Vorbemerkung von Alfred Schröder zur Neuveröffentlichung (2002 und 2022)

Als wir diesen Aufsatz im Jahr 2002 auf der Internetseite der Kommunistischen Debatte erneut veröffentlichten, versahen wir ihn mit nachfolgender kurzer Vorbemerkung zur Entstehungsgeschichte des Textes und seiner – unserer Auffassung nach – bereits damals vorhandenen Aktualität für die Auseinandersetzung innerhalb der Linken. Hier der Text der Vorbemerkung von 2002:

Die hier veröffentlichte Arbeit stammt aus den Jahren 1986 bis 1987. Sie wurde zuerst in den Aufsätzen zur Diskussion (AzD) Nr. 39 „Kapital und Monopol“ veröffentlicht. In der Vorbemerkung dieser AzD-Ausgabe verweist die Redaktion darauf, dass die dort veröffentlichten Artikel „im Rahmen der Pol-Ök-AG der AzD-Redaktion entstanden“ sind. Diese Arbeitsgruppe setzte sich kritisch mit der Leninschen Imperialismustheorie und der sogenannten „Stamokap-Theorie“ auseinander.

Die neuerliche Veröffentlichung dieser Arbeit auf dieser Internetseite hat ihren aktuellen Anlass in der Wende der amerikanischen Außenpolitik zu einer hegemonialen Kriegspolitik. In der Debatte zum Verständnis der Grundlagen dieser amerikanischen Politik stellten und stellen sich eine Reihe von Fragen: Leben wir noch im „Zeitalter des Imperialismus“? Ist die amerikanische Außenpolitik „imperialistisch“? Ist die deutsche Außenpolitik „imperialistisch“? Was ist unter „imperialistischer Politik“ zu verstehen?

Da der Begriff „Imperialismus“ in der deutschen Linken inflationär gebraucht wird und sein konkreter Inhalt dadurch beliebig wird, gewinnt die hier erneut veröffentlichte Arbeit Aktualität. Winter setzt sich mit zwei Grundthesen der Leninschen Imperialismustheorie auseinander: dem „Monopol“ als der „tiefste(n) ökonomische(n) Grundlage des Imperialismus“ (Lenin) und dem Begriff des „Finanzkapital“. Da Lenin selbst den Imperialismus als „das monopolistische Stadium des Kapitalismus“ definiert, steht und fällt seine Imperialismustheorie letztlich mit der Monopoltheorie. Hier gibt die Arbeit Winters reichhaltiges Material, um die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Leninschen Theorie zu überprüfen.“

Soweit die Vorbemerkung von 2002

Wir haben uns aus zwei Gründen entschlossen, den Text erneut auf der Seite der Kommunistischen Debatte zu veröffentlichen. Zum ersten wies der Text von 2002 einige technische Mängel auf; einzelne Teile fehlten und die für das Verständnis und die Nachprüfung so wesentlichen Fußnoten waren nicht mehr aufrufbar. Beide Mängel sollten nun behoben sein.

Der zweite Grund ist theoretisch-politischer Art. Der Ukraine-Krieg hat die Frage der Bedeutung der Leninschen Imperialismustheorie erneut in das Zentrum der Auseinandersetzung in den Überresten des linken politischen Spektrums gerückt. Auf Lenins Schrift berufen sich sowohl die Kritiker der russischen Intervention in der Ukraine als auch der Flügel der russischen Kriegsunterstützer. Für die einen belegt die Schrift, dass die von den USA geführte NATO als imperialistisches Militärbündnis per se einen ungerechten – weil imperialistischen Krieg – führt, der in der Ukraine einen Vorposten gegen Russland etablieren soll. Nur ist dies – ganz ohne die Leninsche Imperialismustheorie – aus der bisherigen Politik und dem militärischen Handeln der USA zu belegen. Dieser wohlbekannten US-Großmachtpolitik unbedingt eine rein ökonomische Grundlage zu unterstellen, ist eine Degradierung des Marxismus auf eine mechanisch-materialistische Geschichtsauffassung und Politik.

Für die anderen ist das unterstellte Fehlen einiger der „fünf heiligen“ Leninschen Imperialismuskriterien in Russland (Kapitalexport, Verschmelzung von Bank und Industriekapital etc.) Beleg genug, Russland vom Vorwurf eines imperialistischen Krieges freizusprechen und seinen Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen. Und dies, obwohl der russische Präsident diesen Krieg genau mit den chauvinistischen großrussischen Ansprüchen des Romanow-Zarismus begründet hat.

Dieser politische „Missbrauch“ der Leninschen Schrift produziert umso absurdere Schlussfolgerungen, je weniger sich die Autoren mit den von Lenin selbst angeführten ökonomischen und theoretischen Grundlagen seiner Schrift beschäftigt haben. Weil der Aufsatz von Klaus Winter genau dies aber – die Auseinandersetzung mit den Quellen und Veröffentlichungen, auf die Lenin sich beruft – in das Zentrum seiner Arbeit „Monopolkapitalismus und Finanzkapital“ gestellt hat, ist die dort entwickelte Kritik an Lenins ökonomischer Imperialismusanalyse weiterhin hoch aktuell.

Winter schlussfolgert aus seiner Analyse:

Nimmt man deren Werke“ (die von Lenin angeführten wesentlichen bürgerlichen Quellen zum Thema, A.S.) „in ihrem ganzen Umfang und in ihrem eigenen Zusammenhang zur Kenntnis, so muss man feststellen, dass sie der Theorie eines neuen monopolistischen Stadiums grundsätzlich widersprechen, vielmehr eine empirische Stütze für die Richtigkeit des Marxschen ‚Kapitals‘ darstellen, von dessen Boden aus sie durchaus nachvollziehbar und begreifbar sind.

Zu einem ähnlichen Befund führt die Lektüre der ‚deutschen Kreditbank‘ von Schulze-Gävernitz, von dem Lenin weniger die Darstellung des Kreditwesens selbst, als vielmehr die mit Hilferdings Theorie übereinstimmende Interpretation der Bankenkonzentration übernimmt, wie auch die Lektüre von Lysis, dessen ‚Finanzoligarchie‘ in Wirklichkeit nicht Ausdruck der von Lenin behaupteten ‚Verschmelzung‘ von Banken und Industrie ist.

Die Leninsche Theorie des Monopolkapitalismus ist nicht nur mit der Marxschen ökonomischen Theorie nicht vereinbar, ihr liegt auch keine hinreichende Untersuchung der Realität zugrunde.“


Alfred Schröder
August 2022

Die AzD kann hier bestellt werden. Einzelne Nummern der älteren Ausgaben sind allerdings vergriffen.

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