Die Politik der SPD in Krieg und Novemberrevolution
Von Heiner Karuscheit
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in: Berliner Debatte Initial 29 (2018) Nr. 3
Vorbemerkung
Die Republik von Weimar überlebte nicht länger als vierzehn Jahre. Unter der Verantwortung der SPD gegründet und zu keinem Zeitpunkt stabil, stellte sich von Anfang an die Frage, inwieweit ihre krisengeschüttelte, kurze Existenz mit der sozialdemokratischen Politik in der Novemberrevolution zusammen hing.
Darauf geben zwei verschiedene Erklärungen Antwort. Nach der ersten Variante war die SPD den Umgang mit der Macht nicht gewohnt, so dass ihr Fehler und Versäumnisse unterliefen, die die neue Demokratie schwächten; diese Deutung beherrscht die heutige Geschichtsschreibung. In der anderen Variante begegnet uns die Novemberrevolution als Geschichte eines von der SPD begangenen Dauerverrats; diese Auffassung entsprach seinerzeit den Empfindungen der USPD- und KPD-Anhänger und hat in der Bundesrepublik u.a. mit Sebastian Haffner einen wortgewandten Verfechter gefunden.
Beide Deutungen sind wenig befriedigend. Kann man den Ausgang eines Jahrhundertereignisses wie der Novemberrevolution mit sozialdemokratischer Naivität erfassen? Hätte das Vorgehen der SPD-Führung dann nicht widersprüchlicher sein müssen, anstatt sich von Anfang bis Ende gegen die Ergebnisse der Revolution zu richten? An diesem Punkt setzt die Verrats-These an, indem sie die fortlaufenden „Fehlentscheidungen“ der sozialdemokratischen Parteiführung als bewussten Verrat an der Revolution und der eigenen Vergangenheit interpretiert. Nur – was ist mit diesem Begriff gewonnen? Der SPD eine Judasrolle zuzuweisen, vermag vielleicht moralisch zu befriedigen, ist aber analytisch nicht überzeugender als die Überforderungsthese.
Dem entgegen arbeitet der vorliegende Beitrag heraus, dass die sozialdemokratische Parteiführung in Krieg und Revolution einem politischen Konzept folgte, das sich in der Vorkriegszeit unter ihrem Vorsitzenden August Bebel herausgebildet hatte. Basierend auf der regelmäßig als „Hineinwachsen“ in den Staat beschriebenen, zunehmenden Identifizierung der Sozialdemokratie mit Preußen-Deutschland zielte es nicht auf die Beseitigung des Militär- und Obrigkeitsstaats, sondern auf seine Übernahme unter sozialdemokratischer Führung. Diese Konzeption existierte nicht als schriftlich ausgearbeitete Strategie, sie muss aus Parteitags- und Reichstagsreden, aus theoretischen Debatten sowie aus der praktischen Politik rekonstruiert werden.
Mit der so gewonnenen Deutung betritt der Autor Neuland, aber wenn man nicht auf psychologische Kategorien wie Machtscheu, Überforderung oder Verrat zurückgreifen will, sondern eine politische Erklärung bevorzugt, lässt sich nach seiner Überzeugung nur so nachvollziehen, wieso am Ausgang des Kriegs unter der Regie der SPD eine Republik entstand, hinter deren Fassade die alte Ordnung fortexistierte und die letztlich zum Scheitern verurteilt war.1
1. Die „Verpreußung“ der SPD
Mit der Dauer des Kaiserreichs wurden „die sozialistischen Arbeiter mehr und mehr vom Gedanken der nationalen Einheit, vom Bezug auf Vaterland und Patriotismus erfasst“ (Herbert 2017: 57). Der Staat, in den die Sozialdemokratie langsam aber sicher hinein wuchs, war jedoch keine parlamentarisch verfasste Demokratie wie Großbritannien oder Frankreich, sondern ein vorbürgerlicher, von Preußen beherrschter Militär- und Obrigkeitsstaat.
Entgegen der Überzeugung der Sozialdemokratie war die 1848/49 steckengebliebene bürgerliche Revolution durch die Reichseinigung 1866-1870 nicht vollendet worden.2 1870 war lediglich ein deutscher Nationalstaat entstanden und damit der nationale Teil der in Deutschland zweigeteilten Aufgabe der Revolution erledigt worden. Der andere Teil, die Durchsetzung der Demokratie, stand nach wie vor aus.
Bismarck hatte das Kunststück fertig gebracht, die Lösung der nationalen Frage als Hebel zu benutzen, um die Liberalen zu spalten, den rechten Flügel der Bourgeoisie auf seine Seite zu ziehen und durch die Siege der preußischen Armee in den Einigungskriegen die Herrschaft Preußens sowohl zu sichern als auch auf ganz Deutschland auszudehnen, mit der Bourgeoisie als Juniorpartner der Junkerklasse an der Macht.
Anpassung an die monarchisch-autoritäre Ordnung
Auf Basis der „großpreußisch-militaristischen Reichsgründung“ (Bartel; Engelberg 1971) verflüchtigte sich die nach der 48er Revolution verbreitete Preußenfeindschaft des Kleinbürgertums und liberalen Bürgertums langsam und wurde die deutsche Gesellschaft mit den Ordnungsmustern des preußischen Obrigkeitsstaats und dem Geist des Militarismus imprägniert. Heinrich Manns Gesellschaftsroman „Der Untertan“ verewigte das wilhelminische Deutschland literarisch.
Der Formierungsprozess der Gesellschaft machte vor der Arbeiterbewegung nicht halt. „Die nationalliberal-preußische Umformung des deutschen Liberalismus fand ihre Parallele in einer >Borussifizierung< auch der ursprünglich antipreußischen Teile der Sozialdemokratie“.3 Auch in Frankreich und Großbritannien näherten sich die sozialistischen Parteien dem Staat an und unterlagen einem allmählichen Prozess der Nationalisierung. Aber der dortige Staat war ein bürgerlicher Staat, und „ihr Patriotismus, ihr nationales Bewusstsein, war orientiert an den Traditionen der erfolgreichen demokratischen Revolutionen in ihren Ländern“ (Grebing 1970: 140f). In Preußen-Deutschland fehlte diese Tradition, hier konnte die Anpassung an den Staat nicht in bürgerlich-demokratischem Sinn stattfinden, sondern erfolgte im Sinn der monarchisch-autoritären Ordnung.
Zu diesem Prozess trug nicht zuletzt die Sozialpolitik bei, die der preußisch-deutsche Staat in höherem Maße gestalten konnte als die vom Kapital dominierten westeuropäischen Staaten (Kaufmann 2003). Durch die Einführung sozialer Sicherungssysteme für Krankheit, Invalidität und Alter in öffentlich-rechtlicher, d.h. halbstaatlicher Form hatte sich Bismarck frühzeitig daran gemacht, die Arbeiter an den Beamtenstaat heranzuführen. Solange das Sozialistengesetz in Kraft war, hielt sich der Erfolg in Grenzen. Doch nach Bismarcks Abdankung und dem Auslaufen des Sozialistengesetzes änderte sich das. Insgesamt „hat die Sozialversicherung einen ganz entscheidenden Anteil daran gehabt, die systemkritische Distanz der organisierten Arbeiterschaft aufzuweichen und ihre Staatsloyalität zu gewinnen.“ (Wehler 1995: 915)
Im Jahr 1910 waren von ca. 720.000 Parteimitgliedern fast 100.000 in Verwaltungs- und Vertretungskörperschaften der Arbeiterversicherung, der kommunalen Arbeitsnachweise und der Gewerbe- und Kaufmannsgerichte vertreten, hinzu kamen 11.000 Gemeindevertreter (Grebing 1970: 104, 106). Diese Sozialdemokraten waren die Hauptträger der fortschreitenden „Verpreußung“ der SPD, des Hineinwachsens in den Obrigkeitsstaat. Sie bildeten zusammen mit der Gewerkschaftsbürokratie die soziale Kernbasis für die allmähliche Umformung der Sozialdemokratie zu einer preußisch-sozialpatriotischen Arbeiterpartei.
Das Erfurter Programm
Das Erfurter Parteiprogramm von 1891 war nicht geeignet, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Sein allgemeiner Teil enthielt eine politökonomisch gelungene Zusammenfassung der allgemeinen Tendenz der kapitalistischen Produktionsweise, doch politisch war es von erschreckender Inhaltsleere.
Es traf weder eine Aussage zur Reichsgründung noch zur historischen Entwicklung der bürgerlichen Revolution in Deutschland, enthielt keine Analyse der Klassen- und Herrschaftsverhältnisse im Kaiserreich und schwieg sich über die Machtverteilung zwischen Junkertum und Bourgeoisie aus. Am Schluss gab es eine Ansammlung einzelner politischer und Arbeiterschutzforderungen, aber die Forderung nach Durchsetzung der Parlamentsherrschaft in Deutschland suchte man vergebens.
Vom Boden dieses gesellschaftspolitisch nichtssagenden Programms aus führte kein Weg zur Macht, und dem entsprach die Strategie der Partei. Sie bestand im Warten auf den politökonomisch vorhergesagten Zusammenbruch der bürgerlichen Gesellschaft, in dessen Gefolge irgendwie der Sozialismus siegen würde (Groh 1974). Insbesondere der Parteivorsitzende Bebel verkündete regelmäßig den bevorstehenden „Kladderadatsch“ der bürgerlichen Gesellschaft und pries den daraus hervorgehenden sozialistischen Zukunftsstaat. Hinter derlei substanzlosen Prophezeiungen vollzog sich umso geräuschloser die allmähliche Anpassung der Arbeiterbewegung an den real existierenden Staat.
Richtige Fragen
Ein Meilenstein auf diesem Weg war die Auseinandersetzung mit dem Revisionismus. Ein Jahr nach Engels‘ Tod begann Eduard Bernstein, ein führender Sozialdemokrat und Weggefährte von Engels aus Londoner Zeiten, mit der Publikation von Artikeln, die die bisherige Ausrichtung der Arbeiterpartei grundlegend in Frage stellten und 1898 als eigenständige Schrift unter dem Titel „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben des Sozialismus“ veröffentlicht wurden. Neben einer Grundsatzkritik an Teilen der Marxschen Theorie, die uns hier nicht interessiert, enthielt sie vor allem die Forderung nach einer neuen politischen Strategie.
Bernsteins Ausgangspunkt war die Zurückweisung der Politik des Wartens auf den Zusammenbruch der Gesellschaft. Er forderte als entscheidende politische Aufgabe, den Kampf um Reformen zu führen, um das Staatswesen im Sinne der Demokratie umzugestalten. Die SPD müsse „sich rückhaltlos, auch in der Doktrin, auf den Boden des allgemeinen Wahlrechts, der Demokratie“ stellen, „mit allen sich daraus für ihre Taktik ergebenden Konsequenzen.“ (Bernstein 1969: 156). Im Zentrum der von ihm propagierten Aufgabenstellung sah er die Durchsetzung der parlamentarischen Herrschaft durch den Reichstag sowie die Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts. Wegen dessen Bedeutung für die fortdauernde Vorherrschaft des Junkertums gehörte er mit Liebknecht und Luxemburg zu den entschiedensten Befürwortern des politischen Massenstreiks, um eine Wahlrechtsreform in Preußen zu erzwingen.
Ein wesentlicher Bestandteil seiner Argumentation war der Nachweis, dass die Massen der kleinen Warenproduzenten in Stadt und Land entgegen der Voraussagen des Erfurter Programms bisher nicht im Verschwinden begriffen waren und das industrielle Proletariat auf absehbare Zeit in der Minderheit bleiben würde. Vor diesem Hintergrund fragte er, wie „die ausschließliche Besitzergreifung und Benutzung der Staatsmacht durch das Proletariat gegen die ganze nichtproletarische Welt“ möglich sein sollte? (ebda: 10) Mit dem Argument, „dass sich wichtige Epochen in der Entwicklung der Völker nicht überspringen lassen“ (ebda: 11), legitimierte er den ihm immer wieder vorgehaltenen Satz „Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts“, in dem sich zusammenfasste, warum er den Kampf um Demokratie für wichtiger hielt als die Propagierung des sozialistischen Zukunftsstaats.
Mit seiner Schrift warf Bernstein zentrale Fragen der sozialdemokratischen Programmatik auf. Die erste Frage war, wie man auf direktem Weg zum Sozialismus gelangen wollte, wenn nicht einmal die Demokratie verwirklicht war? Die zweite Frage war die nach der Rolle des Kleinbürgertums. Marx hatte Ende 1846 in einem Brief an Annenkow darauf hingewiesen, dass „das Kleinbürgertum ein integrierender Bestandteil aller sich vorbereitenden sozialen Revolutionen sein wird.“ (MEW 4: 557; s.a. MEW 18: 633) Wenn man diese Feststellung ernst nahm – was folgte daraus für das Revolutionskonzept?
Die Antworten, die Bernstein selber gab, waren für eine revolutionäre Arbeiterpartei untauglich. In seinen Überlegungen wurde die Demokratie zum Selbstzweck statt zu einer Etappe auf dem Weg zum Sozialismus, und es ging unter, dass die Vollendung der bürgerlichen Revolution nur möglich war, wenn das Proletariat im Bündnis mit dem Kleinbürgertum die Führung übernahm. Außerdem propagierte er die demokratische Umgestaltung der Gesellschaft durch friedliche Reformen und negierte, dass das junkerlich-schwerindustrielle Herrschaftskartell sich mit allen Mitteln gegen seine Entmachtung zur Wehr setzen würde. Nichtsdestotrotz hätte seine Kritik den Anstoß für eine weitergehende Auseinandersetzung geben können, doch die anschließende Debatte ging am Wesen der aufgeworfenen Fragen vorbei.
Niederlage des bürgerlichen Arbeiterreformismus
Luxemburg begründete in ihrer Schrift von 1899 „Sozialreform oder Revolution?“ ausführlich, wieso der Sozialismus nicht auf friedlichem Weg erreichbar sei. Zum Verhältnis von Demokratie und Sozialismus schrieb sie, dass die Mauer zwischen kapitalistischer und sozialistischer Gesellschaft durch demokratische Reformen „nicht durchlöchert, sondern umgekehrt fester, starrer gemacht“ würde; erst „der Hammerschlag der Revolution“ würde mit dem Sozialismus die Demokratie ermöglichen (Luxemburg: 400). Damit war jeder Gedanke an eine demokratische Revolution unter Führung des Proletariats als Etappenschritt zum Sozialismus verfemt; dazu gehörte, dass die Autorin die Frage des Kleinbürgertums und der Bündnispolitik gar nicht erst aufwarf. Ihre Antwort auf Bernstein bestand in der Forderung nach einer proletarisch-sozialistischen Alleinrevolution nicht nur gegen die herrschenden Mächte, sondern auch ohne und gegen die nichtproletarischen Massen des Kleinbürgertums. Das war die Politik, die die Spartakusgruppe in der Novemberrevolution betrieb.
Für das Parteizentrum um Bebel verfasste Kautsky 1899 mit „Bernstein und das Sozialdemokratische Programm“ eine langatmige Grundsatzkritik, die einige richtige Kritikpunkte enthielt, jedoch nichts zum Verhältnis von demokratischem zum sozialistischen Kampf und zur Frage des Kleinbürgertums sagte. Der Dresdener Parteitag von 1903 verurteilte schließlich den Revisionismus auf Antrag Bebels mit nur wenigen Gegenstimmen, und damit war die Auseinandersetzung beendet.
Hätten Bernsteins Ideen sich durchgesetzt, wäre die SPD zu einer bürgerlich-reformistischen Arbeiterpartei geworden. Jedoch verfügte Bernstein nur im Süden Deutschlands, wo die Monarchien bürgerlichen Zuschnitts waren, über eine nennenswerte Gefolgschaft. Im Kaiserreich insgesamt, vor allem im ausschlaggebenden Preußen, blieb der bürgerliche Arbeiterreformismus auf eine Minderheit beschränkt. Auch später gewann Bernstein keinen größeren Anhang. 1914 stimmte er zunächst den Kriegskrediten zu, zweifelte den Verteidigungscharakter des Kriegs jedoch bald an und lehnte seit 1915 weitere Kriegskredite ab. Er gehörte zu den Wenigen, die den Krieg nicht nur verurteilten, sondern auch speziell den maßgeblichen Einfluss des Junkertums auf den Staat und die Kriegspolitik anprangerten. Seit April 1917 Mitglied in der USPD, kehrte er 1919 zur SPD zurück und setzte sich dort u.a. dafür ein, die Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Kriegs anzuerkennen. Deshalb als Nestbeschmutzer angefeindet, blieb er in seiner Partei bis zu seinem Tod 1932 ein Außenseiter.
Bebel für die Übernahme des „Junkerstaats“
Die zunehmende Integration der Arbeiterpartei in die Militärmonarchie wurde insbesondere durch den Parteivorsitzenden August Bebel verkörpert. Er formulierte auch die Schlussfolgerungen, die sich daraus für die Staatsfrage ergaben. Gegen die süddeutschen Reformisten gerichtet, führte er auf dem Magdeburger Parteitag der SPD 1910 aus: „Es gibt keinen zweiten, dem preußischen ähnlichen Staat, aber wenn wir einmal diesen Staat in der Gewalt haben, haben wir alles. … im Süden versteht man nicht diesen Junkerstaat in seiner ganzen Schönheit.“ (Parteitagsprotokoll 1910: 250) Im gleichen Atemzug wies er darauf hin, dass er ähnliche Aussagen schon mehrfach getätigt habe.
Die Betonung der Einzigartigkeit des preußischen Junkerstaats verweist darauf, dass dieser Staat, anders als der bürgerliche Staat in Frankreich oder Großbritannien, nicht von der Bourgeoisie beherrscht war und der industriellen Arbeiterschaft deshalb in höherem Maße entgegen kommen konnte, wie das die Sozialversicherungen unter Beweis stellten. Davon abgesehen verfocht Bebel mit diesen Worten eine Position zur Staatsfrage, die konträr zum revolutionären Sozialismus stand.
Karl Marx hatte aus den Erfahrungen der Pariser Kommune von 1870/71 die Schlussfolgerung gezogen, dass die Arbeiterklasse die vorhandene Staatsmaschinerie nach einem Sieg nicht einfach übernehmen könne, sondern sie zerschlagen und eine neue aufbauen müsse.4 Engels hatte diese Position in seiner Kritik des Erfurter Programms bekräftigt, indem er die sich ausbreitende Vorstellung vom friedlichen Hineinwachsen der Gesellschaft in den Sozialismus mit der Frage konterte, ob diese damit nicht „ebenso notwendig aus ihrer alten Gesellschaftsverfassung hinauswachse und diese alte Hülle ebenso gewaltsam sprengen müsse wie der Krebs die seine“.5
Bebel vertrat einen anderen Standpunkt. Ihm ging es nicht um die Ersetzung des obrigkeitlichen Junkerstaats durch einen neuen, demokratischen Staat, sondern darum, ihn als scheinbar neutrale Instanz unter sozialdemokratischer Regie fortzuführen, denn dann „haben wir alles“, wie er diese Position auf den Punkt brachte.
2. Militärfrage und Vaterlandsverteidigung
Die Stellung zum Militär ergänzte und vertiefte die Stellung zur Staatsfrage. Auf der einen Seite kritisierte Bebel den Militarismus, wandte sich gegen sinnlosen Drill und Rekrutenschinderei, Übergriffe und Misshandlungen in den Kasernen und forderte die Verkürzung der dreijährigen Militärdienstzeit. Auf der anderen Seite richtete sich seine Kritik nicht gegen das preußisch-deutsche Militär als solches, sondern zielte darauf, das Heerwesen durch konstruktive Reformvorschläge zweckmäßiger zu gestalten. „Bei den Beratungen des Militäretats im Reichstag übte er regelmäßig zunächst eine Generalkritik, um dann praktische Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.“ (Wette 2008: 68)
Diese Haltung hatte einen konkreten politischen Hintergrund. Bebel hielt zeit seines Lebens daran fest, dass Deutschland mit einem russischen Angriff rechnen und sich deshalb auf einen Verteidigungskrieg vorbereiten müsse. Darum wandte er sich gegen den Paraden- und Dekorationsmilitarismus und trat stattdessen für den Ausbau „eines zeitgemäßen, modernen und kriegstauglichen Militärwesens“ ein (ebda). Die proletarischen Soldaten sollten nicht als Kanonenfutter verheizt werden, sondern eine möglichst kriegstaugliche praktische Ausbildung erhalten.
Der gern zitierte Satz des alten Liebknecht „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen“ schien eine grundsätzliche Gegnerschaft gegen den Militärstaat zu dokumentieren. In Teilen der Arbeiterbewegung war diese Gegnerschaft auch vorhanden, doch insgesamt verdeckten die wohlklingenden Worte die Tatsache, „dass die SPD in der parlamentarischen Praxis ganz andere Wege ging und sich immer mehr an den bestehenden Staat annäherte.“ (ebda: 67)
Der Publizist Max Beer gehörte nach dem Krieg zu den Wenigen, welche die im August 1914 beschlossene Kriegspolitik der SPD nicht als plötzliches „Umfallen“ einstuften bzw. als einen „Verrat“, der unter Bebel nicht passiert wäre. Er wies in seiner Schrift „Krieg und Internationale“ darauf hin, dass der sozialdemokratische Parteivorsitzende ein Vorreiter des Militärpatriotismus gewesen war und bei seinen öffentlichen Auftritten kaum eine Gelegenheit ausließ, um „die patriotisch-militärischen Akkorde temperamentvoll und feurig“ anzuschlagen. „Vom Jahre 1880 bis zu seinem Hinscheiden im Herbst 1913 setzte er diese patriotisch-militärische Erziehungsarbeit ohne Zaudern und ohne Schwanken fort.“ (Beer 1924: 52 f) Als Parteivorsitzender war Bebel eine, wenn nicht die treibende Kraft bei der Durchsetzung preußisch-deutscher, sozialpatriotischer Auffassungen in der SPD.
Ein Rechtsruck 1907
Als die SPD bei der Reichstagswahl 1907 eine Niederlage erlitt, war die Folge ein neuerlicher Annäherungsschub an den Militärstaat. Nach der vorzeitigen Auflösung des Reichstags Ende 1906 hatten die anderen Parteien ihren Wahlkampf unter den Parolen eines aggressiven Nationalismus gegen SPD und Zentrum geführt. Zwar veränderte sich die absolute Stimmenzahl für die SPD kaum, aber durch die Wahlkreisabsprachen der anderen Parteien schrumpften ihre Reichstagsmandate von 81 auf 43 zusammen. Die Parteiführung reagierte darauf mit einer Wendung nach rechts. Bei den Beratungen des neuen Reichstags über den Rüstungsetat wies Bebel den im Wahlkampf erhobenen Vorwurf der „vaterlandslosen Gesellen“ scharf zurück, befürwortete ausdrücklich die „Erziehung der Jugend zur Wehrhaftigkeit“ und versicherte zum wiederholten Male, dass die Sozialdemokraten in einem Krieg mit Russland „selbstverständlich die Flinte auf den Buckel nehmen“ würden.
Anschließend vertiefte Gustav Noske als rüstungspolitischer Sprecher der Fraktion Bebels Ausführungen. Er identifizierte sich mit den vorher gemachten Aussagen des preußischen Kriegsministers über Angriffskriege auf Deutschland, betonte, dass die Sozialdemokraten in einem solchen Fall „begeistert ihr Vaterland verteidigen“ würden, und erklärte es als eine Selbstverständlichkeit, dafür zu sorgen, „dass das deutsche Volk nicht etwa von irgend einem anderen Volk an die Wand gedrückt wird“. (in Wette 1987: 71) Als er wegen seiner Aussagen auf dem anschließenden Essener Parteitag kritisiert wurde, stellte sich Bebel vor ihn und pries seine Reichstagsrede als „gute Rede“, die seine „Zustimmung und Anerkennung“ gefunden habe (Parteitagsprotokoll 1907: 254)
Im selben Jahr legte Karl Liebknecht eine Schrift über „Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung“ vor, worin er den Militarismus mit scharfen Worten geißelte und zu einer Verstärkung der antimilitaristischen Propaganda aufrief. Bebel distanzierte sich öffentlich von der Arbeit und verhinderte, dass sie im Parteiverlag der SPD erscheinen konnte.
Gegen imperialistische Kriege …
Bevor der Große Krieg zur Tatsache wurde, ging es vorab um die Haltung zu Kriegen auf dem Boden des Imperialismus, zu dem die großen kapitalistischen Staaten Ende des 19.Jahrhunderts im Wettstreit um Kolonien übergegangen waren. Im Gefolge der anderen Nationen hatte auch das deutsche Kaiserreich auf Betreiben der Bourgeoisie im Jahrfünft vor der Jahrhundertwende mit der „Weltpolitik“ begonnen, hatte den Anspruch auf einen „Platz an der Sonne“ in Gestalt eines großen Kolonialreichs erhoben und zur Durchsetzung dieses Anspruchs eine gewaltige Schlachtflotte auf Kiel gelegt.6
1911 schienen die europäischen Mächte unmittelbar vor einem Krieg zu stehen, als die deutsche Außenpolitik versuchte, Paris in der Marokko-Krise dieses Jahres durch militärische Drohungen (Panthersprung nach Agadir) zur Abtretung seiner mittelafrikanischen Kolonien zu zwingen (Oncken 1981). Großbritannien war jedoch nicht bereit, die damit verbundene Schwächung Frankreichs und korrespondierende Stärkung Deutschlands hinzunehmen. Es stellte sich auf die Seite der französischen Regierung und ließ zur Bekräftigung seiner Entschlossenheit die Schlachtschiffe der Navy auslaufen, so dass für kurze Zeit ein kriegerischer Zusammenstoß zwischen Großbritannien/Frankreich und dem Reich drohte. Auf die britischen Warnungen hin ordnete der Reichskanzler Bethmann Hollweg jedoch unverzüglich den Rückzug an, so dass die Krieg-in-Sicht-Krise ohne Schusswechsel zu Ende ging.
Die SPD wandte sich in dieser Situation zusammen mit der Sozialistischen Internationale entschieden gegen den drohenden Krieg, prangerte die koloniale Konkurrenz und den Imperialismus an und verkündete, dass die deutschen Arbeiter einen Krieg auf keinen Fall unterstützen würden. Noch auf ihrem Friedenskongress in Basel Ende 1912 bezeichnete die Sozialistische Internationale die „Gegnerschaft zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich“ als „größte Gefahr für den Frieden Europas“ und kündigte an, dass die sozialistischen Parteien den Ausbruch eines Kriegs unter Aufbietung aller geeigneten Mittel verhindern wollten.
… für die Vaterlandsverteidigung
Aber während die deutschen Sozialdemokraten den weltpolitisch-kolonialen Ambitionen der Bourgeoisie und der daraus entspringenden Kriegsgefahr gegen Großbritannien mehrheitlich entgegen traten, befürworteten sie zur selben Zeit durchgehend die Vaterlandsverteidigung gegen Russland.
Seit der russische Zarismus in der Revolution von 1848/49 als Gendarm Europas aufgetreten war, galt er den Sozialdemokraten als Hauptfeind der europäischen Demokratie, gegen den die Arbeiter zu einem nationalen Verteidigungskrieg bereit sein müssten. Auch als das Zarenreich seine Stellung als europäische Ordnungsmacht im verlorenen Krimkrieg von 1853 – 1856 gegen das mit Frankreich und England verbündete Osmanische Reich einbüßte, hielt die SPD an der 48er Position weiter fest.7
Die Frontstellung gegen Russland änderte sich auch Anfang des 20.Jahrhunderts nicht, als Russland im Krieg gegen Japan 1904-05 eine Niederlage erlitt und die Zarenherrschaft anschließend durch die russische Revolution von 1905-07 erschüttert wurde. Der Parteivorstand negierte alle Versuche, die antirussische Position zur Vaterlandsverteidigung zu revidieren. Diese Position rückte lediglich vorübergehend in den Hintergrund, solange Weltpolitik und Marokkokrise die auswärtige Politik des Kaiserreichs bestimmten. Als die Marokkokrise vorbei war und das Reich auf den Großen Krieg zusteuerte, kam sie wieder zum Tragen.
3. Die Kriegskooperation mit dem Militäradel
1912/13 wurden die Weichen für den Krieg 1914-18 gestellt, der anderen Charakter trug als der in der Marokkokrise 1911 drohende Waffengang. Ausgangspunkt war der Wahlsieg der SPD 1912, in dessen Gefolge die 1909 ausgebrochene Krise von Gesellschaft und Staat eine neue Dimension erreichte (Karuscheit 2014: 197ff): durch die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag wurde der Staat unregierbar, die Nationalliberalen lockerten die Abgrenzung zur SPD, und die bisherige Militärverfassung geriet mehr und mehr in die Kritik. Kurz gesagt: das Gefüge der bisherigen Ordnung wurde brüchig.
Nachdem ein zunächst unternommener Staatsstreichversuch ins Leere gelaufen war (Karuscheit 2014: 200ff), nahmen Militäradel und Montanbourgeoisie nun Kurs auf einen Krieg, um die alte Ordnung durch einen großen militärischen Sieg zu stabilisieren (die Bourgeoisie zielte darüber hinaus auf die Atlantikhäfen Belgiens und Nordfrankreichs, um von hier aus die Auseinandersetzung mit Großbritannien zu führen). In Vorbereitung dieses Kriegs ging es 1913 um eine substantielle Heeresverstärkung.
Weltpolitik und Schlachtflottenbau hatte die SPD abgelehnt, und Bebel hatte 1910 sogar geheime Kontakte zur britischen Regierung aufgenommen, um diese vor einem Angriff der deutschen Schlachtflotte zu warnen.8 Eine ganz andere Stellung nahm der Parteivorsitzende jetzt ein, als es um zusätzliche Mittel für die Heeresverstärkung gegen Russland ging. Als die preußische Militärführung im April 1913 auf einer nichtöffentlichen Sitzung des Haushaltsausschusses des Reichstags die Notwendigkeit der Nachrüstung mit Kriegsvorbereitungen durch Russland und Frankreich begründete und zugleich darlegte, dass Deutschland im Kriegsfall zuerst Frankreich angreifen müsse (inkl. Durchmarsch durch Belgien), um sich anschließend dem Gegner im Osten zuzuwenden, nahmen die anwesenden SPD-Vertreter mit Bebel an der Spitze die vorgestellte Kriegsplanung einschließlich des angekündigten Einmarschs in das neutrale Belgien ohne Protest zur Kenntnis (Sitzungsbericht in Bley 2014: 258ff).
Nach der Sitzung verfasste Bebel eine Stellungnahme zur Aufrüstung, die der Parteivorstand im Mai 1913 als Flugschrift in ganz Deutschland verbreiten ließ. (in ebda: 272) Unter dem Titel „Ein ernstes Wort in ernster Zeit. Militärvorlage und internationale Rüstungsindustrie“ hieß es darin, dass „wir in Deutschland mit der Möglichkeit eines Angriffskrieges von außen einstweilen noch rechnen (müssen), namentlich von Osten her.“ Weil dann aber „unser Vaterland vielleicht vor die Frage von Sein oder Nichtsein“ gestellt würde, wäre „die Vorbereitung einer starken Schutzwehr notwendig“. Damit wiederholte die Flugschrift die Vorgaben der Militärs als Position der Parteiführung, befürwortete die deutsche Aufrüstung und stellte die Kriegsunterstützung durch die Arbeiterbewegung in Aussicht.
Eine zunehmende Annäherung
Mitte 1914 war es so weit. Nachdem der deutsche Reichskanzler im außenpolitischen Krisengeschehen des Juli 1914 so lange manövriert hatte, bis das Zarenreich die Generalmobilmachung erklärte, konnte es als Angreifer deklariert werden und war für die SPD der Weg zur Zustimmung zu den Kriegskrediten frei. Der Weltpolitik der Bourgeoisie gegen Großbritannien hatte die SPD die Gefolgschaft verweigert, doch indem sie zur Vaterlandsverteidigung gegen Russland aufrief, trat sie ohne Zögern an die Seite des Militäradels. Zwar traten keine Sozialdemokraten als Minister in die Regierung ein, aber maßgebliche Parteimitglieder nahmen intensive Kontakte zur OHL auf, an der Spitze Eduard David, der mit Ebert und Scheidemann seit April 1917 dem engsten Führungszirkel der Partei angehörte.
Ende 1916 wurde in Kooperation mit Gewerkschaften und Sozialdemokratie das Vaterländische Hilfsdienstgesetz erarbeitet, das alle Männer zwischen siebzehn und sechzig der Arbeitspflicht unterwarf und die freie Wahl des Arbeitsplatzes aufhob, um kriegswichtigen Betrieben die notwendigen Arbeitskräfte zu verschaffen. Zur Umsetzung dieses Gesetzes mussten in allen Betrieben ab 50 Beschäftigten Arbeiter- und Angestelltenausschüsse gebildet werden, die bei Arbeitskonflikten zusammen mit Vertretern der Betriebsleitung für die Schlichtung zu sorgen hatten. Außerdem wurde zur Koordinierung der Rüstungsanstrengungen ein Oberstes Kriegsamt eingerichtet, als dessen Leiter General Wilhelm Groener fungierte, der sein Amt in enger Absprache mit den Gewerkschaften führte und im November 1918 als Co-Chef der Obersten Heeresleitung mit Friedrich Ebert das Vorgehen gegen die Novemberrevolution abstimmte. Auch in Frankreich und Großbritannien unterstützten die Sozialisten den Krieg und die Kriegsproduktion, spezifisch für Deutschland war jedoch, „dass hier (und nur hier!) die Arbeiterorganisationen sozusagen Bestandteil der Kriegsmaschinerie selbst wurden“ (Klönne: 136).
Die große Industrie lief gegen die mit der Neuregelung der Arbeitsbeziehungen verbundene Anerkennung der Gewerkschaften und die Einschränkung ihrer Verfügungsgewalt über die Betriebe Sturm. Die Verabschiedung des Gesetzes gegen ihren Widerstand wurde in der Sozialdemokratie als Sieg über die Anarchie des Privatkapitalismus gefeiert und verstärkte die Überzeugung, dass der Junkerstaat gegen das Kapital zu gebrauchen war. Im Zusammenhang damit blühten Theorien auf, die den Versuch einer staatlich-bürokratischen Neuordnung der Wirtschaft als Kriegssozialismus verherrlichten und darin die deutsche Form des Sozialismus erblickten (Klönne 1989: 137ff).
Bündnis hinter den Kulissen: der Kanzlersturz 1917
Bald darauf erreichte die Kooperation von SPD und Militäradel eine neue Stufe. Im Jahr 1917 war der Krieg an einem toten Punkt angelangt, denn beide Seiten waren nach drei Jahren Kriegführung erschöpft und wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Die Ententemächte konnten hoffen, durch den Kriegseintritt der USA auf Dauer den längeren Atem zu haben, doch auf der anderen Seite konnte Deutschland hoffen, nach einem revolutionsbedingten Ausscheiden Russlands aus dem Krieg seine militärischen Kräfte auf die Front im Westen zu konzentrieren und dort einen raschen Sieg zu erzielen. Angesichts dieser Unwägbarkeiten war der Ausgang des Kriegs zu diesem Zeitpunkt unabsehbar.
Der deutsche Reichskanzler, der seit dem Fehlschlag der Verdun-Offensive 1916 an den Siegesaussichten der Mittelmächte zweifelte, unternahm in dieser Situation einen Versuch, um unter Vermittlung des Vatikans mit den Gegnern einen „Remisfrieden“ unter gegenseitigem Verzicht auf Eroberungen und Entschädigungen zu schließen. Er sagte in den geheimen Vorgesprächen u.a. die vollständige Wiederherstellung der Unabhängigkeit Belgiens zu (für London der Hauptkriegsgrund) und erklärte sich zu Grenzkorrekturen in Elsass-Lothringen bereit.
Um den geplanten Friedensschluss innenpolitisch durch eine Reichstagsmehrheit abzusichern, unternahm er gleichzeitig Schritte zur Parlamentarisierung und ließ durch kaiserlich-königliche Order die Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts bekannt geben. Dadurch, so sein Kalkül, würde er die Unterstützung der mehrheitsbildenden Reichstagsparteien für seine Politik bekommen; neben den Linksliberalen und dem Zentrum war dies vor allem die SPD, mit deren Rückendeckung er aufgrund der angekündigten Aufhebung des Dreiklassenwahlrechts fest rechnete.
Doch die Führungen von Zentrum und SPD setzten ebenso wie die OHL auf einen deutschen Sieg, denn sie erwarteten ein baldiges Ausscheiden des revolutionsgeschüttelten Russlands aus dem Krieg und danach den Endsieg im Westen. Hinter den Kulissen organisierten sie daher im geheimen Zusammenwirken mit der OHL den Sturz des friedensbereiten Kanzlers, um den Krieg mit einem neuen Kanzler bis zum Sieg fortzusetzen (Karuscheit 2017: 50-78). Als sichergestellt war, dass Bethmann vom Reichstag keine Unterstützung erhalten würde, verlangte die OHL vom Kaiser seine Entlassung, und da bis auf die politisch einflusslosen Linksliberalen sämtliche Reichstagsparteien sich gegen ihn aussprachen, musste er zurücktreten. Anschließend konnte der Krieg mit Michaelis als neuem Kriegskanzler wie geplant weitergeführt werden; die Friedensgespräche mit dem Vatikan ließ der neue Regierungschef im Sande verlaufen.9
OHL-Diktatur mit Teilhabe der SPD
Parallel zum Kanzlersturz verabschiedete der Reichstag mit den Stimmen von SPD, Zentrum und FVP eine Friedensresolution, die die wachsende Friedenssehnsucht der Massen aufgriff und unter Wiederholung der Friedensformel des Petersburger Sowjets einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen forderte.
Öffentlichkeitswirksam an alle kriegführenden Mächte gerichtet, hofften die kriegsmüden Massen, dass die Kriegsgegner das scheinbar selbstlose Friedensangebot annehmen würden und bald ein Frieden ohne Sieger und Besiegte geschlossen werden könnte. Doch nachdem Bethmanns Nachfolger die von diesem begonnenen Friedensgespräche mit dem Vatikan nicht weiterführte, sondern die Fortsetzung des Kriegs betrieb, hatten die Alliierten keinen Grund, auf die Friedensresolution zu reagieren. So konnte die SPD-Führung den Arbeitermassen erklären, dass die Kriegsgegner die zur Versöhnung der Völker ausgestreckte Hand schnöde zurück gewiesen hätten, weil sie die vollständige Niederwerfung Deutschlands wollten. Infolgedessen blieb nichts anderes übrig, als die Reihen zu schließen und weiter das bedrohte Vaterland zu verteidigen.
Nach kurzer Zeit veranlasste die SPD-Führung die Auswechselung von Kanzler Michaelis, weil dieser durch die Duldung alldeutscher Propaganda und Eroberungspläne die mühsam gelungene erneute Einbindung der Arbeiterschaft gefährdete. Mit dem Plazet von SPD und OHL trat an seine Stelle der Zentrumspolitiker Georg von Hertling. Nach außen übte die OHL in der zweiten Kriegshälfte eine diktaturähnliche Herrschaft aus. Aber sie konnte dies nur mit stillschweigender Zustimmung des Reichstags und vor allem der SPD tun. Spätestens seit dem Sturz Bethmanns im Sommer 1917 muss man nicht nur von einem Kriegs-, sondern auch von einem stillschweigenden Machtbündnis zwischen Militäradel und Sozialdemokratie ausgehen. Noch saß der Militäradel dabei in der Vorhand, doch in der Novemberrevolution drehten sich die Gewichte um.
3. Die Novemberrevolution: vom Umsturz zur Konterrevolution
Als ein Jahr später die militärische Niederlage Deutschlands trotz des Ausscheidens Russlands aus dem Krieg unausweichlich wurde, leitete die OHL die Parlamentarisierung des Reichs ein, um den US-Präsidenten Wilson als Friedensvermittler zu gewinnen. Der unvorbelastete Max von Baden wurde zum Kanzler gemacht, und im Oktober 1918 verabschiedete der Reichstag die Verfassungsänderungen, die dem Reichstag die zuvor verwehrten Parlamentsrechte gewährten; ebenso fiel nun das preußische Dreiklassenwahlrecht. Jetzt traten auch zwei Sozialdemokraten in die Regierung ein, was die SPD bis dahin abgelehnt hatte, um nicht mit einer Kriegsregierung identifiziert zu werden.
Die seit langem brodelnde revolutionäre Flut ließ sich jedoch nicht aufhalten. Als sie Anfang November losbrach, wurde das Heer binnen weniger Tage von Soldatenräten beherrscht, stürzten die Fürstenthrone einer nach dem anderen und übernahmen in allen größeren Städten Arbeiter- und Soldatenräte die Macht. In einem letzten Versuch, die Monarchie zu retten, trat der sozialdemokratische Parteivorsitzende Friedrich Ebert am Mittag des 9. November 1918 als Reichskanzler an die Stelle Max von Badens, in der Hoffnung, die revolutionären Massen dadurch zu beruhigen. Seine erste Aktion war ein Aufruf an alle Behörden und Beamten, auf ihren Posten zu bleiben, desgleichen ließ er die bisherigen Staatssekretäre (Minister) sowie die Militärführung im Amt (die Aufrufe Eberts als Reichskanzler in: Müller 1973: 226ff).
„Die Führer der Mehrheitssozialdemokratie hatten sich mit der Oktoberreform am Ziel ihrer Wünsche gesehen. In ihren Augen war der Novemberumsturz ebenso überflüssig wie schädlich“. (Kolb; Schumann 2013: 11) Die Parlamentarisierung der Monarchie ermöglichte es ihnen, als stärkste Reichstagspartei die Regierung zu übernehmen und den „Junkerstaat“, wie von Bebel erhofft, in die Hand zu bekommen; die Kanzlerschaft Eberts realisierte diese Zielsetzung. Die Parteiführung hatte also jeden Grund, die Revolution zu bekämpfen – in den bekannten Worten Eberts: „ich hasse sie wie die Sünde“ komprimierte sich die Position der SPD-Spitze, deren jahrelang verfolgtes Machtkonzept mit einem Mal durch die Revolution bedroht wurde.
Eine revolutionäre Bewegung ohne Führung
Die sozialdemokratische Regierungsübernahme hatte nicht die erhoffte beruhigende Wirkung, außerdem rief Scheidemann am Nachmittag des 9. November gegen die Willen der Parteiführung die Republik aus, um der Ausrufung einer sozialistischen Republik durch Liebknecht zuvor zu kommen. Eberts Kanzlerschaft endete also nach wenigen Stunden und die Parteiführung musste sich auf eine neue Lage einstellen. Als erstes musste sie akzeptieren, dass die USPD inzwischen fast gleichstark war wie sie selber und insbesondere die aktivsten Teile der Rätebewegung darin ihre Vertretung sahen. Auf Vorschlag der SPD wurde deshalb eine gemeinsame Revolutionsregierung aus je drei Vertretern von SPD und USPD gebildet, der „Rat der Volksbeauftragten“. Da die USPDler in sich zerstritten und ohne politische Konzeption waren, fiel es nicht schwer, sie an die Wand zu spielen; Ende 1918 verließen sie den Rat, der von da an nur noch aus SPD- Mitgliedern bestand.
Die zweite, entscheidende Herausforderung war die Rätebewegung. Sie verfügte über die reale Macht im Staat und der Rat der Volksbeauftragten konnte nur in dem von ihr gesteckten Rahmen agieren. Vom 16.-20. Dezember tagte in Berlin der Zentrale Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, um die künftige Gestaltung Deutschlands festzulegen. Weniger als ein Viertel der Delegierten sprach sich für ein Rätesystem als Grundlage der Verfassung aus, die große Mehrheit entschied sich für ein parlamentarisches Regierungssystem und für den 19. Januar als Termin für die Wahl zur Nationalversammlung.
Gleichzeitig beschloss der Kongress eine Reihe von Maßnahmen, die die Umwälzung des preußisch-deutschen Obrigkeitsstaats zum Gegenstand hatten – sofern sie umgesetzt wurden. Dazu gehörte die „Zertrümmerung des Militarismus“, die Schaffung einer Volkswehr anstelle eines stehenden Heeres sowie die Sozialisierung „aller hierfür reifen Industrien“. In diesen Forderungen „wurde umrisshaft ein >Programm< sichtbar, für das es in der demokratischen Massenbewegung dieser Wochen einen breiten Konsens gab: >Demokratisierung< vor allem des Heeres, der Verwaltung und der Wirtschaft“ (Kolb; Schumann 2013: 15). Dazu kam noch die Forderung nach einer Landreform, sprich nach Zerschlagung des junkerlichen Großgrundbesitzes, die zwar vom Rätekongress nicht explizit beschlossen wurde, aber einem breiten Konsens entsprach.
Bis auf die Sozialisierung der Schwerindustrie gehörten diese Forderungen bereits zum Programm der Revolution von 1848/49. Wäre die SPD in der Vorkriegszeit eine bürgerlich-reformistische Arbeiterpartei geworden, hätte sie zumindest einen maßgeblichen Teil davon umgesetzt und so der bürgerlichen Revolution zum Durchbruch verholfen. Jedoch standen die Beschlüsse des Rätekongresses „zum Konzept der SPD-Führung in eindeutigem Widerspruch“ (ebda) und setzte diese alles daran, sie zu unterlaufen.
Das fiel ihr umso leichter, weil keine revolutionäre Organisation existierte, um das vom Rätekongress formulierte Programm aufzugreifen. Während die USPD, zwischen gegensätzlichen Richtungen zerrissen, unfähig zu einer stringenten Politik überhaupt war, verfügte Spartakus/KPD über ein eigenes Revolutionskonzept, das sogenannte „Oktoberprogramm“. Dieses Programm sah jedoch eine proletarische Alleinrevolution zur Errichtung einer Diktatur des Proletariats vor und war angesichts der sozialen und politischen Verhältnisse in Deutschland zum Scheitern verurteilt. In Russland hatte Lenin, um den Sieg der Oktoberrevolution zu sichern, das jahrelang verfochtene Agrarprogramm der SDAPR über Bord geworfen, das Programm der Sozialrevolutionäre übernommen und so die Unterstützung der Bauern für die Regierungsübernahme durch die Bolschewiki erhalten. Luxemburg hielt diese Wende Lenins für falsch, sie dachte nicht daran, ihre Sozialismusstrategie für Deutschland umzustoßen.
Unter diesen Umständen hatte die SPD ein leichtes Spiel, denn im Unterschied zu den anderen Kräften besaß sie mit der Wiederherstellung des preußisch-deutschen Beamtenstaats ein realistisches politisches Konzept. Zwar hatte es einen formalen Staatswechsel gegeben, aber die gesellschaftlichen Strukturen der bisherigen Ordnung waren unangetastet geblieben, so dass es nur darauf ankam, den alten Staatsapparat wieder in seine Rechte einzusetzen. Diesem Ziel gemäß agierte sie in den kommenden Wochen und Monaten.
Konterrevolution unter Regie der SPD
Statt den Militarismus zu zertrümmern, wie vom Rätekongress gefordert, setzte sie das im Krieg zustande gekommene Bündnis mit dem Militäradel fort (Ebert-Groener-Pakt), garantierte die Fortexistenz des preußisch-deutschen Offizierskorps und setzte die vorhandene bewaffnete Macht aus konterrevolutionären Heereseinheiten und neu gebildeten Freikorps ein, um die revolutionär-demokratische Bewegung zu zerschlagen und die eigene Regierungsmacht zu sichern.
Mit dem Stinnes-Legien-Abkommen zwischen Schwerindustrie und Gewerkschaftsführung wendete sie die Sozialisierung der Zechen und Stahlwerke gegen eine Reihe sozialpolitischer Zugeständnisse ab.
Statt eine Landreform durchzuführen, setzte sie bewaffnete Kräfte ein, um die ostelbischen Gutsbesitzer gegen aufbegehrende Landarbeiter zu schützen.
Die Räte, die allerorten die Demokratisierung von Verwaltung und Polizei eingeleitet hatten, wurden von ihr entmachtet, das alte Justizwesen wieder in Gang gebracht, Staat und Kirche nicht voneinander getrennt. Als die Weimarer Verfassung Mitte 1919 die „wohlerworbenen Rechte“ des Berufsbeamtentums in Verfassungsrang erhob, war die Restauration des obrigkeitlichen Staatsapparats abgeschlossen. Damit korrespondierte der Aufbau der Reichswehr als Staat im Staat in den 20er Jahren.
Bei ihrer Zusammenarbeit mit den Vertretern der alten Ordnung handelten die Sozialdemokraten in der Überzeugung, dass sie diese dauerhaft mit Hilfe des Parlamentarismus beherrschen könnten. Deshalb wandten sie sich auch gegen die überfällige Zerschlagung des Landes Preußen, da sie hier bei Landtagswahlen mit stabilen Mehrheiten rechnen konnten, während im Süden das Zentrum stark war. Sollten sie daher auf Reichsebene die Regierungsgewalt verlieren, würde Preußen ihnen weiterhin als Machtbastion dienen. Der von Hindenburg befohlene und von der Reichswehr exekutierte „Preußenschlag“ vom 20.Juli 1932 zerstörte diese Illusion gründlich.
Wie die Revolution von 1848/49 blieb auch der Novemberumsturz von 1918 auf diese Weise eine unvollendete bürgerliche Revolution. Im ersten Anlauf scheinbar siegreich, vermochte er es nicht, seinen Sieg zu festigen, so dass den von der Sozialdemokratie angeführten reaktionären Kräften ein roll back gelingen konnte.
Schluss: Legendenbildung
Ihr Vorgehen legitimierte die SPD-Führung mit der Begründung, dass sie der von Spartakus/KPD ausgehenden Umsturzgefahr entgegen treten musste, um eine drohende bolschewistische Diktatur abzuwehren und Deutschland vor dem Chaos zu retten. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde diese Sichtweise in der neuen Westrepublik nicht zuletzt im Zeichen des Kalten Kriegs als Urteil der Geschichtsschreibung übernommen.
Beginnend mit den 60er Jahren machten sich dann einige Historiker erstmals daran, die Revolutionsgeschichte anhand der Quellen zu untersuchen (Kolb; Schumann 2013: 170ff). Das Ergebnis ihrer Arbeiten war ernüchternd: weder militärisch noch politisch stellten Spartakus/KPD jemals eine ernst zu nehmende Bedrohung dar – die von der SPD behauptete bolschewistische Gefahr war „ein propagandistisch erzeugter Popanz“ (Wette 1987: 792). Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse war die Schlussfolgerung unausweichlich, dass die Zusammenarbeit mit den preußischen Militärs nicht alternativlos war, wie bis dato behauptet, sondern dass „die SPD-Führung … den ihr zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum nicht ausreichend genutzt hat, um den Abbau obrigkeitsstaatlicher Strukturen voranzutreiben“ (Kolb; Schumann 2013: 176).
Aber welche Begründung gab es für die Versäumnisse, in deren Konsequenz die Weimarer Demokratie ohne ausreichendes Fundament blieb? Die Erklärung dafür hatte der SPD-Parteivorstand bereits in einem Aufruf vom 17.10.1918 geliefert, denn nur „um unser Land und sein Wirtschaftsleben vor dem Zusammenbruch zu bewahren, haben Vertreter unserer Partei das Opfer auf sich genommen und sind in die Regierung eingetreten“ (in Miller 1978: 35). Damit war eine Vorlage für die spätere Geschichtsschreibung gegeben, die von der Historikerin Miller in ihrem 1978 erschienen Werk „Die Bürde der Macht“ besonders einfühlsam aufgenommen worden ist: „Regieren bedeutete für die Mehrheitssozialdemokraten … nicht die Erfüllung einer selbstverständlichen, lang ersehnten und wohl vorbereiteten Aufgabe, sondern die bittere Notwendigkeit, auf nationale Katastrophen zu reagieren.“ (ebda: 445) Dem entspricht die gültige Lesart der Geschichte: Jahrzehntelang von der Regierungsverantwortung fern gehalten, waren die Sozialdemokraten den Umgang mit der Macht nicht gewohnt und schreckten deshalb davor zurück, die ihnen unfreiwillig zugefallene Macht gegen die Feinde der Demokratie von rechts einzusetzen, mit der Folge: „Die sozialdemokratische Machtscheu schwächte die parlamentarische Demokratie“ (Winkler 1987: 952).
Diese Behauptung einer überforderten, machtscheuen SPD ist eine Legende, die von den führenden Sozialdemokraten selber in die Welt gesetzt wurde. Real war die SPD in der Vorkriegszeit zu einer preußisch-sozialpatriotischen Arbeiterpartei geworden und verfolgte ihre Führung ein klares politisches Ziel, nämlich die Übernahme des vordemokratischen, preußisch-deutschen Obrigkeitsstaats, um diesen unter sozialdemokratischer Leitung fortzuführen. Im Gefolge der deutschen Kriegsniederlage hatte die SPD dieses Ziel vor der Novemberrevolution erreicht. Die Revolution der Massen stellte in dieser Strategie einen unerwünschten Störfaktor dar, denn sie führte nicht nur zu einem von der SPD-Führung ungewollten Wechsel der Staatsform; vor allem verfocht die spontane Rätebewegung das Programm einer demokratischen Revolution gegen die von der Sozialdemokratie soeben übernommene alte Ordnung.
In konsequenter Umsetzung ihres Konzepts wandte sich die SPD daher im Bündnis mit dem preußischen Militäradel gegen die Novemberrevolution, wehrte alle Ansätze zur Demokratisierung von Staat und Wirtschaft ab, ließ die aufbegehrenden Teile der Arbeiterbewegung niederschlagen und sicherte die vordemokratischen Strukturen von Staat und Gesellschaft. Der daraus hervorgehende Staat von Weimar war seinem Wesen nach kein neuer Staat, sondern die Fortsetzung der alten Ordnung im Gewand der Republik – das Produkt nicht einer siegreichen Revolution, sondern einer von der SPD organisierten Konterrevolution. Entsprechend kurzlebig war er.
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1 Der Beitrag führt die Studien des Autors zur Geschichte des Deutschen Reichs (Karuscheit 2014 und 2017) mit Blick auf die SPD fort und korrigiert sie an verschiedenen Stellen. Hierzu auch ders: Die SPD und der >Junkerstaat<; in Karuscheit/Sauer/Wernicke (2018): 100 Jahre Novemberrevolution; Hamburg: VSA
2 Kautskys Verkündung, dass „die deutsche bürgerliche Revolution … 1870 ihr Ende erreichte“, gab die Grundsatzposition der SPD wieder (Kautsky 1972: 18).
3 Klönne 1984: 145
4 „Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiter-Assoziation“; nach dem Vorwort von Engels zur Ausgabe von 1872 des „Kommunistischen Manifest“; MEW 18, S. 95
5 MEW 22, S. 234
6 Weltpolitik und Aufbau der Marine waren ein bürgerliches Projekt, wogegen das Heer in der Hand des gutsbesitzenden Militäradels war und blieb. Das Wechselverhältnis zwischen dem von der Bourgeoisie vorangetriebenen Schlachtflottenbau und der Einführung hoher Agrarzölle im Interesse des getreideproduzierenden Junkertums hat als erster der Sozialwissenschaftler Eckart Kehr in einer bis heute unübertroffenen Studie von 1930 herausgearbeitet: „Schlachtflottenbau und Parteipolitik 1894-1901. Versuch eines Querschnitts durch die innenpolitischen, sozialen und ideologischen Voraussetzungen des deutschen Imperialismus“. Die Marxisten haben die Implikationen zwischen den innenpolitischen Auseinandersetzungen und den unterschiedlichen Waffengattungen weitestgehend negiert, ebenso die Konsequenzen, die daraus für unterschiedliche Kriegsszenarien folgten.
7 Friedrich Engels erklärte noch 1891/92 in der Schrift „Der Sozialismus in Deutschland“, dass die Sozialdemokratie in einem Krieg mit Russland die Zivilisation und die Errungenschaften der deutschen Arbeiterbewegung als Vorposten der internationalen Arbeiterbewegung gegen die zarischen Horden verteidigen müsste. (MEW 22: 247ff)
8 Bley 2014; demnächst hierzu Karuscheit: August Bebel als Vaterlandsverteidiger. Die Stellung des SPD-Parteivorsitzenden zur Kriegsfrage 1910 – 1913, in AzD 88 (2018)
9 Nachdem im Oktober 1918 fest stand, dass der Kanzlersturz den Krieg um mehr als ein Jahr verlängert hatte und statt eines möglichen Remisfriedens eine schwere Niederlage das Ergebnis war, hatten die Beteiligen jeden Grund, ihre Verantwortung zu vertuschen. Wie wollte man das Zusammenwirken von SPD/Zentrum und der OHL beim Kanzlersturz und die Regierungsübernahme durch einen uneingeschränkt zur Fortführung des Kriegs entschlossenen Kanzler auch erklären? Die Kriegserinnerungen Erzbergers und Scheidemanns legen von dem gefundenen Ausweg Zeugnis ab: die arglosen, machtungewohnten Parlamentarier waren überfordert und ließen sich von einer mit allen Wassern gewaschenen OHL missbrauchen (Karuscheit 2017: 72). Die Geschichtsschreibung hat dieser Legende bis auf wenige Ausnahmen Glauben geschenkt, nicht zuletzt, weil bis heute keine wissenschaftliche Monografie zur Julikrise 1917 existiert.