Von Dieter Pentek
Vorbemerkung
Der folgende Aufsatz wurde 1999 als Erwiderung auf den Artikel des Genossen Schröder zum Krieg in Jugoslawien in der AzD 68 geschrieben und an die Redaktion gesandt. Ein Abdruck ist in der AzD 69, November 2000 erfolgt. Eine dort vorhandene Einleitung habe ich gestrichen, da sie mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun hat.
Eingraben
Die Schwierigkeiten des Genossen Schröder lassen sich an Hand seiner ersten und wichtigsten Schlußfolgerung aus dem Jugoslawienkrieg erklären. „Ein neues Zeitalter der ‚Kabinettskriege‘ um Einflußsphären, Handelsverträge und Rohstoffe kündigte somit der letzte Jugoslawienkrieg als mögliche künftige Außenpolitik der führenden kapitalistischen Staaten für das beginnende 21.Jahrhundert an, eine autoritäre Form der „angelsächsischen Republik“ erscheint als mögliches innenpolitisches Pedant.“ Wer fühlt sich bei Kriegen um Einflußsphären, Handelsverträge und Rohstoffe nicht an Lenins Imperialismustheorie erinnert?
Der Genosse Schröder betrachtet alles aus dem Blickwinkel der Vergangenheit. Der Übergang von der Wehrpflichtarmee zur Berufsarmee ist für ihn die Rückkehr ins Zeitalter der Kabinettskriege. Zu jener Zeit, zur Zeit des Absolutismus, haben sich die Souveränen tatsächlich wegen Einflußsphären, Rohstoffe und Handelsverträge bekriegt, aber auf was für einem Unterbau? Sie herrschten über Bauern, ihre Ökonomie, ihre Gesellschaft beruhte auf der Bauernschaft. Der vehemente Verteidiger des Marxismus gegen ökonomische Verflachung Genosse Schröder muß trotz allem zur Kenntnis nehmen, das heute in den führenden kapitalistischen Staaten eben eine kapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsform besteht, also etwas vollständig anderes. Auf dieser Basis Kabinettskriege gegeneinander zu führen, selbst bei autoritärster Gestaltung der angelsächsischen Republik, wäre nur möglich, wenn man den Massen wie den damaligen Bauern ihre nationale Identität nehmen würde. Doch auf was soll sich die Republik dann gründen? Jede Republik oder Demokratie des Bürgertums beruht auf ihrer nationalen Identität. Das Preußen Friedrichs II. beruhte auf der Monarchie, auf den Hohenzollern, nicht auf der preußischen Nation. Nur wenn die Untertanen, die Massen, den Herrschern indifferent gegenüberstehen, können diese Krieg spielen, abseits, auf der Wiese. Solange es Nationalstaaten der Bourgeoisie gibt, solange wird ein Krieg der Kapitalisten untereinander nur als Krieg gegen die Massen möglich sein.
Was der Genosse Schröder nicht berücksichtigt, ist, das erstmals in der Geschichte der Kapitalismus als Gesellschaftsformation keinen Gegner mehr hat. Der Feudalstaat junkerscher Prägung ist verschwunden, der Faschismus beseitigt, seine Grundlagen ebenfalls. Der Angriff der Kommunismus ist zunächst einmal abgewehrt. Ob Großbritannien oder Frankreich, Deutschland, Italien oder die USA – der Kapitalismus hat sich als Gesellschaftsverhältnis durchgesetzt und braucht kaum noch äußere Feinde fürchten. Unter diesen Umständen ist es nur logisch, die Aufrechterhaltung bewaffneter Massen, die noch dazu motiviert werden müssen, in Frage zu stellen. Das Kapital löst diese Frage eben auf der ihm eigenen Art: Schaffung von Berufsarmeen, Leistung gegen Bezahlung.
Genosse Schröder sieht dies aber nur aus dem Blickwinkel der Außenpolitik und verdammt alles andere als ökonomische Verflachung des Marxismus. Sein Blickwinkel führt aber in die Zeit vor 1914, in die Zeit eines Bismarcks, bestenfalls in die Weimarer Republik (1919-1933). Von hier aus sieht er die außenpolitischen Kämpfe um Einflußsphären, Rohstoffe usw ohne zu berücksichtigen, das heute keine gesellschaftlich anders strukturierten Kräfte mehr miteinander konkurrieren, sondern sich alles im Rahmen des Kapitalverhältnisses abspielt. Willkommen im Kapitalismus, Genosse Schröder!
Kriegführung
Natürlich wird es unter den kapitalistischen Nationen Auseinandersetzungen geben, doch diese werden nicht kriegerischer Art sein. Welches Interesse sollte z.B. Deutschland haben, gegen Frankreich oder Italien einen Krieg um Einflußsphären, Rohstoffe und Handelsverträge zu führen? Oder sieht der Genosse Schröder dies in einem Weltmaßstab? USA gegen Europa, doch die ostasiatische Wohlstandssphäre bringt die Entscheidung für die Ausbeutung der Goldminen am Kap? So sehr der Genosse Schröder auch gegen die ökonomische Verflachung des Marxismus wettert, so früh kommt er selbst schon darauf zurück. Krieg um „Einflußsphären, Handelsverträge und Rohstoffe.“ Was ist das, wenn nicht plattester Ökonomismus?
Und wie sollte ein solcher Krieg aussehen? Die schnelle Eingreiftruppe der Bundeswehr besetzt Paris, und Frankreich kapituliert? Die Luftschlacht über den Alpen entscheidet, ob Deutschland Italien oder Italien Deutschland bombardiert?
Erst wenn die kapitalistischen Staaten von sich aus wieder beginnen, ihre Massen zu bewaffnen, heißt es aufgepaßt.
Jugoslawien-Krieg
Das die USA im Kosovo keine relevanten ökonomischen Interessen haben, das die deutsche Industrie keinen Krieg in Jugoslawien will – völlig unbestreitbar. Das die USA in den Kosovo-Krieg eingestiegen sind, um ihre Führungsposition in Europa vermittels der NATO zu untermauern – das festzustellen bedarf es nur dreier Zeilen. Daraus abzuleiten: „Der Zerfall der bipolaren Weltordnung hat die Widersprüche zwischen den führenden kapitalistischen Staaten weiter anwachsen lassen. Mit der Umstrukturierung ihrer Armeen zu Söldnerbanden wächst die Wahrscheinlichkeit, daß diese Konflikte in den kommenden Jahren kriegerischen Charakter annehmen.“ ist Unfug. Interessant wäre doch, wenn endlich mal diese angeblichen Widersprüche der führenden kapitalistischen Staaten, die zum Kriegsgrund reichen sollen, benannt werden würden. Das Profitmaximierungsinteresse kann es jedenfalls nicht sein – das wäre ja plattesters Ökonomismus. Aber vielleicht hat Deutschland ja ein Interesse an Nordschleswig oder Elsaß-Lothringen. Rohstoffe, Einflußsphären, …
Natürlich werden die Europäer nicht mehr jeden amerikanischen Vorstoß mitmachen, aber letztendlich werden sie gemeinsam mit ihnen entscheiden, ob ein Krieg geführt werden muß oder nicht. Die NATO löst die UNO ab – was braucht das Kapital ein Vetorecht der Russen oder Chinesen? Die materielle Vorherrschaft der USA auf dem Gebiet der Militärtechnologie verhilft ihnen innerhalb der NATO zum Vorsitz.
Appeasement
Der Genosse Schröder kritisiert die in der Kommunistischen Zeitung vertretene Auffassung, das dies Serbien untergehen müsse, wie das nationalsozialistische Deutschland untergegangen sei. Schließlich sei die NATO nicht in den Krieg eingetreten, um ein reaktionäres Regime zu beseitigen. Der Genosse Schröder hingegen sieht es politisch. Der Krieg wurde von den USA nur geführt um ihre Vorherrschaft in Europa zu dokumentieren. Und die Europäer, dumm wie sie alle sind, haben mit Freuden mitgemacht? Das Politikverständnis des Genossen Schröder erscheint hier doch als allzu eindimensional. Es waren schließlich die europäischen Staaten, die unter Hinweis auf die humanitären Aspekte ein Ultimatum an Milosevic forderten. Läßt man den humanitären Guß einmal beseite, zeigt sich, das ein kapitalistisches Europa, vertreten durch seine Einzelnationen, den letzten Störenfried aus Zeiten der Blockkonfrontation aus seiner Mitte tilgen wollte. Unter Berücksichtigung des Charakters des serbischen Staates kann man als Kommunist, trotz einer schließlichen Teilnahme der USA, nur sagen: Richtig so.
Ein paar armselige herumvagabundierende Haufen der sogenannten UCK werden von den Serben zum Vorwand brutaler Unterdrückungspraxis im Kosovo genommen und Kommunisten fordern Selbstbestimmungsrecht der Völker. Und konkret für den Kosovo? Der Kosovo erscheint für den Genossen Schröder nur als Spielball der kapitalistischen Mächte und seine Forderung nach Selbstbestimmungsrecht läuft auf einen bescheidenen Rückzug aus schwer durchschaubaren Auseinandersetzungen hinaus. Raus aus dem Balkan, ja, aber gleichzeitig Bewaffnung der Albaner, um sie für den Kampf gegen die Serben zu rüsten – wen man diese Aufgabe nicht einer NATO-Eingreiftruppe überlassen will. Trotz allem ist die Forderung nach Beseitigung des Milosevic-Regimes richtig und fortschrittlich – wenn sie auch nicht ökonomisch begründet ist.
Befreiungskrieg
Jeden nationalen Befreiungskampf, der sich mit den USA und der NATO verbündet, als nicht fortschrittlich zu bezeichnen, erscheint reichlich gewagt. Schließlich haben sich die nationalen Befreiungsbewegungen der Nachkriegszeit in dem ehemaligen britischen und französischen Kolonialreichen großteils nur deshalb durchsetzen können, weil die USA sie direkt oder indirekt gegen ihre Kolonialherren unterstützten. Sicher nicht aus uneigennützigen Gründen, aber spielt das eine Rolle? Woher nimmt der Genosse Schröder die Arroganz, den nationalen Befreiungsbewegungen ihren Bündnispartner grundsätzlich vorzuschreiben? Ist die Frage der Bündnispartner nicht vielmehr eine taktische, statt eine prinzipielle? Wenn die Kosovo-Albaner hier die USA als Partner wählen, und damit die serbische Unterdrückung beseitigen, sich auf den Weg zu einem eigenen Staat bewegen, so ist ihnen das nicht vorzuwerfen, sondern unter Berücksichtigung des Umstandes, das es keinen anderen Bündnispartner gab, hinzunehmen. Die „zweite wesentliche Lehre des Jugoslawienkrieges“ des Genossen Schröders ist Ausfluß und Produkt einer sonst durchaus begrüßenswerten US-Antipathie, aber keinesfalls Analyse und Schlußfolgerung konkreter Politik.
Ökonomismus
„Wer konkrete Politik aus ‚dem Kapital‘ oder den ‚Strategien und Interessen des Kapitals‘ herleitet hat weder den Marxismus verstanden noch ist er politikfähig.“ Der Genosse Schröder leitet konkrete Politik im Jugoslawienkrieg aus dem Kampf um Einflußsphären, Rohstoffen und Handelsverträgen her. Nach seinem Ansatz („Katzbalgerei um politische Einflußsphären“) ist der Jugoslawienkrieg eben um diese geführt worden. Für einer solche Analyse reicht die FAZ oder NZZ allemal aus, da ist kein kommunistischer Kommentar notwendig. Eine kommunistische Analyse muß tiefer gehen, und sie mußt die Grundsubstanz des Subjekts herausarbeiten. Die Grundsubstanz der Jugoslawienkrieges ist eben nicht der Kampf um Einflußsphären, Handelsverträge oder Rohstoffe, und sie ist nicht das deutsche Ausgreifen auf den Balkan. Sie ist die gemeinsame Aktion der fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten, einen Störenfried aus ihrer Neuen Weltordnung zu entfernen. Wer konkrete Politik kapitalistischer Staaten heute aus dem Kampf um Einflußsphären, Rohstoffen und Handelsverträgen herleitet, hat überhaupt nichts verstanden, sondern lebt in der Vergangenheit.
Söldnerarmee
Berufsarmeen, Söldnerarmee dienen nicht dem Krieg kapitalistischer Staaten gegeneinander, sondern der Durchsetzung des kapitalistischen Gesellschaftsordnung – nach innen und nach außen. Nach außen treten sie in der Form des Jugoslawien-Krieges oder des 2. Golfkrieges in Erscheinung. Sie treten an gegen technisch unterlegene Staaten, die mit einem Minimum an Aufwand zu befrieden sind.
Und sie treten an gegen aufrührerische Massen. Ihr in Zukunft wahrscheinlich wichtigster Auftrag wird der Kampf im Innern sein. Nicht die „zunehmenden Widersprüche der führenden kapitalistischen Staaten“ untereinander werden zur Krisis treiben, sondern der zunehmende Widerspruch in den Produktionsverhältnissen wird die Massen in Bewegung setzen und die Söldnerarmeen antreten lassen.
Zukunft
Der Genosse Schröder analysiert den Jugoslawienkrieg vom Standpunkt der Staatenwelt der 20er Jahre und verlegt die zukünftige Entwicklung zurück in das Zeitalter des Absolutismus. Das ist das Kernproblem seines Ansatzes, der damit notwendig scheitern muß. Er weigert sich einfach anzuerkennen, das das Ende der Blockkonfrontation eine politische Situation freigelegt hat, die eben nicht mit Mitteln des 20.Jahrhunderts zu begreifen ist. Die führenden kapitalistischen Staaten sind es wirklich, sie sind kapitalistisch. Kein Wirtschaftsboß ist Regierungschef, aber die grundlegende Ausrichtung aller führenden kapitalistischen Staaten hat sich aneinander angenähert. Der Bauernstand ist überall auf ein Minimum herabgesunken, maßgebende feudale Strukturen bestehen nicht mehr, faschistische Bewegungen haben keine Grundlage mehr, kommunistische Bewegungen führen, wenn überhaupt vorhanden, nur eine Randexistenz. Der Kapitalismus hat sich endlich im Innern durchgesetzt.
Die äußere Politik der führenden kapitalistischen Staaten wird sich daher eher angleichen als weiter differenzieren. Natürlich werden die unterschiedlichen Kapitalfraktionen innerhalb der Staaten um Einfluß ringen, und natürlich werden Staatsregierungen versuchen, ihre Wirtschaften in anderen Ländern zu protegieren. Doch daraus werden keine wachsenden Widersprüche der führenden kapitalistischen Staaten untereinander entstehen.
Lehren
Die erste Lehre (die vierte ist in ihr enthalten, nur anders formuliert), welche der Genosse Schröder aus dem Jugoslawienkrieg zieht, ist falsch. Söldnerarmeen werden einen Krieg kapitalistischer Staaten untereinander nicht erleichtern, sondern erschweren. Sie erleichtern die Kriegführung gegen Nicht-kapitalistische Staaten und gegen das eigenen Volk.
Die zweite Lehre ist eine Moralpredigt. Im Befreiungskampf eines Volkes ist zunächst jeder Bündnispartner willkommen. Und wenn er zum Einsetzen einer jenem Bündnispartner hörigen Regierung beim Unterdrücker führt – das ist nicht Problem des kämpfenden Volkes. Ihm seinen Bündnispartner zu verbieten weil es der falsche sei ist moralinsaurer Unfug.
Die dritte Lehre kann man mit dem Hinweis auf die vom Genossen Schröder prophezeiten kommenden Kämpfe um Einflußsphären, Handelsverträge und Rohstoffe übergehen. So sehr sich der Genosse auch abmüht bei seiner Verteidigung des Marxismus, hier ist er selbst in plattesten Ökonomismus verfallen.
Zum Krieg
Der Jugoslawienkrieg hatte zur grundlegenden Ursache den Versuch der führenden kapitalistischen Nationen Europas, den Störenfried Jugoslawien zu beseitigen. Dazu diente der Kosovo-Konflikt als Anlass. Die USA beteiligten sich, um sich von der Bevormundung durch die UNO zu befreien und mit der NATO ein ihnen willfährigeres Instrument in die Hand zu bekommen. Trotzdem war es die NATO, welche den Krieg geführt hat. Das die USA als prominentester Teilnehmer auftraten, liegt einfach an ihrem überlegenem militärisch-technischem Potential. Jede Spekulation über Einflußsphären, Handelsverträge und Rohstoffe bleibt an der Oberfläche der Erscheinung. Dafür benötigt es keine kommunistische politische Analyse.
Zuerst veröffentlicht in: Aufsätze zur Diskussion (AzD), 22. Jg., Nr. 69, November 2000. Information und Bestellformular …