder auf Kredit. Die besser gestellten Teile bedienen sich darüber hinaus einer Art Lotteriespiel der Reichen – der Hedge-Fonds oder anderer hoch risikoreicher Kapitalanlagen.

Während die US-Regierung weiterhin mit ihren angeblichen wirtschaftlichen Erfolgen hausieren geht, macht eine kommerzielle Vermögensberatung eine andere Rechnung auf [17]: „Die Vereinigten Staaten lebten seit 15 Jahren über ihren Verhältnissen. Gigantische Schulden seien die Basis des amerikanischen Wirtschaftswunders. Die Netto-Sparquote der privaten Haushalte sei dort inzwischen auf minus ein Prozent gesunken, im Vergleich mit Sparquoten von 10 Prozent in Europa beziehungsweise 16 Prozent in Japan. Es dauere nicht mehr lange, bis die Europäer und Japaner die gefährlichen Konsequenzen der Überschuldung Amerikas erkennen würden. Dann werde ihre Bereitschaft, den Konsumrausch der Amerikaner zu finanzieren, rapide abnehmen. Auch höhere Dollarzinsen seien dann kein Lockmittel mehr.

Auch die Verschuldung amerikanischer Unternehmen sei rasant gestiegen und habe sich in den vergangenen acht Jahren verdoppelt. Nur die Hälfte aller Firmenkredite flösse in sinnvolle Investitionen. Allein ins diesem Jahr würden rund 400 Milliarden DM für maßlos überteuerte Übernahmeschlachten ausgegeben. (…)

Hinzu komme das riesige amerikanische Leistungsbilanzdefizit von 300 Milliarden Dollar, ein Vergleich mit dem Leistungsbilanzdefizit in Fernost in Höhe von 80 Milliarden Dollar vor der zurückliegenden Währungskrise in dieser Region verdeutliche, welche Ausmaße die künftige Dollarkrise annehmen könnte. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten verfüge Europa über Leistungsbilanzüberschüsse von jährlich 100 Milliarden Dollar. Durch die riesigen Leistungsbilanzdefizite seien die Vereinigten Staaten von der größten Gläubigernation zum größten Schuldnerland der Welt geworden. Die Netto-Auslandsschulden seien inzwischen auf 2000 Milliarden Dollar angewachsen. Der amerikanische Wirtschaftsboom lebe buchstäblich von geborgtem Geld aus Europa und Japan (…).“

In das selbe Horn stößt Konrad Seitz, ehemaliger deutscher Botschafter in China: „Die Hochkonjunktur hänge vom Konsum auf Kredit ab; je länger sie dauere, um so steiler werde voraussichtlich der Absturz ausfallen. Seitz vergleicht die Lage in den Vereinigten Staaten mit der spekulativen Blase im japanischen Aktienmarkt Ende der achtziger Jahren (…). [18] Genauso äußerte sich auch Leonhard Fischer, Vorstandsmitglied der Dresdner Bank AG: „Die Amerikaner leben (…) seit Jahren weit über ihre Verhältnisse.“ [19]

Der IWF als Selbstbedienungsladen der Wall Street

Vor diesem Hintergrund muss die Auseinandersetzung um die Besetzung des IWF-Direktorenpostens gelesen werden. Die internationalen Finanzkrisen von Mexiko über Asien zu Russland beinhalteten für die USA jedesmal die Gefahr des Platzens ihrer eigenen Spekulationsblase. Sie haben daher in diesen Krisen mit IWF-Hilfe eilige Kreditpakete geschnürt: „(…) es waren die Amerikaner, die mit ihrem Manager für globale Krisen, Larry Summers, den Währungsfonds in den Finanzkrisen von Mexiko und Asien zum Schutz der Interessen der Wall Street instrumentalisiert hatten. Die dem IWF-Management vom US-Schatzamt aufgezwungenen gigantischen Stützungspakete wurden von den Deutschen als folgenschwere Fehlentwicklungen kritisiert. Denn sie haben den monetären Charakter des Fond untergraben und jahrelang falsche Signale an die Märkte gegeben.“ [20]

Anstatt aber diese Pakete aus den zum Himmel stinkenden Gewinnen der Hegde-Fonds, Banken und sog. institutionellen Anlegern zu finanzieren, wurden hierfür IWF-Kreditlinien, also letztlich Gelder der Steuerzahler der Mitgliedsstaaten, eingesetzt: „Auf den ersten Blick sehen vor allem die aus dem US-Schatzamt kommenden Reformvorschläge so aus, als ob ein IWF-Veteran wie Ex-Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer dabei die Feder geführt hätte. Die Deutschen rennen seit Jahren gegen immer gewaltigere Stützungspakete für Krisenländer an und verlangen eine stärkere Einbindung des privaten Sektors. [21]

Doch US-Finanzminister Summers denkt nicht daran, seine Freunde aus der Wall Street durch die Forderung zu verprellen, für den Schaden aufzukommen, den sie anrichten. Summers war es, der der Debatte über eine Reform des IWF Mitte Dezember letzten Jahres neue Schärfe gegeben hatte. Ausgangspunkt seines damaligen Vortrags vor der London School of Business [22] war: „The framing new reality of the late 20th century global financial system is that the private sector is the overwhelming source of capital for growth. (…) the role of the public sector increasingly shifts from providing finance to providing a framework. (…) The IMF cannot expect its financial capacity to grow in parallel with the growth of private sector capital flows.“ [23]

Nach dieser Analyse ergibt sich von selbst, dass der IWF kürzer treten und sich auf seine „Kernkompetenzen“ beschränken soll: „International financial institutions, no less than private companies, need to focus on core competencies.“ [24] Und diese „Kernkompetenz“ sieht Summers natürlich entsprechend der US-Interessen in der Funktion des IWF, den großen Crash zu verhindern: „It can and must be in the front line of the international response to financial crises. (…) The IMF must be a last (…) resort (…) a backstop (…) to private sector finance.“ [25] Dass heisst, der IWF soll seine knappen Ressourcen darauf konzentrieren, die Interessen der Wall Street auch in Finanzkrisen zu wahren.

Man sucht lange nach einer Stellungnahme zur „Einbindung des privaten Sektors“ in Summers Text und findet schließlich die fast schüchterne Aussage: „Where possible (!), the official sector through its conditionality should support approaches (…) that enable creditors to recognize their collective interest in maintaining positions, despite the individual interest in withdrawing funds. Such agreements should have the maximum feasible degree of voluntarism (!), (…)“ [26]

Der Kölner Weltwirtschaftsgipfel von 1999, dessen Beschlüsse darüber hinaus eher auf eine Stärkung des IWFs hinausliefen [27], hatte demgegenüber deutlich auf verschiedene Wege zur Einbindung des privaten Kapitals abgehoben. Wenn man bedenkt, dass die G7 bei ihrem Treffen in Tokio am 22. Januar 2000 noch einmal die Beschlüsse des Kölner Weltwirtschaftsgipfels bekräftigt haben, wird deutlich, dass hier ein entscheidender Gegensatz zwischen den USA und den übrigen Mitgliedern der G7 liegt. Im Abschlusskommunique heisst es: „We will continue to work to achieve solid progress in implementing the wide range of reforms endorsed at the Cologne Summit, including ways to ensure private sector involvement in forestalling and resolving crisis.“ [28]

Die USA haben nichts unternommen, um diese Beschlüsse umzusetzen: „Schließlich läuft die vordergründig im Interesse des amerikanischen Steuerzahlers geführte Reformdebatte über IWF und Weltbank auf ein grandioses Ablenkungsmanöver zu Gunsten der Wall-Street-Interessen hinaus: Mit dem Washingtoner Reformwirbel kann verdeckt werden, dass die USA die Umsetzung eines großen Teils der auf dem Kölner Weltwirtschaftsgipfel beschlossenen Modernisierungsarbeiten an der internationalen Finanzarchitektur im Präsidentschaftswahljahr auf Eis gelegt haben.“ [29]

Clinton hatte seine eigenen Gründe auf die Linie von Summers einzuschwenken: „Es geht um Wahlkampfmillionen aus Wall Street für den Präsidentschaftskandidaten Gore. Weder packt das US-Schatzamt die auf höchster politischer Ebene der G7 beschlossene stärkere Kontrolle der Offshore-Finanzplätze an, noch wagt man es, die wieder das große Rad drehenden Hedgefonds an die Kandare zu legen.“ [30]

Wer wird das Finanzkapital zähmen?

Die Auseinandersetzung um die Besetzung des IWF-Direktorenpostens hat gezeigt, dass in der Weltpolitik nichts ohne die US-Amerikaner geht. Sie hat aber ebenso gezeigt, dass die USA die Interessen Europas nicht einfach beiseite schieben können. Köhler ist zunächst einmal im Amt, und er wird versuchen, dort deutsche Interessen durchzusetzen. Seine Linie zeichnet sich ab: Anders als Koch-Weser trifft er sich mit Summers – und dem US-Kongress [31] – in der Auffassung, dem IWF die Flügel zu stutzen: „Der IWF müsse sich auf die Verhinderung künftiger Krisen konzentrieren. Das ist schon deutlich in Richtung US-Kongress formuliert.“ [32]

Er wird damit aber nicht die Politik des US-Kongresses machen, sondern den deutschen Anspruch auf „‘Einbindung des privaten Sektors‘ vertreten: Horst Köhler kann den europäischen Anspruch auf die IWF-Spitze nur dauerhaft legitimieren, wenn er den Spielraum für Reformen nutzt. Die Einbindung des Privatsektors in Krisenprävention und Krisenlösungen ist schließlich keine amerikanische Erfindung, sondern wurde jahrelang vom ehemaligen Bundesbankpräsidenten Horst Tietmeyer gepredigt. Hier steckt das Reformpotenzial, mit dem die allzu durchsichtige amerikanische Kritik an der Dominanz der Europäer beim IWF zum Schweigen gebracht werden kann.“ [33]

Die IWF-Frühjahrstagung am 16. und 17. April 2000 in Washington wird noch ohne Köhler stattfinden. Beschlüsse zur Reform des IWF werden daher erst für die Herbsttagung erwartet. „Die härteste Nuss im Reformpaket bleibt die Beteiligung der Privatwirtschaft an der Krisenverhinderung und –überwindung.“ [34] und man wird bis zum Herbst wissen, ob es tatsächlich Schritte zur Zähmung des Finanzkapitals geben wird. Der Leiter der Forschungsgruppe Internationaler Kapitalverkehr am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, Peter Nunnenkamp, glaubt nicht, dass es dazu kommt: „Europa sei isoliert, vor allem die USA lehnten die Beteiligung Privater im Krisenfall ab. ‚Die nächste Krise wird genauso ablaufen wie die jüngsten‘, (…)“. [35]

Anders als der bürgerliche Politiker Köhler, haben Kommunisten nicht die Aufgabe, das Finanzkapital der USA zu zähmen. Ihre Forderung muss daher lauten: Keinen Pfennig für den Selbstbedienungsladen des amerikanischen Finanzkapitals. Austritt Deutschlands aus dem IWF!

Links

Anmerkungen

  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. März 2000
  2. Handelsblatt vom 7. März 2000
  3. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. März 2000
  4. ebd.
  5. Die Meltzer-Kommission wurde von der republikanischen Mehrheit des US-Kongresses mit der Erstellung eines Berichts über den IWF und entsprechender Empfehlungen beauftragt, der Anfang März vorgelegt wurden. Siehe auch Fußnote 31.
  6. Handelsblatt vom 7. März 2000
  7. ebd.
  8. (Stan Fisher, der durch verschiedene Entwicklungsländer unterstützt wird, wird als Nummer Zwei des IWF und dessen de facto-Chef angesehen – ganz offensichtlich der beste der konkurrierenden Kandidaten. Aber seine amerikanische Nationalität würde die diplomatischen Aufgaben, die vor ihm stehen, erschweren. In großen Teilen der Welt wird der IWF als ein Instrument Amerikas angesehen.) Washington Post vom 2. März 2000, Page A 18 der Internetausgabe (http://www.washingtonpost.com)
  9. Handelsblatt vom 7. März 2000
  10. ebd.
  11. Handelsblatt vom 1. März 2000
  12. Handelsblatt vom 2. März 2000
  13. (Die Europäer, die traditionell den Führer des IWF stellen, müssen schnell mit einem besseren Kandidaten herauskommen. Wenn sie das nicht tun, verdienen sie, ihren historischen Anspruch auf diesen Posten zu verlieren.) Washington Post vom 2. März 2000, Page A 18 der Internetausgabe (http://www.washingtonpost.com)
  14. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. März 2000
  15. Handelsblatt vom 9. März 2000
  16. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. Januar 2000
  17. PSM wird hier zitiert, weil sie die Lage so prägnant formuliert, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. Oktober 1999.
  18. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24. Januar 2000. In diesem Artikel werden weitere Quellen mit ähnlichem Tenor angeführt.
  19. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5. Januar 2000
  20. Handelsblatt vom 7. März 2000
  21. Handelsblatt vom 15. März 2000
  22. The Right Kind of IMF For A Stable Global Financial System, http://www.ustreas.gov/press/releases/ps294.htm
  23. (Die neue und alles bestimmende Realität des globalen finanziellen Systems im späten 20. Jahrhunderts ist die Tatsache, dass der private Sektor die überwältigende Quelle des Wachstumskapitals ist. (…) die Rolle des öffentlichen Sektors wechselt in zunehmendem Maße von der Zurverfügungstellung von Kapital zur Zurverfügungstellung der Rahmenbedingungen. (…) Der IWF kann nicht erwarten, dass seine finanziellen Kapazitäten parallel zum Wachstum der privaten Kapitalflüsse anwachsen.)
  24. (Internationale Finanzinstitutionen müssen sich nicht anders als private Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren.)
  25. (Er kann und muss in vordersten Front internationaler Antworten auf Finanzkrisen stehen. (…) Der IWF muss eine letzte (…) Zuflucht (…) ein Auffanggitter (…) für den privaten Finanzsektors sein.)
  26. (Wo dies möglich ist (!), soll der öffentliche Sektor mit seinen Mitteln Ansätze unterstützen (…) die es Gläubigern ermöglichen, ihr kollektives Interesse zu erkennen, trotz ihres individuellen Interesses Gelder abzuziehen, in Positionen zu bleiben. Solche Vereinbarungen sollten den maximal möglichen Grad von Freiwilligkeit (!) haben, (…).)
  27. Jens van Scherpenberg, Re-Regulierung der internationalen Finanzmärkte?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 49/99 vom 3. Dezember 1999, S. 23 (Die dort angegebene Internetadresse www.g-8.de führt zwar immer noch zur Homepage der Bundesregierung, die Seite mit dem Bericht der Finanzminister wird dort aber nicht mehr gehostet.)
  28. (Wir werden die Arbeit daran fortsetzen solide Fortschritte dabei zu erzielen, die weite Bandbreite der beim Kölner Gipfeltreffen gut geheissenen Reformen in die Praxis umzusetzen, einschliesslich der Wege die Einbindung des privaten Sektors in die Vorbeugung und Lösung von Krisen sicherzustellen.) Statement of G-7 Finance Ministers and Central Bank Governors, Tokyo, January 22, 2000: http://www.ustreas.gov/press/releases/ps347.htm
  29. Handelsblatt vom 15. März 2000
  30. ebd., unter „Off-shore-Finanzplätzen“ werden Finanzmärkte verstanden, die keinen nationalen Kontrollen unterliegen, wie z. B. der sog. Euro-Markt.
  31. Der US-Kongress vertritt eine Linie, die sich mit Summers Position berührt, aber anders motiviert ist. Während Summers das Spiel des Finanzkapitals betreibt, argumentiert der Kongress populistisch, das Geld des US-amerikanischen Steuerzahlers würde durch den IWF nutzlos verschleudert. Allan Meltzer, der die vom US-Kongress beauftragte Expertenkommission leitete, greift Summers sogar direkt an: „durch die Beschränkung des IWF auf konditionierte Kurzfristkredite werde auch der Einfluss des US-Finanzministeriums auf die Institution verringert. Nicht nur die Mexiko-Krise zeige, dass die Möglichkeit zu Einfluss und Missbrauch gegeben sei. Damals war unter Druck des US-Treasury ein Hilfspaket geschnürt worden, dass vor allem US-Banken zugute kam. Dem will die Kommission einen Riegel vorschieben.“ (Handelsblatt vom 20. März 2000) Unter den Kongressabgeordneten finden sich auch nationalistische Politiker, die den IWF am liebsten ganz abschaffen würden und sich aus diesen Gründen hinter die Reformdebatte klemmen: „Chauvinistischen Politikern wie Helms passt nicht, dass eine internationale Organisation mit amerikanischem Geld in der eigenen Hauptstadt arbeitet, ohne dass die USA die vollständige Kontrolle haben.“ (Handelsblatt vom 7. März 2000).
  32. Handelsblatt vom 20. März 2000
  33. ebd.
  34. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. April 2000
  35. Financial Times Deutschland vom 6. April 2000, Internetausgabe (http://www.ftd.de/iwf)

Zuerst veröffentlicht in: Kommunistische Zeitung, 3. Jg., Nr. 10., März 2000

Letzte Änderung: 21.03.2016