Der Ukraine-Krieg und die Aufgaben der Kommunisten
Eine Kritik von N.N., 2.8.2023 (Auszüge)
Liebe Genossen,
angesichts des derzeitigen Zustandes der deutschen Linken habe ich lange gehadert, diese Kritik zu versenden. Nicht nur die aggressive Reaktion auf die von Heiner angestoßene Diskussion zum Versagen der deutschen Linken 1952/53, sondern auch der Dogmatismus und das Unverständnis einer materialistischen Dialektik auch unter jungen Genossen haben mich doch stark verunsichert. Nichtsdestotrotz scheint es mir doch wichtig, und sei es nur unter uns, einige wesentliche Fragen zu klären. Ich überlasse es explizit euch, inwieweit diese Randbemerkungen meinerseits einem größeren Kreis zugänglich werden oder nicht.
Mit der von euch propagierten Äquidistanz – oder bei euch revolutionärer Defätismus – katapultiert ihr euch, wie auch in der Kritik von A. Reiterer erwähnt, soeben in die politische Bedeutungslosigkeit. Nicht in dem Sinne, dass ihr euch damit in der BRD ins Abseits stellt, nein, diese Position ist mehrheitsfähig, sie liefert allerdings keinerlei Handlungsperspektive. Auf fatale Weise ähnelt diese Position der der MLPD oder der KO/ML, was nicht bedeuten soll, dass die Grundlagen, aus denen sich die Position entwickelt, gleich oder ähnlich sei.
Allerdings ergeben sich aus beiden Positionen vergleichbare Handlungsmöglichkeiten, eben keine. Die diesbezügliche Position der KO/ML bzw. MLPD, die ursprünglich aus der KKE entspringt, rekurriert auf die Leninsche Imperialismusschrift, insbesondere auf die dort aufgeführten fünf Merkmale des Imperialismus und ist meinem Verständnis nach eine dogmatische Position, mit der man sich eben eine konkrete Analyse der konkreten Verhältnisse ersparen will. Diese Position stellt fest, dass heutzutage alle kapitalistischen Länder, da sie in das Stadium des Monopolkapitalismus eingetreten sind, als imperialistisch definiert werden müssen. (…)
Der Vorteil einer solchen Position ist sicherlich, dass sie für große Bereiche des linken BRD-Spektrums bis weit in die Bewegungslinke hinein kompatibel ist, ihr Nachteil ist jedoch, dass sie handlungsunfähig macht, wenn man nicht Allgemeinplätze wie: „Es ist notwendig, die Waffen auf die Kriegsregierungen zu richten, um den imperialistischen Krieg zwischen den Völkern in einen Bürgerkrieg zwischen den Klassen zu verwandeln.“ als Handlungsaufforderung versteht. (…)
Kommunisten haben nicht die Aufgabe, die Welt verschiedentlich zu interpretieren, sondern sie zu ändern. Angelehnt an den Thesen zu Feuerbach intendiert dies, dass ein Begreifen der Welt, also eine tiefes Verständnis rein anschauend „theoretisch“ nicht möglich ist. Erst die Praxis, das verändernde Eingreifen bietet die Möglichkeit der Erkenntnis. Insofern sind auch historische Betrachtungen zu vergangenen gesellschaftlichen Ereignissen nur zielführend, wenn sie das Verständnis der aktuellen Wirklichkeit vertiefen/erleichtern und Handlungsmöglichkeiten eröffnen. (…)
Dabei sollte allerdings beachtet werden, dass in vielen Regionen ein Krieg gegen die NATO, die dort als Inbegriff einer imperialistischen Organisation erfahren wird, nicht unbedingt ein imperialistischer ist. Zudem sollte vielleicht in diesem Zusammenhang überlegt werden, ob nicht auch die unterschiedlichen Ursprünge der Kapitalismen (vgl. „Asiatische, feudale oder kapitalistische Gesellschaft?“) und eine daraus resultierende andere Gesellschaftlichkeit durch den Begriff des Imperialismus überdeckt werden.
Es ist bei Kriegen auch immer eine nicht unwesentliche Frage, zu welchem Zweck und aus welchen Gründen sie geführt werden, beides kann voneinander abweichen. Eine derartige Analyse wurde bislang durch die unsägliche Imperialismusdebatte erfolgreich vermieden, was richtigerweise von euch an verschiedenen Stellen kritisiert wurde. Euer Ansatz jedoch, auch noch sehr weit von einer Analyse entfernt, bleibt dabei wenn auch in anderer Form ebenso an der Oberfläche.
Ich kann ein Ding oder einen Sachverhalt nicht danach beurteilen, was er sich selbst dünkt. Insofern ist es müßig, den Krieg oder gar die Kriegsgründe danach zu beurteilen, was ein Herr Putin, eine Frau Baerbock oder ein Herr Biden dazu meinen. Wichtig sind die materiellen Bedingungen, die von beiden Seiten aus eine derartige Auseinandersetzung nötig machen. Dies gilt im vorliegenden Fall für alle beteiligten Seiten. (…)
International wird das russische Vorgehen schon allein deshalb nicht nur von Regierungen, sondern häufig von den Bevölkerungsmehrheiten goutiert, weil diese in den letzten Jahrzehnten von der Erfahrung geprägt sind, vom Wertewesten als Büttel behandelt zu werden. Zum ersten Mal scheint jemand den Mut zu haben, dieser ungebetenen Vormundschaft etwas entgegen zu setzen. „Wenn ihr Ärger wollt – ok, dann kommt doch“. Dies ist die Welle, auf der Russland zur Zeit surft. Ob Saudis oder Chinesen, Iraner, Brasilianer uva. – es finden sich immer mehr Nationen die mit Zustimmung ihrer Bevölkerungen eigene Souveränität einfordern. Das dies für das Proletariat dieser Nationen eine Verbesserung der Kampfbedingungen darstellt, muss ich hier denke ich nicht weiter ausführen.
An dieser Stelle vielleicht eine kurze Bemerkung zu dem Schlagwort der sogenannten multipolaren Weltordnung. Fraglos ist dies ein bürgerliches Projekt, welches weder dauerhaften Frieden oder gar eine sozialistische Revolution intendiert. Für viele Nationen steht letzteres aber ebensowenig auf der Tagesordnung wie 1918 in Deutschland. Für weite Teile des internationalen Proletariats steht erst einmal die Erlangung einer nationalen Souveränität auf selbiger. Wenn mir ein indischer Genosse erklärt, dass der Hauptfeind in seiner agrarisch geprägten Heimat das internationale Kapital ist, ist dies eben noch sehr weit entfernt von einem Kampf für die Diktatur des Proletariats. An sich hätte jedem dialektisch denkendem Kommunisten seit den zwanziger Jahren klar sein müssen das zwischen den kapitalistischen Hauptmächten GB, USA, Frankreich zu denen sich seit 1945 Deutschland und Japan hinzu gesellt haben und dem im Verhältnis ohnmächtigen oder unterworfenen abhängigem Rest der Welt ein Widerspruch besteht. Dieser Widerspruch hat verschiedene Verlaufsformen erfahren, an denen die SU nicht ganz unbeteiligt war, aber spätestens seit der Jahrtausendwende ist klar, dass er zu einer gewaltsamen Lösung drängt. Speziell die Situation nach dem Zusammenbruch der SU musste notwendig ihren dialektischen Widerspruch zum US-Imperium erzeugen. Dass die deutsche Linke, anders als ihr bürgerlicher Gegenpart, diese Frage weitgehend ignoriert hat, oder sie mit Revolutionsromantik versucht hat zu beantworten, fällt ihr soeben auf die Füße. (…)
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, der in eurer Argumentation unklar bleibt. Ihr geht, soweit ich euch verstehe, davon aus, die BRD hätte im Normandieformat als ehrlicher Vermittler agiert, da eine friedliche Zusammenarbeit mit Russland und die damit garantierten Konkurrenzvorteile zu erhalten seien. Erst durch amerikanisches Hintertreiben hätte sie ihre Position um 180 Grad gedreht. Dies erscheint mir angesichts der derzeitigen Machtkonstellation ökonomisch als auch gesellschaftlich und militärisch eine gewagte These. (…)
Wahrscheinlicher erscheint mir, dass die zunehmende Stärke Russlands und seine Hinwendung nach Osten sowie in den arabischen Raum der Grund für die Änderung der deutschen Außenpolitik war. Ich möchte hier mal die These aufstellen, daß das Bürgertum in der Ukrainefrage gespalten ist. Dies betrifft die BRD-Bourgeoisie, findet aber auch international innerhalb des Wertewestens seine Entsprechung. International lassen sich die Linien als Konfrontationslinie vs. Erhaltung bzw. Ausbau des Status Quo beschreiben. Die in der BRD oft benannten Atlantiker stützen sich auf eine Fraktion des US-Kapitals, die z.Z. durch Biden repräsentiert wird, nicht etwa auf die Trumpfraktion, aber auch nicht auf die Fraktion, als deren Sprecher sich im Moment R.F. Kennedy hervortut. Die Konfrontationslinie, denen in der BRD vor allem die Grünen und die FDP zuzurechnen sind (der deutsche Liberalismus), sehen in der internationalen Entwicklung, die seit der Jahrtausendwende eingesetzt hat; Aufstieg verschiedener Schwellenländer des pazifischen und arabischen Raums, eine Bedrohung, die keine Verhandlungsoptionen bietet, sondern eine Politik der Stärke erfordert. Es ist das gesamte Geschäftsmodel des Wertewestens und nicht nur der USA, welches hier zur Disposition steht. Gleichzeitig sehen sie sich in der Position, diese Stärke auch exekutieren zu können. (…)
Die Fraktion der Zusammenarbeit mit Russland hat insbesondere durch die Hinwendung Russlands nach Osten und Süden und die damit einhergehende politische und ökonomische Stärkung eine Gefahr erkannt, der dringend begegnet werden muss. Diese Gefahr war für alle Fraktionen virulent, da mit einer Stärkung Russlands eben auch die billige Energie von dort sich sukzessive verteuern würde. Der Minskprozess wurde demnach nicht nur von einer Fraktion der US Bourgeoisie bekämpft und unterlaufen, sondern ebenso durch eine maßgebliche Fraktion des BRD und des europäischen Bürgertums.
Der Konsens mit Russland wurde nicht wegen der Ukraine aufgekündigt, sondern der Dissens an der Ukrainefrage endgültig und öffentlich exekutiert. Es ist keine Frage, dass diese Politik der Stärke sich nicht nur gegen Russland, sondern gegen die gesamte BRICS richtet, was diesen offensichtlich auch klar ist. An Russland soll ein Exempel exekutiert werden. Etwas, was in der BRD vor allem die Außenministerin zum Ausdruck bringt.
Russland ist insofern ein wichtiger Baustein, als dass es die einzige Nation auf diesem Globus ist, die über die Potenz verfügt, die USA militärisch zu bedrohen. Weder die BRD mit ihrer lächerlichen Flotte noch Frankreich mit seiner farce de flop stellen sind in der Lage, das US-Imperium zu bedrohen. China könnte vielleicht in zehn Jahren soweit sein, aber genau das gilt es für den Wertewesten eben zu verhindern.
Insofern ist herauszuarbeiten das dieser Krieg verschiedene Fronten bzw. Stoßrichtungen hat. In der BRD-Linken wird er oftmals als das Vorspiel einer US Aggression gegen China gesehen, was sich aber mehr und mehr als Fehleinschätzung herausstellt. Sicherlich ist dieser Krieg von US-Seite eine Drohung gegenüber China, spielt diesen aber in die Hände, da er die potentielle Fähigkeit der USA zur Kriegsführung mehr und mehr erschöpft. Sie liefern schon geächtete Streugranaten weil andere Munition nicht mehr verfügbar ist. Die Fraktion um Biden will keinen Krieg gegen China. Sie will mit diesem Krieg eine Drohkulisse aufbauen vor allem gegen die schwächeren Teilnehmer der BRICS.
Der Hauptgegner in dieser Auseinandersetzung ist die BRICS. Ebendies ist auch das verbindende Element, das den Wertewesten zu einer Kriegspartei formiert. Dass dieser Krieg sich in den USA nur durchsetzen ließ, wenn für das US-Kapital auch kurzfristig etwas dabei herausspringt, was in diesem Fall leider auf Kosten der Europäer ging, wird hierzulande oftmals weder wahrgenommen noch verstanden.
Mir ist klar, dass eine detaillierte Analyse dieses Sachverhaltes eine sehr komplexe Aufgabe ist, die von einer einzelnen Person oder auch von zweien kaum zu leisten ist. Eben deshalb könnte die AzD zum Zentrum dieser Arbeit werden, da zumindest die ehem. Strukturen einen erweiterten Diskutantenkreis und eine notwendige Arbeitsteilung ermöglichen.
mit solidarischen Grüßen
Genosse N.N.
Antwort von A. Schröder
Werter Genosse N.N.
anbei einige Anmerkungen zu Deinen Ausführungen, in denen Du sowohl die Weltlage kommentierst als auch versuchst, zu den aktuellen Aufgaben der Kommunisten Stellung zu nehmen.
1. Die heutigen Aufgaben der Kommunisten in Deutschland
Du schreibst: „Mit der von euch propagierten Äquidistanz, oder bei euch revolutionären Defätismus, katapultiert ihr euch … in die politische Bedeutungslosigkeit. Nicht in dem Sinne, dass ihr euch damit in der BRD ins Abseits stellt, nein diese Position ist mehrheitsfähig, sie liefert allerdings keinerlei Handlungsperspektive. Auf fatale Weise ähnelt diese Position der der MLPD oder der KO/ML, was nicht bedeuten soll, dass die Grundlagen aus denen sich die Position entwickelt, gleich oder ähnlich sei.
Allerdings ergeben sich aus beiden Positionen vergleichbare Handlungsmöglichkeiten, eben keine.“
Mit unserer Position des „revolutionären Defätismus“ würden wir uns – wie Du formulierst – „in die politische Bedeutungslosigkeit (katapultieren)“. Dies ist eine Feststellung, mit der Du uns wenig schrecken kannst, denn in der „politischen Bedeutungslosigkeit“ befinden wir uns und alle anderen sich kommunistisch oder radikal links verstehenden Organisationen seit langem und zwar ganz ohne Katapult. Dies zu leugnen wäre wirklichkeitsfremd, obwohl die revolutionären Linken diese Tatsache weitgehend ignorieren. In engen und teils bereits obskuren Nischen, an den Randzonen tatsächlicher gesellschaftlicher Bewegungen, da agiert die verbliebene revolutionäre Linke, versucht Einfluss zu gewinnen, macht sich aber mit ihren Parolen fortwährend unglaubwürdiger und überflüssiger, ohne trotz aller Aktivitäten an tatsächlicher politischer Bedeutung zu gewinnen. Diese Entwicklung ist das Ergebnis ihrer gänzlich verfehlten Politik, die in einer ebenso untauglichen Interpretation der revolutionären Theorie wurzelt.
Der Kommunismus ist in Deutschland (und nicht nur in Deutschland) keine politische Kraft mehr, sondern eine ideologische Strömung auf sehr unsicherem theoretischem und politischem Fundament. Diese Strömung ist – ich betone es nochmals – heute politisch bedeutungslos. Nur sind die Kommunisten und radikalen Linken, genauso wenig bereit, dies offen einzugestehen, wie Du, Genosse N.N.
Die Anerkennung der Tatsache der politischen Bedeutungslosigkeit ist allerdings die erste Voraussetzung, um zu einer korrekten Aufgabenbestimmung der Kommunisten zu gelangen, konkret: das benannte „unsichere theoretische und politische Fundament“ zu beseitigen und es durch tragfähige Inhalte zu ersetzen, die auf dem Boden der revolutionären marxistischen Theorie und Methode zu erarbeiten sind.
Gerade daran arbeiten wir mit unzureichenden Kräften – da die Mehrzahl der Kommunisten und revolutionären Linken politische Handlungsmöglichkeiten suchen, anstatt die heute nicht vorhandenen Voraussetzungen solcher Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft zu schaffen, nämlich theoretische Klarheit über das Scheitern des Kommunismus im letzten Jahrhundert zu gewinnen. Wie weit wir damit gekommen sind, kann man unseren Publikationen entnehmen.[1]
Der Versuch, ohne diese gesicherten theoretischen und politischen Positionen massenwirksame Politik in gesellschaftlichen Bewegungen zu betreiben, führt unweigerlich zur Übernahme bürgerlicher und kleinbürgerlicher Positionen (MLPD) und/oder zum Bruch innerhalb der eigenen Organisation (siehe Linkspartei, DKP, KO).
2. Unbegründete Behauptungen
Du stellst in obigem Zitat die Behauptung auf, dass unsere Position des revolutionären Defätismus in Deutschland „mehrheitsfähig“ sei. Einen Beleg für diese gewagte These lieferst Du nicht. Mehrheitsfähig war bisher die Unterstützung der Nato-Kriegspolitik in der Ukraine. Laut aktuellen Umfragen gäbe es – was ich nicht so recht glaube – noch immer eine knappe Mehrheit für diese Position. Diese „Mehrheit“ verflüchtigt sich gerade auf Grund der enormen ökonomischen Belastungen, die diese Kriegspolitik der deutschen Bevölkerung abverlangt und der mit immer längerer Kriegsdauer wachsenden Skepsis an der NATO-Politik in Osteuropa und der Ukraine. An die Stelle der offenen Kriegsunterstützung der vergangenen Monate tritt bei wachsenden Teilen der Bevölkerung die kleinbürgerlich-pazifistische Forderung nach Waffenstillstand und baldigem Frieden, zumeist ohne nähere inhaltliche Füllung, wie dieser Frieden aussehen soll.
Was haben diese gerade beschrieben „Mehrheitsmeinungen“ mit unseren Positionen nach einem „Frieden auf dem Boden des Selbstbestimmungsrechts der Völker und Nationen“, sowie unserer Forderungen nach einem deutschen Austritt aus der Nato, sowie „NATO raus aus Deutschland“ zu tun? Nicht einmal Du – geschweige denn ein nennenswerter Teil der deutschen Bevölkerung – teilt diese Position. Und erst recht nicht die von Dir angeführte MLPD.
„Auf fatale Weise ähnelt diese Position“ – gemeint sind die Auffassungen von Heiner Karuscheit und mir zum Ukraine-Krieg – denen „der MLPD“, schreibst Du. Besagte Partei hat ihre Positionen in einer Broschüre des ZK ausführlich formuliert. Siehe: https://www.mlpd.de/broschueren/der-ukrainekrieg-und-die-offene-krise-des-imperialistischen-weltsystems Wo findest Du dort auch nur einen Hauch von Ähnlichkeit zu unseren Positionen? Dieselbe Übernahme von NATO-Positionen, die ich bereits im vergangenen Jahr kritisiert hatte, siehe Der Ukraine Krieg: Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen und seine Kritiker – Kommunistische Debatte (kommunistische-debatte.de).[2] Ebenso finden wir bei der MLPD die unsinnige Forderung nach „Auflösung der NATO“ (eine alte Gysi-Forderung, um ehedem die Aufnahme der Forderung nach einem deutschen Austritt aus der NATO in der Programmatik der Linkspartei zu verhindern).
Die Forderung nach der Auflösung der NATO ist deshalb in der Linken so beliebt, da sie weder in der Politik noch bei den politischen Akteuren einen konkreten Adressaten hat, sie benennt keinen Staat oder sonstige Zielgruppen, die diese NATO auflösen sollten oder können. Sie zielt damit ins Leere. Durch ihre Abstraktheit versucht sie, die konkrete Forderung eines deutschen Austritts aus der NATO und des Abzugs der NATO aus Deutschland, eine Forderung die direkt an die deutsche Bourgeoisie gerichtet ist, zu umgehen. Sie ist ihrem Wesen nach eine kleinbürgerlich-reformistische Losung, die die deutsche Bourgeoisie „aus der Schusslinie nimmt“ und in der politischen Praxis dem Erhalt der NATO dient.
Dieser Einschub zur MLPD hat nicht die Absicht, deren Programmatik gründlich zu kritisieren, sondern die in jeder Hinsicht unbelegte Behauptung, dass unsere politischen Positionen auch nur Ähnlichkeiten mit diesen kleinbürgerlichen und undurchdachten Parolen aufweisen, zu widerlegen. Man gewinnt den Eindruck, dass Du versuchst, unsere politischen Positionen im Geiste des „linken Mainstreams“ zu interpretieren.
USA – China
Ein weiteres Beispiel für eine unbegründete Behauptung ist Deine Position zum US-China Konflikt. Du kritisierst die Linke und schreibst: „In der BRD-Linken wird er“ (gemeint ist der Ukraine-Krieg) „oftmals als das Vorspiel einer US-Aggression gegen China gesehen was sich aber mehr und mehr als Fehleinschätzung herausstellt. … Die Fraktion um Biden will keinen Krieg gegen China. Sie will mit diesem Krieg eine Drohkulisse aufbauen vor allem gegen die schwächeren Teilnehmer der BRICS.“ Wo Genosse, sind dafür die Belege? In Deinem Text sind sie nicht zu finden.
In der letzten Nummer der AzD (Nr. 96) wurde ein Artikel des Genossen Werning veröffentlicht, der sich mit der an Fahrt aufnehmenden Einkreisungspolitik der USA gegen China beschäftigt. Dort wird die Bündnis- und Militärpolitik der USA im pazifischen Raum zur Isolierung Chinas konkret dargestellt und durch Fakten dokumentiert. Diese Außenpolitik und die sie begleitende militärische Aufrüstung der USA muss nicht zwangsläufig zu einem Krieg mit China führen – das ist immer eine politische Entscheidung, die eine Übereinstimmung bestimmter politischer Interessen, gesellschaftlicher Stimmungen und konkrete Anlässe voraussetzt – aber die gesamte Richtung der US-Politik geht nicht in Richtung auf Deeskalation in diesem Raum, sondern heizt die bestehenden Konflikte an.
Könnte es nicht vielmehr sein, dass die USA im Pazifik die Absicht haben, das Modell des Ukraine-Krieges zu kopieren? Diesmal sind es nicht die Russen in der Ostukraine, sondern die Chinesen in Taiwan – jeweils ungelöste nationale Fragen – die einen Kriegsgrund liefern sollen. Und, nehmen wir das Modell des Ukraine-Krieges, dann soll dieser Krieg wiederum hauptseitig von den Verbündeten der USA geführt werden. Allen voran Taiwan, auf dessen Territorium er stattfinden wird; Unterstützung wird erwartet und gefordert werden von Südkorea, Japan, Philippinen, Australien, Neuseeland, Großbritannien, eventuell auch noch Vietnam und Indien etc.– und wenn politisch durchsetzbar, noch durch die NATO.
Ich habe nicht die Absicht, hier Prognosen zur künftigen China-Politik der USA abzugeben, da ich hierfür zu wenige Kenntnisse habe. Ich habe nur Deiner unbelegten Behauptung ein völlig anderes Modell gegenübergestellt, für das man in der politischen Realität (und in der letzten AzD) eine Reihe von Hinweisen finden kann.
Die deutsche Bourgeoisie
„Ich möchte hier mal die These aufstellen, dass das Bürgertum in der Ukrainefrage gespalten ist“, so Deine „These“. Begründet wird sie einige Zeilen später mit folgenden Ausführungen:
„Die Fraktion der Zusammenarbeit mit Russland hat insbesondere durch die Hinwendung Russlands nach Osten und Süden und die damit einhergehende politische und ökonomische Stärkung eine Gefahr erkannt, der dringend begegnet werden muss. Diese Gefahr war für alle Fraktionen virulent, da mit einer Stärkung Russlands eben auch die billige Energie von dort sich sukzessive verteuern würde. Der Minsk-Prozess wurde demnach nicht nur von einer Fraktion der US-Bourgeoisie bekämpft und unterlaufen, sondern ebenso durch eine maßgebliche Fraktion der BRD und des europäischen Bürgertums. Der Konsens mit Russland wurde nicht wegen der Ukraine aufgekündigt, sondern der Dissens an der Ukrainefrage endgültig und öffentlich exekutiert.“
Hier übernimmst Du die neuere, nach dem russischen Einmarsch vorgebrachte Interpretation des Minsk-Prozesses durch die russische Regierung. Zuvor hatte Russland den Minsk-Prozess zusammen mit Deutschland und Frankreich betrieben, im sog. Normandie-Format (ohne die USA). Der Kurswechsel der russischen Politik wird seit 2022 mit dem Verrat von Deutschland und Frankreich an den eigentlichen Zielen des Abkommens begründet. Dazu hat Heiner Karuscheit in der letzten AzD (Nr. 96, S. 35 ff.) eine etwas detailliertere Variante und inhaltlich diametreal entgegengesetzte Position entwickelt und belegt. Warum gehst Du auf diese Darstellung gar nicht ein? Warum entwickelst Du stattdessen die völlig unbelegte Theorie von der durch Russland angestrebten Verteuerung der Gaslieferungen? (Selbst wenn von dieser Behauptung etwas belegbar wäre, ist es unzweifelhaft, dass auch nach einer Preiserhöhung russisches Gas immer noch deutlich billiger wäre, als NATO-Gas aus LNG-Tankern.)
Weiterhin auffällig ist, dass Deine Ausgangsthese (Spaltung der Bourgeoisie) durch Deine eigene Beweisführung nicht gestützt wird. „Wahrscheinlicher erscheint mir, dass die zunehmende Stärke Russlands und seine Hinwendung nach Osten sowie in den arabischen Raum der Grund für die Änderung der deutschen Außenpolitik war.“ Diese Änderung der deutschen Außenpolitik hat nach Deiner Argumentation bereits vor dem Minsk-Prozess – also vor 2014 – eingesetzt und wurde durch den russischen Einmarsch 2022 nur „exekutiert“, wie Du formulierst. Wenn Deine Theorie zutrifft, dann gab es spätestens seit 2014 keinen pro-russischen Flügel der deutschen Bourgeoisie mehr.
War also die bis 2022 fortgesetzte Politik der „Sicherheit mit Russland“ – die von Washington fortwährend attackiert wurde – nur heiße Luft? War die trotz US-Sanktionen fertiggestellte Pipeline Northstream 2 ein Täuschungsmanöver für die Weltöffentlichkeit? Waren die lautstarken Attacken der Atlantiker auf Ex-Kanzlerin Merkel nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine mit dem Vorwurf, sie habe jahrelang eine verfehlte Russlandpolitik betrieben, nur Schmierentheater, um der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen? Glaubst du also ernsthaft, die deutsche Bourgeoisie bzw. ihre Mehrheitsfraktion hat bereits jahrelang eine antirussische Politik betrieben, wie die USA das wünschten, und das Ganze nur so geschickt verschleiert, dass niemand es gemerkt hat – bis natürlich auf die antiimperialistischen Linken der KO etc.?
Heute ist der nicht-atlantische Teil der deutschen Bourgeoisie in der politischen Landschaft kaum auszumachen. Dies aber nicht, weil Deine oben skizzierte Theorie zutreffend ist, sondern weil im gegebenen Moment die deutsche Bourgeoisie, von ihrer ganzen bisherigen Politik geprägt, gar keine andere Handlungsoption hat, als den amerikanischen Vorgaben zu folgen.
Im Gegensatz zu Deinen kühnen Thesen haben wir wiederholt die deutsche Außenpolitik in ihrer Entwicklung in den letzten Jahren und das entstandene Dilemma der deutschen Bourgeoisie dargestellt, zuletzt wiederum Karuscheit in der AzD 96. Dass die deutsche Bourgeoisie, oder zumindest Teile dieser Klasse, dieses Dilemma gerne beenden möchten, ist unbenommen. Am deutlichsten äußerte sich bisher in diese Richtung der SPD-Fraktionsvorsitzende R. Mützenich. Nur, solange die USA diesen Krieg im Osten Europas am „Kochen“ halten, ist der eigenständige Handlungsspielraum sehr begrenzt.
Wenn der Kanzler von einer „Zeitenwende“ in der deutschen Politik spricht und sein Vizekanzler in Washington die deutsche Außenpolitik mit den Worten von einer „dienenden Führungsrolle“[3] umschreibt, dann macht dies deutlich, dass den Herrschenden ihr Dilemma bewusst ist. Im Gegensatz zu den wenigen noch verbliebenen Kommunisten und radikalen Linken, die immer noch – jenseits aller auf sie einprasselnden Tatsachen – an dem ewigen, immer gleich aggressiven deutschen Imperialismus, dem Demiurgen des Krieges und der Aggression an sich festhalten und sich damit lächerlich machen. (Gerade wurde das noch in Vilnius erneuerte Versprechen der BRD-Regierung von 2 Prozent Rüstungsausgaben stillschweigend aus dem Haushaltsgesetz gestrichen und damit die langjährige Tradition von Zusagen an die NATO und ihrer konsequenten Nichtbeachtung im Haushalt fortgesetzt.)
Schluss der Anmerkungen
An sich wollte ich noch auf die Fragestellungen „Nationale Frage“ und „imperialistischer Krieg“, sowie auf die propagierte „multipolare Weltordnung“ eingehen. Die ersten beiden Themen würden meine „Anmerkungen“ zu Deinem Text sprengen, und zum letzten Thema (multipolare Weltordnung), hat die AzD-Redaktion in einem ihrer letzten Rundbriefe einen informativen Artikel aus „Multipolar“ verlinkt. Meine eigene Position findest Du in einer Fußnote der letzten AzD.[4]
Heute würde ich dem Zitat (siehe Fußnote) noch den Gedanken hinzufügen, dass die ehemalige Parole des deutschen Außenministers von 2014 sich inzwischen in eine Parole zur Legitimierung der Unterstützung der russischen Kriegsziele in der Ukraine gewandelt hat. Der Kampf für die „multipolare Weltordnung“ soll den imperialen Kriegszielen Russlands einen fortschrittlichen und antiimperialistischen Anstrich verpassen.
Statt der neuen „multipolaren Weltordnung“ gilt es, auf dem Boden der alten Forderung der Friedensbewegung zu verbleiben:
Deutschland raus aus der NATO und NATO raus aus Deutschland!
Sie ist für den aktuellen Konflikt zu ergänzen mit den Forderungen:
Friedensvertrag auf dem Boden des Selbstbestimmungsrechts der Völker und Nationen!
Keine Unterstützung für den NATO-Krieg in der Ukraine!
Keine Sanktionen gegen Russland!
Wenn Du, Genosse N.N., einen Beitrag dazu leisten würdest, diese Parolen bei Kommunisten und linken Revolutionären mehrheitsfähig zu machen, dann hätten diese Kräfte, zumindest in der Friedensbewegung – die, je länger der Krieg dauert, immer mehr Zulauf gewinnen wird – eine Chance, politisch handlungsfähig zu werden, was Dir ja am Herzen liegt.
Wo Dir weniger Erfolg beschieden sein wird, ist der Versuch, unsere theoretischen und politischen Positionen mit denen der kleinbürgerlich-pazifistischen Linken kompatibel zu machen, obwohl sich bei mir der Eindruck herausgebildet hat, dass dies Dein eigentliches Anliegen war.
Alfred Schröder, August 2023
[1] Siehe dazu: Die Auseinandersetzung mit der Monopoltheorie; die Arbeiten zur deutschen Geschichte und zur Geschichte der Arbeiterbewegung; die Aufarbeitung des Scheiterns der DDR und des Wesens des russischen Oktoberumsturzes.
[2] „Ein Beispiel für letzteres ist die Initiative für eine „neue Friedensbewegung“, hinter der die MLPD als treibende Kraft steht. Sie fordert: „Sofortiger Waffenstillstand und Rückzug aller russischen Truppen“. Dies ist – eigentlich für jeden erkennbar – eine Nato-Forderung. Obwohl man davon ausgeht, dass Rivalitäten imperialer Mächte dem Krieg zugrunde liegen, stellt man Friedensforderungen auf, die einzig einer Seite der kriegführenden Mächte nützen. Und pikanterweise handelt es sich bei dieser Seite um das von der NATO und der deutschen Bourgeoisie unterstützte Lager der ukrainischen Oligarchen. Indem man die Forderung nach einem Waffenstillstand mit der Forderung nach einem Rückzug aller russischen Truppen koppelt, diesen Rückzug sozusagen als Ausgangspunkt für Friedensverhandlungen definiert, redet man einem Sieg der von der NATO unterstützten Oligarchen-Herrschaft in der Ukraine das Wort.“
[3] AzD Nr. 96, S. 57
[4] AzD Nr. 96, S. 9: „Worin der Vorteil für die Bevölkerung der betroffenen Länder bestehen soll, wenn mehrere Mächteblöcke oder Großstaaten sich um Einflusssphären balgen, lassen die Propagandisten der multipolaren Weltordnung im Dunklen. Außerdem war diese Konzeption – siehe Steinmeier-Zitat weiter oben – Grundlage der inzwischen gescheiterten deutschen Außenpolitik, bevor die Amerikaner und Russen in der Ukraine „ernst machten“. Kann die ehemalige außenpolitische Orientierung des für die Linke zeitlosen und immer gleich räuberischen „deutschen Imperialismus“ heute eine erstrebenswerte Zielsetzung für den Rest der Welt sein?“
Manfred Englisch
Antiimperialistischer Internationalismus heute – Hauptwiderspruch zwischen BRICS plus und G7/NATO/EU
Ich hoffe, der Genosse N.N. möge sich durch die zurechtweisende Antikritik des Genossen Schröder nicht allzu abgeschreckt fühlen und weiterhin mutig an der Debatte teilnehmen. Du teilst aber auch kräftig aus in Sachen „Bedeutungslosigkeit“ von Standpunkten, somit wirst du auch einzustecken wissen.
Leider finde ich dann in den Texten wenig Zukunftsweisendes für die Aufgaben der Kommunisten von heute, wobei ich es ermüdend finde, stets die Fraktionierung nomineller Linker und Kommunisten wiederzukäuen, die sich kleinbürgerlich in den „Randzonen gesellschaftlicher Bewegung“ verlieren. Auch wenn das so ist, verdient jede sozialistische oder kommunistische Kleinorganisation eine argumentativ faire Kritik statt plakativer Zuschreibungen. Wie sonst kommen wir zu positiven Aktionseinheiten?
In diesen Tagen erleben wir eine große Zunahme globaler Kooperation jenseits der imperialistischen Gruppierung von G7, NATO, USA, EU mit ihren Institutionen IWF, Weltbank, WTO, EZB, SWIFT, Börsenkontrolle und dem praktizierten Sanktionsregime. Gemeint ist die BRICS-Gruppe mit der Nominierung neuer starker Mitgliedsstaaten. Immerhin vereinigen die BRICS plus (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika + Ägypten, Argentinien, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate) zukünftig fast die Hälfte der Weltbevölkerung und eine ständig steigende Wirtschaftsleistung mit einer eigenen internationalen Neuen Entwicklungsbank, geführt von der brasilianischen Ex-Präsidentin Dilma Rousseff. Daraus ergeben sich Optionen für alternative Währungen, Kredite und Finanztransfers, die bisher von Dollar, Euro, Pfund, YEN und Franken dominiert werden. Ich will das nicht weiter ausführen, sondern diskutieren, ob und welche fortschrittlichen Momente diese Tendenzen herausbringen können.
Frieden und Freiheit auf der Basis des Selbstbestimmungsrechts kann es für Völker und Nationen nur geben, wenn kleinere Staaten sich von der Ausplünderung durch die imperialistischen Mächte emanzipieren und jegliche Hegemonie bekämpfen. „Als der US-amerikanische Außenminister Antony Blinken Südafrika besuchte, brach es aus der südafrikanischen Außenministerin Naledi Pandor heraus: „I’m sick and tired of being bullied by Western politicians!“ Kurz gesagt, sie habe die Nase voll davon, von westlichen Politikern bevormundet zu werden.“ (ARD-Tagesschau) Die Sanktionspolitik des Westens trifft die BRICS, die damit zur Verurteilung Russlands gezwungen werden sollen. Vor diesem Hintergrund ist die Solidarität mit Russland im globalen Süden größer als der NATO-Westen wahrhaben will.
Gegen das nationale Selbstbestimmungsrecht und auch die Tendenz zur Multipolaren Weltordnung wird in linken Kreisen gern eingewandt, dass es sich doch nur um bürgerlich-kapitalistische Emanzipationsbewegungen handele und die Arbeiterbewegung davon nicht mehr Handlungsfreiheit in autoritär regierten Staaten, wie Ägypten, Saudi-Arabien und Iran, gewinnen könne. Dabei wird allerdings vergessen, wie isolierte Revolutionen in einzelnen Ländern an der Modernisierung ihrer Wirtschaft bisher gescheitert sind oder immer noch dahinkümmern – vgl. die Sowjetunion, den ehemaligen Ostblock, Nordkorea, Kuba, Chile, Venezuela, Nicaragua, Zimbabwe, Eritrea. Der Sozialismus kann nicht in einem isolierten und vom Imperialismus ökonomisch-militärisch eingekesselten Land siegen – das ist eine Lehre, die Kommunisten aus dem Scheitern ziehen müssen. Daher gehen China und Vietnam einen anderen Weg, nämlich den einer gemischten Wirtschaft mit Direktinvestitionen aus der kapitalistischen Hemisphäre.
Wir wissen auch, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) ein Instrument seiner Anteilseigner aus der imperialistischen Staatengemeinschaft ist, um schwächelnde Volkswirtschaften mit Notkrediten zu umfangreichen Austeritäts- und Privatisierungs-maßnahmen zu zwingen. So erging es Argentinien mit einem 57-Mrd.-Dollarkredit des IWF seit 2018. Staatsbankrott, Inflation und Massenverarmung sind dabei nur Nebenwirkungen der brutal neoliberalen Politik.
In der Sahelzone Afrikas stehen wir vor einem Befreiungskrieg gegen Neokolonialismus und Terrorismus. Interventionen der ehemaligen Kolonialmächte, vor allem Frankreichs, protegierten in der Vergangenheit korrupte politische Eliten, die Rohstoffe, wie Gold und Uran, an die Industriestaaten zum Spottpreis verschleuderten. Die fortschreitende Dürre und ein schnelles Bevölkerungswachstum machen die Staaten dieser Region zu den ärmsten der Welt. Vor diesem Hintergrund wächst der Terrorismus, der ein Komplementäreffekt der neokolonialen Ausplünderung ist. An Frankreichs Seite sind die BRD und die USA in der Region aktiv; so unterhalten die USA im Niger den größten Drohnenstützpunkt Afrikas, um extralegale Tötungen durchzuführen.
Ich sehe daher einen Aufgabenschwerpunkt der Kommunisten in der antiimperialistischen Solidarität mit den unterdrückten Ländern der Welt, die sich von imperialistischer Hegemonie und neokolonialer Ausplünderung befreien wollen, gerade auch mit Hilfe durch die BRICS. Da schließt sich nun der Kreis auch bezogen auf die Ukraine, man könnte aber auch Nigeria heranziehen, wo in Abuja wie in Kiew eine korrupte Kompradorenbourgeoisie als Marionetten der Imperialisten regiert. Über die inneren Verhältnisse all dieser Staaten entscheidet der Klassenkampf.
Wer nur zurückschaut und ausschließlich die Niederlagen der europäischen Arbeiterbewegung untersucht, macht m. E. den Fehler, seine Erarbeitung neuer programmatischer Grundlagen allzu sehr zu beschränken auf Europa und die weißen Veteranen des 19. und 20. Jahrhundert. Schaut euch bitte die Youtube-Doku von der Jubiläumsfeier der südafrikanischen EFF mit Julius Malema als Hauptsprecher an: https://www.youtube.com/watch?v=dBFBPmpCQZI (Uhuru (Swahili) = Nationale Unabhängigkeit & Freiheit!)
Dort wo die arbeitenden Klassen keinen Bewegungsspielraum haben, um ihre Interessen geltend zu machen, ergreifen manchmal fortschrittliche Offiziere der nationalen Streitkräfte die Macht, so wie jetzt in Mali, Burkina-Faso und Niger. Wir Kommunisten unterstützen die Bildung antiimperialistischer Volksdemokratien.
Nachbemerkung:
Ich schätze die kluge wissenschaftliche Arbeit der Genossen Karuscheit und Schröder, die sich auch akribisch mit bürgerlichen Wissenschaftlern auseinandersetzen. Allerdings noch mehr wünsche ich mir leidenschaftliche Beiträge zu einer lebendigen Debatte, die nicht immer mit Fußnoten als Belegen gespickt sein müssen, aber Theorie und Praxis verbinden.
Aktuell wünsche ich mir eine intensive Beschäftigung mit dem flottierenden Finanzkapital und dem „fiktiven Kapital“ nach Marx. (Aus: jw Ausgabe vom 12.08.2023, Seite 5 / Inland: Blackrock, Vanguard und Co. Im Griff der Geldsammler. Dominanz und Marktverzerrung: Macht von US-Megafonds auf deutsche Konzerne bereitet selbst Kapitallobby zunehmend Sorgen. Von Klaus Fischer (https://www.jungewelt.de/artikel/456719.blackrock-vanguard-und-co-im-griff-der-geldsammler.html)
Rote Grüße
Manfred Englisch
Antwort von A. Schröder
Werter Genosse Englisch,
zu Deinen Ausführungen möchte ich ebenfalls einige Anmerkungen machen wie schon bei dem Genossen N.N., da m.E. Eure Positionen gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen. Vorweg eine Bemerkung, um etwaige Missverständnisse zu vermeiden: Was Dir als „zurechtweisend“ in meinem Text zum Genossen N.N. erscheint, war der Tatsache geschuldet, mit der ich politische Positionen zurückgewiesen habe, die uns eine gewisse Nähe zu anderen Strömungen in der Linken empfahlen. Stattdessen habe ich unsere Differenzen mit den Anschauungen der Linken – wie ich hoffe deutlich – herausgearbeitet.
Ideologische Strömung oder politische Bewegung?
Du schreibst zu meinen Anmerkungen: „Du teilst aber auch kräftig aus in Sachen ‚Bedeutungslosigkeit‘ von Standpunkten … Leider finde ich dann in den Texten wenig Zukunftsweisendes für die Aufgaben der Kommunisten von heute … Wie sonst kommen wir zu positiven Aktionseinheiten?“
Leider gehst Du in Deiner Kritik nicht auf den Grundgedanken meiner Argumentation ein. Mein Ausgangspunkt war nicht, die „Bedeutungslosigkeit von Standpunkten“ der revolutionären Linken herauszuarbeiten – obwohl dies eine unbestreitbare Tatsache ist, sondern die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit der Linken und Kommunisten als politische Kraft festzustellen. Dies sind sie schon seit einiger Zeit nicht mehr, sondern existieren als ideologische Strömung am Rande gesellschaftlicher Bewegungen. Konkret formuliert mit meiner Aussage: „Der Kommunismus ist in Deutschland (und nicht nur in Deutschland) keine politische Kraft mehr, sondern eine ideologische Strömung auf sehr unsicherem theoretischem und politischem Fundament. Diese Strömung ist – ich betone es nochmals – heute politisch bedeutungslos.“ Das war der Ausgangspunkt meiner Kritik an den Positionen des Genossen N.N.
Wie ist dies zu ändern?
Warum ist dies so und wie können wir es ändern? Woher rührt die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit der revolutionären Linken? Diese Frage ist eigentlich ganz einfach zu beantworten. Sie hat ihre alten theoretischen und politischen Gewissheiten mit dem Untergang der Sowjetunion verloren und es bis heute nicht vermocht, eine wissenschaftlich begründete Erklärung für das Scheitern der kommunistischen Bewegung in West- wie Osteuropa zu erarbeiten. Wer soll die politischen Positionen der Kommunisten zu den aktuellen Ereignissen ernst nehmen, ihnen irgendeine Bedeutung beimessen, solange dieselben Kommunisten nicht in der Lage sind, öffentlich und verständlich ihr eigenes Scheitern in der Vergangenheit zu erklären?
Ein aktuelles Beispiel dafür bietet die gerade erschienene „Z“ Nr. 135, eine Zeitschrift, die sich die „Erneuerung des Marxismus“ zur Aufgabe gestellt hat (Erneuerung allerdings im reformistischen, nicht im revolutionären Sinn). Dort publizierte Siegfried Prokop[1] zum 17. Juni 1953. Sein Erklärungsversuch der Ereignisse: Die politischen Fehler der SED-Führung seien letztendlich dem Verrat von L. Berija und einer psychischen Störung Stalins geschuldet gewesen. Dies ist der Zustand des Marxismus in der Linken im gegebenen Moment.
Der „Marxismus-Leninismus“ wurde nach dem Sieg im russischen Oktober zu einer Theorie der Niederlagen der Arbeiterbewegung in Europa. Ohne eine Erklärung und Aufarbeitung der theoretischen wie politischen Fehler des „Marxismus-Leninismus“ im vergangenen Jahrhundert gibt es keine Grundlagen für eine revolutionäre Politik in der Gegenwart und damit auch kaum einen Weg, ernsthaft Einfluss in den gesellschaftlichen Bewegungen zu gewinnen. Dies ist der einzige Weg aus der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit heraus.
Du beklagst: „Leider finde ich dann in den Texten wenig Zukunftsweisendes für die Aufgaben der Kommunisten von heute …“ Dem kann ich nach obigen Aussagen nicht zustimmen. Ganz im Gegenteil: Die Anerkennung der Tatsache, dass die Kommunisten heute keine politische Kraft, sondern nur eine ideologische Strömung darstellen, ist die erste Voraussetzung, um zu einer korrekten Aufgabenbestimmung der Kommunisten zu gelangen, konkret: das benannte „unsichere theoretische und politische Fundament“ zu beseitigen und es durch tragfähige Inhalte zu ersetzen, die auf dem Boden der revolutionären marxistischen Theorie und Methode zu erarbeiten sind.
Unsere theoretische und politische Position
Nichts anderes als die Aufarbeitung dieser Niederlagen versuchen wir seit Jahren und dies nicht nur auf dem Gebiet der marxistischen Theorie, sondern ebenso auf dem der Geschichte und Geschichte der Arbeiterbewegung, sowie – bedingt durch die Bedeutung des Ukraine-Krieges – zuletzt auch verstärkt auf dem Gebiet der Politik. Gerade zum letzten Punkt haben wir eine revolutionär-demokratische Position erarbeitet, die im Gegensatz zu der in entscheidenden Fragen weitgehend orientierungslosen Linken[2], eine eindeutige Ausrichtung in der Friedens- und Protestbewegung sowohl gegen den imperialen Krieg als auch gegen die deutsche Bourgeoisie geben könnte. Eine Position, die sich sowohl gegen die US geführte NATO (Feind steht im eigenen Land), als auch gegen die imperialen Ansprüche Russlands richtet und ebenso die Voraussetzungen und Bedingungen eines demokratischen Friedens benennt, der sich gegen die imperialen Oligarchen beider Seiten wendet. Zusammengefasst in den Losungen:
- Deutschland raus aus der NATO und NATO raus aus Deutschland!
- Friedensvertrag auf dem Boden des Selbstbestimmungsrechts der Völker und Nationen!
- Keine Unterstützung für den NATO-Krieg in der Ukraine!
- Keine Sanktionen gegen Russland!
Und dass weder Du noch der Genosse N.N. sich unserer Definition der „Aufgaben der Kommunisten von heute“ anschließen wollen, hat gute Gründe: Mit unseren Positionen ist eine gemeinsame politische Praxis mit der kleinbürgerlich-pazifistischen Linken unmöglich. Aber gerade dies ist Euer erklärtes Anliegen. Ihr beide wollt politische Praxis betreiben. Dafür seid ihr bereit, eigenständige revolutionäre Positionen aufzugeben in der Hoffnung, politische Wirksamkeit erzielen zu können.
In der politischen Praxis führt dieser Verzicht auf eine eigenständige revolutionär-kommunistische Position weder zu mehr Einflussnahme in den gesellschaftlichen Bewegungen noch zu mehr Beachtung in der bereits marginalisierten Linken. Umgekehrt ist es richtig: Nicht durch Anpassung an die Positionen der kleinbürgerlich-pazifistischen Linken, sondern durch das fortwährende Aufdecken der Halbheiten und politischen Unsinnigkeiten ihrer Forderungen wächst der Einfluss revolutionär-kommunistischer Positionen auf die Bewegung.
„Antiimperialistischer Internationalismus heute – Hauptwiderspruch zwischen BRICS + und G7/NATO/EU“
So lautet die Überschrift Deines Textes, in dem Du meine obigen Aussagen anschaulich illustrierst. Ohne Analyse der politischen Verhältnisse, ohne Beschäftigung mit der Geschichte und ohne Kritik der heute in der Linken dominierenden kleinbürgerlich-pazifistischen Theorien, versuchst Du eine politische Position zu beziehen (siehe Überschrift).
Heute findet in Europa ein Krieg statt, an dem eine Vielzahl europäischer Staaten direkt oder indirekt beteiligt ist. Dieser Krieg wird massiv von der US-geführten NATO (und damit auch der BRD) befeuert. Im Kontext dieses Krieges wird der Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten ruiniert und das politische System – nicht nur in der BRD – destabilisiert. Außen- wie gesellschaftspolitisch ist die herrschende Klasse durch die Kriegspolitik der USA in Bedrängnis geraten – was zumindest teilweise auch die Absicht der Amerikaner war – und sucht bisher vergeblich nach einem Ausweg aus diesem Dilemma.
Und in dieser politischen Situation verficht ein Teil der kleinbürgerlichen Linken, dass die Ausrichtung auf die Entwicklung und Stärkung der BRICS-Staaten die antiimperialistische Hauptaufgabe darstellt, mit der Konsequenz, dass die Unterstützung[3] dieser Staaten zur politischen Ausrichtung des Augenblicks gemacht wird. Wohlgemerkt: Ohne dass von den Anhängern dieser Theorie auch nur eine einzige Analyse der doch sehr unterschiedlichen BRICS-Staaten, geschweige denn eine Untersuchung ihrer inneren Verhältnisse und außenpolitischen Interessen vorgelegt wurde. Je weniger Fakten vorgelegt werden, desto mehr Raum bleibt der politischen Phantasie. Wer mehr zum Thema „Multipolare Weltordnung“ und zu den Interessen der BRICS-Staaten erfahren möchte, sei auf einen Rundbrief der AzD-Redaktion mit weiteren Informationen zu dieser Staatengruppe oder auf TP und andere Netz-Veröffentlichungen verwiesen.
Siehe: https://www.rosalux.de/news/id/50909/der-hype-um-den-brics-gipfel-in-johannesburg
oder: https://www.telepolis.de/features/Brics-Bruchlinie-Die-Rivalitaet-zwischen-den-Giganten-China-und-Indien-9291870.html
In der politischen Praxis ist Dein „Antiimperialistischer Internationalismus“ eine verschämte Unterstützung der russischen Kriegsziele. Verschämt, weil man hofft, durch die Unterstützung der BRICS – wobei noch immer unklar bleibt, wie man sie praktisch unterstützen soll – die russische Position im Ukraine-Krieg zu legitimieren, ohne sich offen dazu zu bekennen. (Nicht zufällig findet man seit Wochen fast täglich Artikel in „Russia Today“, die die Entwicklung der BRICS-Staaten und ihren Beitrag zum Weltfrieden hervorheben.) Die Intention: Ein russischer Sieg gegen die NATO treibt die „Multipolare Weltordnung“ voran und schwächt damit die USA. Statt offen für ein Ende der deutschen Unterstützung dieser Kriegs-Koalition einzutreten, fordert man mit der Parole der Unterstützung der BRICS-Staaten verdeckt einen russischen Sieg. Wen will man mit dieser „halbseidenen“ politischen Position gewinnen?
Bei aller vermeintlichen NATO-Feindlichkeit umgeht die sog. „antiimperialistische“ Parole der „BRICS-Unterstützung“ oder der Wunsch nach einer „multipolaren Weltordnung“, die konkreten Forderungen gegen die NATO und die deutsche Bourgeoisie. Womit wir wieder bei unseren Positionen angelangt sind: Deutschland muss raus aus der Nato, die Nato muss raus aus Deutschland und es darf keine weitere deutsche Unterstützung für den NATO-Krieg in der Ukraine geben. Da der Hauptfeind im eigenen Land steht, ist dies die einzig revolutionär-demokratische Forderung und damit „zukunftsweisend“.
Alfred Schröder, September 2023
[1] „Prof. Dr. sc.phil., Jg. 1940, Studium an der Humboldt Universität zu Berlin und der Shdanow-Universität Leningrad (St. Petersburg). Diplomarbeit über den Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands“
[2] Siehe dazu: https://www.telepolis.de/features/Nicht-unser-Krieg-Strategien-gegen-den-Siegeszug-des-Militarismus-9300912.html
[3] Wie kann die Linke die BRICS-Staaten denn „praktisch“ unterstützen? Durch Geldsammlungen für Modis Kriegspläne gegen Pakistan und China? Oder durch Demonstrationen und Spenden für die BRICS-Entwicklungsbank?