Der 11. September, der Afghanistankrieg und die Linke

Von Alfred Schröder

Die Attentate am 11. September – ohne Bekenner und politische Bekenntnisse -, die im Oktober begonnene Kriegskampagne der USA mit dem Erstziel Afghanistan, die Stellung der NATO, Russlands und der Bundesregierung zu diesen beiden Ereignissen; dies alles brachte eine heftige Debatte, eine weitere politische Aufsplitterung und Zersetzung in der Linken hervor. Diese Entwicklung war unvermeidlich, da sowohl die Attentate als auch ihre politischen und militärischen Folgen auf den ersten Blick kaum erklärbar waren. Mit Recht bemerkt deshalb die Zeitschrift Z in ihrem Editorial zur Dezemberausgabe 2001: „Je länger jedoch der Krieg gegen Afghanistan dauert, je undurchsichtiger Strategie und Ziel der USA werden, um so mehr Fragen ergeben sich“.

Die ehemals antideutsche Linke wird Kriegspartei

Für den antideutschen Flügel der Linken zielten die auf das World-Trade-Center in New York und das Pentagon bei Washington verübten Attentate nicht auf die anvisierten und getroffenen Objekte. Vielmehr sei der Staat Israel der eigentliche Adressat der Attentate gewesen und ihr politisch-ideologischer Hintergrund sei der allgegenwärtige – sowohl in der arabischen Welt wie in Deutschland weit verbreitete – Antisemitismus. „Der Anschlag auf das World Trade Center war die bisher monströseste Offenbarung eines erneut auf Vernichtung zielenden Antisemitismus. Wer darin einen beliebigen Terror und eine interne Angelegenheit der USA sieht, hat nicht verstanden, worum es geht“, so die Zeitschrift konkret in der Nr. 11/2001.

Daraus folgerte für große Teile der antideutschen Linken, dass der Krieg der USA und seine Unterstützung durch die NATO gerechtfertigt sei und dem Fortschritt der Menschheit diene. „Trotz der scheinbaren Unmöglichkeit ihres Unterfangens sind US-Militärschläge zu begrüßen“, so die Antideutsche Gruppe Wuppertal/Essen im Einklang mit der Zeitschrift Bahamas, die diese Strömung am klarsten repräsentiert. So mutiert ein ehemaliger Flügel der sog. antideutschen Linken zur Kriegspartei.

Zionistische Sorgen und politischer Realitätsverlust

Der andere Flügel dieser Strömung, repräsentiert durch die Zeitschrift konkret, artikulierte nach den Attentaten die Sorgen der israelischen großen Koalition aus Arbeiterpartei, Likud und religiösen Nationalisten (in allen anderen Staaten der Welt würden diese politischen Gruppierungen als religiös-fundamentalistische Rechtsparteien bezeichnet) und vermutet eine anti-israelische Kampagne als Antwort auf die Attentate. „Die Antwort der Welt (auf die Attentate in den USA), die zivilisiert zu nennen nur Zynikern einfällt, ist eine Kampagne, die sich gegen Israel richtet“, so Gremliza in seinem Leitkommentar in der konkret 11/2001.

Diese Sorgen der israelischen großen Koalition, die die Zeitschrift konkret zum Ausdruck brachte, haben sich allerdings bisher nicht bestätigt. Der Staat Israel ist bis dato der Hauptnutznießer der amerikanischen Kriegskampagne gegen den Terror. Die EU wurde gezwungen, ihre Nahostpolitik zugunsten Israels zu korrigieren, die Intifada und die sie tragenden Organisationen werden zunehmend kriminalisiert und dem Lager des Terrorismus zugerechnet, die Arafat-Verwaltung wird fortwährend militärisch angegriffen und geschwächt, die zionistische Besetzungs- und Siedlungspolitik ungestört fortgesetzt, die Kritiken der arabischen Welt werden konsequent ignoriert usw. Wer in den Ereignissen der vergangenen drei Monate eine Kampagne gegen Israel entdecken kann, muss dafür gute Gründe außerhalb der bekannten politischen Realität besitzen.

Während die speziellen „Sorgen“ der israelischen großen Kriegskoalition und der Zeitschrift konkret durch die politischen Fakten widerlegt wurden, so verbleibt als gemeinsamer Rest der Positionen des antideutschen Lagers der vermeintlich antisemitische Charakter der Attentate auf die Twin-Towers (der Anschlag auf das Pentagon wird in diesen Zeitschriften so gut wie nie erwähnt). Der hier dingfest gemachte Antisemitismus ist weniger eine politische Tatsache als ein psychologisches Problem in der deutschen Linken. Er ist auf eben dieser Ebene zu behandeln und kann deshalb kein Bestandteil einer politischen Diskussion der Attentate und der amerikanischen Kriegspolitik sein.

Die ökonomischen Interessen als Kriegsgrund

Anders die Erklärungsversuche des „orthodoxen“ Flügels der Linken. Sie variierten zwischen einer Erklärung der Attentate aus dem in der arabischen Welt weit verbreiteten Zorn und Hass gegen die amerikanische Politik bis hin zu diversen Verschwörungstheorien, die eine direkte oder zumindest indirekte amerikanische Urheberschaft unterstellen.

Relativ einhellig wird dagegen die in Afghanistan begonnene Kriegskampagne der USA mit den „Wirtschafts- und Ölinteressen des Westens“ begründet. Es „riecht nach Öl und es geht um Ölpipelines. Für die USA geht es vor allem um das kasachische und turkmenische Öl.“ (Arbeiterstimme, Dezember 2001). Oder um nur eines von vielen gleichartigen Zitaten aus Kalaschnikow-online anzuführen: „Dieser Krieg wurde nicht nur für Unocal geführt (von den Gewinnen für die Rüstungsfirmen wie die aus dem Portfolio der Carlyle Group nicht zu reden), sondern auch für weitere Erdölfirmen, für Chevron Texaco, Exxon Mobil, Arco, die französische Total Fina Elf, British Petroleum, Royal Dutch Shell und andere, die Hunderte von Milliarden Dollar in der Region investiert haben. Sie alle müssen die Bodenschätze aus der Kaspischen Region an die europäischen und asiatischen Märkte transportieren. Dafür ist der ‚Krieg gegen den Terrorismus‘ da, dafür werden die störrischen Taliban beseitigt und Osama bin Laden gejagt.“ So kommentiert Gen. Eussner seit Monaten weitgehend unwidersprochen die Ereignisse in der Onlinezeitung www.kalaschnikow.de.

Die Debatte im Umfeld der DKP geht in eine ähnliche Richtung und hat dort die Theorie des „kollektiven Imperialismus“ ans Licht gebracht. Dies meint, dass die „gleichgerichteten Interessen“ der führenden kapitalistischen Staaten „auch heute nach dem Ende des Systemkonflikts, gewichtiger als die konkurrierenden (seien)“ (Editorial der Marxistischen Blätter, Sonderausgabe: Globalisierung der Barbarei). Gemeinsam unter der Führung der USA wird hier ein ökonomisch begründeter Krieg der führenden Staaten der kapitalistischen Welt zur Durchsetzung der Globalisierung gegen alle Widerstände der dritten Welt vermutet. „Die G7-Staaten (streben) unter der Hegemonie der USA gegenwärtig die Installierung einer globalen politisch-militärischen Diktatur (an), die den Mechanismus einer hochintegrierten kapitalistischen Weltwirtschaft absichert und die Fortführung der Globalisierung zu den Bedingungen der Industrieländer garantiert.“ (ebenda, S. 25).

Ob nun für Öl, Pipelines oder die Fortsetzung der Globalisierung, der Krieg wird für die Durchsetzung der ökonomischen Interessen des Kapitals geführt. Dementsprechend lehnt dieser Flügel mit sehr unterschiedlichen politischen Losungen (bei DKP und PDS allerdings deutlich auf pazifistische Forderungen begrenzt) den Krieg ab.

Thesen für eine politische Interpretation der Ereignisse

War es in den ersten Wochen nach den Ereignissen (Attentat und Beginn der amerikanischen Kriegskampagne) schwierig, zu einer umfassenderen politischen Bewertung der Geschehnisse zu gelangen, so ermöglichen die inzwischen vorliegenden Fakten sowie eine Reihe öffentlicher Stellungnahmen der Akteure, ein bestimmteres Bild von den Geschehnissen zu zeichnen. Dies soll mit den nachfolgenden Thesen versucht werden. Die dabei entwickelten Positionen stehen im Gegensatz zu den gerade vorgestellten Auffassungen, die in der Linken vorherrschen.

Nachfolgendes wird aus zwei Gründen in Thesenform formuliert. Thesen verlangen eine Verkürzung und Zuspitzung in der Argumentation, die die unterschiedlichen Auffassungen deutlicher hervortreten lassen. Sie eignen sich dadurch besser für einen Einstieg in die Diskussion als ein längerer Artikel. Zum zweiten werden die Thesen verdeutlichen, dass eine Reihe von Fragen eine eingehendere Beschäftigung erfordern, die der Autor nicht leisten kann. Hier ist zu hoffen, dass eine Diskussion Licht in das Dunkel der noch nicht erschlossenen empirischen Tatsachen bringt.

These 1: Die amerikanische Kriegskampagne ist keine direkte Umsetzung der ökonomischen Interessen der Öl- und Rüstungsindustrie, sondern Ausdruck einer politischen Konzeption zur Sicherung der amerikanischen Hegemonie mit militärischen Mitteln.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird in den USA eine Debatte geführt, wie der Verfall der ökonomischen, politischen und militärischen Hegemonie der USA über die westliche und pazifische Hemisphäre (in den 80er Jahren) und seit Beginn der 90er Jahre über die gesamte Welt aufzuhalten und umzukehren ist. Die deutschen Einheit 1989, der Zerfall der Sowjetunion 1991, die Beschlüsse von Maastricht, die zur Herausbildung der Euro-Zone führten, haben dieser Debatte in den USA weitere Aktualität verschafft.

Bedeutende, auch in Deutschland veröffentlichte und gerade in den USA viel diskutierte Publikationen zu diesem Thema im vergangenen Jahrzehnt waren z. B. Paul Kennedy „Aufstieg und Fall der großen Mächte“, Zbigniew Brzezinski „Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ oder Samuel P. Huntington „Kampf der Kulturen“.

Ausgangspunkt der Debatte war der unübersehbare ökonomische Niedergang der USA gegenüber ihren wichtigsten Bündnispartnern Japan und der BRD in den 80er Jahren. Mit dem Wegfall der Blockkonfrontation in den 90er Jahren erweiterte sich der ökonomische und politische Handlungsspielraum der EU mit der ständig wachsenden Bedeutung des vereinigten Deutschlands, sowie auch der Japans und Chinas. Die Hegemonie der „einzig verbliebenen Weltmacht“ (Brzezinski) schien unangreifbar und war zugleich bereits in ihrer ehemaligen Hegemonialsphäre, in Europa und im asiatisch-pazifischen Raum so unterminiert, wie noch nie seit der Gründung der NATO. Zugleich hielt der wirtschaftliche Niedergang der USA gegenüber ihren Hauptbündnispartnern weiter an, wuchsen das amerikanische Außenhandelsdefizit und die US-Staatsverschuldung in astronomische Höhen. Ökonomischer Niedergang der USA und wachsender politischer Handlungsspielraum der europäischen und pazifisch-asiatischen Verbündeten verlangten eine neue strategische Konzeption der USA.

These 2: Die von den USA geführte Kriegskampagne ist nicht Ausdruck eines „kollektiven Imperialismus“ der führenden kapitalistischen Mächte zur gemeinsamen Durchsetzung der Globalisierung gegen die Dritte Welt. Vielmehr richtet sich die in Afghanistan begonnene Kriegskampagne der USA gerade gegen die strategischen Konkurrenten der USA, gegen die EU, Russland, China, Japan. Sie ist Ausdruck der wachsenden ökonomischen und politischen Widersprüche zwischen den bedeutenden kapitalistischen Staaten.

Gemeinsam ist den unterschiedlichen Lagern in der amerikanischen Politik die Zielsetzung der „Erhaltung der Spitzenposition der USA, (der) Verhinderung einer der USA feindlich gegenüberstehenden Hegemonie auf dem europäischen Kontinent oder im asiatisch-pazifischen Raum, (die) Ausbreitung des (…) amerikanischen Wertesystems, (die) Öffnung und Sicherung der Märkte für amerikanische Kapitalinvestitionen, Waren und Informationen.“ (Werner Link, Die Neuordnung der Weltpolitik, S. 133)

Eine solche politische Zielsetzung kann auf sehr unterschiedlichen Wegen realisiert werden. Sie kann zum einen auf die strategische Partnerschaft und auf eine enge ökonomische und politische Zusammenarbeit mit den wichtigsten Konkurrenten orientieren. Dies verlangt von den USA eine radikale Modernisierung ihrer Wirtschaft und Gesellschaft, die Rückführung der Staatsverschuldung, Steigerung der Produktivität der Wirtschaft, Reform des Schul-, Gesundheits- und Justizsystems sowie der Altersvorsorge auf dem Boden der Globalisierung besonders der Finanz- und Informationsmärkte, die für die USA eine bedeutende Rolle spielen.

Clinton selbst formulierte: „Im vergangenen Jahrzehnt vergrößerte sich der Investitionsvorsprung zwischen unseren internationalen Konkurrenten und den USA, während unsere Infrastruktur zur gleichen Zeit regelrecht unter unseren Füßen zerbröckelte. Ende der achtziger Jahre investierten Deutschland und Japan mehr als das Zwölffache der USA in den Straßen- und Brückenbau, in Kanalisationssysteme, die Telekommunikation und Informationsnetzwerke sowie in Zukunftstechnologien. Was Wunder, dass sie die Vereinigten Staaten jetzt sogar im produzierenden Gewerbe zu überholen drohen. (…) Wir müssen entweder unseren Kurs ändern oder wir werden weiter ins Hintertreffen geraten.“ (zitiert nach: Stephan-Götz Richter, Clinton – Was Amerika und Europa erwartet, S. 212)

Außenpolitisch bedeutete dies eine Politik des regionalen Gleichgewichts der führenden kapitalistischen Staaten mit den Vereinigten Staaten als Schiedsrichter und damit letztendlichem Hegemon. Dies war die politische Orientierung, mit der die Clinton-Administration antrat. Wieviel von diesem Programm umgesetzt wurde, bedarf einer genaueren Untersuchung.

Die oben beschriebene politische Zielsetzung kann aber ebenso auf dem Boden der vorhandenen militärischen Hegemonialstellung der USA angestrebt werden und richtet sich dann direkt gegen ökonomische Einflussmöglichkeiten und politische Handlungspielräume der sog. Bündnispartner bzw. strategischen Konkurrenten. Hierbei verzichtet man auf die Reform der amerikanischen Gesellschaft im Inneren, treibt die Staatsverschuldung zur Modernisierung der Militärmacht in die Höhe und ersetzt die „strategische Partnerschaft“ mit den anderen führenden kapitalistischen Staaten (regionale Gleichgewichtspolitik mit amerikanischer Schiedsrichterrolle) durch die militärische Dominanz über die restliche Staatenwelt. Dies ist die Konzeption, die momentan von der amerikanischen Administration unter G. W. Bush umgesetzt wird.

These 3: Die unterstellte Kontinuität der amerikanischen Außenpolitik der letzten 20 Jahre entspricht nicht den Tatsachen. Es sind zwei unterschiedliche strategische Konzeptionen zur Sicherung der amerikanischen Hegemonie für die kommenden Jahrzehnte feststellbar.

Fortwährend zitiert die Linke Zbigniew Brzezinskis Buch „Die einzige Weltmacht“ zur Erklärung der heutigen amerikanischen Außenpolitik. Richtig daran ist, dass Brzezinski – wie alle anderen führenden politischen Köpfe der USA – an der Zielsetzung der amerikanischen Vorherrschaft festhält. Richtig daran ist ebenso, dass der von ihm beschriebene geopolitische Raum, in dem diese Vorherrschaft abzusichern ist, der eurasische Kontinent ist. Damit aber endet eine zutreffende Berufung auf Brzezinski zur Erklärung der heutigen Politik der USA.

Brzezinski will die amerikanische Hegemonie absichern durch „eine Gleichgewichtspolitik, die an die Europapolitik des britischen Empire anknüpft“ (Karuscheit, AzD, Nr. 68, S. 56). Die amerikanische Außenpolitik soll „ihren Einfluss in Eurasien so einsetzen, dass ein stabiles kontinentales Gleichgewicht mit den Vereinigten Staaten als politischem Schiedsrichter entsteht.“ (Brzezinski, Die einzige Weltmacht, Fischer Taschenbuch, S. 16)

Dies war im wesentlichen die Politik der Clinton-Administration. Zu militärischem Eingreifen war sie nur auf dem europäischen Balkan bereit, um die Herausbildung einer deutschen Hegemonialstellung in Europa zu verhindern. Das offensive Eingreifen der USA in die Konflikte um das zerfallende Jugoslawien erfolgte nach der diplomatischen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die BRD. Es endete mit dem amerikanischen Frieden von Dayton, der die amerikanische Hegemonie über die europäische Balkanregion sicherte. Mit dem Frieden von Rambouillet wurde der von den USA dominierte Kosovokrieg beendet, der eine deutsch-russisch-europäische Lösung des Konfliktes zu verhindern hatte.

War Europa damit der Schwerpunkt des außenpolitischen Handelns der Clinton-Administration, wie Brzezinski es gefordert hatte, so war die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der regionalen Mächte „mit den Vereinigten Staaten als politischem Schiedsrichter“ über die europäischen Mächte der Inhalt der Politik. Krieg führte man als „Polizeiaktion“, als „humanitäre Rettungsaktion“ zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts unter amerikanischer Hegemonie, zur Verhinderung der Herausbildung neuer regionaler Führungsmächte (Deutschland).

Die heutige Administration spricht nicht nur eine andere Sprache („Kreuzzug gegen alle Feinde Amerikas“ und „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“), sondern will die amerikanische Hegemonialstellung hauptseitig mit militärischen Mitteln auf dem „eurasischen Balkan“, auf der arabischen Halbinsel und im pazifischen Raum gegen ihre strategischen Konkurrenten sichern.

Nicht Gleichgewichtspolitik, die sich begrenzter Militäraktionen bedient, wenn sie das Gleichgewicht der Mächte oder die amerikanische Hegemonie in der jeweiligen Weltregion bedroht sieht, wobei Europa im Zentrum stand (Clinton-Administration); sondern Kriegspolitik zur militärischen Sicherung geostrategischer Räume gegen das ökonomische und politische Vordringen Europas, Chinas, Russlands und Japans auf dem „eurasischen Balkan“, in der arabischen Welt und im pazifischen Raum, das ist die Konzeption der Bush-Administration.

Der geänderten außenpolitischen Orientierung, die auch in den Fragen der Abrüstungspolitik (ABM-Vertrag), des Umweltschutzes (Kyoto-Protokoll), der Stellung zur Weltbank, zur WTO und zu internationalen Finanzkrisen (Argentinien) feststellbar ist, entspricht eine geänderte amerikanische Wirtschafts-, Fiskal-, Sozial- und Bildungspolitik der Bush-Administration im Inneren (keine Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft), was beides im einzelnen noch zu untersuchen und darzustellen wäre.

These 4: Die in Afghanistan begonnene amerikanische Kriegskampagne richtet sich auch gegen ihre arabischen Verbündeten.

Weitgehend unbeachtet von der deutschen Linken blieben bisher die Auswirkungen der amerikanischen Kriegskampagne auf ihre „Bündnispartner“ in der arabischen Welt. Der in Afghanistan begonnene Krieg erschüttert die soziale und politische Basis aller amerikanischen Verbündeten in der arabischen und islamischen Welt von Kairo bis Islamabad.

Bis auf einige verbale Bekundungen hauptseitig des amerikanischen Außenministers hat die jetzige Administration keinerlei ernstzunehmenden Versuche gestartet, den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern auf dem Verhandlungswege zu beruhigen. Standen solche Bemühungen am Ende der Clinton-Ära im Zentrum der außenpolitischen Aktivitäten des Präsidenten, so erklärte die neue Administration sogleich bei ihrem Regierungsantritt, keinerlei Vermittlungsversuche unternehmen zu wollen. Fortgesetzte israelische Militärüberfälle auf das palästinensische Autonomiegebiet, gezielte politische Attentate gegen führende Palästinenser, der Bruch der Osloer Verträge durch Israel, dies alles hat bis dato keinerlei ernstzunehmende Reaktion der US-Regierung hervorgerufen. Wohl wissend, in welchem Umfang dies die arabische Öffentlichkeit in politische Bewegung versetzt und die soziale Basis ihrer „verbündeten“ Regierungen weiter unterminiert, ist keinerlei Änderung der amerikanischen Politik für den Nahen Osten erkennbar.

Die politische Absicht besteht in der weiteren politischen Destabilisierung der „verbündeten“ Regierungen, hauptseitig der Saudi-Arabischen. Bekanntlich verweigerte die saudische Regierung im Vorfeld des Afghanistankrieges den Amerikanern die Nutzung ihrer Militärstützpunkte in Saudi-Arabien für den Kriegsaufmarsch. Anti-amerikanische Stimmungen dominieren die saudische Bevölkerung, die Ablehnung amerikanischer Militärstützpunkte auf saudischem Boden reicht bis weit in das herrschende Königshaus hinein.

Die weitere Destabilisierung der inneren Verhältnisse in der arabischen Welt soll die herrschenden Regierungen bzw. Königshäuser zwingen, sich entweder direkt unter amerikanischen Militärschutz zu begeben, d. h. die noch vorhandene politische und ökonomische Selbständigkeit zu verlieren, oder Gefahr zu laufen, von ihrem eigenen Volk gestürzt zu werden. Jeglicher Volksaufstand in dieser Region hätte zum gegebenen Zeitpunkt eine amerikanische Militärintervention zur Folge, mit dem Ziel der Installierung eines amerikanischen Marionettenregimes.

These 5: Der Afghanistankrieg zielt hauptseitig auf die Zerschlagung der Organisation Al-Kaida.

Was wollen die Amerikaner in Afghanistan? Diese Frage drängte sich Anfang Oktober vergangenen Jahres jedem denkenden Menschen auf. In Afghanistan gibt es wenig zu holen, aber man kann viel verlieren, wie die Sowjetunion vor einem Jahrzehnt erfahren hatte. Die heute in der Linken vorherrschende Antwort auf diese Frage verweist auf Einflusssphärenpolitik und Ölpipelines.

„Deutlicher kann es nicht vorgeführt werden, warum der militärische Angriff auf Afghanistan und seine bedauernswerte Bevölkerung sein musste. Khalilzad (amerikanischer Sonderbeauftragter für Afghanistan) macht seit Jahren nichts anderes, als sich für Unocal um die geplante Pipeline durch Afghanistan zu kümmern, Durchführbarkeitsstudien zu erstellen und mit Talibanführern zu verhandeln, um die US-amerikanischen Interessen durchzusetzen. Seit zehn Jahren, seit unmittelbar nach dem Golfkrieg und dem Zusammenbruch der Sowjetunion, versuchen die USA in Afghanistan und in der Kaspischen Region ihnen und ihren Erdölkonzernen genehme Verhältnisse herzustellen.“ (www.kalaschnikow.de)

Ganz unzweifelhaft verfolgte die vorherige, wie die jetzige amerikanische Regierung, eine Einflusssphärenpolitik in der Kaspischen Region. Brzezinski hat diese Politik in seinem Buch breit dargestellt und begründet, und ebenso gibt es hier gewichtige Erdölinteressen der USA. Diese Interessen gibt es seit über einem Jahrzehnt, ohne dass die USA militärisch in Afghanistan eingefallen sind. Bis heute hat sich nichts geändert an den geostrategischen und ökonomischen Interessen der USA an dieser Region. Was sich im vergangenen Jahr geändert hat, das ist die Politik der amerikanischen Regierung, die nun auf eine direkte militärische Durchsetzung der amerikanischen Interessen zielt.

Doch waren diese geostrategischen und ökonomischen Interessen der USA nicht der entscheidende Punkt für den militärischen Überfall auf Afghanistan. Afghanistan wurde zum Ausgangspunkt der amerikanischen Kriegskampagne, weil es die Organisation Al-Kaida beherbergte.

Al-Kaida wurde im vergangenen Jahrzehnt zum Sammelpunkt der islamisch-arabischen Opposition gegen eine amerikanische Vorherrschaft über die arabische Welt und ihre Erdölquellen. Ihr zentraler Programmpunkt, die Brechung der amerikanischen Vorherrschaft über die arabische Welt, genießt breiteste Popularität in fast allen sozialen Schichten in dieser Region. Besondere Anziehungskraft übte diese Organisation auf die junge technische Intelligenz der arabisch-islamischen Welt aus. Wohlorganisiert, über eine Reihe von Ländern verteilt, mit reichlichen Geldmitteln versehen, getragen und finanziert von Sympathisanten, die vom saudischen Königshaus bis zum Kairoer Straßenhändler reichen, wuchs mit Al-Kaida eine politisch-militärische Kraft heran, die dauerhaft eine ernste Gefährdung für die amerikanische Erdölversorgung aus dem Nahen Osten darstellte.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, für die Bin Laden natürlich der Organisator der Attentate war, kommentiert diese Gefahren folgendermaßen: „Mit der Zerstörung des World Trade Centers hat Bin Ladin ein spektakuläres Zeichen gesetzt. Doch mehr noch würde er die Vereinigten Staaten mit der Ölwaffe treffen. Schon jetzt sind Sabotageakte beim Transit von Öltankern durch die Meerenge von Hormuz am Ausgang des Persischen Golfs vorstellbar. Könnte er seinen Einfluss auf die Arabische Halbinsel ausweiten, würde er wohl versuchen, durch Produktionsdrosselungen den Ölpreis erheblich in die Höhe zu treiben. In der Vergangenheit hat er verschiedentlich geäußert, der Ölpreis müsse deutlich über 100 Dollar für ein Fass Rohöl liegen. Jeder Preis darunter sei ein amerikanischer Diebstahl am arabischen Reichtum. Das widerspricht der bisher mäßigenden Ölpreispolitik Saudi-Arabiens, das als ‚Swing-Producer‘ seine Fördermenge von der Lage der Weltwirtschaft abhängig macht. Die Vereinigten Staaten haben heute eigentlich nur noch die Wahl, Saudi-Arabien zu Reformen zu zwingen und damit vielleicht zu stabilisieren.“ (12. November 2001) Die USA folgen keineswegs dem frommen Wunsch der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Sie haben sich für das Gegenteil einer Stabilisierung des saudischen Königshauses entschieden. Treffend aber beschreibt die FAZ eine der Gefahren, die von der Organisation Al-Kaida für die amerikanische Ölversorgung aus dem Nahen Osten ausgeht.

In Afghanistan hatte diese Organisation nun eine sichere Basis zur Ausbildung ihrer Kämpfer, die aus der gesamten islamischen Welt rekrutiert wurden, jenseits amerikanischer Zugriffsmöglichkeiten gefunden. Diese „Internationalen Brigaden des Islam“ verkörpern eine politische Sprengkraft und eine ökonomisch-militärische Bedrohung der amerikanischen Vorherrschaft über die arabischen Erdölquellen, auf die die Bush-Administration nur eine militärische Antwort geben konnte. Die amerikanische Regierung will in Afghanistan durchaus das erreichen, was sie öffentlich verkündet: Die Zerschlagung der Al-Kaida als Beginn eines Kreuzzuges gegen alle Feinde Amerikas.

Dass sie dabei zugleich ihre geostrategischen und ökonomischen Interessen verfolgt, dass bestimmte Erdöl- und Finanzgruppen in Regierungsnähe auf ein großes Geschäft hoffen, das alles ist unbestritten. Bezeichnend für die Linke ist, dass sie nur das „Geschäft“ sieht und die Politik nur als Umsetzung des Geschäftsinteresses der Erdölindustrie begreift. Es ist aber eben nicht die Carlyle-Gruppe, die die amerikanische Außen- und Militärpolitik bestimmt, sondern auf Grund ihrer Nähe zur jetzigen amerikanischen Regierung kann diese Gruppe auf ein größeres Stück vom Kuchen rechnen, wenn es zur Verteilung der Beute kommt. Nicht die Geschäftsinteressen einzelner Finanz- und Ölgruppen bestimmen die grundlegende Ausrichtung der Politik, sondern umgekehrt, die Geschäftsinteressen haben sich der politischen Grundausrichtung anzupassen, um ihre Geschäfte erfolgreich verwirklichen zu können (siehe die Türkeipipeline). Und die Grundausrichtung der amerikanischen Politik unter Bush heißt militärische Durchsetzung der amerikanischen Vorherrschaft, wo es ihr geostrategisch nötig erscheint. Dies freut die Erdöl- und Rüstungsindustrie. Inwieweit diese Ausrichtung der amerikanischen Politik von anderen Gruppierungen des Kapitals und der politischen Öffentlichkeit mitgetragen wird, das wird demnächst deutlicher werden, wenn es um den Irak geht.

These 6: Die Außenpolitik der Bundesregierung

„Kanzler Schröder und das deutsche Großkapital plagt allein die Angst, bei der Neuaufteilung der Welt zum dritten Mal zu kurz zu kommen“, schreibt die UZ vom 12. Oktober 2001. Hier haben wir die klassische Fehleinschätzung der deutschen Außenpolitik, die sich in der Linken einer breiten Zustimmung sicher sein kann.

Im Gegensatz zur Linken ist den europäischen Bündnispartnern der USA sowie China, Russland und Japan der Inhalt der amerikanischen Politik durchaus klar. Ihre „Unterstützung“ der amerikanischen Kriegskampagne zielt auf ihre baldmöglichste Beendigung, zielt auf erneute Einbindung der USA in eine multipolare Staatenordnung und UNO-Mandatierung künftiger Kriegseinsätze. Die Differenzen zwischen den „Partnern“ der „Allianz gegen den Terror“ wird mit dem Fortschreiten der amerikanischen Kriegskampagne gegen weitere Staaten immer deutlicher hervortreten.

Sowohl die Bundesregierung als auch die britische Regierung, bis dato treuester Vasall amerikanischer Kriegspolitik, haben mehrfach in der Öffentlichkeit deutlich gemacht, wie weit sie bereit sind, die amerikanische Kriegspolitik mitzutragen. Nach ihren öffentlichen Bekundungen wäre der Überfall auf den Irak, das heißt der offene Umsturz der politischen Verhältnisse in der arabischen Welt, jene Grenze, die von der amerikanischen Regierung nicht überschritten werden darf. Jenseits dieser Grenze endet die Solidarität der Verbündeten.

Schröders „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA war immer an den Parlamentsvorbehalt und an jenes „vernünftige Maß“ der amerikanischen Militäraktionen gebunden, das er bei jeder Solidaritätsbekundung nicht zu erwähnen vergaß. Der außenpolitische Handlungsrahmen der Bundesrepublik erlaubt es keiner bürgerlichen Regierung, sich in Grundfragen der Sicherheitspolitik diametral den amerikanischen Vorstellungen entgegenzusetzen. So war eine vollständige Verweigerung der Beteiligung an dem amerikanischen Kriegsabenteuer nicht möglich. Die Regierung hatte zwei Optionen: Truppen oder Geld. Unzweifelhaft wäre der amerikanischen Regierung die zweite Variante lieber gewesen, wie die Querelen um die deutsche Truppenanforderung deutlich gemacht haben. Eigentlich wollten die USA keine deutschen Truppen für Afghanistan und hätten es vorgezogen, in der Tradition des Irakkrieges, die Bundesrepublik mit einem „finanziellen Solidaritätsbeitrag“ kräftig zur Kasse zu bitten. Die Bundesregierung wählte die Truppenentsendung, weil dies einerseits ihre politischen Einflussmöglichkeiten auf den weiteren Ablauf der Militäraktion erhöht und andererseits ihren Einfluss auf ein gemeinsames außenpolitisches Auftreten der EU-Staaten in diesem Konflikt stärkt.

Sicherung des eigenen politischen Handlungsspielraums und Mitsprache bei allen Versuchen, die amerikanische Politik erneut in die multipolare Staatenordnung einzubinden, das war und ist die Bedeutung der „uneingeschränkten Solidarität“ mit begrenzter Truppenunterstützung. Die Bundesregierung verfolgt weder geostrategischen Interessen im Kaspischen Becken, noch hat sie Interesse an der Destabilisierung der arabischen Regimes. Die Politik der amerikanischen Regierung ist nicht die ihre. Die Zukunft wird zeigen, in welchem Umfang die BRD und die anderen EU-Staaten einem wachsenden Druck der Bush-Administration zur Beteiligung an weiteren Kriegsabenteuern standhalten werden.

These 7: Drei Schlussfolgerungen

Vor drei Jahren, nach dem Kosovo-Krieg, stellte ich einige Schlussfolgerungen zur Diskussion (Der Krieg um Jugoslawien und seine Lehren). Heute, nach dem Beginn des Afghanistankrieges durch die USA ist die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit der damaligen Einschätzungen zu prüfen.

Schlussfolgerung 1:

„Der Zerfall der bipolaren Weltordnung hat die Widersprüche zwischen den führenden kapitalistischen Staaten weiter anwachsen lassen. Mit der Umstrukturierung ihrer Armeen zu Söldnerbanden wächst die Wahrscheinlichkeit, dass diese Konflikte in den kommenden Jahren kriegerischen Charakter annehmen.“

Schlussfolgerung 2:

„Wer immer unter den heutigen politischen Bedingungen einen konkreten militärischen Konflikt direkt aus ‚dem ökonomischen Interesse des Kapitals‘ an der Durchsetzung der ‚Marktwirtschaft‘, an ‚billigen Arbeitskräften‘, an der ‚Ablehnung von IWF-Krediten‘ etc. herleitet, der hat den Marxismus auf das Niveau einer inhaltsleeren Allerweltsweisheit reduziert: Letztendlich steht hinter allem ein ökonomisches Interesse. Mit dieser Platitüde kann man allerdings keine Politik machen. Und damit kommen wir zu einer weiteren Schlußfolgerung aus dem Jugoslawienkrieg: Wer konkrete Politik aus ‚dem Kapital‘ oder den ‚Strategien und Interessen des Kapitals‘ herleitet,“ (oder dem Verlauf von Erdölpipelines, wäre heute hinzu zu setzen) „hat weder den Marxismus verstanden noch ist er politikfähig.“

Schlussfolgerung 3:

„Seit der französischen Revolution wurden die Kriege in Europa unter zunehmender Einbeziehung der Massen in das Kriegsgeschehen geführt. An die Stelle der früheren Söldnerheere trat die Wehrpflicht bis hin zum Volksaufgebot und Partisanenkrieg. Der Krieg, vor der französischen Revolution eine Sache der Herrschenden und der Militärs, war in Europa nur noch möglich bei Einbeziehung des Volkes. Nur wem es gelang, das Volk für seine Kriegsziele zu gewinnen, wer es mobilisieren und bewaffnen konnte, war kriegsfähig. An die Stelle der ‚Kabinettkriege‘ der früheren Jahrhunderte traten die Völker- und Bürgerkriege der vergangenen zwei Jahrhunderte. Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in den beiden Weltkriegen dieses Jahrhunderts, die in Europa zur Einbeziehung der Gesamtheit der Bevölkerung in das Kriegsgeschehen führte.

Diese Entwicklung des Kriegswesens, vom Söldnerheer zum Aufgebot der gesamten wehrfähigen männlichen Bevölkerung, erfährt in den letzen Jahren eine Umkehrung. Im Jugoslawienkrieg wurde diese Umkehrung auf der NATO-Seite augenscheinlich. Dieser Krieg war von Seiten der NATO seinem Wesen nach bereits ein ‚Kabinettkrieg‘, geführt allein von den Herrschenden und den Militärs, umgesetzt von Berufssoldaten unter Ausschluss der Volksmassen.

‚Stell Dir vor, es ist Krieg und keinen interessiert es‘, so müsste der Brechtspruch für heute abgewandelt werden. Dieser Krieg fand auf dem Balkan und in der Presse statt, mit dem Leben und Arbeiten der Bevölkerung in den kriegführenden zentraleuropäischen Staaten hatte er nichts zu tun. Nachdem sich diese Erkenntnis durch den Verlauf der ersten Kriegswochen der Bevölkerung aufgedrängt hatte, nahm das Interesse der Öffentlichkeit an der ungeheuerlichen Tatsache, dass Deutschland im Kontext der NATO wieder einen Angriffskrieg führte, kontinuierlich ab.

Deutschland ist wieder ‚kriegsführungsfähig‘, tönte die Linke. Aber sie begreift bis dato nicht, dass der Krieg dabei ist, nach über zweihundert Jahren seine Erscheinungsform grundlegend zu ändern. Galt es seit der französischen Revolution, die Massen für den zu führenden Krieg zu gewinnen, so verkündet der Jugoslawienkrieg für das kommende 21. Jahrhundert: Krieg ist auch ohne Einbeziehung der Volksmassen wieder führbar. Der ‚moderne Krieg‘ soll als ‚technologischer Krieg der Spezialisten‘ geführt werden, unter Ausschluss der Massen.

Sollte diese Entwicklung Realität werden – und im Jugoslawienkrieg war sie bereits Realität – so hat dies mit Sicherheit weitgehende Auswirkungen auf die innere Verfassung der bürgerlichen Staaten Zentraleuropas. Das allgemeine Wahlrecht war das natürliche Produkt der sich durchsetzenden allgemeinen Wehrpflicht der vergangenen Jahrhunderte. Seine künftige Einschränkung nach dem Muster der angelsächsischen Republiken USA und GB (Mehrheitswahlrecht), die die allgemeine Wehrpflicht immer als Fremdkörper ihrer Staatsverfassung betrachteten, wird damit mehr als wahrscheinlich. Ein neues Zeitalter der ‚Kabinettkriege‘ um Einflusssphären, Handelsverträge und Rohstoffe kündigte somit der letzte Jugoslawienkrieg als mögliche künftige Außenpolitik der führenden kapitalistischen Staaten für das beginnende 21. Jahrhundert an, eine autoritäre Form der ‚angelsächsischen Republik‘ erscheint als mögliches innenpolitisches Pendant. Das ist die wichtigste politische Schlußfolgerung, die aus dem Jugoslawienkrieg zu ziehen ist.“

Der bisherige Verlauf der amerikanischen Kriegskampagne, die Reaktionen der führenden kapitalistischen Staaten und die Versuche der Linken, die Ereignisse zu interpretieren, belegen die Aktualität obiger Schlussfolgerungen.

Letzte Änderung: 21.03.2016