Über die amerikanischen Kriegsziele im Nahen Osten

Von Heiner Karuscheit
  1. Der von der Bush-junior-Administration gegen den Irak geplante Krieg soll das geostrategische Grundproblem lösen, vor dem die USA seit 1979 im Nahen Osten stehen. Seit dem Sturz des Schah-Regimes verfügen die Vereinigten Staaten über kein genügend stabiles bzw. starkes Statthalter-Regime mehr, auf das sie sich bedingungslos stützen können. Israel ist nicht in der Lage, die Hegemonie über die gesamte Region zu erlangen. Saudi-Arabien ist zu schwach und die innenpolitische Manövrierfähigkeit des Königshauses ist durch den islamischen Fundamentalismus eingeschränkt. In Ägypten lässt neben dem erstarkenden Islamismus auch der arabische Nationalismus eine bloße Handlangerrolle nicht zu.
  2. Ziel der Cheney-Bush-Politik ist die Etablierung eines Statthalter-Regimes im Irak in vollständiger Abhängigkeit von den USA, abgesichert durch die dauerhafte Stationierung amerikanischer Truppen, ggf. ergänzt durch europäische Hilfstruppen. Von hier aus soll unter dem Deckmantel der „Demokratisierung“ und „Modernisierung“ auch in Saudi-Arabien ein US-höriges, westlich-laizistisches Marionettenregime errichtet werden. In einem weiteren Schritt könnte dann ein Umsturz im Iran erfolgen, um die Kontrolle der Region und ihrer Erdölreserven zu vervollständigen.
  3. Die geplante Neuordnung des nahöstlichen Raums stellt gezielt oder ungezielt auch die Grenzen in Frage, die nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches im Gefolge des Ersten Weltkriegs von den damaligen Kolonialmächten Großbritannien und Frankreich gemäß ihren Interessen gezogen wurden. Neben Kurden und anderen Kräften verfolgt insbesondere die Türkei, die aufgrund ihrer geostrategischen Lage zur Kriegführung unentbehrlich ist, territoriale Ziele (Ölquellen des Nordirak). Die endgültige Neuordnung wird von den Zugeständnissen an die Kräfte, die man zur Kollaboration braucht, sowie letztlich von der Entwicklung des Kriegstheaters selber abhängen.
  4. Die jetzt betriebene Politik basiert auf einem grundlegenden Wandel in der amerikanischen Außenpolitik. Im Nahen Osten war zuvor versucht worden, Israel und die Palästinenser durch amerikanischen Druck zum Ausgleich zu zwingen (Oslo-Prozess), um so die amerikanische Position als Schiedsrichter zu stabilisieren. Dieser Ansatz wurde mit dem Amtsantritt der neuen Administration abgebrochen. Da die Bush-Regierung ihr politisches Schicksal an die Niederwerfung des Irak geknüpft hat und innenpolitisch keine mehrheitsfähige Alternative zu dem „großen Wurf“, den die kriegerische Neuordnung des Nahen Ostens verspricht, sichtbar ist, dürfte der Krieg unabweisbar sein.
  5. In Israel-Palästina wird es bis dahin keine Friedensregelung geben. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass die Scharon-Regierung die Spannungen weiter schüren wird, um im Windschatten des Kriegs einen vollständigen Unterwerfungsfrieden durchzusetzen. Dieser könnte so aussehen, dass Jordanien zum Staat der Palästinenser gemacht wird und eine neue Massenvertreibung aus Israel und den von Israel beanspruchten Gebieten erfolgt.
    Da umgekehrt nicht auszuschließen ist, dass die USA je nach Entwicklung der Lage Israel opfern werden, um als Patron der arabischen Nation aufzutreten, wenn ihre Stellung nur so gesichert werden kann, ist es für die Regierung Scharon umso dringlicher, so schnell und so tiefgreifend wie möglich vollendete Tatsachen zu schaffen, sobald der Krieg beginnt.
  6. Die Haupttriebkraft der Cheney-Bush-Politik ist in dem ökonomisch-gesellschaftlichen Niedergang der USA zu suchen, der lange Zeit durch den Zufluss ausländischen Kapitals in die USA überdeckt wurde – mit der Folge einer ungeheuren Auslandsverschuldung (Martin Schlegel: Die New Economy der USA – krisenfreier Kapitalismus?). Nachdem in den letzten Jahrzehnten alle Versuche gescheitert sind (zuletzt noch unter Clinton), die us-amerikanische Wirtschaft und Gesellschaft zu modernisieren, um gegen die europäische und japanische Konkurrenz zu bestehen und so die eigene Vormachtstellung zu unterfüttern, hat sich mit dem Machtantritt der neuen Administration eine neue strategische Konzeption durchgesetzt.
    Die Cheney-Bush-Regierung hat „die ‚strategische Partnerschaft‘ mit den anderen führenden kapitalistischen Staaten (regionale Gleichgewichtspolitik mit amerikanischer Schiedsrichterrolle) durch die militärische Dominanz über die restliche Staatenwelt“ ersetzt (Alfred Schröder: Der 11. September, der Afghanistankrieg und die Linke). Das heisst, dass militärische Mittel nicht länger als „ultima ratio“ eingesetzt werden, um eine regionale Dominanz anderer Staaten zu verhindern, sondern zum Hauptmittel werden, um die wankende amerikanische Hegemonie zu sichern.
Letzte Änderung: 21.03.2016