Einkreisung Chinas – US-Militärs in Manövermanie

Dieser Artikel erschien zuerst auf der Website NachDenkSeiten, April 2023

 

Rainer Werning

 

 

Seit der Jahreswende 2022/23 herrscht in den Regionen Ost- und Südostasien eine Pendeldiplomatie, wie es sie schon lange nicht mehr in dieser Häufigkeit und Intensität gab. Vieles deutet dabei darauf hin, dass sich nach dem Krieg in der Ukraine die internationale Aufmerksamkeit verschiebt und auf ebendiese Regionen fokussiert, wo sich Konfliktpotenziale im Gleichklang mit konfrontativen, vor allem gegen die VR China gerichteten Spitzen auffällig erhöhen. Begleitet wird all das von signifikant aufgestockten Rüstungsetats und martialischen Drohgebärden in Form von Militärmanövern, die es ebenfalls in diesem Umfang und in dieser Länge seit zig Jahren nicht mehr gegeben hat.

 

Philippinen – Amerikas „kleiner brauner Bruder“

Ely S. Ratner, stellvertretender US-Verteidigungsminister für indo-pazifische Sicherheitsfragen, erklärte im Dezember vergangenen Jahres vor einem Publikum des konservativen Think Tanks American Enterprise Institute, dass „das Jahr 2023 wahrscheinlich das umwälzendste Jahr für die US-Streitkräfte in der [indo-pazifischen] Region seit einer Generation sein wird“. Bereits einen Monat später begann dieser Wandel mit der Ankündigung, dass Japan das erste vorwärts verlegte Marine-Küstenregiment beherbergen wird, was Teil eines intensiven Modernisierungsprozesses der Allianz zwischen Washington und Tokio ist.

Vor allem das traditionell enge Bündnis zwischen den USA und den Philippinen befindet sich in einem historischen Modernisierungsprozess. Über Nacht haben Verteidigungsminister Lloyd Austin III. und sein philippinischer Kollege Carlito Galvez Jr. nach einem Treffen in Manila den nächsten Schritt in der regionalen Streitkräftelage der USA angekündigt. Demnach werden die US-Streitkräfte im Rahmen des 2014 geschlossenen Abkommens über erweiterte Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich (EDCA) Zugang zu vier weiteren philippinischen Militärstützpunkten erhalten, womit nunmehr neun solcher Basen der philippinischen Streitkräfte (AFP) jederzeit auf Rotationsbasis von GIs genutzt werden können. Damit erhalten die US-Streitkräfte in Washingtons einziger und einstiger Kolonie (1898-1946) in Südostasien eine bedeutsame strategische Basis am südöstlichen Rand des Südchinesischen Meeres in der Nähe des selbstverwalteten Taiwan.

Anlässlich seines Manila-Besuchs erklärte Lloyd Austin am 2. Februar, die USA und die Philippinen seien weiterhin entschlossen, ihre gegenseitigen Kapazitäten zur Abwehr bewaffneter Angriffe zu stärken. Mit Blick auf die verstärkte Präsenz der VR China in den Gewässern nahe den Philippinen erklärte der Ex-General:

Das ist nur ein Teil unserer Bemühungen, unser Bündnis zu modernisieren. Und diese Bemühungen sind besonders wichtig, da die Volksrepublik China ihre illegitimen Ansprüche im Westphilippinischen Meer weiter vorantreibt.“

Bereits am 29. Juni 2022 hatten die sogenannten Rim of the Pacific (Rimpac)-Kriegsübungen 2022 begonnen, die am 4. August endeten und zwischenzeitlich von der Kontroverse überschattet worden waren, die der bewusst auf Provokation angelegte Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan auslöste. Die Philippinen nahmen an diesen Kriegsübungen teil, indem sie eine Fregatte, die BRP Antonio Luna, entsandten, die sich den 38 Schiffen, vier U-Booten, mehr als 170 Flugzeugen und 25.000 Personen aus insgesamt 26 teilnehmenden Ländern anschloss, von denen acht Mitglieder der NATO sind.

Angesichts der aktuellen strategischen Doktrin der USA, der zufolge die VR China als die Hauptbedrohung ihrer globalen Vorherrschaft gilt, bedeutete allein diese gewaltige maritime Demonstration der Stärke unter US-Führung eine militärische Provokation gegenüber China. Die NATO, die in einem Strategiepapier China ihrerseits als „systemische Bedrohung“ bezeichnet, zeigt mittlerweile auch verstärkt Flagge im Indopazifik, wie Rimpac 2022 es deutlich unter Beweis stellte. Ihre europäischen Mitglieder sind regelmäßig im Südchinesischen Meer präsent und berufen sich auf die „Freiheit der Schifffahrt“. Die NATO hat sich zu einem Militärbündnis mit globalem interventionistischen Zuschnitt entwickelt, was allein in Jugoslawien, Syrien und Libyen demonstriert wurde.

Aus Sicht der USA waren und bleiben die Philippinen ein geostrategisches Schlachtfeld, wie es erst jüngst wieder der philippinische Politikwissenschaftler und Militärexperte Prof. Roland G. Simbulan in einem Interview mit diesem Autor konstatierte:

Die imperialen Interessen der USA, die das Südchinesische Meer lange Zeit als Teil des ‚Amerikanischen Meeres‘ dominiert haben, sind nun durch die Herausforderung der defensiven Seemacht China in der Region bedroht, da die VR China ihre eigenen Ost- und Südküsten sowie die Seewege für den Handel schützt. Für die USA ist China zum Haupthindernis für ihre globale Vorherrschaft geworden, ungeachtet der Angriffe Russlands in der Ukraine.“

Während der sechsjährigen Amtszeit (2016-22) von Rodrigo R. Duterte, dem Vorgänger des seit Sommer letzten Jahres in Manila regierenden Präsidenten Ferdinand Marcos Jr., hatte es zeitweilig den Anschein, als schickte sich das südostasiatische Land an, eine Kehrtwende in seiner traditionell pro-US-amerikanischen Außenpolitik zu vollziehen. Anlässlich seines ersten Staatsbesuchs in der VR China im Herbst 2016 hatte Duterte den Amerikanern mit der Aufkündigung bilateraler Militärmanöver und der Revision bestehender Militärabkommen gedroht. Duterte ging gar so weit, von einer neuen „Achse Manila-Beijing-Moskau“ zu schwadronieren. Wie so vieles während der Amtszeit dieses Präsidenten entpuppte sich auch dieses Statement als Schall und Rauch. Es zielte eher darauf ab, die linken Kräfte im Lande einzuhegen. Dermaßen stark sind die Kommandohöhen der philippinischen Nationalpolizei (PNP) sowie der Streitkräfte des Archipels (AFP) mit Kadern besetzt, deren Weltbild zutiefst pro-amerikanisch ausgerichtet ist, dass eine ernsthafte Neuorientierung auf absehbare Zeit keinerlei reale Erfolgschancen hätte. Kein Wunder, dass sich Duterte gegen Ende seiner Amtszeit ebenso samtpfotig wie reumütig wieder unter die Fittiche von Uncle Sam begab.

 

SEATO & „Balikatan“

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass immerhin auch einmal ein pazifisches Pendant zur NATO in der Region existierte – der am 8. September 1954 in Manila aus der Taufe gehobene Südostasienpakt (SEATO), alternativ auch als „Manila-Pakt“ bekannt. Einzig Thailand und die Philippinen traten diesem Bündnis als südostasiatische Mitgliedstaaten bei, während Südvietnam, Laos und Kambodscha zwar unter dessen Schutz standen, ohne freilich selbst Mitglieder der SEATO zu sein. Diese US-geführte, dezidiert antikommunistische Allianz unterstützte vor allem Washingtons Aggression gegen die drei letztgenannten Länder und verstand den Pakt auch als Cordon sanitaire gegen die Sowjetunion und die VR China. Nach dem Debakel der USA in Vietnam und dem Ende des „Amerikanischen Krieges“, wie er in Vietnam selbst genannt wurde, war die SEATO überflüssig und am 30. Juni 1977 unzeremoniell aufgelöst worden.

Annähernd ein halbes Jahrhundert später ist nicht Vietnam ein erklärter Feind der USA; im Frühjahr 2023 sollen die bis dato größten gemeinsamen philippinisch-amerikanischen Militärmanöver unter der Bezeichnung „Balikatan“ („Schulter an Schulter“) knapp drei Wochen lang (vom 11. bis zum 28. April) im Norden der Hauptinsel Luzon, auf der Insel Palawan sowie in der Region um Antique im Zentrum des Archipels stattfinden. Der Sprecher von Balikatan, Oberst Michael Logico, kündigte an, dass sich an diesen Manövern mehr als 17.000 Soldaten beteiligen werden – 12.000 US-Militärs, 5.000 Soldaten der AFP sowie über 100 australische Verteidigungskräfte. Neben Landübungen, zu denen mehrere Handfeuerwaffen- und Manöverübungen (LFX), Dschungeltraining sowie Artillerie- und Mörser-LFX-Aktivitäten gehören, werden die Truppen auch Cyberverteidigungsübungen und Live-Feuerübungen auf See durchführen.

Außerdem ist vorgesehen, dass es im Rahmen der diesjährigen Balikatan-Manöver auch zum ersten Live-Abschuss von US-Patriot-Raketen als Teil einer Übung zur Küstenverteidigung kommt – und zwar in einer Region um Panatag Shoal, einem Fischereigebiet, das die VR China von den Philippinen beschlagnahmt hat und seit 2012 kontrolliert. Im vergangenen Jahr hatten die USA das Patriot-System bereits bei einer Balikatan-Mobilisierungsübung eingesetzt, aber keine Rakete abgefeuert. Im laufenden Krieg Russlands gegen die Ukraine haben die USA dieses Waffensystem den Ukrainern zur Verfügung gestellt, um damit russische Raketen- und Drohnenangriffe abzuwehren.

Der Konteradmiral a.D. Rommel Jude Ong, Ex-Vizekommandant der philippinischen Marine und heute geschäftsführender Direktor der Denkfabrik Security Reform Initiative, äußerte sich im Vorfeld der diesjährigen Balikatan-Großmanöver gegenüber philippinischen Pressevertretern wie folgt:

Balikatan 2023 scheint darauf ausgelegt zu sein, operative Konzepte zu testen, um die strategische Abschreckungsposition (der AFP) in der Westphilippinischen See zu stärken. Die Entsendung von 12.000 amerikanischen Soldaten ist offensichtlich eine logistische Übung, um festzustellen, wie schnell eine dermaßen große Anzahl von Truppen und Ausrüstung auf einem (Kriegs-)Schauplatz eingesetzt werden kann.“

Die Übung zur Versenkung von Schiffen, so Ong weiter, ziele darauf ab, die Seeabwehrstrategie der philippinischen Marine zu testen. Der Einsatz von Patriot-Raketen würde es den AFP ermöglichen, „die Notwendigkeit eines Luftabwehrsystems zu verstehen, das unser Land und unsere kritische Infrastruktur vor konventionellen ballistischen Bedrohungen zu schützen vermöchte“.

Zwischenzeitlich hat in den USA eine neu gebildete Einheit des United States Marine Corps (USMC), das Third Marine Littoral Regiment (TMLR), eine zehntägige Scheinschlacht in Südkalifornien abgeschlossen, bei der eine Reihe von Schein-Militärbasen eine nicht benannte „pazifische Inselkette“ darstellen sollten. Das TMLR wurde gebildet, um auf Inseln und entlang Küstenregionen zum Einsatz zu kommen. Es besteht aus drei Teilstreitkräften: einem Infanteriebataillon mit rund 800 Marinesoldaten, einem Flugabwehrbataillon, das neue Waffen und Taktiken testet, sowie einem Logistikbataillon. In den nächsten zwei Jahren wird es bis zu fünfmal mehr Kriegsübungen durchführen als die meisten Infanterieregimenter. Und ihr „nächster großer Test“ soll laut Berichten der New York Times im April just in den Philippinen stattfinden.

General David H. Berger, Oberbefehlshaber des USMC, rechtfertigt solche Übungen mit Blick auf einen möglichen künftigen bewaffneten Konflikt mit China im Pazifik. Die Marine der Volksrepublik, so Berger, operiere nach dem Vorbild der US-Marine in Angriffsgruppen, wobei Zerstörer und andere Kriegsschiffe einen Flugzeugträger eskortieren. Berger sprach in diesem Zusammenhang auch über neue Bedingungen und Gefahren auf dem Schlachtfeld, die in einem künftigen Krieg aufgrund hochmoderner Spionagesatelliten zu erwarten seien. Berger und andere US-Militärstrategen gehen laut der New York Times davon aus, dass jede Schlacht mit der VR China in jenem Gebiet stattfinden könnte, welches das Pentagon als „erste Inselkette“ bezeichnet. Dazu gehören Okinawa und Taiwan bis hinunter nach Malaysia, die Spratlys und die Paracels, wobei es sich bei den beiden Letztgenannten um umstrittenes Terrain im Südchinesischen Meer handelt, das die Philippinen ihrerseits als Westphilippinisches Meer bezeichnen. Die „zweite Inselkette“ umfasst die Philippinen und reicht von Japan über Guam bis südlich von Palau. Höchstwahrscheinlich würde das TMLR im Falle eines Einsatzes im Westpazifik seine leistungsfähigsten Drohnen einsetzen – in diesem Fall MQ-9 Reaper-Drohnen des US-amerikanischen Herstellers General Atomics, die vorrangig der Luftnahunterstützung dienen. Das heißt, MQ-9 Reaper können Bomben abwerfen und Raketen abfeuern, während sie gleichzeitig nachrichtendienstliche Informationen zurücksenden, wie all dies bereits im Afghanistankrieg vorexerziert wurde.

Im Vorfeld der im April auf den Philippinen stattfindenden Großmanöver kündigte das USMC-Kommando die Stationierung weiterer US-Marineeinheiten auf japanischem Boden an, die als Kernelement einer neuen trilateralen Gruppierung – bestehend aus Militärkontingenten der USA, der Philippinen und Japans (JAPHUS) – konzipiert sind, um eine etwaige chinesische Invasion in Taiwan abzuwehren. Last, but not least eröffnete das USMC einen neuen Stützpunkt auf Guam, einer strategisch überaus bedeutsamen US-Insel östlich der Philippinen. Der dort als Camp Blaz bekannte Standort ist die erste neue Marinebasis seit 70 Jahren und soll eines Tages 5.000 Marines beherbergen.

Von Reportern gefragt, ob all diese Entwicklungen nicht die politische Führung in Beijing zutiefst verärgern und auf den Plan rufen, antwortete der Balikatan-Sprecher Oberst Logico:

Wir haben das absolute, unveräußerliche Recht, unser Territorium zu verteidigen. Wir sind hier, um zu zeigen, dass wir kampfbereit sind.“

Erwartungsgemäß folgte denn auch prompt eine Stellungnahme aus Beijing, in der die stellvertretende Direktorin der Informationsabteilung des chinesischen Außenministeriums und Sprecherin des Außenamtes, Mao Ning, vor einer Verschärfung der Spannungen in der Region warnte:

Die Philippinen, die den USA Zugang zu vier weiteren Verteidigungsanlagen auf ihrem Territorium gewähren, haben die Spannungen in der Region verschärft und gefährden den Frieden und die Stabilität in der Region. Aus Eigennutz hält die US-Seite am Kalten Krieg fest. Die Länder der Region sollten in dieser Hinsicht wachsam bleiben und vermeiden, von den USA benutzt zu werden.“

Sehenden Auges vollzieht also die seit knapp einem Jahr amtierende Regierung von Marcos Junior eine Kehrtwende hin zu einer betont US-hörigen Außenpolitik, die den Inselstaat erneut zu einem unsinkbaren Flugzeugträger Washingtons macht – und gleichzeitig die Rolle der Filipinos als „little brown brothers“ unterstreicht, als die William Howard Taft, der erste US-amerikanische Generalgouverneur der Philippinen (1901-1904) und später der 27. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, die Bevölkerung der einzigen und einstigen Kolonie Washingtons in Südostasien bezeichnet hatte. Als Washington noch bis zu Beginn der 1990er-Jahre in den Philippinen mit dem Clark Air Field und der Subic Naval Base seine damals größten außerhalb des nordamerikanischen Kontinents befindlichen Militärbasen unterhielt, erschallte lautstark der Ruf ihrer Kritiker: „Die Basen sind ein Dolch im Rücken der Filipinos!“

Reichlich drei Dekaden später regt sich erneut Kritik, die sich nicht nur gegen manöverbedingte Flurschäden und Vertreibungen richtet, sondern auch die Gefahr beschwört, aufgrund Manilas Politik unweigerlich ins Visier möglicher chinesischer Vergeltungsschläge zu geraten, wenn von philippinischem Boden aus provokative Akte gegen China erfolgen. Linke Bündnisorganisationen, Parteien sowie die fortschrittliche League of Filipino Students (LFS) zeigen sich jedenfalls zutiefst besorgt darüber, dass die Kriegsübungen zu einer Kettenreaktion führen und die Philippinen zwischen die USA und China manövrieren:

Der Wirtschaftsriese (China) wird gezwungen sein, drastische Maßnahmen zu ergreifen, um seine Einflusssphäre in der asiatisch-pazifischen Region aufrechtzuerhalten, was sich ironischerweise in einem stärkeren Einfluss auf die Westphilippinische See niederschlagen wird.“

Die Fischerleuteorganisation Pamalakaya warnt außerdem vor Vertreibungen der lokalen Fischer in jenen Gebieten, in denen die Balikatan-Manöver abgehalten werden. Die Provinzregierung von Ilocos Norte (im hohen Norden der Philippinen) hat bereits die Order erteilt, dass in 21 Dörfern und zwei Städten „die betroffenen Fischer umzusiedeln sind, um Platz für den Verkehr zu schaffen“, da vom 10. März bis zum 28. April luftbewegliche Operationen und logistische Übungen durchgeführt würden. Sprecher von Pamalakaya zeigten sich erbost und konterten: „Wir fordern die US-Truppen auf, die philippinischen Fischer in Ruhe zu lassen und ihre kriegstreibende Machtprojektion woanders durchzuführen.“

 

Südkorea – antikommunistischer „Frontstaat“ mit Sonderstatus

Ende Juli dieses Jahres jährt sich zum 70. Mal die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens von Panmunjom, wodurch der dreijährige Koreakrieg (1950-53), der erste „heiße“ Konflikt im Kalten Krieg, beendet wurde. Unterzeichnet wurde dieses Abkommen bezeichnenderweise nicht vom damaligen südkoreanischen Präsidenten Rhee Syngman. Dieser wollte den Krieg bis zum Sieg fortführen und fand sich mit den neuen Gegebenheiten erst ab, als die US-amerikanische Seite ihm umfassende Wirtschafts-, Finanz- und Militärhilfe zusagte. Nolens volens geriet auf diese Weise die am 15. August 1948 ausgerufene Republik Korea (Südkorea) zum antikommunistischen „Frontstaat“ par excellence – mit weitreichenden Konsequenzen, die bis in die unmittelbare Gegenwart hineinwirken. Bis heute nämlich steht noch immer eine friedensvertragliche Regelung auf der koreanischen Halbinsel aus.

Rhee Syngman, von den USA nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als Statthalter der United States Army Military Government in Korea (USAMGIK) eingesetzt, die südlich des 38. Breitengrads das Sagen hatte, tat alles, diesen Teil der Halbinsel stramm antikommunistisch auszurichten und in einen Prellbock gegen den Norden wie auch gegen die VR China und die Sowjetunion zu verwandeln. Nördlich des 38. Breitengrads, der zunächst als künstlich festgelegte Trennlinie zwischen Nord und Süd seitens der Siegermächte USA und Sowjetunion galt, führte Letztere das Zepter. Dort verlief ihre Einmischung in koreanische Angelegenheiten ungleich geringer als die der Amerikaner im Süden. Im Norden wurden umfangreiche Reformen (vor allem im Agrarbereich) durchgeführt und die vormals pro-japanischen Elemente und Kollaborateure des japanischen Kaiserreiches (dessen Kolonie Korea von 1910 bis 1945 war) aus allen führenden Positionen in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Kultur entfernt. Im Gegensatz zu dem aus dem Exil eingeflogenen Rhee Syngman verkörperte Kim Il-Sung als ausgewiesener antijapanischer Partisanenkämpfer im Norden eine volksverbundene, charismatische Führungspersönlichkeit mit ungleich größerer Legitimation als sein südlicher Gegenspieler Rhee.

Mit den jeweiligen Staatsgründungen – am 15. August 1948 übergab die USAMGIK die Regierungsgeschäfte an die neu konstituierte ROK-Regierung, während Kim Il-Sung nachzog und am 9. September 1948 in Pjöngjang die Geburt der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK – Nordkorea) verkündete – hatten sich die sozialpolitischen Konflikte auf der Halbinsel dermaßen verschärft, dass bewaffnete Auseinandersetzungen immer wahrscheinlicher wurden. Was ursprünglich als Klassenkampf begann, wuchs sich sukzessiv zum Bürgerkrieg aus und entfaltete eine ungeahnte Eskalationsdynamik durch die Internationalisierung des Krieges als Koreakrieg.

Von 1950 bis 1953 stellten 22 Länder entweder Kampftruppen oder medizinische Einheiten zur Unterstützung Südkoreas unter der Flagge der Vereinten Nationen, wiewohl unter US-Oberkommando, bereit. Auf Seiten Nordkoreas kämpften Freiwilligenverbände der chinesischen Volksarmee sowie eine nicht genau bekannte Zahl sowjetischer Piloten. Während ausländische Truppen die DVRK nach dem Krieg verließen, verblieben UN-Verbände und US-Truppen (aktuell 28.500 Mann) bis heute ununterbrochen in Südkorea – ein Anachronismus ohnegleichen! Und es ist ein US-amerikanischer Viersternegeneral (seit dem 2. Juli 2021 General Paul J. LaCamera), der als unzeitgemäßer Prokonsul im gut 60 Kilometer südlich der südkoreanischen Metropole Seoul gelegenen Hauptquartier Camp Humphreys residiert, der zurzeit weltweit größten US-Militärbasis außerhalb des nordamerikanischen Kontinents.

General LaCamera ist in Personalunion Oberkommandierender der United States Forces Korea (USFK), des Kommandos der Vereinten Nationen (United Nations Command – UNC) sowie des ROK/U.S. Combined Forces Command (CFC). Im Kriegsfall sind die südkoreanischen Streitkräfte seinem Befehl untergeordnet – eine „Pikanterie“, weil dadurch nicht genau zu bestimmen ist, wo südkoreanische Innenpolitik endet und faustfeste US-amerikanische Außen- und „Sicherheits“politik beginnt! Assistiert wird General LaCamera von seinem südkoreanischen Stellvertreter und Kollegen, dem seit dem 27. Mai 2022 seines Amtes obwaltenden General Ahn Byung-Seok.

US-Prokonsuln auf südkoreanischem Hochsitz mit Blick auf Hawaii – ein Exkurs

Die United States Forces Korea (USFK) sind für die Unterstützung und Ausbildung der gemeinsamen multinationalen Streitkräfte der Republik Korea und der USA sowie des Kommandos der Vereinten Nationen (United Nations Command – UNC) zuständig. Die am 1. Juli 1957 gegründeten USFK unterstützen sowohl den ROK (Republik Korea) / U.S. Combined Forces Command (CFC) als auch das UNC und nehmen jährlich an gemeinsamen und kombinierten Operationen mit dem CFC teil, um Personal und Verstärkungseinheiten auszubilden und stets in Bereitschaft zu sein.

Nach dem Beginn der offenen Kampfhandlungen auf der Halbinsel, als nach lange währenden bewaffneten innerkoreanischen Auseinandersetzungen entlang des 38. Breitengrads nordkoreanische Panzer gen Süden auf die Hauptstadt Seoul zurollten, wurde am 24. Juli 1950 das UNC aus der Taufe gehoben. Die Resolutionen 83 und 84 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen gaben den Mitgliedsstaaten die Befugnis, den Frieden auf der koreanischen Halbinsel wiederherzustellen, und legten gleichzeitig die Führungsrolle der Vereinigten Staaten in diesem vereinigten Kommando fest – nicht ohne Missmut seitens Trygve Lies, des ersten (norwegischen) UN-Generalsekretärs, der aber vorzeitig, am 10. November 1952, frustriert seinen Posten aufgab. Heute ist das UNC wesentlich damit befasst, auf die Einhaltung des weltweit längsten Waffenstillstands zu achten und diplomatische Kanäle mit Nordkorea offenzuhalten.

Aus einem operativen Planungsstab, der 1968 als Zusatz zum UNC/USFK/Eighth United States Army Headquarters und dem US-geführten I. Korps entstand, entwickelte sich 1971 ein integriertes Feldarmeehauptquartier. Dieses wurde jedoch erst 1978 im Rahmen eines bilateralen amerikanisch-südkoreanischen Abkommens im Zusammenhang mit dem damals geplanten Abzug der US-Bodentruppen aus Südkorea (der allerdings 1981 wieder rückgängig gemacht wurde) als gemeinsamer Stab eingerichtet. Dieses binationale Verteidigungsteam, das aus dem multinationalen UNC hervorgegangen ist, dient heute der Abwehr von Feindseligkeiten. Das schließlich am 7. November 1978 eingerichtete CFC ist das Hauptquartier für Kriegführung. Seine Aufgabe ist es, Aggressionen von außen gegen die Republik Korea abzuschrecken oder, wenn nötig, abzuwehren – was sich im Kern auf Nordkorea bezieht beziehungsweise gegen die Volksrepublik richtet.

Um diesen selbstgesetzten Auftrag zu erfüllen, obliegt dem CFC die operative Kontrolle über mehr als 600.000 aktive Soldaten aller Streitkräfte beider Länder. In Kriegszeiten könnten deren Kontingente durch etwa 3,5 Millionen ROK-Reservisten und zusätzliche US-Streitkräfte, die von außerhalb Südkoreas entsandt würden, verstärkt werden. Im Falle eines Angriffs durch Nordkorea würde das CFC mit seinen Luft-, Boden-, Marine- und kombinierten Marinestreitkräften sowie der Combined Unconventional Warfare Task Force für eine koordinierte Verteidigung sorgen.

Das CFC steht unter dem Kommando eines US-Viersternegenerals mit einem Viersternegeneral der koreanischen Armee als stellvertretendem Befehlshaber. In der gesamten Kommandostruktur wird die binationale Besetzung beibehalten: Ist der Leiter einer Stabsabteilung ein Koreaner, so ist sein Stellvertreter ein Amerikaner und umgekehrt. Diese integrierte Struktur gilt sowohl für die einzelnen Kommandos als auch für das Hauptquartier. Alle CFC-Komponenten sind taktisch integriert durch kontinuierliche kombinierte und gemeinsame Planung, Ausbildung und Manöver.

Eine der wichtigsten Feldübungen war die Team-Spirit-Serie, die 1976 begann und sukzessive auf fast 200.000 koreanische und US-amerikanische Mann aufgestockt wurde. Die USA beteiligten sich an solchen Übungen mit Verstärkungstruppen aller Streitkräfte, die von anderen pazifischen Stützpunkten und vom Festland der Vereinigten Staaten aus nach Südkorea entsandt wurden. Das letzte Manöver dieser Art wurde 1993 abgehalten.

Getrennte Gefechtsstandübungen Südkoreas und der USA wurden 1976 als Ulchi Focus Lens (UFL) zusammengefasst. Im Dezember 2006 ordnete der damalige Oberkommandeur des CFC an, den Namen UFL zu ändern. Während der ROK-Stab seine Manöver unter dem Namen Ulchi fortsetzte, benannte die amerikanische Seite ihre Manöver in Ulchi Freedom Guardian (UFG) um. Im Laufe der Zeit entwickelte sich daraus eine jährlich durchgeführte gemeinsame und kombinierte simulationsgestützte Gefechtsstandübung, bei der das Personal des CFC samt seinen Hauptkomponenten mit Hilfe modernster Computersimulationen geschult wurden, was die nordkoreanische Seite stets als gezielte, gegen die Volksrepublik gerichtete Provokation heftig kritisierte.

Das United States Indo-Pacific Command (USINDOPACOM) ist das für den indo-pazifischen Raum zuständige einheitliche Kampfkommando der US-Streitkräfte. Es ist das älteste und größte der vereinigten Kommandos der Streitkräfte. Sein Kommandeur, der ranghöchste US-Militäroffizier im Pazifik (seit dem 30. April 2021 Admiral John C. Aquilino), ist für mehr als 375.000 Militärangehörige sowie für ein Gebiet verantwortlich, das mehr als 260.000.000 Quadratkilometer oder etwa 52 Prozent der Erdoberfläche umfasst und sich von den Gewässern der Westküste der Vereinigten Staaten bis zu den Gewässern an der Ostküste der pakistanischen Seegrenze sowie von der Arktis bis zur Antarktis erstreckt. Das Kommando, seit seiner Gründung im Jahr 1947 als United States Pacific Command (USPACOM) bekannt, wurde 2018 in Anerkennung der zunehmenden Vernetzung zwischen dem Indischen und dem Pazifischen Ozean in U.S. Indo-Pacific Command umbenannt.

Das Indo-Pacific Command besteht aus den Komponentenkommandos U.S. Army Pacific, U.S. Marine Forces Pacific, U.S. Pacific Fleet, U.S. Pacific Air Forces sowie den unterstellten Kommandos U.S. Forces Japan, USFK und dem Special Operations Command Pacific. Das Nimitz-MacArthur Pacific Command Center dient als Hauptquartier des Indo-Pacific Command und befindet sich im Camp H. M. Smith auf Hawaii.

Spätestens hier reibt sich der unbedarfte Leser verdutzt die Augen und fragt sich zu Recht: Wer bedroht da eigentlich wen auf der koreanischen Halbinsel? Eine „Kim-Despoten-Dynastie“, ein „wahnsinniger Raketenmann Kim Jong-Un“, ein „Irrer mit der Bombe“ im Norden etc. pp.? Da kontrollieren die USA seit 1945 die Geschicke Südkoreas drei Jahre lang mittels einer US-Militärregierung, um seitdem ebendort wie „ein Pfahl im Fleische“ die militärischen Kommandohöhen zu besetzen – all das mit der gigantischen Wucht einer Supermacht (inklusive ihres weltweit gespannten Netzes von reichlich 800 Militärbasen) und dem bedrohlichen Verweis auf die „Bündnistreue mit ROK“, die „Sicherheitslage in der Region“ und um „Aggressionen seitens Nordkoreas“ einen Riegel vorzuschieben! Gäbe es einen halbwegs um Objektivität bemühten Journalismus – von investigativem, gar aufklärerischem ganz zu schweigen –, müsste zuvörderst die fortgesetzte Präsenz von US-Truppen und -Waffen und deren gigantisches Bedrohungspotenzial auf der Halbinsel als Hauptbarrikade charakterisiert werden, welche bis dato die Umwandlung eines Waffenstillstandsabkommens in einen Friedensvertrag blockiert und ein versöhnliches Miteinander zwischen Nord und Süd verunmöglicht!

Der Hauptgrund für das Fortbestehen solch bizarrer Verhältnisse liegt in den bleiernen Traumata beider Seiten dies- wie jenseits des 38. Breitengrads begründet: Im Norden herrschen aufgrund der immensen Verwüstung während des Koreakrieges (1950-53) – US-Bomberpiloten hatten in jener Zeit „gewehklagt“, es gäbe „keine Ziele mehr“ – noch immer Bunkermentalitäten, wonach „die US-Imperialisten“ gleichgesetzt werden mit Tod und Vernichtung bringenden „Teufeln“. Und im Süden herrschte die längste Zeit ein von Militärdiktaturen giftig genährter Antikommunismus als Staatsdoktrin, der weltweit in diesem Rigorismus und in dieser martialischen Zurichtung nur noch seit Herbst 1965 in Indonesien unter Suharto existierte. Ein Relikt dieser Epoche existiert in Südkorea noch immer in Gestalt des drakonischen Nationalen Sicherheitsgesetzes (NSL), das erst wieder im vergangenen Monat gegen Gewerkschafter der Korean Confederation of Trade Unions (KCTU) in Anschlag gebracht wurde, da man sie verdächtigte, als „Spione für den Norden tätig zu sein“. Die ältere Generation dies- wie jenseits des 38. Breitengrads hat aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen solcherart Feindbilder verinnerlicht, was im Süden dazu führte, dass trotz zahlreicher Avancen vis-à-vis dem Norden die gegenwärtig nur mit hauchdünner Mehrheit regierende Administration unter dem stramm konservativen Präsidenten Yoon Suk-Yeol mehr auf Konfrontation denn auf Kooperation mit dem Regime in Pjöngjang bedacht ist – eine markante Kehrtwende im Vergleich zu Yoons Vorgänger Moon Jae-In.

Militärmanöver Freedom Shield 23“ im Süden, Waffentests im Norden

Nach über fünf Jahren fand im März wieder ein elftägiges Großmanöver kombinierter amerikanisch-südkoreanischer Truppenverbände statt, das diesmal unter dem wohlklingenden Namen Freiheitsschild firmierte und am 23. März endete. Amphibische Übungen unter Beteiligung von Seestreitkräften waren dabei ebenso Teil der Operation wie auf Computersimulationen basierende Manöver. Außerdem flogen strategische B-1B-Bomber der US-Luftwaffe in Formation mit südkoreanischen F-35A-Tarnkappen-Kampfjets und US-F-16-Kampfflugzeugen mehrere Einsätze, was Pjöngjang als akute Kriegsdrohung wertete. Kein Wunder, dass Nordkorea während der Dauer von Freedom Shield 23 seinerseits Stärke demonstrierte: In kurzen Intervallen von wenigen Tagen zündete es eine ballistische Interkontinentalrakete vom Typ Hwasong-17, die ins Ostmeer stürzte, nachdem zuvor bereits zwei ballistische Kurzstreckenraketen und zwei Marschflugkörper von einem U-Boot aus abgefeuert wurden. Kim Jong-Un sprach in den vergangenen Wochen wiederholt und öffentlich von der Notwendigkeit, die Produktion von waffenfähigem Nuklearmaterial zu „steigern“, um das Atomwaffenarsenal des Landes „exponentiell“ aufzustocken – aus der Sicht Pjöngjangs eine notwendige Selbstschutzmaßnahme und (Über-)Lebensgarantie gegen einen von außen erzwungenen „regime change“ à la Irak, Afghanistan und Libyen.

Sprecher des südkoreanischen Verteidigungsministeriums gossen Öl ins Feuer, als man der Öffentlichkeit kurz vor Beendigung von Freedom Shield 23 mitteilte, die USA und Südkorea würden im Juni dieses Jahres eingedenk ihrer seit sieben Dekaden währenden engen Kooperation die größten Übungen mit scharfer Munition abhalten. Aus dem Ministerium hieß es dazu lapidar:

Das Programm soll die Fähigkeit der beiden Nationen demonstrieren, Frieden durch Stärke zu verwirklichen, und zwar inmitten der ernsten Sicherheitslage, die durch Nordkoreas nukleare Bedrohung und seine Raketen entstanden ist.“

Nach Angaben der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap haben Washington und Seoul bisher knapp zehn Mal massive gemeinsame Übungen mit scharfer Munition durchgeführt, zuletzt im Jahr 2017. Die Trump-Administration stellte damals die Durchführung größerer Übungen mit Südkorea ein, um Spannungen abzubauen und Raum für Diplomatie zu schaffen.

 

Japan und Südkorea – Annäherung mit Tücken, doch Rückendeckung seitens Washingtons

Ausgerechnet während der laufenden Freedom-Shield-23-Militärmanöver traf sich Mitte März Südkoreas Präsident Yoon Suk-Yeol mit dem japanischen Premierminister Kishida Fumio in Tokio, das erste Treffen dieser Art seit zwölf Jahren. Vorrangig ging es dabei um das Auftauen unterkühlter Beziehungen zwischen beiden Nachbarn und auf Drängen Washingtons darum, beide engen Verbündeten gegen China zu mobilisieren. Wie Nikkei Asia berichtete, vereinbarten Yoon und Kishida eine verstärkte Zusammenarbeit gegen Nordkorea und die Wiederaufnahme eines bilateralen Sicherheitsdialogs auf Arbeitsebene, der seit fünf Jahren unterbrochen ist.

Yoon kündigte überdies die „Normalisierung” des GSOMIA-Abkommens (General Security of Military Information Agreement) an, das den Austausch militärischer Informationen zwischen den beiden Ländern vorsieht. Moon Jae-In, der Vorgänger von Yoon, hatte 2019 in Seoul erklärt, das GSOMIA nicht zu verlängern, weil Japan neue Exportkontrollen gegen Südkorea verhängt habe. Diese Kontrollen, so jedenfalls wurde es Mitte März zwischen beiden Ländern vereinbart, sollen nunmehr aufgehoben werden. Das GSOMIA regelt den beidseitigen Informationsaustausch über nordkoreanische Raketentests.

Gastgeber Kishida zeigte sich nach dem Treffen mit seinem südkoreanischen Kollegen zufrieden und erklärte während der abschließenden Pressekonferenz:

Von nun an möchte ich ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen Japan und Südkorea aufschlagen, und zwar durch häufige Besuche beider Seiten, die nicht an Formalitäten gebunden sind.“

So wohlgesetzt diese Worte klangen, so schrill bleiben Zwischentöne jenseits des diplomatischen Parketts. Die Beziehungen zwischen Südkorea und Japan bleiben wegen der japanischen kaiserlichen Herrschaft in Korea von 1910 bis 1945 angespannt. Beide Länder arbeiten an einem Abkommen zur Beilegung des Streits über die koreanische Sklavenarbeit während der Besatzung, wenngleich die südkoreanische Opposition und viele andere im Land dagegen Front machen und Yoon bezichtigen, gegenüber Tokio zu lasch aufzutreten. Misstöne sind noch immer zu vernehmen, was ungeklärte Fragen von Entschuldigung und Entschädigung der euphemistisch sogenannten „Trostfrauen“ während des Zweiten Weltkriegs betrifft sowie erneut hochgeschäumte Querelen über revidierte Geschichtsbücher in japanischen Schulen, in denen Japans Rolle während des Zweiten Weltkriegs wieder einmal deodorisiert wird.

Im Nachbarland China regte sich darüber ebenso Unmut wie über Kishidas Ankündigung, dass Tokio sein Militärbudget in den nächsten fünf Jahren verdoppeln werde, um seine Streitkräfte speziell gegen China aufzurüsten.

Zu dieser Gemengelage merkt der philippinische Politikwissenschaftler und Kolumnist Richard J. Heydarian an:

Tokio überdenkt seine pazifistische Außenpolitik aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, indem es eine proaktivere strategische Rolle in der Region übernimmt. Japan erwägt nun, hochentwickelte Waffensysteme in belagerte Länder, insbesondere in die Ukraine, zu exportieren. Dieser Schritt hat jedoch auch unmittelbare Auswirkungen auf Taiwan, das sich mit der wachsenden Aussicht auf eine bewaffnete Konfrontation mit China konfrontiert sieht.

Das selbstverwaltete Taiwan, das von Beijing als abtrünnige Provinz behandelt wird, ist gleichzeitig von zentraler Bedeutung sowohl für die regionale Sicherheitsarchitektur als auch für die wirtschaftliche Integration. Die anspruchsvollsten Prozessorchips der Welt werden größtenteils von einem einzigen taiwanesischen Unternehmen, der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company Limited (TSMC), hergestellt.

Taiwans Chips sind für die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts so wichtig wie die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) für das vergangene Jahrhundert. Doch wie der Politikwissenschaftler Chris Miller erklärt, ist Taiwan sogar noch wichtiger, denn anders als bei Öl, das man in vielen Ländern kaufen kann, hängt unsere Produktion von Rechenleistung von einigen wenigen Herstellern ab, insbesondere von denen in Taiwan.“

Um „angemessenen“ Umgang bemüht

Trotz aller Differenzen, die auch und gerade zwischen China und Japan bestehen, sollten beide Seiten die Kooperation ausbauen und „angemessen“ mit ihren Meinungsverschiedenheiten umgehen, erklärte Chinas Außenminister Qin Gang am 2. April bei einem Treffen mit seinem japanischen Kollegen Hayashi Yoshimasa in Beijing, wie das Außenministerium mitteilte. Und der Gastgeber fügte mit offensichtlichem Hinweis auf das Bündnis Japans mit den USA hinzu:

Angesichts von Widersprüchen und Differenzen helfen Blockbildung, Geschrei und Druck nicht, die Probleme zu lösen, so wird nur Entfremdung vertieft.“

Mit Blick auf den Gipfel der Gruppe der sieben großen Industrienationen (G7) im Mai im japanischen Hiroshima und die gegenwärtige G7-Präsidentschaft Japans äußerte Qin Gang die Hoffnung, dass Tokio „den Ton und die Richtung des Treffens richtig bestimmt“. In Beijing wird befürchtet, dass sich das G7-Treffen auch gegen China richten könnte.

Bündnisfieber und befürchteter Souveränitätsverlust Canberras

Zu den jüngsten Vorstößen der USA und der NATO im Indo-Pazifik gehören AUKUS, der trilaterale Sicherheitspakt zwischen Australien, dem Vereinigten Königreich und den USA, die „Fünf-Augen-Allianz“, die sich aus den USA, Kanada, Australien, Neuseeland und dem Vereinigten Königreich zusammensetzt, sowie QUAD, der strategische Sicherheitsdialog, bestehend aus den vier Staaten Australien, Indien, Japan und den USA.

Am 15. September 2021 hatten die USA angekündigt, sich u. a. dafür einzusetzen, der Royal Australian Navy bei der Beschaffung von atomgetriebenen U-Booten behilflich zu sein. Mitte März nun ging dieses Engagement mit einem großen AUKUS-Gipfel (im Beisein der drei Staatschefs) und der Ankündigung des US-Plans, Australien mit atomgetriebenen U-Booten auszustatten, in die nächste Phase über. Einem Informationsblatt des Weißen Hauses zufolge wird dies etappenweise erfolgen: Zunächst wird Washington Anfang der 2030er-Jahre drei U-Boote der Virginia-Klasse an Australien verkaufen, wobei der Verkauf von zwei weiteren U-Booten möglich ist. In der nächsten Phase, die ein Jahrzehnt später abgeschlossen sein soll, wird Australien atomgetriebene U-Boote des Typs SSN-AUKUS einsetzen, die gemeinsam von Großbritannien und Australien gebaut werden und auf hochmoderner US-Technologie basieren. Doch dieser Deal mit einem Gesamtvolumen von 368 Milliarden US-Dollar geschieht inmitten unvorsichtiger Medienprognosen, wonach sich Australien innerhalb von drei Jahren im Krieg mit China befinden könnte.

Bei der Ankündigung des AUKUS-U-Boot-Geschäfts in den USA Mitte März betonte der australische Premierminister Anthony Albanese, dass es darauf abziele, den Nationen in der Region die Möglichkeit zu geben, „frei von Zwang in ihren souveränen Interessen zu handeln und die Sicherheit durch Investitionen in unsere Beziehungen in der gesamten Region zu fördern“.

Die Realität des U-Boot-Abkommens ist laut Kritikern des Deals jedoch nicht in diesem Sinne. Stattdessen, so befürchten sie, führt es Australien in ein halbes Jahrhundert der Aufrüstung und eingeschränkter Souveränität innerhalb einer von den USA geführten Allianz, die China eindämmen soll. Diese Befürchtung teilt China, dessen Außenministerium denn auch umgehend mit folgender Stellungnahme aufwartete:

Die jüngste gemeinsame Erklärung der USA, Großbritanniens und Australiens zeigt, dass die drei Länder um ihrer eigenen geopolitischen Interessen willen die Bedenken der internationalen Gemeinschaft völlig außer Acht lassen und sich immer weiter auf den Pfad des Irrtums und der Gefahr begeben.”

(Neo-)Kolonialer Habitus

Ungewöhnlich scharf fiel die Kritik an dem AUKUS-U-Boot-Deal seitens des früheren australischen Premierministers Paul Keating (1991-96) aus. Australien, so Keating in einer engagierten Rede vor dem National Press Club of Australia Mitte März, habe in den letzten zehn Jahren wiederholt Fehlschläge bei dem Versuch erlitten, ein erfolgreiches U-Boot-Programm auf die Beine zu stellen. Es wäre ein Wunder, wenn dieses Programm reibungslos abliefe, ganz abgesehen von den wechselnden Regierungen in den drei Ländern und der Entwicklung der internationalen strategischen Lage.

Keating griff nicht nur das AUKUS-Abkommen an (wie schon bei seiner Ankündigung im Jahr 2021), sondern personalisierte seine diesmal ätzende Kritik, indem er namentlich Premierminister Anthony Albanese, Außenministerin Penny Wong und Verteidigungsminister Richard Marles ins Visier nahm und ihnen attestierte, „kein tiefes oder langfristiges Interesse an auswärtigen Angelegenheiten“ zu zeigen. Es sei keine Außenpolitik, so Keating, wenn man mit einem lei (Kopf-und Halsschmuck) auf den Pazifikinseln herumlaufe und Geld verteile, wie Frau Wong es tue. Mit Blick auf die Rolle des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten erklärte Keating bei der Gelegenheit:

Die Komplizenschaft der Albanese-Regierung mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten beim Bau eines Atom-U-Boots für Australien im Rahmen der AUKUS-Vereinbarungen stellt die schlechteste internationale Entscheidung einer australischen Labor-Regierung dar, seit der ehemalige Labor-Führer Billy Hughes versuchte, die Wehrpflicht einzuführen, um die australischen Streitkräfte im Ersten Weltkrieg zu verstärken. (…)

Jedes Mitglied der Labor Party wird zusammenzucken, wenn es begreift, dass die Partei, für die wir alle kämpfen, zu unserem ehemaligen Kolonialherrn, Großbritannien, zurückkehrt, um unsere Sicherheit in Asien zu suchen – 236 Jahre, nachdem die Europäer den Kontinent zum ersten Mal seinen Ureinwohnern entrissen haben. (…)

Es ist kein schöner Anblick, das Land den außenpolitischen Neigungen eines anderen Landes – der Vereinigten Staaten – auszuliefern, während die dummen Briten auf ihrer verzweifelten Suche nach Relevanz hinterherhinken.“

Der Kritik Keatings hat sich mittlerweile auch Ex-Premierminister Malcolm Turnbull (2015-18) von der konservativen Liberal Party angeschlossen, wiewohl in gemäßigterem Tonfall.

Der Pazifik ist unser Ozean“

Wie lauteten die Eingangspassagen der von US-Senator Albert J. Beveridge am 9. Januar 1900 vor dem amerikanischen Kongress gehaltenen Rede, die dem ersten Teil dieses Beitrags vorangestellt sind?

Geradewegs hinter den Philippinen liegen Chinas schier unermesslichen Märkte. Wir werden unseren Teil in der Mission unserer von Gott geschützten Rasse bei der Zivilisierung der Erde beitragen. Wo werden wir die Abnehmer unserer Produkte finden? Die Philippinen geben uns einen Stützpunkt am Tor zum Osten.“

Beveridge endete seine Ausführungen mit den unvergesslichen Sentenzen:

Sie (die Philippinen – RW) zu halten, wird kein Fehler sein. Der größte Teil unseres Handels muss in Zukunft mit Asien abgewickelt werden. Der Pazifik ist unser Ozean.“

Auch in diesem Zusammenhang stellt sich aufs Neue die dringliche Frage: Wer droht dort eigentlich wem? Der zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts im US-Kongress unverhüllt reklamierte Besitzanspruch Washingtons auf den Pazifik wird heute in der Ära einer „werte- wie regelbasierten Zeitenwende“ entsprechend vornehmer und bei expliziter Ausklammerung des Völkerrechts artikuliert. Liest man aufmerksam den am 1. Juni 2019 vom Pentagon vorgelegten Bericht Indo-Pacific Strategy Report – Preparedness, Partnerships, and Promoting a Networked Region, lassen sich zahlreiche Passagen markieren, wie schwer es Washington fällt, den Pazifik nicht länger mehr als „Mare Nostrum“ zu betrachten. Dort heißt es beispielsweise auf Seite 2:

Die Vereinigten Staaten sind eine pazifische Nation. Unsere Beziehungen zum indo-pazifischen Raum sind historisch gewachsen, und unsere Zukunft ist untrennbar mit ihm verbunden. Wir haben mit unserem Blut und unseren Schätzen dazu beigetragen, die Freiheiten, die Offenheit und die Chancen dieser Region zu erhalten. Unsere Präsenz sichert die lebenswichtigen Seewege des Indo-Pazifiks, die die Grundlage für den globalen Handel und Wohlstand bilden.“

Da die Bundesrepublik nach den Worten von Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck heute ausdrücklich „eine dienende Führungsrolle ausübt“ – wie er es anlässlich seines USA-Besuchs Anfang März 2022 wörtlich ausdrückte –, wird man sehen, wie und in welchem Umfang diese Rolle auch im Indo-Pazifik gewürdigt wird. Denn es gilt, in Erinnerung zu rufen, dass es um 1900 fast zu einer Seeschlacht zwischen dem teutonischen Michel und Uncle Sam in der Bucht von Manila gekommen wäre. Und immerhin befand sich der östlichste Außenposten des Deutschen Kaiserreiches im Westen Samoas. Und später existierte im Rahmen der Achsenmächte eine enge Partnerschaft zwischen Nazideutschland und dem militaristischen Japan, deren ursprünglichen Pläne eine Neuaufteilung der Welt nach ihrem Gusto vorsahen.

 

Links & weiterführende Literatur

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https://news.antiwar.com/2023/03/22/us-south-korea-to-hold-largest-ever-live-fire-drills-in-june/
https://news.antiwar.com/2023/03/16/japan-south-korea-work-to-rebuild-military-ties-with-us-backing/
https://asiatimes.com/2023/03/aukus-weds-australia-to-risky-us-policy-on-china/
https://asiatimes.com/2023/01/towards-a-nuclear-armed-south-korea/
Georg Auernheimer: Die politische Weltkarte wird neu gezeichnet * https://www.nachdenkseiten.de/?p=95615
https://www.csis.org/analysis/transformation-us-philippines-alliance
Choi Si-young: Japan’s textbook revisions threaten thaw in ties * https://www.koreaherald.com/view.php? ud=20230328000742
Hillary Clinton & Condoleezza Rice on America’s Global Role | The Problem With Jon Stewart Podcast – YouTube * https://www.youtube.com/watch?v=xutIA4HzGqA
https://www.defense.gov/News/Transcripts/Transcript/Article/3286626/secretary-of-defense-lloyd-j-austin-iii- joint-press-briefing-with-philippine-se/
https://www.dw.com/de/usa-und-s%C3%BCdkorea-starten-milit%C3%A4rman%C3%B6ver-freedom-shield 23/a-64966909
Xave Gregorio * https://www.philstar.com/headlines/2023/03/16/2252153/eu-eyes-port-calls-joint-exercises- philippines-south-china-sea
William D. Hartung & Tom Engelhardt * https://original.antiwar.com/william-d-hartung/2023/03/29/the-pentagons-budget-from-hell/
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The Largest U.S. Military Bases in the World * https://mybaseguide.com/largest-us-military-bases/ https://www.antiwar.com/blog/2023/03/28/daniel-larison-on-china-and-our-african-friends/
Quinn Marschik: Asia is none of NATO’s business – Nikkei Asia *
https://archive.is/LuZiQ
https://www.militarytimes.com/news/your-military/2023/03/21/us-f-22s-land-in-philippines-for-first-time-furthering-partnership/
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North Korea fires ballistic missile as US bombers join drills – The Korea Times *
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Alexandra Sakaki: Japan-Südkorea-Beziehungen auf Talfahrt – Mehr als „nur“ eine Frage der Geschichte *
https://www.swp-berlin.org/publications/products/aktuell/2019A42_skk.pdf
Ted Snider: https://responsiblestatecraft.org/2023/03/17/what-the-aukus-sub-ruckus-means-for-regional-security/
South Korea speeds up full-fledged deployment of US anti-missile battery – The Korea Times *         https://www.koreatimes.co.kr/www/nation/2023/03/205_347846.html