Sozialdemokratie und „Junkerstaat“

Der folgende Beitrag ist zuerst erschienen in: Heiner Karuscheit / Bernhard Sauer / Klaus Wernecke: „Vom >Kriegssozialismus< zur Novemberrevolution“, VSA: Hamburg 2018

Heiner Karuscheit

Die Politik der SPD in der Novemberrevolution

Vorbemerkung: Die Reformismusfrage

Nach dem Weltkriegsbeginn 1914 und dem russischen Revolutionsjahr 1917 markiert der hundertste Jahrestag von Novemberrevolution und Republikgründung 1918/19 erneut ein Datum, dessen Folgen bis heute spürbar sind. Es konfrontiert den Sozialismus mit einer historischen Niederlage – und mit der Frage, wieso vierzehn Jahre später eine noch schwerere Niederlage folgte.

Als beherrschende Kraft war die SPD 1918/19 sowohl für die Zerschlagung der Revolutionsbewegung als auch für die ausbleibende Fundierung des Weimarer Staats verantwortlich. Wie ist es dazu gekommen? Zielsetzung dieser Arbeit ist der Nachweis, dass die sozialdemokratische Politik anders eingeordnet werden muss als bisher üblich. Weder stolperte die damalige Parteiführung unter Friedrich Ebert in eine ungewollte Verantwortung noch folgte sie den reformistischen Vorstellungen, die sich mit dem Namen Bernstein verbinden. Vielmehr setzte sie in der Novemberrevolution (und vorher bereits im Krieg) eine Konzeption um, die sich in den Jahren vor dem Krieg in ihrem sog. „Parteizentrum“ herausgebildet hatte.

Ausgangspunkt dieser These ist eine simple Fragestellung, die sich an die gängige Erklärung knüpft, dass eine immer mehr vom Reformismus durchdrungene Vorkriegs-SPD durch die Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 zu einer bürgerlichen Arbeiterpartei wurde, die 1918/19 die bürgerliche Ordnung gegen den Ansturm der Revolution verteidigte. In der positiven oder negativen Bewertung dieser Entwicklung unterscheiden sich Bürgerliche und Marxisten voneinander, aber die Verbürgerlichung als solche gilt auf beiden Seiten als unhinterfragte historische Tatsache.

Wenn man diese Begrifflichkeit jedoch ernst nimmt, um damit die sozialdemokratische Politik zu erklären, stößt man einen fundamentalen Widerspruch:

  • Mit dem sog. Ebert-Groener-Pakt vom November 1918 sorgte die SPD-Führung dafür, dass das alte preußisch-deutsche Heer nicht durch eine republikanische Streitmacht ersetzt wurde, sondern zahlenmäßig reduziert als Reichswehr unter dem Kommando des ostelbischen Militäradels in den neuen Staat übergehen konnte.
  • Sie unterband alle Schritte zur Demokratisierung des Staatsapparats und setzte durch, dass dieser in seiner preußisch-obrigkeitlichen Gestalt erhalten blieb.
  • Sie wehrte alle Forderungen nach einer Landreform ab und stellte unter Einsatz bewaffneter Kräfte gegen aufbegehrende Landarbeiter sicher, dass die Stellung der ostelbischen Gutsbesitzer gewahrt blieb.
  • Sie hintertrieb die Sozialisierung der Schwerindustrie, so dass neben dem preußischen Gutsadel auch die Montanbourgeoisie ihre soziale Basis behalten konnte – beides die hauptsächlichen Träger der alten Ordnung.

Die von der SPD-Führung verhinderten Maßnahmen trugen keinen spezifisch proletarisch-sozialistischen Charakter, sondern gehörten seit 1848 zu den Kernforderungen einer bürgerlichen Revolution gegen die preußische Militärmonarchie und wurden in der Novemberrevolution 1918/19 von großen Teilen des bürgerlichen Lagers getragen, einschließlich (wegen ihres Monopolcharakters) der Verstaatlichung der Schwerindustrie.

Acht Jahre vor diesen Geschehnissen hatte der langjährige Parteivorsitzende August Bebel auf dem Magdeburger Parteitag der SPD 1910 ausgeführt: „Es gibt keinen zweiten, dem preußischen ähnlichen Staat, aber wenn wir einmal diesen Staat in der Gewalt haben, haben wir alles. … im Süden versteht man nicht diesen Junkerstaat in seiner ganzen Schönheit.“1 Ende 1918 fiel dieser Junkerstaat in die Gewalt der SPD, doch anstatt die grundlegenden Maßnahmen einer bürgerlichen Revolution durchzusetzen, schützte die SPD-Führung die alte Ordnung vor der Revolution. Mit welchem Recht wird ihr unter diesen Umständen ein bürgerlich-reformistischer Charakter zugeschrieben? Und welche Rolle spielten Bebels Auffassungen bei dem Vorgehen der Parteiführung 1918/19? Um darauf eine Antwort zu finden, müssen wir uns mit der Vorkriegs-SPD befassen, denn unter jedem maßgeblichen Aspekt löst sich die Frage nach der Novemberrevolution auf in die Frage nach dem Charakter und der Rolle der Sozialdemokratie.2

1. Das Erfurter Programmvakuum

Das Programm, mit dem die SPD in die Novemberrevolution ging, war das Erfurter Parteiprogramm von 1891, das bis zum Görlitzer Programm von 1921 Gültigkeit besaß. Auch die 1917 abgespaltene „Unabhängige“ SPD berief sich darauf, warf der Führung der Mehrheits-SPD „Verrat“ daran vor und betrachtete sich selber als dessen wahre Erbin. Unterzieht man dieses Programm einer näheren Untersuchung, lässt sich daraus zwar nicht unmittelbar die Kriegs- und Antirevolutionspolitik der SPD erklären, aber man findet hier den Ausgangspunkt, um den Weg dorthin zu verstehen.

Sein erster, allgemeiner Teil enthält eine Zusammenfassung des siebten Abschnitts aus dem 24.Kapitel des Marxschen KAPITALs („Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation“). Dementsprechend beginnt er mit dem Untergang des Kleinbetriebs durch den Aufstieg der großen Industrie, um anschließend die krisenhafte Entwicklung des Kapitalismus und den daraus resultierenden Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat zu beschreiben. Als Konsequenz daraus wird die Notwendigkeit der Verwandlung des Privateigentums an Produktionsmitteln in gesellschaftliches Eigentum verkündet und die Übernahme der politischen Macht, um die Warenproduktion in sozialistische, für und durch die Gesellschaft betriebene Produktion umzuwandeln. Wegen dieser grundsätzlichen Ausführungen urteilte Friedrich Engels, dass das Erfurter Programm im Gegensatz zum vorangehenden Gothaer Programm von 1875 auf der Höhe der Wissenschaft stehen würde.

Anschließend folgte der „besondere“ Teil des Programms. Er enthält zum einen politische Forderungen (vom allgemeinen Wahlrecht bei sämtlichen Wahlen über die Gleichberechtigung der Frau bis zur Unentgeltlichkeit der Krankenversorgung), zum andern Arbeiterschutzforderungen (vom Achtstundentag über die Beseitigung der Gesindeordnungen bis zur Sicherung des Koalitionsrechts).

Verglichen mit heutigen Parteiprogrammen ist das Erfurter Programm von wohltuender Kürze. Aber während der ökonomische Teil das Entwicklungsgesetz des Kapitalismus in kompakter Form darlegt, ist der politische Teil von frappierender Inhaltsleere. Weder wird eine Einschätzung der erst 20 Jahre zurück liegenden Reichseinigung noch eine Analyse der Klassen- und Herrschaftsverhältnisse im Kaiserreich vorgenommen. Zur Rolle der Armee und der Stellung Preußens schweigt es sich genauso aus wie zum Verhältnis von Bourgeoisie und Junkertum. Dem entsprach die von dem führenden Parteitheoretiker Karl Kautsky vorgenommene Kommentierung, die 1892 erschien.3 Auf 252 Seiten werden darin die allgemeinen Ausführungen des Parteiprogramms ausgiebig erläutert, aber zur historisch entwickelten Verfasstheit der deutschen Gesellschaft, zum konkreten Gesicht der Klassen, zu den politischen Verhältnissen erfahren wir – nichts.

Junkerherrschaft und Republik

Angesichts der deutschen Zustände hätte im Zentrum des Programms die Forderung nach einer demokratischen Republik stehen müssen. Diese Forderung offen zu erheben, hätte als Aufruf zum Umsturz ein Parteiverbot nach sich ziehen können, das konzedierte auch Friedrich Engels in seiner Stellungnahme zum Programmentwurf. Er meinte aber, dass zumindest die Forderung nach Konzentration aller politischen Macht in den Händen der Volksvertretung, sprich nach Parlamentarisierung des Kaiserreichs, in das Programm gehört hätte.

Darüber hinaus hätte nichts von der Feststellung abgehalten, dass durch die Reichseinigung zwar die nationale, nicht aber die demokratische Aufgabenstellung der bürgerlichen Revolutionsetappe in Deutschland erledigt war. Daraus hätte sich die Notwendigkeit, die bürgerliche Revolution zu vollenden, mitsamt der Schlussfolgerung einer demokratischen Republik von selber ergeben, ohne dass man dies explizit so formulieren musste. Doch nichts davon findet sich im Programm.

Der Grund für dieses eigentümliche Schweigen liegt in der Überzeugung der Sozialdemokratie, dass das Zeitalter der bürgerlichen Revolution vorbei sei. Kautsky verkündete explizit, dass „die deutsche bürgerliche Revolution … 1870 ihr Ende erreichte.“4 Doch wie sollte das geschehen sein? Die Klasse, die durch eine bürgerliche Revolution gestürzt werden musste, nämlich der preußische Gutsadel, hatte seine Stellung durch die Politik Bismarcks gerade erst auf Jahrzehnte befestigt. Durch die Reichseinigungskriege hatte die Berliner Militärmonarchie ihre Macht über ganz Deutschland ausgedehnt und mit Hilfe des Dreiklassenwahlrechts und des altadeligen Herrenhauses beherrschten die Junker den deutschen Hegemonialstaat Preußen. Der Reichstag war ein Pseudoparlament, das keine Macht über die Armee besaß und weder den Kanzler wählen noch über Krieg und Frieden entscheiden konnte.

Gesellschaftspolitisch gründete der Staat auf einem Klassenkompromiss, der auf der Spaltung des bürgerlichen Lagers und dem Schwenk seines rechten, schwerindustriellen Flügels auf die Seite des preußischen Militäradels beruhte. Er verschaffte der Bourgeoisie ökonomisch den Raum für die Entwicklung des Kapitals in einem großen Nationalstaat und gewährte ihr eine Teilhabe an der politischen Macht, sicherte aber an letzter Stelle den politisch-militärischen Vorrang der Großgrundbesitzer.5 Nach der Charakteristik, die Marx in seiner Kritik des Gothaer Programms gegeben hatte, war der neue Staat „nichts andres als ein mit parlamentarischen Formen verbrämter, mit feudalem Beisatz vermischter und zugleich schon von der Bourgeoisie beeinflusster, bürokratisch gezimmerter, polizeilich gehüteter Militärdespotismus“. Und dieser Militärdespotismus sollte das Ergebnis einer Vollendung der bürgerlichen Revolution sein, wie Kautsky und die SPD behaupteten?

Eine grundlegende Wirrnis

Auf Basis des unter der Regie Bismarcks 1866-1870 zustande gekommenen Klassenkompromisses konnten die Junker den bürgerlichen Kräften nach Bismarcks Abgang 1890 nicht nur die Gestaltung der Außenpolitik überlassen – bis auf die Frage von Krieg und Frieden, sondern auch den Posten des Regierungschefs – solange der Kanzler nicht die Eckpfeiler ihrer inneren Machtstellung antastete. Das heißt, die Bourgeoisie hatte einen weiten Spielraum zur Verfügung, aber das „Arkanum“, der Kernbereich der Herrschaft, blieb ihr versperrt. Und je mehr die Adelsgüter in der wirtschaftlichen Konkurrenz zurück fielen, desto verzweifelter klammerten sich ihre Inhaber an die Macht, weil sie nur mit Hilfe des Staats ihr Überleben sichern konnten.

Diese Fragen wurden auf sozialdemokratischer Seite nirgendwo näher untersucht. Aus bürgerlicher Feder, so von Max Weber oder Werner Sombart, gab es kluge, immer noch lesenswerte Analysen sowohl der patriarchalischen Produktionsweise auf den Junkergütern als auch der Herrschaftsverhältnisse im Kaiserreich, die keine Zweifel an der fortdauernden Macht der preußischen Junker ließen. Aber von sozialdemokratischen Autoren, geschweige denn vom Parteivorsitzenden selber, existiert nichts Vergleichbares. Hier war man der Überzeugung, dass die nationale Einigung und der ökonomische Vormarsch des Kapitalismus fertig gebracht hätten, woran die Bourgeoisie bis dahin gescheitert war: die Gutsbesitzer waren angeblich zu Agrarkapitalisten geworden, der preußische Militärstaat irgendwie verbürgerlicht und die Bourgeoisie wie auch immer an die Macht gelangt. Die halbabsolutistischen Züge Preußen-Deutschlands spielten in dieser Sichtweise lediglich eine Rolle als Überbleibsel, deren Existenz man zwar realisierte, die sich aber irgendwann von selber abschleifen würden.

Darum stößt man auf eine grundlegende Wirrnis, wenn man die Reden und Schriften der damaligen Zeit nachliest. Da ist einmal von einer bürgerlichen Herrschaft und Gesellschaft die Rede, ein andermal ebenso selbstverständlich von zwei herrschenden Klassen, da ist das Kapital einmal an der Macht und muss sich das nächste Mal der Macht der Junker beugen. August Bebel behauptet in ein und derselben Rede, dass die Bourgeoisie „die herrschende Klasse“ und „im Besitz der Staatsmacht“ sei, nur um direkt darauf auszuführen, dass der Staat ein „Staat der Junker“ sei.6 Ähnlich widersinnige Aussagen finden sich bei dem Parteivorsitzenden zuhauf.

Ohne Machtstrategie

Eine Machtstrategie, um den angekündigten Sieg der gesellschaftlichen Produktionsweise durchzusetzen, besaß die SPD nicht. Das Pendant zur politischen Inhaltsleere des Programms war eine Katastrophentheorie, die aus der Erwartung bestand, dass die bürgerliche Gesellschaft aufgrund der Krisenhaftigkeit des Kapitalismus in nächster Zukunft mit ökonomischer Gesetzmäßigkeit zusammenbrechen und dann der Sozialismus irgendwie an die Macht gelangen würde. Bebel verkündete diese Perspektive als baldigen „Kladderadatsch“ der bürgerlichen Gesellschaft in immer neuen Varianten.

Karl Kautsky ergänzte die Kladderadatschtheorie mit der Aussage, dass die Sozialdemokratie „eine revolutionäre, nicht aber eine Revolutionen machende Partei“ sei – ein wohlklingender Satz, der ebenso richtig wie falsch war. Auf der einen Seite war es unbenommen, dass Revolutionen nicht künstlich „gemacht“ werden können, weil sie eine elementare Eruption gesellschaftlicher Kräfte darstellen. Auf der anderen Seite verdeckte dieser Satz, dass die SPD keinen Plan besaß, um sich auf diese Revolution vorzubereiten. „Zwar wurde über Strategiefragen gestritten, doch wurden keine Konzepte zur Umgestaltung der Gesellschaft für den Fall, den man angeblich mit Naturnotwendigkeit kommen sah, ausgearbeitet. Die Erwartung eines >großen Kladderadatsches< hatte etwas Unwirkliches.“7 Das heißt, die Führung verfügte über keine Strategie, wie man die Partei an die Revolution heran führen, ihren Anhängern die anstehenden Aufgaben vermitteln und die Massen schließlich in den Entscheidungskampf um die Macht führen konnte.

Nachdem das Sozialistengesetz gefallen war, beförderten die Wahlerfolge der SPD in den 90er Jahren die Annahme, dass es gelingen könne, eine Stimmenmehrheit im Reichstag zu erringen, um auf diesem Weg an die Macht zu gelangen. Das ging bis zu der Spekulation, dass die Landarbeiter Ostelbiens demnächst zur SPD übergehen würden. Dann würde das Heer, dessen Kerntruppen die Landarbeiter stellten, nicht mehr seinen adeligen Offizieren gehorchen und der Sieg des Sozialismus wäre gesichert.

2. Der Scheinriese Bernstein

Bald nach Verabschiedung des Erfurter Programms unternahm Eduard Bernstein, ein Mitarbeiter von Engels und zeitweise enger Freund Kautskys, einen Vorstoß, um das politische Vakuum des Erfurter Programms zu füllen.8 In einer Artikelserie für das sozialdemokratische Theorieorgan „Neue Zeit“ von 1896 bis 1898, die anschließend als eigenständige Schrift unter dem Titel „Voraussetzungen des Sozialismus“ veröffentlicht wurde, legte er seine Gedanken dar.9

Neben einer Grundsatzkritik an der Marxschen Dialektik war sein Ausgangspunkt die Zurückweisung der Zusammenbruchstheorie. Entgegen der in der SPD verbreiteten Vorstellung einer kontinuierlichen Verelendung der Arbeiterklasse wies er darauf hin, dass sich die materielle Lage der Arbeiter zwischenzeitlich gebessert habe, bezweifelte die Behauptung einer immerwährenden Zunahme des industriellen Proletariats und wandte sich dagegen, die Landarbeiter zur Arbeiterklasse zu zählen, wie das in der SPD gang und gäbe war (womit man bereits für die Gegenwart ein zahlenmäßiges Übergewicht des Proletariats errechnete). Zu den von ihm mit 5,6 Mio angegebenen Landarbeitern, die nach Überzeugung der Parteiführung gerade dabei waren, SPD-Wähler zu werden, merkte er nüchtern an, dass der „übergroßen Masse von ihnen … die Vergesellschaftung der landwirtschaftlichen Produktion nicht viel mehr sein (kann) als ein leeres Wort. Ihr Ideal ist vorläufig noch, es zu eigenem Landbesitz zu bringen.“10 Damit deutete er den ketzerischen Gedanken an, dass es zur Gewinnung der Landarbeiter vielleicht erforderlich sein könne, ihnen zumindest einen Teil der Adelsgüter zur individuellen Nutzung zu überlassen, statt daraus Kollektivgüter zu machen.

Gegen die Behauptung vom Untergang der Mittelschichten führte er statistisches Material an, aus dem hervorging, dass die kleinen Warenproduzenten in Stadt und Land entgegen der Feststellungen des Programms trotz allen Wandels bisher nicht im Verschwinden begriffen waren, so dass weiterhin mit ihnen gerechnet werden müsse (tatsächlich fand der Untergang der handwerklichen und bäuerlichen Kleinbetriebe in breitem Umfang erst nach dem 2. Weltkrieg statt). Vor diesem Hintergrund fragte er, wie „die ausschließliche Besitzergreifung und Benutzung der Staatsmacht durch das Proletariat gegen die ganze nichtproletarische Welt“ möglich sein sollte?11

Die Alternative zum passiven Hoffen auf den Zusammenbruch der kapitalistischen Gesellschaft war für ihn der Kampf um Demokratie, in dessen Zentrum er die Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts und der parlamentarischen Herrschaft sah. Er forderte von der Sozialdemokratie, dass sie „sich rückhaltlos, auch in der Doktrin, auf den Boden des allgemeinen Wahlrechts, der Demokratie stellt, mit allen sich daraus für ihre Taktik ergebenden Konsequenzen.“12 Größte Bedeutung maß er dabei der Beseitigung des preußischen Dreiklassenwahlrechts zu und gehörte in seiner Partei zu den entschiedensten Verfechtern des politischen Massenstreiks, um eine Wahlrechtsreform in Preußen zu erzwingen. I

n diesem Zusammenhang prägte er seinen bekanntesten, immer wieder zitierten Satz „die Bewegung ist alles, das Ziel (des Sozialismus) ist nichts“. Zu dessen Erläuterung schrieb er, „dass sich wichtige Epochen in der Entwicklung der Völker nicht überspringen lassen“, und formulierte so den Gedanken einer Etappenstrategie, in deren erster Etappe die Arbeiterbewegung mit Landarbeitern und Kleinbürgertum zusammen gehen müsse (mit den entsprechenden sozialen und politischen Konzessionen), um die bürgerlich-demokratische Revolution zu Ende zu führen.

Über mehr als Ansätze gingen seine Gedanken indessen nicht hinaus. Außerdem unterlag er der Illusion, dass ein demokratischer Wandel des Kaiserreichs durch eine Politik friedlicher Reformen möglich sei. Er negierte, dass die mit dem Rücken an der Wand stehenden Junker sich mit allen Mitteln gegen jeden Angriff auf ihre Machtstellung wehren würden, gleich ob dieser unter demokratischem oder sozialistischem Banner stattfand. Nichtsdestotrotz warf er richtige Fragen auf, die den Anstoß für eine Auseinandersetzung um die geeignete Machtstrategie hätten geben können.

Die Revisionismusdebatte

Bernsteins Thesen riefen in der SPD eine mehrjährige Auseinandersetzung hervor, die als „Revisionismusstreit“ in die Geschichte der Arbeiterbewegung eingegangen ist. Resonanz fand er vor allem bei den Sozialdemokraten im Süden Deutschlands, wo die Monarchien bürgerlichen Zuschnitts waren. In der restlichen, hauptsächlich in Preußen beheimateten Sozialdemokratie war sein Rückhalt gering. Hier führten Bebel und Kautsky gemeinsam mit den Linken den Kampf gegen ihn, und auf Antrag Bebels wies der Dresdener Parteitag 1903 seinen Vorstoß mit überwältigender Mehrheit zurück.

In der vom Parteivorsitzenden eingebrachten Resolution bekräftigte der Parteitag die Überzeugung, „dass die Klassengegensätze sich nicht abschwächen, sondern stetig verschärfen“, und verurteilte „auf das entschiedenste die revisionistischen Bestrebungen, unsere bewährte und sieggekrönte, auf dem Klassenkampf beruhende Taktik“ zu ändern.13 Die Berufung auf die „sieggekrönte Taktik des Klassenkampfs“ war so inhaltsleer wie das Erfurter Programm. Der gefeierte Sieg über den Revisionismus auf dieser Basis machte es der Sozialdemokratie elf Jahre später problemlos möglich, der Vaterlandsverteidigung zuzustimmen und fünfzehn Jahre später die Novemberrevolution niederzuschlagen.

Jenseits der Gegnerschaft von Parteizentrum und linkem Flügel stieß die von Bernstein verfochtene demokratische Reformstrategie auf ein anderes Hindernis. In bürgerlichen Staaten wie Frankreich oder Großbritannien konnten die sozialistischen Parteien auf dem Boden des Parlamentarismus agieren, dagegen konnte die SPD in Preußen-Deutschland nicht „als sozialreformerische Arbeiterpartei auf ein parlamentarisch-bürgerliches Entscheidungssystem einwirken“.14 In Grenzen war das nur im Süden Deutschlands der Fall, wo Bernstein die meisten Anhänger besaß, insgesamt aber blieb der demokratisch-bürgerliche Arbeiterreformismus auf eine Minderheit beschränkt.

Weil das Fehlen einer konkreten Machtstrategie die Arbeiterpartei weiterhin umtrieb, sah Kautsky sich 1909 genötigt, eine Schrift von über 100 Seiten unter dem Titel „Der Weg zur Macht“ zu verfassen. Als Ausgangspunkt bekräftigte er, dass die bürgerliche Revolution in Deutschland 1870 ihr Ende gefunden habe, so dass „eine Revolution nur noch möglich ist als proletarische Revolution.“ Daraus zog er die Konsequenz, dass jegliches Zusammengehen mit einer „besitzenden Klasse“ (damit meinte er Bauern und Handwerker genauso wie das große Kapital) grundsätzlich abgelehnt werden müsse.15

Das hielt ihn nicht davon ab, gegen Ende seiner Schrift festzustellen, dass es Situationen geben könne, in denen das Kleinbürgertum „in Masse zu uns abschwenkt und vielleicht dadurch unsere Gegner hinwegfegt, unseren Sieg entscheidet.“16 Wenn das Kleinbürgertum jedoch über den Sieg des Proletariats entschied – musste die proletarische Partei dann nicht alles daran setzen, ein Bündnis mit ihm zustande zu bringen, auch wenn das Zugeständnisse erforderte? Aber eine Vertiefung dieser Fragestellung vermied der Autor wie der Teufel das Weihwasser, so dass der angekündigte „Weg zur Macht“ denselben Verlauf nahm wie das Erfurter Programm: er führte ins Nichts.

Die revolutionäre Linke

Die Linke rückte die Gewaltfrage ins Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Revisionismus. In ihrer 1899 verfassten Schrift „Sozialreform oder Revolution?“ begründete Rosa Luxemburg ausführlich, wieso der Sozialismus nicht auf friedlichem Weg erreichbar sei. Diese Erkenntnis setzte sie in eins mit der Stellung zum Verhältnis von Demokratie und Sozialismus, indem sie den von Bernstein geforderten demokratischen Kampf als verfehlt abtat, weil nach ihrer Auffassung die Wand zwischen der kapitalistischen und der sozialistischen Gesellschaft „durch die Entwicklung der Sozialreformen wie der Demokratie nicht durchlöchert, sondern umgekehrt fester, starrer gemacht (wird). Wodurch sie also niedergerissen werden kann, ist einzig der Hammerschlag der Revolution, d. h. die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat.“17

Damit brachte sie die Position der Linken auf den Punkt. Bernstein hatte gesagt, dass sich geschichtliche Entwicklungsstufen nicht überspringen lassen und mit Hinweis auf Landarbeiter und die Massen des Kleinbürgertums den Vorrang des demokratischen vor dem sozialistischen Kampf gefordert. Luxemburg negierte die damit angesprochenen Fragen komplett. Auf das Problem des Kleinbürgertums und der Bündnispolitik ging sie mit keinem Satz ein, tat die Notwendigkeit einer Vollendung der bürgerlichen Revolution gar als schädlich für den Kampf um den Sozialismus ab und reduzierte die Strategie auf eine Frage der Kampfmethode, sprich der friedlichen oder gewaltsamen Mittel zur Erreichung des Sozialismus.

Sie hatte soweit recht, dass ein Umsturz der Herrschaftsverhältnisse in Preußen-Deutschland auf friedlich-parlamentarischem Weg nicht möglich war – weder als sozialistische noch als demokratische Revolution. Nur war der Unterschied, dass eine Etappenstrategie es der Arbeiterbewegung ermöglichte, in der gegenwärtigen Etappe des demokratischen Kampfes mit den Mittelschichten zusammen gegen die Kräfte der alten Ordnung zu gehen. Dagegen würden bei einem sozialistischen Revolutionsversuch alle besitzenden Klassen, vom Gutsbesitz über das Kapital bis zu den kleinen Warenproduzenten, sich gegen das Proletariat zusammen schließen. Das heißt, die Massen des Kleinbürgertums, deren Verhalten nach der Erkenntnis Kautskys über Sieg oder Niederlage des Proletariats entschied, würden zur Verteidigung ihres Besitzes auf die Seite der Konterrevolution treten, und damit war die Revolution zum Scheitern verurteilt. Das geschah bald darauf in der Novemberrevolution.

3. Verpreußung Deutschlands und der Arbeiterbewegung

Die Behauptung einer schleichenden Durchsetzung des Reformismus beruht auf der Beobachtung, dass die Vorkriegs-SPD immer mehr in den Staat hinein wuchs. Die so umschriebene Entwicklung ist eine Tatsache – nur war dieser Staat kein bürgerliches Gemeinwesen, sondern ein militärisch fundierter Obrigkeitsstaat, so dass das Hineinwachsen in ihn keine Verbürgerlichung, sondern eine Verpreußung der Arbeiterpartei bedeutete.

Nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 war die reaktionäre preußische Militärmonarchie als Gegner der nationalen Einheit Deutschlands und der Demokratie bei den Liberalen ebenso wie in der aufkommenden Arbeiterbewegung auf Jahrzehnte hinaus verhasst gewesen. Doch dann hatte Preußen unter Bismarcks Regie mit Eisen und Blut das Deutsche Reich geschaffen und damit das eine Ziel der 48er Revolutionsbewegung, die nationale Einheit, realisiert. Allerdings war die Schaffung des Nationalstaats in Bismarcks Strategie nur ein Mittel gewesen, um das andere Ziel der bürgerlichen Revolution, die Freiheit bzw. Demokratie, zu verhindern und die gefährdete Junkerherrschaft neu zu befestigen.

Diese Strategie ging auf, weil es Bismarck gelang, durch die nationale Einigungspolitik den rechten, schwerindustriell fundierten Flügel des Bürgertums auf die Seite Preußens zu ziehen. In der Nationalliberalen Partei organisiert, gab dieser Flügel angesichts des Aufstiegs der Arbeiterbewegung auf dem Boden des von Bismarck eingeführten allgemeinen Wahlrechts das bis dahin angestrebte Ziel einer Parlamentarisierung des Reichs auf und akzeptierte die außerparlamentarische Stellung der junkerlichen Armee, um so eine Rückversicherung gegen die Sozialdemokratie zu haben. Mit diesem Schritt verabschiedete sich die Bourgeoisie von der nach wie vor ausstehenden bürgerlichen Revolution – und öffnete den Raum für deren Vollendung unter proletarischer Führung.

Militarisierung der Gesellschaft

Der Übertritt des rechtsbürgerlichen Flügels auf die Seite des Gutsadels sicherte den Fortbestand des überkommenen Berliner Militärstaats. „In der deutschen Gesellschaft der Kaiserzeit spielte das Offizierskorps der preußischen Armee eine zentrale Rolle. Es war und blieb der maßgebliche Träger der Staatsmacht“.18 Eine Reihe von Regelungen institutionalisierte die Einflussnahme des Militärs auf die Zivilgesellschaft. So konnten die Söhne des Bürgertums als sog. „Einjährig-Freiwillige“ eine (vom Elternhaus zu finanzierende) verkürzte Ausbildung zum Reserveoffizier erhalten, die große Teile von ihnen durchliefen, um anschließend Verhaltensweisen und Gedankengut des Adelsheeres in die Gesellschaft zu tragen. „Im Ergebnis gelang es der preußischen Armee, auf dem Umweg über die bürgerlichen Reserveoffiziere weiten Teilen der deutschen Gesellschaft den Geist der Subordination einzuprägen. Der deutsche Untertan, wie ihn Heinrich Mann in klassischer Weise beschrieben hat, ist ein Produkt dieser Entwicklung.“19

In dieselbe Richtung wirkte die Maßnahme, dass Unteroffiziere nach Ablauf ihrer zwölfjährigen Dienstzeit Anspruch auf eine Anstellung im Staatsdienst hatten, wodurch die Amtsstuben der öffentlichen Verwaltung, Eisenbahn und Post von ehemaligen Militärs durchsetzt wurden. Auf diese Weise entstand eine Verbindung, die „auf unterer Ebene Armee und zivile Ordnung in diesem Militär-Beamten-Staat zusammenband“20 und vornehmlich im Kleinbürgertum obrigkeitsstaatliche Einstellungen beförderte. Die nach der 48er Revolution vorherrschende Abneigung gegen Preußen verkehrte sich nach den Reichseinigungskriegen ins Gegenteil. Schulen, Universitäten und die protestantische Kirche verherrlichten das Preußentum; Politik und Gesellschaft richteten sich an militärischen Vorbildern und Verhaltensweisen aus und die Armee wurde als „Schule der Nation“ verklärt.21

Verglichen mit anderen Industriestaaten war die bürgerliche Gesellschaft in Deutschland unterentwickelt. Auch in Frankreich stellte die Armee einen Hort antirepublikanischer (und antisemitischer) Bestrebungen dar, aber sie war im Unterschied zu Deutschland der politischen Führung untergeordnet. So endete die Dreyfus-Affäre, die sich von 1894 bis 1906 hinzog und die Republik durchschüttelte, mit einem Sieg der demokratisch-republikanischen Kräfte, während der Deutsche Reichstag in der Zabern-Affäre wenige Jahre darauf nicht in der Lage war, das preußische Militär in die Schranken zu weisen.

Die Arbeiterbewegung nach dem Sozialistengesetz

Die Arbeiterbewegung stand dieser Entwicklung zunächst fern, weil das Sozialistengesetz 1878 den Ausnahmezustand über sie verhängte und die sozialistischen Arbeiter außerhalb der Gesellschaft stellte. So lange es in Kraft war, blieben sie erbitterte Gegner der Staatsgewalt und des Preußentums. „Die wachsende radikale Mentalität des größten Teiles der Mitglieder und der Anhänger der Sozialdemokratie war inhaltlich bestimmt von einer antimonarchischen und antireligiösen Gesinnung sowie der fanatischen Feindschaft gegen die Staatsgewalt, vor allem gegen ihre Personifizierung in Bismarck. Wenn der Anarchismus in Deutschland eine reale Chance unter den Arbeitern gehabt hat, dann während der Zeit des Sozialistengesetzes.“22

Diese Einstellung änderte sich nach Bismarcks Abgang 1890 und dem damit verbundenen Ende des Sozialistengesetzes. Nun machten sich allmählich auch in der Arbeiterbewegung Entwicklungen wie im Bürgertum breit. „Die nationalliberal-preußische Umformung des deutschen Liberalismus fand ihre Parallele in einer >Borussifizierung< auch der ursprünglich antipreußischen Teile der Sozialdemokratie, was Erich Mühsam zu der Sentenz veranlasste, die deutschen Arbeiterorganisationen seien >bismarxistisch< geworden.“23

Es gab weiter Kritik am Militarismus, am Kadavergehorsam in der Armee und am reaktionären Preußentum. Aber die „Wirkungen von Schule und allgemeiner Wehrpflicht, überhaupt die monarchisch-autoritäre Ordnung von Staat und Gesellschaft … förderten auch einen von den meisten nicht ins Bewusstsein gehobenen >Nationalisierungsprozess<„, der zum Ergebnis hatte, „dass die dauernde Konfrontation mit den Werten der militärischen Tradition und des nationalstaatlichen Denkens – Hingabe an die >Sache des Vaterlandes<, Dienst für seine >nationale Größe< usw. – ihre Spuren hinterließen und aus manchem >vaterlandslosen Gesellen< einen wohldisziplinierten >Träger des Rocks seiner Majestät< machte, der dann in der Fabrik oder am Biertisch begeistert ausrief: >Wir sind Soldaten und Sozialdemokraten, beides mit Leib und Seele<. (…) auch die Träger der offiziellen Politik der deutschen Sozialdemokratie zeigten sich immer mehr von den Argumenten des nationalen Machtstaatsdenkens beeindruckt“.24

Die fehlende programmatische Klarheit über die fortdauernde Machtstellung des preußischen Militäradels leistete derartigen Tendenzen Vorschub. Zwar war „das in Antimilitarismus sich umsetzende Unbehagen an der >Verpreußung< Deutschlands … mit dem Erfolg der Bismarckschen Politik nicht überall verschwunden. Aber solche Stimmungen konnten sich in der deutschen Arbeiterbewegung nicht so artikulieren, dass daraus eine politische Alternative zur herrschenden Meinung der Sozialdemokratie geworden wäre.“25

Vaterlandsverteidigung gegen Russland

Die Nationalisierung der SPD wurde nicht zuletzt durch ihre Position zur Vaterlandsverteidigung gegen das zaristische Russland gefördert. Seitdem der Zarismus in der 48er Revolution der bereits geschlagenen Habsburgerherrschaft mit seinen Truppen zu Hilfe geeilt war und allen revolutionären Bewegungen sein Eingreifen zum Schutz der bedrohten Monarchien angedroht hatte, galt er als „Gendarm Europas“ und als Todfeind der europäischen Demokratie. Zwar verlor er durch die Niederlage im Krim-Krieg (1853-56) gegen die mit dem Osmanischen Reich verbündeten Großmächte Großbritannien und Frankreich seine Vorherrschaft über Mitteleuropa und war nicht länger in der Lage, den anderen Staaten seine Ordnungsvorstellungen aufzuzwingen, aber die Sozialdemokratie hielt an der alten Position von Russland als dem Hauptfeind der europäischen Revolution fest.

Zur Beibehaltung dieser historisch überholten Position trug auch Friedrich Engels bei. Er wiederholte Anfang der 90er Jahre die Position von 1848 und erklärte, dass der Zarismus weiterhin der Feind aller westlichen Völker sei, selbst der Bourgeois dieser Völker. Gegen die von ihm drohende Knechtschaft und Barbarei müsse die deutsche sozialistische Partei nicht nur den europäischen Fortschritt, sondern auch ihren Posten als Vortrupp der internationalen Arbeiterbewegung schützen und deshalb im Kriegsfall einen nationalen Verteidigungskrieg führen.26

Spätestens nach der Niederlage des Zarismus im russisch-japanischen Krieg und der folgenden Revolution von 1905-07 war diese Position eindeutig verfehlt. Es gab auch eine Reihe von Stimmen in der SPD, die das fortdauernde Bild Russlands als Zuchtmeister Europas in Zweifel zogen und die bisherige Position zur Vaterlandsverteidigung für überholt erklärten, doch die Parteiführung hielt unverändert daran fest.

Bebel als Vorkämpfer des Militärpatriotismus

Als Vorkämpfer nationalmilitärischer Loyalität betätigte sich insbesondere der Parteivorsitzende. Bereits im März 1880, anderthalb Jahre nach Erlass des Sozialistengesetzes, hatte Bebel im Reichstag erklärt, es sei die vaterländische Pflicht der Sozialdemokratie, gegen die Feinde Deutschlands Front zu machen. Wegen des unverhohlenen Patriotismus seiner Aussagen lag auf dem Wydener Parteikongress von 1880 ein Tadelsvotum gegen ihn vor. Aber „Bebel ließ sich hierdurch nicht im geringsten beeinflussen: in allen Reichstags- und Versammlungsreden, die er von Zeit zu Zeit in den Jahren 1880 bis 1913 aus Anlass militärischer und außenpolitischer Fragen gehalten hat, schlug er die patriotisch-militärischen Akkorde temperamentvoll und feurig an.“27

Da die Kritik an seinem Patriotismus nicht verstummen wollte, sah er sich genötigt, auf dem Parteitag in Bremen 1904 „noch ein Wort über meine Erklärung“ zu äußern, „dass wir im Falle eines Angriffskrieges auf keinen Fall dulden würden, dass deutsches Land verloren geht“. Er zeigte sich verwundert, „dass diese Erklärung innerhalb und außerhalb der Partei solches Aufsehen erregt“, nahm jedoch nichts davon zurück, sondern betonte, dass er dieselbe Erklärung schon früher im Reichstag abgegeben habe.28

Auf der anderen Seite verlangte er die Verkürzung der dreijährigen Militärdienstzeit, die Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht,29 kritisierte den Militarismus und wandte sich gegen sinnlosen Drill und Rekrutenschinderei. Doch derartige Forderungen waren grundiert durch einen nationalen Tenor und liefen mehr und mehr auf positive Reformvorschläge für eine effektivere militärische Ausbildung hinaus. „Wir wollen eine Kriegstruppe, wir wollen eine Truppe, für den Kriegsfall ausgebildet, möglichst zweckmäßig und einfach“, führte er im Reichstag aus. Und in der Etatkommission: „Was zu einer wirklichen kriegerischen Ausbildung der Armee notwendig ist, sei er bereit zu bewilligen. Aber es seien unendlich viele Auswüchse vorhanden“.30 Die in Sonntagsreden beliebte Parole „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen“ schien eine grundsätzliche Gegnerschaft gegen den Militärstaat zu signalisieren, doch dahinter verbarg sich der „Befund, dass die SPD in der parlamentarischen Praxis ganz andere Wege ging und sich immer mehr an den bestehenden Staat annäherte.“31

Die Reichstagswahl 1907

Die Reichstagswahl des Jahres 1907 bewirkte einen kräftigen Schub für die nationalmilitärischen Tendenzen in der Sozialdemokratie. Weil SPD und Zentrum einen Nachtragshaushalt zur Finanzierung des Kolonialkriegs gegen die aufständischen Hereros in Deutsch-Südwestafrika zu Fall gebracht hatten, hatte Reichskanzler Bülow das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen lassen, bei denen er einen „nationalen Block“ aus Konservativen und den Liberalen beider Flügel formte, der unter den Parolen eines militanten Nationalismus einen erbitterten Wahlkampf gegen die „Reichsfeinde“ von SPD und Zentrum führte.

Zwar gewann die SPD bei der von Bebel so genannten „Hottentottenwahl“ einige Stimmen hinzu und blieb wählerstärkste Partei, aber aufgrund einer gestiegenen Wahlbeteiligung ging ihr Stimmenanteil prozentual zurück und büßte sie durch die Stichwahlabsprachen der Blockparteien fast die Hälfte ihrer Reichstagsmandate ein (von 81 auf 43). Nachdem sie bis dato von Wahl zu Wahl ihren Stimmenanteil gesteigert und immer mehr Abgeordnete in den Reichstag geschickt hatte, bedeutete das Wahlergebnis einen Rückschlag, auf den die Parteiführung mit einem Rechtsrutsch reagierte.

Beim Zusammentreten des Parlaments nutzte Bebel die Beratungen über den Rüstungsetat im April 1907 als Gelegenheit, um den im Wahlkampf unablässig erhobenen Vorwurf der „vaterlandslosen Gesellen“ zurück zu weisen und die nationale Zuverlässigkeit der Sozialdemokratie zu betonen. Er befürwortete die „Erziehung der Jugend zur Wehrhaftigkeit“ und versicherte zum wiederholten Male, dass „selbstverständlich die Sozialdemokraten die Flinte auf den Buckel nehmen“ würden, wenn es gelte, in einem Krieg mit Russland die Zivilisation und die Errungenschaften der Arbeiterbewegung zu verteidigen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das russische Proletariat gerade sein revolutionäres Potenzial unter Beweis gestellt und war der Zarismus noch damit beschäftigt, Bauernaufstände niederzuschlagen. Umso befremdlicher war die Loyalitätserklärung des Parteivorsitzenden an die Adresse der Reichsregierung für den Fall eines deutsch-russischen Kriegs.

In dieselbe Kerbe schlug anschließend Gustav Noske als rüstungspolitischer Sprecher der Fraktion. In seiner Reichstagsrede bekräftigte er seine vollständige Übereinstimmung mit dem preußischen Kriegsminister, der zuvor gefordert hatte, dass Deutschland sich für einen russischen Angriff rüsten müsse („In der Beurteilung von Angriffskriegen auf Deutschland stimmen wir absolut überein! Es gibt da keinen Unterschied.“). Er betonte, dass die Sozialdemokraten im Fall einer Bedrohung „begeistert ihr Vaterland verteidigen“ würden und unterstrich als Aufgabe der Arbeiterpartei, „dass es unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist, dafür zu sorgen, dass das deutsche Volk nicht etwa von irgend einem anderen Volk an die Wand gedrückt wird“.32

Bebel und Liebknecht

Der Sache nach sagte er dasselbe wie Bebel, aber weil er leichter angreifbar war als der langjährige Parteivorsitzende, gab es auf dem kurz darauf stattfindenden Essener Parteitag heftige Attacken gegen ihn u.a. von Karl Liebknecht. Die Kritik blieb erfolglos, weil die Parteiführung ihn gegen alle Angriffe in Schutz nahm; Bebel lobte Noskes Reichstagsrede explizit als „gute Rede“, die seine „Zustimmung und Anerkennung“ gefunden habe.33 Ein Antrag aus Kiel, bei künftigen Beratungen über den Militäretat „nur solche Redner zu bestimmen, die die völlige Garantie dafür bieten, dass sie entschieden Stellung gegen den Militarismus nehmen“, hatte gegen das Votum Bebels keine Chance und wurde abgelehnt. „Im übrigen stimmte die große Mehrheit des Parteitages wesentlich mit Noske überein, wobei sie betonte, dass die patriotische Pflicht der nationalen Verteidigung nur bei einem Verteidigungskriege ihre Geltung habe.“34

Im selben Jahr 1907 veröffentlichte Karl Liebknecht eine Schrift über „Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung“, worin er den preußisch-deutschen Militarismus als „ein System der Durchtränkung unseres ganzen öffentlichen und privaten Volkslebens mit militaristischem Geiste“ bzw. einem „Sklaven-Geiste“ brandmarkte.35 Bebel hatte bereits zwei Jahre zuvor auf dem Jenaer Parteitag 1905 einen Antrag Liebknechts, die Agitation unter den einrückenden Soldaten zu verstärken, zu Fall gebracht. Jetzt distanzierte er sich öffentlich von Liebknechts Schrift, sorgte dafür, dass sie nicht im Parteiverlag der SPD erscheinen konnte, und unterstrich erneut die Erziehung der Jugend zur Wehrhaftigkeit.

So wenig wie Luxemburg verfügte Liebknecht über ein realitätstaugliches Revolutionskonzept. Auf der Linie des linken Parteiflügels war er der Auffassung, dass der Kampf um die Demokratie kein Weg zum Sozialismus sei, sondern erst der Sozialismus die Demokratie verwirklichen könne. Nichtsdestotrotz richtete sich der von ihm geforderte antimilitaristische Kampf gegen das Herzstück der junkerlichen Vorherrschaft über Deutschland und musste es eine vorrangige Aufgabe der Sozialdemokraten sein, diesen wichtigsten Teil des staatlichen Gewaltapparats zu zersetzen. Aber die von Bebel und der Parteiführung vertretene militärisch-patriotische Einstellung überlagerte den Antimilitarismus der revolutionären Linken und drängte ihn in die Ecke.

4. Übernahme statt Zerschlagung des preußischen Staats

Neben den außen- und militärpolitischen Fragen beförderte der sich herausbildende Sozialstaat die Integration der Sozialdemokraten in den preußisch-deutschen Staat.

Auf Betreiben Bismarcks war 1883 eine gesetzliche Krankenversicherung und 1884 eine Unfallversicherung eingeführt worden, der sich 1891 eine staatliche Rentenversicherung anschloss. Der Kanzler, der den bürgerlichen Liberalismus bis zuletzt für gefährlicher hielt als die Arbeiterbewegung, verfolgte mit den Sozialversicherungen die Absicht, die Arbeiter gegen den Liberalismus auf die Seite der alten Ordnung zu ziehen. „Der junkerliche Reichskanzler wollte die Zustimmung der Arbeiter gewinnen zur Stützung des preußisch-junkerlichen Staates – gegen die Liberalen.“36 Zu diesem Zweck wurden die Sozialversicherungen nicht in privatrechtlicher Gestalt (mit staatlicher Aufsicht) gegründet, sondern erhielten eine staatliche bzw. halbstaatliche Form als öffentlich-rechtliche Körperschaften, um die Arbeiter auf diese Weise an den monarchischen Staat zu binden. Darüber hinaus war Bismarcks Option, aus den Vertretungsorganen dieser Körperschaften, die von den Versicherten gewählt wurden, gegebenenfalls ein Ständeparlament als Ersatz für den Reichstag zu machen.37

Solange das Sozialistengesetz in Kraft war, scheiterte die Gewinnung der Arbeiter für die Militärmonarchie. Erst nach dem Ende des Gesetzes entfalteten die Sozialversicherungen ihre Wirkung. Im Jahr 1910 waren schätzungsweise fast 100.000 Sozialdemokraten in Verwaltungs- und Vertretungskörperschaften der Arbeiterversicherung, der kommunalen Arbeitsnachweise und der Gewerbe- und Kaufmannsgerichte vertreten, hinzu kamen 13.000 Gemeindevertreter.38 Als Bestandteil der preußisch-deutschen Staatsmaschinerie vermittelten diese öffentlich-rechtlichen „Apparate“ auf ihre Weise Gedankengut und Verhaltensmuster des von Bebel gepriesenen „Junkerstaats“ und förderten die Vorstellung, dass ein solcher Staat für die Zwecke der Arbeiterbewegung dienstbar gemacht werden könne.

Durchforscht man die gesellschaftspolitischen Leitbilder, die damals in der Sozialdemokratie gewissermaßen unterhalb der offiziellen Politik wirksam waren, kommt man zu der Feststellung, dass „die >antistaatlichen< … Momente in der Ideologie der deutschen Arbeiterbewegung … eher rückläufig (waren), keineswegs so bedeutsam wie in anderen europäischen Ländern. Die gesellschaftliche Durchsetzung des preußisch-deutschen Staatskonzepts hatte solche Traditionen weitgehend aus der >offiziellen< Politik verdrängt“.39 Begleitet wurde diese Entwicklung durch die Kladderadatsch-Reden Bebels, die den Anschein einer revolutionären Gegnerschaft gegen das System erweckten. Für die politische Arbeit waren die Untergangsprophezeiungen ohne Relevanz, da der Zusammenbruch von Wirtschaft und Gesellschaft nach Bebels Dafürhalten ein naturgesetzliches Ereignis war, das ohne jedes Zutun erfolgen würde und auf das man nur warten musste. Real übertünchten sie die voranschreitende Integration der Sozialdemokratie in den Militär- und Beamtenstaat.

Parteizentrum und Gewerkschaften

Die Entwicklung des Sozialstaats betraf insbesondere die sozialdemokratischen Gewerkschaften. Deren Zukunftsvorstellungen formulierte der Vorsitzende ihrer Generalkommission, Carl Legien, auf einem Gewerkschaftskongress 1899: „Gerade wir, die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter, wünschen nicht, dass es zum sogenannten Kladderadatsch kommt und dass wir genötigt sind, auf den Trümmern der Gesellschaft Einrichtungen zu schaffen, gleichviel ob sie besser oder schlechter sind als die jetzigen. Wir wünschen den Zustand der ruhigen Entwicklung.“40

Mit der Aussage, dass man keine neuen „Einrichtungen“ auf den Trümmern der alten Gesellschaft schaffen wolle, lehnten die Gewerkschaften es ab, den vorhandenen Staat durch einen neuen zu ersetzen. Indem Legien gleichzeitig das gewerkschaftliche Interesse an einer friedlichen Entwicklung hervorhob und das Kladderadatsch-Gerede zurückwies, grenzte er sich von den Überresten revolutionären Denkens ab, das in Bebels Reden noch mitschwang und auf das der linke Parteiflügel sich berief. Mittlerweile (im Jahr 1900) hatten die Gewerkschaften etwa doppelt so viele Mitglieder (680.000) wie die SPD und hatten begonnen, sich von der Bevormundung durch die Partei zu befreien. Die wenige Jahre darauf stattfindende Debatte über politische Streiks bestätigte das geänderte Kräfteverhältnis zwischen den beiden Arbeiterorganisationen.

Nachdem die schwedischen und belgischen Sozialisten in ihren Ländern Anfang des neuen Jahrhunderts mit Generalstreiks das allgemeine Wahlrecht durchgesetzt hatten, begann auch in der deutschen Arbeiterbewegung eine Diskussion um den politischen Massenstreik, die weitere Nahrung erhielt, als die russische Revolution 1905 mit Riesenstreiks der Arbeiterklasse begann. Sowohl der linke Parteiflügel als auch Bernstein plädierten dafür, auch in Deutschland das Mittel des politischen Streiks einzusetzen, um die Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts zu erzwingen.

Die Gewerkschaftsführung wandte sich strikt gegen den Einsatz dieser Kampfmethode. Sie erklärte die Debatte darüber für einen „Generalunsinn“ und ließ auf ihrem Kongress im Mai 1905 in Köln eine Resolution verabschieden, die „alle Versuche, durch die Propagierung des politischen Massenstreiks eine bestimmte Taktik festlegen zu wollen, für verwerflich“ erklärte.41 Zwar sprach sich der wenige Monate darauf in Jena stattfindende Parteitag der SPD für politische Streiks aus, doch anschließend vereinbarten der SPD-Parteivorstand und die gewerkschaftliche Generalkommission, dass die Ausrufung eines solchen Streiks nur mit Zustimmung der Generalkommission erfolgen dürfe, und der nächste SPD-Parteitag bestätigte diese Vereinbarung. Angesichts der Haltung der Gewerkschaften war das Thema damit erledigt.

Die Debatte über politische Streiks dokumentierte, dass die Gewerkschaften weit entfernt von Bernstein standen. Dessen Reformismus richtete sich auf eine Änderung der Herrschaftsverhältnisse und die Etablierung der Demokratie. Dagegen zielten die Gewerkschaften auf die Erweiterung sozialer Rechte innerhalb des gegebenen Staats; ihnen war die Anerkennung als Tarifpartei und der Ausbau der vorhandenen „Einrichtungen“ wichtiger als die Frage der Demokratie. Im Gegenteil konnten sie darauf hoffen, dass der preußische Obrigkeitsstaat ihnen beim Erreichen ihrer Ziele gegen das Kapital zu Hilfe kam. Deshalb stand die Demokratisierung dieses Junkerstaats durch Beseitigung des preußischen Dreiklassenwahlrechts für sie nicht im Vordergrund.

Bebel und das Staatskonzept der Sozialdemokratie

In der Stellung zum Staat bündelte sich die Vorkriegsentwicklung der SPD. Zwar befasste Bebel sich nicht explizit mit der Staatsfrage, obwohl er bei vielen Gelegenheiten über den sozialdemokratischen Zukunftsstaat sprach, aber seine Auffassung hierzu ist eindeutig.

Karl Marx hatte in seiner Schrift über den „Bürgerkrieg in Frankreich“ als Lehre aus den Erfahrungen der Pariser Kommune von 1870/71 gezogen, dass „die Arbeiterklasse … nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen“ kann, sondern dass sie diese zerschlagen und eine neue aufbauen müsse, um ihre Herrschaft auszuüben.42 In demselben Sinn hatte Engels in seiner Kritik des Erfurter Programms die um sich greifende Vorstellung von einem friedlichen Hineinwachsen in den Zukunftsstaat kritisiert: „Man redet sich und der Partei vor, >die heutige Gesellschaft wachse in den Sozialismus hinein<, ohne sich zu fragen, ob sie nicht damit ebenso notwendig aus ihrer alten Gesellschaftsverfassung hinauswachse und diese alte Hülle ebenso gewaltsam sprengen müsse wie der Krebs die seine, als ob sie in Deutschland nicht außerdem die Fesseln der noch halb absolutistischen und obendrein namenlos verworrenen politischen Ordnung zu sprengen habe.“43

Dagegen bemerkte Bebel über die künftige sozialdemokratische Herrschaft, wie eingangs zitiert, dass es „keinen zweiten, dem preußischen ähnlichen Staat (gibt), aber wenn wir einmal diesen Staat in der Gewalt haben, haben wir alles. … im Süden versteht man nicht diesen Junkerstaat in seiner ganzen Schönheit.“ In derselben Rede wies er darauf hin, dass er diese Aussage nicht zum ersten Mal getroffen habe: „Ich habe schon früher gesagt: der preußische Staat ist ein ganz anderes Ding als jeder andere Staat. Er ist in seiner Art einzig in der Welt.“44

Diese Sätze, die seine Auffassung vom Staat in komprimierter Form wiedergeben, sind in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Zunächst ist in ihnen keine Rede davon, dass der alte Staatsapparat zerschlagen und durch einen neuen ersetzt werden muss, wie das von Marx herausgearbeitet und von Engels angesichts der „halbabsolutistischen“ Herrschaftsverhältnisse in Preußen-Deutschland bekräftigt worden war; im Gegenteil will Bebel den Junkerstaat als solchen in die Gewalt der Sozialdemokratie übernehmen.

Des weiteren ist seine Begründung dafür bemerkenswert, dass der Junkerstaat grundsätzlich anderen Charakter habe „als jeder andere Staat“. Ohne dass er das näher ausführt, verweist diese Aussage darauf, dass anders als in den von der Bourgeoisie beherrschten Nachbarstaaten Deutschlands der halbabsolutistische preußisch-deutsche Staat dem Kapital und den bürgerlichen Parteien gegenüber weitgehend selbständig agieren kann; nicht zuletzt die Einführung der Sozialversicherungen gegen den Willen der Liberalen und lange vor entsprechenden Maßnahmen in bürgerlich regierten Ländern zeigt dies. Man muss also nur die Dominanz der bislang herrschenden Kräfte überwinden – so die naheliegende Schlussfolgerung –, um diesen Beamtenstaat als scheinbar klassenneutrales Instrument für die eigenen Zwecke einzusetzen. Das ist der Grund, weshalb Bebel den Junkerstaat als „einzigartig“ betrachtet und der Ansicht ist, dass die Sozialdemokratie „alles“ hat, wenn sie ihn erst einmal – wie auch immer – in ihre Gewalt bekommen hat.45

Drei Strömungen

Bis zum Beginn des Weltkriegs hatten sich in dem politischen Vakuum des Erfurter Programms drei verschiedene Strömungen in der SPD herausgebildet.46 Keine dieser Strömungen konnte sich auf ein ausformuliertes Konzept berufen – am ehesten noch der Bernstein-Flügel –, aber die unterschiedlichen Zielrichtungen sind klar erkennbar. Auf der linken Seite stand ein von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg geführter Flügel, der auf eine gewaltsame, nur-proletarische Revolution zur Erringung des Sozialismus setzte. Trotz vereinzelter Kritik an Bebel und der Parteiführung sah dieser Flügel keine Notwendigkeit zu einer weitergehenden Abgrenzung vom „Parteizentrum“, sondern betrachtete die SPD als insgesamt revolutionäre, sozialistische Arbeiterpartei. Hauptgegner der Linken war der Parteiflügel um Eduard Bernstein, der auf die Durchsetzung der Demokratie mit Hilfe einer bürgerlich-reformistischen Arbeiterpolitik zielte, jedoch ebenso wenig wie die Linke mehrheitsfähig war.

Ungeachtet ihrer Differenzen standen beide Minderheitsflügel in Distanz zum Junkerstaat und drängten auf eine aktive Politik u.a. durch politische Massenstreiks zur Beseitigung des preußischen Dreiklassenwahlrechts. Aber „keine der beiden Strömungen, die zur Aktion drängten, setzte sich durch, weder die linke, die mit der revolutionären Theorie in der Praxis ernst machen, noch die rechte, die den demokratisch-sozialen Reformkurs zu der Richtschnur des Handelns und der Aussagen nehmen wollte.“47

Bestimmt wurde die sozialdemokratische Politik durch das von August Bebel und nach seinem Tod 1913 von Friedrich Ebert angeführte „Parteizentrum“, das als Mehrheitsströmung das Ziel einer Übernahme des Junkerstaats verfolgte. Diese Zielstellung war ebenso wie bei den anderen Strömungen nicht offen ausformuliert; sie existierte als grundlegende Orientierung, die dem politisch nichtssagenden Erfurter Programm eine preußisch-obrigkeitliche Stoßrichtung gab und widerspiegelte, in welchem Maße die Arbeiterpartei inzwischen in die Militärmonarchie hineingewachsen war. Nimmt man die historisch anstehende Aufgabenstellung einer Vollendung der bürgerlichen Revolution als Maßstab, so war das Parteizentrum und nicht der Bernstein-Flügel die eigentliche Parteirechte, denn statt auf eine demokratische Umwälzung des Staats zielte es auf eine Fortführung der alten Ordnung unter sozialdemokratischer Regierung. Gegenüber dieser Orientierung stand nicht nur der revolutionäre Flügel, sondern auch der Bernstein-Flügel links.

5. Krieg an der Seite des Militäradels

Im August 1914 führte das nationale Machtstaatsdenken die SPD an die Seite des Militäradels. Da die sozialdemokratische Position zur Vaterlandsverteidigung gegen Russland bekannt war, sorgte der Reichskanzler in der internationalen Julikrise 1914 durch eine geschickte Eskalationsregie dafür, dass Russland die Generalmobilmachung der Armee erklärte und es so aussah, als ob es zusammen mit Frankreich einen Angriff auf Deutschland plante. Damit war nach außen der Fall der „Vaterlandsverteidigung“ gegen den barbarischen Zarismus gegeben.

Obwohl eine Minderheit in der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion von Anfang an Zweifel hatte, unterwarf sie sich der Fraktionsdisziplin und bewilligte die beantragten Kriegskredite mit. Als erster wandte sich Karl Liebknecht öffentlich gegen den von der SPD verkündeten „Burgfrieden“ und stimmte im Reichstag gegen weitere Kriegskredite. Auch Bernstein, der anfangs die Politik der Vaterlandsverteidigung befürwortet hatte, distanzierte sich nach wenigen Wochen unter dem Eindruck der deutschen Kriegszieldebatte davon und fand sich Ende 1914 an der Seite seiner ehemals schärfsten Kritiker um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in der Parteiminderheit wieder. Er gehörte während des ganzen Kriegs zu den Wenigen, die immer wieder die junkerlich-preußische Prägung dieses Kriegs hervorhoben und war 1917 einer der Mitbegründer der USPD.

Parallel zum Anwachsen der innerparteilichen Antikriegs-Opposition begann das Verhältnis zwischen der Sozialdemokratie und den Organen des Militärstaats sich zu wandeln. Während die im Kriegsfall für die innere Sicherheit zuständigen Militärbefehlshaber die Aktivitäten der Parteiopposition mit Hilfe des Kriegsrechts so weit wie möglich unterbanden, tolerierten sie die politische Betätigung der Parteimehrheit. Gleichzeitig begann das preußische Kriegsministerium, auf die freien Gewerkschaften zuzugehen mit dem Ziel, aufkommende Proteste in der Arbeiterschaft durch die Gewerkschaften selbst beilegen zu lassen. 48

Der „Kriegssozialismus“

Die Notwendigkeit, mit der Fortdauer des Kriegs die Rüstungsanstrengungen zu verstärken, schuf neue Formen der Kooperation zwischen Militär, Staat und Gewerkschaften. Um die Mithilfe der Gewerkschaften für die Mobilisierung der Arbeitskräfte und deren Lenkung in kriegswichtige Fabriken zu gewinnen, erfüllte der Staat 1916 mit dem „Vaterländischen Hilfsdienstgesetz“ einige ihre wichtigsten Forderungen. Er erkannte sie als berufene Vertreter der Arbeiter an und bestimmte in allen Betrieben mit über 50 Beschäftigten die Einrichtung ständiger Arbeiter- und Angestelltenausschüsse (die Vorläufer der Betriebsräte); außerdem wurden paritätisch besetzte Schlichtungsausschüsse zur Beilegung betrieblicher Konflikte eingerichtet.

Die Durchsetzung des Gesetzes gegen den erbitterten Widerstand der Schwerindustrie bestätigte den Sozialdemokraten, dass der Junkerstaat sich zur Zähmung des Kapitals einsetzen ließ. Seine Eingriffe in die Produktion wurden von ihnen als Abkehr von der Privatwirtschaft und als Übergang zum organisierten Kapitalismus, wenn nicht zum Staatssozialismus bewertet. Auch in den Ländern der Entente reihte sich die Arbeiterbewegung unter patriotischen Parolen in das nationale Kriegssystem ein, „aber nur in Deutschland wurden Kriegsmaschinerie und Kriegswirtschaft als >Kriegssozialismus< glorifiziert, als >revolutionärer< gesellschaftlicher Wandel gefeiert. Deutsche Sozialdemokraten beschrieben mit >marxistischen< Kategorien die Wirtschaftslenkung der Militärbehörden (oder die Versuche dazu) als Abhalfterung der >privatkapitalistischen Anarchie<, als Triumph des >Organisationsgedankens<, als Schritt auf dem Weg zum >Sozialismus<.“49

Die Koordinierung der Rüstungsproduktion oblag dem Obersten Kriegsamt, in dem Gewerkschaftsführer und hohe Militärs zum ersten Mal regelmäßig in Berührung miteinander kamen. Als Chef des Kriegsamts organisierte General Wilhelm Groener die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Personengruppen. Er trat Ende Oktober 1918 an die Spitze der OHL, als die kommende Niederlage es geraten erscheinen ließ, die Verbindungen zur Sozialdemokratie zu vertiefen.

Einen weiteren Schritt voran machte der beiderseitige Annäherungsprozess in der Julikrise 1917, als der zunehmend an einem deutschen Sieg zweifelnde Reichskanzler Bethmann Hollweg den Versuch unternahm, einen Remisfrieden mit den Kriegsgegnern zu schließen. Um das zu verhindern, organisierte die OHL mit der verdeckten Unterstützung der SPD, des Zentrums und der Nationalliberalen den Sturz des Kanzlers, da die Beteiligten davon ausgingen, dass Russland nach der Februarrevolution bald aus dem Krieg ausscheiden und Deutschland dann einen abschließenden Sieg im Westen erringen würde.

Der SPD fiel bei der Sabotage der Friedensinitiative des Kanzlers eine entscheidende Rolle zu. Auf der öffentlichen Bühne des Reichstags propagierte sie den sog. „Scheidemann-Frieden“, d.h. einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen, und schaffte es, die immer unruhiger werdende Arbeiterschaft mit Hilfe einer substanzlosen, von Erzberger eingebrachten Friedensresolution noch einmal ruhig zu stellen. Zur selben Zeit sorgte sie hinter den Kulissen zusammen mit dem Zentrum dafür, dass eine Reichstagsmehrheit gegen Bethmann zustande kam und der Krieg mit einem neuen Kriegskanzler (Michaelis) weitergeführt werden konnte.50

Auf dem Weg zur Macht

Nachdem das Reich trotz des Friedens von Brest-Litowsk nicht in der Lage war, das Kriegsblatt im Westen zu wenden, ebnete die unvermeidliche Niederlage den Sozialdemokraten den Weg zur Macht. Den Auftakt bildete die Forderung der OHL nach sofortiger Parlamentarisierung des Reichs, um den US-Präsidenten Wilson als Friedensvermittler für einen möglichst schonenden Frieden zu gewinnen, außerdem verlangte sie die Einbeziehung der SPD in die Regierung, um die befürchtete revolutionäre Bewegung zu kanalisieren. Daraufhin wurde am 3. Oktober 1918 eine neue Regierung mit zwei sozialdemokratischen Staatssekretären (= Ministern) unter Prinz Max von Baden als Reichskanzler installiert. Der preußische Landtag ersetzte das Dreiklassen-Wahlrecht durch das allgemeine Reichstags-Wahlrecht, und der Reichstag verabschiedete Ende Oktober die Verfassungsänderungen, die noch vor dem Novemberumsturz aus dem Kaiserreich einen parlamentarisch regierten Staat machten.

Doch die Revolution ließ sich nicht mehr aufhalten. Am 4.November wehten rote Fahnen über der deutschen Hochseeflotte, und von Kiel aus verbreitete sich die Aufstandsbewegung wie ein Flächenbrand durch ganz Deutschland, bis nach dem Sturz der regionalen Fürstenthrone nur noch die Berliner Zentralmonarchie übrig blieb, als deren Repräsentant der mittlerweile verhasste Wilhelm II auf dem Kaiserthron saß. Da die Sozialdemokratie die monarchische Staatsform erhalten wollte, plädierte Ebert für den Thronverzicht des Kaisers sowie des ebenso unbeliebten Kronprinzen und die Einsetzung eines vorläufigen Regenten, bis ein Enkel von Wilhelm II den Thron übernehmen könnte. Am 7. November richtete die SPD ein entsprechendes Ultimatum an die Regierung; es zielte „nicht auf die Etablierung republikanischer Verhältnisse …, sondern auf die Bewahrung der Monarchie mittels einer Hohenzollern-Regentschaft.“51

Schon am Tag darauf erzwang die ansteigende revolutionäre Flug das nächste Manöver. Am Vormittag des 9. November verkündete Max von Baden in Absprache mit Ebert und nach Gesprächen mit der OHL von sich aus den Thronverzicht des Kaisers und erklärte den SPD-Vorsitzenden zu seinem Nachfolger. „Ebert stimmte mit Prinz Max in dem Willen überein, einen Umsturz soweit wie möglich zu vermeiden und die Oktoberverfassung aufrechtzuerhalten.“52 Als letzten Ausweg zur Rettung der Monarchie vereinbarten die beiden, eine Nationalversammlung über die Staatsform entscheiden zu lassen, in der Hoffnung, dass die Wogen sich bis dahin geglättet haben würden.53

6. Der Junkerstaat in der Hand der SPD

Mit Eberts Ernennung zum Kanzler des Kaiserreichs hatte die SPD das von Bebel vorgegebene Ziel erreicht – sie hatte den Junkerstaat in ihre Gewalt bekommen. Ebert ließ die oberste Militärführung, d.h. die OHL und den preußische Kriegsminister, ebenso im Amt wie die für die Einhaltung des Kriegsrechts zuständigen Befehlshaber der Militärbezirke, insbesondere den für Berlin zuständigen Oberbefehlshaber in den Marken. Auch die bisherigen Mitglieder der Regierung wurden von ihm nicht entlassen. Zugleich erließ er als erste öffentliche Amtshandlung eine Bekanntmachung an die Behörden, in der er an die Staatsgesinnung der Beamten appellierte und sie aufforderte, auf dem Posten zu bleiben und der neuen Regierung zu dienen, damit das Volk nicht der Anarchie und dem Elend anheimfalle.54

Indessen dauerte dieser Zustand nur wenige Stunden. Als sich im Lauf des 9. November immer größere Arbeitermassen vor dem Reichstag versammelten, trat Philipp Scheidemann im Alleingang vor die Menschenmenge und rief, ohne das abgesprochen zu haben, zum ohnmächtigen Zorn Eberts und der übrigen Parteiführung von einem Fenster des Reichstags die Republik aus.55 Nachdem das einmal geschehen war, konnte es nicht mehr rückgängig gemacht werden, so dass an diesem Tag gegen den Willen der SPD die Monarchie endete und ein neuer Staat ins Leben trat.

Jedoch hatten sich nur die Umstände geändert und nicht das Machtkonzept der SPD. Sie setzte nunmehr alles daran, es bei einem bloßen Wechsel der Staatsbezeichnung zu belassen und die alten Strukturen im Gewand der Republik zu erhalten. Nur konnte sie dieses Ziel nicht mehr als legitime Reichsregierung verfolgen, weil durch Scheidemanns Alleingang Eberts Kanzlerschaft zu Ende gegangen war.

Zur gleichen Zeit übernahm die Rätebewegung die Herrschaft über Deutschland. In allen größeren Städten besetzten Arbeiter- oder Arbeiter- und Soldatenräte die Rathäuser, und das Heer, das wichtigste Instrument der Macht, gehorchte nicht mehr seinen Offizieren, sondern den gewählten Soldatenräten. Die Parteien, die nicht aus der Arbeiterbewegung kamen – das Zentrum, die Liberalen und die Konservativen –, standen völlig am Rand des Geschehens, denn die Soldaten und Arbeiter erkannten nur die beiden sozialdemokratischen Parteien als Autoritäten an.

Gemäß den Forderungen der Rätebewegung bildeten die Führungen von (M)SPD und USPD am 10.November als neue Revolutionsregierung einen „Rat der Volksbeauftragten“ aus je drei Mitgliedern der (M)SPD und der USPD; die alte Regierung blieb als nachgeordnete Instanz im Amt. Formal waren alle Volksbeauftragten gleichberechtigt. Aber den mehrheitssozialdemokratischen Volksbeauftragten mit Ebert an der Spitze, der je nach Gelegenheit auch wieder als „Kanzler“ firmierte, fiel es nicht schwer, die Vertreter der USPD an die Wand zu spielen. Nicht viel schwerer war es, auch mit der Spartakusgruppe/KPD fertig zu werden, die gemäß ihrer Revolutionsstrategie daran ging, den Sozialismus mit revolutionärer Gewalt zu erkämpfen.

USPD und Spartakus/KPD

Die USPD war eine diffuse Massenorganisation, deren kleinster gemeinsamer Nenner die Gegnerschaft gegen den Krieg war; ihre Mitgliedschaft reichte von Bernstein über Kautsky bis zur Spartakusgruppe. Erst anderthalb Jahre vorher von der SPD abgespalten, betrachtete sie die Burgfriedenspolitik der SPD als „Verrat“ und wollte zurück zur alten Bebelpartei mit ihren Grundsätzen. Ihre Führung besaß kein politisches Konzept und wusste mit der Macht, die ihr die Arbeitermassen in die Hand gedrückt hatten, nichts anzufangen. Von Anfang an zwischen einem linken und einem rechten Flügel zerrissen, schloss sich 1921/22 eine knappe Mehrheit der USPD-Mitglieder der KPD an, der Rest ging zurück zur SPD.

Anders als die USPD besaß die Spartakusgruppe ein Revolutionsprogramm, nämlich das im wesentlichen von Rosa Luxemburg entworfene sog. „Oktoberprogramm“.56 In der Überzeugung, dass es nur eines Funkens bedurfte, um die Massen für die soziale Revolution zu begeistern, ähnelte es einer Agitationsschrift, die mit flammenden Worten dazu aufrief, eine sozialistische Republik zu errichten. Da die angekündigte proletarische Diktatur mit dem Übergang zu einer gesellschaftlichen Produktionsweise verknüpft war, verlangte das Programm u.a. die „Enteignung alles Groß- und Mittelgrundbesitzes“. Damit erklärte es faktisch dem gesamten Kleinbürgertum den Krieg, voran der aus Mittelbauern bestehenden Masse der Bauernschaft. Es war das Konzept einer proletarischen Alleinrevolution nicht nur gegen die herrschenden Gewalten, sondern auch gegen die nichtproletarischen Teile des Volkes. An seinem unvermeidbaren Scheitern konnte auch die Gründung der KPD am 30. Dezember 1918 nichts ändern, denn Sieg oder Niederlage der Revolution war nicht in erster Linie eine Frage der Organisation, sondern der politischen Programmatik.

Die Konzeption der SPD-Führung

Im Unterschied zu den anderen Kräften verfügte die sozialdemokratische Führung über ein realitätstaugliches Handlungskonzept, das sich in den Vorkriegsjahren herausgebildet hatte, ohne irgendwo schriftlich fixiert worden zu sein. Es knüpfte an die weit vorangeschrittene Identifizierung mit dem preußisch-deutschen Staat an und zielte auf dessen Fortführung unter sozialdemokratischer Herrschaft. Helga Grebing schreibt dazu: „Die SPD war 1918/19 nicht in der Lage, die gesellschaftlichen und bewusstseinsmäßigen Grundlagen für den neuen Staat zu schaffen. Sie besaß keine alle Bereiche von Staat und Gesellschaft umfassende Konzeption sozialdemokratischer Politik und zeigte sich in vom monarchisch-autoritären Staat geprägten Ordnungsvorstellungen befangen“.57

Mit der Feststellung, dass die Sozialdemokratie monarchisch-autoritären Ordnungsvorstellungen anhing, gehört die Historikerin zu den Wenigen, die auf diese Tatsache aufmerksam machen. Auch ist unbestreitbar, dass die SPD für die fehlende Fundierung der Republik verantwortlich war. Allerdings ist die Ursache für diese Politik nicht in einer mangelhaften Konzeption zu suchen. Im Gegenteil bestand die Konzeption der SPD darin, den monarchisch-autoritären Obrigkeitsstaat beizubehalten. Die Parteiführung hatte gar nicht die Absicht, die „gesellschaftlichen und bewusstseinsmäßigen Grundlagen“ für einen neuen Staat zu schaffen, sondern ihr Ziel war es, den „einzigartigen“ – weil halbabsolutistischen und nicht vom Kapital dirigierten – preußisch-deutschen Junkerstaat unter ihrer Regierung fortzuführen.

Unter dieser Maßgabe lag es nahe, die im Krieg begonnene Kooperation mit dem durch die Kriegsniederlage geschwächten Militäradel fortzusetzen, weil dieser keine ernsthafte Herrschaftskonkurrenz mehr darzustellen schien. Die Junker auf der anderen Seite mussten das Zusammengehen mit der SPD-Führung suchen, weil sie nur so hoffen konnten, die Revolution zu überstehen. In Erwartung des kommenden Sturms hatte die OHL ihren stellvertretenden Vorsitzenden Ludendorff bereits Ende Oktober durch Wilhelm Groener ersetzt, der als Vorsitzender des Kriegsamts unter allen hohen Militärs über die besten Beziehungen zu den sozialdemokratischen Führungskräften verfügte und Ebert gleich nach Bildung des Rats der Volksbeauftragten militärischen Beistand anbot. Am 10.November schlossen die beiden das Abkommen zur wechselseitigen Unterstützung, das als Ebert-Groner-Pakt in die Geschichte eingegangen ist.

Neben dem gemeinsamen Interesse, die Revolutionsbewegung zu zerschlagen, hatte das Bündnis auch militärpolitische Gründe. Nachdem die SPD sich als nationale Arbeiterpartei vier Jahre lang für den Sieg Preußen-Deutschlands eingesetzt hatte, war das Ziel der Parteiführung nach der Kriegsniederlage, den schnellstmöglichen Wiederaufstieg des Reichs zu erreichen. Für den Aufbau der dazu erforderlichen Militärmacht bot der traditionell mit dem Kriegshandwerk vertraute preußische Militäradel die beste Gewähr.

Die Rätebewegung auf verlorenem Posten

Vom 16.-20.Dezember 1918 tagte in Berlin der Rätekongress, die Zentralversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte. Er verfügte faktisch über die Macht in Deutschland; die Volksbeauftragten waren von ihm abhängig und konnten nur im Rahmen der von ihm gesteckten Grenzen tätig werden. Die Beschlüsse, die dort gefasst wurden, reichten von der „Zertrümmerung des Militarismus“, der Entwaffnung der Gegenrevolution und dem Aufbau einer republikanischen Volkswehr bis hin zur Sozialisierung aller „hierzu reifen Industrien“ insbesondere des Bergbaus. Sie bezweckten nicht die Errichtung des Sozialismus. „Ein ernster Wille, sozialistische Maßregeln durchzuführen, zeigte sich im Reich bei den revolutionären Massen eigentlich nirgends. Solche Absichten wären schon durch die Haltung der Soldaten verhindert worden, deren Mehrheit nicht sozialistisch war, entsprechend der politischen Zusammensetzung des deutschen Volkes.“58

Vielmehr zielten die Arbeiter- und Soldatenräte auf eine durchgreifende Demokratisierung der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Dem entsprach die Entscheidung über die künftige Staatsform, die der Kongress zu treffen hatte. Vor die Wahl gestellt zwischen einem Rätesystem und einer Nationalversammlung, die eine parlamentarische Ordnung ausarbeiten sollte, entschieden sich die Rätevertreter mit großer Mehrheit für die Nationalversammlung und damit für eine parlamentarische Demokratie.

Die sozialdemokratische Führung hatte vergeblich versucht, insbesondere die Resolution zur Militärfrage zu verhindern, weil sie dem Zusammengehen mit dem Junkertum im Wege stand. Aber obwohl die Räteabgeordneten sich mehrheitlich der SPD zurechneten, war ihr das nicht gelungen, sondern hatte der Kongress mit übergroßer Mehrheit ein demokratisches Militärprogramm verabschiedet, das sich explizit gegen die preußische Heeresverfassung richtete. Insgesamt formulierten die Beschlüsse „ein Programm, das gegen die überkommenen Machteliten in Regierung, Verwaltung, Militär und in zunehmendem Maße auch gegen die SPD-Führung und Gewerkschaftsbürokratie verwirklicht werden musste.“59

Hätten Spartakus/KPD ein realistisches Bild der Klassen- und Herrschaftsverhältnisse besessen, wären die Forderungen des Rätekongress ein entscheidender Ansatzpunkt gewesen, um die in Gang befindliche bürgerlich-demokratische Revolution durchzusetzen. Zu ergänzen waren sie um die Zerschlagung des Großgrundbesitzes sowie die Bereitschaft, ihn an Landarbeiter und Kleinbauern zu verteilen. Ebenso gehörte dazu eine Eigentumsgarantie für die Masse der Bauernschaft sowie das städtische Kleinbürgertum sowie der Wille, seine Verbündeten an der Macht zu beteiligen anstatt zu versuchen, eine proletarische Alleinherrschaft zu errichten. War man auf dem Boden dieser Strategie an die Macht gelangt, konnte man zu einem späteren Zeitpunkt auf friedlichem Weg zum Sozialismus übergehen, gestützt auf die Staatsmacht und den schwerindustriellen Staatssektor der Wirtschaft. Aber das stand erst in einer zweiten Etappe an und war jetzt nicht absehbar.

Ein derartiges Konzept konnte und musste kein fertiges Parteiprogramm sein. Maßgeblich war der Grundgedanke, dass es um die Vollendung der bürgerlichen Revolution unter Führung des Proletariats ging. Die konkrete Ausfüllung dieses Gedankens musste in der gesellschaftlichen Praxis erfolgen. Doch Spartakus und KPD verfolgten eine grundsätzlich andere Strategie. Ausgehend von der objektiven Reife Deutschlands für den Sozialismus waren sie der Überzeugung, dass die gegebene revolutionäre Situation dafür jetzt die subjektiven Voraussetzungen geschaffen hatte und riefen deshalb zur Errichtung einer proletarischen Diktatur auf. Das machte es der SPD-Führung leicht, unter der Parole der Abwehr des Bolschewismus alle Kräfte der Konterrevolution zu mobilisieren, die Aufstandsversuche der Revolutionäre niederzuschlagen und die stattfindende demokratische Umwälzung abzuwürgen.

Umgang mit Armee und Verwaltung

Als der Rätekongress stattfand, hatte Ebert bereits Wochen vorher das Bündnis mit dem Militäradel geschlossen, das den Staat fundieren sollte. Wenige Tage danach hatte Legien als Gewerkschaftsvorsitzender mit der Schwerindustrie das Stinnes-Legien-Abkommen vereinbart, das gegen soziale Konzessionen und die Zusage künftiger Sozialpartnerschaft (Zentrale Arbeitsgemeinschaft) den Schutz vor einer Sozialisierung zusicherte. Nach Maßgabe dieser Vereinbarungen agierte die sozialdemokratische Führung in den kommenden Wochen und Monaten. Gegenüber ihren Kritikern erklärte sie, dass das Land aufgrund des Kriegs nicht reif für den Sozialismus sei, denn um die schwierige Versorgungslage nicht zu verschlechtern, dürften keine Eingriffe in Wirtschaft und Verwaltung erfolgen. So verhinderte sie die Enteignung der Schwerindustrie sowie die Durchführung einer Agrarreform.

Unter „Mißachtung des deutlichen Willens der Soldatenräte, das deutsche Heer zu demokratisieren und alle dieser Intention entgegengerichteten Kräfte auszuschalten“, unterbanden die Volksbeauftragten und nach ihnen die Scheidemann-Regierung alle Ansätze zur Schaffung einer demokratisch-republikanischen Armee; die existierenden republikanischen Schutztruppen wurden wieder aufgelöst.60 Stattdessen sorgte der von der SPD-Führung hierfür eingesetzte Gustav Noske zunächst als Volksbeauftragter und dann als Reichswehrminister für den raschen Aufbau der Reichswehr unter dem Kommando des alten Offizierskorps. In der Übergangszeit ließ er Söldnertruppen in Gestalt der Freikorps aufstellen, die zusammen mit den ersten Reichswehreinheiten die in der Revolution entstandenen lokalen Räterepubliken niederschlugen und nach dem Kapp-Putsch ein Blutbad unter den aufbegehrenden Arbeitern im Ruhrgebiet anrichteten; dasselbe geschah mit den Landarbeitern in Mecklenburg und Pommern. Außerdem kamen die Freikorps im Baltikum zum Einsatz, wo die SPD-Führung versuchte, mit ihrer Hilfe die Machtpolitik des Vertrags von Brest-Litowsk fortzusetzen, bis die Entente sie dazu zwang, die Söldnerverbände zurück zu ziehen.

Die in der Novemberrevolution allerorten entstandenen Arbeiterräte, die auf kommunaler Ebene die Kontrolle der Verwaltung übernommen hatten, baute die SPD-Führung „Schritt für Schritt ab und beraubte sich damit selbst eines zuverlässigen Instruments zur demokratischen Durchdringung und Kontrolle des Verwaltungsapparats.“61 Die Weimarer Reichsverfassung schrieb dann zusammen mit der Unverletzlichkeit der „wohlerworbenen Rechte“ der Beamten das Berufsbeamtentum auf Lebenszeit fest, so dass der junkerliche Obrigkeitsstaat mit seinem Verwaltungsgerüst auch von Verfassung wegen ungebrochen fortexistieren konnte. Das gleiche gilt für die Justiz.

Zu dieser Politik gehörte schließlich die Erhaltung des Landes Preußen. Obwohl es seit 1848 Konsens aller fortschrittlichen Kräfte – Liberale wie Sozialisten – gewesen war, Preußen in einem demokratischen Deutschland nicht nur wegen seines reaktionären Charakters, sondern schon wegen seiner erdrückenden Größe zu zerschlagen, verhinderte die SPD dies, weil sie nach den Wahlergebnissen der Vorkriegszeit davon ausging, dass sie in der nördlichen Hälfte Deutschlands dauerhafte Mehrheiten erhalten würde. Bis 1918 als deutscher Hegemonialstaat in der Hand des Junkertums, sollte Preußen nun den Sozialdemokraten als Machtrückhalt dienen. Mehr als ein Jahrzehnt lang ging dieses Kalkül auch auf – bis die Reichswehr im Juli 1932 auf Befehl von Reichskanzler und Reichspräsident die sozialdemokratische Landesregierung mit dem „Preußenschlag“ aus dem Amt jagte.

1848 und 1918

Im Ergebnis blieb die Novemberrevolution wie die Revolution von 1848 eine unvollendete bürgerliche Revolution. Wie ihre Vorgängerin überrannte sie die alte Ordnung im ersten Anlauf, war aber nicht in der Lage, ihren Sieg zu festigen. 1848 war es die preußische Militäraristokratie selber gewesen, die nach einem vorübergehenden Rückzug den Gegenangriff organisiert, die Revolution in Blut erstickt und die Gründung einer deutschen Republik verhindert hatte. Diesmal erfolgte der Gegenangriff im Namen der Republik und mit Hilfe des alten Offizierskorps unter der Regie der SPD. Der neue Staat ging nicht aus der Revolution hervor, sondern aus einer von der SPD organisierten Konterrevolution.

Zur Charakterisierung dieser Sozialdemokratie prägte die Komintern 1924 den Begriff des „Sozialfaschismus“. Darin spiegelte sich die Ahnung, dass die SPD mit der Begrifflichkeit als (bürgerlich-) reformistische Arbeiterpartei nicht zu fassen war, sondern dass sie zu den Kräften der alten Ordnung gehörte. Schließlich wurde der im Gewand der Republik weiter existierende Junkerstaat nicht nur vom Militäradel und der Schwerindustrie getragen, sondern auch von der Sozialdemokratie – mit der Konsequenz, dass die nach wie vor ausstehende Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution sich auch gegen sie richten musste. Das Problem war indessen, dass Komintern und KPD trotz zwischenzeitlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich an der Sozialismusstrategie festhielten und der Begriff des Sozialfaschismus eine unzutreffende Gleichstellung von Sozialdemokratie und aufsteigender NS-Bewegung suggerierte.

Am Ausgang des Kriegs hatten die Sozialdemokraten in der Überzeugung, die alten Mächte beherrschen zu können, den von ihr übernommenen Junkerstaat mit dessen ehemaligen Herren gegen den Ansturm der Revolution gerettet. Es sollte nicht lange währen, bis sich diese Überzeugung als Illusion entpuppte und sie sich in der Rolle des Goetheschen Zauberlehrlings wiederfanden, der die von ihm gerufenen Geister nicht mehr los wird. Nachdem die alten Mächte ihre Positionen im Lauf der 20er Jahre immer weiter gefestigt hatten und seit Anfang der 30er Jahre keine Regierung mehr ohne das Plazet der Reichswehrführung installiert werden konnte, ernannte der junkerliche Reichspräsident ein halbes Jahr nach dem Preußenschlag Adolf Hitler zum Reichskanzler. Anschließend trug der Nationalsozialismus mit den Überresten der Weimarer Republik auch die SPD zu Grabe.

Schlussbemerkung zur marxistischen Geschichtsschreibung

Bis auf wenige Ausnahmen haben die Marxisten die Novemberrevolution bisher auf dem Boden beurteilt, den die Vorkriegs-SPD Bebels und Kautskys ihnen hinterlassen hat. Das heißt, sie haben die andauernde Vormachtstellung des preußischen Junkertums negiert und im Kaiserreich eine bürgerliche Herrschaft unterstellt, mit der Konsequenz, dass der Übergang zum Sozialismus zum Maßstab ihres historischen Urteils wurde.

In der Logik dieses Maßstabs konnte man die Kriegs- und Nachkriegspolitik der SPD nur als „Verrat“ begreifen – es musste der Reformismus gewesen sein, der sich der Arbeiterpartei hinterrücks bemächtigt und den Verrat am Sozialismus organisiert hatte. Das Gegenstück dazu war der unumstößliche Glaube an die seinerzeitige Aktualität des Sozialismus, weshalb das Scheitern der revolutionären Linken in der Novemberrevolution nicht ihrer fehlerhaften Strategie geschuldet sein konnte, sondern andere Gründe gehabt haben musste. In der Regel war dies die zu späte Gründung einer revolutionären Partei – also eine Organisationsfrage. Als Resultat konnte die Geschichtsschreibung nur eine Fortsetzung der Niederlage von 1918/19 sein, die dem praktischen Scheitern von damals das theoretische Scheitern von heute hinzu fügte.

Vor allem die in der DDR betriebene Historiographie hat dieses Bild zementiert. Zwar ließ die SED nach dem 2.Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone durch die Bodenreformkampagne „Junkerland in Bauernhand“ das Land der Großgrundbesitzer an Landarbeiter und arme Bauern verteilen, setzte also in der gesellschaftlichen Praxis das Gegenteil der Sozialismusstrategie von Spartakus und KPD um.62 Doch erfolgte diese Revision ehemals eherner Überzeugungen, ohne die dadurch aufgeworfenen Widersprüche zu klären.

Zehn Jahre später gab es aus Anlass des 40. Jahrestags der Novemberrevolution noch einmal eine längere Debatte über den Charakter der Revolution von 1918/19, in deren Verlauf dieselben Fragen zum Verhältnis von bürgerlicher und sozialistischer Revolution auftauchten, die sich bei jeder näheren Beschäftigung mit den Ereignissen stellen.63 Doch anstatt ihnen diesmal auf den Grund zu gehen, beendete die SED-Führung die Auseinandersetzung durch eine nichtssagende Definition, die sämtliche Probleme verwischte und die Diskussion darüber endgültig beerdigte.64 Und auch der Untergang der DDR führte bislang nicht dazu, die Wurzeln der kommunistischen Bewegung in der Bebel-SPD und der Novemberrevolution näher zu untersuchen, um von hier aus einen neuen Zugang zur eigenen Geschichte zu erschließen.

Wie aber soll der Sozialismus neue Überzeugungskraft gewinnen, geschweige denn wieder zur Theorie der Revolution werden, wenn er mehrfach hintereinander schwere Niederlagen erlitten hat und bis heute außerstande war, eine befriedigende Erklärung für diese Niederlagen zu finden? Deshalb ist zu wünschen, dass der hundertste Jahrestag der Novemberrevolution den Anstoß gibt, sich eingehender mit einem Ereignis auseinanderzusetzen, das nicht nur maßgeblich war für die Geschichte Deutschlands, sondern auch für das Schicksal der sozialistischen Arbeiterbewegung.

Literatur:

Beer, Max: Krieg und Internationale; Wien 1924

Bernstein, Eduard: Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie; Reinbek b. Hamburg 1969 (Erstauflage 1899)

Carsten, Francis Ludwig: August Bebel und die Organisation der Massen; Berlin 1991

Carsten, Francis Ludwig: Eduard Bernstein 1850–1932. Eine politische Biographie; München 1993

Faulenbach, Bernd: Geschichte der SPD. Von den Anfängen bis zur Gegenwart; München 2012

Grebing, Helga: Arbeiterbewegung: sozialer Protest und kollektive Interessenvertretung bis 1914; München 1985

Grebing, Helga: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Ein Überblick; München 1970

Groh, Dieter: Negative Integration und revolutionärer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkriegs; Frankfurt/M-Berlin-Wien 1974

Heiss, Gernot und Lutz, Heinrich (Hrsg): Friedensbewegungen: Bedingungen und Wirkungen; München 1984

Herrmann, Ursula (als Leiterin eines Autorenkollektivs): August Bebel. Eine Biographie; Berlin (Ost) 1989

Huber, Ernst Rudolf: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914-1919; Stuttgart 1978

Karuscheit, Heiner: Deutschland 1914. Vom Klassenkompromiss zum Krieg; Hamburg 2014

Karuscheit, Heiner: Die verlorene Demokratie. Der Krieg und Republik von Weimar; Hamburg 2017

Kautsky, Karl: Das Erfurter Programm. In seinem grundsätzlichen Teil erläutert von Karl Kautsky; Stuttgart 1919 (Erstauflage 1892)

Kautsky, Karl: Der Weg zur Macht. Politische Betrachtungen über das Hineinwachsen in die Revolution, hrsg. und eingeleitet von Georg Fülberth; Frankfurt 1972 (Erstauflage 1909)

Klönne, Arno: Die deutsche Arbeiterbewegung. Geschichte, Ziele, Wirkungen; München 1989

Kluge, Ulrich: Soldatenräte und Revolution: Studien zur Militärpolitik in Deutschland 1918/19, Göttingen 1975

Kolb, Eberhard: Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918-1919 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 23); Düsseldorf 1962

Kolb, Eberhard und Schumann, Dirk: Die Weimarer Republik (Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Band 16); München 2013

Luxemburg, Rosa: Gesammelte Werke, Berlin 1982

Mommsen, Hans: Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar. 1918-1933; Berlin 2009

Potthoff, Heinrich und Miller, Susanne: Kleine Geschichte der SPD. 1848–2002; Bonn 2002

Revolutionäre deutsche Parteiprogramme. Vom Kommunistischen Manifest zum Programm des Sozialismus, hrsg. und eingeleitet von Lothar Berthold und Ernst Diehl; Berlin (Ost) 1967

Rosenberg, Arthur: Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik (Teil 1 und 2 in einem Band); Frankfurt/M 1983

Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte Band 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten (1914 bis 1949); München 1995

Wette, Wolfram: Gustav Noske. eine politische Biographie; Düsseldorf 1987

Wette, Wolfram: Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur; Frankfurt/M 2008

Wette, Wolfram (Hrsg): Schule der Gewalt. Militarismus in Deutschland 1871 bis 1945; Berlin 2005

Winkler, Heinrich August: Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924; Berlin und Bonn 1985

1 Protokoll des SPD-Parteitags 1910, S. 250

2 Die hier gemachten Ausführungen stützen sich auf die Veröffentlichungen des Autors Deutschland 1914 – Vom Klassenkompromiss zum Krieg (VSA, Hamburg 1914) sowie Die verlorene Demokratie – Der Krieg und die Republik von Weimar (VSA, Hamburg 1917)

3 Kautsky 1919

4 Kautsky 1972, S. 18

5 Ausführlich hierzu: Karuscheit 1914, S. 13 – 40, 90 – 121

6 Jenaer Parteitag 1905, Protokoll S. 292 und 294

7 Faulenbach, S. 31

8 Bernstein war selber der Hauptautor des zweiten, „praktischen“ Teils des Programms mit seiner bloßen Aufzählung verschiedener Forderungen gewesen.

9 Eine Zusammenfassung von Bernsteins Auffassungen findet sich im Internet: Nikolaus Kowall: Sozialdemokratischer Revisionismus. Theoretische Eckpfeiler des Bernsteinschen Sozialismusentwurfs (Juli 2009): >http://kowall.me/wp-content/uploads/2011/03/Sozialdemokratischer-Revisionismus.pdf<

10 Bernstein, S. 121

11 Bernstein, S. 10

12 Bernstein, S. 147 ff, 156

13 Resolution in: Grebing 1985, S. 157 f

14 Klönne: Die deutsche Arbeiterbewegung vor 1914 – eine Friedensbewegung? In: Heiss/Lutz, S. 140

15 Kautsky 1972, S. 18-20; Hervorhebung durch Kautsky

16 Ebda, S. 109

17 Luxemburg GW Bd.1, Erster Halbbd, S. 400

18 Wette 2008, S. 50

19 Wette 2008, S. 64

20 Manfred Messerschmidt: Preußens Militär in seinem gesellschaftlichen Umfeld; zitiert in: Wette 2008, S. 63

21 Arno Klönne bemerkte 1984 hierzu, dass der historische Vorgang der „preußischen Umerziehung“ zunächst widerstrebender Kräfte in Deutschland noch keineswegs hinreichend erforscht worden ist. (Klönne: Die deutsche Arbeiterbewegung vor 1914 – eine Friedensbewegung? In: Heiss/Lutz, S. 145, Anm. 16) Auch wenn seither einige Arbeiten zu diesem Thema erschienen sind (z.B. von W. Wette), kann diese Feststellung, zumindest was die Arbeiterbewegung angeht, nur bestätigt werden. Die vorliegende Arbeit kann eine solche Untersuchung nicht ersetzen.

22 Grebing 1985, S. 81

23 Klönne: Die deutsche Arbeiterbewegung vor 1914 – eine Friedensbewegung? In: Heiss/Lutz, S. 145

24 Grebing 1970, S. 134

25 Klönne: Die deutsche Arbeiterbewegung vor 1914 – eine Friedensbewegung? In: Heiss/Lutz, S. 148

26 Vorwort von 1891/92 zu „Der Sozialismus in Deutschland“, MEW 22, S. 245-260

27 Beer, S. 52

28 Protokoll des Bremer Parteitags 1904, S. 211

29 Die preußische Armee zog nur einen Teil der Wehrpflichtigen ein, bevorzugt solche vom Land, weil sie den Einfluss der SPD auf die städtischen Rekruten fürchtete. Die Forderung nach Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht sollte den Anteil der Arbeiter-Soldaten im Heer erhöhen.

30 Bernhard Neff: „Dekorationsmilitarismus“. Die sozialdemokratische Kritik eines vermeintlich nicht kriegsgemäßen Militärwesens (1890-1911); in: Wette 2005, S. 99

31 Wette 2008, S. 67

32 Zitiert in Wette 1987, S. 71

33 Protokoll des Essener Parteitags 1907, S. 254

34 Beer, S. 56

35 Zitiert in: Wette Militarismus, S. 77

36 Michael Vogt: Vom Staatssozialismus zum Sozialstaat. Zur Geschichte des Sozialstaats in Deutschland; in: AzD 50 (Mai 1990), S. 13 ff

37 Die bis heute stattfindenden „Sozialwahlen“ zu den Selbstverwaltungsorganen der Krankenkassen und der Rentenversicherung sind eine Folge dieses Politikversuchs.

38 Potthoff/Miller 2002, S. 66

39 Klönne: Die deutsche Arbeiterbewegung vor 1914 – eine Friedensbewegung? In: Heiss/Lutz, S. 141

40 zitiert in: Faulenbach, S. 29 f

41 Zitiert in: Klönne, S. 110

42 „Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiter-Assoziation“; nach dem Vorwort von Engels zur Ausgabe von 1872 des „Kommunistischen Manifest“; MEW 18, S. 95

43 MEW 22, S. 234

44 Protokoll des Magdeburger Parteitags der SPD 1910, S. 250

45 Kurz vor dem Fall der DDR erschien 1989 in Ostberlin eine umfangreiche Bebel-Biographie, verfasst von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Ursula Herrmann und Volker Emmrich – eine nichtssagende, alle Widersprüche verkleisternde Heldenbiographie. Die politische Inhaltsleere dieses Werks von 750 Seiten fällt umso mehr auf, wenn man eine sozialdemokratische Autorin wie Helga Grebing dagegen hält, die mehrfach kritisch auf die pro-preußischen Tendenzen Bebels hinweist.

46 Klönne, S. 123, unterscheidet sogar sechs verschiedene Strömungen, von denen hier nur die politisch bedeutsamsten behandelt werden.

47 Potthoff/Miller 2002, S. 72

48 Kluge 1975, S. 19 ff

49 Klönne: Die deutsche Arbeiterbewegung vor 1914 – eine Friedensbewegung? In: Heiss/Lutz, S. 150

50 Zu den noch weithin unaufgeklärten Hintergründen der Julikrise 1917: Karuscheit 1917, S. 60 ff

51 Kluge, S. 65

52 Mommsen, S. 36

53 In Russland hatte die bürgerliche Partei der Kadetten ein Jahr vorher nach dem gleichen Muster manövriert, um die Monarchie zu retten.

54 Eine präzise Darstellung der Ereignisse des 9. November auf Seiten der Regierung und des Militärs gibt: Huber, S. 675 ff. In manchen Geschichtswerken findet die kurzfristige Kanzlerschaft Eberts keine Erwähnung, obwohl sie für das Verständnis der Ereignisse zentral ist, weil der Verlauf der Machtübernahme durch den SPD-Vorsitzenden unter Beweis stellt, wie überlegt die sozialdemokratische Führung handelte – nicht im Sinne eines vorab festgelegten Fahrplans, aber im Sinne klarer Vorstellungen über ihre Ziele.

55 Huber, S. 691. Mit seiner eigenmächtigen Aktion isolierte sich der schon vorher wegen seiner Sprunghaftigkeit gefürchtete Scheidemann in der Parteiführung vollständig. Zwar wurde er aufgrund seines öffentlichen Renommees noch für einige Monate zum ersten Regierungschef der Republik gemacht, musste seine politische Laufbahn dann jedoch als Oberbürgermeister von Kassel fortsetzen.

56 Abgedruckt in: Revolutionäre Deutsche Parteiprogramme, S. 101 ff

57 Grebing 1970, S. 152

58 Rosenberg 1, S. 239

59 Kluge, S. 357

60 Kluge, S.265

61 Zu den Arbeiterräten: Kolb 1962; Zitat S. 408

62 Hauptsächlich kam die Bodenreform auf Druck der sowjetischen Besatzungsmacht zustande.

63 Zur damaligen Debatte in der SED: Karuscheit 1917, S. 118 ff, 243 f

64 Der Kernsatz der Resolution lautete, dass die Novemberrevolution „eine bürgerlich-demokratische Revolution“ gewesen sei, die „in gewissem Umfang mit proletarischen Mitteln und Methoden durchgeführt wurde“. Diese Formulierung ließ einfach offen, ob die Novemberrevolution die Epoche der bürgerlichen Revolution in Deutschland beendet hatte oder nicht. Ebenso wurde jede Aussage zur Sozialismusstrategie von Spartakus/KPD vermieden.