Von Kolja Wagner
(März 2000) Die Bildung der Koalition zwischen FPÖ und ÖVP in Österreich hat einen Sturm der Entrüstung der europäischen Regierungen und in der Linken hervorgerufen. Während Politiker der EU Sanktionen fordern, mobilisiert die Linke in Österreich zu „antifaschistischen Spontandemos“. Es stellten sich nun die Fragen, warum die FPÖ als „rechte Arbeiterpartei neuen Typs“ (Kommunistische Zeitung, Nr. 4) an die Regierung will und weshalb die europäische Bourgeoisie so heftig reagiert.
Die FPÖ: Massenbasis für den Neoliberalismus
Die FPÖ befindet sich in dem gleichen Dilemma wie alle rechtspopulistischen Parteien. Erfolgreich wurde die rechte Partei des alten Mittelstandes erst, als es Jörg Haider gelang, die soziale Frage in den Vordergrund der Propaganda zu stellen.
Durch die Ablehnung des Euro und der Zuwanderung mit Hinweis auf die sozialen Folgen, gelang es ihm, große Teile der Arbeiterklasse zu gewinnen. Bei der letzten Wahl am 3. Oktober wählten 47 % der Arbeiter die FPÖ und nur noch 35 % die Sozialdemokraten. Der politische Unmut gegen die große Koalition und die Aufteilung des Staates zwischen SPÖ und ÖVP spielten dabei die Hauptrolle. Den arbeitslosen Jugendlichen ohne Perspektive in den Vorstadtgettos als typischen Wähler des Rechtspopulismus gibt es in Österreich kaum. Jugendarbeitslosigkeit ist kaum vorhanden, und die Arbeitslosenquote liegt bei 4 %.
Trotz Massenbasis bei den Arbeitern wählten auch 33 % der Selbständigen und Freiberufler die FPÖ. Während sich Haiders Sprüche gegen „den neoliberalen Weg in eine kalte Zukunft“ an die Arbeiterklasse wenden, umreisst gerade das FPÖ-Programm „Regierung 2000“ einen solchen Weg. Die FPÖ fordert hier eine weitgehende Privatisierung der österreichischen Staatswirtschaft, z. B. einen Rückzug des Staates aus der Energiewirtschaft, eine Erhöhung des Rentenalters, die Senkung der Lohnnebenkosten und den Einstieg in die Privatversicherung usw.
Diese Forderungen sind für Österreich schon sehr weitgehend, da in dem Land die Wirtschaft noch von einem auf Zwangsmitgliedschaft beruhenden Kammersystem dominiert wird und der öffentliche Dienst, gemessen an der Einwohnerzahl, um 50 % stärker besetzt ist als in Deutschland. Die alten und die nicht gerade im öffentlichen Dienst beschäftigten neuen Mittelschichten standen dem Kammer- und Versorgungsstaat schon immer skeptisch gegenüber. Die Hälfte der Unternehmer soll inzwischen schon eine schwarz-blaue Regierung befürworten. (BZ, 27. Januar 2000)
Der FPÖ konnte dieser Spagat zwischen Arbeiterklasse und Mittelschichten nur so lange gelingen, wie sie nicht an der Regierung war. Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP scheiterten neben personellen Fragen auch daran, dass der Gewerkschaftsflügel der SPÖ nicht bereit war, soziale Einschnitte mitzutragen. Jetzt scheint es so, dass die FPÖ ein neoliberales Regierungsprogramm unterschrieben hat, um an den Pfründen der Macht teilzuhaben. Die Koalitionsvereinbarung sieht Privatisierungen, die Kürzung von 10.000 Beamtenstellen, die Erhöhung des Rentenalters, Kostenbeteiligung bei medizinischen Leistungen und eine Entlastung der Unternehmer vor. Tarifverträge soll es nur noch auf betrieblicher Ebene geben. Für die Arbeiterklasse ist nur ein Zuwanderungsstopp und eine Erhöhung des Kindergeldes im Sinne einer reaktionären Familienpolitik geblieben. Haider hat sogar seinen Widerstand gegen den Euro und die Osterweiterung der EU aufgegeben, vor deren sozialen Folgen (Arbeitslosigkeit, Sozialabbau, Zuwanderung) er immer wieder warnte.
Wenn Haider den in der Koalitionsvereinbarung festgelegten Weg wirklich geht, wird er große Teile der Arbeiterklasse als Wählerschaft der FPÖ verlieren. Bringt er jetzt seine Wählerstimmen als Massenbasis für den Neoliberalismus ein, werden die Leidtragenden dieser Politik ihn nicht mehr wählen. Die Regierungsbeteiligung der FPÖ könnte ihr Ende als „größte Arbeiterpartei Österreichs“ und damit ihrer politischen Bedeutung eingeleitet haben. Mit seinem überraschenden Rücktritt als Parteivorsitzender hat Haider sich die Möglichkeit offengelassen, bei einem Popularitätsverlust der Regierung als „Volkstribun“ gegen die eigene Partei zu agieren und sich selbst als Kanzler wieder ins Gespräch zu bringen.
Die EU: Angst um die Massenbasis
Angesichts dieser Tatsachen überraschen die heftigen Reaktionen der Politiker der europäischen Bourgeoisie. Österreich wird ein Verstoß gegen die EU-Verträge vorgeworfen und mit Sanktionen gedroht. Als 1994 die „Neofaschisten“ in die italienische Regierung eintraten, kam es zu keinen vergleichbaren Aktionen.
Zum einen hat die Bourgeoisie in Europa mit der Einführung des Euros alles auf eine Karte gesetzt. Sie kann es jetzt nicht dulden, dass in einem wichtigen Land Kräfte an die Macht kommen, die ihr Hauptprojekt, die europäische Integration, in Frage stellen. Haider, der noch letztes Jahr die Einführung des Euro per Volksentscheid verhindern wollte, gilt trotz seines Opportunismus als unsicherer Kantonist.
Das Völkerrechtsprinzip der Souveränität eines Staates wird immer mehr ausgehöhlt. Die europäischen Regierungen sehen Einmischung in innere Angelegenheiten nicht nur bei serbischen Siedlungskriegen, sondern auch schon bei „falschen“ Wahlergebnissen in bürgerlichen Demokratien als legitim an.
Zum anderen zerfällt in vielen europäischen Ländern die bürgerliche Hegemonie der Nachkriegszeit, und populistische Bewegungen werden stark. Sie sind besonders gefährlich in einer Zeit, wo die Einführung des Euro einen Abbau von Sozialleistungen und der Staatsverschuldung verlangt: „Ihr Populismus gräbt manchem soliden Programm, das auf die Bedingungen des Binnenmarktes und der Euro-Zone verpflichtet ist, das Wasser ab.“ (NZZ, 1. Februar 2000)
Besonders die Regierungen in Frankreich und Belgien, denen starke rechtspopulistische Bewegungen im Nacken sitzen, fordern ein energisches Eingreifen gegen die neue österreichische Regierung. Der französische Staatspräsident Chirac konnte seine gaullistische Bewegung zumindest in der Frage der Nichtzusammenarbeit mit dem Front National zusammenhalten. Wird eine Regierungsbeteiligung von Rechtspopulisten salonfähig, könnte die Spaltung der konservativen Bewegung drohen.
Die Reaktionen auf die Bildung der neuen österreichischen Regierung zeigen, wie tief den Herrschenden die Angst vor dem Verlust ihrer politischen Hegemonie im Nacken sitzt. Laut Joschka Fischer fürchten „relevante Kräfte“, dass der Rechtspopulismus „hegemonial wird“. (BZ, 3. Februar 2000) Ob diese Sorge beim Opportunisten Haider angebracht ist, wird sich zeigen.
Antifabewegung als Massenbasis der EU
Ähnliche Sorgen wie die bürgerlichen Politiker plagen auch die DKP und die vielfach gleichgesinnte KPÖ. Die Regierungsbeteiligung in Österreich sei eine „verhängnisvolle Legitimation von Rechtsextremen und Naziverherrlichern“, die „europaweite Gefahren“ heraufbeschwöre: „Darum ist der Protest innerhalb der EU, sind die geplanten politischen und wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen sicher richtig.“ (UZ, 11. Februar 2000)
Auf dem Boden der hegemonialen Sorgen der Bourgeoisie probt die DKP erneut die Anbiederung an die rot-grüne Regierung. Da die Parole „Kohl muß weg!“ zur Darstellung der Sozialdemokratie als dem kleineren Übel nicht mehr taugt, kann man unter dem Motto „Haider muß weg!“ wieder den Schulterschluss suchen.
Kommunisten sollten eine SPÖ- genauso wie eine schwarz-blaue Regierung ablehnen, da die Arbeiterklasse von beiden nichts positives zu erwarten hat.
Eine Volksfront von Menschen aus „Gewerkschaftern, Bürgerinitiativen und Frauenzusammenschlüssen, Hochschulen, Kirchen und Medien“ ist die Antwort der KPÖ auf die neue Regierung. Diese mittelschichtige Sammlungsbewegung führt auch die Demonstrationen in Österreich durch. „Da marschierten Intellektuelle neben Pensionisten, Künstler neben Studenten, Wirtschaftstreibende neben Angestellten“, berichtete „profil“.
Ein Bündnis mit den Kräften der bürgerlichen Demokratie kann keine Antwort auf Protestwahl und Verfall der bürgerlichen Hegemonie sein. Es muss im Gegenteil Aufgabe der Kommunisten sein, ein Programm zu entwickeln, das es ermöglicht, den Kampf um die sich dem Rechtspopulismus zuwendende Arbeiterklasse zu führen. Diese Inhalte können nur gegen die EU, sozialdemokratische Gewerkschaften und sonstige Stützen des Systems formuliert werden. Nur so kann auch der Demagoge Haider entlarvt werden. Ein Bündnis mit der „demokratischen Öffentlichkeit“ treibt alle mit dem System Unzufriedenen nur weiter nach rechts und die DKP/KPÖ in die Arme der EU.
Quellen
- http://www.kpoenet.at
- http://www.profil.at/aktuell/index.html
- http://www.dkp.de
- http://www.fpoe.at
- Rheinischer Merkur, Nr. 50, 1999
Zuerst veröffentlicht in: Kommunistische Zeitung, 3. Jg., Nr. 10., März 2000