Vorbemerkung

Als 1989/90 zuerst die DDR und 1991 die UdSSR unterging, schien das „Ende der Geschichte“ erreicht. Da es die Arbeitermassen waren, die im November 1989 die DDR zu Fall brachten und 1991 die Union der Sowjetrepubliken nicht verteidigten, hatte Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen anscheinend ausgedient. Aber der Triumph des Kapitals währte nicht lange. Wenige Jahre nach der Auflösung der Blöcke mehren sich die Anzeichen, daß die nach dem 2.Weltkrieg einsetzende jahrzehntelange Stabilitätsphase der bürgerlichen Ordnung dem Ende zugeht und am Übergang zum nächsten Jahrhundert ein neuer Zyklus von Krise und Revolution heranwächst. Während die Bourgeoisie sich noch angestrengt bemüht, trotz enger werdender Spielräume den Sozialstaat aufrechtzuerhalten, um den gesellschaftlichen Grundkonsens der Nachkriegszeit nicht zu gefährden, wird das Kapital gleichzeitig durch seine Verwertungszwänge dazu getrieben, die angewandte Arbeitskraft zu reduzieren, die Entlohnung der Beschäftigten zu senken sowie die Ausdehnung und Verdichtung der Arbeitszeit zu betreiben – womit eben dieser Grundkonsens untergraben wird. Wozu die DDR gegen Ende immer weniger in der Lage war, steht jetzt wie ein Menetekel vor der Bourgeoisie des vereinten Deutschland: sie kann den Massen nicht länger ein besseres Leben garantieren.

Damit wachsen die Voraussetzungen für die künftige Verbindung von Sozialismus und Arbeiterbewegung, auch wenn gegenwärtig noch nicht absehbar ist, wann es so weit sein wird. Diese Situation stellt die Kommunisten vor die gebieterische Notwendigkeit, Klarheit über die Gründe ihrer Niederlagen zu erlangen. Jeder politisch interessierte, denkende Arbeiter (und Angestellte) verlangt eine Erklärung für das Scheitern in der Vergangenheit, um von der Sache des Kommunismus überzeugt zu sein. Es gilt also, Rechenschaft abzulegen über die eigene Geschichte und Theorie. Bei dieser Aufgabenstellung spielt der erste Versuch auf deutschem Boden, den Sozialismus aufzubauen, naturgemäß eine zentrale Rolle. Dabei hat der Zusammenbruch der DDR hat nicht nur eine Epoche beendet – er hat zugleich die wissenschaftlichen Mittel zur Verfügung gestellt, um die Ursachen dieses Zusammenbruchs aufzuklären.

Die deutsche Frage stand im Zentrum der Auseinandersetzungen um die internationale Revolutionsstrategie, die Anfang der 50er Jahre die Führung der kommunistischen Weltbewegung spalteten. Durch die Öffnung der SED-Archive läßt sich nunmehr nachweisen, was bis dahin nur zu vermuten und auf Umwegen zu rekonstruieren war: Stalin war gegen den Aufbau des Sozialismus in der DDR. Insbesondere Wilhelm Piecks Gesprächsnotizen aus den Unterredungen mit Stalin belegen, so bruckstückhaft sie auch sind, daß Stalin die Voraussetzungen für einen separaten Sozialismus im Osten Deutschlands nicht für gegeben ansah. [1] Er trat bis zu seinem Tod 1953 für eine Strategie der Vollendung der bürgerlichen Revolution in Deutschland ein, mit dem Ziel der Wiederherstellung eines einheitlichen, bürgerlich-demokratischen, der Sowjetunion in Freundschaft verbundenen Gesamtdeutschland. Gegen seine Politik beschloß die SED-Führung 1952, zum Sozialismus überzugehen. Sie schlug sich damit auf die Seite der „linken“ Parteigegner Stalins in der KPdSU, vollendete die von Adenauer und den Westalliierten betriebene Spaltung Deutschlands und schuf in der DDR eine nicht lebensfähige Gesellschaftsordnung, die nur mit sowjetischer Hilfe existieren konnte. Aus dem Aufbau des Sozialismus wurde eine Kette von praktischen Niederlagen und ideologischen Rechtfertigungen, die dem Kommunismus heute wie ein Mühlstein um den Hals hängt. Gleichzeitig versuchte die SED, die ihr unbequeme historische Wahrheit mit allen Mitteln zu vertuschen, so daß erst das Ende ihrer Herrschaft durch die Offenlegung der Dokumente den Zugang zu den Tatsachen freigemacht hat.

Die vorliegende Broschüre ist eine Frucht der seither erschienenen Veröffentlichungen. Sie ist die überarbeitete Fassung einer Artikelfolge, die zuerst in den „Weißenseer Blättern“ erschienen ist. [2] Es mag den ein oder anderen Leser geben, der sich von der hier entwickelten Kritik nicht angesprochen fühlt, weil er schon immer „antirevisionistisch“ war und die DDR ablehnte. Er sollte sich nicht zu früh freuen:

De te fabula narratur!

I. Zwei Linien der sowjetischen Nachkriegspolitik

In der kommunistischen Weltbewegung bildeten sich nach dem zweiten Weltkrieg wie schon nach der Oktoberrevolution zwei im Kern gegensätzliche strategische Antworten auf die Nachkriegssituation heraus: eine Art „Offensivtheorie“, d.h. eine linksradikale Strategie des ununterbrochenen Sturmlaufs auf den Kapitalismus-Imperialismus, und eine Art „Defensivtheorie“, eine Strategie des etappenweisen Vorgehens und der Zick-Zack-Wege. Ihre Repräsentanten waren Shdanow – bis zu seinem Tod 1948 – auf der einen und Stalin auf der anderen Seite. [3]

1. Eine zwiespältige Ausgangslage

Die Lage des Sowjetstaats zu Beginn der Nachkriegszeit war zwiespältig. Einerseits hatte er den Weltkrieg gewonnen und war durch den Niedergang Englands, Frankreichs und Deutschlands neben den USA zur Weltmacht aufgestiegen. Andererseits war nach wenigen Jahren klar, daß sich die Kriegsendsituation des 1.Weltkriegs auf höherer Ebene wiederholte. Damals war die erwartete Revolution im Westen ausgeblieben und hatte die Revolution an der Peripherie, in dem zurückgebliebenen Rußland stattgefunden. Nunmehr zeigte sich erneut, daß trotz Massenarbeitslosigkeit und teilweise starker kommunistischer Parteien in keinem westeuropäischen Kernland des Kapitals eine sozialistische Revolution auf die Tagesordnung trat.

Statt dessen ging das Erwachen der Völker des Ostens weiter, zu denen Rußland eine Brücke bildete. Die chinesische Revolution verlagerte den Schwerpunkt des revolutionären Prozesses noch weiter hin zu den bäuerlichen Millionenmassen Asiens, während an der entscheidenden Front, im Westen, kein Durchbruch zum Sozialismus möglich war. Auch in Europa waren die unter sowjetischem Einfluß stehenden Volksdemokratien von Polen bis Bulgarien im wesentlichen Agrarländer. Spätestens an der Wende von den 40er zu den 50er Jahren stand fest, daß das „sozialistische Lager“ auf absehbare Zeit auf ein Bündnis der Sowjetunion mit kommunistisch geführten Bauernstaaten hinauslief. Lediglich im westlichen Teil der Tschechoslowakei, in Oberschlesien und in der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland gab es größere Industriegebiete außerhalb der UdSSR selber.

Im Unterschied zur Situation der 20er Jahre hatte die Sowjetunion inzwischen jedoch die Kollektivierung und Industrialisierung hinter sich gebracht, verfügte über eine breite industrielle Basis und hatte damit die Grundlagen für den Sozialismus geschaffen. Allerdings hatte der nationalsozialistische Siedlungskrieg ungeheure Schäden hinterlassen. 20 Millionen Tote hatte der Krieg gekostet und riesige Regionen im Westen des Landes waren verwüstet. Anders als die andere große Siegermacht des Kriegs, die USA, stand die UdSSR vor der Notwendigkeit eines umfassenden Wiederaufbaus. Gesellschaftspolitisch wichtiger war indessen, daß die Vernichtung der proletarischen Kerntruppen der Roten Armee in den ersten Kriegsmonaten und die Notwendigkeit, den Krieg als „großen Vaterländischen Krieg“ zu führen, die Stellung der Bauernschaft und der Armee gestärkt hatte. Aus dieser Situation ergab sich eine mehrfache Aufgabenstellung: im Innern mußte mit dem Wiederaufbau die Armee zurückgedrängt werden und vor allem die allmähliche Umwandlung der Kolchosbauern in Landarbeiter erfolgen, um dem Sozialismus zum Siege zu verhelfen. Nach außen hatte die Sowjetunion die Verpflichtung, die kommunistisch geführten Bauernstaaten bei der Industrialisierung zu unterstützen und mußte insgesamt eine Politik betreiben, die den internationalen revolutionären Prozeß vorantrieb.

Weltpolitisch war die Lage dadurch gekennzeichnet, daß es den USA im Unterschied zum ersten Weltkrieg gelang, in Europa, an der atlantischen Gegenküste, Fuß zu fassen. Die amerikanischen „Internationalisten“ hatten den in den 30er Jahren heraufziehenden Krieg von Beginn an als Möglichkeit gesehen, um die Hegemonie des US-Kapitals über die anderen Mächte zu erringen. Roosevelt hatte darum den amerikanischen Kriegseintritt mit allen Mitteln vorangetrieben. Die vollständige Niederlage Deutschlands und Japans und die Schwächung Großbritanniens und Frankreichs erlaubte es den USA, diese Mächte in die „one-world“ des US-dominierten Weltmarkts zu zwingen. Wie weit das amerikanische Engagement im Ausland allerdings reichen würde, war zunächst noch unklar, ebenso wie das Verhältnis zur Sowjetunion.

Großbritannien knüpfte nach der Niederlage Deutschlands nahtlos an seine antisowjetische Vorkriegspolitik an. Die englischen Imperialisten hatten sich noch lange nicht mit dem Rückfall in die zweite Linie der Weltpolitik abgefunden. Soviel wie möglich von der alten Weltmachtstellung des Empire zu behalten oder gar zurückzugewinnen, hieß, die Kolonien zu sichern und durch ein neues Gleichgewicht der Kräfte auf dem europäischen Kontinent den Rücken dafür frei zu bekommen. Beides machte die Sowjetunion zum Hauptgegner Großbritanniens. Sie bildete den stärksten Rückhalt der antikolonialen, antiimperialistischen Bewegung, die das britische Kolonialreich bedrohte, und war außerdem nach dem Krieg die dominierende europäische Kontinentalmacht. Der von Churchill kolportierte Ausspruch am Kriegsende, man habe „das falsche Schwein geschlachtet“, spiegelte diese Sicht der Empire-Politiker wider. Die sowjetfeindliche Politik wurde von der Labourpartei wie von den Konservativen mit nur geringen Unterschieden verfolgt.

2. Shdanow und Stalin: um die Zwei-Lager-Theorie

Auf Basis der zwiespältigen Situation entwickelten sich in der KPdSU zwei gegensätzliche strategische Orientierungen, deren Vertreter eine heftige, wenngleich für Außenstehende schwer erkennbare Auseinandersetzung führten. Ausgehend von einer optimistischen, wesentlich militärisch begründeten Kräfteeinschätzung vertraten die „Linken“ eine Offensivtheorie des Kampfes um den Sozialismus, deren Kernpunkt die „Zwei-Lager-Theorie“ bildete. Sie bildete die außenpolitische Fortsetzung der Strategie des Kampfes „Klasse gegen Klasse“, die von der Komintern, die KPD an der Spitze, bis zum VII.Weltkongreß verfolgt worden war und die verheerende Niederlage gegen den Nationalsozialismus mit bewirkt hatte. Ihre Vertreter betrachteten „Sozialismus“ und „Kapitalismus/Imperialismus“ nicht nur als zwei ökonomisch und ideologisch unterschiedene Lager, sondern vor allem als zwei außenpolitisch geschlossene Blöcke, zwischen denen es unvermeidlich zum Krieg kommen mußte. Dieser Krieg resultierte aus der aggressiven Natur des Imperialismus und war nicht zu verhindern. Der atomare Vorsprung der USA wurde dabei nicht als ausschlaggebend für den Kriegsausgang betrachtet, zumal die Sowjetunion dabei war, ebenfalls Kernwaffen zu entwickeln. Aufgrund der Stärke und Kampfkraft der Roten Armee, der unbestreitbar stärksten Streitmacht Europas, wurden die Aussichten für einen erneuten Waffengang als gut eingeschätzt, so daß in Fortsetzung des soeben errungenen Siegs im Weltkrieg der Sozialismus bis weit nach Westeuropa hinein getragen werden konnte.

Diese Konzeption konnte zurückgreifen auf die Tradition des Kriegskommunismus, als die proletarische Macht in den Jahren des Bürgerkriegs nach der Oktoberrevolution nur mit militärischen Mitteln erhalten werden konnte und es vorübergehend auf Messers Schneide stand, ob die Rote Reiterarmee Budjonnys die Diktatur des Proletariats nicht auch nach Polen bringen würde. Zunächst war Shdanow der Hauptvertreter dieser Linie. „Man hat den plötzlichen Tod A.A. Zdanovs am 31.August 1948 damit in Zusammenhang gebracht, daß der Herzschlag, der den erst 52jährigen Mann hinwegraffte, eine Folge von heftigen Auseinandersetzungen im Politbüro wegen der Berliner und der jugoslawischen Frage gewesen sei. Zdanov habe eine militärische Aktion wenn nicht gegen Berlin, das heißt gegen die Westmächte, so doch gegen Tito befürwortet, was von der Mehrheit des Politbüros einschließlich Stalins abgelehnt wurde.“ [4]

Die „Linken“ schlossen auf dem Boden der Zwei-Lager-Politik das Bündnis von Schwerindustrie (als Rüstungsindustrie) und Militär, das nach Stalins Tod den weiteren Werdegang der Sowjetunion bis zu deren Untergang 1991 bestimmte. Sie stützten sich im wesentlichen auf ihren Einfluß in der KPdSU. Ihr Hauptzentrum lag in Leningrad, dem traditionellen „Herzen“ der Partei. In der Petersburger/Leningrader Parteiorganisation – der größten neben Moskau – hatten die Linken immer schon ihren stärksten Rückhalt; über alle Unterschiede hinweg führt eine Linie von Trotzki über Sinowjew bis zu Shdanow.

Shdanow war die treibende Kraft hinter der Schaffung des „Kommunistischen Informationsbüros“, das die Kommunistischen Parteien Osteuropas sowie Italiens und Frankreichs vereinigte. Die Gründungsversammlung im Jahr 1947 machte die „Zwei-Lager-Theorie“ nach den Vorgaben Shdanows offiziell zur Richtschnur der Revolutionsstrategie. Die Gründungsdeklaration führte dazu aus, es hätten sich nach dem Krieg „zwei Lager“ herausgebildet – „das imperialistische und antidemokratische Lager, dessen Hauptziel die Errichtung der Weltherrschaft des amerikanischen Imperialismus und die Zerschlagung der Demokratie ist, und das antiimperialistische und demokratische Lager, dessen Hauptziel die Zerstörung des Imperialismus, die Stärkung der Demokratie und die Liquidierung der Überreste des Faschismus ist. Der Kampf der beiden gegensätzlichen Lager, des imperialistischen und des antiimperialistischen, vollzieht sich unter den Verhältnissen der weiteren Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus, des Schwächerwerdens der Kräfte des Kapitalismus und der Festigung der Kräfte des Sozialismus und der Demokratie.“ [5] Darüber hinaus erklärte Shdanow bei dieser Gelegenheit: „Die Hauptgefahr besteht jetzt in der Unterschätzung der eigenen Kräfte und in der Überschätzung der gegnerischen Kräfte. Genau so, wie die München-Politik in der Vergangenheit der Clique der Hitleraggression die Hände frei gemacht hat, so können Konzessionen an den neuen Kurs der USA und des imperialistischen Lagers seine Inspiratoren nur noch frecher und aggressiver machen.“ [6] Diese Einschätzung wurde ebenso wie seine Fassung der Zwei-Lager-Theorie in die Gründungsdeklaration aufgenommen. Sie richtete sich frontal gegen die Politik Stalins, ohne ihn beim Namen zu nennen, denn er war es, der zu dieser Zeit eine Politik der Konzessionen und des Entgegenkommens gegenüber den USA betrieb.

Die Auseinandersetzungen zwischen Stalin und den Linken spiegelten sich im Gegensatz von Regierung und Partei wider. Stalin war als Regierungschef für die Außenpolitik der Sowjetunion verantwortlich. Am 6.Mai 1941 hatte er, bis dahin lediglich erster Sekretär des ZK der Partei, im Hinblick auf den kommenden Krieg den Vorsitz des Rats der Volkskommissare, d.h. die direkte Regierungsverantwortung übernommen. Nach gewonnenem Krieg war zu erwarten, daß er die Führung der Regierungsgeschäfte wieder abgab. Daß er dies nicht tat, dürfte auf die Auseinandersetzungen in der Parteiführung zurückzuführen sein.

Stalin Einschätzung der Stärke der Sowjetunion und des Kräfteverhältnisses zu den kapitalistischen Staaten war zurückhaltend. Schon 1943, nachdem der deutsche Ansturm gebrochen war, hatte er bis fast zum Kriegsende versucht, einen Separatfrieden mit dem Kriegsgegner zu schließen, um den Sowjetstaat zu schonen, und war nur an dem fanatischen Siedlungswillen der Nationalsozialisten gescheitert. Er befürchtete, daß die angloamerikanischen Verbündeten Deutschland und die Sowjetunion sich zerfleischen lassen würden, um selber als lachende Dritte die Nachkriegszeit zu bestimmen. In der Tat war dies das Konzept Churchills gewesen, der die Eröffnung der „zweiten Front“ nach Kräften verzögert und es der Naziführung ermöglicht hatte, die deutschen Kampftruppen an der Ostfront zu konzentrieren. Erst als die Gefahr drohte, daß die Rote Armee Deutschland auch ohne die westlichen Verbündeten besiegen und die neue europäische Kontinentalordnung alleine bestimmen könnte, gab die britische Regierung grünes Licht für die Landung der Alliierten im August 1944 in der Normandie.

Nach dem Kriegsende verfolgte Stalin eine Ausgleichspolitik gegenüber dem Westen, insbesondere gegenüber den USA. Er war sowohl in ökonomischen als auch politischen Fragen konzessionsbereit. Im September 1946 äußerte er, daß er vollkommen „an die Möglichkeit einer freundschaftlichen und dauerhaften Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und den westlichen Demokratien trotz des Vorhandenseins ideologischer Unterschiede und an einen ‚freundschaftlichen Wettbewerb‘ zwischen den beiden Systemen“ glaube. [7] Mit Blick auf China erklärte er im Dezember 1946 die ausdrückliche Bereitschaft seiner Regierung, „mit den Vereinigten Staaten in den fernöstlichen Fragen eine gemeinsame Politik durchzuführen“ [8] – ein Vorschlag, der sich offenkundig gegen Großbritannien richtete.

Bereits nach Roosevelts Tod entfernte sich die US-Administration von der Politik der „one-world“ unter Einschluß der Sowjetunion, weil diese den Sowjets mehr nützte als den USA. Am 12.März 1947 verkündete der amerikanische Präsident Truman aus Anlaß des gerade stattfindenden Bürgerkriegs in Griechenland die Entschlossenheit der USA, kein weiteres Vordringen des Kommunismus zu akzeptieren. Eine neue Aufrüstungspolitik war mit der „Truman-Doktrin“ jedoch vorerst nicht verknüpft. Stalin verfocht deshalb weiterhin, so in einer Unterredung mit dem amerikanischen repulikanischen Präsidentschaftskandidaten Stassen im April 1947, daß die USA und die UdSSR trotz verschiedener Wirtschaftssysteme „selbstverständlich … miteinander zusammenarbeiten könnten“, und fügte hinzu, den USA stünden „solche Märkte wie Europa, China und Japan offen“, um das eigene Land zu entwickeln. [9] Gegenüber allen Kräften in der eigenen Partei, die auf die Vorbereitung des von ihnen für unvermeidbar gehaltenen Kriegs drängten, betonte er bis zu seinem Tod immer wieder, daß ein neuer Weltkrieg gegen die Sowjetunion nicht zwangsläufig stattfinden müßte. [10]

Im selben Jahr 1947 ging es um den Marshall-Plan, die Organisierung der amerikanischen Finanzhilfe für den Wiederaufbau in Europa. „Stalin hatte sich mit der Absage an den Marshall-Plan offensichtlich schwergetan. Dokumente des sowjetischen Außenministeriums bestätigen jetzt, was aus der Beteiligung einer großen sowjetischen Expertendelegation an der britisch-französisch-sowjetischen Vorkonferenz vom 25.Juni bis 2.Juli bislang nur geschlossen werden konnte: daß man in Moskau eine sowjetische Beteiligung an dem Wiederaufbauprogramm ernsthaft in Erwägung zog und die sowjetische Diplomatie sich detailliert auf die Verhandlungen über die Modalitäten des Plans vorbereitete.“ [11] Nach Shdanows Tod Ende August 1948 ließ Stalin, gestützt auf den Staatsapparat, durch Berija, Malenkow und den Sicherheitsminister Abakumow eine großangelegte Parteisäuberung in Leningrad durchführen, die mehrere Tausend Parteifunktionäre erfaßte (sie wurden nach Stalins Tod rehabilitiert und in ihre alten Funktionen wiedereingesetzt). Im März 1949 löste er Molotow als Außenminister durch Wyschinski ab. Die Veränderung bedeutete nach den Worten Rauchs, „daß nun gegenüber einer Vernichtungsstrategie der hinhaltenden Zermürbung der Vorzug gegeben wurde.“ [12]

Der Sieg der chinesischen Volksbefreiungsarmee im Jahre 1949 und der anschließende Korea-Krieg schufen eine neue Zäsur im Verhältnis zu den USA. Ein maßgebliches Kriegsziel der USA im Osten war die Öffnung des chinesisch- asiatischen Marktes gegen Großbritannien und Japan gewesen. „Gemessen an dem Ziel amerikanischer Chinapolitik im Zweiten Weltkrieg, ein unabhängiges, aber proamerikanisches China Tschiang Kai-scheks zu etablieren, dessen Regime die USA bereits 1928 anerkannt hatten, bedeutete der Sieg Maos im Jahre 1949 eine weltpolitisch-strategische Niederlage erster Ordnung und das Scheitern der seit der Jahrhundertwende verfolgten Politik der ‚offenen Tür‘.“ [13] Als im Juni 1950 die Spannungen in Korea in einen offenen Krieg umschlugen, rückte vorübergehend ein neuer Weltkrieg in den Bereich der Möglichkeit.

Nach ersten Rückschlägen waren die unter UN-Flagge kämpfenden Amerikaner, sobald der Nachschub organisiert war, dank ihrer Material- und Luftüberlegenheit bis weit nach Norden vorgedrungen und hatten sogar die nordkoreanische Hauptstadt Pjöngjang erobert. Zeitweise sah es so aus, als ob der Vormarsch bis nach Rotchina und darüberhinaus in die Sowjetunion fortgesetzt werden könne. Das daraufhin diskutierte Rüstungsprogramm stellte alle Programme des 2.Weltkriegs in den Schatten. „Erst jetzt begannen die USA, einen riesigen Kampfapparat zu Lande, zu Wasser und in der Luft aufzubauen. Erst jetzt entwickelte sich ein militärisch-industrieller Komplex, der Millionen von Menschen Brot und den Rückhalt in einer einfachen dualistischen Weltdeutung gab“. [15] Nur wenige Jahre, nachdem der Sowjetstaat den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg überstanden hatte, sah er sich einer neuen Bedrohung gegenüber. In einem Prawda-Interview vom 17.Februar 1951 führte Stalin aus, daß die aufgezwungene Hochrüstung den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die Fortsetzung des Industrialisierungsprogramms gefährdete; er sah sogar einen Staatsbankrott drohen. [15]

Aber dann konsolidierte sich die nordkoreanische Armee, überrannte mit Unterstützung chinesischer Volksfreiwilliger die gegnerischen Linien und trieb die amerikanischen Truppen vor sich her, bis die Fronten im Frühjahr 1951 um den 38.Breitengrad herum erstarrten. Die US-Administration erfuhr handgreiflich, daß der Weg nach Peking und Moskau trotz des Besitzes von Nuklearwaffen mit den Leichen amerikanischer Soldaten gepflastert werden mußte. Nach wenigen Monaten wurde die bereits angelaufene Kriegsvorbereitung eingestellt. Die schließlich realisierte Aufrüstung diente dazu, auf dem Boden des Kalten Kriegs die US-amerikanische Vorherrschaft über den Westen im Zeichen der Gegnerschaft gegen den Kommunismus zu sichern – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Mit der Kriegsplanung wanderten etwa Mitte 1951 auch die Pläne in die Schubladen, Deutschland in einem Umfang aufzurüsten, der einen großen Krieg in Europa gegen die UdSSR erlaubte. Die 1952 im Rahmen der EVG (Europäische Verteidigungsgemeinschaft) vereinbarte Wiederbewaffnung der BRD war nur noch geeignet, den Graben zwischen Ost und West zu vertiefen und die BRD an den Westen zu binden, nicht aber die Sowjetunion ernsthaft zu gefährden. Stalin bewertete im Gespräch mit der SED-Führung im April 1952 die US-Politik nach den Notizen Piecks daher wie folgt: „Schaffung Europa-Armee – nicht gegen SU, sondern um Macht in Europa“. [16]

3. Ausnutzung der zwischenimperialistischen Widersprüche

Die von Stalin verfolgte Revolutionsstrategie setzte die von Lenin begründete Außenpolitik fort, die die Zwischenkriegspolitik bestimmt hatte. „Einen mächtigeren Gegner kann man nur unter größter Anspannung der Kräfte und nur dann besiegen, wenn man unbedingt auf angelegentlichste, sorgsamste, vorsichtigste, geschickteste sowohl jeden, selbst den kleinsten ‚Riß‘ zwischen den Feinden, jeden Interessengegensatz zwischen der Bourgeoisie der verschiedenen Länder, zwischen den verschiedenen Gruppen oder Schichten innerhalb der Bourgeoisie innerhalb der einzelnen Länder … ausnutzt“, hatte Lenin in seiner Schrift über den „linken Radikalismus“ 1920 geschrieben. [17] Diese Politik der Ausnutzung der zwischenimperialistischen Widersprüche war das Gegenteil der Zwei-Lager-Politik der Linken.

In dem Werk „Ökonomische Probleme des Sozialismus“ von 1952 rechnete Stalin im 6.Abschnitt „Die Frage der Unvermeidlichkeit von Kriegen zwischen den kapitalistischen Ländern“ mit den Anhängern der Zwei-Lager-Theorie ab. „Manche Genossen behaupten, daß infolge der neuen internationalen Bedingungen nach dem zweiten Weltkrieg Kriege zwischen den imperialistischen Ländern nicht mehr unvermeidlich seien. Sie meinen, daß die Gegensätze zwischen dem Lager des Sozialismus und dem Lager des Kapitalismus stärker seien als die Gegensätze zwischen den kapitalistischen Ländern. (…) Diese Genossen irren sich. Sie sehen die an der Oberfläche schimmernden äußeren Erscheinungen, aber sie sehen nicht die in der Tiefe wirkenden Kräfte, die, obwohl sie vorläufig unmerkbar wirken, dennoch den Lauf der Ereignisse bestimmen werden.“ [18] In Wirklichkeit, so Stalin, seien die Gegensätze zwischen den kapitalistischen Staaten tiefer als ihre Gemeinsamkeiten. Er erklärte die gegenwärtige Unterordnung Englands, Frankreichs, Japans und Deutschlands unter die USA für nicht normal und rechnete dauerhaft mit deren Wiederauferstehen. Zwar sei, solange der Imperialismus existiere, die Möglichkeit eines Krieges zwischen ihm und dem Sozialismus nicht auszuschließen; wahrscheinlicher seien jedoch Auseinandersetzungen zwischen den imperialistischen Mächten selber. [19]

Auf Grundlage dieser Einschätzung eröffneten sich neue Möglichkeiten für den Sowjetstaat, zwischen den kapitalistischen Mächten zu lavieren, anstatt eine die eigenen Kräfte überfordernde Gesamtfront gegen sie aufzubauen. Statt auf die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten, wie noch bis Ende der 40er Jahre angestrebt, setzte die neue Strategie auf ihre Isolierung. In seinem Schlußwort auf dem 19.Parteitag der KPdSU an die anwesenden internationalen Parteivertreter faßte Stalin am 14.Oktober 1952 die von ihm befürwortete Strategie des nationaldemokratischen Kampfes mit den USA als Hauptgegner zusammen: „Früher galt die Bourgeoisie als das Haupt der Nation, sie trat für die Rechte und die Unabhängigkeit der Nation ein und stellte sie ‚über alles‘. Jetzt verkauft die Bourgeoisie die Rechte und die Unabhängigkeit der Nation für Dollars. Das Banner der nationalen Unabhängigkeit und der nationalen Souveränität ist über Bord geworfen. Ohne Zweifel werden Sie, die Vertreter der kommunistischen und demokratischen Parteien, dieses Banner erheben und vorantragen müssen, wenn Sie Patrioten Ihres Landes sein, wenn Sie die führende Kraft der Nation werden wollen. Es gibt sonst niemand, der es erheben könnte.“ [20] Das war eine deutliche Absage an alle, die den direkten Sturmlauf zum Sozialismus organisieren wollten. Stalins Orientierung zielte insbesondere auf Deutschland, denn dort wurde zu dieser Zeit die entscheidende Schlacht um dessen künftige Stellung in Europa und der Welt geschlagen.

Gedacht war die Schrift ebenso wie die Rede auf dem Parteitag offenkundig als Vorbereitung einer großen Auseinandersetzung. Der Parteitag schaffte das Politbüro ab und ersetzte es durch ein Präsidium, das wegen seiner Größe kaum handlungsfähig war. Bevor der Kampf aber noch offen ausgetragen werden konnte, starb Stalin im März 1953. Sein Tod machte den Weg frei für die Durchsetzung der Zwei-Lager-Politik. Am 14.Mai 1955, neun Tage nach dem Nato-Beitritt der Bundesrepublik, wurde der Warschauer Pakt gegründet. Damit hatte die Zwei-Lager Theorie endgültige Gestalt in Form zweier entgegengesetzter Bündnissysteme angenommen. Zugleich taten die Linken, die auf dem XX.Parteitag der KPdSU 1956 ihren Sieg über den toten Stalin feierten, alles, um die tatsächlichen Gegensätze zu vertuschen. Da sie von nun an die Herren nicht nur der Politik, sondern auch der Archive und der Geschichtsschreibung waren, hatten sie auch die Mittel dazu.

4. Zwei Linien in der Deutschlandpolitik

Der außenpolitische Hauptstreitpunkt der gegensätzlichen Linien war die Deutschlandfrage. Das besiegte Deutschland war das europäische Kernland, dessen Einordnung in die internationalen Beziehungen die Grundlinien der Weltpolitik auf Jahrzehnte hinaus bestimmte. So wie die amerikanische Vorherrschaft über Europa von der Vorherrschaft über Deutschland (West-) abhing, war Deutschland (Ost) für die sowjetischen Linken und Militärs der unverzichtbare Eckstein des „sozialistischen Lagers“ und – in der kriegskommunistischen Ausgangsversion der Zwei-Lager-Theorie – der militärgeographische Ausgangspunkt, um den Sozialismus nach Westeuropa vorwärtszutreiben. Auf der anderen Seite war die deutsche Frage für Stalin der Haupthebel, eine gemeinsame gegnerische Front hier aufzubrechen bzw. gar nicht erst zustandekommen zu lassen. Abgesehen von allen weitergehenden revolutionsstrategischen Erwägungen bezweifelte er die Lebensfähigkeit eines selbständigen, sozialistischen deutschen Oststaats; dieser würde dauerhaft auf sowjetische Unterstützung angewiesen sein. [21] Umgekehrt ging er davon aus, daß ein einheitliches, bürgerliches Deutschland an der Seite der Sowjetunion diese außenpolitisch entlasten und durch beiderseits vorteilhafte Handelsbeziehungen zum weiteren industriellen Aufbau beitragen würde. Die eigene Aufrüstung konnte zurückgeschraubt und die freiwerdenden finanziellen Mittel zur Weiterführung der Industrialisierung eingesetzt werden. Neue Spielräume öffneten sich, um die selbständig produzierenden Kolchosen langsam in staatliche Agrarproduktionsstätten und die Kolchosbauern in Landarbeiter umzuwandeln; die zu erwartende Verbesserung des Kräfteverhältnisses würde schließlich auch der Weiterführung des revolutionären Prozesses in den kapitalistischen Kernländern selber dienen.

Dies bedeutete ein Wiederanknüpfen an die sowjetisch-deutsche Rapallo-Politik der 20er Jahre, aber unter anderen Vorzeichen. Seinerzeit waren die beiden Verliererstaaten des 1.Weltkriegs vorübergehend zusammengegangen, um gemeinsam die Versailler Vorherrschaft der imperialistischen Siegermächte abzuschütteln. Aber während die Sowjetunion der 20er Jahre schwach war, war Deutschland auch nach der Niederlage 1918 stark genug geblieben, um 20 Jahre später einen erneuten Weltkrieg zu führen. Nach dem 2.Weltkrieg stand dem vernichtend geschlagenen Deutschland dagegen ein Sowjetstaat gegenüber, der zur Weltmacht geworden war und Deutschland auch industriell überflügelt hatte (1944 überstieg die sowjetische Kriegsproduktion die deutsche). Mit einer mehr als doppelt so großen Bevölkerung und einer umfangreicheren Industrie konnte die Sowjetunion als unangefochten stärkste europäische Macht ein antifaschistisches, bürgerlich-demokratisches Deutschland, das seine Wiedervereinigung (unter Garantien) sowjetischem Entgegenkommen verdankte, ohne ernsthafte Befürchtungen vor einer neuen Abenteuerpolitik in ihrem Kraftfeld halten. Zudem ergänzten sich der rohstoffreiche, nach wie vor industrialisierungsbedürfte Sowjetstaat und das rohstoffarme, hochindustrialisierte Deutschland vorteilhaft. Nicht zuletzt hätte ein Bündnis mit dem deutschen Industriestaat es erleichtert, den kommunistischen Agrarstaaten Osteuropas und Asiens bei der Industrialisierung zu helfen.

Zwischen den Zeilen zeigte das Glückwunschtelegramm Stalins an Pieck und Grotewohl zur Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, die Stalin lediglich als eine aufgezwungene Zwischenstation auf dem Weg zu einem demokratischen Gesamtdeutschland ansah, diese Orientierung auf. „Die Erfahrung des letzten Krieges hat gezeigt, daß das deutsche und das sowjetische Volk in diesem Kriege die größten Opfer gebracht haben, daß diese beiden Völker die größten Potenzen in Europa zur Vollbringung großer Aktionen von Weltbedeutung besitzen. Wenn diese beiden Völker die Entschlossenheit an den Tag legen werden, für den Frieden mit der gleichen Anspannung ihrer Kräfte zu kämpfen, mit der sie den Krieg führten, so kann man den Frieden in Europa für gesichert halten. Wenn Sie so den Grundstein für ein einheitliches, demokratisches und friedliebendes Deutschland legen, vollbringen Sie gleichzeitig ein großes Werk für ganz Europa, indem Sie ihm einen festen Frieden gewährleisten.“ [22] Ohne die geringsten Vorbehalte wegen des Nationalsozialismus und des nur wenige Jahre zurückliegenden Überfalls auf die UdSSR zu äußern, trat Stalin für ein Bündnis mit Deutschland „zur Vollbringung großer Aktionen von Weltbedeutung“ ein – und in der Tat hätte ein sowjetisch-deutsches Zusammengehen die Geschichte der Nachkriegszeit anders aussehen lassen. Daß mit dem „friedliebenden, demokratischen Deutschland“ nicht der Oststaat gemeint war, wie die SED glauben machen wollte, dokumentierte nicht nur die Bezeichnung der DDR als „Grundstein“ für ein demokratisches Gesamtdeutschland, sondern noch einmal der Aufruf zum Schluß: „Es lebe und gedeihe das einheitliche, unabhängige, demokratische und friedliebende Deutschland.“

So gegensätzlich die Interessen der imperialistischen Siegermächte des 2.Weltkriegs auch waren – ein einheitliches Deutschland an der Seite der Sowjetunion fand ihre gemeinsame Gegnerschaft. Für die USA war das Hauptkriegsziel die „one world“ gewesen, um dem überlegenen amerikanischen Kapital die Märkte der ganzen Welt zu öffnen. Wenn schon die Sowjetunion aus der „one world“ ausgeschlossen werden mußte, dann mußte diese zumindest die kapitalistischen Kernländer des alten Kontinents umfassen, und dazu war die Vorherrschaft über die deutsche Zentralmacht Europas und deren Ausrichtung gegen die Sowjetunion nötig. Großbritannien war nicht grundsätzlich gegen einen deutschen Einheitsstaat, aber nur unter der Bedingung, daß dieser für ein neues Gleichgewicht der Kräfte in Kontinentaleuropa sorgte, also vor allem gegen die Sowjetunion stand; ein demokratisches Deutschland, das an der Seite der Sowjetunion antikoloniale Politik betrieb, war der Alptraum der Empire-Politiker in der Downing-Street. Frankreich schließlich war ein prinzipieller Gegner jedes deutschen Einheitsstaats. Wenn die Uhr der Geschichte schon nicht hinter die deutsche Einheit von 1871 zurückgestellt werden konnte, dann sollte das neue Deutschland möglichst klein und föderal zersplittert sein. Der gemeinsame Nenner der drei Mächte war also die Spaltung Deutschlands und die Westbindung des in ihren Besatzungszonen liegenden größeren Teils.

In Adenauer fanden die westlichen Alliierten einen Politiker, der ihren gemeinsamen Zielen entsprach. [23] Er verkörperte eine Strömung in der deutschen Gesellschaft und Bourgeoisie, die bis dahin untergeordnet gewesen war, aber unter den Bedingungen der Nachkriegszeit die Gelegenheit erhielt, sich in gewandelter Form durchzusetzen. Er entstammte dem katholischen „Zentrum“, dessen Schwerpunkt im Süden und Westen Deutschlands lag und das sich mit dem unter der Hegemonie des protestantischen Preußen hergestellten Nationalstaat nie vollständig identifiziert hatte. Die rheinische Bourgeoisie, die Adenauer verkörperte, orientierte sich ökonomisch und politisch mehr nach Westen als nach Berlin. Jenseits der Elbe sah Adenauer die „Barbarei“ beginnen, und zwar nicht erst in russisch-bolschewistischer Gestalt. Mit den beiden Weltkriegsniederlagen gegen jedesmal dieselbe Koalition aller großen Nachbarmächte begründete er, daß eine deutsche Schaukelpolitik zwischen West und Ost ins Verderben führen würde und das künftige Deutschland unwiderruflich an den Westen gebunden werden müsse. Soweit es dazu erforderlich war, auf den sowjetisch besetzten, preußisch-evangelischen Teil Deutschlands zu verzichten, nahm er dies billigend in Kauf. Er verfocht also die Spaltung Deutschlands aus eigener Überzeugung. „Adenauer wollte anstelle einer aktiven Wiedervereinigungspolitik eine aktive Westintegrationspolitik treiben. Dies war für ihn ein hartes Entweder-Oder. (…) Man wird um die Feststellung nicht herumkommen, daß Adenauer von den in der Präambel des Grundgesetzes festgeschriebenen Staatszielen nur eines wirklich verfolgte.“ [24]

Mit dem Ziel der Spaltung Deutschlands trafen sich die Zwei-Lager-Politiker beider Seiten. Offiziell ging die Sowjetunion seit Anfang 1945 vom Fortbestehen eines einheitlichen Deutschlands aus. Jenseits dieser offiziellen Grundposition lassen sich in der Besatzungszeit aber mindestens drei verschiedene Optionen feststellen. „Die erste war die Bildung eines entmilitarisierten, ’neutralen‘ Deutschlands, eine Vorstellung, wie sie von dem politischen Berater der SMAD, Wladimir Semjonow, vertreten wurde … Die zweite Option war die Bildung eines einheitlichen Deutschland unter Führung der SED … Die dritte Option war schließlich die Bildung einer sowjetischen Ostzone. Sie wurde von Ulbricht und von Sergej Tjulpanow, dem Leiter der Propaganda-Abteilung und starken Mann in der SMAD, verfochten. Tjulpanow vertrat diese kompromißlose Linie bereits, als sie von der sowjetischen Führung noch nicht favorisiert wurde.“ [25] Die sowjetischen Linken zielten in maßloser Überschätzung der Kräfte der Sowjetunion und der deutschen Arbeiterbewegung zunächst auf die Errichtung des Sozialismus in ganz Deutschland und dann, als sich dies als illusorisch herausstellte, dann wenigstens im sowjetisch besetzten Teil. In der Frage der Reparationen bündelten sich die Gegensätze. Während Stalin, um die kriegszerstörte Sowjetunion aufzubauen, die Erfüllung der im Potsdamer Abkommen vereinbarten Reparationsverpflichtungen verlangte, die zu Lasten des angestrebten bürgerlich-demokratischen Gesamtdeutschland gegangen wären, lehnte Shdanow „die Demontagepolitik ab und favorisierte statt dessen eine rasche Umgestaltung der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands nach sowjetischem Vorbild.“ [26]

So trug die sowjetische Deutschlandpolitik in den entscheidenden Jahren ambivalenten Charakter, verkörpert in zwei Männern, Tulpanow und Semjonow, von denen der eine die Ziele der sowjetischen Partei (und des Militärs) und der andere die der Sowjetregierung verfocht. Tulpanow, Propagandachef der Sowjetischen Militäradministration (SMAD; ab 1949 Sowjetische Kontrollkommission = SKK), war gleichzeitig Leiter des Parteiaktivs, d.h. der Organisation der KPdSU-Mitglieder im Verwaltungsapparat der SMAD. Als Mann Shdanows [27] nach den Leningrader Säuberungen 1949 abberufen, verschwand zwar seine Person, aber nicht die von ihm verkörperte Politik. Sein Gegenspieler war Semjonow, als politischer Berater der SMAD/SKK oberster Repräsentant der Sowjetregierung und ab Ende Mai 1953 sowjetischer „Hoher Kommissar“ (Botschafter) in der DDR. Er vertrat stets die offizielle Regierungspolitik – zunächst Stalins und dann seiner Nachfolger. [28]

Die unterschiedlichen Bestrebungen trafen auf eine kommunistische Bewegung in Deutschland, die aufgrund ihrer Vergangenheit und Politik in bestimmter Richtung vorgeprägt war.